Unterstützung für Familien mit einem psychisch erkrankten Elternteil - Dachverband Gemeindepsychiatrie e. V. (Hg.)

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Unterstützung für Familien mit einem psychisch erkrankten Elternteil - Dachverband Gemeindepsychiatrie e. V. (Hg.)
Dachverband Gemeindepsychiatrie e. V. (Hg.)

Unterstützung
für Familien
mit einem
psychisch
erkrankten
Elternteil

         LEUCHTTURMPROJEKTE
Unterstützung für Familien mit einem psychisch erkrankten Elternteil - Dachverband Gemeindepsychiatrie e. V. (Hg.)
LEUCHTTURMPROJEKTE

Inhalt

    Unterstützung von Anfang an
             DIE FAMILIENHEBAMMEN
                                                    1
    DER BRÜCKE SCHLESWIG-HOLSTEIN
                            SE I T E 1 0
                                                        2       Sicher durch
                                                                die ersten Jahre
                                                                MUKI: EINE SOZIALTHERAPEUTISCHE
                                                                WOHNGEMEINSCHAFT IN DRESDEN
                                                                SEITE 16

         Hilfen wie aus einer Hand
            KOORDINIERTE AMBULANTE
              UNTERSTÜTZUNG DURCH
                      GAMBE, BERLIN                     4       Geht doch! Eltern im Blick
                                                                der Eingliederungshilfe
                             SE I T E 2 2           3           INTENSIV BETREUTES
                                                                EINZELWOHNEN DURCH DEN
                                                                SOZIALPSYCHIATRISCHEN DIENST
                                                                IN MÜNCHEN-GIESING
                                                                SEITE 27
    Eine Klinik zeigt Familiensinn
       FIPS: EIN ANGEBOT FÜR FAMILIEN
      DER BEZIRKSKLINIKEN GÜNZBURG
                               SE I T E 3 2         5           Brücken bauen für die Kinder
    Prävention durch Kooperation
            BERATUNGEN FÜR FAMILIEN
                                                    7           DIE KOOPERATIVE ARBEIT
                                                                DES NETZ I WERK IM RAUM KÖLN
    MIT EINEM PSYCHISCH ERKRANKTEN                      6       SEITE 38
              ELTERNTEIL IN DUISBURG
                              SE I T E 4 3
                                                        8       Willkommen im Netzwerk!
                                                                DAS NIEDRIGSCHWELLIGE
                                                                INTEGRIERTE ANGEBOT JUPS, BONN
                                                                SEITE 49

                          Analyse
                                                            F     Fazit
                                                                  SEITE 60
                            SE I T E 5 5   A

                      Links und
                     Materialien
                                           L                L     Literatur
                                                                  SEITE 62
                            SE I T E 6 1   M

                          Impressum
                                  SE I TE 6 3   I

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Unterstützung für Familien mit einem psychisch erkrankten Elternteil - Dachverband Gemeindepsychiatrie e. V. (Hg.)
VORWORT

L I EBE L E S E R IN N E N UN D L IEB E LE S E R,

Kinder und Jugendliche aus Familien mit psychisch           die Projektergebnisse auch auf Verbesserungsbedarfe
erkrankten oder suchtkranken Eltern benötigen               hin: Damit wir Kinder und Jugendliche und deren
unsere besondere Aufmerksamkeit, Fürsorge und               Familien in ihren schwierigen Lebenslagen künftig
Unterstützung. Denn sie haben ein erhöhtes Risiko,          noch besser unterstützen können, muss vor allem
selbst psychisch zu erkranken.                              die Kooperation der Akteure vor Ort ausgebaut und
Mit dem Ziel, Beispiele »Guter Praxis« zu identifi­         gestärkt werden.
zieren, in denen Angebote und Unterstützungs­               Insgesamt ergeben sich aus der Analyse der unter­
maßnahmen für betroffene Kinder und ihre                    schiedlichen Ansätze und Strukturen der vorgestell­
­Familien erfolgreich umgesetzt werden, hat das             ten »Leuchtturmangebote« zahlreiche Anregungen
 Bundesministerium für Gesundheit das Projekt               und Tipps für Praktikerinnen und Praktiker »vor
 »Leuchtturmangebote für Kinder und Familien ­              Ort« sowie auch für Entscheidungs und Kosten­
 mit einem psychisch kranken Elternteil« gefördert.         träger.
 In der vorliegenden Broschüre stellt der mit der           Die Ergebnisse des Projekts werden darüber hinaus
 Durchführung des Projektes vom 01.01.2017 bis              in den Diskussionsprozess der Arbeitsgruppe »Kinder
 zum 31.12.2018 beauftragte Dachverband                     psychisch kranker Eltern« einfließen. Diese wurde
 Gemeinde­psychiatrie e. V. acht »Leuchtturm­projekte«      auf der Grundlage eines fraktionsübergreifenden
vor. Diesen Projekten aus verschiedenen – städtischen       Entschließungsantrag des Deutschen Bundestages
und ländlichen – Regionen ist es unter unterschied­         (Bundestagsdrucksache 18/12780) vom 20.06.2017
lichen Rahmenbedingungen mit viel Engagement,               eingerichtet. Die Arbeitsgruppe soll Vorschläge zur
Kreativität und hoher Fachlichkeit gelungen, trag­          Verbesserung der Situation von Kindern und
fähige Angebote und Netzwerke aufzubauen, die den           Jugendlichen aus Familien mit einem psychisch
besonderen Hilfebedarfen betroffener Kinder und             erkrankten oder suchtkranken Elternteil erarbeiten
ihrer Familien gerecht werden.                              und hierbei auch die Ergebnisse des Projektes
Die Analyse, welche Rahmenbedingungen, Strukturen           »Leuchtturmangebote für Kinder und Familien mit
und Regelungen für den Aufbau und die dauerhafte            einem psychisch kranken Elternteil« mit einbeziehen.
Etablierung solche Projekte förderlich sind, zeigt: unter
den vorhandenen sozialrechtlichen Bedingungen sind          Lutz Stroppe
viele notwendige Hilfen umsetzbar. Zugleich weisen          Staatssekretär im Bundesministerium für Gesundheit

                                                                                                                 3
Unterstützung für Familien mit einem psychisch erkrankten Elternteil - Dachverband Gemeindepsychiatrie e. V. (Hg.)
LEUCHTTURMPROJEKTE

»Die Wellen schlugen hoch.
Ein stürmischer Wind fegte
über das Meer und der Himmel
war mit Wolken verhangen.
Die Seeleute konnten weder
Land noch Sterne sehen.
Angestrengt hielten sie
Ausschau nach einem
Orientierungspunkt.
Der Hafen konnte nicht mehr
weit sein. Aber wie sollten
sie die Einfahrt finden? Dort
drüben, das Leuchtfeuer!
»Wir haben es geschafft«, ruft
einer der Seeleute.
Tatsächlich, das lang ersehnte
Lichtsignal des Hafen-
Leuchtturms war endlich
sichtbar. Mit einem Mal war
die Richtung klar. Endlich
Sicherheit statt Bangen.
Orientierung statt Verlorenheit.
Was der dünne Lichtstrahl
bewirkt hatte! Licht
als Wegweiser, dem man nur
zu folgen brauchte.«
Kerstin Wallinda

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Unterstützung für Familien mit einem psychisch erkrankten Elternteil - Dachverband Gemeindepsychiatrie e. V. (Hg.)
VORWORT

L I EBE L E S E R IN N E N UN D L IEB E LE S E R,

wir freuen uns, Ihnen mit Unterstützung des Bundes­     Diese Leuchtturmangebote sind schon seit einiger
ministeriums für Gesundheit diese Broschüre zu          Zeit nicht mehr nur »einsame Vorposten« für
Leuchtturmangeboten von Hilfen für Familien, in         Familien mit einem psychisch erkrankten Elternteil.
denen ein Elternteil psychisch erkrankt ist, vorlegen   Inzwischen können sie mit ihren regelfinanzierten
zu können.                                              und gut verankerten Angeboten auch als »Richtungs­
In der Broschüre werden Aktivitäten gemeinde­           licht oder Leitstrahl« für interessierte Träger dienen.
psychiatrischer Träger sowie eines psychiatrischen      Dabei hat jedes der vorgestellten Angebote seine
Krankenhauses vorgestellt, die seit vielen Jahren am    eigene regionale Ausrichtung und seine spezifische
Aufbau von konkreten Hilfen für diese Familien          Kennung.
arbeiten. Sie haben interdisziplinäre Netzwerke         Sie sollen als Orientierung und Inspiration dienen,
geknüpft, um funktionsfähige, lebensweltorientierte     mögliche Fahrwasser markieren und vor Untiefen
und der Krankheitsbewältigung dienende Hilfen zu        schützen.
schaffen. Dabei spielen die Arbeit in multiprofessio­   Wir danken allen Projektverantwortlichen, Kosten­
nellen Teams sowie der Aufbau einer verbindlichen       trägervertretern und Experten für Ihre Mitarbeit an
Netzwerkstruktur für das gesamte Familiensystem         dieser Broschüre. Ebenso danken wir allen bundes­
eine wichtige Rolle. Gemeindepsychiatrische Träger,     weiten Akteuren für ihr langjähriges Engagement für
die im Dachverband Gemeindepsychiatrie organisiert      Familien mit einem psychisch erkrankten Elternteil.
sind, bieten meist Hilfen basierend auf unterschied­
lichen Sozialgesetzbüchern an. Damit haben sie die      Kay Herklotz
Möglichkeiten, bei komplexen Bedarfen Unterstüt­        Stellvertretender Vorsitzender Dachverband
zung aus einer Hand anzubieten.                         Gemeindepsychiatrie e. V.

