DER KOSMETIK-CHECK Hormone in Kosmetika - BUND-Studie zu hormonell wirksamen Stoffen in Kosmetika
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OHNE Hormone Un be de nk lic h ACHT UN G Ho rm on e DER KOSMETIK-CHECK Hormone in Kosmetika BUND-Studie zu hormonell wirksamen Stoffen in Kosmetika kapitel ACHTUNG PLASTIK! 1
Inhalt 4 Zusammenfassung 6 Einleitung 7 Hormonell wirksame Chemikalien und ihre Risiken 10 Hormonell wirksame Chemikalien in Kosmetika 11 Marktstudie zur Verwendungshäufigkeit der Stoffe 14 Im Fokus: Parabene und UV-Filter 17 Unzureichender Schutz durch die Gesetzgebung 20 Schlussfolgerungen 21 Anhang 22 Literaturverzeichnis Impressum: Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e. V. (BUND) · Friends of the Earth Germany · Am Köllnischen Park 1 · 10179 Berlin · Tel.: (0 30) 2 75 86-40 · Fax: (0 30) 2 75 86-440 · Text: Sarah Häuser und Jurek Vengels · V.i.S.d.P.: Dr. Norbert Franck · Gestaltung: N & U GmbH, Berlin · Grafiken: igelb GmbH, Köln Die Auswertung der Inhaltsstoffangaben erfolgte in Kooperation mit Codecheck.info. Weder der BUND noch Codecheck können eine Garantie dafür übernehmen, dass alle in der Codecheck-Datenbank aufgeführten Informationen richtig sind. Unternehmen können eventuelle falsche Angaben zu einzelnen Produkten direkt über ein Formular auf der Website www.codecheck.info korrigieren. Der direkte Link zur Produktseite ist auch in der ToxFox-App aufgeführt. Weitere Informationen zum Thema und unsere App finden Sie unter www.bund.net/toxfox 2 Tox Fox – Der Kosmetik-Check inhalt
Zusammenfassung Hormoncocktail im Badezimmer Was bedeutet das für VerbraucherInnen? Duschgel, Zahnpasta, Gesichtscreme, Sonnenschutz, Deodo- Die in einem einzelnen Produkt enthaltene Menge dieser rant, Wimperntusche, Lippenstift... Wie viele Körperpflege- Stoffe ist in der Regel sehr gering und macht noch nicht produkte benutzen Sie täglich? Kosmetika sollen schön und krank. Fast jedes fünfte Produkt enthält jedoch gleich mehrere sauber machen. Und man will sich etwas Gutes tun, wenn hormonell wirksame Chemikalien. Hinzu kommen weitere All- man sie aufträgt. Doch das ist nicht immer der Fall. Denn tagsprodukte, in denen Stoffe mit hormoneller Wirkung, wie häufig enthalten sie Stoffe, die unser Hormonsystem stören Phthalat-Weichmacher oder Bisphenol A, enthalten sind. Da können. sich die Wirkung der Stoffe aus verschiedenen Quellen im Körper aufsummiert, kann so ein gefährlicher Hormoncocktail In der ersten Studie dieser Größenordnung hat der BUND zusammenkommen. Tatsächlich weisen Wissenschaftler im mehr als 60.000 Kosmetik-Produkte auf dem deutschspra- menschlichen Blut regelmäßig eine ganze Reihe hormonell chigen Markt darauf hin ausgewertet, ob sie hormonell wirk- wirksamer Chemikalien nach, darunter auch Parabene und same Stoffe enthalten oder nicht. UV-Filter aus der Kosmetik. Dabei werden teilweise bereits Konzentrationen erreicht, die im Tierversuch zu Gesundheits- schäden geführt haben. Welche Risiken bergen hormonell wirksame Chemikalien? Hormonell wirksame Stoffe werden in Kosmetika vor allem als Konservierungsmittel und UV-Filter eingesetzt. Die Stoffe können über die Haut in den Körper aufgenommen werden. Ergebnisse im Überblick: Vor allem Föten im Mutterleib, Kleinkinder und Pubertierende ● Anzahl der ausgewerteten Körperpflegeprodukte: sind durch hormonell wirksame Chemikalien gefährdet. Denn 62.559 diese Stoffe können sensible Entwicklungsphasen stören. Sie ● Davon belastet: 18.542 (= 30 %) werden mit gesundheitlichen Problemen in Verbindung ge- ● Anteil der belasteten Artikel bei den Marktführern bracht, die in den letzten Jahrzehnten weltweit immer häufiger L'Óreal und Beiersdorf (u. a. Nivea): 45 % bzw. 46 % auftreten. Dazu gehören ein Rückgang der Spermienqualität ● Größte Unternehmen ohne belastete Produkte: alva und -anzahl, bestimmte hormonbedingte Krebsarten wie Naturkosmetik, Laverana Naturkosmetik, Logocos Brust-, Prostata- und Hodenkrebs, verfrühte Pubertät bei Naturkosmetik, Martina Gebhardt Naturkosmetik, Mädchen, sowie Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern. Weleda Naturkosmetik ● Am häufigsten verwendeter hormonell wirksamer Stoff: Methylparaben (Konservierungsmittel), in 24 % Jedes dritte Produkt ist belastet aller Produkte enthalten Unsere Untersuchung hat ergeben, dass knapp ein Drittel der ● Anteil der Produkte, die mehrere hormonell wirksame über 60.000 Körperpflegeprodukte hormonell wirksame Che- Stoffe enthalten: 20 % mikalien enthalten. Mit 46 % bzw. 45 % sind die Produkte ● Insgesamt wurden 15 verschiedene Stoffe in Kos- der Marktführer Beiersdorf (u. a. Nivea) und L'Óreal über- metika gefunden, die von der EU in ihrer Prioritäten- durchschnittlich oft belastet. Dass das nicht sein muss, zeigen liste für hormonell wirksame Stoffe mit der höchsten Naturkosmetikfirmen, deren Produkte frei von diesen Stoffen Priorität belegt wurden. Für alle diese Stoffe wurde sind. Auch konventionelle Anbieter können es besser, das zeigt die hormonelle Wirksamkeit in Tierversuchen doku- dm: Nur 17 Prozent der Eigenprodukte der Drogeriekette sind mentiert. betroffen. Zusammenfassung Tox Fox – Der Kosmetik-Check 3
Was ist zu tun? Es ist an der Zeit zu handeln: In einem so körpernahen Bereich wie der Körperpflege haben hormonell wirksame Stoffe nichts zu suchen. Daher sollten sie für den Einsatz in Kosmetikpro- dukten verboten werden. Solange dies noch nicht geschehen ist, müssen Hersteller ihrer Verantwortung gerecht werden und hormonell wirksame Stoffe freiwillig aus ihren Produkten verbannen. Es gibt genügend Unternehmen, denen dies bereits erfolgreich gelungen ist. Wie können sich VerbraucherInnen schützen? Um VerbraucherInnen zu helfen, sich schon heute vor hor- monell wirksamen Chemikalien zu schützen, hat der BUND eine kostenlose Kosmetik-App entwickelt. Mit der ToxFox- App für das iPhone können VerbraucherInnen sofort erfahren, ob ein Kosmetikprodukt künstliche Hormonstoffe enthält. Dazu muss lediglich der Strichcode eines Produkts mit der Handy-Kamera eingescannt werden. Bei belasteten Produkten kann außerdem ganz einfach eine Protestnachricht an den Hersteller gesendet werden. Die KundInnen können so ein deutliches Signal setzen, dass sie sichere Kosmetika ohne schädliche Stoffe wollen. Für VerbraucherInnen ohne iPhone steht der Service auch auf der Website www.bund.net/toxfox zur Verfügung. 4 Tox Fox – Der Kosmetik-Check Zusammendassung
