Komödiantisch - Reformierte Stadtkirche

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Komödiantisch - Reformierte Stadtkirche
Komödiantisch

Die Komödie stirbt nicht aus. Der gekonnte Wortwechsel und die Verwicklun-
gen der menschlichen Beziehungen lassen sich auch im Zeitalter der elektroni-
schen Kommunikation komödiantisch auf die Bühne bringen. Wo an die Öffent-
lichkeit geratene Chatverläufe sogar eine Regierung erschüttern und Parteien
aufmischen können, sollte doch das anfällige Geflecht der partnerschaftlichen
Beziehungen unter Ehepaaren und Freunden genug Stoff und Witz hergeben.
So geschehen in den Kammerspielen der Josefstadt am 23. Oktober mit
Das perfekte Geheimnis von Paolo Genovese unter der Regie von Folke
Braband.
      Die fatale Idee eines Partnerspiels bei einem gemeinsamen Abend unter
Freunden aus Anlass der Mondfinsternis löst heftige Reaktionen aus und ist da-
bei, Partnerschaften und Freundschaften zu gefährden oder gar zu zerstören.
Alle Smartphones auf den Tisch gelegt und freigeschaltet soll jeder Anruf und
jede Nachricht oder Sendung von allen mitgehört, mitgelesen und mitgesehen
werden können. Nicht nur Peinlichkeiten sind damit vorprogrammiert, sondern
laufen Geheimnisse und heimliche Verhältnisse Gefahr, entdeckt zu werden.
Der Vorschlag kam von Eva, der Psychoanalytikerin (von Larissa Fuchs zu-
nächst als aalglatte und souveräne Powerfrau dargestellt), die die Abgründe
ihrer Berufserfahrungen ungeschützt zum Steinbruch der Freundschaften frei-
gibt.

Dominic Oley (Cosimo), Michaela Klamminger (Bianca), Roman Schmelzer (Lele), Larissa Fuchs
(Eva), Katharina Straßer (Carlotta), Oliver Huether (Pepp) und Martin Niedermair (Rocco)
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Der Anfang gestaltet sich noch vergleichsweise harmlos. Ein Termin mit
der Seniorenresidenz für die im gemeinsamen Haushalt schwierig werdende
Schwiegermutter, lässt den Sohn Lele (Roman Schmelzer süffisant und skru-
pellos) explodieren und übertrieben gegen seine Frau Carlotta vorgehen. Ka-
tharina Straßer gibt die hausbackene, „grundehrliche“ Seele, die sich schein-
bar verwirren lässt und durch die Szene stolpert. Doch das vorgebliche Mutter-
söhnchen lenkt offensichtlich nur von sich ab. Denn er nutzt die nächstbeste
Gelegenheit, um mit Peppe (Oliver Huether) das Handy zu tauschen wegen
der zu erwartenden Übersendung eines freizügigen Fotos. Ein fataler Tausch,
weil die Anrufe an Peppe sich als Anrufe von dessen Freund Luca herausstellen.
Dem hat er den Abend vorenthalten und ihn damit verleugnet. Carlotta muss
ihren Mann für schwul halten und nimmt die Ehe als große Lüge wahr, woge-
gen Lele nicht widerspricht und Peppe den Geliebten zu verlieren droht.
     Der Anruf an Cosimo (Dominic
Oley) präsentiert die „gute Nach-
richt“, dass sein heimliches Verhält-
nis schwanger ist, woraufhin seine
Ehefrau Bianca (Michaela Klam-
minger) auszuckt, nachdem sie bis-
her von ihrer beider außerordentli-
chen Liebe und dem Gedanken an
gemeinsame Kinder geschwärmt hat.
Bleibt noch der gastgebende Schön-
heitschirurg Rocco (Martin Nieder-
mair), dessen Anruf einen Termin
zur Psychoanalyse offenbart, was die
Selbstsicherheit seiner Frau durchei-
nanderwirft, die sich für die geniale
Psychoanalytikerin halten muss. Da-
für entpuppt sich Rocco als besserer
Ratgeber als die Tochter Sofia
(Paula Nocker) aus der Disco anruft
und nicht weiß, ob sie die Nacht bei
einem Freund verbringen kann. Sein
verständnisvoller und einfühlsamer
                                          Paula Nocker (Sofia)
Rat überzeugt sogar das Publikum                                    © Moritz Schell
und erntet Szenenapplaus.
       Nach einem kurzen „Blackout“ gibt es einen zweiten Blick auf den Gesell-
schaftsabend zur Mondfinsternis. Allerdings mit einem harmloseren Spielchen
und friedlichen Abschied – als wäre nichts gewesen. Doch ein paar hintergrün-
dige Blicke und Fragen nach den neuen Ohrringen deuten weitere und bisher
nicht enttarnt heimliche und peinliche Geheimnisse an.
       Ein munterer Abend ohne Tiefgang und belehrende Botschaft, in dem das
Publikum sich aber wohlwollend selbst mit den eigenen kleinen Geheimnissen
wiedererkennen kann, die nicht in die Öffentlichkeit gehören. So gesehen ehrli-
cher Applaus und Dank an ein spielfreudiges Ensemble.