                                                                                                             5
Unterstützung für Familien mit einem psychisch erkrankten Elternteil - Dachverband Gemeindepsychiatrie e. V. (Hg.)
LEUCHTTURMPROJEKTE

»Mein Vater hatte beschlossen,
dass die psychische Erkrankung
meiner Mutter unter allen
Umständen verschwiegen
werden muss. Auch ich merkte
– an den Reaktionen meiner
Umwelt auf meine Mutter –,
dass es besser war, wenn nichts
darüber nach außen drang.
Manche, die etwas davon
mitbekamen, dachten
automatisch, mit mir könne
auch etwas nicht stimmen.
Tatsächlich habe ich mich – aus
heutiger Sicht – wahrscheinlich
nicht wie ein normales Kind
verhalten. Zum einen musste ich
ja ständig kontrollieren, was
ich sagte, und wurde so sehr
verschlossen. Außerdem wusste
ich gar nicht genau, was
normales Verhalten ist und
musste dies erst von anderen
lernen.«
Wiebke Schubert, Bundesverband
der Angehörigen psychisch erkrankter
Menschen e. V.

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Unterstützung für Familien mit einem psychisch erkrankten Elternteil - Dachverband Gemeindepsychiatrie e. V. (Hg.)
EINFÜHRUNG

Wie dieser inzwischen erwachsenen Tochter                Schutzfaktoren, die die Resilienz*forschung identi­
einer psychisch kranken Mutter geht es vie-              fiziert hat, ausgerichtet:
len Kindern. Bedingt durch die elterliche Er-            • Selbstwirksamkeit, positives Selbstbild, Optimis­
krankung leben sie allerdings in einer beson-               mus;
deren Belastungssituation. Das Risiko, selbst            • Verbesserung des Familienklimas, elterliche
psychisch zu erkranken, ist für sie höher als               Unterstützung;
für Kinder gesunder Eltern. Für Deutschland              • Unterstützung durch andere, Kontakt zu Gleich­
kann von ca. 3 bis 4 Millionen betroffenen                  altrigen.
Kindern und Jugendlichen (Lenz & Brock-
mann 2013) ausgegangen werden. Etwa 2,6                  Neben den Kindern benötigen die psychisch
Millionen Kinder wachsen in suchtbelasteten              erkrankten Eltern professionelle Hilfen des Gesund­
Familien auf (Drogen- und Suchtbericht der               heitssystems. Häufig nehmen jedoch psychisch er­
Bundesregierung 2016).                                   krankte Eltern die vorhandenen Hilfsangebote nicht
                                                         oder erst sehr spät in Anspruch.
Was die betroffenen Kinder belastet, ist neben der       Gründe dafür sind insbesondere,
oftmals herrschenden Sprachlosigkeit in Bezug auf        • dass die erkrankten Eltern die Hilfsangebote nicht
die erkrankten Eltern die krankheitsbedingte Beein­        kennen;
trächtigung der elterlichen Fähigkeit, für sie zu sor­   • dass sie befürchten, aufgrund bestehender Vor­
gen, sie zu schützen und zu erziehen. Die F ­ orschung     behalte gegenüber psychisch erkrankten Menschen
zeigt, dass es bei betroffenen Familien häufig zu          eher Nachteile als Unterstützung zu erfahren;
einer Kumulierung von mehreren psychosozialen            • dass psychisch belastete Menschen aufgrund ihrer
Risikofaktoren kommt. Hier gilt es »gegenzusteuern«,       Erkrankung häufig nicht in der Lage sind, aktiv
um Kinder und Jugendliche, die in einer solchen            Hilfen zu suchen, sich nicht unbedingt krank
Belastungssituation leben, zu unterstützen und ihre        fühlen oder nicht krankheitseinsichtig sind;
gesunde Entwicklung zu fördern. Wichtig ist dazu         • dass die Zugangswege über Antragstellung zu
der Aufbau von alters­gerechten und nicht stigmati­        aufwendig und zu ängstigend (Aktenkundigkeit
sierenden Angeboten, um Kinder und Jugendliche             beim Jugendamt) sind;
auch vor einer mög­lichen eigenen Erkrankung zu          • dass viele der betroffenen Eltern Angst haben, ihre
bewahren.                                                  Kinder zu verlieren.

Die vorgestellten Angebote für Kinder und Jugend­        An diesen Hinderungsgründen setzen die vorgestell­
liche durch gemeindepsychiatrische Träger und            ten Angebote und Hilfen für Eltern an. Sie bieten
Netzwerke sind daher an der Förderung folgender          unterschiedliche Arten von Beratungs-, Unterstüt­
                                                         zungs- und Behandlungsangeboten, meist niedrig­
                                                         schwellig und anonym mit Weitervermittlungs­
                                                         möglichkeiten in ihren Netzwerken.
                                                         »Es ist nicht so, dass wir uns der Schwere unserer
                                                         Situation und unserer Verantwortung nicht bewusst
                                                         waren«, schreibt ein ehemals psychisch erkrankter
                                                         Vater. »Mich hat die Möglichkeit, vielleicht ein

                                                         * Resilienz bezeichnet die psychische Widerstandskraft, also
                                                           die Fähigkeit eines Menschen, schwierige Lebenssituationen
                                                           ohne anhaltende Beeinträchtigung zu überstehen. Resiliente
                                                           Menschen begreifen sich als Herr oder Frau ihrer Lage und
                                                           haben Vertrauen in ihre eigene Handlungsfähigkeit.

                                                                                                                    7
Unterstützung für Familien mit einem psychisch erkrankten Elternteil - Dachverband Gemeindepsychiatrie e. V. (Hg.)
LEUCHTTURMPROJEKTE

Angebote der Gemeindepsychiatrie und
ihre sozialrechtliche Verankerung
                    SGB V                            SGB VIII                        SGB IX & XII

                    Soziotherapie                    Hilfe zur Erziehung             Betreutes Einzelwohnen
                                                     in der Familie                  ­(Erwachsene/Jugendliche)
                    Psychiatrische Pflege
                                                     Soziale Gruppenarbeit           Betreutes Familienwohnen
                    Ergotherapie
                                                     Elternbildung                   Betreute
                    Medizinische Reha                                                Wohngemeinschaften
                                                     Paten                           (Erwachsene/Jugendliche)
                    Integrierte Versorgung
                                                                                     Elter-Kind Wohnheim
                    Tagesklinik
                                                                                     Psychosoziale
                    Haushaltshilfen                                                  Beratungstellen

                        T R Ä G E R D E R G E M E I N D E P S Y C H I AT R I E

psychisches Leiden zu vererben, damals sehr belas­           psychiatrie und Kinder- und Jugendpsychiatrie
tet, und meine Frau auch. Wir haben uns bemüht,              sowie der Psychotherapie und gegebenenfalls der
unseren Kindern ein normales Leben zu bieten.                Suchthilfe mit der Jugendhilfe für die Förderung
Aber jetzt ist uns bewusst geworden, wie schwer              von Kindern psychisch erkrankter und sucht­kranker
unsere seelischen Tiefpunkte den Kindern zusetzten           Eltern wurde schon 2009 im 13. Kinder- und
und dass sie besonderer Beachtung bedurft hätten.            Jugend­bericht besonders hervorgehoben. Und 2012
Tatsächlich haben die Fachkräfte die Absicht, den            betonte auch das Bundeskinderschutzgesetz, wie
Eltern zu helfen, dass sie trotz ihrer Schwierigkeiten       wichtig der Aufbau von Kooperationsnetzwerken ist,
ihre Kinder aufziehen können. In den allermeisten            um den oft vielfältigen Hilfebedarfen aller betroffe­
Fällen sind diese in den Familien am besten aufge­           nen Familienmitglieder gerecht zu werden.
hoben. Und es gibt ja viele Beispiele, dass sie auch in      In den vergangenen zwanzig Jahren haben Träger
Familien mit einer psychischen Erkrankung glück­             der Gemeindepsychiatrie und der Jugendhilfe daher
lich aufwachsen oder dass sogar mitunter durch eine          in vielen Regionen Hilfeangebote für Familien
familiäre Verarbeitung des Problems ein sehr reifer,         mit einem psychisch erkrankten Elternteil auf­
wertvoller Mensch darin heranwächst.«                        gebaut. Bestehende Dienste haben sich spezialisiert,
Eingedenk der Probleme und Befürchtungen in den              Landes- und kommunale Modellprojekte haben
Familien haben sich in den vergangenen Jahren                Formen der Zusammenarbeit der Akteure erprobt.
vielerorts Akteure zur Zusammenarbeit entschlossen,          Komplex­leistungen werden in den Netzwerken des
um Familien mit Hilfebedarf mit den vorhandenen              Nationalen Zentrums Frühe Hilfen vorangetrieben,
Hilfen zusammenzubringen. Vor allem zwischen                 kommunale und regionale Kooperationsnetzwerke
den Hilfesystemen der Jugendhilfe und Erwachsenen­           haben ihre Arbeit aufgenommen. Daneben haben
psychiatrie sind Netzwerke entstanden, mit deren             gemeindepsychiatrische Träger in ihren Organisa­
Hilfe man sich bemüht, betroffene Familien früh              tionen bedarfsgerechte Hilfeangebote aus unter­
zu identifizieren und auf ihre häufig komplexen              schiedlichen Sozialgesetzbüchern realisiert. Damit
Hilfe­bedarfe mit lebenswelt- und ressourcenorien­           können Hilfen »wie aus einer Hand« trägerintern
tierten Hilfen für alle ihre Mitglieder zu antworten.        zur Verfügung gestellt werden. Zugrunde liegt das
Die gemeinsame Verantwortung der Erwachsenen­                lebensweltorientierte und im Sozialraum verankerte