Einleitung Mehr als fünf Kilogramm Kosmetik1 nutzen wir jährlich pro Person. Dazu gehören Körperpflegemittel wie Duschgel, Zahn- pasta, Gesichtscreme und Sonnenschutz genauso wie Parfüm und dekorative Kosmetik wie Wimperntusche und Lippenstift. Tausende unterschiedliche Substanzen werden als Inhaltsstoffe in diesen kosmetischen Produkten verwendet. Die meisten davon sind harmlos, doch nicht alle sind für unsere Gesundheit so gut, wie man es sich wünschen würde. Insbesondere für die Gruppe der so genannten hormonell wirksamen Chemikalien gibt es immer mehr Hinweise darauf, dass sie zu ernsthaften Gesundheitsrisiken führen können. Zu dieser Gruppe gehören unter anderem Parabene als Konser- vierungsmittel und bestimme chemische UV-Filter. Wir haben den Kosmetik-Check gemacht und untersucht, welche Risiken von hormonell wirksamen Stoffen in Körper- pflegeprodukten ausgehen, wie häufig sie Verwendung finden und welche Hersteller besonders viele oder wenig belastete Produkte im Sortiment haben. Außerdem erfahren Sie auf den folgenden Seiten, welche Lücken es in der Gesetzgebung gibt, was zu tun ist, um sie zu schließen und wie sich Ver- braucherInnen schon heute vor den Risiken hormonell wirk- samer Chemikalien in Kosmetikprodukten schützen können. BU: So wünschen wir uns alle Egebnisse Chemikalien in Kosmetika Insgesamt gibt es über 10.500 verschiedene Substan- zen, die in Kosmetika enthalten sein können. Es ist un- möglich, sich in einer Studie mit all diesen Chemikalien auseinanderzusetzen. Diese Publikation konzentriert sich daher auf hormonell wirksame Chemikalien als eine Stoffgruppe, die in den letzten Jahren besonders in die Kritik geraten ist. Hormonell wirksame Stoffe zu vermeiden ist ein guter Anfang. Man sollte aber wissen, dass es noch weitere Inhaltsstoffe von Kosmetika mit problematischen Ei- genschaften gibt, wie bestimmte Duftstoffe, PEGs, Formaldehyd oder Petrolatum. Letztlich sind der Ge- setzgeber und die Hersteller gefordert, die Sicherheit 1 In dieser Publikation fassen wir unter dem Begriff Kosmetik Körper- von kosmetischen Produkten insgesamt zu verbessern. pflegeprodukte (wie z. B. Duschgel, Pflegelotionen), Duftmittel (Par- füm) und dekorative Kosmetik (z. B. Make-up) zusammen. Einleitung Tox Fox – Der Kosmetik-Check 5
Hormonell wirksame Chemikalien und ihre Risiken Was sind hormonell wirksame Chemikalien? den Stoffwechsel und die Sättigung betreffen (WHO/UNEP Die Weltgesundheitsorganisation hat hormonell wirksame 2013). Chemikalien im Frühjahr 2013 als „globale Bedrohung" be- zeichnet. Denn es deuten immer mehr Studien darauf hin, dass sie zu verschiedenen Krankheiten führen können, die in Hormonbedingte Krankheiten weltweit auf den vergangenen Jahren häufiger geworden sind. dem Vormarsch Hormonelle Schadstoffe werden unter anderem mit Unfrucht- Zur Gruppe der hormonell wirksamen Chemikalien gehören barkeit oder reduzierter Fruchtbarkeit, Lern- und Gedächt- zahlreiche unterschiedliche Stoffe. Etwa 550 Chemikalien, nisschwierigkeiten, Fettleibigkeit, Altersdiabetes, Herzkreis- die im Verdacht stehen, ähnlich wie Hormone zu wirken, wur- lauferkrankungen, verfrühter Pubertät und verschiedenen den von der Europäischen Union zunächst identifiziert. Zum hormonbedingten Krebsarten wie Brust-, Hoden-und Prosta- Teil handelt es sich dabei um Massenchemikalien, die in zahl- takrebs in Verbindung gebracht (Kortenkamp 2012; reichen Alltagsprodukten eingesetzt werden und in hohen WHO/UNEP 2013; Diamanti-Kandarakis et. al 2009) Mengen in die Umwelt gelangen. Dazu gehören neben Kos- metik-Inhaltsstoffen auch Zusätze in Kunststoff wie Bisphenol Viele dieser Krankheiten treten in den letzten Jahr- A und Phthalat-Weichmacher genauso wie mittlerweile ver- zehnten gehäuft auf (WHO/UNEP 2013; EEA 2012;): botene aber langlebige Stoffe wie das Pestizid DDT oder in- • In Europa hat ein großer Teil der jungen Männer (bis zu dustrielle Schmiermittel wie PCB. 40 %) eine verminderte Spermienqualität • Bei männlichen Neugeborenen in der westlichen Welt wer- Hormonell wirksame Chemikalien sind synthetische Stoffe, den immer häufiger Missbildungen der Geschlechtsorgane die ähnlich wirken wie körpereigene Hormone. Sie sind meist wie Hodenhochstand oder Entwicklungsstörungen der nicht akut giftig, können jedoch wichtige Entwicklungspro- Harnröhre festgestellt zesse stören, die in ganz bestimmten Zeitfenstern des Wachs- • Hormonbedingte Krebsarten (z. B. Brust-, Prostata- und tums ablaufen. Föten im Mutterleib, Kleinkinder und Puber- Hodenkrebs) sind in den letzten 40–50 Jahren weltweit tierende reagieren besonders empfindlich auf hormonelle häufiger geworden. Brustkrebs ist die häufigste Krebsart Schadstoffe. Viele Substanzen wirken dabei auf die gleichen bei Frauen, mit den höchsten Erkrankungsraten in Nord- Hormonrezeptoren wie natürliche Geschlechtshormone, zum amerika, Australien und Nordeuropa. In westlichen Gesell- Beispiel die weiblichen Sexualhormone, Östrogene, oder deren schaften ist Prostatakrebs die häufigste Krebsart bei Män- männliches Pendant, die Androgene. Auch ihre Effekte auf nern. In Europa sind die Fälle von Schilddrüsenkrebs das Schilddrüsenhormonsystem sind bekannt. Sie können aber zwischen 5.3 % (Schweiz) und 155.6 % (Frankreich) ange- auch weitere Hormonsysteme beeinflussen, manche hormonell stiegen wirksamen Chemikalien interagieren mit mehreren Hormon- • In den USA und in verschiedenen europäischen Ländern rezeptoren gleichzeitig. Damit können sie alle Vorgänge des gibt es einen Trend zur verfrühten Pubertät bei Mädchen Körpers beeinflussen und stören, die von Hormonen gesteuert (verbunden mit einer frühen Brustentwicklung) werden. Das Hormonsystem kontrolliert eine große Anzahl • Fettleibigkeit und Diabetes-Typ-2 treten in den letzten 40 von Prozessen im Körper, auch der frühen Entwicklung. Dazu Jahren in der westlichen Welt deutlich häufiger auf gehört die Zelldifferenzierung während der Embryonalent- • Verhaltensstörungen wie ADHS, Autismus und Lernschwie- wicklung, die zur Bildung von Geweben und Organen führt. rigkeiten bei Kindern haben in den letzten Jahrzehnten Hormone und ihre Signalwege sind auch bei Erwachsenen weltweit zugenommen entscheidend für das normale Funktionieren von Körperfunk- • Seit Mitte des 20. Jahrhunderts sind in den Industrieländern tionen. Hormonell wirksame Chemikalien betreffen wahr- die Allergie- und Asthmaraten bei Kindern stark angestie- scheinlich alle hormonellen Systeme und reichen von denen, gen. die die Entwicklung und das Funktionieren der Fortpflan- zungsorgane steuern bis zu den Geweben und Organen, die 6 Tox Fox – Der Kosmetik-Check Hormonell wirksame Chemikalien
