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Sven C. Singhofen

Russland nach den
Präsidentschaftswahlen
Wohin geht die gelenkte Demokratie
und Energiegroßmacht unter Dmitrij Medwedew?

Kieler Analysen zur Sicherheitspolitik Nr. 24

                                                          ISUK org                                       .
                                         Institut für Sicherheitspolitik an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Russland nach den Präsidentschaftswahlen                                                  ISUK.org

   Zusammenfassung

   Bei den Präsidentschaftswahlen vom 02.03.2008 ist Dmitrij Medwedew mit
   großem Abstand zum Nachfolger Wladimir Putins im Kreml gewählt worden.
   Verglichen mit den übrigen Kandidaten aber auch mit Putin selbst erscheint der
   neue Präsident Russlands als ein eher liberal ausgerichteter Akteur. Ein Blick
   auf seine Biographie und seine programmatischen Äußerungen während und
   nach den Wahlen bestätigt diesen Eindruck. Berücksichtigt man allerdings die
   Rahmenbedingungen, die durch Russlands momentane Verfasstheit als „ge-
   lenkte Demokratie“ und durch die Weichenstellungen der letzten Jahre vorge-
   geben werden, dann scheint der Spielraum für einen substantiellen Politik-
   wechsel in der Innen- und Außenpolitik begrenzt zu sein.

   Sven C. Singhofen
   Russland nach den Präsidentschaftswahlen. Wohin geht die gelenkte Demokratie und
   Energiegroßmacht unter Dmitrij Medwedew?
   Kieler Analysen zur Sicherheitspolitik Nr. 24
   Kiel, Mai 2008.

   Impressum:
   Herausgeber:
   Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik
   an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
   Prof. Dr. Joachim Krause
   Westring 400

   24118 Kiel

   ISUK.org
   Die veröffentlichten Beiträge mit Verfasserangabe geben die Ansicht der betreffenden
   Autoren wieder, nicht notwendigerweise die des Herausgebers oder des Instituts für
   Sicherheitspolitik.

   © 2008 Institut für Sicherheitspolitik an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (ISUK).

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1. Russland nach den                                Den zweiten, etwas heikleren, weil macht-
Präsidentschaftswahlen 2008                         politisch wichtigeren, Akt dieses Schau-
                                                    spiels bildeten die Präsidentenwahlen vom
Die Kuh ist vom Eis. Das sogenannte                 02.03.2008. Der siegreiche Kandidat,
„Projekt 2008“ – die Suche nach einem               Dmitrij Medwedew, erhielt mit 70,24 Pro-
Nachfolger für Präsident Putin –, das viele         zent bereits im ersten Wahlgang die erfor-
politische Eliten Russlands wohl die ein            derliche Mehrheit. Seine „Konkurrenten“
oder andere schlaflose Nacht gekostet               folgten mit 17,75 Prozent (G. Sjuganow –
hat, zu immer neuen Spekulationen ge-               KPRF), 9,36 Prozent (W. Schirinowskij –
führt und auch zu solchen Stilblüten wie            LDPR) und 1,3 Prozent (A. Bogdanow –
dem Projekt, Wladimir Putin zu einem über           DPR).
den Verfassungsorganen stehenden „Na-                  Für beide Wahlen ist festzustellen, dass
tionalen Führer“ zu machen, ist erfolgreich         sie nicht frei von Statten gingen, sondern
und nach Plan abgeschlossen worden.                 weitgehend vom Zentrum, sprich: dem
Russland hat mit Dmitrij Medwedew einen             Kreml, gesteuert, kontrolliert, monopoli-
neuen Präsidenten, der am 07.05.08 die              siert und in geringem Ausmaße wohl auch
Amtsgewalt von seinem Vorgänger Wla-                manipuliert worden sind. So hat der Kreml
dimir Putin übernehmen wird.                        bereits im Vorfeld durch eine geeignete
   Das Projekt ist in zwei Akten über die           Wahl- und Parteiengesetzgebung auf das
Bühne gegangen. Den Auftakt bildeten die            Feld der Bewerber Einfluss genommen,
Dumawahlen im Dezember vergangenen                  missliebige Konkurrenten im Registrie-
Jahres, bei denen die Partei Einiges Russ-          rungsprozess ausgeschlossen, anderer-
land (Edinaja Rossija), maßgeblich unter-           seits dem Kreml nahe stehende Parteien
stützt durch die Entscheidung des                   oder Präsidentschaftskandidaten zugelas-
amtierenden Präsidenten Wladimir Putin,             sen und die Chancen der Parteien der
die Wahlliste der Partei anzuführen, eine           Macht und insbesondere der Partei Eini-
deutliche Mehrheit von 64 Prozent der               ges Russland und ihres Kandidaten Dmitrij
Stimmen gewann. Im neuen Parlament                  Medwedew durch eine einseitige Bericht-
verfügt Einiges Russland nun allein mit             erstattung in den staatlichen Medien er-
315 von insgesamt 450 Sitzen über eine              heblich angehoben. Zudem ist auch wie-
mehr als komfortable (Zwei-Drittel-)                derholt von Beeinflussungen der Wähler-
Mehrheit. Zusammen mit den 40 Sitzen                schaft von staatlicher Seite durch admi-
der LDPR (8 Prozent der Stimmen) und                nistrative Ressourcen berichtet worden
jenen 38 der Partei Gerechtes Russland              und die überraschend hohen Wahlergeb-
(knapp über 7 Prozent der Stimmen)                  nisse in einigen Regionen Russlands für
summiert sich dies auf eine der Regierung           den favorisierten Kandidaten des Kreml,
nahe stehende Mehrheit von insgesamt                Dmitrij Medwedew, legen den Verdacht
397 Sitzen in der Duma. Eine mehr als               nahe, dass diese Ergebnisse auch auf die
ausreichende      Mehrheit,     um      die         Einflussnahme staatlicher Behörden bei
zukünftigen Vorlagen der Regierung sicher           der Stimmenauszählung zurückzuführen
durch das Parlament zu bringen oder                 sind.1 Russische Wahlbeobachtungsorga-
selbst die Verfassung der Russischen
Föderation zu ändern. Die einzig                    1 So lag die Wahlbeteiligung in einigen Re-
verbliebene oppositionelle Kraft, die                 publiken der Russischen Föderation wie
Kommunistische Partei der Russischen                  Tschetschenien, Inguschetien, Kabardino-
                                                      Balkarien, Mordwinien,     Karatschaewo-
Föderation (KPRF) die in den Wahlen we-               Tscherkessien, Dagestan, Baschkortostan
niger als 12% der Stimmen auf sich verei-             und Tatarstan mit 80-90 % der Wahlberech-
nen konnte, ist in der Duma hingegen mit              tigten signifikant über dem Durchschnitts-
nur 57 Sitzen vertreten.                              wert von 64 %. Auch die Zustimmung für