8
Unterstützung für Familien mit einem psychisch erkrankten Elternteil - Dachverband Gemeindepsychiatrie e. V. (Hg.)
EINFÜHRUNG

               gemeindepsychiatrische Konzept der im Dachver­         Aber auch die gute Kommunikation zu den kommu­
               band Gemeindepsychiatrie organisierten sozialen        nalen Entscheidungsträgern begünstigte den Aufbau
               Trägerorganisationen.                                  tragfähiger und nachhaltiger Angebote für betrof­
                                                                      fene Familien, die in manchen Fällen in die Regel­
               Einen Überblick über die vorhandenen Hilfen für        finanzierung überführt werden konnten.
               Familien mit einem psychisch erkrankten Elternteil
               gibt der Kinderatlas des Dachverbandes Gemeinde­       Folgende Kriterien waren für die Auswahl
               psychiatrie unter kinder.mapcms.de                     entscheidend:
                                                                      • niedrigschwelliger, nicht stigmatisierender
            Neben der Verbesserung des Zugangs zu den vor­              Zugang;
            handenen Hilfen kommt es aber auch darauf an,             • Lebenswelt- und Ressourcenorientierung;
            die vorhandenen Projekte weiterzuentwickeln und           • Hilfen für erkrankte Eltern und ihre Kinder;
            in die Fläche zu bringen. Nicht überall gelang es,        • präventive Angebote;
            Hilfen aus einem Projektstatus in ein Regelangebot        • schnelle Interventionsmöglichkeit;
            oder in ein längerfristig anders abgesichertes und        • regionale Netzwerke der Akteure;
            niedrigschwelliges Angebot zu überführen. Dabei           • Entwicklung von verbindlichen Strukturen;
            sind viele notwendige Hilfen auch mit den jetzigen        • Öffentlichkeits- und Antistigmaarbeit;
            sozialrechtlichen Möglichkeiten tatsächlich reali­        • Umsetzung mit den vorhandenen sozialrecht­
            sierbar. Allerdings gibt es immer noch sehr starke          lichen Gegebenheiten.
            regionale Unterschiede bei der Kann-Finanzierung
            durch die Kostenträger der Jugendhilfe sowie der          Im Folgenden werden aus dem Kreis der Mitglieds­
            Krankenkassen. So steht die gesetzliche Leistung          verbände des Dachverbandes Gemeinde­psychia­
            ­Soziotherapie noch nicht in allen Bundesländern          trie und der Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder
             zur Verfügung, da die Krankenkassen immer                ­psychisch erkrankter Eltern acht Leuchtturm­
             noch keine Rahmenverträge mit den möglichen               projekte vorgestellt, die die oben genannten
                                            Leistungs­erbringern in    ­Kriterien ­erfüllen und unterschiedliche Aus­for­
          G OOD -PRACTICE-­ den einzelnen Bundes­                       mungen von Hilfen abbilden.
                                            ländern abgeschlossen
    MODELLE ZE IGE N , W IE
                                            haben. Und auch mit
       B EDARFS­G E RE CHT E den Überschneidungen
H IL FEN FÜ R BE T ROFFENE zwischen den einzelnen
    FAMI LI EN AUFGEBAUT Sozialgesetz­büchern
                                            wird regional sehr
          U ND V ERSTETIGT unter­schiedlich ver­
        WERDE N KÖNN EN. fahren. Überall dort,
                                            wo auf die Zuständig­
             keitsgrenzen der verschiedenen Sozialleistungsträger
             der unterschiedlichen Sozialgesetzbücher gepocht
             wird, statt Möglichkeiten der Vernetzung zu nutzen,
             konnten bislang selbst sehr erfolgreich erprobte
             Hilfen nicht immer verstetigt werden.
             So sind die Hilfemöglichkeiten für Familien mit
             einem psychisch erkrankten Elternteil – bei bundes­
             weit einheitlicher Gesetzeslage – abhängig von
             regionalen Entscheidungen der Leistungsträger und
             differieren von Bundesland zu Bundesland erheb­
             lich. Das Projekt »Leuchtturmangebote« setzte in
             dieser Situation an. Es richtete seinen Fokus auf
             die Recherche, Analyse und Bewertung gelungener
             Beispiele – Good-Practice-Modelle –, die aufzeigen,
             wie bedarfsgerechte Hilfen für betroffene Familien
             aufgebaut und verstetigt werden können. Diese als
             »Leucht­turmangebote« bezeichneten Projekte zeich­
             nen sich in allererster Linie durch den Aufbau guter
             und verbindlicher Kooperationsnetzwerke aus.

                                                                                                                            9
Unterstützung für Familien mit einem psychisch erkrankten Elternteil - Dachverband Gemeindepsychiatrie e. V. (Hg.)
LEUCHTTURMPROJEKTE

     1

D I E FA M I L I E N H E B A M M E N
DER BRÜCKE SCHLESWIG-HOLSTEIN

Unterstützung
von Anfang an
Im Kreis Plön können Familienhebammen                 ten für psychisch erkrankte Menschen aller Alters­
der Brücke Schleswig-Holstein im Auf-                 stufen kümmert sich die Brücke Schleswig-Holstein
trag des Jugendamts schon während der                 auch um Kinder psychisch erkrankter Eltern und hat
Schwanger­schaft auf psychisch belastete              dafür Leistungsvereinbarungen nach dem SGB VIII
Eltern zugehen. Durch ihr Wirken, vernetzt            in Teilen seines Versorgungsgebiets mit dem jeweils
mit einem multiprofessionellen Team, das              zuständigen Jugendamt abgeschlossen.
wiederum in ein interdisziplinäres Netz-
werk eingebunden ist, können leicht weiter-           Insgesamt hat die Brücke Schleswig-Holstein 757
gehende Hilfen für die ganze Familie mobi-            Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie 450
lisiert werden, sobald sie nötig werden.              ­Mitarbeitende im beschützten Arbeitsverhältnis.
                                                       Im ländlich geprägten Landkreis Plön mit 128.703
TR Ä GER I NF O                                        Einwohnern gibt es 78 gemeindepsychiatrische
Die Brücke Schleswig-Holstein gGmbH leistet schon      Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, davon elf im
seit dreißig Jahren die gemeindepsychiatrische         ­multiprofessionellen ambulanten Team in Plön.
Versorgung in neun Kreisen Schleswig-Holsteins,         ­Neben den zwei fest angestellten Familien­
unter anderem im Kreis Plön. Dabei hat der gemein­       hebammen gibt es sozialpädagogische, psycho­
nützige Träger ein sehr breites Hilfespektrum            therapeutische und ärztliche Mitarbeitende.
aufgebaut, dessen Finanzierung in unterschiedlichen      Im August 2018 wurden 22 Familien von den elf
Gesetzbüchern verankert ist. Neben seinen Angebo­        Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern betreut.

