Klingendes Hochstudhaus - GIAN SALIS ARCHITEKT

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Klingendes Hochstudhaus - GIAN SALIS ARCHITEKT
FRISCH GESTRICHEN/PEINTURE FRAÎCHE
Gian Salis

             Das Ensemble in Boswil mit Künstlerhaus, Gästehaus und Alter Kirche
             La Künstlerhaus, la maison d’hôtes et l’ancienne église forment un petit ensemble à Boswil.

             UMBAU HOCHSTUDHAUS ZU MUSIKERHAUS, KÜNSTLERHAUS BOSWIL (AG)

             Klingendes Hochstudhaus
             Das Sigristenhaus in Boswil hat schon viel erlebt. Ende des 17. Jahrhunderts als Vielzweck-
             bauernhaus errichtet, ist es seit Kurzem nun als Musikerhaus in Gebrauch. Doch wo musiziert
             wird, gibt es auch ruhigere Räume. Mit seinem Umbau vereint der Architekt Gian Salis – ganz
             im ursprünglichen Sinn des Hauses – mehrere Bedürfnisse unter einem grossen Dach.
             Lucia Gratz, Architektin und Journalistin, Zürich

        E
                    s ist ein Haus, wie man sich heute              schaffende mit Proberäumen, Übernach-         selbst sind. Von diesen Hochstüden hat der
                    die Zukunft für viele Bauten                    tungsmöglichkeiten und Büros für die Ge-      bäuerliche Haustyp seinen Namen.
                    wünscht: Gut 300-jährig wurde                   schäftsstelle im Erdgeschoss umbauen.         Wo früher das Tenn war, gelangt man
             das Sigristenhaus als Teil des Ensembles                                                             heute über eine schlichte, doch prominent
             um die Alte Kirche von Boswil vielfach                 Mit wenig Licht gebaut                        platzierte Treppe aus Schwarzstahl nach
             umgebaut und angepasst. Generationen                   Urtümlich, sagt man, seien die für das Aar-   oben in die Probesäle unterm Dach. Ein
             kamen und gingen, man wirtschaftete,                   gau typischen Hochstudhäuser. So beste-       kräftiger Lichtfleck erhellt den hohen
             wohnte und hielt Vieh. Da alles unter ei-              hen sie vor allem aus einem riesigen          Raum. Der Vorbesitzer habe hier für seine
             nem Dach war, waren auch die Wege kurz.                Walmdach, das ursprünglich mit Stroh          Malerwerkstatt Glasziegel in die Dach-
             Was man heute nachhaltig nennt, war ge-                eingedeckt war. Wegen der Brandgefahr         haut eingesetzt, erzählt Gian Salis. Der
             lebte Praxis im ländlichen Raum über                   hat man es in Boswil 1876 durch ein Zie-      Architekt behielt sie und fand mit ihnen
             Jahrhunderte. Zuletzt diente es als Künst-             geldach ersetzt. Unter dem weiten Dach-       eine einfache Antwort auf ein häufiges Di-
             lerwerkstatt, seit diesem Jahr wird drin               überstand verstecken sich zwei gezimmer-      lemma: Hochstudhäuser sind mit wenig
             musiziert. Die Stiftung Künstlerhaus Bos-              te Geschosse in Bohlenständerbauweise.        Licht gebaut. Doch anders als in der bäuer-
             wil liess das einstige Vielzweckbauern-                Der First wird von drei langen Ständerhöl-    lichen Kultur, halten wir uns heute vor-
             haus in einen lebendigen Ort für Musik-                zern getragen, die so hoch wie das Haus       wiegend in Innenräumen auf. Mit einer

             30 Heimatschutz/Patrimoine        4 | 2021
Klingendes Hochstudhaus - GIAN SALIS ARCHITEKT
FRISCH GESTRICHEN/PEINTURE FRAÎCHE