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nisationen wie die NGO „Golos“ sowie Be-                denten Russlands, der sich sowohl in sei-
obachter aus dem Ausland wie die Vertre-                nem Programm als auch bei den seltenen
ter des Europarats und der Parlamentari-                Auftritten während des Wahlkampfs für
schen Versammlung der OSZE kritisierten                 mehr Pressefreiheit, einen stärkeren Ein-
die Wahlgänge daher.2                                   fluss der Zivilgesellschaft, mehr Rechts-
     Auf den Punkt gebracht hat dies kürz-              staatlichkeit und den Kampf gegen Recht-
lich eine der bekanntesten russischen Po-               losigkeit und Korruption aussprach, eine
litikwissenschaftlerinnen, Lilija Schewzo-              Verbesserung des zuletzt angespannten
wa: „Liberale Demokratien lösen ihre                    Verhältnisses. Für Europa ist dies von
Probleme des Machtwechsels gemeinhin                    strategischer Bedeutung, hängt von einer
nach einer Formel, die kurz gefasst so lau-             Verbesserung des Verhältnisses doch
ten könnte: „Klare Spielregeln, unsicherer              nicht zuletzt auch die Sicherheit der euro-
Ausgang“. Die russischen politischen Eli-               päischen Energieversorgung ab.
ten haben sich quasi auf das Gegenteil                     Allerdings gibt es hier ein Problem:
festgelegt: „Unklare Spielregeln, sicherer              Nach den Wahlen ist zwar klar, wer der
Ausgang.“3                                              neue Präsident Russlands ist. Was jedoch
     Die meisten Beobachter im In- wie im               noch im Unklaren liegt, ist das, was man
Ausland zeigten sich aber im Wesentli-                  das zukünftige „Organigramm der Macht“
chen erfreut über das Ergebnis. In Russ-                in Russland nennen könnte, d.h. die zu-
land sind die Liberalen zufrieden, weil der             künftige Machtverteilung zwischen Präsi-
neue Präsident einer von ihnen ist, wäh-                dent und Ministerpräsident, denn der
rend die Falken (Silowiki) ebenfalls einver-            scheidende Präsident Putin, der im Volk
standen sind, weil sie überzeugt sind,                  nach wie vor große Unterstützung genießt
dass sie über den neuen Ministerpräsiden-               und von den unterschiedlichen Elitengrup-
ten Putin genügend Einfluss auf den ver-                pierungen als Garant der Stabilität gese-
meintlich schwachen Präsidenten haben                   hen wird, wird nach der Amtsübergabe
werden, um ihre Interessen durchzuset-                  nicht von der politischen Bühne ver-
zen. Im westlichen Ausland, zumal in Eu-                schwinden.4
ropa und insbesondere in Deutschland,                      Vor diesem Hintergrund stellt sich die
erwartet man sich von dem neuen Präsi-                  Frage nach der weiteren Entwicklung der
                                                        russischen Innen- und Außenpolitik: Kann
                                                        der neue Präsident sich als eigenständiger
  Einiges Russland erreicht hier mit 81-99 %            Machtpol etablieren und seine Ankündi-
  Marken, die andernorts nicht erreicht wur-
  den. Allgemein wird angezweifelt, dass die-           gungen aus dem Wahlkampf in praktische
  se Ergebnisse auf regulärem Wege zustan-
  de gekommen sind. Vgl. Coalson, Robert,               4 Zum einen wird Wladimir Putin das Amt des
  How the Kremlin Manages to Get the Right                Ministerpräsidenten innehaben. Zum ande-
  Results, in: Radio Free Europe/ Radio Lib-              ren wird er aber auch die Führung der Par-
  erty, 07.03.2008 (http://www.rferl.org). Vgl.           tei „Einiges Russland“ in der Staatsduma
  auch Schröder, Hans-Henning, Genügend                   übernehmen. Damit dürfte er, trotz seiner
  Legitimation für einen Schattenpräsiden-                qua Verfassung nachgeordneten formalen
  ten?, in: Russlandanalysen, Nr. 152,                    Machtfülle, de facto auf absehbare Zeit ei-
  07.12.2007, S. 2-4.                                     nen bedeutenden Einfluss auf den politi-
2 Vgl. dazu Frankfurter Allgemeine Zeitung                schen Prozess und die Entscheidungen in
  (im Folgenden zitiert als FAZ), 04.03.2008,             Russland ausüben. Dies umso mehr als er
  S. 2: Kritik am Verlauf der russischen Prä-             unter den gegenwärtigen Bedingungen der
  sidentenwahl. Vgl. auch FAZ, 08.02.2008,                von den konkurrierenden Elitengruppierun-
  S. 5: OSZE beobachtet russische Präsiden-               gen anerkannte Schlichter bzw. Schieds-
  tenwahl nicht.                                          richter bleiben wird und über die besten
3 Vgl. Schewzowa, Lilija, Der Schein trügt, in:           Beziehungen zu den Geheimdiensten ver-
  Internationale Politik, 63. Jahrgang, Nr. 2,            fügt. Vgl. FAZ, 29.03.2008, S. 7: Putin wird
  Februar 2008, S. 8-18, hier S. 8.                       vom Moskauer Staatschef zum Parteichef.

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Politik umsetzen oder wird er lediglich ein           lem ein Blick auf seinen bisherigen Wer-
Verwalter von Putins Gnaden oder nur ein              degang, sein Programm sowie seine Äu-
vorübergehender Platzhalter? Welche                   ßerungen aus dem Wahlkampf und
Funktion und Stellung wird dem scheiden-              schließlich sein Verhalten nach den Wah-
den Präsidenten Putin in dem neuen                    len vom 02. März 2008 geeignet zu sein,
Machtgefüge zukommen? Wohin geht das                  Aufschluss darüber geben zu können, ob
„System Putin“, das auf einem schwierigen             er ein liberalerer Präsident sein könnte als
Balanceakt zwischen konkurrierenden Eli-              Wladimir Putin.
tengruppierungen beruht/e? Welche Ände-
rungen sind in der Außenpolitik Russlands             2.1. Die Person Dmitrij Medwedew
zu erwarten? Wird Russland seinen An-                 Einzelne, hervorgehobene Personen –
spruch auf eine Großmachtrolle weiter ver-            und der Präsident Russlands ist qua
folgen und wenn ja mit welchen Mitteln?               Verfassung der Russischen Föderation
    Einen guten Monat vor der offiziellen             eine solche Person – können einen
Amtsübergabe an den neu gewählten rus-                entscheidenden      Einfluss     auf     die
sischen Präsidenten gibt es viele Mutma-              Geschicke eines Landes nehmen. Dafür
ßungen und Stimmen, welchen Kurs                      lassen sich Beispiele en masse anführen:
Russland unter Dmitrij Medwedew ein-                  Adenauer, Churchill, de Gaullle, Roosevelt
schlagen wird.5 Allen Einschätzungen ist              auf westlicher Seite; Gorbatschow, Jelzin,
gemeinsam, dass sie notgedrungen noch                 Putin auf russischer Seite. Wenn
sehr im Vagen liegen. Bevor Dmitrij Med-              Politikwissenschaft sich auch nicht mehr
wedew sein Amt noch nicht angetreten hat              vorrangig mit dem Einfluss „großer
und sein Agieren als Präsident die ersten             Männer“ beschäftigt, so ist doch un-
Hinweise über seine Absichten und Mög-                umstritten, dass persönliche Faktoren in
lichkeiten geben wird, wird sich daran                der Politik durchaus einen wichtigen
auch nichts ändern. Aufschluss über die               Stellenwert besitzen.6
aufgeworfenen Fragen können in dieser                    Der neue Präsident Russlands ist, wie
Situation behelfsweise Betrachtungen lie-             sein Mentor, Förderer und Vorgänger im
fern, die sich erstens an der Person Dmitrij          Amt Wladimir Putin, zunächst einmal Pe-
Medwedews und zweitens an bestimmten,                 tersburger.7 Er wurde am 14. September
durch das derzeitige politische System                1965 in St. Petersburg/ damals: Lenin-
Russlands vorgegebenen, v.a. informellen,             grad, der nördlichen, zweiten Hauptstadt
Rahmenbedingungen ausrichten.                         Russlands an der Newa, geboren. Im Un-
                                                      terschied zu Wladimir Putin ist Dmitrij Ana-
2. Der neue Präsident Russlands –
Ein „liberaler“ Herrscher?                            6 Vgl. dazu Schwarz, Hans-Peter, Anmer-
                                                        kungen zu Adenauer, 2. Aufl., München
                                                        2005.
Was die Betrachtungen zur Person Dmitrij              7 Vgl. Biografija (http://www.medvedev2008.
Medwedews angeht, so scheinen vor al-                   ru/bio.htm). Vgl. auch Russia Profile, Who’s
                                                        Who, Medvedev, Dmitry Anatolyevich (http:
                                                        //www.russiaprofile.org), Download 15.01.
5 Einer der wenigen verbliebenen Oppositi-              2008. Vgl. auch Ludwig, Michael, Der nette
  onspolitiker, Wladimir Ryschkow, hat gar              Junge aus dem Petersburger Plattenbau,
  gemutmaßt, dass die wohlklingenden Worte              in: FAZ, 04.03.2008; Manutscharjan, A-
  von Dmitrij Medwedew aus dem Wahlkampf                schot, Aktion Nachfolger gelungen, in: Das
  nur für die Ohren des Westens formuliert              Parlament, Nr. 11, 10.03.2008, S. 10 sowie
  worden seien und ein liberaleres Regime in            RIA Nowosti, 07.02.2008: „Nesawissimaja
  Russland auch unter Medwedew nicht zu                 Gaseta“: Putin und Medwedew: Unter-
  erwarten sei. Vgl. dazu Krumm, Reinhard,              schiedliche Typen – zwei Regierungsstile?
  „Bremsen lösen“, Kurzbericht der Friedrich-           (http://de.rian.ru/analysis/20080207/986441
  Ebert-Stiftung, 03/ 2008, S. 3.                       96-print.html).