Grafik: BUND/iGelb Diese nicht übertragbaren Krankheiten haben in den letzten Kinder sind keine kleinen Erwachsenen und Jahrzehnten mit einer Geschwindigkeit zugenommen, die es besonders gefährdet ausschließen lässt, dass die Ursachen rein genetischer Natur sind. Das zeigt sich auch bei Studien mit Migranten, bei denen Bei hormonellen Schadstoffen ist der Zeitpunkt der Belastung sich die Erkrankungshäufigkeit nach der Migration von Län- von großer Bedeutung. Erwachsene reagieren in der Regel dern mit niedriger Rate in Länder mit hoher Rate ebenfalls wesentlich unempfindlicher auf hormonelle Stoffe als ein Fö- erhöht hat. Das lässt sich vor allem bei Menschen beobachten, tus im Mutterleib, ein Kleinkind oder ein Teenager in der Pu- die ihr Heimatland in einem jungen Alter verlassen haben bertät. Das liegt daran, dass es besonders sensible Zeitfenster bzw. bei Migranten zweiter und dritter Generation. Auch eine des Wachstums gibt, in denen Weichen für die gesunde Ent- verbesserte Diagnose von bestimmten Erkrankungen kann den wicklung eines Menschen gestellt werden. Belastungen wäh- Anstieg nicht erklären. Daher müssen Umwelt- und Lebens- rend kritischer Entwicklungsphasen können zu irreversiblen stilfaktoren eine Rolle spielen: Als Einflussfaktoren werden Schäden führen, während die Effekte auf Erwachsene zu ver- zum Beispiel die Ernährung, das Alter der Mutter, virale Krank- schwinden scheinen, sobald die Belastung aufhört. Häufig heiten und Chemikalienbelastungen diskutiert (EEA 2012). zeigen sich die Schädigungen, die ihren Ursprung in einer Auffällig ist, dass diese oft als Zivilisationskrankheiten be- frühen Belastung mit hormonell wirksamen Chemikalien ha- zeichneten Störungen parallel zum massiven Wachstum der ben, nicht sofort. Sie treten stattdessen erst Jahre oder Jahr- chemischen Industrie häufiger geworden sind. Die Theorie, zehnte später auf, zum Beispiel wenn Fortpflanzungsorgane dass hormonelle Chemikalien hier eine wichtige Rolle spielen, betroffen sind und das die Spermienqualität im späteren wird dadurch gestützt, dass viele der genannten gesundheit- Leben beeinflusst (Kortenkamp et. al 2012). lichen Beeinträchtigungen mit dem Hormonsystem in Ver- bindung stehen. Stoffe mit hormonellen Eigenschaften haben Während sensibler Zeitfenster der Entwicklung können bereits zudem im Tierversuch zu ähnlichen Krankheiten geführt wie extrem niedrige Dosen zu einer Störung des Hormonsystems sie beim Menschen beobachtet werden. Auch bei wildlebenden führen. Niedrige Dosen führen teilweise sogar zu stärkeren Tierpopulationen treten Schädigungen durch hormonell wirk- Effekten als höhere Dosen. Dieser Wirkmechanismus ist für same Umweltchemikalien auf. natürliche Hormone bekannt. Für hormonell wirksame Che- Hormonell wirksame Chemikalien Tox Fox – Der Kosmetik-Check 7
mikalien wird dieser Widerspruch zur traditionellen toxikolo- alleine keinen beobachtbaren Effekt besitzen. Bei Stoffen mit gischen Maxime „Die Dosis macht das Gift" erst seit einiger gleichartiger Wirkung (z. B. Östrogene, Androgene oder Schild- Zeit anerkannt (Vandenberg et. al 2012). drüsenhormone) geht man davon aus, dass sich die Wirkungen addieren (Kortenkamp 2007). So zeigten Nachkommen von Vor allem Schwangere und Eltern von Kleinkindern sowie Ratten, die während der Schwangerschaft mehreren hormo- Teenager sollten deshalb darauf achten, dass sie Kosmetika nellen Stoffen in für sich alleine betrachtet wirkungslosen frei von hormonellen Stoffen verwenden. Föten im Mutterleib Einzeldosen ausgesetzt waren, Deformationen der männlichen können über die Kosmetik, die die Schwangere benutzt, mit Genitalien. Die Studie, die die Kombinationswirkung von 13 hormonellen Stoffen belastet werden, die die Plazentaschranke ähnlich wirkenden Chemikalien (u. a. Parabene und UV-Filter überwinden können. aus Kosmetika, Phthalat-Weichmacher, Pestizide sowie Bisphe- nol A) in für den Menschen realistischen Belastungshöhen untersucht hat, kommt zu dem Schluss, dass insbesondere Der Cocktail-Effekt Frauen im gebärfähigen Alter nicht ausreichend vor Kombi- Human-Biomonitoring-Studien zeigen, dass jeder Mensch nationseffekten durch hormonell wirksame Chemikalien ge- eine Vielzahl von Chemikalien im Körper hat. Bei diesen Un- schützt sind (Christiansen 2012). tersuchungen – durchgeführt zum Beispiel von der Europäi- schen Kommission oder dem deutschen Umweltbundesamt – Durch den vielfachen Einsatz von Parabenen und UV-Filtern werden menschliche Körperflüssigkeiten und -gewebe auf in Kosmetika können also Kombinationswirkungen auftreten. ihre Belastung mit Schadstoffen untersucht (Euractiv 2012; Die gegenwärtige Risikobewertung der Europäischen Union Umweltbundesamt 2013). berücksichtigt diese Cocktaileffekte jedoch nicht und kon- zentriert sich nach wie vor auf Grenzwerte für einzelne Stoffe. Studien haben außerdem gezeigt, dass sich hormonell wirk- Auch die Weltgesundheitsorganisation geht davon aus, dass same Chemikalien gegenseitig in ihrer Wirkung verstärken die Gesundheitsrisiken, die von Kombinationswirkungen hor- können. Sie wirken dann sozusagen als Chemikaliencocktail, monell wirksamer Chemikalien ausgehen, stark unterschätzt der einen deutlichen Effekt haben kann, selbst wenn die ein- werden. zelnen Stoffe in so niedrigen Dosen vorhanden sind, dass sie Grafik: BUND/Anne Erwand Beim Einkaufen kurz inne halten, Barcode scannen und ganz einfach eine richtige Kaufentscheidung treffen. 8 Tox Fox – Der Kosmetik-Check Hormonell wirksame Chemikalient
Hormonell wirksame Chemikalien in Kosmetika Hormonell wirksame Stoffe weisen erhebliche Gesundheits- Die 16 Stoffe sind (jeweils mit ihrer INCI Bezeichnung): risiken auf und kommen in vielen Produkten zum Einsatz. • Als Konservierungsmittel: Methylparaben, Propylparaben, Doch wie häufig sind sie eigentlich? Wir wollten wissen, wie Ethylparaben, Butylparaben viele hormonell wirksame Stoffe in Kosmetika verwendet wer- • Als UV-Filter: Ethylhexyl Methoxycinnamate (OMC), den, wie häufig sie vorkommen und welche Unterschiede es 4-Methylbenzylidene Camphor, 3-Benzylidene Camphor in der Verbreitung zwischen einzelnen Herstellern und Pro- • Als UV-Absorber:2 Bezonphenone-1 und Benzophenone-2 duktgruppen gibt. • Als Haarfärbemittel: Resorcinol • Als Conditioner für Haut und Haare: Cyclotetrasiloxane • Als Antioxidationsmittel: Butylhydroxyanisol (BHA) Welche hormonell wirksamen Stoffe werden • Zum Schutz vor Bakterien: Boric Acid in Kosmetika verwendet? • Als Denaturierungsmittel: Diethyl phthalate In einem ersten Schritt haben wir untersucht, welche hor- • Als Hautpflegemittel: Hydroxycinnamic acid monell wirksamen Stoffe in Kosmetik eingesetzt werden. • Als Hautschutzmittel: Dihydroxybiphenyl Grundlage hierfür ist ein Abgleich der Prioritätenliste für hor- monell wirksame Chemikalien der Europäischen Union (EU) mit der sogenannten INCI-Liste (International Nomenclature of Cosmetic Ingredients). In