Kinder und Familien im Zentrum
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Early Excellence Fachkongress Frankfurt am Main Kinder und Familien im Zentrum Dokumentation des Fachkongresses vom 21. März 2013 Dezernat Bildung und Frauen
Wir danken der Heinz und Heide Dürr Stiftung für die freundliche Unterstützung bei der Durch- führung des EEC-Fachkongresses. IMPRESSUM Der Magistrat – Stadtschulamt 40.S2 Bürgerservice Seehofstraße 41 60594 Frankfurt am Main Telefon: +49 (0)69 212 33891 Telefax: +49 (0)69 212 37852 E-Mail: verwaltung.amt40@stadt-frankfurt.de Internet: http://www.stadtschulamt.stadt-frankfurt.de Bezugsadresse Telefon: +49 (0)69 212 70399, 35682 Telefax: +49 (0)69 212 46346 E-Mail: 40.51-Servicestelle.Amt40@stadt-frankfurt.de Internet: http://www.stadtschulamt.stadt-frankfurt.de Redaktion Olga Wilewald, Kai Wagner, Sabine Emmert Lektorat Sabine Büsgen Gestaltung Petra Bruder Druck Druck- und Verlagshaus Zarbock Alle Rechte vorbehalten ©2014 Stadt Frankfurt am Main F OTOS Petra Bruder Barbara Brehler-Wald Sanny Meyer klimaneutral natureOffice.com | DE-140-175056 gedruckt 2
INHALTSVERZEICHNIS VORWORT – Ute Sauer5 BEGRÜSSUNG – Sarah Sorge 7 KINDER UND FAMILIEN IM ZENTRUM – Dr. Margy Whalley 10 UNGLEICHE BILDUNGSCHANCEN. SOZIALWISSENSCHAFTLICHE ÜBERLEGUNGEN ZUM EARLY EXCELLENCE-ANSATZ – Prof. Dr. Tanja Betz 22 ZWISCHENRUF DES „HAUSMEISTERS“ – Sigi Herold 29 THEMENIMPULSE I. Der Blick auf das Kind 1a. Die Pädagogischen Strategien: Erziehungsstile und die Haltung der Erziehenden 30 1b. Die Pädagogischen Strategien: Erziehungsstile und die Haltung der Erziehenden 31 2. Vorurteilsbewusste Erziehung – Vorurteilsfreiheit, ein unrealistisches Ziel? 32 3. Einführung in einen EEC-Schwerpunkt: das EEC Beobachtungssystem – emotionales Wohlbefinden, Engagiertheit, Schemata, Bildungsbereiche 34 II. Eltern in Erziehungspartnerschaft 6. Zusammenarbeit mit Eltern auf Augenhöhe 36 7. D er Early Excellence Ansatz – ein Weg zur partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit Eltern 38 8. Interkulturelle Väterbeteiligung im Kinder- und Familienzentrum Fechenheim und KiFaZ Nordwest 40 9. Beobachtung mit und durch Eltern als Instrument der Entwicklungsbegleitung 42 III. Die Mitarbeiter/innen 10. Der positive Blick auf Mitarbeiterinnen – ressourcenorientierte Teambildung 45 11. EEC im Kita-Alltag – die Rolle der Erzieherin 48 12. Koordination im Kinder- und Familienzentrum – ein vielfältiges Arbeitsfeld 49 IV. Sozialraumorientierung 14. Die Bedeutung vernetzter Angebote für Familien 51 15. „ Jedes Quartier ist exzellent“ – projekt- und ressourcenorientierte Netzwerkarbeit unter Berücksichtigung des Early- Excellence-Ansatzes 54 16. Frühe Hilfen – die Bedeutung von Familienzentren als Anbindungsorte für Familien in besonders belasteten Lebenssituationen 56 V. KiFaZ – Struktur und Strategie 17. Das KiFaZ-Modell in Frankfurt am Main 58 18. „...und eine Tasse Kaffee.“ Rezepte für eine gelingende Familienbildung in Kinder- und Familienzentren 61 19. „Von der Kita zum Familienzentrum“ – Erfahrungen und erste Ergebnisse des Programms der Stadt Hannover 62 20. „ Begegnung mit positivem Blick“ – Zusammenarbeit mit Erziehungsberatung im Familienzentrum 65 BILDERGALERIE 67 EARLY EXCELLENCE – EIN ERFOLGSMODELL – Prof. Dr. Sabine Hebenstreit-Müller 68 ABSCHLUSSRUNDE 75 AUSWERTUNG DES GESAMTEINDRUCKS 79 BILDERGALERIE 80 DIE EEC-FACHKONGRESS-VORBEREITUNGSGRUPPE 82 Early-Excellence-Fachkongress Frankfurt am Main 3
VORWORT Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Early Excellence-Fach kongresses Frankfurt am Main, als die Planung und Vorbereitung des Early-Excellence-Fachkon- gresses in Frankfurt am Main aufgenommen wurde, erwarteten wir, dass das Thema insbesondere auch bei den pädagogischen Fachkräften der Kinder- und Familienzentren von Interesse sein würde. Dass der Fachkongress ein so deutlicher Erfolg werden würde, damit hatten wir als Veranstalter nicht gerechnet und waren entsprechend erfreut über die große Resonanz. Mit über 380 Fachbesucherinnen und Fachbesuchern war der Veranstaltungsort Haus Gallus bis auf den letzten Platz ausgelastet. Es hat mich sehr gefreut, dass Menschen aus Stuttgart, München, Berlin, Dresden, Leipzig bis hin nach Achim in Schleswig-Holstein und sogar aus Österreich den Weg zu uns nach Frankfurt gefunden haben. Dies zeigt, dass sich der EEC-Ansatz, der konsequent die Arbeit am Kind, die Einbindung der ganzen Familie und die Vernetzung im Gemeinwesen integriert, bundesweit – und darüber hinaus – auf großes Interesse stößt. Mit dem Kongressangebot lagen wir somit genau am Puls der fachlichen Entwicklung. Frau Dr. Margy Whalley, die aus England anreiste, war sicherlich neben den weiteren hochkarä- tigen Referentinnen und Referenten einer der Magneten des Kongresses. Durch ihren lebhaften und inspirierenden Vortrag über die Entwicklung des Pen Green Centre Corby schaffte sie es, für die Arbeit in Einrichtungen zu begeistern, die es sich zur Aufgabe gemachte haben, Zentren nicht nur für Kinder, sondern für die ganze Familie zu sein. Corby ist das Modell für die in Deutschland entwickelten Familienzentren, die nach dem Early Excellence-Ansatz arbeiten. In ihnen werden die Anliegen von Familien und Fachöffentlichkeit nach hochwertiger Kinder tagesbetreuung, Beratung, Bildung, Kultur und Unterstützung der Eigeninitiative im Sozialraum von den Verantwortlichen in Bildungspolitik und Jugendhilfe ernst genommen und befördert. Dass es richtig war, all dies in unser Konzept der Frankfurter Kinder- und Familienzentren, dem Zusammenschluss von Kita und Familienbildung, aufzunehmen, wurde durch den Vortrag von Frau Whalley, aber auch durch die Vorträge von Professorin Hebenstreit-Müller und Professorin Tanja Betz bestätigt. Die Vielfalt der Themenimpulse am Nachmittag des Kongresses, für die zahlreiche EEC-Exper- tinnen und -Experten der ganzen Bundesrepublik gewonnen werden konnten, zeigte auch, dass Frankfurt im fachlichen Netzwerk gut verankert ist. Beim Abschlusspodium, bei dem verschiedene Regionen vertreten waren, Frau Professorin Hebenstreit-Müller für Berlin, Frau Entzmann für Baden-Württemberg, Herr Schenk für Nieder sachen, Frau Professorin Meier-Gräwe für Hessen, Frau Ripperger für Frankfurt am Main und Frau Baumgarten für die Heinz und Heide Dürr Stiftung, wurde deutlich, dass, trotz aller erforderlichen regionalen Unterschiede und individueller Strukturen familienintegrierender Zentren, ein globaler roter Faden für die Arbeit mit Kindern und ihren Familien in seiner Bedeutung zu erkennen ist: Alle Modelle von Familienzentren sollen sich durch die gleiche Haltung zum Kind als aktiv lernendes Individuum und zur Familie als aktive Gestaltungseinheit des eigenen Umfeldes auszeichnen. Dass neben den Fachleuten aus nah und fern sogar ein „Hausmeister“ die richtigen Rückschlüsse aus dem EEC-Ansatz ziehen konnte, beweist die hohe integrierende Wirkung des Ansatzes, die in satirischer Weise durch unseren „Hausmeister“ Sigi Herold dargestellt wurde. Dass dies eines der Kongresshighlights neben den Hauptvorträgen war, ist nicht nur durch das begeisterte Lachen im Saal, sondern auch durch die Rückmeldungen zum Kongress deutlich geworden. Early-Excellence-Fachkongress Frankfurt am Main 5