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tolijewitsch allerdings der Sprössling einer           Wie viele andere ehemalige Kollegen und
Familie, die der gehobenen Schicht der                 Mitstreiter wurde Medwedew dann, nach-
sowjetischen Intelligenzija zuzurechnen                dem Putin 1999 russischer Ministerpräsi-
war. Sein Vater arbeitete als Professor für            dent geworden war, nach Moskau geholt.
Maschinenbau, während die Mutter als                   Zur Petersburger Seilschaft zählten neben
Philologin und Lektorin an der Pädagogi-               Medwedew nicht nur liberale Wirtschafts-
schen Universität St. Petersburgs tätig                politiker und Juristen, sondern auch Ge-
war. Der junge Dmitrij Medwedew, der üb-               heimdienstler. Als Vertrauter des Präsi-
rigens ein Einzelkind ist, wuchs demnach               denten leitete er dessen Wahlkampfstab
in wohlbehüteten und gutsituierten Ver-                bei Putins erster Präsidentschaftswahl im
hältnissen auf.                                        Jahr 2000. Als Dank für die dabei erwor-
    Was seine berufliche Ausbildung an-                benen Verdienste wurde Dmitrij Medwe-
geht, so ist der neue Präsident Russlands              dew von Wladimir Putin im Juni 2000 zu-
– und dies ist eine weitere Gemeinsamkeit              nächst zum Ersten Stellvertretenden Leiter
mit Wladimir Putin – Jurist. Er schloss sein           und im Oktober 2003 dann zum Leiter der
Studium der Rechtswissenschaften an der                mächtigen Administration des Präsidenten
Juristischen Fakultät der Leningrader                  im Kreml ernannt. In dieser Funktion war
Staatlichen Universität 1987 ab. An das                Medwedew auch an wichtigen politischen
Jurastudium schloss sich eine Promotion                Weichenstellungen in Russland beteiligt.
in der gleichen Disziplin an, die Dmitrij              So konzipierte er als Jurist unter anderem
Medwedew mit einer Spezialisierung im                  die Entmachtung des Föderationsrates,
Öffentlichen Recht 1990 abschloss.                     der zweiten Kammer und „Ländervertre-
    Seine ersten beruflichen Schritte mach-            tung“ bzw. des „Oberhauses“ der russi-
te Medwedew als Jurist in der St.                      schen Föderalversammlung mit dem Ziel,
Petersburger Stadtverwaltung. Hier beriet              die Vertikale der Macht des Präsidenten
er 5 Jahre lang, von 1991 bis 1996,                    zu stärken.
Wladimir Putin, der zu dieser Zeit unter                  Ein weiterer bedeutender, wenn nicht
dem Bürgermeister Anatolij Sobtschak als               sogar der wichtigste, Schritt in der berufli-
Leiter      des      Komitees     für    die           chen Karriere Medwedews, der sich im
Außenbeziehungen unter anderem auch                    Jahr 2000 ergab, war seine Ernennung
für die außenwirtschaftlichen Beziehungen              zum Aufsichtsratsvorsitzenden von Gas-
der Stadt Petersburg zuständig war.8                   prom, dem weltweit größten Erdgaskon-
Nebenbei arbeitete Dmitrij Medwedew                    zern und einem der wichtigsten Unter-
(insgesamt von 1990 bis 1999) als Dozent               nehmen in Russland. Von 2000 bis 2001
(bzw.      Assistenzprofessor)     an    der           war Medwedew als Aufsichtsratsvorsit-
Juristischen Fakultät der Petersburger                 zender von Gasprom, dann von 2001 bis
Universität und versuchte sich auch als                Juli 2002 als stellvertretender Aufsichts-
Unternehmer.                                           ratsvorsitzender und seit Juli 2002 wieder
8 Vgl. Coalson, Robert, Putin’s Choice. A              als Aufsichtsratsvorsitzender tätig.
  Profile of Dmitriy Medvedev, in: Radio Free             Im November 2005 wurde Medwedew,
  Europe/ Radio Liberty, 23.03.2008 (http://
                                                       abermals von Putin, zum Ersten Stellver-
  www.rferl.org) sowie Biografija (http://www.
  medvedev2008.ru/bio.htm); Russia Profile,            tretenden Ministerpräsidenten befördert.
  Who’s Who, Medvedev, Dmitry Ana-                     2006 übertrug Putin ihm dann die Verant-
  tolyevich (http://www.russia profile.org),           wortung für die strategisch wichtigen vier
  Download 15.01.2008; Ludwig, Michael,
  Der nette Junge aus dem Petersburger
                                                       sogenannten „Nationalen Projekte“, groß
  Plattenbau, in: FAZ, 04.03.2008, S. 2 sowie          angelegte, staatlich geförderte Entwick-
  auch Manutscharjan, Aschot, Aktion Nach-             lungsprogramme in den zivilen Bereichen
  folger gelungen, in: Das Parlament, Nr. 11,          Landwirtschaft bzw. ländlicher Raum,
  10.03.2008, S. 10.

                                                 -5-
Russland nach den Präsidentschaftswahlen                                            ISUK.org

Wohnungsbau, Gesundheits- und Bil-                    muslimischen Beschneidungsriten zu un-
dungswesen. Besondere Erfolge konnte er               terziehen.
in dieser Tätigkeit nach allgemeinem Da-                  Unter Umständen kann der familiäre, e-
fürhalten nicht verzeichnen. Allerdings war           litäre Hintergrund aber auch eine Schwä-
diese Aufgabe eine willkommene, und                   che darstellen. Denn es kann nicht ausge-
wohl auch durchaus so beabsichtigte Ge-               schlossen werden, dass Dmitrij Medwe-
legenheit, um sich den Wählern bekannt                dew gerade weil er vor seinem Hinter-
zu machen, Wohltaten zu verteilen und –               grund in Russland nicht automatisch als
wie es in der Presse bisweilen hieß – zum             durchsetzungsstarke oder volksnahe Füh-
„Strahlemann“ zu werden.9                             rungsfigur gesehen wird, besondere Stär-
   Vor diesem biographischem Hinter-                  ke und Härte demonstrieren muss.
grund erscheint der neue Mann an der
Spitze des russischen Staats zunächst                 2.2. Der Kandidat Dmitrij Medwedew
einmal überdeutlich und unzweifelhaft als             Neben dem biographischen Hintergrund
Schützling, Weggefährte und politischer               können das Wahlprogramm Dmitrij Med-
Freund des noch amtierenden Präsidenten               wedews, sein Auftreten und einige seiner
Wladimir Putin. Wie Putin ist Medwedew                Äußerungen während des Wahlkampfs
Jurist und stammt aus St. Petersburg.                 Aufschluss darüber geben, wohin er das
Was seine Zugehörigkeit bzw. Unterstüt-               Land unter Umständen steuern will. Die
zung für eine der machtpolitischen Eliten-            Kern- und Hauptpunkte dieses Pro-
Gruppierungen10 angeht, so kann er den                gramms11 lesen sich dabei fast wie das
„Petersburger Juristen“ zugerechnet wer-              Bekenntnis eines überzeugten Liberalen
den. Er zählt also eher zu den liberalen              und Verfechters von Rechtsstaatlichkeit
und marktorientierten Reformern und ist               und Demokratie. So lautete eine der
kein, den Interessen der eher konservati-             Hauptthesen Medwedews: Die Politik des
ven Machtapparate (Innen-, Verteidi-                  Staates muss auf dem Prinzip „Freiheit ist
gungsministerium, Geheimdienste) nahe                 besser als Unfreiheit“ basieren. Dabei geht
stehender, Silowik.                                   es um die Freiheit in all ihren Erschei-
   Blickt man auf seinen familiären Hinter-           nungsformen: persönliche Freiheit, wirt-
grund und seine Sozialisation im akademi-             schaftliche Freiheit und die Freiheit der
schen Umfeld, scheint es nahe liegend,
auch von einem anderen, weniger „hand-                11 Ein Wahlprogramm Dmitrij Medwedews gibt
festen und rustikalen“ Stil gegenüber der                es im Sinne eines einzigen, vorab oder
                                                         während des Wahlkampfs der Öffentlichkeit
heimischen und internationalen Öffentlich-               vorgestellten, Dokuments nicht, was auch
keit auszugehen. Es ist schwer vorstellbar,              auf die Besonderheiten der Auswahl Med-
dass Medwedew wie Putin öffentlich da-                   wedews als Kandidat zurückzuführen ist.
von sprechen wird, separatistischen Kräfte               Demnach hatte die Tatsache, dass er von
                                                         Wladimir Putin als Nachfolger ausgewählt
oder innenpolitischen Gegnern Russlands                  und empfohlen wurde, für die Wahlent-
an nur für bestimmte Zwecke aufzusu-                     scheidung eine weitaus größere Bedeutung
chenden Orten die Kehle umzudrehen o-                    als jedes mögliche Programm Medwedews
                                                         sie hätte haben können. Aufschluss über
der ausländischen Journalisten in einem
                                                         die politischen Überzeugungen und Vorha-
Akt verbaler Entgleisung empfiehlt, sich                 ben des Präsidentschaftskandidaten liefern
                                                         jedoch Reden, die er vor oder während des
9 Vgl. Ludwig, Michael, Der nette Junge aus              Wahlkampfs hielt und die auf der Website
   dem Plattenbau, in: FAZ, 04.03.2008, S. 2.            Medwedews im Internet als „programmati-
10 Zur Unterscheidung der unterschiedlichen              sche Auftritte“ bezeichnet und aufgeführt
   Eliten-Gruppierungen bzw. Machtclans, die             sind. Auf diese wird im Folgenden Bezug
   den politischen Prozess Russlands hinter              genommen. Vgl. Programmnye wystupleni-
   den formalen Kulissen prägen und bestim-              ja (http://www.medvedev2008.ru/program.
   men, siehe Abschnitt 3.2.                             htm).

