Kompetenzfeld Satellitendaten - Beitrag der Fernerkundung zur Digitalisierungsstrategie digital@bw des Landes Baden-Württemberg
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Wild-Pfeiffer et al., Kompetenzfeld Satellitendaten Fachbeitrag Kompetenzfeld Satellitendaten – Beitrag der Fernerkundung zur Digitalisierungsstrategie digital@bw des Landes Baden-Württemberg Franziska Wild-Pfeiffer, Maryse Wampach, Marius Rokus und Karl-Heinz Holuba Zusammenfassung Höhenänderungen von Bauwerken und der Erdoberfläche Dieser Beitrag beschäftigt sich mit dem im Rahmen der Di- in bislang nicht erreichter Genauigkeit. So können bei- gitalisierungsstrategie digital@bw des Landes Baden-Würt- spielsweise größere Erdbebengebiete, spezielle Hebungs- temberg geförderten Projekt »Kompetenzfeld Satelliten- und Senkungsbereiche oder das geodätische Festpunkt- daten«. Es wird die Satellitenfernerkundung mit speziellem feld durch den Aufbau eines radarinterferometrischen Fokus auf den optischen Satelliten und Radarsatelliten in die Passpunktfeldes mittels Corner-Reflektoren (Retroreflek- Fernerkundungsmethoden der Landesvermessung eingeord- tor für Radaranwendungen) überwacht werden. net, das Copernicus-Programm als Innovationsmotor für die Im Beitrag wird beispielhaft ein Überblick über das Landesvermessung vorgestellt, mögliche Nutzungspotenziale Erdbeobachtungsprogramm Copernicus, die nationale erläutert und das digital@bw-Projekt mit seinen Pilotanwen- Strategie der Bundesregierung, die Nutzungspotenziale dungen dargestellt. und die derzeitig geplanten Anwendungen in der Landes- vermessung gegeben. Im Anschluss wird das im Rahmen Summary der Digitalisierungsstrategie des Landes Baden-Württem- This article is dealing with the project »Kompetenzfeld Satel- berg geförderte digital@bw-Projekt »Kompetenzfeld Sa- litendaten« funded by the digitalization strategy digital@bw tellitendaten« vorgestellt. of the state of Baden-Württemberg. Satellite remote sensing with special focus on optical and radar satellites is classified in the remote sensing methods of national surveying, the Copernicus program is presented as an innovation engine for 2 Copernicus-Programm the national surveying, utilization potentials are explained and the digital@bw-project with its pilot applications is pre- Neben Galileo (zur Positionsbestimmung mittels Satel- sented. liten) bilden INSPIRE (zum Aufbau einer europäischen Geodateninfrastruktur) und das europäische Erdbeob- Schlüsselwörter: Satellitenfernerkundung, Copernicus, achtungsprogramm Copernicus die drei Grundpfeiler der Landesvermessung europäischen Geo-Initiativen. Durch Copernicus sollen die Bereitstellung und Integration vieler Erdbeobach- tungsdaten in einem System für die globale Umwelt- und Sicherheitsüberwachung ermöglicht und hierzu satelli- 1 Einleitung tengestützte Daten mit terrestrisch gemessenen und flug- zeuggestützt erfassten Daten (sog. in‑situ-Daten) ver- Die Satellitenfernerkundung stellt einen Teil der Fern- knüpft werden (vgl. EU‑Verordnung 2014). erkundung dar, die generell die Gesamtheit der Verfah- Das Copernicus-Programm mit seinen Sentinel-Satelli- ren zur Gewinnung von Informationen von entfernten ten ist ein Beispiel für zahlreiche