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DIE FAMILIENHEB AMMEN DER BRÜCKE SCHLESWIG-HOLSTEIN

              A NG E BOT E                                             in ganz alltäglichen Situationen in der Familie. Die
              Die Familienunterstützung vor und nach der Geburt        Hebammen oder weitere Fachkräfte aus dem Team,
              durch Familienhebammen gibt es an drei Standorten.       die alle sowohl in der Ein­gliederungshilfe als auch in
              Außerdem gibt es Frühstückstreffs für Mütter mit         der Jugendhilfe erfahren sind, achten auch darauf,
              ihren Kindern und spezialisierte sozialpädagogische      dass die Eltern die Vor­sorgeuntersuchungen für das
              Familienhilfe: Hier kommen heilpädagogische              Kind wahrnehmen und der erkrankte Elternteil
              Kräfte, Erzieherinnen und Erzieher zu den Familien       fachärztliche oder psychotherapeutische Behandlung
              nach Hause.                                              in Anspruch nimmt.
              Die Familienhebammen arbeiten weitgehend                 Falls die Familie isoliert ist, wird sie darin unterstützt,
              auf­suchend dort, wo die Familie ist und wo deren        Kontakte zur eigenen Familie oder zu anderen zu
              Anliegen gelöst werden sollten. Dies entspricht auch     (re)aktivieren und Angebote wie Mutter-Kind-­
              dem lebensweltorientierten Konzept der Gemeinde­         Gruppe, Krabbelgruppe oder Babyschwimmen
              psychiatrie. Hebammen verfolgen einen systemi­           aufzusuchen – alles nach dem Prinzip: Hilfe zur
              schen Ansatz, indem sie Mutter und Kind (Familie)        Selbsthilfe.
              in ihren Blick nehmen. Sie besitzen eine hohe            Darüber hinaus leistet das multiprofessionelle Team
              Kompetenz im Erkennen von Risiken für das Kind           oftmals Unterstützung bei der Sicherung des
              und arbeiten aus ihrer Profession heraus sehr            Lebensunterhalts im Kontakt mit Arbeitgebern,
              bindungsfördernd. In der für eine Familie oftmals        Jobcenter und Vermietern.
              verletzlichen Phase von Schwangerschaft und              Zielgruppe sind Familien mit Kindern, bei denen ein
              Geburt sind Hebammen von Eltern gut akzeptierte          Elternteil psychisch krank ist. Das Angebot richtet
                                         Helferinnen. Sie vermitteln   sich insbesondere an Familien mit Kindern in den
 DA S ANG EB OT RICHTET Sicherheit und verhindern                      ersten beiden Lebensjahren.
S IC H I NSB ESONDE RE AN Stigmatisierung. Konkret                     Der Zugang erfolgt in erster Linie über das Jugend­amt,
                                                                       das häufig gefährdete Familien zuweist oder mögli­
 FA M I LI EN MI T K INDE RN helfen die Hebammen den
                                         Eltern, eine trag­fähige      cherweise gefährdeten Familien doch sehr dringlich
 IN D EN ERSTEN BEIDE N Mutter/Vater-Kind-­Beziehung                   rät, Angebote der Brücke Schleswig-Holstein in
            LEB EN SJAHRE N . aufzubauen. Sie unterstützen             Anspruch zu nehmen. Auch über freiberufliche
                                         ganz praktisch im Umgang      Hebammen und über das Mütter-Frühstück finden
              mit dem Kind: Wie halte ich es, wie gelingt mir ein      Betroffene zu den Angeboten; viele melden sich selbst.
              stressfreies Stillen oder Essen, wie gestalte ich den
              Schlaf- und Wickelplatz? Auch das »Baby-Lesen« ist       KOS TE NTRÄGE R
              Teil der Hilfe. Gemeinsam wird erarbeitet, welches       Da es sich um ein sehr innovatives Angebot handelt,
              Bedürfnis hinter einer bestimmten Äußerung oder          wird im Folgenden die Kostenträgerseite kurz
              einem Verhalten des Kindes liegt. Dies alles geschieht   beleuchtet. Die bei der Brücke Schleswig-Holstein
                                                                       arbeitenden Hebammen erbrachten anfangs
                                                                       (2005 – 2007) Leistungen, die einerseits über die
                                                                       Jugendhilfe (SGB VIII) und andererseits über die zu
                                                                       dem Zeitpunkt gültige Hebammenhilfegebühren­
                                                                       verordnung (SGB V) abgerechnet werden konnten.
                                                                       Diese Möglichkeit bestand im Jahr 2007, in dem ­
                                                                       die Hebammen-Gebührenverordnung durch das
                                                                       vertragliche Gebührenverzeichnis des Hebammen­
                                                                       hilfevertrags abgelöst wurde, nicht mehr.
                                                                       Die – aufgrund der positiven Erfahrungen mit dem
                                                                       Modellprojekt Familienhebammen – weiterhin als
                                                                       notwendig angesehenen ambulanten Leistungen in
                                                                       den Familien mit Neugeborenen und Babys durch
                                                                       Hebammen konnte durch eine Leistungsverein­
                                                                       barung mit dem Jugendamt Plön (SGB VIII) sicher­
                                                                       gestellt werden. Die angestellten Hebammen arbeiten
                                                                       mit in einem regional gut verankerten multiprofessio­
                                                                       nellen gemeindepsychiatrischem Team.
                                                                       Das niedrigschwellige Angebot »Mütterfrühstück
                                                                       mit der Familienhebamme« in Plön wird finanziert
                                                                       über das Landesprogramm »Schutzengel vor Ort«.

                                                                                                                               11
LEUCHTTURMPROJEKTE

»Eltern werden hier schon kurz
nach der Geburt ihrer Kinder in ein
unverbindliches, offenes und
unterstützendes Gruppenangebot
integriert.«

WA S SAG T DER KO S T E N T R Ä G E R ?                psychisch erkrankte Jugendliche geschaffen, 1999
Marc Ruddies, Jugendamt im Kreis Plön: »Immer          wurde die Sozialpädagogische Familienhilfe mit dem
wieder haben wir es mit Menschen zu tun, die           Schwerpunkt »Psychische Erkrankung« in Kiel
aufgrund einer psychischen Belastung oder Erkran­      etabliert. Gemeinsam mit anderen Trägern gründete
kung Unterstützung im Bereich der Verantwortungs­      die Brücke Schleswig-Holstein damals eine landes­
übernahme für ihre Kinder benötigen. Hier geht es      weite interdisziplinäre Arbeitsgruppe »Kinder
z. B. um Hilfe bei der Wahrnehmung und Ausgestal­      psychisch erkrankter Eltern«, um sich zu dem
tung der Elternrolle. Aber auch die nicht erkrankten   Thema auszu­tauschen und zu vernetzen.
Familienmitglieder leiden oft unter der Belastung      Durch den Austausch wurde der Bedarf deutlich,
und brauchen Unterstützung.                            Familien, in denen ein Familienmitglied psychisch
Die Brücke Schleswig-Holstein ist in diesem Bereich    erkrankt ist, möglichst frühzeitig und ohne Antrag
zu einem langjährigen und zuverlässigen Koopera­       Hilfen anbieten zu können. Daher stellte die Brücke
tionspartner für uns als Jugendamt geworden,           Schleswig-Holstein in Kiel im Juni 2005 eine
welcher sich fachlich spezialisiert und systemisch     Familienhebamme ein. Sie wurde Mitglied des
vorgehend dieser Hilfebedarfe annimmt.                 pädagogischen Teams von damals zwei Sozial­
Zusammen ist es uns gelungen, neben der konkreten      pädagogen, zwei Erziehern und einer Heilpädagogin
Hilfeleistung auch im präventiven Bereich Zugangs­     mit systemischen und therapeutischen Zusatz­
wege zu Familien mit psychosozialen Belastungs­        ausbildungen, das Hilfen zur Erziehung und Ein­
faktoren herzustellen, etwa durch das »Mütterfrüh­     gliederungshilfen erbrachte. Im Mai 2006 konnte
stück mit der Familienhebamme«. Eltern werden          die zweite Hebamme eingestellt werden.
hier schon kurz nach der Geburt ihrer Kinder in ein    Im selben Jahr wurden das Konzept und die Angebote
unverbindliches, offenes und unterstützendes           der Jugendamtsleitung des Nachbarkreises Plön
Gruppenangebot integriert. Die Familienhebamme         vorgestellt. Diese nahm das Problem psychisch
der Brücke Schleswig-Holstein leitet die Gruppe an     erkrankter Eltern und ihrer Kinder sowie die Not­
und kann auch psychosoziale Belastungsfaktoren         wendigkeit früher Hilfen für diese Zielgruppe sehr
wahrnehmen und thematisieren. Sie stellt auf diese     interessiert auf. Man wurde sich rasch einig, dass die
Weise tatsächlich immer wieder »eine Brücke«           Unterstützung bereits vor oder mit der Geburt des
auch zum Sozialen Dienst sowie zur Annahme von         Kindes einsetzen sollte und dass Kräfte benötigt
bedarfsorientierten Hilfen zur Erziehung dar.«         wurden, die einerseits die körperliche und psychi­
                                                       sche Entwicklung oder auch Gefährdung des Kindes
                                                       gut einschätzen können (Familienhebamme),
EN T WIC KL U NG DES P RO JE K T S                     andererseits aber auch über Erfahrungen mit
Die kontinuierliche Zusammenarbeit des Projekt­        psychischen Erkrankungen verfügen (spezialisierte
trägers mit dem Jugendamt begann bereits 1990, als     Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen).
die Brücke Schleswig-Holstein in Kiel ein Jugend­      Im Februar 2007 kam dann eine Leistungsverein­
wohnhaus für Jugendliche nach oft mehrmonatiger        barung mit dem Jugendamt des Kreises Plön zustan­
stationärer Behandlung in einer Klinik für Kinder-     de. Vorgesehen sind darin die Begleitung, Unterstüt­
und Jugendpsychiatrie aufbaute. 1996 wurden            zung und Förderung junger (werdender) Mütter und
weitere ambulante Unterstützungsleistungen für         Väter durch Familienhebammen, gegebenenfalls