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Selbstverwirklichung. Eine weitere These                 -    Schaffung eines starken und selbstän-
lautete: „Die konsequente Verbesserung                        digen Finanzsystems, das in Perspek-
der Gesetzgebung ist eine wichtige Auf-                       tive eine der Stützen der globalen Fi-
gabe. Die Hauptaufgabe unserer Arbeit in                      nanzstabilität werden muss. Die Um-
den kommenden vier Jahren wird die Ge-                        wandlung des Rubels in eine regionale
währleistung einer wirklichen Unabhängig-                     Reservewährung;
keit des Justizsystems von der Exekutiv-                 - Modernisierung der Transport- und der
und der gesetzgebenden Gewalt sein.“                          Energieinfrastruktur und Aufbau eines
   Auch die übrigen Punkte und Thesen,                        neuen Telekommunikationsnetzes;
die aus den Auftritten Medwedews im Ja-                  - Schaffung von Grundlagen eines staat-
nuar und März 2008 bekannt sind, setzen                       lichen Innovationssystems;
interessante Akzente, die am ehesten zu                  - Umsetzung eines Sozialentwicklungs-
einem überzeugten Reformer passen, der                        programms.
auch eine Entwicklung in Richtung Demo-                  Diese Kernpunkte bekräftigte Medwedew
kratie verfolgt:                                         auch in seiner Rede vor dem Unterneh-
- der Schutz der realen [d.h. einer ech-                 merforum im sibirischen Krasnojarsk.13
    ten] Unabhängigkeit, die das Feedback                Auch hier wurde den Aspekten Freiheit
    zwischen der gesamten Gesellschaft                   und der Anerkennung rechtlicher Prinzi-
    und den Machtorganen sichern;                        pien besondere Aufmerksamkeit gewid-
- die Achtung des Privateigentums muss                   met. „Unsere Politik“, so Medwedew,
    eine der Grundlagen der Staatspolitik                „muss auf einem Prinzip basieren, das aus
    werden;                                              meiner Sicht das Wichtigste im Funktionie-
- das Wirtschaftsprogramm in den kom-                    ren eines jeden modernen Staates ist, der
    menden vier Jahren wird auf vier „I’s“               hohe Lebensstandards anstrebt: Das Prin-
    beruhen:      Institute12, Infrastruktur,            zip „Freiheit ist besser als Unfreiheit“. Na-
    Innovationen und Investitionen.                      türlich, so Medwedew weiter, setze die
Bei der Umsetzung und Realisierung die-                  Freiheit eine bedingungslose Einhaltung
ser vier zentralen Vorhaben bzw. Prinzi-                 der Gesetze voraus. „Die Durchsetzung
pien im Bereich der Wirtschaftspolitik wird              einer Harmonie zwischen Freiheit und
die Lösung der folgen Aufgaben als vor-                  Recht ist heute meines Erachtens das
dringlich angesehen:                                     Wichtigste in der jetzigen Epoche“. Und
- Beseitigung des Rechtsnihilismus, die                  weiter: „Die Freiheit ist untrennbar von der
    durch die Verbesserung der Qualität                  faktischen Anerkennung der Macht des
    der Gesetze und die Gewährleistung                   Rechts durch die Bürger.“
    einer effizienten Rechtsanwendung er-                    Bei einem früheren Auftritt auf dem
    reicht werden soll;                                  zweiten Gesamtrussischen Bürgerforum
- durchgreifender Abbau bürokratischer                   am 22.01.08 hatte Medwedew einen Punkt
    Hürden;
- Senkung der Steuerlast zur Stimulie-                   13 Vgl. Wystuplenie na V. Krasnojarskom eko-
    rung von Innovationen und Privatinves-                  nomitscheskom forume „Rossija 2008 –
                                                            2020. Uprawlenie rostom“, 15.02.2008,
    titionen in das Humankapital Russ-
                                                            Krasnojarsk (http://www.medvedev2008.ru
    lands;                                                  /program_02_15.htm). Vgl. auch RIA No-
                                                            wosti, 15.02.2008, Plan für Russland:
                                                            Medwedew will weniger Staat und starken
                                                            Rubel (http://de.rian.ru/analysis/20080215
12 Hiermit dürften aller Wahrscheinlichkeit                 /99305828-print.html). Vgl. auch Frankfurter
  nach formale Institutionen, d.h. Rechtsre-                Allgemeine Sonntagszeitung (im Folgenden
  geln, gemeint sein, denn der Begriff „Institu-            zitiert als FAS), 24.02.2008, S. 13: Recht
  tion“ (formale Institution, Rechtsregel) wird             und Freiheit. Der unvermeidliche Medwe-
  auf Russisch mit „institut“ wiedergegeben.                dew gibt sich als Liberaler.