hochaufgelöste optische Objekten ohne direkten Kontakt mit diesen durch Mes- Satelliten- und Radarsatellitenmissionen. Das 1998 noch sung und Interpretation von reflektierter und emittierter unter dem Namen »Global Monitoring for Environment elektromagnetischer Strahlung umfasst (vgl. DIN 18716 and Security« (GMES) initiierte europäische Programm 2017). Die Flughöhe der Satelliten variiert von erd- Copernicus ist ein Gemeinschaftsvorhaben der Europäi- nahen Umlaufbahnen, sog. Low Earth Orbits (LEO), ab schen Kommission und der Europäischen Weltraumorga- ca. 200 km bis hin zu den Umlaufbahnen der Geostatio- nisation ESA. Es dient dem Aufbau eines eigenständigen nären Satelliten (GEO) mit über 35.000 km. Im Folgenden europäischen Systems für Umwelt- und Sicherheitsüber- liegt der primäre Fokus auf den optischen Satelliten und wachung, das dauerhaft Erdbeobachtungsdienste für Radarsatelliten mit erdnahen Umlaufbahnen. Umweltverwaltung und Raumplanung, für Transport- Fernerkundungssatelliten mit optischen Multispektral- wesen und Zivilschutz sowie für die Katastrophenhilfe sensoren eröffnen einer stetig wachsenden Nutzergruppe, bereitstellt. Es fördert auf der einen Seite die Umsetzung insbesondere im Vermessungswesen, in der Land- und der Lissabon-Strategie, indem ein europäischer Markt für Forstwirtschaft sowie im Katastrophenschutz, ein enor- innovative Dienstleistungen geschaffen wird; auf der an- mes Nutzungspotenzial. Fernerkundungssatelliten mit deren Seite leistet das Programm einen Beitrag zu den Radarsensoren liefern Informationen über flächenhafte »Global Earth Observation System of Systems (GEOSS)«, DOI 10.12902/zfv-0271-2019 © Wißner-Verlag 144. Jg. 4/2019 zfv 253
Fachbeitrag Wild-Pfeiffer et al., Kompetenzfeld Satellitendaten Tab. 1: Weltraumkomponente – Sentinel-Satelliten Bezeichnung Sensortyp Anwendung Zeitpunkt des Starts Sentinel-1 A/B Radar Land und Ozean, Eiskartierung, 03.04.2014 Bodenbewegungen 25.04.2016 Sentinel-2 A/B multispektraler optischer Landbedeckung und -nutzung, 23.06.2015 Quelle: www.d-copernicus.de/daten/satelliten/daten-sentinels Sensor Vegetation, Boden, Wasser 07.03.2017 Sentinel-3 A/B optische Sensoren, Eis- und Meeresoberfläche, 16.02.2016 Radarsensoren Farbe, Temperatur 25.04.2018 Sentinel-4; an Bord der Spektrometer Luftqualität, v. a. O3, NO2, SO2, 2021 geostationären Satelliten HCHO 2027 Meteosat (MTG) Sentinel-5P Spektrometer Luftqualität, O3, UV 13.10.2017 Sentinel-5; an Bord der Spektrometer Luftqualität v. a. O3, NO2, SO2, 2021 MetOp-SG Satelliten BrO, HCHO 2027 Sentinel-6 A/B Altimeter Meeresspiegelhöhe 2020 2025 die auf das Wohl von Mensch und Umwelt im Sinne bei- Eine Zusammenfassung der Weltraumkomponente spielsweise der Erforschung der Klimaentwicklung ab- »Sentinel-Satelliten« sowie die wichtigsten Fakten dazu zielen. Die aktuellen Daten über Ozeane, Landoberfläche, sind in Tab. 1 dargestellt. Atmosphäre und Klima werden dabei kontinuierlich er- In der Copernicus-Strategie der Bundesregierung vom fasst. Diese öffentlichen und offenen Daten stehen den 13. September 2017 wird die Bedeutung dieses Pro- verschiedenen Nutzergruppen (Verwaltung, Wissenschaft, gramms für Behörden, Unternehmen, Wissenschaft und Wirtschaft, Bürger) zeitnah