12
DIE FAMILIENHEB AMMEN DER BRÜCKE SCHLESWIG-HOLSTEIN

Das Netzwerk Familienhebammen
der Brücke Schleswig-Holstein
  Familienunterstützung vor und nach der Geburt durch Familienhebammen
  Umfassende Leistungsvereinbarung mit dem Jugendamt nach SGB VIII § 77 ff

  Gemeinsame Wohnformen für Mütter, Väter und Kinder
  SGB VIII § 19

  Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche
  SGB VIll § 35a

  Mütterfrühstück mit der Familienhebamme
  Landesprogramm »Schutzengel vor Ort«

  Hilfe zur Erziehung
  SGB VIIl § 27 Abs. 2

  Intensive sozialpädagogische Einzelbetreuung
  SGB VIIl § 35

  Sozialpädagogische Familienhilfe
  SGB VIII § 31

  Hilfe für junge Volljährige, Nachbetreuung
  SGB VIII § 41

  Erziehungsbeistand, Betreuungshelfer
  SGB VllI § 30

                                                                             13
LEUCHTTURMPROJEKTE

                                                                   Netzwerktreffen Kinder psychisch erkrankter Eltern
                                                                   teil. Diese werden von der Koordinierungsstelle
                                                                   Gesundheitliche Chancengleichheit bei der
                                                                   ­Landesvereinigung für Gesundheitsförderung in
                                                                    ­Schleswig-Holstein e. V. ausgerichtet.

                                                                   W Ü NS CHE F Ü R DIE Z U KU NF T
                                                                   Harald Möller, Verbundmanager, Plön: »Ich wün­
                                                                   sche mir für die Zukunft, dass es bei den Hilfen für
                                                                   Familien mit einem psychisch erkrankten Elternteil
                                                                   künftig weniger Reibungsverluste gibt, wenn man
                                                                   versucht, Leistungen wie aus einer Hand zu erbrin­
Harald Möller, Verbundmanager, Plön                                gen. Der Weg dahin wäre eine gemeinsame Hilfe­
                                                                   planung von Eingliederungshilfe und Jugendhilfe.
Beratung zu Schwangerschaft, Geburt und Weiter­                    Hebammen, die in einem multiprofessionellen
versorgung des Kindes (Extra-Konzept). Abgedeckt                   gemeindepsychiatrischen Team arbeiten, sollen
sind durch die Vereinbarung auch die Beratung und                  künftig auch Hebammenleistungen erbringen
Begleitung von Angehörigen.                                        können, die mit den Krankenkassen abgerechnet
                                                                   werden.«
ZU SA MM ENA RB EI T M IT R E G IO N A L E N
AK T EUR EN                                                        F ÖRDE RLICHE U ND HE M M E NDE
Die Brücke Schleswig-Holstein hat sich vor Ort mit                 FAKTORE N
anderen Akteuren vernetzt. Ein wichtiges Koopera­                  Im Rahmen eines Auswertungsgesprächs mit dem
tionsforum sind die regionalen Netzwerktreffen                     Plöner Leuchtturmangebot wurden durch den
Frühe Hilfen*. Sie finden mindestens vierteljährlich               Dachverband Gemeindepsychiatrie folgende förder­
statt und werden vom Kinderschutzbund organisiert.                 liche – und hemmende – Faktoren für die Etablierung
Weiterhin nimmt der zuständige Verbundmanager                      dieser Hilfen für Schwangere und Eltern mit Klein­
für die Brücke Schleswig-Holstein an landesweiten                  kindern auf unterschiedlichen Ebenen identifiziert:
                                                                   Für die Akzeptanz der Eltern:
                                                                   • Niedrigschwelligkeit und Anonymität
                                                                      (Müttercafé);
* Frühe Hilfen bilden lokale und regionale Unterstützungs­
  netzwerke mit koordinierten Hilfsangeboten für Eltern und        • alltagsweltliche Unterstützung beim Umgang
  Kinder ab Beginn der Schwangerschaft und in den ersten              mit dem Baby;
  Lebensjahren. Der Bund hat 2018 einen auf Dauer angelegten       • Unterstützung beim Umgang mit der
  Fonds zur Sicher­stellung der Netzwerke Frühe Hilfen und der        psychischen Erkrankung;
  psychosozialen Unterstützung von Familien einrichtet. Die
                                                                   • Beratung bei Partnerschaftsproblemen.
  Länder können S­ chwerpunkte setzen, indem sie die Bundes-
  mittel gezielt auf die Fördergegenstände der Bundes­initiative
  (Netzwerke, Familien­hebammen, Ehrenamtsstrukturen)
  verteilen.

14
DIE FAMILIENHEB AMMEN DER BRÜCKE SCHLESWIG-HOLSTEIN

Für die Effektivität der Arbeit im Sozialraum:            den Sozialraum und ihre (Re-)Integration in ein
• Teamarbeit von Hebammen und pädagogischen               soziales Netzwerk sind wichtige Aufgaben im Sinne
  Kräften aus Gemeindepsychiatrie und Jugendhilfe;        der Prävention. Die weiteren priorisierten Zielset­
• niedrigschwellige Vernetzung und Kooperation            zungen des Projekts wie die ›Sicherung des Kindes­
  mit anderen Hilfeanbietern im Landkreis durch           wohls‹, die ›Förderung und Verbesserung der
  ein multiprofessionelles ambulantes Team.               inneren familiären Kommunikation‹ sowie die
                                                          ›Sicherung des finanziellen/materiellen Lebensunter­
Für die Unterstützung durch das Jugendamt des             halts‹ sind zweifellos für die Familie erstrebenswert
Kreises Plön:                                             und für das Aufwachsen eines Kindes im Wohlerge­
• die sorgsam gepflegte und sehr gute Zusammenar­         hen maßgeblich, bergen aber auch die Gefahr einer
  beit des Trägers mit den Ämtern des Kreises Plön;       Überforderung der einzelnen Fachkraft.
• die gute Resonanz betroffener Familien;                 Es ist davon auszugehen, dass die Projektstruktur der
• die feste Überzeugung des Trägers sowie aller           Brücke Schleswig-Holstein den Fachkräften vor Ort
  Mitarbeitenden von der Richtigkeit des Konzepts.        die notwendige professionelle Unterstützung bietet,
                                                          um einer Überforderung entgegenzuwirken. Hinwei­
Hemmnisse bei der Etablierung der Hebammenhilfe:          se dafür finden sich in der Projektbeschreibung. So
• unterschiedliche Umgangsweisen der Jugendämter          sind Familienhebammen in ein multiprofessionelles
  in den Nachbarregionen des Kreises Plön mit dem         Team eingebunden und nehmen regelmäßig an
  Konzept und Angebot. Schon in der Nachbarregi­          Fallsupervisionen und Teambesprechungen teil.
  on entschied das Jugendamt, diese Hilfen nicht zu       Insofern das Projekt, wie in der Projektbeschreibung
  finanzieren – trotz vieler Anfragen von betroffe­       ausgeführt, überwiegend durch den örtlich zuständi­
  nen Familien.                                           gen Jugendhilfeträger finanziert wird und die
                                                          Familienhebammen für eine Zielvereinbarung mit
                                                          den Eltern in ein Hilfeplanverfahren gemäß § 36
FAC H L IC H E E IN S C HÄ T ZUN G                        SGB VIII eingebunden sind, handelt es sich nicht
Anne Timm, Nationales Zentrum Frühe Hilfen,               mehr um ein ›klassisches‹ Angebot der Frühen
Köln: »Die Ergebnisse aus der Begleitforschung zur        Hilfen. Die niedrigschwelligen Angebote der Frühen
Bundesinitiative Frühe Hilfen belegen, dass sich vor      Hilfen erfordern keinerlei Antragsverfahren.
allem niedrigschwellige und familienaufsuchende           Es ist anzunehmen, dass diese höhere Zugangs­
Angebote wie der Einsatz von Familienhebammen             schwelle durch bereits bestehende Angebote der
und vergleichbar qualifizierter Fachkräfte aus dem        Familienhebammen kompensiert werden kann, etwa
Gesundheitsbereich bewährt haben.                         durch die Frühstückstreffs. Die Arbeit der Gesund­
Insbesondere für Familien mit einem psychisch             heitsfachkräfte wirkt bei solchen sehr niedrigschwel­
erkrankten Elternteil ist es wichtig, dass Hilfen nicht   ligen Angeboten als ›Türöffner‹. Die Familienhebam­
zu einer weiteren Stigmatisierung der Familien oder       men leisten einen Beziehungsaufbau, ermöglichen
des Betroffenen beitragen. Dementsprechend ist der        Wege aus einer möglicherweise bestehenden
Einsatz von Familienhebammen als akzeptierte und          Isolation der Familien und eröffnen somit ggf. den
anerkannte familiäre Unterstützerinnen sinnvoll.          Zugang zu weiteren Hilfen.
Das Angebot der Familienhebammen entfaltet die            Insgesamt stellt sich das Projekt der Brücke Schles­
größte Wirkung im primär- und sekundärpräventi­           wig-Holstein durch die Arbeit in einem multiprofes­
ven Bereich. Die konzeptionellen Zielstellungen der       sionellen Team und die enge Kooperation mit dem
Brücke Schleswig-Holstein zum Einsatz der Familien­       Jugendamt Plön sowie die Vernetzung mit den
hebammen sind sehr umfassend. Als übergeordnetes          Institutionen der psychiatrischen und psychothera­
Ziel wird eine frühzeitige Begleitung der werdenden       peutischen Hilfen als Schnittstellenprojekt zwischen
Eltern angestrebt, um diese so zu stärken, dass dem       dem Gesundheitssektor und der Kinder- und
Kind bzw. den Kindern entwicklungsfördernde               Jugendhilfe dar.«
Lebensbedingungen geboten werden können. Einen
hohen Stellenwert hat dabei der Aufbau einer
sicheren Bindung zwischen Eltern und Kind. Dies ist
auch mit Blick auf die Erkenntnisse aus der Entwick­
lungspsychologie ein wichtiges Ziel. Eine sichere
Eltern-Kind-Bindung wird als Ausgangsbasis für eine
positive kindliche Entwicklung gesehen.
Auch die angestrebte Einbindung von Familien in