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angesprochen, der als Motto seiner Inter-                gehend zustimmt. Medwedew zeigte sich
netsite vorangestellt worden ist und au-                 in diesem Gespräch als prinzipiell offener,
genscheinlich von überragender axiomati-                 aber konsequenter Verteidiger russischer
scher Bedeutung ist. Er stellt die Leitlinie             Interessen, der sich gegen den Vorwurf
des „Programms“ Medwedews dar:                           einer zu offensiven Außenpolitik oder den
                                                         Einsatz von Energieressourcen als Waffe
Das Wichtigste für unser Land ist die Fortset-           zur Wehr setzte und auch auf dem Groß-
zung einer ruhigen und stabilen Entwicklung.             machtanspruch Russlands bestand.
Ein Jahrzehnt einer stabilen Entwicklung ist
notwendig. Das, was unserem Land im 20.                      Geht man nach diesen programmati-
Jahrhundert genommen wurde: Ein Jahrzehnt                schen Orientierungspunkten und Äuße-
normalen Lebens und einer zielgerichteten Ar-            rungen, dann fällt als Erstes auf, dass
      14
beit.
                                                         Medwedew, anders als etwa noch im De-
Die Außenpolitik stand in seinen Auftritten              zember 2007 vorgesehen,17 durchaus so
im Wahlkampf nicht an erster Stelle. Bei                 etwas wie eigene Akzente gesetzt hat, in-
seinem Auftritt vor dem Bürgerforum Ende                 dem er nicht den sogenannten „Plan Pu-
Januar kam sie nur am Rande vor. Russ-                   tins“ der Partei Einiges Russland als sein
land, so Medwedew, werde auf keinen Fall                 Wahlprogramm propagiert hat, sondern
Beziehungen zu „Problemstaaten“ der                      sein eigenes Programm vorgestellt und
Weltgemeinschaft abbrechen. Der Ab-                      vertreten hat. Dieses Programm kann
bruch von Beziehungen und Flächenbom-                    durchaus als liberal und vor allem auf die
bardements seien der falsche Weg, sagte                  Innenpolitik ausgerichtet eingestuft wer-
Medwedew. Russland sei seiner Verant-                    den.
wortung gemäß, offen für den Dialog und                      Bei aller liberalen Rhetorik ergeben sich
verfolge, ausgehend von seinen eigenen                   jedoch einige Fragen: So steht die liberale
Interessen, eine demokratische Weltord-                  Programmatik zunächst unter dem Vorbe-
nung.15                                                  halt, dass Medwedew sich offenbar in ers-
   In einem Interview mit dem russischen                 ter Linie als Fortsetzer des Kurses Wladi-
Politikmagazin „Itogi“ vom 18.02.200816                  mir Putins versteht. Demzufolge wären
machte Medwedew allerdings deutlich,                     keine großen Veränderungen, in erster Li-
dass er der außenpolitischen Linie, die                  nie in der Innenpolitik, zu erwarten. Das
Präsident Putin bis dato verfolgt hat, weit-             Hauptaugenmerk der neuen Regierung
                                                         dürften eine Fortsetzung der bisherigen
                                                         Politik und die Sicherung von Ruhe und
14 Vgl. Wystuplenie na II. Obstscherossijskom
   grashdanskom forume, 22. Janwarja 2008                Stabilität sein. Allein, es bleibt der Zweifel,
   goda, Moskwa Manesh, Dmitrij Medwedew,                welcher Wert diesen Worten beizumessen
   Programmnye wystuplenija, (http://www.                ist. Auch Putin ist mit ähnlichen Bekennt-
   medvedev2008.ru/programm.htm).           Vgl.         nissen zur „Diktatur des Gesetzes“ ange-
   auch FAZ, 23.01.2008, S. 4: Medwedjew
   beklagt „Rechtsnihilismus“. Kreml-Kandidat:           fangen und hat noch spät in seiner zwei-
   Der russische Staat muss von Bürgern kon-             ten Amtszeit wie so viele andere russische
   trolliert werden. Vgl. auch Russland Aktuell,         Führungsfiguren vor ihm gegen die allge-
   22.01.2008, Medwedews Wahlprogramm:
                                                         genwärtige Korruption gewettert. Auch hat
   Stabilität und Gerechtigkeit (http://www. ak-
   tuell.ru), Download vom 27.01.2008.                   Putin sich wiederholt zur Bedeutung von
15 Vgl. FAZ, 23.01.2008, S. 4: Medwedjew be-             freien Massenmedien und einer unabhän-
   klagt „Rechtsnihilismus“. Kreml-Kandidat:             gigen Zivilgesellschaft bekannt. Die Ver-
   Der russische Staat muss von Bürgern kon-
   trolliert werden.
16 Vgl. RIA Nowosti, 18.02.2008: Medwedew:               17 Vgl. RIA Nowosti, 17.12.2007: Plan Putins
   Russlands Machtzentrum bleibt der Kreml                  auch bei Präsidentenwahl Wahlprogramm
   (http://de.rian.ru/analysis/20080218/995225              von Geeintes Russland (http://de.rian.ru/
   55-print.html).                                          russia/20071217/92850967.html).

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Russland nach den Präsidentschaftswahlen                                           ISUK.org

fassungswirklichkeit sah jedoch anders               lizei, Gesundheitsamt u.a.) in kleinen und
aus. Sind daher auch die Zielvorgaben                mittleren Unternehmen nur unter Vorlage
Medwedews nur Lippenbekenntnisse?                    eines entsprechenden Gerichtsbeschlus-
Schließlich bleibt auch die Frage, was               ses oder einer Ermächtigung durch die
Dmitrij Medwedew, als er höchste Staats-             Staatsanwaltschaften zulassen würde. Im
ämter innehatte, unternommen hat, „als               Streit um die Eigentumsrechte im Falle
die Freiheit der Medien verlorenging, als            des Moskauer Flughafens Domodedowo
die Zivilgesellschaft abgebaut wurde, das            sprach er sich erneut für eine Respektie-
Privateigentum unter den Vorbehalt des               rung des Eigentumsrechts und gegen eine
Provisorischen gestellt und die Gerichte             Rückverstaatlichung des Unternehmens
der Lächerlichkeit preisgegeben wur-                 aus.19
den.“18                                                  In Sachen Außenpolitik hielt er an der
                                                     Position Putins fest, kritisierte die eventu-
2.3. Der neu gewählte Präsident                      elle Erweiterung der NATO um die Ukraine
Medwedew vor der Inauguration                        und Georgien und sagte, dass Russland
Das Verhalten Dmitrij Medwedews vor                  über die Diskussion um die Aufnahme die-
seiner Amtseinführung am 07. Mai 2008                ser beiden Staaten in das Bündnis nicht
lässt bislang keine größeren Rückschlüsse            „glücklich sei“.20 Dieser Schritt führe aus
auf seinen späteren Kurs als Präsident               russischer Sicht zu extremen Schwierig-
Russlands zu, zumindest keine Schlüsse,              keiten für die existierende Struktur der eu-
die über das bisher Erkennbare und im                ropäischen Sicherheit. Russland sei als
Wahlkampf Geäußerte hinausgehen.                     Staat, der dem Nordatlantischen Bündnis
     Nach der Wahlentscheidung war der               nicht angehöre automatisch besorgt, wenn
Aufsichtsratsvorsitzende von Gasprom                 sich dieses Militärbündnis seinen Grenzen
und erste Stellvertretende Ministerpräsi-            nähere. Zur gleichen Zeit hielt er aber in
dent Russlands vornehmlich mit seinen                einer anderen Frage, der Raketenabwehr
Verpflichtungen bei Gasprom und der                  in Osteuropa, an weiteren Verhandlungen
Vorbereitung auf die Amtsübernahme be-               mit den USA fest.
schäftigt. Anfang März, am 03.03.08, kün-
digte er an, er werde die Zeit bis zu seiner         3. Der neue Präsident und das Russ-
Amtseinführung dazu nutzen, sich ge-                 land Wladimir Putins
meinsam mit dem noch amtierenden Prä-
sidenten Putin über die Personalstruktur             Medwedew scheint somit insgesamt ei-
der neuen Regierung und des Präsiden-                nerseits der Fortsetzer der unter seinem
tenapparates zu verständigen.                        Amtsvorgänger Putin begonnenen Linie
     Abgesehen davon wurde bei verschie-             der innen- und außenpolitischen Erneue-
denen Gelegenheiten deutlich, dass er                rung und Stabilisierung Russlands zu sein.
tatsächlich gewillt ist, seine Ankündigun-           Andererseits hat er im Wahlkampf aber
gen aus dem Wahlkampf in praktische Po-              auch eigene Akzente gesetzt und sich da-
litik umzusetzen. So kündigte er etwa im
Rahmen einer Sitzung des Staatsrats in               19 Vgl. The Moscow Times, 28.03.2008: Med-
der sibirischen Stadt Tobolsk eine erste                vedev     Lays    Out  Anti-Graft  Steps
Gesetzesinitiative zur Bekämpfung der                   (http://www.the moscowtimes.com/stories/
                                                        2008/03/28/042.html). Vgl. auch FAZ,
Korruption an, die zukünftige Inspektionen
                                                        10.04.2008, S. 7: Medwedjew gegen Ver-
von staatlichen Behörden (Feuerwehr, Po-                staatlichungen.
                                                     20 Vgl. BBC News, 25.03.2008, Medvedev
18 Vgl. FAS, 24.02.2008, S. 13: Recht und               spells out power sphere (http://newsvote.
   Freiheit. Der unvermeidliche Medwedjew               bbc.co.uk). Vgl. auch FAZ, 31.03.2008, S.
   gibt sich als Liberaler.                             12: Mahnungen und Lockrufe.