der INCI-Liste werden kosmetische Inhaltsstoffe mit ihrer international einheitlichen Bezeichnung aufgelistet. Auf der EU-Prioritätenliste wurden Stoffe, die als potentielle hormonelle Schadstoffe gelten, zusammengetra- gen, um sie für die weitere Bewertung zu priorisieren. Mit der höchsten Priorität wurden dabei Stoffe belegt, für die die hormonelle Wirkung in Tierversuchen (sogenannten In-Vivo- Studien) nachgewiesen wurde. Diese fallen in die Kategorie 1. Neben den in Kategorie 1 aufgeführten Substanzen gibt es in den Kategorien 2 und 3 der EU-Liste weitere Substanzen, die im Verdacht stehen, hormonell zu wirken, die jedoch bisher weniger gut untersucht sind. Wir beschränken uns in dieser Studie auf die Stoffe der Kategorie 1, da für sie bisher am besten belegt ist, dass sie das Hormonsystem stören können. Insgesamt gibt es 194 Chemikalien, die in die Kategorie 1 der EU-Prioritätenliste fallen. Von diesen werden 16 auch in der INCI-Liste für kosmetische Inhaltsstoffe geführt und kommen somit für die Verwendung in Kosmetika- und Körperpflege- produkten in Betracht. 2 Im Gegensatz zu UV-Filtern dienen UV-Absorber nicht dem Schutz der Haut vor UV-Strahlen, sondern dem Schutz des Produkts vor Son- neneinstrahlung. Hormonell wirksame Chemikalien in Chemikalien Tox Fox – Der Kosmetik-Check 9
Marktstudie zur Verwendungshäufigkeit der Stoffe Erschreckendes Ergebnis: fast jedes dritte formieren können. Die Produktinformationen in der Code- Produkt ist belastet check-Datenbank wurden überwiegend von NutzerInnen der In einem zweiten Schritt wollten wir herausfinden, wie häufig Plattform selbst zusammengetragen. So können z. B. die In- die oben genannten Stoffe tatsächlich in Kosmetikprodukten haltstoffangaben von Kosmetikprodukten auf der Verpackung eingesetzt werden. Hierzu hat der Schweizer Verein Code- über ein Webformular in die Codecheck Datenbank eingetra- check.info für den BUND alle Inhaltsstoffangaben kosmeti- gen werden. scher Produkte in seiner Datenbank auf das Vorhandensein der 16 oben aufgeführten hormonell wirksamen Stoffe elek- Bei der Fülle der Daten können in Einzelfällen falsche Angaben tronisch überprüft. Zum Zeitpunkt der Auswertung (Ende Juni zu einzelnen Produkten nicht ausgeschlossen werden, etwa 2013) lagen in der Codecheck Datenbank insgesamt zu 62.559 durch Tippfehler, oder weil sich die Zusammensetzung eines kosmetischen Produkten Inhaltsstoff-Angaben vor. Sie stellt Produkts nach der Eintragung in die Datenbank geändert hat. somit die umfangreichste uns bekannte Datenbasis über die Auf Grund des Umfangs der Daten war es nicht möglich, alle Inhaltsstoffe von kosmetischen Mitteln auf dem deutschspra- Eintragungen zu überprüfen. Durch die Gemeinschaft der chigen Markt dar. NutzerInnen findet – ähnlich etwa wie bei Wikipedia – jedoch eine Selbstkontrolle der Informationen statt: fehlende, veral- Von den 62.559 überprüften Kosmetik- und Körperpflegepro- tete oder falsche Angaben können auf der Codecheck-Website dukten enthielten 18.542 mindestens einen hormonell wirk- korrigiert werden. Auch Unternehmen haben so die Möglich- samen Stoff. Somit sind fast 30 % aller Produkte mit diesen keit, die Angaben zu ihren Produkten zu überprüfen und bei problematischen Chemikalien belastet. Bedarf richtigzustellen. Auch kann es vorkommen, dass zu einem Produkt mehrere Datengrundlage und Vorgehensweise Einträge vorhanden sind. Dies kann zum einen unterschiedliche Codecheck.info betreibt ein Webportal und eine Smartphone- Chargen widerspiegeln. Teilweise kann es jedoch auch sein, Applikation, über die sich VerbraucherInnen aus der Schweiz, dass ein und dasselbe Produkt mit leicht unterschiedlichen Deutschland und Österreich über Produkteigenschaften in- Bezeichnungen in die Datenbank eingetragen wurde. Dadurch Grafik: BUND 10 Tox Fox – Der Kosmetik-Check Marktstudie zur Verwendungshäufigkeit der Stoffe
könnte es theoretisch zu Verzerrungen in der Auswertung samen Stoffen in Kosmetika überflüssig, weil vermeidbar, ist. kommen. Wir gehen jedoch davon, dass sich einzelne Dop- Bei den Marktführern Beiersdorf (Nivea) und L'Óreal enthält peleintragungen oder falsche Angaben weitgehend ausglei- fast jedes zweite Produkt hormonell wirksame Stoffe. Das chen und somit nicht zu wesentlichen Abweichungen bei den passt weder zum Image der „Familienmarke“ von Nivea noch im Folgenden vorgestellten Trends führen dürften. zum „schön und sexy“-Image von L'Óreal. Bei L'Óreal steht dies zudem in besonderem Maße im Widerspruch zu den ei- genen Ansprüchen an die Nachhaltigkeit der Produkte. So Hochpreisige Marken und Marktführer sind hatte der Konzern auf seiner Website bereits 2009 angekün- stark betroffen – Naturkosmetik kommt digt, alle Rohstoffe vor der Verwendung auf hormonelle Wirk- ohne hormonell schädliche Stoffe aus samkeit testen zu wollen (L'Óreal 2009). Eine Auflistung der Belastung aller Hersteller, die mit min- destens 100 Produkten in der Auswertung vertreten waren, finden Sie im Anhang.3 Die höchste Belastung weisen die Belastung unterschiedlicher Produktgruppen Produkte der Firma Basler Haar-Kosmetik mit 72 % auf. Auf- Nicht nur zwischen den einzelnen Herstellern gibt es Unter- fallend ist, dass auch viele Hersteller aus dem Hochpreisseg- schiede beim Anteil der belasteten Produkte, sondern auch ment stark betroffen sind, wie z. B. Chanel (66 %) und Shiseido zwischen den einzelnen Produktkategorien. Dies verdeutlicht (50 %). Dagegen waren „nur“ 17 % der Artikel der Eigenmarken die folgende Abbildung, für die wir uns beispielhaft sechs von dm Drogeriemarkt betroffen. Naturkosmetik ist in der Produktgruppen näher angeschaut haben, die im Laufe eines Regel sogar gänzlich frei von hormonell wirksamen Chemi- Tages in einem Durchschnittshaushalt benutzt werden könn- kalien. Dies belegt, dass die Verwendung von hormonell wirk- ten. Grafik: BUND/iGelb 3 Die Produkte sind in der Codecheck-Datenbank zusammen mit ihrer Barcode-Nummer gespeichert. Darüber findet auch die Zuordnung der Hersteller statt. Daher wurden in diesem Teil der Marktstudie nur die Artikel berücksichtigt, die auf Grund ihrer Barcode-Nummer eindeutig einem Hersteller zugeordnet werden konnten. Dies war für insgesamt 32.073 Artikel möglich. Marktstudie zur Verwendungshäufigkeit der Stoffe Tox Fox – Der Kosmetik-Check 11