Durch die hohe Rücklaufquote des Feedbackbogens zum Kongress wissen wir, dass nicht nur die Frankfurter Akteure der Kinder- und Familienzentren einen hohen Zuspruch für ihre Arbeit durch den EEC-Kongress erfahren haben, sondern auch die Kongressteilnehmer aus anderen Städten und Kommunen Bestätigung und Inspiration für ihren Weg der Familienzentren und Arbeit in den Kitas mitgenommen haben. Mein besonderer Dank gilt den Hauptreferentinnen für ihre inspirierenden Vorträge, den vielen engagierten Themenimpuls-Referentinnen und -Referenten, dem Frankfurter Bündnis für Familie und dem Caritas-Verband für den unvergesslichen bunten Frankfurter Abend, der für viele der perfekte Einstieg in den Kongress war, Frau Fuhrmann, die den Tag großartig moderiert hat, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Monikahauses für die räumliche Unterstützung des Kon- gresses, der Schulleiterin und dem Kollegium der Günderrodeschule, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Frankfurter Kinder- und Familienzentren für die personelle Unterstützung und last but not least, der Heinz und Heide Dürr Stiftung, die auf dem Kongress durch Frau Isa Baumgar- ten vertreten war, für die großzügige Unterstützung des Kongresses. Ganz herzlich möchte ich mich bei der trägerübergreifenden Kongressvorbereitungsgruppe für die professionelle und kreative Planung bedanken, ohne die der gelungene Kongress so nicht reali- sierbar gewesen wäre. Besonders beeindruckt hat mich die Produktivität des einjährigen Prozes- ses, aus dem der KiFaZ-Film und die Broschüre über die Frankfurter Kinder- und Familienzentren hervorgegangen sind. Ich hoffe, dass Sie mit unserer Kongressdokumentation die beeindruckende Themenvielfalt des Kongresses nochmals Revue passieren lassen und Ihre fachlichen Betrachtungen vertiefen können. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine spannende Lektüre. Ihre Ute Sauer Leiterin des Stadtschulamtes Frankfurt am Main 6 Early-Excellence-Fachkongress Frankfurt am Main
BEGRÜSSUNG Sarah Sorge Dezernentin für Bildung und Frauen Sehr geehrte Damen und Herren, wir freuen uns sehr, dass so viele unter- schiedliche Akteure aus den Bereichen der Verwaltung, der Politik, aus Fachdiensten wie Familienbildung und Erziehungsbera- tung, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Kindertageseinrichtungen und Kinder- und Familienzentren aus ganz Deutschland und fordern, diese auch bekommen können, Österreich gekommen sind, die zum Teil ist ein wesentlicher Grundpfeiler in der im sehr weite Anreise in Kauf genommen ha- EEC-Ansatz implizierten Haltung gegenüber ben, um sich fachlich inspirieren zu lassen Familien. und sich auszutauschen. Die konsequent positive Haltung und die Wie stark der Early-Excellence-Centre-An- an den Ressourcen der Kinder und Familien satz in der fachlichen Öffentlichkeit von ansetzende Pädagogik ist es wahrscheinlich, Interesse ist, konnten auch die für die Or- was Sie als Besucher und Akteurinnen auf ganisation des heutigen Tages zuständigen diesem Fachkongress besonders angespro- Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter feststellen, chen hat und weshalb Sie heute Teil dieses die berichtet haben, dass der Kongress, der fachlichen Austausches sind. mit 380 Teilnehmern bereits groß geplant war, schon nach einem Monat vollständig Auch wir in der Stadt Frankfurt am Main ausgebucht war. wurden schon recht früh, vor mehr als 12 Jahren, von dem Konzept der britischen Es stellt sich die Frage: Was ist es, was Early Excellence Centre und der dahinterste- diesen aus England stammenden Ansatz henden positiven Grundhaltung gegenüber für Sie, aber auch für andere so interessant Kindern und Familien inspiriert: Die großar- macht? Wer sich mit den Leitsätzen des tige Idee, an den Bedürfnissen von Familien EEC-Ansatzes auseinandersetzt, bemerkt ansetzend Angebote der Elternbildung, sehr bald, dass man es hier mit einem sehr Beratung, der Gesundheitsdienste sowie der umfassenden pädagogischen Konzept zu Freizeitgestaltung an hochwertige institu- tun hat, das Kinder mit Ihren Kompetenzen, tionelle Betreuungsangebote für Kinder aber auch Bedürfnissen in den Blick nimmt anzuknüpfen, wurde hier mit Begeisterung und vor allem an deren individuelle Lern- aufgenommen. Familien da zu erreichen, prozesse anknüpft. Nicht nur die Kinder, wo sie sind, schien auch für uns einfach und auch die Eltern, die ganze Familie und genial zu sein. deren soziales und gesellschaftliches Um- feld werden im EEC-Ansatz als systemische Frankfurt ist die Stadt mit dem größten Einheit begriffen und deutlich in die päda- Geburtenzuwachs in Deutschland und mit gogische Betrachtung aufgenommen. einem deutlichen Bevölkerungswachstum. Die Stadt verfügt über eine kulturelle Viel- Im EEC-Ansatz werden die Eltern als die falt wie keine andere deutsche Großstadt. ersten und wichtigsten Experten ihrer Kinder Gerade Kinder und ihre Familien, egal anerkannt. Sie in ihrer Erziehungskompetenz welcher Herkunft, sind eine Bereicherung zu stärken und sie in die Bildungsprozesse für unsere Stadt, denn durch die Familien, ihrer Kinder einzubeziehen, wird als Grund- und insbesondere durch die Kinder, ist lage einer erfolgreichen pädagogischen unsere Stadt lebendig und vielfältig. In der Arbeit gesehen. Es ist zu akzeptieren und Vielfalt unserer Kinder liegen unendlich anzuerkennen, dass Eltern ihre Kinder am viele Chancen. Sie zu nutzen, empfinde besten fördern, bilden und erziehen kön- ich als eine der wichtigsten sozial-, inte nen. Eltern zu vermitteln, dass sie dazu in grations- und bildungspolitischen Aufgaben der Lage sind und dort, wo sie Hilfe ein- überhaupt. Early-Excellence-Fachkongress Frankfurt am Main 7
