Interview mit dem Dramaturgen John von Düffel: Von "War Horse" zu "Gefährten" - Wie ein Kriegspferd Deutsch lernt
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Begleitmaterial Zusätzliches Material Interview mit dem Dramaturgen John von Düffel: Von „War Horse“ zu „Gefährten“ – Wie ein Kriegspferd Deutsch lernt Das international erfolgreiche, auf Michael Morpurgos gleichnamigem Jugendbuch basierende Theaterstück „War Horse“ (Dt. „Gefährten“), erzählt die Geschichte vom Kriegspferd Joey und seinem treuen Besitzer Albert, einem englischen Farmersjungen aus Devon. Am eigenen Leib erfahren die beiden die Schrecken des Ersten Weltkrieges, lernen aber auch wie wichtig Freundschaft und Humanität sind. Nachdem das am National Theatre of Great Britain entwickelte Stück bislang nur in englischer Sprache zu sehen war, wird es ab Herbst 2013 im Berliner Stage Theater des Westens erstmals dem deutschsprachigen Publikum gezeigt. Die deutsche Textfassung stammt von dem Autoren und Dramaturgen John von Düffel. In einem Interview mit dem Deutschen Historischen Museum sprach er über das Stück, über seine Arbeit und auch über Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen der Londoner und der Berliner Version. Eine kürzere Interviewfassung findet sich im Begleitheft: http://www.dhm.de/ausstellungen/museumspaedagogik/staendige- ausstellung/begleitmaterialien/der-erste-weltkrieg.html Dr. John von Düffel (*1966 in Göttingen) Seine Kindheit und Studienzeit verbrachte er unter anderem in Deutschland, Irland, Schottland und den USA. Nach seinem Studium der Philosophie und Volkswirtschaft promovierte er 1989 über Erkenntnistheorie. Als Dramaturg und Autor arbeitet er seit 1991, unter anderem am Thalia Theater Hamburg und am Deutschen Theater in Berlin. Darüber hinaus war er als Film- und Theaterkritiker sowie als Universitätsdozent tätig. Seit wann arbeiten Sie als Dramaturg? Ich bin schon recht lange im Theatergeschäft. Als Dramaturg habe ich Anfang der 1990er Jahre angefangen. 1991 bekam ich meinen ersten festen Vertrag am Theater. Das heißt, ich bin jetzt schon über 22 Jahre als Dramaturg und Dramatiker tätig. In dieser Zeit habe ich sowohl Übersetzungen, Bearbeitungen von bestehenden Stücken und Romanen als auch eigene Stücke angefertigt.
Seite 2 Wie sind Sie zu „Gefährten“ gekommen? Ich hatte von Stage Entertainment einen sehr schönen Auftrag, um den mich viele Kollegen beneideten: Für die Musicalfassung des erfolgreichen Michael Herbig Films „Schuh des Manitu“ sollte ich das Libretto schreiben. Ich habe das Skript zusammen mit Heiko Wohlgemut verfasst. Als Stage Entertainment dann überlegte, eine deutsche Fassung zu „War Horse“ zu entwickeln, haben sie netterweise wieder mich gefragt, sodass das unsere zweite gemeinsame Arbeit ist. Was hat Sie an diesem Stück besonders gereizt? Zunächst einmal ist es ein geniales Projekt, weil es das Thema Erster Weltkrieg über einen sehr fantasievollen, erfindungsreichen und theatralischen Zugang ansteuert: Die Geschehnisse werden aus der Sicht von Pferden erzählt, die in großer Zahl Opfer dieses Krieges waren. Die Armeezugehörigkeit dieser Pferde und damit die Frage auf welcher Seite sie zum Einsatz kamen, waren weniger strikt festgelegt als bei den Soldaten. Die Pferde konnten hin- und hergehen und sowohl von der einen als auch von der anderen Seite vereinnahmt werden. Der ganze Erste Weltkrieg lässt sich auf diese Weise in „Gefährten“ über Kreaturen erzählen, die das Schreckliche dieses Krieges deutlich machen. Gleichzeitig stehen diese Tiere für alle am Krieg beteiligten Nationen. Die Handspring Puppet Company hat die Pferde-Puppets so gestaltet, dass der Zuschauer ihre Sprache versteht – und zwar besser, als er vielleicht lebendige Pferde verstehen könnte. Gleichzeitig hat er sofort Respekt vor diesen Tieren. Und obwohl er die Puppet-Spieler sehen kann, vergisst er sie zeitweise vollständig. Die Puppets werden so zu eigenen Wesen. Die Pferde sind die Hauptfiguren der Geschichte und der Zuschauer hat zu ihnen – zumindest geht es mir so – ein stark emotionales Verhältnis. So kann der Besucher, jenseits von den Fragen „Zu welcher Nation gehöre ich? Bin ich Deutscher, bin ich Engländer oder Franzose?