Dabei erweisen sich ausgerechnet Sonnenschutzmittel (33 %) des Tages aufsummiert und damit auch die Belastung mit und Haarwachs (36 %), also lange auf dem Körper verbleibende den in den Produkten enthaltenen hormonell wirksamen Che- Produkte, als überdurchschnittlich stark belastet. Auf Grund mikalien. der langen Verweilzeit auf dem Körper ist hier die Aufnahme hormoneller Stoffe über die Haut wahrscheinlicher als bei Produkten, die nach kurzer Zeit wieder abgewaschen werden Welche Stoffe kommen in Kosmetika am (z. B. Rasierschaum). Gemischte Gefühle mag man dabei haben, häufigsten vor? dass Baby-Shampoo als besonders sensibles Produkt „nur“ in Die hormonell wirksamen Chemikalien, die in unserer Aus- knapp neun Prozent der Fälle hormonell wirksame Stoffe ent- wertung am häufigsten gefunden wurden, sind Parabene. Sie hält. Zwar ist dies der geringste Wert in der obigen Auswahl, werden als Konservierungsmittel eingesetzt. So ist allein Me- gerade Produkte für Kinder sollten aber generell frei von hor- thylparaben in 24 % aller Kosmetika auf dem deutschspra- monell wirksamen Stoffen sein. Darüber hinaus benutzen viele chigen Markt enthalten. Propylparaben findet sich in 18 % Eltern normale Kosmetik auch für Babys und Kleinkinder. aller Produkte, Ethylparaben in 12 % und Butylparaben in 10 % aller Produkte. Häufig werden die Stoffe zusammen ein- Die Unterschiede in der Belastung der verschiedenen Pro- gesetzt. Nach den Parabenen ist der UV-Filter Ethylhexyl Me- duktgruppen erklären sich teilweise aus der Funktion der ein- thoxycinnamate (OMC) der mit gut 4 % am fünfthäufigsten zelnen eingesetzten Substanzen: Parabene werden als Kon- verwendete hormonelle Stoff. Alle übrigen überprüften Stoffe servierungsmittel zum Beispiel eher in Produkten mit hohem werden mit je unter 1 % weitaus seltener eingesetzt. Einen Wasseranteil verwendet, weil sich darin Bakterien leichter Stoff, nämlich Dihydroxbiphenyl, haben wir in den Produkten vermehren können. UV-Filter finden sich naturgemäß häufig nicht finden können, obwohl er als kosmetischer Inhaltstoff in Sonnencremes, kommen aber auch in Pflegelotionen, Ge- in der INCI-Liste geführt wird. sichtscremes und Lippenpflege-Stiften vor. Nötig ist der Ein- satz hormonell wirksamer Substanzen aber nicht: in allen be- Die vier genannten Parabene und OMC werden als die mit trachteten Produktgruppen kommt die Mehrheit der Produkte großem Abstand am häufigsten gefundenen hormonellen bereits ohne hormonell wirksame Stoffe aus. Stoffe im folgenden Kapitel ausführlich betrachtet. Hormoncocktail im Badezimmer Unsere Auswertung hat außerdem ergeben, dass viele Kör- Inhaltsstoff Anzahl der Produkte Prozent von N perpflegeprodukte nicht nur eine gefährliche Chemikalie ent- halten, sondern gleich mehrere. Jedes fünfte Kosmetikprodukt Methylparaben 15064 24,08 enthält zwei oder mehr hormonell wirksame Stoffe. Immerhin Propylparaben 11335 18,12 rund 8 % der Produkte enthalten gleich vier dieser Stoffe auf Ethylparaben 7357 11,76 einmal. Hinzu kommt, dass die meisten Menschen im Laufe Butylparaben 6203 9,92 eines Tages eine ganze Reihe verschiedener Körperpflegepro- Ethylhexyl Methoxycin- 2677 4,28 dukte benutzen. namate (OMC) BHA 338 0,54 Die EU-Kommission schätzt, dass jeder Verbraucher und jede Resorcinol 276 0,44 Verbraucherin im Durchschnitt pro Tag mindestens sieben Benzophenone-1 260 0,42 Kosmetikartikel verwendet. Eine Befragung in den Vereinigten Cyclotetrasiloxane 104 0,17 Staaten kam auf zwölf Produkte, die Frauen durchschnittlich Benzophenone-2 91 0,15 pro Tag nutzen, und sechs bei Männern (Environmental Wor- 4-Methylbenzylidene 82 0,13 king Group 2004). Diese Werte könnten durchaus noch zu Camphor niedrig angesetzt sein. Denn kosmetische Mittel gehören so Boric Acid 64 0,10 selbstverständlich zum Alltag, dass wir sie oft gar nicht mehr Diethyl phthalate 43 0,07 bewusst wahrnehmen. Es ist daher gut möglich, dass Ver- Hydroxycinnamic acid 11 0,02 braucherInnen bei Befragungen zu ihrem Kosmetik-Konsum 3-Benzylidene Camphor 7 0,01 weniger Produkte einfallen, als sie tatsächlich benutzen. Allein Dihydroxbiphenyl 0 0,00 während der täglichen Morgenwäsche kommen wir oft schon mit fünf oder mehr Kosmetika in Berührung: Flüssigseife, Zahnpasta, Duschgel, Gesichtscreme, Deo... und dabei hat der Tag noch nicht einmal richtig angefangen. Man kann sich ausmalen, wie sich die Zahl der benutzten Artikel im Laufe 12 Tox Fox – Der Kosmetik-Check Marktstudie zur Verwendungshäufigkeit der Stoffe
Im Fokus: Parabene und UV-Filter Parabene Verschiedene In-Vitro-Studien haben gezeigt, dass Parabene leicht durch Tierhaut dringen können. Studien mit freiwilligen Funktion Probanden legen nahe, dass sich Parabene über den Zeitraum Parabene werden als Konservierungsmittel in Kosmetika ein- eines Monats in der Hornschicht der Haut ansammeln können gesetzt. Sie sollen das Wachstum von Mikroorganismen und und dass der Parabengehalt im Körper nach der Verwendung Bakterien verhindern. Diese können Geruch und Aussehen des von Cremes, die Parabene enthalten, ansteigt (Health & Envi- Produkts beeinträchtigen und den Verwender infizieren. Meist ronment 2013). sind sie in Produkten enthalten, die einen hohen Wasseranteil haben, wie Shampoos, Haarspülungen, Bodylotions und Dusch- Eine US-amerikanische Studie, die Urinproben von rund 2.500 gels sowie in Sonnenschutzmitteln. Menschen analysierte, wies Methyl- und Propylparaben in 99.1 % bzw. 92.7 % der Menschen nach (Calafat et al. 2010). Die laut unserer Auswertung am häufigsten verwendeten Pa- In einer aktuellen norwegischen Studie hatten regelmäßige rabene sind Methyl-, Propyl-, Ethyl- und Butylparaben. Me- Nutzer von Körperpflegeprodukten mehr Parabene im Körper thyl- and Ethylparaben werden aufgrund ihrer chemischen als andere untersuchte Umweltschadstoffe. Bei schwangeren Struktur und der Anzahl der Kohlenstoffatome auch als kurz- Ratten wurde eine höhere Menge Butylparaben im Frucht- kettige Parabene bezeichnet, Propyl- und Butylparaben als wasser und im Fötus nachgewiesen als im Blut des Muttertiers. langkettige. Dies lässt auf eine Anreicherung des Stoffes im Fötus schließen (ChemSec 2011). Hormonelle Wirkung Parabene besitzen eine östrogene Wirkung – d.h. sie wirken Parabene werden im Körper in das Abbauprodukt PHBA um- ähnlich wie weibliche Sexualhormone. Human-basierte In- gewandelt und über den Urin ausgeschieden. Der Abbau von Vitro Daten zeigen bei langkettigen Parabenen eine stärkere Parabenen scheint bei Neugeborenen und Säuglingen noch östrogene Wirkung als bei kurzkettigen. Daher wirken Butyl- nicht so effektiv zu funktionieren wie bei Erwachsenen. Denn paraben und Propylparaben stärker östrogen als Methyl- und in den ersten Monaten nach der Geburt sind die Enzyme, die Ethylparaben (SCCS 2010). an der Metabolisierung von Parabenen beteiligt sind, noch nicht ausgereift. Daher kann es sein, dass Neugeborene und Eine Studie der technischen Universität von Dänemark ergab, Säuglinge unter sechs Monaten nach dem Auftragen von be- dass