Es begann mit einer Reise – Berücksichtigung der Sozialberichterstattung der Stadt Frankfurt am Main Zug um Zug im Jahr 2001 wurden erste nachhaltig posi- weitere Kinder- und Familienzentren an den tive Eindrücke von unseren pädagogischen Start gegangen. Mitarbeitern der Stadtverwaltung in Corby in England gesammelt. Diese Erfahrungen Um Bildungsungleichheiten entgegenzu wurden in die Debatte über erfolgreiche wirken, sind die Frankfurter Kinder- und neue Konzepte der frühkindlichen Bildung Familienzentren in Stadtteilen mit besonde- eingespeist. In dieser Zeit enstand die Idee, rem Entwicklungsbedarf entstanden. nach dem Vorbild der englischen Zentren, später auch an der EEC-Entwicklung des Unsere Kinder- und Familienzentren sind ein Berliner Pestalozzi-Fröbel-Hauses anknüp- sehr wichtiger Baustein der Weiterentwick- fend, ein Modellprojekt der frühkindlichen lung unseres Bildungs- und Betreuungsan- Bildung, Erziehung und Familienarbeit in gebots. Kinder- und Familienzenten, kurz Frankfurt zu entwickeln. KiFaZe, bieten den individuellen Bildungs- prozessen der Kinder einen angemessen Platz, beziehen die Eltern in ihre Arbeit ein und wertschätzen die Eltern als Expertinnen und Experten für ihre Kinder. KiFaZe bieten niedrigschwellige und be- darfsgerechte Bildungs- und Förderangebote für Kinder und Familien, die sich auch an deren kulturellen und sprachlichen Unter- schiedlichkeiten orientieren. Dabei ist es un- ser Ziel, die Eltern bei der Kinderbetreuung mit einzubeziehen. Denn nur so ist die Bil- dung und Förderung der Kinder auf Dauer möglich und wirkungsvoll. Ohne Eltern geht Im lebhaften fachlichen Austausch des nichts, erst recht nicht in Familien, in denen Magistrats mit einer breiten Trägerschaft die Bildung nicht oberste Priorität hat. im Kitabereich ging im Jahr 2006 das erste städtisch geförderte Kinder- und Familienzentrum an den Start, für das der Sozialpädagogische Verein zur familiener- gänzenden Erziehung zusammen mit der Familienbildungsstätte des Familiengesund- heitszentrums ein an den Early Excellence Ansatz angelehntes Konzept vorlegte. Da dieses Konzept auch den Ideen der Stadt und des Jugendhilfeausschusses für das bereits erwähnte innovative Modellpro- jekt entsprach, bekam das Projekt eine im gemeinsamen Austausch zwischen Träger und Stadt festgelegte Förderung, die auch heute noch Grundlage für alle Kinder- und Kinder- und Familienzentren fördern Familienzentren ist. Familienkompetenzen und unterstützen Kinder bei ihren ersten Schritten auf ihrem Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bildungsweg. Die KiFaZe bieten, neben Stadtschulamtes haben im Nachgang zur guter Bildung und Betreuung für Kinder, Inbetriebnahme des ersten Kinder- und auch Begegnungs-, Bildungs- und Unter- Familienzentrums und unter der fachli- stützungs-Angebote für Eltern, Familien und chen Beteiligung verschiedener städtischer interessierte Menschen aus dem Stadtteil. Gremien und des Frankfurter Bündnisses für Damit sind wir nah dran an dem afrika- Familien ein Rahmenkonzept zur Förderung nischen Sprichwort, dass es, um ein Kind weiterer Kinder- und Familienzentren an- zu erziehen, ein ganzes Dorf braucht. Auf gelehnt an die Prinzipien des EEC-Ansatzes Frankfurt bezogen, ist das eben ein ganzer entwickelt. Auf dessen Grundlage sind unter Stadtteil inklusive eines KiFaZ. 8 Early-Excellence-Fachkongress Frankfurt am Main
Die Kinder- und Familienzentren in Frank- Daher haben sich Magistrat und Politik in furt am Main setzen in ihrer Unterstützung der Stadt trotz aller Sparzwänge schon seit schon frühzeitig an: in der Elternzeit, bereits Jahren für mehr Qualität in der frühkind- ab der Schwangerschaft mit Geburtsvorbe- lichen Bildung eingesetzt und diese finan- reitung, dann mit Eltern-Kind-Gruppen und ziert. So hat Frankfurt am Main hessenweit mit einer institutionellen Betreuungsmög- die kleinsten Gruppengrößen und den lichkeit, im Bedarfsfall ab der 8. Lebens besten Fachkraftschlüssel in Kindertages- woche. einrichtungen. Neben dieser generellen Verbesserung im Fachkraftbereich wurden Ganz im Sinne der Early Excellence Centre in Stadtteilen mit verdichteten sozialen Pro werden, an den Bedarfslagen der Familien blemlagen außerdem flächendeckend Kitas angelehnt, auch immer mehr Erziehungsbe- in eine städtische Förderung des Besonde- ratungsstellen in die vertraglichen Koope- ren Förderauftrags aufgenommen, der eine rationen der Kinder- und Familienzentren weitere Verbesserung für die Arbeit mit den aufgenommen, da erkannt wurde, dass Kindern und deren Familien bedeutete. in Zeiten der verunsicherten Erziehungs- leitbilder für Eltern eine niedrigschwellige Auch die Einführung des neuen Kinder Form der Erziehungsberatung für Eltern und förderungsgesetzes wird für uns in Frank- pädagogische Fachkräfte in der Kita oft furt an dieser Haltung und Qualität nichts unabdingbar ist. verändern. Kinder- und Familienzentren sind die konsequente Verwirklichung einer solchen Politik der Förderung von Kindern, die die Eltern als Experten ihrer Kinder weit mehr in den Fokus rückt, als in der Regeleinrich- tung bisher zu leisten war. Dass dies Früchte zeigt, hat auch die britische EPPE-Studie (Effektive Provision of Preschool Education) gezeigt. Diese machte deutlich, dass unab- hängig von der Herkunft und den Bildungs- abschlüssen von Eltern Bindungsqualität, kombiniert mit einer frühen hochwertigen Bildung, für Kinder in vorschulischen Ein- Neben niedrigschwelligen Beratungs- und richtungen, in enger Zusammenarbeit mit Bildungsangeboten für die ganze Familie Eltern- und Familienbildung, zu einer deut- sind die offenen Elterncafés der Frankfurter lichen Verbesserung späterer Schulerfolge Kinder- und Familienzentren der Rahmen für bei Kindern führt. Eltern, untereinander Kontakte zu knüpfen und Bedarfslagen zu artikulieren. Ich danke den Hauptreferentinnen des Tages, Frau Dr. Margy Whalley, Direktorin Heute bekommen 10 Kinder- und Familien- des Pen Green Centre in Corby, Frau Prof. zentren in Frankfurt eine zusätzliche städ- Dr. Hebenstreit-Müller, der Direktorin des tische Förderung von ca. 100.000 € pro Pestalozzi-Fröbel-Hauses, Träger des ersten Jahr. Zwei weitere Zentren werden dieses deutschen Early Excellence Centre und Frau und nächstes Jahr folgen. Prof. Tanja Betz, der Universität Frankfurt sowie den 19 Themenimpulsreferentinnen Mit seiner Förderung für Kinder- und Fami- und -referenten, die Garanten für die hohe lienzentren nimmt Frankfurt am Main damit Fachlichkeit des Frankfurter Kongresses bundesweit einen Spitzenplatz ein. Es ist sind. Außerdem freue ich mich auch, dass Konsens in der Stadt, dass die Förderung die Heinz und Heide Dürr Stiftung diesen von Kindern und Familien, die die wert- Tag so großzügig unterstützt hat. Es ist mir vollste Ressource unserer Gesellschaft sind, eine große Ehre, dass Sie alle diesen Tag schon frühzeitig ansetzten muss und nicht mit uns gestalten, und ich wünsche uns zum Nulltarif zu haben ist. allen einen spannenden Kongress. Early-Excellence-Fachkongress Frankfurt am Main 9