“, mit diesen Pferden den Krieg erleben. Eine solche Perspektive auf den Krieg hatte man noch nie. Was bedeutet es für das Stück, dass die Hauptfigur Joey ein Pferd ist? In dem Pferd und in der Art und Weise, wie mit ihm umgegangen wird, spiegeln sich die Menschen. Sie werden an ihrem Verhalten zu diesem Tier gemessen. Wir bekommen einen Spiegel vorgehalten und dies ist der Sinn von Theater. Je nachdem, ob sich die Menschen grausam, quälend oder liebevoll zärtlich zu dem Pferd verhalten, ob sie es verstehen oder nicht, wird ihr Verhalten für uns zum Bewertungsmaßstab der Figuren. Das heißt, wir erleben über das Pferd uns selbst, unsere Mitmenschen und die Figuren in diesem Stück. Wir stellen dabei fest, dass auch der Umgang mit Tieren eine moralische Kategorie ist anhand derer wir
Seite 3 Menschen betrachten können. Im Ersten Weltkrieg wurden Waffen entwickelt und ausprobiert, die in ihrer Masse alles, was bisher Krieg bedeutete, in den Schatten stellten. Wie die Menschen waren auch die Pferde dabei gleichermaßen verloren und zum Sterben verurteilt. Dadurch, dass Tiere als Leidtragende im Zentrum des Theaterstücks stehen, wird der Schrecken des Krieges besonders spürbar. Joey, Szenenfoto aus „War Horse“, London 2011 Aus welcher Perspektive nähert sich das Stück dem Ersten Weltkrieg? „Gefährten“ ist ein Lehr- und Moralstück. Der Zuschauer wird sowohl mit den Kriegsereignissen als auch mit den Gefühlen und Gedanken konfrontiert, die im Ersten Weltkrieg von Bedeutung waren. Heute sehen wir diesen Krieg mit einer großen, kritischen Distanz. Viele Dinge, die damals eine Rolle spielten, werden heute anders beurteilt ─ ich denke etwa an die Begeisterung mancher Teile der Bevölkerung zu Beginn des Krieges und an den großen historischen Irrtum zu denken, die Soldaten ziehen in einen Krieg, der nach drei, vier Wochen oder Monaten zu Ende ist ─ so war es nicht, wie wir alle wissen. Der Krieg hat über vier Jahre gedauert. In der Art und Weise, wie die Leute beispielsweise in Gräben saßen, ausgehungert, krank, wie sie vom Gas vergiftet und von Artilleriegeschossen verletzt und entstellt wurden, zeigt sich das Grauen, das sich keiner zu diesem Zeitpunkt vorstellen konnte.
Seite 4 Würden Sie sagen, dass in „Gefährten“ bestimmte Kriegsparteien bevorzugt werden oder versucht das Stück in der Hinsicht neutral zu sein? Mit dem Stück hängt ein großes Projekt der Versöhnung zusammen. Es wird zu einem Zeitpunkt in Berlin herauskommen, an dem der Kriegsbeginn knapp hundert Jahre her ist. „Gefährten“ ist eine Produktion, die in London das Licht der Welt erblickt hat, die dann in New York war – auch Amerika war Kriegsteilnehmer – und die möglicherweise auch in Paris stattfinden wird. Insofern sind all die Länder, die federführend an dem Krieg beteiligt oder in ihn verstrickt waren, auch Zuschauer dieses Stücks. Und die Menschen dieser Länder sehen diese Geschichte wieder und denken und fühlen mit ihr. Zu diesem Versöhnungsgedanken trägt bei, dass das Stück den Ersten Weltkrieg mehr von der Seite der Opfer als von der Seite der Täter erzählt. Die Opfer gab es auf allen Seiten. Deswegen ist es mir persönlich auch ganz wichtig, dass die erste Szene, in welcher der Zuschauer die deutsche Seite erlebt, nicht die eines stramm stehenden militärischen Haufens ist, sondern die der Verletzten in einem Feldlazarett. Natürlich ist Deutschland als Aggressor aufgetreten, dennoch gab es auch unter den deutschen Soldaten viele Opfer. Wie werden die einzelnen Kriegsparteien und ihre Soldaten in der deutschen Fassung dargestellt? Die allererste Version, die in London gespielt wurde, war sehr durch sprachliche Unterschiede geprägt. Die Franzosen sprachen Französisch, die Briten Englisch und die Deutschen Deutsch. Aber es hat sich schon für die amerikanische Version in New York herausgestellt, dass dadurch die eigentliche Geschichte in