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bei als eher liberaler Kandidat präsentiert.                bürgerlichen Freiheiten, so Steinmeiner,
Es spricht also auf den ersten Blick Eini-                  „waren spektakulär in unseren Ohren“.22
ges dafür, dass er gewillt sein könnte, Re-                 Auch der britische und der französische
formen einzuleiten und zu verfolgen, de-                    Außenminister teilten eine ähnlich positive
nen neben einer Impulswirkung für die                       Erwartungshaltung. In einem gemeinsa-
Wirtschaft auch eine Wirkung im Hinblick                    men Brief zur Russland-Politik der EU
auf die Fortsetzung der Demokratisierung                    schrieben sie: „Wir sollten hervorheben,
Russlands zukommen könnte.21                                dass wir das Vorhaben des gewählten
   Der Westen und insbesondere die Eu-                      Präsidenten Medwedew, den Rechtsstaat
ropäische Union und Deutschland haben                       in Russland zu fördern, begrüßen und un-
daher positiv und erfreut reagiert, weil sie                terstützen.“ In der Sitzung der EU-
sich eine positive Weiterentwicklung der                    Außenminister schlossen sich Berichten
zuletzt angespannten Beziehungen zu                         zufolge viele Mitgliedstaaten dieser Ein-
Russland erhoffen. Bei einem Treffen der                    schätzung aus Deutschland, Großbritan-
Außenminister der EU zeigte sich, dass                      nien und Frankreich an. Die Außenminis-
sich vor allem die großen EU-Mitglied-                      ter erhoffen sich von dem neuen Präsiden-
staaten im Westen den Wechsel im Kreml                      ten Russlands offensichtlich eine Verbes-
als eine Chance werten. Deutschland zählt                   serung der gegenseitigen Beziehungen
zu der Gruppe, die den Wechsel zu Med-                      (PKA, Energiecharta).
wedew als günstige Gelegenheit sehen.                          Wie bei jedem Regierungswechsel –
Dies fand beispielsweise in einer Ein-                      übrigens auch in westlichen Demokratien
schätzung durch Außenminister Steinmei-                     – hängt die weitere Entwicklung und die
er seinen Ausdruck: Die Reden Medwe-                        Ausgestaltung der Regierungspolitik aber
dews über die Marktwirtschaft und die                       nicht ausschließlich von dem jeweils sieg-
                                                            reichen Kandidaten und seinen Zielset-
                                                            zungen vor der Wahl ab. Sie ist vielmehr
21 Interessant ist in diesem Zusammenhang
   besonders seine implizite, aber umso deut-               auch von bestimmten formalen und infor-
   lichere Weigerung, den von Wladislaw Sur-                mellen bzw. politischen Rahmenbedin-
   kow eingeführten Begriff der „souveränen                 gungen abhängig. So ist ein deutscher
   Demokratie“ für Russland und sein Verhält-
   nis zu westlichen Werten und dem Ord-
                                                            Bundeskanzler bzw. eine Bundeskanzlerin
   nungsprinzip der Demokratie gelten zu las-               bei der Verwirklichung seiner/ihrer politi-
   sen. In seiner Rede vor dem Bürgerforum                  schen Vorhaben zwingend auf Koalitions-
   am 22.01.08 in Moskau führte Medwedew                    partner und die fortdauernde Zustimmung
   dazu aus: “Es ist bekannt, dass in der mo-
   dernen Welt die sogenannte repräsentative                in der eigenen Partei angewiesen und
   Demokratie am weitesten entwickelt ist. […]              muss im Gesetzgebungsprozess immer
   Ich musste bereits wiederholt auf Fragen                 wieder Zugeständnisse an den Koalitions-
   zur nationalen Idee antworten. Die Diskus-               partner, Gruppierungen in der eigenen
   sion zu diesem Thema halte ich für wenig
   effektiv. […] Hier brauchen wir nichts zu er-            Partei, aber auch an institutionelle Gegen-
   finden. Die grundlegenden Werte wurden                   gewichte bzw. Akteure, wie etwa den
   von der Menschheit bereits vor langem                    Bundesrat, machen.
   formuliert. Allerdings stellt ihre Anwendung
                                                               Eine zweite Rahmenbedingung besteht
   auf die russischen Besonderheiten mitunter
   ein Problem dar. Und die Hauptfrage be-                  in der Wirkung und Reichweite vorange-
   steht darin, wie man beides miteinander                  gangener Entscheidungen in der Innen-
   vereinen kann, es so zu machen, dass un-                 und Außenpolitik, d.h. den durch die Politik
   sere nationalen Traditionen mit dem
   Grundbestand demokratischer Werte in
                                                            der letzten Jahre gewachsenen innen- wie
   Übereinstimmung          kommen.“        Vgl.
   Wystuplenie na II. Obstscherossijskom                    22 Vgl. dazu Busse, Nikolas, Mit Neugier und
   grashdanskom forume (http://www. medve-                     gewachsenem Selbstbewusstsein, in: FAZ,
   dev2008.ru/ program.htm).                                   31.03.2008, S. 6.

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außenpolitischen Grundkonstanten, von                       Staatsgewalt, sondern aufgrund der infor-
denen sich ein neu gewählter Präsident                      mellen Machtposition des zukünftigen
oder Ministerpräsident bzw. Regierungs-                     Premiers Wladimir Putin und seines Anse-
chef nicht ohne weiteres über Nacht lösen                   hens in der Bevölkerung. Darüber, wie
kann.23                                                     sich dieses Verhältnis entwickeln könnte,
                                                            gibt es im Wesentlichen drei unterschiedli-
3.1. Der neue Präsident und der neue                        che Annahmen bzw. Szenarien:
Ministerpräsident – Tandem oder neu-                        - Das erste Szenario „Vorübergehendes
es Machtgleichgewicht an der Spitze?                            Tandem und Medwedew als starker
Ähnliches gilt auch für den neuen Präsi-                        Präsident“ geht von einer klar bestim-
denten Russlands. Auch er wird sein poli-                       menden Position des neuen Präsiden-
tisches Programm, wenn er tatsächlich ei-                       ten aus. Voraussetzung hierfür ist,
nes in mehr oder weniger konkreter Form                         dass es Medwedew gelingt, eigene
haben sollte, nicht eins zu eins in Regie-                      Vertrauensleute an die Schaltstellen
rungspolitik übertragen können, sondern                         der Macht zu bringen und auch die Lei-
gewisse Abstriche machen müssen.24 In                           tung der Geheimdienste mit Personen
Russland mit seinem präsidialen – einige                        seines Vertrauens zu besetzen. In die-
Beobachter sprechen aufgrund der Macht-                         sem Fall würde er sich, so wie es Wla-
fülle und der besonders hervorgehobenen                         dimir Putin nach seiner überraschen-
Stellung des Präsidenten sogar von einem                        den Ernennung zum Präsidenten ge-
„super-präsidentiellen“ – Regierungssys-                        tan hat, von seinem Paten Putin lösen,
tem wird dies nicht eine Frage des Ver-                         was allerdings einige Zeit in Anspruch
hältnisses zwischen den Partnern einer                          nehmen würde. Eine Äußerung Med-
Koalitionsregierung, sondern eine Frage                         wedews aus einem Interview, die poli-
des zukünftigen Verhältnisses zwischen                          tische Macht in Russland liege bei dem
dem Präsidenten und dem Ministerpräsi-
denten sein. Dies allerdings weniger auf-
grund der formalen Aufteilung der Kompe-                      weniger Machtfülle ausgestattet. Der Präsi-
                                                              dent kann nach den Regeln der Verfassung
tenzen25 zwischen den Organen der                             alle Regierungsentscheidungen aufheben
                                                              und den Kabinettssitzungen vorstehen.
                                                              Darüber hinaus ist der Ministerpräsident
23 Für die Bundesrepublik ist bspw. ein Ab-                   einzig vom Vertrauen des Präsidenten und
   schied von einer so wichtigen politischen                  nicht von der Parlamentsmehrheit abhän-
   Weichenstellung wie der von Konrad Ade-                    gig. Der Präsident hat zudem das Recht,
   nauer gewählten Westorientierung kaum                      den Ministerpräsidenten und die gesamte
   vorstellbar; eine Abkehr von dem sogar in                  Regierung jederzeit von der Verantwortung
   der Verfassung verankerten Prinzip der so-                 zu entbinden und zu entlassen. Zudem hat
   zialen Marktwirtschaft ist hingegen gar nicht              sich der Präsident im Januar 1994 auch alle
   vorstellbar.                                               relevanten Ministerien unterstellt: Außen-,
24 Darüber scheint man sich auch unter den                    Verteidigungs-, Innen-, Justizministerium,
   europäischen Außenministern im Klaren zu                   die Direktoren des Inlands- und des Aus-
   sein. Sowohl bei Außenminister Steinmeier,                 landsgeheimdienstes (FSB, SVR), aber
   als auch in dem Brief des britischen und                   auch des militärischen Aufklärungsdienstes
   des französischen Außenministers folgte                    (GRU). Das Amt des Ministerpräsidenten
   daher auf die positiv-hoffnungsvollen Ein-                 wird daher in den meisten Analysen als ei-
   schätzungen der Hinweis, dass Russland                     ne koordinierende und ausführende Funkti-
   nicht an Worten, sondern an Taten zu mes-                  on, nicht aber eine von machtpolitischer
   sen sei. Vgl. dazu Busse, Nikolas, Mit Neu-                und gestaltender Bedeutung gesehen. Vgl.
   gier und gewachsenem Selbstbewusstsein,                    stellvertretend Mommsen, Margareta, Das
   in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 31.03.                 politische System Russlands, in: Ismayr,
   2008, S. 6.                                                Wolfgang (Hrsg.), Die politischen Systeme
25 Formal ist das Amt des Ministerpräsidenten                 Osteuropas, 2. Aufl., Opladen 2004, S. 373-
   gegenüber dem Präsidenten eindeutig mit                    427.