KINDER UND FAMILIEN IM ZENTRUM große Glück, dass ich in Tasmanien, in Ade- laide, in Perth und Neuseeland gearbeitet habe. Und überall sind die Zentren anders, was auch so sein soll, denn die Umsetzung vor Ort lässt sich nicht von Land zu Land übertragen. Ihr braucht hier also etwas ande- res. Alles was ich Euch heute vorstelle, tue ich mit kultureller Demut. Denn Ihr müsst Euch diese Ideen selbst zu eigen machen und an die Gegebenheiten anpassen. Einiges, von dem was ich sage, wird Euch vielleicht nicht gefallen. Und einiges von dem was ich sage, wird hier vielleicht gar nicht funktionieren. Dr. Margy Whalley Auch das ist in Ordnung, denn Corby ist in Director of Pen Green Research Base, vieler Hinsicht anders als Frankfurt. Corby ist Corby ein wunderbarer Ort zum Arbeiten, und ich bin seit dreißig Jahren da. Dieses Jahr am Es ist eine große Ehre und Freude, hier zu 4. Juli bin ich 30 Jahre in Corby. Corby ist sein. Ich habe gestern Abend bereits sehr auch nicht besonders schön, aber es gibt dort viel über Frankfurt gelernt und darüber, wie Menschen, die mit so großer Leidenschaft mit es Euch gelingt, Eure Stadt familienfreundli- Kindern, Familien und Eltern arbeiten und die cher zu machen. Und ich habe auch bereits sich so gut um ihre Kinder kümmern, dass ich Kollegen von hier eingeladen, nach Corby unbedingt bleiben wollte. Davor arbeitete ich zu kommen und uns zu sagen, wie wir Corby in Brasilien, Papua Neuguinea, und in Milton familienfreundlicher machen können. Keynes, einer neuen Stadt in England. Aber Corby war für mich der beste Standort. Da- Ich habe bei dieser Reise schon viel gelernt her werde ich Euch ein bisschen was darüber und hoffe, dass auch das, was ich Euch anzu- erzählen. bieten habe, von Nutzen sein wird. Ich hoffe, dass sich unser Dialog kontinuierlich fort- Kinderzentren. Als die Idee erstmals in den setzen wird und dass einige von Euch nach 30er Jahren in England von Margaret McMil- England kommen und uns besuchen werden. lan entwickelt wurde, nannte man sie Integ- Wir sind nur 1 Stunde und 10 Minuten von rierte Zentren für Kinder und Familie. der Pancras Station in London entfernt. Corby hat jetzt seine eigene Bahnstation, und ich Regierungen denken ja immer gerne, dass sie bin überzeugt, dass wir diese dem Kinderzen- die neuen Ideen erfunden haben. In England trum verdanken. haben wir ständig wechselnde Regierungen, wie bei Euch auch, und jede Regierung hat Mein Vortrag steht unter dem Titel: „Kinder das Bedürfnis, diesen Einrichtungen einen und Eltern als gleichberechtigte und aktive anderen Namen zu geben. Daher hatten Partner in den verschiedenen Formen früh- wir auch in Pen Green viele verschiedene kindlicher Zentren“. Namen. Aber wir haben das Schild drau- ßen vor der Tür nie geändert. Und als mich Ich weiß, dass Ihr hier in Deutschland für jemand fragte: „Was ist denn dieses Pen- Eure Zentren recht unterschiedliche Bezeich- Green-Zentrum?“ antwortete ich: „Das ist der nungen habt. Und ich glaube, das ist auch Straßenname“. Die Straße heißt Pen Green gut so. Denn in jedem Teil Deutschlands und Lane, und so heißt auch das Zentrum. Die in jedem Bundesland, ob Ihr nun in Frankfurt, Labour-Regierung von 1997 nannte unser Stuttgart oder Dresden seid, braucht Ihr eine Zentrum „Early Excellence Centre“, wobei Bil- eigene Vorstellung von dem, was wirklich dung und Tagesbetreuung integriert werden wichtig ist, worauf es ankommt. Ihr braucht sollten. 1999 wurden sie dann in „Sure Start eine eigene Vorgehensweise, Euer eigenes Centres“ umbenannt und 2006 wurden sie Modell. Sie sind vielleicht verschieden, aber dann zu Kinderzentren. In Pen Green haben sie stützen sich auf dasselbe Prinzip. Ich wir nie das Schild ausgetauscht. Es ist einfach spreche hier von einem prinzipienorientierten Pen Green. Ich glaube, Ihr müsst Euch auch Ansatz und dieser ist global. Ich habe das einen Namen geben, der beschreibt, was Ihr 10 Early-Excellence-Fachkongress Frankfurt am Main
tut. Meines Erachtens sollten sie „Zentren für lichst am selben Ort oder wenigstens in sehr Kinder und Familien“ heißen. Denn Winnicott kurzer Entfernung, die mit dem Kinderwagen sagte bereits 1930: Ein Kind für sich alleine zurückzulegen ist, angeboten werden. Und gibt es nicht. Ein Kind steht in einem Bezie- ich denke, in integrierten Zentren für Kinder hungsgeflecht mit wichtigen Erwachsenen. und Familien geht es überhaupt darum, dass Wir müssen uns auf diese einlassen, und sie sich Menschen Gehör verschaffen. Es geht müssen sich als gleichberechtigte Partner füh- darum, dass Ihr Euch Gehör verschafft. Und len. Sie ihrerseits müssen entscheiden, wie sie weil Ihr eine so wichtige Arbeit leistet, braucht mit den Behörden umgehen und wie sie die Ihr Zeit, Zeit zum Denken, Zeit zum Nachden- freiwilligen Angebote nutzen. Nicht ich bin es, ken, Zeit zum Planen und Zeit, um miteinan- die entscheidet, wie die Eltern unser Angebot der zu reden. Ihr braucht eine gute Bezah- anzunehmen haben. Vielmehr müssen die lung und gute Arbeitsbedingungen. Und wir Eltern darüber entscheiden, und auch die müssen dafür sorgen, dass auch die Familien Kinder müssen mitentscheiden. Gehör finden, damit sie sagen können: „Hört auf, uns herumzuschikanieren. Wir möchten Ich bin daher der Überzeugung, dass Ihr mit einer Person an einem Ort zu tun haben. hier in Deutschland an einem erstaunlichen Die Dienstleistungen sollten zu uns kommen. Projekt arbeitet. Es ist ein emanzipatorisches Es sollte nicht nötig sein, dass wir an viele Projekt. Einer meiner Kollegen, Bougue, der verschiedene Türen klopfen müssen.“ Bei den wissenschaftliche Publikationen schreibt, Kindern geht es darum, dass sie das beste, ist der Meinung, dass man, wenn man ein reichhaltigste und tollste Angebot bekom- Projekt beginnt, eine ausgeprägte eman- men, das der Staat sich leisten kann. Ich zipatorische und verantwortungsfördernde beurteile jedes Land, das ich besuche, nach Vision haben sollte. Vor dreißig Jahren, als seinem Angebot für die ärmsten Kinder. Was wir unser Projekt begannen, hatten wir eine nützt das tollste Angebot, wenn es die meis- emanzipatorische Vision, nämlich die Vision, ten Leute im Lande nicht erreicht. Gerade für dass wir die Lebenschancen von Kindern in die ärmsten Gemeinden muss das Angebot sehr armen Gemeinden verbessern könnten, bestmöglich sein. Das ist es, was wir in Corby indem wir Dienstleistungen anbieten, die die versuchen. Wir wollen, dass jedes Kind in Familien unterstützen. Damit hat man im 20. Corby sagen kann: „Das ist mein Kinderzen- Jahrhundert begonnen, und es geht auch im trum“, und dass alle Eltern sagen können: 21. Jahrhundert so weiter. Ich bin sicher, dass „Das ist unser Zentrum“. wir immer wieder neue Vorgehensweisen entdecken werden, auch lange nach meinem Ruhestand. Bougue plädiert sehr stark für diesen Ansatz, aber wenn man keine Vision hat, ist es sehr schwer, etwas zu erreichen. Wenn also Eure Freunde sagen: Du bist verrückt, so viel zu arbeiten, stimmt das nicht. Wenn Eure Freunde sagen: Du bist verrückt, für so wenig Geld zu arbeiten, stimmt das nicht. Denn Ihr tut etwas, das wichtiger ist als Hirnchirurgie oder Ähnliches. Ihr tut etwas, das Kindern die Chance auf einen best- möglichen Start ins Leben gibt. Und sowohl in Deutschland als auch in England gibt es Kinder, die einen sehr unterschiedlichen Start ins Leben haben. Dafür müssen wir etwas Vielleicht liegt mir das so sehr am Herzen, tun. Und deswegen bin ich hier. weil die Leute 1983 als das Zentrum in Corby errichtet werden sollte, gar nicht gefragt wur- Es geht um die Integration von Angeboten. den, was sie eigentlich wollten. Man hat sie Mit den öffentlichen Angeboten können die gar nicht angehört. Aber die Leute in Corby Familien nichts anfangen. Sie wollen einfach sind sehr stark und sehr selbstbewusst. Als ich nicht ihre Geschichte immer und immer wie- zu meinem Einstellungsgespräch kam, waren der bei verschiedenen Anlaufstellen erzählen. die Leute auf der Straße mit Transparenten, Sie wollen ihre Geschichte einmal erzählen. auf denen stand: „Wir wollen das Zentrum Und sie wollen durch eine Tür gehen, hinter nicht“. Sie dachten, es würde ein Zentrum für der alle öffentlichen Dienstleistungen mög- Problemfamilien. Wer möchte schon in ein Early-Excellence-Fachkongress Frankfurt am Main 11