den Hintergrund tritt. Deswegen haben wir uns dafür entschieden, die Anderssprachlichkeit der im Krieg aufeinandertreffenden Menschen beispielweise über Anreden wie „Sir“, „Madam“, „Misses“, „Mademoiselle“ oder „Madame“ zu verdeutlichen. Eine weitere sprachliche Abweichung zur Originalfassung betrifft die Verwendung von Dialekten. In der Übersetzungsdiskussion hat es etwas gedauert zu erklären, dass es einen Unterschied zwischen dem Dialekt im Englischen und dem Dialekt im Deutschen gibt. In Deutschland sind Dialekte vor allen Dingen regional. Wenn in Deutschland eine Bühnenfigur bayerisch spricht, geht der Zuschauer davon aus, dass die Person aus der Gegend um München kommt. Für Engländer ist es hingegen schwer nachzuvollziehen, dass die hiesigen Schauspieler, wenn sie eine englische Armee darstellen, keine deutschen Dialekte verwenden dürfen. Weil sonst alle Leute denken würden, wieso spricht dieser Engländer wie jemand aus München? Das kann doch nicht sein. In England kennzeichnen Dialekte oft auch soziale Zugehörigkeiten, nicht nur regionale. Wenn in England das Fußvolk einer Armee, die Infanterie, dargestellt wird, sprechen alle mit Dialekt. In Deutschland
Seite 5 erzählen sich soziale Unterschiede hingegen eher über die Art der Aussprache und über eine Form von Wortschatzbegrenzung. So nehmen zum Beispiel Mannschaftsdienstgrade vermutlich keine Begriffe in den Mund, die man aus dem akademischen Milieu kennt. Gibt es im Hinblick auf die Darstellung der Kriegsparteien neben den sprachlichen auch inhaltliche Unterschiede zur Londoner Version? Es gibt keine Unterschiede, aber Differenzierungen in Hinblick auf Fragen wie etwa: Wie werden die deutschen Figuren erzählt? Es ging uns nicht darum, sie zu besseren Menschen zu machen. Eher der Aspekt: Inwieweit sind sie bloße Feindbilder oder entwickelte Charaktere? Wir haben versucht, diese Charaktere ein bisschen mehr zu differenzieren, sie zu entwickeln, ohne ihnen deshalb die moralische Absolution zu erteilen. Welchen Stellenwert hat das Thema „Feldpost“ in „Gefährten“? Es gibt immer wieder den Rück- oder Parallelblick auf die Familie von Albert und die Zurückgebliebenen. In diesem Zusammenhang wird auch die Bedeutung der Feldpost thematisiert. So sieht der Zuschauer beispielsweise wie Alberts Mutter ab und zu von ihrem Jungen Feldpost bekommt. Gleichzeitig weiß sie aber nicht, ob der Brief, den sie gerade in den Händen hält, nicht längst von einem Toten stammt. Eindrücklich in dieser Hinsicht ist auch die Darstellung von Alberts Onkel, einem entschlossenen, militaristisch gesinnten Mann, der bereits im Burenkrieg gekämpft hat. Als einer der ersten meldet er seinen Sohn für den Kriegsdienst an. Es ist für ihn ein bitteres Schicksal, als er eines Tages keine Nachricht mehr von seinem Jungen erhält und realisiert, dass dieser vielleicht nie wieder zu ihm zurückkommen wird. Zudem kann das, was die Menschen daheim per Feldpost erhalten, das tatsächliche Grauen an der Kriegsfront nicht wiedergeben. Um die Angehörigen nicht zu beunruhigen, wird in den Briefen auch viel schön geredet und geflickt. Dadurch, dass die Angehörigen über die realen Vorkommnisse im Unklaren gehalten werden, merkt der Zuschauer auch, wie die Wahrheit auf der Strecke bleibt – was aus meiner Sicht ebenfalls ein sehr wichtiger Aspekt im Zusammenhang mit Kriegen ist. Wie wird die Bedeutung der Bevölkerung jenseits der Kriegsfront dargestellt? Viele waren am Anfang für den Krieg und dachten auch, dass sie ihn gewinnen werden, wenn ihre Soldaten in den Krieg ziehen. Sowohl Deutschland als auch die anderen Länder haben sich durch die Kriegskredite in hohem Maße bei ihrer