             geschickten Zuordnung der Räume und                     bau war das nicht. Neben der aufwendi-       LA KÜNSTLERHAUS À BOSWIL
             einer präzisen Setzung zusätzlicher Öff-                gen Handwerksarbeit, waren die zahlrei-
             nungen im bestehenden Gefüge, schaffte                  chen Auflagen für Brand- und Schall-         La Sigristenhaus, à Boswil (AG) a été
             Gian Salis, was bei vielen dieser Häuser in             schutz, für Akustik und Energie eine He-     construite à la fin du XVIIe siècle comme bâ-
             den letzten Jahrzehnten nicht gelang: ein               rausforderung. Da das Haus seit 1979         timent agricole multiusages. Depuis peu,
             Zusammenspiel der alten Strukturen mit                  denkmalgeschützt ist, war Philipp            elle a été convertie en espace dédié à la mu-
             den heutigen Bedürfnissen.                              Schneider von der kantonalen Denkmal-        sique par la fondation Künstlerhaus Boswil.
                                                                     pflege für viele dieser Fragen ein wichti-   Par ce réaménagement, l’architecte Gian
             Biegsamer Holzbau                                       ges Gesprächsgegenüber. Das Ergebnis         Salis est parvenu à réunir plusieurs fonc-
             Rabenschwarz sind die alten, mächtigen                  lässt sich sehen: Aus der intensiven Aus-    tions sous un même toit – conformément à
             Balken, die unverändert kräftig das Haus                einandersetzung mit dem komplexen            la vocation initiale de l’édifice.
             halten. So unverrückbar diese Stämme wir-               Haus sind atmosphärisch dichte und gut       De l’ancienne aire de battage, on accède aux
             ken, so tauglich erwies sich der Holzbau im             nutzbare Räume geworden.                     salles de répétition sous le toit par un esca-
             Verlauf der Zeit an anderen Stellen für Ver-                                                         lier en acier noir, austère mais bien en vue.
             änderungen: Den Walm hat man im                         Kollektive Biografie                         Grâce à une distribution habile des espaces
             19. Jahrhundert durch Giebel ersetzt und                Für Gian Salis war es bereits die zweite     et des ouvertures ciselées dans les struc-
             über dem Wohnteil das Dach an der Traufe                Baustelle für die Stiftung Künstlerhaus      tures existantes, Gian Salis est parvenu à
             angehoben. Auch dem jüngsten Umbau                      Boswil. 2017 hatte er dort den Foyeran-      concilier avec bonheur les besoins actuels
             kam diese Biegsamkeit zugute. Um die                    bau für die als Konzertsaal genutzte Alte    et la substance ancienne – un pari difficile
             Fundamente zu ertüchtigen, wurde der                    Kirche fertiggestellt (vgl. Heimatschutz/    dans les «Hochstudhaus» typiques d’Argo-
             Holzbau aufgebockt. Auf den bestehenden                 Patrimoine 3/2018). Beide Arbeiten           vie avec leur vaste toit.
             Dachstuhl kam eine neue Konstruktion,                   zeichnen sich durch ihre Selbstverständ-     Une nouvelle structure a été placée sur la
             deren Sparren die Zimmerleute bis draus-                lichkeit und Angemessenheit für den Ort      charpente existante, ce qui a facilité la ré-
             sen in den offenen Dachhimmel mit Pföst-                aus. Mit seinem Umbau hat Gian Salis das     novation du toit déformé par les siècles.
             li unterlegten. So konnten sie das buckelige            Sigristenhaus nicht neu erfunden. Zu         Sept nouvelles chambres d’hôtes ont été
             Dach auf einfache Art nachformen. Im obe-               gross ist dafür sein Interesse an den Ge-    aménagées dans l’ancienne grange et les
             ren Stock hat man in den Kammern die De-                schichten, die es barg und die auch ihm      bureaux ont été installés au rez-de-chaus-
             cken teils angehoben; Wände und Decken                  wieder halfen, die passende Sprache für      sée. La transformation de ce bâtiment clas-
             wurden mit Brettern ergänzt, die anders-                seine Architektur zu finden. So kommt        sé depuis 1979 a été effectuée en collabora-
             wo im Haus übrig waren. Dort und im ehe-                das Haus einer Biografie gleich, in dem      tion avec le Service des monuments
             maligen Heustock sind sieben neue Gäste-                mehrere Generationen ihre Spuren hin-        historiques. Quelque 300 ans après sa
             zimmer entstanden. Sogar die Möbel aus                  terlassen haben. In gleicher Weise werden    construction, l’ancienne ferme devient ainsi
             Hagebuche entwarf Gian Salis selbst.                    die Musikerinnen und Musiker nun ihrer-      un lieu vivant consacré à la musique.
             Studiert man die Baustellenbilder, er-                  seits die Räume dort zum Klingen bringen
             kennt man schnell: Ein harmloser Um-                    und mit Leben füllen.                        ∏∏∏∏∏∏∏∏∏∏∏∏∏∏∏∏∏∏∏∏∏∏∏∏∏∏

             Beim Entrée im ehemaligen Tenn öffnet sich der Blick bis ins Dach.                                   Die freigespielte Hochstudkonstruktion im Dach
             L’entrée dans l’ancienne aire de battage ouvre sur toute la hauteur du bâtiment.                     Vue sur les poutres dégagées de la charpente
Gian Salis

                                                                                                                                                                   Gian Salis

                                                                                                                           4 | 2021 Heimatschutz/Patrimoine 31
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4 | 2021

HEIMATSCHUTZ
PATRIMOINE

Baukulturelle Bildung
Formation à la culture du bâti

             SCHWEIZER HEIMATSCHUTZ
             PATRIMOINE SUISSE
             PATRIMONIO SVIZZERO
             PROTECZIUN DA LA PATRIA
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