Zentrum für Problemfamilien gehen? Nie- Verfügung steht, verlieren die Leute das Ziel mand. Sie wollten ein Zentrum, in dem sich aus den Augen und konkurrieren oft nur noch alle Eltern zu Hause fühlen konnten, in dem um die vorhandenen Gelder. Ich glaube da- sich alle Eltern wertgeschätzt fühlen konnten, her, dass man tatsächlich effektiver arbeitet, und in dem alle Kinder aufwachsen und das wenn nicht viel Geld da ist. Andererseits bin werden konnten, wozu sie befähigt waren. ich der Meinung, dass Kinderzentren nicht in Also marschierten die Eltern mit ihren Trans- schäbigen Gebäuden oder Löchern unterge- parenten. Daraus habe ich viel gelernt über bracht sein sollten, sondern in einer wunder- Demonstrationen und Widerstand, was mir baren und schönen Umgebung, und damit in den letzten dreißig Jahren zum Überleben dies möglich ist, brauchen wir Geld. geholfen hat. Ich habe also viel von diesen Eltern gelernt, und ich bin der Meinung, dass eine Oppositionsgruppe am Ort dazu bei- tragen kann, enger mit den Menschen in der Gemeinde in Kontakt zu kommen. Wir haben ca. 96 Kinderzentren befragt. Es gibt heute in England ca. 3500 Kinderzen- tren. Ich glaube, seit der neuen Regierung sind ca. 400 verschwunden. Einige sind geschlossen worden, einige sind verwäs- sert worden, indem das Angebot und die Zahl der Mitarbeiter reduziert worden ist. Aber wir haben immer noch eine Vielzahl von Zentren. Das Ziel bestand darin, dass Wir führen zur Zeit in Pen Green eine Studie in jeder Gemeinde ein Zentrum bestehen durch, bei der wir Kinder einbeziehen, die sollte, in das die Familien gehen und die An- heute 21 bzw. zwischen 11 und 21 sind und gebote in Anspruch nehmen konnten – nach die früher bei uns waren, als sie zwei oder ihren Bedingungen und auf ihre Bedürfnis- drei Jahre alt waren. Einige dieser Kinder se zugeschnitten. Wir haben in Corby die und ihre Eltern verbrachten 37 Stunden pro Leitungen aller Zentren zusammengebracht Woche in unserem Kinderzentrum. Unser und sie – nicht ich – machten deutlich, Zentrum ist an sieben Tagen in der Woche dass Kinderzentren ganz besonders wichtig geöffnet, an Wochentagen von 8 Uhr bis sind für die Kinder und Familien, die sie in 18 Uhr und an den Abenden für Gruppen- Anspruch nehmen, für die Mitarbeiter, die veranstaltungen. Samstag und Sonntag ist darin arbeiten und für die lokalen Behörden, unser Zentrum von 10 Uhr bis 13 Uhr für die verantwortlich für sie sind. die Familien geöffnet. Die Eltern von einigen unserer Kinder sind die ganze Zeit in unserem Das Besondere an Kinderzentren ist aber Zentrum. Einige Eltern nutzen die Kita und auch, dass die Mitarbeiter lernen müssen, gleichzeitig Erwachsenenbildungskurse. Sie miteinander zu arbeiten. Die Schulen müssen nutzen es sehr unterschiedlich. Ich möchte mit den Sozialbehörden reden, die Sozial- Euch damit nur einen Eindruck vermitteln, wie behörden müssen lernen, mit den Gesund- wichtig Eure Arbeit für die Kinder ist. Einige heitsbehörden zu reden, und wir alle müssen erinnern sich noch, was vor 18 Jahren war. lernen, mit den ehrenamtlichen Organisa- Auf jeden Fall erinnern sie sich an unsere tionen, den Glaubensgemeinschaften und Angebote und wie wichtig sie für sie waren. den ganzen anderen Gemeinschaften zu reden. Was die erste Rednerin (Anmerkung: Videoeinspielung Frau Sorge) heute Morgen sagte, war sehr aufschlussreich, sie sprach von ganzheitlicher Wir bekommen immer mehr Videos, in denen Führung und von ganzheitlichem Ansatz. Eltern und Kinder uns ihre Geschichten Denn das System ist ein ganzheitliches erzählen und daran erinnern, was damals System, Corby ist ganzheitlich, denn alle für sie wichtig war. Interessant ist auch, dass Fachbereiche arbeiten zusammen. Das Geld einige dieser Kinder eine glänzende Schulkar- fließt heute nicht mehr so üppig wie früher. riere hinter sich haben, einige Mädchen und In früheren Zeiten gab es eine Menge Geld, Jungen wurden Schulsprecher, einige hatten aber heute zählt jeder Cent. Ich glaube, das glänzende Ergebnisse bei allen Examen, ist sogar gut. Manchmal, wenn viel Geld zur einige haben ein Universitätsstudium aufge- 12 Early-Excellence-Fachkongress Frankfurt am Main
nommen, als erste in ihren Familien. Es gibt funktionieren sollen, müsst auch Ihr Eure aber auch Kinder, die zu kämpfen hatten. Praxis verändern und verbessern. Das ist Einige dieser Kinder sind mehrmals von der harte Arbeit, für die wir Unterstützung Schule geflogen. Einige sind nicht mehr in der brauchen. Als wir unsere Initiativen an den Schule. Einige haben die Familie verlassen Kinderzentren einrichteten, die Sure Start und sind seit ihrem 15. oder 16. Lebensjahr und die Early Excellence Centres, hat uns der nicht mehr zu Hause. Sie hatten es also Gesundheitsminister mit folgenden Worten nicht leicht. Aber es sind erstaunlich robuste, gewarnt: „Ihr könnt nicht einfach weiterma- belastbare Kinder. Und das Tolle ist, dass sie chen wie gehabt und dieselben Angebote über Facebook miteinander Kontakt halten wie in der Vergangenheit weiterführen! Wenn und auch mit uns in Kontakt bleiben und uns Ihr die Angebote wie immer weitermacht, über ihr Leben erzählen. Ich glaube, das ist bekommt Ihr auch das gleiche Ergebnis wie eine große Ehre für uns. Sie kontaktieren sich in der Vergangenheit.