Seite 6 Bevölkerung verschuldet und gehofft, dass sie am Ende als Sieger all das Geld wieder von den anderen einsammeln können. Das war eine riesige Spekulation, die Millionen von Menschenleben gekostet und am Ende auch nicht das gebracht hat, was die Krieg führenden Staaten sich erhofft hatten. Deutschland lag als Kriegsverlierer so am Boden, dass da nicht mehr viel zu holen war. Bei dieser Rechnung haben alle verloren. Diese bittere historische Wahrheit wird in dem Stück zwar nicht so sehr auf ökonomischer, aber auf emotionaler Ebene reflektiert. Wie würden Sie Albert und Joey charakterisieren? Theaterfiguren lassen sich immer ganz gut durch ihre Partner im Stück charakterisieren. Joey lernt zum Beispiel im Krieg ein zweites Pferd kennen: Topthorn, ein stolzer Hengst mit einer gewissen Aggressivität, Wildheit und Feuer. Joey ist zwar auch temperamentvoll, aber auch ein liebendes, dienendes Pferd, das in der Lage ist, sich für andere zu opfern. Bei Albert ist es ähnlich. Zwischen seinem Onkel und seinem Vater herrscht Rivalität. Das sind Brüder, die sich seit Kindheitstagen bekämpfen und immer zu beweisen versuchen, dass der andere der Schlechtere ist. Albert lernt der Zuschauer dadurch kennen, dass er immer wieder seinem Vater helfen muss. Dieser trinkt, kriegt seine Geschäfte nicht geregelt und macht viele Fehler. Diese beiden hilfsbereiten Geschöpfe Albert und Joey sind in dieses große Zeitgeschehen gestellt und erleben dort eine Welt, die sie nicht verstehen können und in der sie versuchen zusammen zu bleiben oder zusammen zu finden. Welche Bedeutung kommt den Nebencharakteren zu, denen Joey auf seinem Weg begegnet? Es gibt immer wieder diese Maßgabe: An wen gerät Joey? Wer ist ihm wohlgesonnen und wer begleitet ihn ein Stück auf seinem Weg? Darunter ist auch ein kleines Mädchen namens Emily, das sich auf dem Hof seiner Großeltern in scheinbarer Sicherheit glaubt. Dann wird dieser Hof beschlagnahmt, als Sammelstelle deklariert und von Kriegshandlungen heimgesucht. Emily bleibt alleine übrig. Sie ist eine Verlorene dieses Krieges. Außerdem ist sie eine Art Mädchenversion von Albert, die sich zwar den Menschen kaum verständlich machen kann, sich aber sehr gut mit Joey versteht – jenseits von Sprache. Es entsteht eine Einheit zwischen ihnen, die durch den Krieg wieder aufgelöst wird. Außerdem gibt es eine Art deutschen Pferdeflüsterer namens Friedrich. Dieser bildet mit seinem Kameraden Klausen eine Art „good cop – bad cop“- Paar. Also einen guten und vielleicht einen gefährlichen Deutschen, der bis zuletzt den Glauben an den Sieg in diesem Krieg – auch wenn es schon fast aussichtslos ist – nicht aufgibt.
Seite 7 Welche Rolle spielt die Musik? Eine große Rolle. Die Musik ist sehr eingängig und charakteristisch für die Landschaft von Devon. Der Komponist Adrian Sutton und der Songwriter John Tams lehnten sich musikalisch stark an die traditionelle Folkmusik dieses Landstrichs an. Es gibt einen Sänger oder – wie der Zuschauer vielleicht auf Französisch sagen würde – einen Barden, der als eine Art außenstehender Erzähler durch die verschiedenen Schauplätze geht und ab und zu ein Lied singt. Dieser ist in der ländlichen Gegend von Devon verwurzelt, wo übrigens auch viele Pferde gezüchtet werden. Aber dieser Sänger singt nicht immer alleine. So gibt es auch chorische Momente, in denen die Dorfgemeinschaft oder eine Soldatengruppe singt. Beim Singen der Soldaten gab es für uns einen sehr interessanten Unterschied in den Traditionen: Für die Engländer war dies etwas Positives, für uns Deutsche, die wir bei singend marschierenden Soldaten schnell Assoziationen mit dem Zweiten Weltkrieg und der Wehrmacht entwickeln, war es dagegen erschreckend. Wir haben versucht, die deutschen Übersetzungen der Militärlieder so zu halten, dass der Zuschauer nicht denkt, er sei im Zweiten Weltkrieg. Songmen, Szenenfoto aus „War Horse“, London 2011 Hat das Stück Ihre Sicht auf den Ersten Weltkrieg verändert und wenn ja, inwiefern? Das Stück hat für mich einen emotionalen Bezug zu dem Thema hergestellt. Der Erste Weltkrieg war lange Zeit das Stiefkind in der historischen Forschung, weil er im Schatten des Zweiten Weltkrieges stand. Ich hoffe, dass „Gefährten“ eine große Aufmerksamkeit für diese historische Zeit schafft, in der viele Ursachen für die Art und Weise stecken, wie das 20. Jahrhundert weitergelaufen ist.
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