kostenfrei zur Verfügung. Bürger hervorgehoben. Es orientiert sich an Nutzen und Die Daten werden in sechs thematischen Copernicus- Bedarf, es sorgt für Wachstumsimpulse für die deutsche Kerndiensten aufbereitet und bereitgestellt. Diese sind: Wirtschaft, stärkt die internationale Zusammenarbeit, Landüberwachung, Überwachung der Meeresumwelt, der beteiligt die deutsche Industrie, Wissenschaft und In- Atmosphäre und des Klimawandels, Katastrophen- und stitutionen und sichert die Nachhaltigkeit und Weiter- Krisenmanagement sowie Sicherheitsdienste. entwicklung von Copernicus. Die vier Handlungsfelder Die Datenerfassung erfolgt einerseits über die Welt- »mit Nutzergruppen im Dialog sein«, »Zugang zu Daten raumkomponenten (die Sentinel-Satelliten und beitra- und Diensten gewährleisten«, »neue Dienste und Tech- gende Missionen) und andererseits über »In‑situ«-Kom- nologien entwickeln« und »gestalten von Copernicus in ponenten. Als beitragende Missionen werden Fern Europa« setzen die Ziele um (vgl. BMVI 2017). erkundungsmissionen bezeichnet, die unverzichtbare komplementäre Daten für die Copernicus-Dienste zur Verfügung stellen. In‑situ-Daten hingegen stammen von boden-, luft- oder seegestützten Sensoren wie z. B. von 3 Die Rolle der Fernerkundung für die meteorologischen Sensoren oder auch Sonden an Wetter- Aufgaben der Landesvermessung ballonen, von Flusspegeln, von Fernerkundungsinstru- menten an Flugzeugen oder entsprechen Geobasisdaten Ziel der Landesvermessung ist es, aufbauend auf den wie beispielsweise digitalen Geländemodellen und Ortho- geodätischen Grundlagenvermessungen die Erschei- photo-Mosaiken. nungsformen der Landschaft nach Gestalt und Nutzung Für die kontinuierliche Erfassung von Geodaten auf landesweit, genau und aktuell zu erfassen, in Land- der Erdoberfläche stehen momentan in der Weltraum- schafts-, Gelände- und kartographischen Modellen auf- komponente die Satellitengruppen Sentinel‑1 (Radarfern- zubereiten und zur vielfältigen Nutzung in Verwaltung, erkundung) und Sentinel‑2 (multispektrale Fernerkun- Wirtschaft und Wissenschaft bereitzustellen. Dabei muss dung) zur Verfügung, die aus jeweils zwei baugleichen den unterschiedlichen Anforderungen einer zunehmend Satelliten 1A und 1B sowie 2A und 2B bestehen. Des digitalen Gesellschaft ein entscheidender Mehrwert ver- Weiteren sind die Sentinel‑3A- und -3B‑Satelliten zur liehen werden. Im Kontext des digitalen Wandels leisten Ozeanbeobachtung sowie der Sentinel‑5P-Satellit zur Geodaten und Dienstleistungen der Landesvermessung Quantifizierung von Luftverschmutzung im Orbit. Für einen zunehmend wichtigen Beitrag entlang der digita- alle weiteren Sentinel-Satelliten ist ein Start bis 2027 ge- len Produktions- und Wertschöpfungskette. Im Folgen- plant. den werden verschiedene Bereiche der Fernerkundung vorgestellt. 254 zfv 4/2019 144. Jg. © Wißner-Verlag