      Das Burgtheater widmet sich ebenfalls dem komödiantischen Fach, al-
lerdings mit einem skurrilen Exemplar, das der Autor zeitlebens in seiner Hei-
mat nicht auf die Bühne bringen konnte. Nikolai Erdman (1900-1970) war
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ein baltendeutscher Lyriker und Dramatiker, der nach seinem ersten Theater-
stück „Das Mandat“ bereits 1930 mit einem Aufführungsverbot bestraft und
nach Sibirien verbannt wurde. Sein zweites Stück „Der Selbstmörder“ kam
überhaupt erst nach seinem Tod (1982) in der Sowjetunion zur Aufführung. Ein
weiteres ist ihm nie mehr gelungen. Umso mehr wert ist diese Groteske, die
sich würdig in die Tradition eines Gogol und dessen „Revisor“ stellen kann und
ein Paradebeispiel ist für die kurze Phase sowjetischer Satire (um 1930) neben
Majakowski und Bulgakow.
       Der von der Bühne und aus Film und Fernsehen bekannte Schauspieler
Peter Jordan und Leonhard Koppelmann, die seit einigen Jahren gemein-
same inszenieren, zeichnen für die äußerst gelungene Parodie aus dem Fundus
des absurden (sowjet-)russischen Theaters verantwortlich (Premiere 29. Okto-
ber). Ein Gauklerstück, das eigentlich keine wirkliche Handlung hat, sondern
Typen vorführt, die auf eine abstruse Idee des arbeitslosen Individuums in ei-
nem Land mit mehr Arbeit als Menschen reagieren und ihre Marotten austo-
ben. Unterstützt von einem dunklen Spielraum mit vielen Schlupflöchern nach
allen Seiten, der seriell von einem vorbeidonnernden Zug grell erleuchtet und
beschallt wird. In schwarzen Gewändern - der Gothic-Szene entlehnt -, mit
einschlägigen Accessoires, Tattoos, Frisurenungetümen und grell geschminkt
ist jeder Auftritt bereits eine Karikatur (Bühne & Kostüme Michael Sieberock-
Serafimowitsch). Dazu eine Comic-hafte Choreographie der zumeist alle
gleichzeitig auf der Bühne und am liebsten – auch singend - im Chor auftre-
tenden „Charaktere“.

Bardo Böhlefeld, Tim Werths, Alexandra Henkel, Katharina Pichler, Lilith Häßle,
Florian Teichtmeister, Dietmar König, Markus Hering

      Semjon Semjonowitsch Podsekalnikov (Florian Teichtmeister) be-
schließt, sich selbst zu töten. Und nach einem gescheiterten Rettungsversuch,
als Tubaspieler sich doch noch eine Lebensgrundlage zu schaffen, wird er von
seiner verrückten Nachbarschaft geradezu in den Selbstmord gedrängt. Aller-
dings in ihrem jeweiligen, eigenen Interesse. Er solle in seinem Abschiedsbrief
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sich für eines ihrer Anliegen erklären. Schuld ist die Regierung, die sich auch
noch am Kreml-Telefon verleugnet. Sein Martyrium wäre ein Fanal der Intelli-
genzia, ein Opfer für die Kirche, selbst für das (Fleischer-)Handwerk oder na-
türlich für die Liebe. Genug Kuriositäten für das in sichtbarer Spiellaune her-
umtollende Ensemble: Katharina Pichler, Lilith Häßle, Tim Werths, Mar-
kus Hering, Dietmar König, Alexandra Henkel und Bardo Böhlefeld. Je-
der Auftritt ein Kabinettstück. Man möchte keinen und keine hervorheben,
auch wenn Florian Teichtmeister mit dem letztlich feigen Semjon Semjono-
witsch in seinem Duckmäusertum alle anderen zusätzlich zu spiegeln scheint,
so wie er sich dem jeweiligen Gegenüber anpasst oder mühsam widersetzt. Es
stirbt in dem Stück laut einer letzten Nachricht der immer wieder angespro-
chene, aber nie erscheinende Dichter Fedja Petunin durch Selbstmord. (Als
hätte Erdman mit seinem Stück von 1928 vorausgeahnt, dass sich Majakowski
1930 selbst erschießen wird, was die Zensur irritiert haben muss.) Semjon
Semjonowitsch dagegen erfährt in der Spanne vor dem beschlossenen Tod ei-
ne nie dagewesene Freiheit und will und wird demzufolge weiterleben.

Florian Teichtmeister                                            © Matthias Horn

      Aristarch (Dietmar König): „Erinnern Sie sich doch mal, wie das früher
gemacht wurde. Früher hatten die Leute eine Idee und wollten dafür sterben.
Heute haben die Menschen, die sterben wollen, keine Idee, und die Menschen,
die eine Idee haben, wollen nicht sterben. Dagegen muss man ankämpfen.
Mehr als je zuvor brauchen wir ideologische Leichen.“
      Ein Abend, den man nicht versäumen sollte und gut und gerne wiederho-
len kann.

                                                      Johannes Langhoff
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