die östrogene Wirkung der aufgenommenen Parabene lasteter Kosmetika höhere Gehalte von Parabenen im Körper im Blut die Wirkung der natürlichen Östrogene während der haben als Erwachsene (SCCS 2013). Kindheit möglicherweise überschreitet (DTU 2009). Gesundheitsschäden durch Parabene Propyl- und Butylparabe zeigen außerdem auch anti-andro- Eine Studie im Auftrag der Europäischen Kommission bringt gene Effekte, sie können also die Wirkung des männlichen Parabene mit folgenden Gesundheitsproblemen in Verbindung: Sexualhormons Androgen hemmen. Zudem beeinflussen sie verfrühte Pubertät bei Mädchen, Erkrankungen der weiblichen wahrscheinlich auch mittels weiterer Mechanismen das Hor- Geschlechtsorgane, Brustkrebs, Schilddrüsenkrebs und Stö- monsystem (EU Commission 2012). rungen der Nervenentwicklung (Kortenkamp et. al 2012). Pa- rabene könnten darüber hinaus auch zur Fettleibigkeit bei- Aufnahme in den menschlichen Körper tragen. Butyl- und Propylparaben beeinflussen den Fettabbau Parabene können über die Haut und den Verdauungstrakt in (Pan Hu et al. 2012; ChemSec 2011). den Körper gelangen. Eine Studie der Universität Kopenhagen hat gezeigt, dass Butylparaben vom menschlichen Körper auf- Beeinträchtigungen der männlichen Fortpflanzungsfä- genommen wird, nachdem es auf die Haut aufgetragen wurde. higkeit Einige Stunden nach dem Auftragen auf die Haut konnte der Butylparaben und Propylparaben haben neben ihrer östroge- Stoff im Blut nachgewiesen werden (Rezaq Janjua et al 2007). nen auch eine anti-androgene Wirkung. Butylparaben zeigte Im Fokus: Parabene und UV-Filter Tox Fox – Der Kosmetik-Check 13
im Tierversuch bereits in geringen Dosen negative Effekte auf andere hormonell wirksame Stoffe. Insbesondere Drogeriemärkte das Fortpflanzungssystem männlicher Mäuse. So schädigte und andere Einzelhandelsketten reagierten dort und stellten es die Bildung von Spermien in den Hoden und führte zu ihre Produktion um. Naturkosmetik mit den Siegeln von NATRUE einer Verringerung der Spermienanzahl und -mobilität. Zudem und BDIH kommt auch bei uns grundsätzlich ohne Parabene verringerte es die Testosteron-Konzentration. Eine Belastung aus. Das zeigt, dass eine Substitution möglich ist. der Mutter kann negative Effekte auf den männlichen Nach- Prinzipiell gibt es drei Ansätze, auf Parabene zu verzichten: wuchs haben. Propylparaben wirkte sich ebenfalls negativ BU? auf die männlichen Fortpflanzungsfunktionen aus. Es redu- zierte bereits in geringen Dosen die tägliche Spermienpro- duktion und die Testosteron-Konzentration bei Ratten (EU Commission 2012). Brustkrebs Eine britische Studie von 2004 wies Spuren von fünf Parabe- nen in den Brustkrebstumoren von 19 von 20 untersuchten 1. Alternative Konservierungsmittel einsetzen Frauen nach. Das beweist noch keinen kausalen Zusammen- Die schwedische Organisation ChemSec hat eine ganze Reihe hang zwischen Parabenen und Brustkrebs. Aber es zeigt, dass von möglichen Alternativen zu Parabenen identifiziert, die intakte, nicht metabolisierte Parabene im Brustgewebe ver- für die Verwendung in Kosmetik bereits zugelassen sind. Al- bleiben können (Darbre et al. 2004). 2012 wies eine größer lerdings sollte beim Ersatz von problematischen Substanzen angelegte Studie Parabene in fast 100 % der Gewebeproben „der Teufel nicht mit dem Beelzebub ausgetrieben werden“, von Brustkrebspatientinnen nach, in 96 von 160 Proben (60 %) d.h. dass ein Austausch durch Stoffe mit ebenfalls schädlichen wurden gleich 5 verschiedene Parabene entdeckt (Barr et al. Eigenschaften vermieden werden muss. ChemSec hat daher 2012). Propyl- und Methylparaben wiesen die höchsten Ge- drei mögliche Alternativen näher untersucht (Phenoxyethanol, halte auf. Sorbic acid, Benzoic acid) und kam dabei zu gemischten Er- gebnissen: Prinzipiell scheinen diese Stoffe von ihrer konser- Inzwischen weiß man, dass natürliche Östrogene bei der Ent- vierenden Wirkung her geeignet zu sein. Es gibt jedoch geringe stehung von Brustkrebs eine Rolle spielen. Je mehr Östrogene Hinweise darauf, dass Phenoxyethanol neurotoxisch wirken die sensiblen Bereiche des Brustgewebes während eines Frau- könnte. Die beiden Säuren Sorbic acid und Bezoic acid haben enlebens erreichen, desto höher ist das Risiko für Brustkrebs. vermutlich keine toxische Wirkung, könnten aber sensibili- Das gleiche gilt für synthetische Östrogene in Arzneimitteln sierend auf die Haut oder die Augen wirken (ChemSec 2013). (z. B. Hormontherapie während der Wechseljahre) und sehr Zunehmend in die Kritik gerät aktuell Methylisothiazolinon wahrscheinlich auch für hormonell wirksame Chemikalien in (MI), ein weiteres Konservierungsmittel, das teilweise als Al- Alltagsprodukten. Das Brustgewebe ist während bestimmter ternative zu Parabenen eingesetzt wird. So berichtete der Zeitfenster besonders empfindlich gegenüber krebserregenden Spiegel kürzlich, dass hierauf in Versuchen 3-5 % der Pro- Umwelteinflüssen: in der Pubertät, weil die Brust dann die banden allergisch reagierten. Eine perfekte Lösung sind diese erste bedeutende Wachstumsphase erlebt, und während der Stoffe somit nicht. Allerdings kommen nach der ChemSec- Entwicklung im Mutterleib, weil dann das Brustgewebe an- Studie prinzipiell noch viele weitere Stoffe als Paraben-Ersatz gelegt wird (Kortenkamp 2008). in Betracht, die im Rahmen der Untersuchung jedoch nicht vertieft geprüft werden konnten. Alternativen zu Parabenen 2. Umstellungen in der Rezeptur Konservierungsmittel dienen dazu, kosmetische Produkte vor Viele Naturkosmetikhersteller setzen darauf, ein „Gleichge- dem frühzeitigen Verderb, z. B. durch bakterielle Verunreini- wicht“ zwischen den Inhaltstoffen einer Rezeptur herzustellen, gungen, zu schützen. So verlangt die EU-Kosmetikverordnung das zusätzliche Konservierungsmittel überflüssig macht. Die eine Mindesthaltbarkeit von 30 Monaten. Die Menge und die konservierende Wirkung geht hier teilweise auch von der na- Wahl des Konservierungsmittels hängt ab von der Art, der türlichen konservierenden Nebenwirkung einzelner Zutaten Verpackung und der Haltbarkeit des Produkts. Parabene wer- aus, wie z. B. von essenziellen pflanzlichen Ölen, Alkoholen den besonders häufig eingesetzt, da sie preisgünstig und wirk- und Extrakten von Heilpflanzen. sam gegenüber vielen Mikroorganismen sind. 3. Umstellung des Herstellungsprozesses und der Ver- Es gibt Alternativen zur Verwendung von Parabenen. So be- packung werben immer mehr Hersteller ihre Produkte als „frei von Pa- Es ist möglich, Körperpflegeprodukte ohne Konservierungs- rabenen“. In Dänemark verzichteten viele Hersteller nach Pro- mittel herzustellen, wenn sie unter Reinraumbedingungen testen von Verbraucherschutzorganisationen auf Parabene und produziert wurden und in einer Verpackung verpackt sind, die 14 Tox Fox – Der Kosmetik-Check Im Fokus: Parabene und UV-Filter