“ Und das bedeutet: gegenseitig und kommen zu uns und nehmen soziale Ungerechtigkeit für einige der Kinder, an unserem Projekt teil, das immer größer wie man im Video gesehen hat. Wir müssen und umfangreicher wird. also unsere fachliche Praxis verändern. Was wir in unserem Zentrum verstehen ler- Ich möchte nochmals kurz zum Jahr 1983 nen wollen, ist: Warum sind einige Kinder so zurückkehren. Da gab es die Aktivistengrup- resilient geworden, und warum sind einige pe gegen das Zentrum und die marschierten Eltern so wunderbare Fürsprecher für ihre durch die Straßen, als ich nach Corby kam. Kinder geworden. Sie haben nicht nur die Es hatte nichts mit mir zu tun, dass sie so Bildung und Entwicklung ihrer Kinder bis wütend waren, aber ich musste ihnen zuhö- zum Alter von fünf unterstützt, sondern auch ren, und wir beschlossen daher, dass wir ein während der ganzen Schulzeit und haben Angebot aufbauen würden, das den Be- ihre Kinder als Fürsprecher durch die ganze dürfnissen der Kinder und Familien gerecht Schulzeit begleitet. Als wir unser Zentrum in werden sollte. Das bedeutete, dass sich das Corby eröffneten, hatten die meisten Eltern Angebot ändern musste, dass es nicht so keine Schulbildung über das 16. Lebensjahr bleiben konnte wie bisher. hinaus. Es gab sogar eine Menge Familien, die nur bis 14 oder 12 zur Schule gegangen 1983 hatte Corby eine Arbeitslosenrate waren. Aber sie wollten auf alle Fälle eine unter der männlichen Bevölkerung von Bildung für ihre Kinder. Wenn die Kinder 43 %. Die Stahlwerke waren zugemacht merkten, dass sie in der Schule nicht so worden. Die Geschäfte waren zugenagelt. erfolgreich waren, fanden sie heraus, dass Der Gesundheitszustand in Corby war es für die Familien Möglichkeiten gab, über schrecklich und ist es immer noch. Heute das Zentrum Unterstützung zu bekommen. hat Corby im landesweiten Vergleich eine Allerdings haben die Eltern nicht immer ver- verhältnismäßig hohe Beschäftigungsrate. standen, dass sie sich während der ganzen Und selbst in der Rezession hält sich Corby Schulzeit für ihre Kinder einsetzen müssen. ganz gut. Wir halten durch. Aber die Be- dürfnisse der Familien in Corby haben Von den Videos und aus den Gesprächen sich in den letzten dreißig Jahren enorm mit den Eltern ist uns klargeworden, dass wir verändert. Mit anderen Worten, man kann einiges an unserer Arbeit verändern müssen, sein Angebot nicht ein für allemal festlegen. dass wir noch mehr darüber nachdenken Es muss ständig angepasst werden. müssen, wie wir Eltern unterstützen können, die im Schulsystem versagt haben oder bes- Unsere Philosophie von damals ist dieselbe, ser gesagt, wo das Schulsystem gegenüber die wir auch heute noch haben. Die Philoso- den Familien versagt und wo auch die Sozi- phie ändert sich nicht, aber die Praxis ändert albehörden gegenüber den Familien versagt sich. Was wir brauchen ist eine Vision, Werte, haben. Wie können wir diesen Eltern helfen prinzipienorientiertes Vorgehen, ein multi-dis- und die Kinder weiter unterstützen, wenn sie ziplinäres Team und gemeinsame Führung uns im zarten Alter von vier Jahren verlassen und Management. Keine Hierarchie, sondern und in die Grundschule wechseln? Schließlich viele Leute, die sich im Team stark fühlen. müssen wir etwas dafür tun, dass alle Kinder eine faire Chance haben. Die Tracey-Studie Alle Angebote sollten, wenn möglich, auf hilft uns dabei, unsere Praxis zu verändern demselben Campus angesiedelt sein. Wichtig und zu verbessern. Wenn integrierte Zentren ist auch das Prinzip der Co-Produktion, wo Early-Excellence-Fachkongress Frankfurt am Main 13
die besten Ideen von den Eltern kommen. der Familie zusammenleben und vielleicht Die Eltern müssen an der Gestaltung der keinen Zugang zu ihren Kindern haben. Angebote, aber auch an ihrer Weiterentwick- Deshalb wollen sie zu uns kommen, um mit lung und an ihrer Umsetzung beteiligt sein. ihren Kindern zusammen zu sein. Es ist auch Unsere Angebote sind mehr oder weniger eine wunderbare Einrichtung für Erwachse- immer noch dieselben, aber wir haben die nenbildung. In Pen Green kann man alles Zeitskala verändert mit der frühkindlichen Er- machen, man kann die Grundkenntnisse ziehung als Kernstück und der Inklusion von in Lesen und Schreiben erwerben bis hin allen Kindern mit besonderen Bedürfnissen. zur Hochschulreife, man kann sogar seinen Erwachsenenbildung für die Eltern bietet den Master und Doktor hier machen. Wir haben Eltern eine Chance, Weiterbildungsmöglich- sechs Doktoranden. All das können sie hier keiten zu nutzen. Wir schätzen die ehrenamt- machen. Alle unsere Kurse sind von ver- liche Arbeit, denn wir legen großen Wert auf schiedenen Universitäten anerkannt, und wir Fortbildung und Förderung, Praxisforschung haben die Zulassung für die Durchführung und Weiterbildung von Führungskräften, eine der Kurse am Zentrum. Aktivität, die wir in den letzten 16 Jahren an Bord genommen haben. Ferner bieten wir Es gibt verschiedene Räume. Wir nennen sie ein umfassendes Angebot für Kleinkinder „Bude“, „Kuschelecke“, „Studio“, die sind in und ihre Familien, wobei die Familien sagen den Kitas, wir haben im Sommer eine neue müssen, was sie wollen. Die Familien haben eröffnet. Dann die Krippe mit einem Ruhe- z. B. den Wunsch nach Betreuung für Säug- raum, wo die Eltern verschnaufen können. linge und Kleinkinder von einem bis drei Dann haben wir Hüpfräume, Entspannungs- Jahren geäußert, denn in England dauert der räume, Räume für Wassertherapie, Entde- Mutterschaftsurlaub nur ein Jahr. Aber schon ckungsräume, wo das Wasser recycelt wird nach neun Monaten des Mutterschaftsur- und die Kinder ein heilloses Durcheinander laubs geht die finanzielle Unterstützung anstellen können. Wunderbare Gärten. Es sehr stark zurück. Daher haben die Eltern gibt ein Gebäude ganz in der Nähe von zwei darum gebeten, auch schon Kinder ab neun Nachtclubs. Es war in der ganzen Gemeinde Monaten aufzunehmen, was wir auch getan das am meisten verunstaltete Gebäude. Aber haben. Kinder unter neun Monaten werden die Kinder und Familien lieben das Gebäude, zu Hause betreut, und diese Betreuung ist und die älteren Geschwister, die früher am mit dem Kinderzentrum vernetzt. Wochenende dort einbrachen und Randale machten, haben inzwischen gelernt, dies nicht mehr zu tun. Jetzt bringen sie selbst ihre Kinder ins Zentrum, denn wir sind inzwischen bei der dritten Generation von Familien angekommen. Wir haben auch einen riesigen Strand in unserem Zentrum, wo alle hinkom- men können. Corby hat in England mit die weiteste Entfernung von jeder Küste. Also kann man bei uns einen richtigen Strand genießen und im Sand buddeln, bis man in Australien ankommt. Darüber freuen sich immer unsere australischen Kollegen. Wir haben auch ein angeschlossenes For- Ferienspiele – da die Eltern arbeiten ge- schungszentrum, denn wir glauben, dass hen müssen, brauchen sie Ferienspiele. Ihr und alle, die mit Kindern und Familien Sie brauchen Betreuung vor und nach der arbeiten, laufend ihre Praxis auf den Prüf- Schule und viele verschiedene Orte, wo stand stellen müssen. Das heißt nicht, dass Eltern, Säuglinge und Kleinkinder hinkom- nicht auch an den Universitäten gute For- men können und auch für Elterngruppen schungsarbeit geleistet wird. Das versteht mit unterschiedlichsten Problemen: psychi- sich von selbst. Aber auch die Praktiker sind sche Probleme, Probleme mit Drogen und gut in der Forschung. Und tatsächlich hat Alkoholmissbrauch. Wochenendgruppen für die praxisorientierte Forschung in England Väter, die am Samstag kommen wollen und am meisten Erfolg. Die von uns betriebe- Wochenendgruppen für Väter, die sonn- nen praxisorientierten Forschungsprojekte tags kommen, weil sie vielleicht nicht mit treiben im ganzen Land die Änderungen in 14 Early-Excellence-Fachkongress Frankfurt am Main