                                                                                                            15
LEUCHTTURMPROJEKTE

                                                    2

M U K I : E I N E S O Z I A LT H E R A P E U T I S C H E
WO H N G E M E I N S C H A F T I N D R E S D E N

Sicher durch
die ersten Jahre
Das Besondere der Sozialtherapeutischen             Integrierten Versorgung. Von Beginn an bietet der
Wohngemeinschaft für Mütter und Väter               Psychosoziale Trägerverein Sachsen vielfältige
mit ihren Kindern, MuKi, in Dresden ist,            Beratung, Betreuung, Begleitung und Unterstützung
dass die Fachkräfte hoch qualifiziert und           für psychisch kranke Menschen an mit dem Ziel,
ausnahmslos alle therapeutisch geschult             ihre Fähigkeit zu weitgehend selbst­bestimmter
sind. Zusätzlich kann das interne Netzwerk          Lebensgestaltung zu fördern und weiterzuentwi­
des Trägers bedarfsgerecht genutzt werden.          ckeln. Als gemeindepsychiatrischer Träger von
Das Unterstützungsangebot wiederum ist              Hilfen bietet er sachsenweit Leistungen nach SGB II,
modular aufgebaut und kann leicht dem               V, VIII, IX, XI und XII sowie nach verschiedenen
jeweiligen Bedürfnis des Menschen im Fokus          Richtlinien des Bundeslandes Sachsen an.
angepasst werden. Seine Qualität wird stetig        Er hat knapp 200 Beschäftigte und bietet seine
entwickelt und gesichert.                           Leistungen an für Dresden und die Landkreise
                                                    Meißen, Görlitz und Bautzen mit zusammen gut 1,4
TR Ä GER I NF O                                     Millionen Menschen.
MuKi ist ein Angebot des Psychosozialen Träger­     Seit 2002 bemüht sich der Psychosoziale Trägerverein
vereins Sachsen e. V. (PTV). Er wurde 1990 in       um die besonderen Bedürfnislagen von Familien mit
Dresden als mildtätiger und gemeinnütziger Träger   seelisch belasteten und psychisch kranken Eltern.
gegründet. Er ist anerkannter Träger der freien     Über MuKi hinaus hält der Psychosoziale Träger­
Jugendhilfe, der Eingliederungshilfe und der        verein Sachsen weitere Angebote im Bereich »Hilfen

16
M U K I : E I N E S O Z I A LT H E R A P E U T I S C H E W O H N G E M E I N S C H A F T I N D R E S D E N

für Kinder psychisch kranker Eltern« vor. Grund­                           • Hilfe bei Integration in Schule, Berufsausbildung
legender niedrigschwelliger Baustein des interdiszip­                        und Arbeit;
linären bedürfnisorientierten Netzwerks ist die                            • Unterstützung beim Aufbau und Erhalt von
offene – bei Bedarf auch anonyme – Beratung, die                             ­konstruktiven Kontakten zu Angehörigen;
seit 2006 von der Beratungsstelle für Kinder und                           • gemeinsame Freizeitaktivitäten und Angebote zur
Eltern (KiElt) geleistet wird.                                                Entlastung bzw. Entspannung.

A NG E BOT E                                                               Folgende Angebote für Kinder und Jugendliche
MuKi bietet Platz für acht Mütter oder Väter mit                           werden in der Beratungsstelle KiElt des PTV Sachsen
ihren Kindern. Zum betreuenden Team gehören                                vorgehalten:
zwölf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit sozial­                         • Einzelberatung / systemische Familienberatung;
pädagogischen, sozialarbeiterischen, (heil)pädagogi­                       • altersgerechte Informationen über psychische
schen und psychologischen Ausbildungen sowie                                 Erkrankungen;
diversen Zusatzqualifikationen, z. B. im systemischen                      • thematische Gruppe für Kinder (acht bis zwölf
Arbeiten mit psychisch kranken Menschen oder im                              Jahre) psychisch erkrankter Eltern, um sich mit
Elterntraining »Starke Eltern, starke Kinder«.                               Gleichbetroffenen auszutauschen und Informatio­
                                                                             nen zur Erkrankung und zum Umgang damit zu
Psychisch erkrankte Eltern mit Kindern bis zu sechs                          erhalten; vor allem geht es um die Stärkung der
Jahren finden bei MuKi:                                                      kindlichen Resilienz;
• gemeinsame Wohnform für Schwangere und                                   • inklusives Gruppenangebot für Jugendliche (13
  Mütter oder Väter mit ihren Kindern;                                       bis 18 Jahre) mit einem psychisch erkrankten
• Begleitung von Müttern oder Vätern, die verant­                            Elternteil in Kooperation mit dem Sächsischen
  wortungsvoll für sich und ihre Kinder entscheiden,                         Aus­bildungs- und Erprobungskanal vom Medien­
  für einen begrenzten Zeitraum eine intensive                               kulturzentrum Dresden e. V.
  Form von Unterstützung in Anspruch zu nehmen.
  Diese Unterstützung, die Eltern in die Lage                              Angebote für Fachkräfte:
  versetzen oder darin bestärken soll, nach ihren                          • Weiterbildung;
  Möglichkeiten ein selbstständiges Leben mit                              • kollegiale Fach- und Fallberatung.
  ihrem Kind zu führen und dessen Wohlergehen zu
  gewährleisten, wird nach § 19 SGB VIII finanziert.                       KOS TE NTRÄGE R
                                                                           Muki wird vom Jugendamt Dresden finanziert oder
Zusätzlich bietet der Psychosoziale Trägerverein für                       von den Jugendämtern der umliegenden Landkreise,
psychisch erkrankte Eltern und ihre Kinder weitere                         wenn von dort Eltern kommen.
Hilfen an. Da diese vom gleichen Träger wie MuKi                           Von Eltern(teilen) können im Vorfeld oder im
vorgehalten werden, ist eine unkomplizierte und                            Anschluss der Hilfe im MuKi auch Hilfen zur
vertrauensvolle Überleitung an diese Stellen mög­                          Erziehung nach §§ 27ff. SGB VIII im Bereich »a casa«
lich. Es handelt sich um folgende Angebote:                                des Psychosozialen Trägervereins in Anspruch
• systemische Einzel-, Paar- und Familien­beratungen;                      genommen werden, und zwar:
• Erziehungsberatung;                                                      • Sozialpädagogische Familienhilfe (§ 31);
• Informationen über psychische Erkrankungen;                              • Erziehungsbeistand/Betreuungshelfer (§ 30);
• Vermittlung zu anderen spezialisierten Institutio­                       • Schulkindern und Jugendlichen wird geboten:
   nen (z. B. Schuldnerberatung, Frühförderung,                            • Intensive Sozialpädagogische Einzelbetreuung
   Fachärzte für Psychiatrie, verschiedene Therapie­                         (§ 35);
   möglichkeiten, Kinderbetreuung).                                        • Eingliederungshilfe (§ 35a);
                                                                           • Schulintegrationshilfe durch Fachkräfte
Je nach Zielsetzung, Hilfebedarf und Vereinbarung:                           (§ 35a Abs. 2).
• Unterstützung bei der Festigung einer selbst­
  ständigen Lebensführung mit ihren Kindern;                               Junge Volljährige erhalten nach § 41 Unterstützung
• sozialpädagogische und psychologische Einzel-                            in allen Belangen, die dieser Entwicklungsschritt des
  und Gruppenangebote, u.  a. psychoedukative                              Erwachsenwerdens mit sich bringt. Ziel ist die
  Gruppen zur Wissensvermittlung im Umgang mit                             eigenverantwortliche Lebensführung.
  psychischen Erkrankungen;
• Elternkompetenztraining;
• Unterstützung beim Ausbau einer angemessenen
  Eltern-Kind-Beziehung;