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    Präsidenten,26 könnte als erstes An-                        weniger politischer Verfügungsgewalt
    zeichen für ein solches Vorhaben zu                         ausgestatteten und daher unbeliebten
    werten sein. Der Logik „personalisier-                      Amt zurückziehen.
    ter Macht“27 folgend, würde es dann für                 -   Bei dem zweiten Szenario „Langfristi-
    Dmitrij Medwedew nahe liegen, das                           ges Tandem“ würden beide gemein-
    vorige Regime unter Putin abzulehnen                        sam ein Tandem bilden, wobei als Va-
    und zum Sündenbock für alle Fehlent-                        rianten ein funktionierendes Teamwork
    wicklungen unter seiner Präsident-                          oder ein neuer Machtdualismus an der
    schaft zu machen. Eine zweite Mög-                          Spitze vorstellbar sind. Bei der Team-
    lichkeit in diesem Szenario könnte a-                       work-Variante würden beide Akteure
    ber auch in einem kurzfristigen Füh-                        an einem Strang ziehen, d.h. als Prä-
    rungstandem mit Dmitrij Medwedew                            sident und als Vorsitzender der Regie-
    als Präsident und Wladimir Putin als                        rung ein gemeinsames inhaltliches
    loyalem Ministerpräsident in der Rol-                       Programm verfolgen und umsetzen.
    lenverteilung, wie sie die Verfassung                       Die Voraussetzungen dafür (Mehrheit
    der Russischen Föderation von 1993                          in der Duma, gemeinsame strategi-
    vorsieht, bestehen. Wladimir Putin                          sche Ziele und politische Anliegen bei-
    würde dabei durch seine Kontrolle ü-                        der Personen) scheinen prinzipiell
    ber die Geheimdienste dafür sorgen,                         durchaus gegeben zu sein.28 Eine Ab-
    dass dieses Manko sich nicht als                            stimmung zwischen den beiden Per-
    Nachteil für den neuen Präsidenten                          sonen könnte jedoch nicht immer mög-
    auswirken würde. Zugleich würde dies                        lich sein und die beiden Akteure könn-
    für die anderen Elitengruppierungen                         ten daher im Einzelfall unterschiedliche
    bedeuten, dass der neue Präsident                           Ziele verfolgen. So könnte es auch zu
    nicht ausschließlich die Interessen und                     Unklarheiten hinsichtlich der obersten
    Anliegen der „Petersburger“ bzw. der                        Autorität und Entscheidungsgewalt und
    liberalen Reformer verfolgt und dass                        in Folge zu einem neuen Machtdua-
    sie in Folge der Nachfolgeentschei-                         lismus und einer Lähmung der Macht
    dung Putins für Medwedew nicht gänz-                        kommen.
    lich marginalisiert werden. So bald                     -   Als dritte Möglichkeit kommt schließ-
    Medwedew seine eigene Machtpositi-                          lich das Szenario „Tandem und Med-
    on an der Spitze durch die Vergabe                          wedew als schwacher oder gelenkter
    von Pfründen weit genug stabilisiert                        Präsident“ in Frage, wobei auch hier
    hätte, könnte Putin sich aus dem mit                        zwei Varianten denkbar sind. In der
                                                                ersten könnte Putin durch eine Verla-
26 Vgl. dazu das bereits angeführte Interview                   gerung von Kompetenzen den Posten
   aus dem Februar 2008 mit dem Politikma-                      des Ministerpräsidenten aufwerten und
   gazin „Itogi“, in dem Medwedew gesagt hat-
   te, dass es keine zwei, drei oder fünf                       so die politische Macht an sich ziehen.
   Machtzentren gebe, Russland vom Präsi-                       Medwedew wäre dann eher für reprä-
   denten verwaltet werde und es laut Verfas-
   sung nur einen geben könne. In diesem
   Gespräch hatte sich Medwedew auch dazu                   28 Eventuell könnte es bei dieser Variante
   bekannt, dass Russland nur mit Hilfe einer                  auch zu einer Verlagerung größerer Kom-
   starken Präsidialmacht verwaltet werden                     petenzen in das Weiße Haus kommen und
   könne.                                                      als Folge des erfolgreichen Zusammenwir-
27 Vgl. dazu Schewzowa, Lilija, Der Schein                     kens, rein theoretisch, auch dazu, dass in
   trügt, in: Internationale Politik, 63. Jahr-                den Augen der Bevölkerung etwas von dem
   gang, Februar 2008, S. 8-18, hier S. 18.                    Ansehen für die Institution und das Amt des
   Vgl. auch Rahr, Alexander, Putin und Med-                   Präsidenten auf das Amt des Ministerpräsi-
   wedew. Wer regiert?, in: Internationale Poli-               denten und das Parlament übergehen
   tik, 63. Jahrgang, Februar 2008, S. 19-25.                  könnte.