keinen Transfer von Mikroorganismen vom Benutzer auf das hauptsächlich eingesetzt werden, nur 2,6 % aller Kosmetika Produkt ermöglichen. Dieser Ansatz ist sehr viel versprechend, ausmachen, ist diese Zahl relativ gering. In der Produktgruppe da er ganz ohne potentiell schädliche Stoffe auskommt. Tat- der Sonnencremes ist der Anteil der Produkte, der OMC ent- sächlich gibt es auch bereits mehrere Firmen am Markt (z. B. hält, deshalb wesentlich höher. Sterisol AB, Aptar, Salient Asia Pacific, MWV), die Verpackun- gen für Kosmetika anbieten, die Konservierungsmittel über- OMC hat eine östrogene Wirkung. In einer Studie mit Brust- flüssig machen (ChemSec 2013). krebszellen führte OMC zu einem schnelleren Wachstum der Zellen (Schlumpf et. al 2001). Möglicherweise kann OMC auch Es existieren also Alternativen zum Einsatz von Parabenen als das Hormonsystem der Schilddrüse beeinflussen (Schmutzler Konservierungsmittel. Allerdings gibt es keinen universalen Er- et al. 2004). Eine Studie stellte Effekte bei Dosen fest, die bei satz - die beste Lösung hängt jeweils vom Typ des Produkts ab. der Verwendung von OMC-haltiger Kosmetika überschritten werden. Die Autoren empfehlen deshalb, den Einsatz von OMC in Körperpflegeprodukten zu reduzieren (Klammer et al. 2005). UV-Filter Alternativen zu chemischen UV Filtern Funktion Als Alternative zu chemischen UV-Filtern wie OMC stehen Chemische UV-Filter sind in Sonnencremes und in vielen an- mineralische UV-Filter (z. B. Titandioxid und Zinkoxid) zur Ver- deren Körperpflegeprodukten wie z. B. Gesichtscremes oder fügung. Diese reflektieren das Sonnenlicht wie kleine Spiegel Make-Ups enthalten. In Abhängigkeit vom Sonnenschutzfaktor und sorgen so für Schutz vor schädlicher UV-Strahlung. Früher werden sie als einzelner Wirkstoff oder als eine Kombination waren mineralische Sonnencremes dicke weiße Pasten. Heute verschiedener Stoffe eingesetzt. Es gibt auch UV-Filter in Kos- werden die Mineralien meist auf Nanogröße verkleinert. So metik, die nicht dem UV-Schutz der Haut, sondern dem Pro- sind die Cremes dünnflüssiger und lassen sich leicht verteilen. duktschutz dienen. Allerdings gibt es noch offene Fragen hinsichtlich der Risiken von Nano-Titandioxid und -Zinkoxid. Bei Versuchstieren hat Hormonelle Wirkung Titandioxid nach Einatmen zu Entzündungen und Tumoren in Die meisten chemischen UV-Filter besitzen eine östrogene der Lunge geführt. Auf die Haut aufgetragen, scheint es jedoch Wirkung, seltener wirken sie anti-androgen. Nach oraler Gabe sicher zu sein. So haben Studien gezeigt, dass die Partikel von hohen Mengen verschiedener UV-Filter während der nicht durch gesunde Haut dringen – im Gegensatz zu den Schwangerschaft zeigten sich bei den Nachkommen von Rat- chemischen UV-Filtern, wie OMC. Probleme könnten die Na- ten irreversible östrogene Wirkungen sowie Auswirkungen nomaterialien auch in der Umwelt verursachen: Nano-Titan- auf die Schilddrüse (EU Commission 2011; 2012). dioxid hat sich in Versuchen als schädlich für Wasserlebewesen herausgestellt (SRU 2011). Aufnahme in den menschlichen Körper Chemische UV-Filter werden über die Haut (Cremes), den Der beste Schutz vor schädlicher UV-Strahlung ist es, zu viel Mund (Lippenpflegestifte) und über die Lunge (Sprays) auf- Sonne zu vermeiden. Die größte Mittagshitze, zwischen 12 genommen. und 15 Uhr, verbringt man am besten im Schatten. Kinder sollten Kleidung aus leichtem aber sonnendichtem Gewebe Dass UV-Filter aus Kosmetika in den menschlichen Körper tragen – am besten von Kopf bis Fuß. Trotzdem: Jeder Son- gelangen, wurde in verschiedenen Studien gezeigt: In 96 % nenbrand erhöht das Risiko für Hautkrebs. Nicht cremen ist der Urinproben einer US-Studie wurde der UV-Filter 3-BC daher bei starker Sonnenstrahlung keine Lösung. Wir emp- entdeckt (Krause, M. 2012). Eine Schweizer Untersuchung fehlen auf Sonnenschutz in Sprayform wegen der Gefahr des wies UV-Filter in Muttermilch nach. Die Milch von mehr als Einatmens zu verzichten und bei den Cremes zu Naturkosmetik drei Viertel der untersuchten Frauen enthielt UV-Filter. Es zu greifen. Diese ist frei von hormonell wirksamen chemischen konnte ein eindeutiger Zusammenhang zur Verwendung von Filtern und enthält in der Regel mineralischen Sonnenschutz, Kosmetikprodukten hergestellt werden. Babys werden also also Titandioxid oder Zinkoxid. Teilweise werden auch Son- während ihrer frühen Entwicklungsphase mit UV-Filtern be- nenschutzmittel angeboten, in denen diese mineralischen Fil- lastet, wenn ihre Mütter entsprechende Kosmetika benutzen ter in größerer Form eingesetzt werden. Wer Nanomaterialien (Schlumpf et al 2008). vermeiden will, kann im Verzeichnis der Inhaltstoffe darauf achten, ob hinter Titandioxid oder Zinkoxid der Zusatz „nano“ Ethylhexylmethoxycinnamate (OMC) auftaucht, denn seit Juli 2013 gibt es eine Kennzeichnungs- Der am häufigsten verwendete hormonell wirksame UV-Filter pflicht für Nanomaterialien in Kosmetika. ist Ethylhexylmethoxycinnamate (auch: Octyl-Methoxycin- namate, kurz OMC), der in über 4 % aller Körperpflegeprodukte enthalten war. Da Sonnenschutzmittel, in denen die UV-Filter Im Fokus: Parabene und UV-Filter Tox Fox – Der Kosmetik-Check 15
Unzureichender Schutz durch die Gesetzgebung Die Herstellung und Vermarktung von kosmetischen Mitteln paraben und Butylparaben – in Produkten für Kinder unter ist in der EU durch die Europäische Kosmetik-Verordnung re- drei Jahren verboten. Grundlage war eine Einschätzung des guliert. Sie besagt, dass die Hersteller für die Bewertung der Danish National Food Instituts. Es geht davon aus, dass die Sicherheit ihrer Rezepturen selbst verantwortlich sind. Für Menge an Propylparaben im Blut von Kindern im Verhältnis jedes Produkt muss eine Risikobewertung durch den Hersteller so hoch ist wie Konzentrationen, die bei Jungtieren bereits vorgenommen und bereitgehalten werden. Die Behörden über- zu einer Störung des Hormonsystems führten prüfen die Bewertungen der Hersteller stichprobenartig. Die Verordnung verbietet bestimmte Stoffe für die Verwendung in Kosmetika grundsätzlich, einige dürfen nur bis zu einer festgelegten Höchstmenge eingesetzt werden. Trotz ihrer Ri- siken sind alle in dieser Studie betrachteten Stoffe aktuell in Kosmetika erlaubt. Teilweise bestehen jedoch Obergrenzen für ihren Gehalt im Produkt, die z. B. für Propyl- und Butylpa- raben bei 0,19 % liegen. Methyl- und Ethylparaben dürfen zu je 0,4 % enthalten sein, für eine Parabenmischung gilt die Obergrenze von 0,8 %. Wenn