                                                                                                                             17
LEUCHTTURMPROJEKTE

     MuKi: Sozialtherapeutische
     Wohngemeinschaft für Eltern und
     Kinder – ein Angebot des PTV Sachsen
              Angebote:
              • Gemeinsame Freizeitaktivitäten und Angebote zur Entlastung
                beziehungsweise Entspannung

              • Unterstützung beim Ausbau einer angemessenen Eltern-Kind-Beziehung

              • Hilfe bei Integration in Schule, Berufsausbildung und Arbeit

              • Unterstützung bei der Festigung einer selbstständigen Lebensführung
                mit ihren Kindern

              • Sozialpädagogische und psychologische Einzel und Gruppenangebote, psychoedukative Gruppen

              • Elternkompetenztraining

              • Aufbau und Erhalt von konstruktiven Kontakten zu Angehörigen

              Rechtliche Grundlagen:
              SGB VIII § 19

18
M U K I : E I N E S O Z I A LT H E R A P E U T I S C H E W O H N G E M E I N S C H A F T I N D R E S D E N

WA S S AG T D E R KO S T E N T R ÄGE R?                                    für Kinder, Jugendliche und Eltern mit psychischen
Claus Lippmann, Leiter des Jugendamts Dresden:                             Belastungen/Erkrankungen) aufgebaut.
»Die Angebote ›ambulante Hilfen‹ und ›Sozialthera­                         Der Psychosoziale Trägerverein Sachsen hat sich
peutische Wohngemeinschaft für psychisch kranke                            immer als Träger von Angeboten für diese Ziel­
Mütter/Väter mit Kindern‹ wurden 2009 bzw. 2010                            gruppe verstanden und nicht als Träger allgemeiner
als Angebote der Jugendhilfe verhandelt. Ausschlag­                        Angebote der Jugendhilfe. Dies hat er auch immer
gebend für die Verhandlung des Angebotes war                               so in den Netzwerken der Jugendhilfeträger kommu­
dabei, dass es auf spezielle Bedarfe auch spezielle                        niziert. Er hat in diesem Bereich über die Jahre seine
Antworten geben muss. Die Zusammenarbeit mit                               Qualität durch Schulungen und Fortbildungen der
dem Träger und der konkreten Einrichtung zeichnet                          Mitarbeiterschaft immer weiter erhöht und sich
sich durch einen hohen Grad an verbindlicher                               immer stärker in Dresden und den anderen Land­
Kommunikation und durch die gemeinsame                                     kreisen, in denen er in diesem Bereich tätig ist,
Gestaltung geeigneter Lösungen insbesondere bei                            etablieren können.
aufkommenden Krisen aus. Durch die kontinuierli­
che Arbeit an der Weiterentwicklung der Bindungs­                          Z U S AM M E NARB E IT M IT RE GIONALEN
qualität zwischen Mutter/Vater und Kind(ern)                               AKTE U RE N
werden schädigende Beziehungsabbrüche weitge­                              Die Sozialtherapeutische Wohngemeinschaft
hend vermieden.«                                                           profitiert von der Expertise anderer Bereiche des
                                                                           Psychosozialen Trägervereins. Bei regelmäßig
                                                                           stattfindenden Treffen auf Leitungsebene werden
ENTW IC K L UN G D E S P RO JE K TS                                        mitunter komplexe Fälle gemeinsam erörtert und
Seit 2002 bemüht sich der Psychosoziale Trägerver­                         gelöst.
ein Sachsen um die besonderen Bedürfnislagen von                           Über diese interne Zusammenarbeit hinaus ist der
Familien mit seelisch belasteten und psychisch                             Psychosoziale Trägerverein eng in den Gemeinde­
kranken Eltern und deren Kindern. Er gab in allen                          psychiatrischen Verbund** eingebunden, der in
Fachgremien fortlaufend Hinweise zu der Problema­                          Sachsen seit 1992 von sozialpsychiatrisch engagier­
tik und suchte das Gespräch über die fehlenden                             ten Fachkräften, Ärztinnen und Ärzten sowie
Versorgungsangebote für Kinder psychisch kranker                           Angehörigen aufgebaut wurde.
Eltern mit der Psychiatriekoordination aus dem                             Alle Mitglieder im Gemeindepsychiatrischen
Gesundheitsamt sowie dem Jugendamt der Landes­                             Verbund wiederum arbeiten mit dem Sozialpsychiat­
hauptstadt Dresden. Aber erst, als der Psychosoziale                       rischen Dienst des Gesundheitsamts, mit Kliniken,
Trägerverein das Thema in die PSAG* Dresdens                               niedergelassenen ärztlichen, psychiatrischen und
einbrachte, wo Vertreter der Behörden (Gesundheits­                        psychotherapeutischen Fachleuten, Hebammen,
amt, Jugendamt), der Wohlfahrtsverbände und der                            Frühförderangeboten und Kindertageseinrichtungen
Leistungserbringer zusammensitzen, ging es mit                             usw. zusammen. Auch mit der Jugendhilfe wird z. B.
dem Projekt voran. Alle Mitwirkenden erkannten                             in der AG Frühe Hilfen kooperiert.
den besonderen Bedarf und die Versorgungslücken                            Vertreterinnen und Vertreter der verschiedenen
an. Der Psychosoziale Trägerverein Sachsen wurde                           Hilfesysteme arbeiten außerdem in den Psycho­
dann der erste Träger für diese Angebote in Dresden.                       sozialen Arbeitsgemeinschaften (PSAG) und in der
Vor MuKi wurden schon 2006 das Projekt »a casa«                            Unter­arbeitsgruppe Kinder zusammen. In Letzterer
(ambulante Hilfen für Kinder, Jugendliche und                              erörtern Psychiatriekoordination, Jugendamt und
Familien) und das Projekt »KiElt« (Beratungsstelle                         Suchtbeauftragte, Vertreter der Kliniken, der nieder­
                                                                           gelassenen Fachärzte, der Psychotherapeuten, der
                                                                           Kassenärztlichen Vereinigung und der Leistungs­

 * In den Psychosozialen Arbeitsgemeinschaften (PSAG)
   treffen sich auf kommunaler Ebene regelmäßig Vertreter­
   innen und Vertreter aller psychosozialen Träger und                     ** Der Gemeindepsychiatrische Verbund (GPV) ist ein
   psychiatrischen Institutionen, der Psychiatrieerfahrenen                   verbindlicher Zusammenschluss der wesentlichen Akteure
   und Angehörigen, um die psychosoziale Versorgung                           einer definierten Versorgungsregion, also vor allem der
   weiterzuentwickeln. Ihre Ergebnisse haben für die                          Träger der ambulanten und stationären Eingliederungshilfe
   Kommunal­politik Empfehlungscharakter. Die PSAGs                           und Krankenbehandlung. Die Mitglieder verpflichten sich
   arbeiten meist in Untergruppen, z­ . B. zum Thema Familien                 vertraglich zur Kooperation und zur Organisation umfassen­
   mit einem psychisch erkrankten Elternteil, und bilden                      der psychiatrischer Hilfen, vor allem für Menschen mit
   damit wichtige Schnittstellen zu den anderen Hilfe­                        schweren psychischen Erkrankungen
   systemen.                                                                  und einem komplexen Hilfebedarf.