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    sentative Zwecke zuständig, während                      auch noch keines als gänzlich unwahr-
    die politischen und wirtschaftlichen                     scheinlich ausgeschlossen werden. Die
    Entscheidungen von Tragweite von der                     Szenarien 1.2 und 2.1. (kurzfristiges Tan-
    Regierung bestimmt würden. Putin                         dem und starker Präsident Medwedew /
    würde in dieser Variante de facto aus                    langfristiges Tandem als Teamwork)
    dem Weißen Haus weiterregieren.                          scheinen jedoch nach den bisherigen Ein-
    In der zweiten Variante würde Dmitrij                    drücken und Äußerungen Putins und
    Medwedew sein Amt vielleicht sogar                       Medwedews am ehesten die von den bei-
    nur für einige Monate ausüben und                        den Akteuren ursprünglich intendierten zu
    nach kurzer Zeit zurücktreten. Bei den                   sein, denn nach der Logik der gelenkten
    erneuten Wahlen zum Präsidenten                          Demokratie ist anzunehmen, dass die bei-
    könnte sich Wladimir Putin aus forma-                    den Akteure sich vorab verbindlich auf ei-
    len Gründen wieder erneut um die Zu-                     ne Aufgabenteilung geeinigt haben. Die
    stimmung durch das russische Volk                        übrigen Szenarien, d.h. ein Verdrängen
    bewerben, das ihn ohnehin weiter im                      Putins durch Medwedew nach kurzer Zeit,
    Kreml sehen wollte.                                      ein neuer Machtdualismus an der Spitze
Zur Zeit lassen sich durchaus Indizien fin-                  oder die Möglichkeit eines schwachen und
den, die für jedes der einzelnen drei Sze-                   gelenkten Präsidenten, scheinen hingegen
narien sprechen.29 Daher kann prinzipiell                    eher als prinzipiell mögliche, aber unbeab-
                                                             sichtigte Entwicklungen in Frage zu kom-
                                                             men.
29 Als Indizien für eine starke Machtstellung
                                                                Die Chance, dass der Reformer Med-
   als Präsident, die von Medwedew ange-
   strebt wird, kann etwa auf das bereits zitier-            wedew seine Ziele ohne größere Beein-
   te Itogi-Interview verwiesen werden, in dem               flussung durchsetzen könnte, wäre insge-
   er gesagt hat, dass es in Russland auch                   samt aber nur im ersten Szenario gege-
   weiterhin nur ein Machtzentrum geben wer-
                                                             ben. Das zweite Szenario würde bereits
   de. Für ein Tandem spricht, dass die bei-
   den Akteure bislang noch eine gemeinsame                  bedeuten, dass er Abstriche von seinen
   Agenda, wenn auch mit unterschiedlichen                   politischen Zielen machen müsste. Im drit-
   Akzenten, verfolgen. Für das dritte Szena-                ten Szenario wäre hingegen nur von einer
   rio oder einen neuen Machtdualismus spre-
   chen die Kür Putins zum Vorsitzenden der
                                                             sehr eingeschränkten oder gar nur vorü-
   Partei Einiges Russland, die Verwaltungs-                 bergehenden Einflussnahme des neuen
   reform auf föderaler Ebene (Unterstellung                 Präsidenten auszugehen.
   von Filialen der Bundesbehörden unter die
   Gouverneure, Recht zur Ernennung und
   Überwachung der Gouverneure durch den                     3.2. Der neue Präsident und die alten
   Ministerpräsidenten, Neubestimmung des                    Seilschaften
   Zuständigkeitsbereichs der sieben Bevoll-                 Neben dem zukünftigen Verhältnis von
   mächtigten des Präsidenten in den Föde-
   ralbezirken und Unterstellung unter den Mi-               Präsident und Ministerpräsident Russ-
   nisterpräsidenten bzw. die Regierung). Als                lands gibt es eine weitere informelle Rah-
   Parteivorsitzender von Einiges Russland                   menbedingung, die von entscheidender
   mit direktem Zugriff auf die Zweidrittel-
                                                             Bedeutung dafür sein wird, welche Hand-
   mehrheit in der Duma, dem Föderationsrat
   sowie in den regionalen Parlamenten, der                  lungskorridore Dmitrij Medwedew als neu-
   Kontrolle über die Gouverneure in den Re-                 em Herrn im Kreml offenstehen oder ver-
   gionen, der Kontrolle über die wichtigen                  sperrt bleiben werden. Mit größter Wahr-
   Geheimdienste sowie der Kontrolle über die
                                                             scheinlichkeit wird unter Medwedew auch
   Geheimdienste verfügt Putin damit über ei-
   ne machtpolitisch eindeutig aufgewertete
   Position als Ministerpräsident. Vgl. FAZ,                   analysis/20080408/104060504-print.html).
   29.03.2008, S. 7. Vgl. auch RIA Nowosti,                    Vgl. auch FAZ, 11.04.2008, S. 7: Kleiner
   08.04.2008: „Kommersant“: Tritt Medwe-                      Umbau, große Wirkung. Russlands Präsi-
   dew vorzeitig zurück? (http://de.rian.ru/                   dent verliert Macht.

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die Existenz von Einflussgruppen inner-                    hörten und zum anderen mehrere Grup-
halb der politischen Eliten, sprich: die E-                pierungen, die sich aus administrativen,
xistenz von miteinander konkurrierenden                    bürokratischen oder wirtschaftlichen Eliten
Elitengruppierungen nichts an ihrer Be-                    zusammensetzen. Für die Jelzin-Zeit wur-
deutung einbüßen. Diese Gruppierungen                      de z.B. eine Gruppe von Eliten (Alexander
haben bei vielen Entscheidungen großen                     Woloschin, Michail Kasjanow, Roman
Einfluss auf die Politik von Präsident Putin               Abramowitsch, Oleg Deripaska), die sich
gehabt und die unterschiedlichen Positio-                  um die Familie Boris Jelzins gruppierte,
nen und Zielrichtungen mussten durch den                   als „Familie“ bezeichnet. Nachdem sich
Präsidenten immer wieder aufs Neue un-                     Wladmir Putin jedoch gegen diese Eliten-
tereinander austariert werden.30                           gruppierung durchsetzen bzw. von ihrem
    Dieses Phänomen, das von Soziologen                    Einfluss lösen konnte, wird meist von den
auch als „kompetitive Oligarchie“ oder „bü-                „Silowiki“, den wirtschaftsliberalen „Refor-
rokratischer Pluralismus“ bezeichnet wor-                  mern bzw. Juristen aus St. Petersburg“,
den ist und das es bereits zu Sowjetzeiten                 den „Oligarchen“ und „regionalen Führern“
gab,31 zeichnet sich durch informelle Seil-                als nach wie vor existierenden Gruppie-
schaften aus, die die Politik – wenn auch                  rungen ausgegangen.32
in wechselnder Zusammensetzung – so-                           Wollte Medwedew den Einfluss dieser
wohl unter Jelzin als auch unter Putin hin-                Elitengruppierungen per se auf ein für de-
ter den Kulissen entscheidend beeinfluss-                  mokratische Verhältnisse normales Maß
ten und beeinflussen. Zu unterscheiden                     zurückschneiden, müsste er sich von dem
sind zum einen ein innerer Zirkel der                      System der gelenkten Demokratie als sol-
Macht, dem zu Beginn der ersten Amtszeit                   chem (siehe dazu den nächsten Abschnitt)
Wladimir Putins frühere Weggefährten aus                   verabschieden. Will er sich hingegen nicht
Geheimdienst und seiner Zeit in der Pe-                    von diesem System entfernen, sondern es
tersburger Stadtverwaltung wie Dmitrij                     beibehalten, so folgt daraus zwingend,
Medwedew, Igor Setschin, German Gref,                      dass er nicht eine Politik verfolgen kann,
Wiktor Iwanow und Sergej Iwanow ange-                      die ausschließlich den Interessen und Po-
                                                           sitionen einer einzelnen Gruppierung ent-
30 Als eines der wichtigsten Beispiele für den
                                                           gegenkommt. Vielmehr muss er dann –
   Einfluss der Elitenzirkel auf Entscheidungen            wie vor ihm Putin – zum einen auch die In-
   des Präsidenten können der Druck auf Pu-                teressen der anderen Gruppierungen be-
   tin, im Amt zu bleiben, sowie die letztliche            rücksichtigen und zum anderen muss er
   Entscheidung Putins in der Frage, welchen
   der möglichen Nachfolger für das Amt des                dann in den stets hinter den Kulissen ab-
   Präsidenten er in seiner Kandidatur unter-              laufenden Auseinandersetzungen zwi-
   stützen solle, angeführt werden. Demnach                schen den unterschiedlichen Gruppierun-
   ist die Entscheidung für Medwedew und                   gen vermitteln bzw. als Schiedsrichter
   das Verbleiben Putins in der Regierung
   Russlands in aller erster Linie auf das                 fungieren, es sei denn Putin übernimmt für
   Betreiben von Elitengruppierungen und der               ihn diese Funktion. Dies jedoch bedeutet
   Bürokratie zurückzuführen, die eine Minde-
   rung ihrer Macht und Einkommensmöglich-
   keiten nicht hinnehmen wollten. Dies ver-               32 Vgl. Mommsen, Margareta/ Nußberger, An-
   deutlicht zugleich, dass die formale Macht                 gelika, Das System Putin, S. 64-75. Vgl.
   des Präsidenten sich in der Praxis erheblich               auch Schneider, Eberhard, Zu Geschichte
   reduziert. Vgl. dazu Götz, Roland, Putins                  und politischen Voraussetzungen von Par-
   Nachfolge: Rückschritt oder Fortentwick-                   laments- und Präsidentschaftswahlen in
   lung des politischen Systems, SWP-                         Russland, in: Europäische Akademie Berlin
   Diskussionspapier, 14.10.2007, S. 3.                       (Hrsg.), Russland vor den Duma- und Prä-
31 Vgl. Mommsen, Margareta/ Nußberger, An-                    sidentschaftswahlen und die Konsequen-
   gelika, Das System Putin, München 2007,                    zen für das Verhältnis zur Europäischen
   S. 63-65.                                                  Union, Berlin 2003, S. 18-33.

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