informieren. Würde Vodafone in England seine Steuern bezahlen, könnten alle engli- schen Kinderzentren fünf Jahre lang davon finanziert werden. Die Eltern begannen, sich dies klar zu machen und die Verantwortli- chen zur Rechenschaft zu ziehen, wie es bis- her nie geschehen ist. Denn die Bewegung der integrierten Kinderzentren ist etwas, an dem die Eltern festhalten wollen. Es gab eine Untersuchung einer parlamentarischen Kommission über Kinderzentren in zwanzig Städten, die sehr positiv ausgefallen ist. Eine weitere Untersuchung fand 2013 statt. Ich der Politik voran. Wir publizieren, wir schrei- berate diese parlamentarische Kommission. ben Bücher, unsere Mitarbeiter schreiben Wir haben sie gebeten, aus London heraus- in Zeitschriften und dies zu Recht, denn sie zukommen und den Zug von Westminister haben ein enorm großes Wissen und dies nach Corby zu nehmen. Also kamen sie und muss im ganzen Land verbreitet werden. Auf trafen die Eltern von Corby. Und sie hörten diese Art und Weise versuchen wir uns wei- die Stimmen der Eltern. Wenn die Bürokra- terzuentwickeln, und in England bedeutet ten zu uns nach Corby kommen, schließen dies, dass man ständig Änderungen vorneh- wir sie immer mit den Eltern ein. Sie fanden men muss. Um zu überleben, müssen wir das Zusammentreffen mit den Eltern sehr neue Arbeitsweisen entwickeln. Wir müssen aufschlussreich und waren bereit, von ihnen auch ständig unsere rechtlichen Strukturen zu lernen. Ich bin also Optimistin. anpassen. Ich glaube, wenn man an Co-Produktion glaubt, dann braucht man Unsere Forschungsarbeit ist praxisorientiert sich nicht davor zu fürchten, denn wir haben und befasst sich mit Themen wie Wohler- in England die Genossenschaftsbewegung – gehen der Kinder, Einbeziehung der Kinder, und ich kann eine Situation kommen sehen, Einbeziehung der Eltern, Lernen der Kinder, wo die rechtliche Struktur unseres Zentrums Bindung an Bezugspersonen, Kinder als geändert werden muss. Wir sind laufend Philosophen, Führungsaufgaben, Umset- dabei, die Dinge voranzubringen. Denn zung und vielem anderen. Die Eltern sind eines weiß ich, das Zentrum muss erhalten Mitglieder unseres Forschungsbeirates. Und bleiben, es muss nachhaltig sein. Vor zwei wir arbeiten auch mit Wissenschaftlern und Jahren erfuhren wir an einem Donnerstag, Universitäten zusammen, von denen wir eine dass unser Budget um 56 % gekürzt werden Menge lernen. Am meisten lernen wir aber würde. Könnt Ihr Euch das vorstellen: 56 %. von den Eltern. Am Freitag marschierten 1500 Leute in grünen T-Shirts vor dem Zentrum auf. All die Unsere Vorstellung von Kindern in Pen Green anderen öffentlichen Angestellten machten ist, dass sie ein reichhaltiges Potenzial haben, mit, indem sie ihre Autos vor dem Zentrum dass sie stark und aktiv sind. Unser Zentrum anhielten und hupten. Die Eltern demonst- und auch Euer Zentrum muss ein Ort sein, rierten und gingen zur Kreisverwaltung. Sie wo Kinder stark sein können. Ihr seid da, um gingen nach London und sie gingen nach Verantwortung zu übernehmen, Fragen zu Nr. 10 Downing Street (Sitz des Premier- stellen und zu hinterfragen. Wir wollen keine ministers), sie gingen zum Parlament und gefügigen Kinder. Gefügige Kinder fühlen verschafften sich Gehör. Sie versammelten sich machtlos im Bildungswesen. Wir wollen 10.000 Leute auf Facebook. Unser Budget starke, selbstsichere Kinder, die überleben wurde nicht gekürzt. Also funktioniert es. können. So sehen wir die Kinder. Sie sind Die Eltern können ihre Stimme erheben. Es selbstsicher und haben ein gutes Gespür war das erste Mal, dass in England Eltern dafür, wenn sie etwas richtig machen. Sie gegen die örtlichen Behörden vorgingen brauchen keinen Klaps auf den Kopf von den und klarmachten: Es ist nicht in Ordnung, Erwachsenen. Sie wissen, dass sie stark und dieses Zentrum zu schließen oder Teile dicht aktiv sind, dass sie eine Stimme haben. Für zu machen oder zu verwässern. Nicht alle uns bedeutet dies auch Selbstbewusstsein im diese Schlachten haben wir gewonnen. Verhältnis zu anderen. Selbstbewusste Kinder Aber es wurde ein Präzedenzfall in England sind voller Tatkraft. Und sie sind belastbar, geschaffen. Eltern fingen an, sich besser zu auch wenn nicht alles gut läuft. Early-Excellence-Fachkongress Frankfurt am Main 15
Wenn wir unsere Videos einigen unserer Die beiden Konzepte, auf die sich unsere Ar- Amtsträger in England zeigen, finden sie das beit stützt, sind Vertretung der Interessen von ganz toll. Das Liedchen, das das Kind vor Kindern und Unterstützung ihrer selbstständi- sich hin trällert, um zu zeigen, dass er es gut ge Handlungsfähigkeit. Eltern und Fachleute gemacht hat, ähnelt dem eines bestimmten müssen für die Interessen der Kinder eintre- Vogels. Es gibt in England einen Vogel na- ten. Denn der 14 Monate alte Jordan hat mens Chuff (eine Krähenart), der ein ähnli- noch keine Chance, sich Gehör zu verschaf- ches Triumphgezwitscher von sich gibt. Bei fen. Aber wir können ihm dazu verhelfen. einigen Bürokraten können wir so Interesse Und Kinder, die eine starke Selbstständigkeit wecken, weil sie Vögel lieben, aber sie schau- haben, haben großes Selbstbewusstsein en auch gerne den Kindern zu. und Selbstvertrauen. Eltern, die gute Inter- essenvertreter sind, können dazu beitragen, Die Kinder in unserem Zentrum müssen sich Probleme anzusprechen. Einige der Eltern, mit denselben Problemen auseinandersetzen die in unser Zentrum kommen, haben mit wie die Kinder in Euren Zentren: Armut, gro- fünf, zehn oder fünfzehn Einrichtungen zu ße Veränderungen in ihrem Leben, Schei- tun. Ich weiß nicht, für wie hilfreich es die dungskonflikte, über den Umgang mit ihnen, Eltern ansehen, wenn sie sich mit so vielen Traumata durch körperlichen und emotiona- Fachleuten einlassen müssen. Ich glaube, es len Missbrauch, das Fertigwerden mit ständig ist besser für die Eltern, wenn sie das Gefühl neuen Veränderungen, die Zugehörigkeit zu haben, dass sie die Kontrolle haben und für komplizierten Netzen, mehr als ein Zuhause andere eintreten können. Ja, manchmal sind zu haben, mehr als eine Einrichtung zu be- die Dinge anstrengend und schwierig für die suchen, Einstellung auf die Arbeitszeiten der Eltern und ihre Familien. Aber sie haben ein Eltern. Einige Kinder müssen mit so kompli- gutes Gespür, wie sie Dinge voranbringen zierten Situationen leben, dass sie wütend können, wenn sie gehört werden. werden. Wir haben Kinder mit zwei und drei Jahren, die sind sehr wütend oder gestört oder sehr zurückgezogen. Sebastian Krae- mer, unser Kinderpsychiater, der mit unseren Mitarbeitern zusammenarbeitet und sie berät, wenn die Kinder sehr anstrengend werden und der uns hilft, Wege