                                                                                                                                     19
LEUCHTTURMPROJEKTE

»Mit Blick auf die Kinder werden
Betreuungs-, Förderungs- und
kompensatorische Hilfen geleistet.«

erbringer aus Jugendhilfe und Gemeindepsychiatrie      F ÖRDE RLICHE U ND HE M M E NDE
aktuelle Bedarfslagen und stellen Angebote vor.        FAKTORE N
                                                       Im Rahmen eines Auswertungsgesprächs mit dem
                                                       sächsischen Leuchtturmangebot wurden durch den
                                                       Dachverband Gemeindepsychiatrie folgende
                                                       förderliche – und hemmende – Faktoren für die
                                                       Etablierung dieses Angebots auf unterschiedlichen
                                                       Ebenen identifiziert:

                                                       Förderliche Faktoren:
                                                       • hohe Qualifikation und reiche Erfahrung;
                                                       • verbindliche Kommunikation mit allen regionalen
                                                         Akteuren;
                                                       • stete Entwicklung der Fachlichkeit und Weiter­
                                                         bildung;
                                                       • gemeinsame Gestaltung und Suche nach
Daniel Skupin, Vorstand PTV Sachsen                      ­Lösungen anhand konkreter Probleme mit dem
                                                          zuständigen Jugendamt;
WÜN SCH E F Ü R DI E ZUK UN F T                        • hohes Ansehen beim Jugendamt, auch wenn es
Daniel Skupin, Vorstand Psychosozialer Trägerverein       um den Umgang mit Kindeswohlgefährdung geht;
Sachsen, Dresden: »Ich wünsche mir und allen           • transparente Kommunikation und Unterstützungs­
Aktiven in diesem Feld positive Ergebnisse aus der        angebote an die regionalen Träger der Jugendhilfe;
vom Bundestag eingesetzten Sachverständigen­           • Mitarbeit in Netzwerken auf unterschiedlichen
arbeitsgruppe ›Hilfen für Kinder psychisch kranker        Ebenen;
Eltern‹ sowie allen anderen Formaten des BMFSFJ        • Engagement in Diskussionen um notwendige
wie ›Mitreden und Mitgestalten. Die Zukunft der           Veränderungen in der Jugendhilfe – Einbringen
Kinder- und Jugendhilfe‹. Dabei geht es um die            des gemeindepsychiatrischen Ansatzes.
Weiterentwicklung des SGB VIII bzw. die Etablierung
von Lösungsansätzen, die es erlauben, künftig eine     Hemmende Faktoren:
optimale interdisziplinäre Versorgung zu gewährleis­   • Die Fragen nach Zuständigkeitsgrenzen und
ten und Kinder in besonderen Belastungssituationen       Schnittstellenmanagement sind weiterhin teil­weise
verbindlich, niedrigschwellig und flächendeckend         ungeklärt und bringen Reibungsverluste mit sich.
zu versorgen. Daneben wünsche ich mir mehr               Beispiel: Eine Mutter zieht in die Sozialtherapeu­
institutionelle Möglichkeiten zur passgenauen            tische Wohngemeinschaft (Wirkungskreis des SGB
Realisierung des individuellen Unterstützungs­           VIII) und muss die eigene Wohnung aufgeben,
bedarfs. Last but not least würde ich mir eine           weil das Jobcenter (SGB II) diese Maßnahme nicht
genauere Schnittstellenklärung zwischen den              weiterzahlt. Nach einem Monat muss die Hilfe im
Sozialgesetzbüchern zur Etablierung von Hilfen ­         MuKi beendet werden, da erst nach dieser Zeit
für Familien mit einem komplexen Hilfebedarf             ersichtlich wird, dass das Kindeswohl durch die
wünschen.«                                               Mutter nicht gesichert werden kann. In diesem
                                                         Fall muss der Psychosoziale Trägerverein im
                                                         schlimmsten Fall die Hilfe beenden und die
                                                         Mutter von heute auf morgen in die Obdach­
                                                         losigkeit entlassen.

20
M U K I : E I N E S O Z I A LT H E R A P E U T I S C H E W O H N G E M E I N S C H A F T I N D R E S D E N

FAC H L IC H E E IN S C HÄ T ZUN G                                         nicht dezidiert auf Kinder mit psychisch kranken
Jutta Decarli, Geschäftsführerin AFET – Bundes­                            Eltern, eignet sich aber in seiner Beschreibung gut
verband für Erziehungshilfe e. V.: »In Familien mit                        für diese Zielgruppe. Der Bedarf an betreuten
einer psychisch erkrankten Mutter oder einem                               Wohnformen für betroffene Einelternfamilien ist in
psychisch erkrankten Vater sind häufig komplexe                            der Regel so groß, dass Einrichtungen, die ihren
Problemlagen mit schwankenden Bedarfsverläufen                             Fokus ausschließlich auf die Zielgruppe ›psychisch
vorzufinden, die aufeinander abgestimmte Hilfen                            kranke Einelternfamilien‹ richten, auch ausgelastet
benötigen. Insofern sind alle Angebote, die das                            sind.
gesamte System Familie in Augenschein nehmen                               Ein Problem in der Finanzierung stellen für diese
und quasi ›Hilfen aus einer Hand‹ anbieten, zu                             Angebote die schwankenden Bedarfsverläufe dar,
begrüßen. Das Konzept der psychotherapeutischen                            wie sie bei Müttern oder Vätern mit psychischen
Wohngruppe in Dresden sieht einen breiten Fächer                           Beeinträchtigungen oft vorkommen. Das bedeutet,
an Unterstützungsangeboten wie z. B. Hilfe bei der                         es ergeben sich Kosten für ein Frei- bzw. Vorhalten
Suche nach einem Betreuungsplatz für das Kind,                             von Leistungen, deren Inanspruchnahme noch unsi­
Elternkompetenztraining oder psychologische                                cher ist. Auch die Möglichkeiten der Mischfinanzie­
Gruppenangebote für die betroffenen Mütter vor.                            rung für Leistung und Hilfen nach SGB VIII und/
Was die Fragen der Regelfinanzierung und Übertrag­                         oder SGB V (medizinische Rehabilitationsleistungen)
barkeit betrifft, muss etwas zur Finanzierung der                          bedürfen einer Klärung.
Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe vorausge­                           Ein Angebot wie MuKi lohnt sich aber für die
schickt werden. Das Wort ›Regelfinanzierung‹ ist                           Zielgruppe. Ein Risikofaktor für Kinder mit einem
hier möglicherweise ein Anlass für Missverständnis­                        psychisch erkrankten Elternteil ist der oft symptom­
se. Möglicherweise könnte damit der Eindruck                               bedingte soziale Rückzug der Familie. Das Leben in
entstehen, es gäbe eine Art ›Rechtsanspruch‹ auf die                       einer Wohngemeinschaft mit gemeinsamen Mahl­
Hilfen nach § 19 SGB VIII und zudem eine Art                               zeiten und verschiedenen Gruppenangeboten wirkt
Verpflichtung, ein vergleichbares Angebot vorzuhal­                        hier sicherlich als stabilisierender Schutzfaktor für
ten. Ob ein Vater oder eine Mutter eine Einrichtung                        die Kinder.
der ›Gemeinsamen Wohnformen für Mütter/Väter                               Besonders erscheint der Umgang mit Krisen. So
und Kinder‹ nach § 19 SGB VIII als Hilfe nutzen                            steht in der Leistungs- und Entgeltvereinbarung,
kann, hängt aber von zwei Voraussetzungen ab:                              dass zusätzlich Betreuungsstunden für die Kinder
Zum einen muss das örtliche Jugendamt mit einem                            erbracht werden können, um die Bindung zwischen
freien Träger eine Leistungs-, Entgelt- und Qualitäts­                     Mutter und Kind zu unterstützen. Interessant ist,
vereinbarung abgeschlossen haben, damit der freie                          dass bei einer Krisenintervention für den erkrankten
Träger eine solche Einrichtung überhaupt anbieten                          Elternteil das Kind unkompliziert bis zu drei Tage in
(und finanzieren) kann. Dies liegt im Ermessen eines                       der WG weiter betreut werden kann. Auch bei
jeden Jugendamts. Zum anderen muss ein Elternteil                          einem längeren Klinikaufenthalt der Mutter wird
entsprechende Voraussetzungen erfüllen. Er muss                            versucht, das Kind nicht aus seiner vertrauten
allein leben, ein Kind unter sechs Jahren im Haus­                         Umgebung herauszunehmen und ihm damit immer
halt versorgen und die Unterstützung bei der Pflege                        wiederkehrende Beziehungsabbrüche zu ersparen.
und der Erziehung durch eine geeignete Wohnform                            Die Frage, ob diese Hilfe nach dem Kinder- und
benötigen. Die Hilfegewährung gemäß § 19 SGB VIII                          Jugendhilferecht auf andere übertragbar wäre,
richtet sich an Schwangere/Mütter/Väter und Kinder                         beantwortet sich erfreulicherweise insofern, da es
in gleicher Weise und strebt die Stabilisierung der                        bereits in der ganzen Bundesrepublik seit vielen
Persönlichkeit, die Befähigung zur eigenverantwort­                        Jahren viele Mutter-Kind-Einrichtungen nach § 19
lichen Wahrnehmung der Elternrolle und die                                 SGB VIII gibt, die sich auf alleinversorgende Mütter
Entwicklung einer stabilen Eltern-Kind-Beziehung                           und Väter mit psychischen Beeinträchtigungen und
an. Mit Blick auf die Kinder werden Betreuungs-,                           mit Kindern unter sechs Jahren spezialisiert haben.
Förderungs- und kompensatorische Hilfen geleistet.                         In diesem Beispiel ist es offenbar gelungen in den
Die Kinder werden also mit ihren Bedarfen gleich­                          Leistungs- und Entgeltvereinbarungen für definierte
wertig neben den Bedarfen der Mutter / des Vaters                          Freihalte- oder Vorhaltekosten, oder für Betreuungs­
berücksichtigt. Der § 19 SGB VIII bezieht sich zwar                        kosten der Kinder, Lösungen zu vereinbaren!«

                                                                                                                             21
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