diese Grenzwerte eingehalten werden, sollen kosmetische Produkte nach Einschätzung des wissenschaftlichen Ausschusses für Verbrauchersicherhit der EU (SCCS) sicher sein. Die Obergrenzen für Propyl- und Bu- tylparaben hat der SCCS erst kürzlich bestätigt. Also doch alles in Ordnung? Leider nein. Denn die aktuelle Praxis der Risikobewertung hat ein großes Manko: es wird immer nur die Konzentration problematischer Substanzen in- nerhalb eines Produkts bewertet. Tatsächlich sind wir jedoch im Alltag einer Vielzahl von Produkten ausgesetzt, die hor- monell wirksame Stoffe enthalten. So hat unsere Untersu- chung gezeigt, dass fast jedes Dritte Kosmetikprodukt hor- monell wirksame Chemikalien enthält, immerhin jedes Fünfte enthielt gleich zwei oder mehrere solcher Stoffe. Wie im ersten Kapitel dargestellt, zeigen wissenschaftliche Studien, dass sich die Wirkung mehrerer hormoneller Stoffe im Körper aufaddieren kann. Ohne Berücksichtigung dieses Cocktail-Ef- fekts läuft die Kontrolle hormonell wirksamer Chemikalien ins Leere. Zudem berücksichtigt die gängige Praxis der Risi- kobewertung nicht ausreichend, dass hormonelle Stoffe in sensiblen Zeitfenstern der Entwicklung auch bei extrem nied- rigen Dosen Schäden anrichten können. Inzwischen ist Bewegung in die Diskussion um die Bewertung und Regulierung hormoneller Stoffe gekommen. So gibt es einige Länder, die diese Gruppe von Chemikalien besser kon- trollieren möchten und nicht mehr bereit sind zu warten, bis sich alle Akteure in der EU einig sind. So wurde in Dänemark 2011 der Einsatz der zwei gefährlichsten Parabene – Propyl- 16 Tox Fox – Der Kosmetik-Check Unzureichender Schutz durch die Gesetzgebung
Schlussfolgerungen Unsere Untersuchung hat gezeigt, dass hormonell wirksame Stärkung der EU-Strategie zur Kontrolle hormonell Chemikalien breite Anwendung in Kosmetika und Körperpfle- wirksamer Stoffe gemitteln finden, obwohl sich die Anzeichen für die Risiken Aktuell überarbeitet die Europäische Union ihre Strategie für dieser Stoffe mehren. Von mehr als 60.000 ausgewerteten den Umgang mit hormonell wirksamen Stoffen. Gemeinsam Produkten war fast jedes Dritte betroffen. Bei den Marktfüh- haben rund 25 Organisationen aus ganz Europa (darunter rern L'Óreal und Beiersdorf (Nivea) ist sogar fast jedes zweite auch der BUND) einen Appell an die Entscheidungsträger auf Produkt belastet. Zumeist enthalten die Produkte Parabene EU-Ebene veröffentlicht. Darin fordern wir unter anderem die als Konservierungsmittel oder chemische UV-Filter, wie OMC. Aufstellung eines Zeitplans mit konkreten Zielen, bis wann Zur Belastung durch Kosmetikprodukte kommen noch hor- welche hormonell wirksamen Stoffe ersetzt werden müssen monelle Schadstoffe aus anderen Produkten dazu, wie etwa (EDC Free 2013). Cocktail-Effekte müssen zudem in der Risi- Phthalat-Weichmacher und Bisphenol A aus Kunststoffen. Im kobewertung von Chemikalien berücksichtigt werden. Alle re- Blut praktisch jedes Menschen lässt sich heute ein ganzer levanten Gesetzgebungen sind so anzupassen, dass hormonell „Cocktail“ künstlicher hormonähnlicher Stoffe nachweisen. wirksame Chemikalien nicht mehr in Alltagsprodukten ein- Wissenschaftliche Studien zeigen: die Wirkung dieser Stoffe gesetzt werden dürfen. Für Kosmetika bietet sich mit der an- kann sich im Körper aufsummieren – das einzelne Produkt stehenden Überarbeitung der Kosmetikverordnung schon bald macht uns nicht krank, wohl aber die Summe der Belastung eine Chance, die nicht verpasst werden sollte. durch die Vielzahl der Quellen. Ärzte stellen seit Jahren einen Anstieg von Krankheitsbildern fest, die auch in Tierversuchen Überprüfung der Kosmetik-Verordnung 2015 durch hormonell wirksame Stoffen ausgelöst wurden. Dazu 2015 wird die EU Kosmetik-Verordnung darauf hin überprüft, gehören ein Rückgang der Spermienqualität, verfrühte Pu- wie hormonell wirksame Stoffe in kosmetischen Mitteln zu- bertät bei Mädchen und eine Zunahme von Brust- und Ho- künftig kontrolliert werden sollen. Dieses politische Hand- denkrebs. Föten im Mutterleib, Kleinkinder und Teenager in lungsfenster muss genutzt werden, um hormonell wirksame der Pubertät sind durch hormonähnliche Fremdstoffe beson- Chemikalien in Kosmetika und Körperpflegeprodukten zu ver- ders gefährdet, da Hormone die körperliche und geistige Ent- bieten. wicklung steuern. Nationales Verbot für langkettige Parabene als Sofort- maßname Was muss getan werden? Wenn es um die Gesundheit unserer Kinder geht, sollten wir Um die Belastung der Menschen zu reduzieren, müssen wir uns keine Experiment erlauben. Solange es kein europäisches bei der Quelle ansetzen – bei den Produkten. Wo immer mög- Verbot gibt, fordern wir vom Verbraucherschutzministerium lich, sollten hormonell wirksame Stoffe vorsorglich durch si- als Sofortmaßnahme die Übernahme des dänischen Verbots cherere Alternativen ersetzt werden. Unsere Studie zeigt, dass von Propyl- und Butylparaben in Produkten für Kinder unter dies im Bereich der Körperpflege schon heute machbar ist. 3 Jahren. Es gibt keinen Grund, warum Kinder in Deutschland Für alle Arten kosmetischer Mittel haben wir Produkte ge- weniger gut vor gefährlichen Stoffen geschützt werden sollten, funden, die ohne diese Substanzen auskommen. Vor allem als in Dänemark. die Hersteller von Naturkosmetik gehen hier mit gutem Bei- spiel voran. Auch unter den konventionellen Anbietern ist es einigen Herstellern bereits gelungen, diese Problemstoffe aus vielen Produkten zu verbannen. Die Belastung mit hormonellen Chemikalien kann also maßgeblich reduziert werden. Sowohl die Politik, als auch die Hersteller müssen jetzt handeln: Schlussfolgerungen Tox Fox – Der Kosmetik-Check 17
Hersteller müssen hormonelle Chemikalien ersetzen Schön und gepflegt sein ist ein Riesengeschäft: Im Jahr 2012 lagen die Ausgaben für Körperpflege- und Kosmetikprodukte in Deutschland bei 12,9 Milliarden Euro (Industrieverband Körperpflege und Waschmittel (IKW 2012). Wer so viel Umsatz generiert, sollte auch in der Lage sein, sichere Produkte an- zubieten. Wir erwarten von den Kosmetik-Herstellern, dass sie Verantwortung übernehmen und nicht warten, bis hor- monell wirksame Substanzen durch die Politik verboten wer- den. Unsere Untersuchung zeigt, dass der Verzicht auf diese Stoffe schon heute machbar ist. Wir fordern daher von den Herstellern die Festlegung klarer Zeitpläne für die Substitution aller Inhaltsstoffe mit hormoneller Wirkung durch sicherere Alternativen. Als Marktführer sehen wir dabei die Konzerne L'Óreal und Beiersdorf (Nivea) in besonderer Verantwortung. 18 Tox Fox – Der Kosmetik-Check Schlussfolgerungen
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