zu finden, wie wir sie im Zaum halten und unterstützen können, ist der Meinung, dass es wenig Sinn hat groß- zügig und aufgeschlossen zu sein, wenn das Leben nur ein Überlebenskampf ist, wenn es nur wenige oder gar keine vertrauenswürdi- gen Nachbarn gibt und wenn es besser ist, sich keine Gedanken über den Geisteszu- stand anderer Leute zu machen. Rücksicht Wir wollen also, dass die Kinder all dies tun bringt nichts in einer rücksichtslosen Kultur. können: Selbstbestimmung und Bestimmung ihrer Beziehung mit anderen. Aus unseren Unser Ansatz ist ganzheitlich. Ganz Corby Beobachtungen der Kinder in der Tracey-Stu- soll kinder- und familienfreundlicher werden, die, die heute zwischen 13 und 21 Jahre alt ähnlich wie es Frankfurt vorhat. Vielleicht sind, haben wir beschlossen, in unseren Kitas bekommen dann alle unsere Kinder Rück- mehr an den Beziehungen der Kinder unter- sicht zu spüren, so dass sie selbst rücksichts- einander zu arbeiten, an ihrem Verhältnis zu voll sein können. Aber zur Zeit geht es bei anderen. Für einige unserer Kinder ist das einigen schlicht ums Überleben. wirklich schwer. Sie haben ihre eigene kleine Gruppe, ihren eigenen kleinen Gruppen- Zur Zeit stimmen auch die Machtverhältnisse führer, mit dem sie überleben, aber der Rest zwischen Erwachsenen und Kindern nicht. interessiert sie nicht, und das muss aufhören. Sie sind nicht ausgewogen. Viele Erwach- Was bei einem Kind von ein-, zwei Jahren sene sind überzeugt davon, dass sie das noch lustig ist, ist nicht mehr lustig, wenn das Recht haben, das Leben und die Rolle ihrer Kind sieben oder acht oder zehn oder elf Kinder zu bestimmen, ohne Rücksicht auf die Jahre alt ist. Aber wenn diese Kinder dann in Gefühle der Kinder. Daher müssen wir den die Schule kommen und bis dahin noch nicht Kindern helfen, sich Gehör zu verschaffen. gelernt haben, dass es Grenzen gibt, werden 16 Early-Excellence-Fachkongress Frankfurt am Main
sie in ihrer ganzen Schulzeit zu kämpfen Jahres sind alle vier Kinderzentren raus in die haben. Das heißt nicht, dass sie gefügig Gemeinde gegangen und haben Familien sein sollen. Wenn Dinge nicht richtig laufen, gefunden, die unsere Angebote nicht nutzen. müssen sie lernen, für sich selbst zu spre- In den Gesprächen mit den Familien haben chen. Es bedeutet aber auch, dass sie lernen wir sehr viel gelernt über die Dinge, die wir müssen, dass es unterschiedliche Regeln an falsch machen. Wir müssen ständig rausge- unterschiedlichen Orten gibt und sie lernen hen, um die Leute zu erreichen, für die unsere müssen, diese Regeln zu verstehen. Einige Angebote nicht zugänglich erscheinen, denn werden es allerdings nicht packen. für viele Familien ist das entscheidende Kriterium, ob sie das Gefühl haben, dass wir Was sie von Euch Erwachsenen brauchen, uns nach wie vor hinter einem Stacheldraht- ist, dass Ihr ihre emotionalen Bedürfnisse zaun einschließen. Ich habe in Corby früher versteht, dass Ihr wisst, wie wichtig es für sie immer gesagt, dass es in der Vergangenheit ist, selbstbestimmt zu sein, und ihnen dabei die Schulsekretärinnen waren, die die Eltern helft, sich stark zu fühlen und Dinge zu beein- ferngehalten haben, dass es in den Gesund- flussen. Ihr seid Leute, die mit Begeisterung heitszentren die Sprechstundenhilfen waren, für das Lernen und die Förderung arbeiten, die die Leute abwimmelten. Die hatten Ihr habt auch keine Angst, mit einem Kind damals ziemlich altmodische Ideen von Part- zu schmusen und mit ihm eine Beziehung nerschaft. Das galt auch für die Lehrer, ich aufzubauen. Im Video haben wir ein kleines bin selbst Lehrerin und ich kann das sagen. Mädchen gesehen, das sich daran erinnerte, Wenn Ihr in die Schule von Eurem Kind geht, wie ihre Familienbetreuerin sie mit zu sich und die bitten Euch, auf einem kleinen Stuhl nach Hause nahm. Heute gibt es in England Platz zu nehmen, und sie selbst sitzen hinter so viele Risikodiskussionen, dass keiner es ihrem Schreibtisch auf einem großen Stuhl, mehr wagen würde, ein Kind mit zu sich nach hat das wenig mit Partnerschaft zu tun. Und Hause zu nehmen. Man würde das heute wenn Euch die Fachleute etwas über Euer wohl nicht mehr akzeptieren. Aber dieses Kind erzählen und gar nicht fragen, was Kind erinnert sich elf Jahre später daran, wie Ihr über Euer Kind wisst, dann ist das auch geborgen und unterstützt es sich fühlte, eine keine gute Partnerschaft. Wir müssen lernen, Betreuerin zu haben, die die Familie kannte differenziert zu arbeiten. Kein Kinderzentrum und die einen auch zu Hause besuchte. Man kann sich leisten, eine Insel zu sein. Wir müs- muss die wichtigen Erwachsenen in seinem sen uns für Co-Produktion engagieren. Die Leben gut kennen. Dies dürfen wir nicht au- Menschen, die sich am wenigsten Gehör ver- ßer Acht lassen und müssen in einer Partner- schaffen können und die geringsten Chancen schaft zusammenarbeiten. haben, sollten in Eurem Zentrum am meisten zu sagen haben. Man muss also die Dinge Kinderzentren bieten den Praktikern die Mög- umkehren. lichkeit, bereichsübergreifend effektiv zusam- menzuarbeiten. Es muss eine Partnerschaft Vor zwei Wochen hatten wir in unserem bestehen zwischen den Praktikern aller Fach- Zentrum eine Sitzung und wir beschlossen, das richtungen, zwischen den Fachkräften und mal anders zu machen. Statt es so wie hier zu den Kindern, zwischen den Eltern und den machen – und wir haben sehr schöne Ta- Fachleuten und den Eltern und ihren Kindern. gungsräume in unserem Zentrum – statt also Ein ganzheitliches Vorgehen bedeutet, dass die Leute, die am meisten Gehör haben, vorne wir uns alle als Teile eines gemeinschaftlichen stehen zu haben, haben wir die Stühle im Kreis Systems sehen. Wir haben heute in Corby angeordnet, in konzentrischen Kreisen, wo die vier Kinderzentren und nicht nur eines. Diese Eltern und die Fachleute alle im Kreis saßen vier Kinderzentren müssen lernen, mitein- und in der Mitte der Bürokrat, der Politiker ander zu arbeiten und nicht gegeneinander oder die Leute mit dem Geld. Als sie dann um knappe Finanzmittel zu konkurrieren. Wir ankamen, bat ich die Leute, die das Geld und müssen also ein stadtübergreifendes Konsor- das Sagen haben, jeweils nur fünf Minuten tium werden und dafür sorgen, dass jedes zu reden. Am Anfang war ihnen das ziemlich Kind Zugang zu unseren Angeboten hat. unheimlich und sie kamen zu mir und sagten, Obwohl wir schöne Angebote haben und der oh nein, ich kann doch nicht in einem solchen Zugang zu ihnen relativ leicht ist, gibt es im- Kreis sprechen, ich muss vorne stehen. Da mer noch Familien, die nicht zu uns kommen sagte ich zu ihnen: In einem Kreis gibt es kein und die nicht das Gefühl haben, dass wir das Vorne, das ist nicht möglich. Gelernt habe ich Richtige für sie haben. Im Sommer letzten dies aus der Beobachtung der Quäker und Early-Excellence-Fachkongress Frankfurt am Main 17
Sie können auch lesen