Wild-Pfeiffer et al., Kompetenzfeld Satellitendaten Fachbeitrag Abb. 1: Datenerfassungs- methoden in der Fernerkundung Seit Anfang des 20. Jahrhunderts wurde damit begon- erweitern, dass das Spektrum von großräumigen Satelli- nen, mit Luftbildaufnahmen und stereophotogrammetri- tendaten in hoher Wiederholungsrate und mit umfassen- schen Auswertegeräten die topographische Datenerfas- den Spektralinformationen über die etablierten Verfah- sung und die Erstellung und Fortführung topographischer ren der Photogrammetrie bis hin zum Einsatz von UAS Karten wirtschaftlicher zu gestalten. In den letzten bei- (Unmanned Aerial Systems) oder terrestrischen Erfas- den Jahrzehnten werden moderne digitale Luftbildka- sungsmethoden für kleinräumige Anwendungen reicht meras eingesetzt. Die parallele stetige Entwicklung der (vgl. Abb. 1). photogrammetrischen Auswertesoftware zur Automati- Die grundsätzlichen Unterschiede zwischen den sierung der gesamten Prozesskette hat einen immensen Datenerfassungsmethoden der verschiedensten Satelli- technischen Fortschritt in der Orthophotoproduktion ge- tensysteme und flugzeuggestützten Systeme liegen in der bracht. Dieser wirkte sich nachhaltig auf die Gestaltung zeitlichen, räumlichen und spektralen Auflösung. der Landesvermessung und die Anforderungen der Nut- Im Fall der optischen Fernerkundungssensoren heben zer aus. die vom Copernicus-Programm öffentlich und offen zur Mit der Entwicklung von flugzeuggetragenen Laser- Verfügung gestellten Sentinel‑2-Daten im Gegensatz zu scanningverfahren (Airborne Laserscanning, ALS) er- den kommerziellen geometrisch hochaufgelösten Satelli- lebte auch die dreidimensionale Datenerfassung einen tenmissionen wie WorldView‑3 und -4 durch ihre Kos- enormen Innovationsschub. Mit dieser Fernerkundungs- tenfreiheit das schon vorhandene Potenzial. Die Vor- und methode war es erstmals möglich, die Geländeoberfläche Nachteile der Nutzung der Sentinel‑2-Daten gegenüber auch im (schwach) belaubten Wald in einer bisher nicht den Geobasisdaten DOP (Digitales Orthophoto) für Auf- erreichten Genauigkeit und Detailtreue großflächig abzu- gaben der Landesvermessung sind in Tab. 2 dargestellt. bilden. Als erstes Bundesland führte Baden-Württemberg Ein direkter visueller Vergleich der Digitalen Ortho- zwischen 2000 und 2005 zur Ableitung eines hochge- photos mit den Sentinel‑2-Satellitendaten zeigt in Abb. 2 nauen Digitalen Geländemodells (DGM) eine landesweite die unterschiedliche geometrische Auflösung – hier an Datenerfassung mit dem Verfahren des Airborne Laser- einem Ausschnitt südöstlich von Ravensburg/Ober- scanning durch, die derzeit im Rahmen der Aktualisie- schwaben. Die 100‑fach gröbere Auflösung der Senti- rung der Hochwassergefahrenkartierung in Kooperation nel‑2-Satellitendaten ist deutlich zu erkennen; zudem mit der Wasserwirtschaftsverwaltung mit einer ca. acht- sind abweichende Farben und Wachstumsstadien der Ve- fach höheren Punktdichte gegenüber der Ersterfassung getationsflächen sichtbar. Während der Sentinel‑2-Satel- wiederholt wird. lit eine Wiederholungsrate von fünf Tagen hat, erfolgen Hochaufgelöste Satellitenmissionen, insbesondere das die landesweiten Befliegungen für die Erzeugung von Copernicus-Programm, eröffnen der Landesvermessung Orthophotos jährlich nur in einem Teil der Landesfläche ein großes Nutzungspotenzial. Copernicus mit seinen (1/2 – 1/5). Auch ist der Befliegungszeitraum (Vegeta- Sentinel-Satelliten bietet die Möglichkeit, die Palette der tionsperiode bzw. laubfreie Periode) nicht bundeseinheit- Datenerfassungsmethoden in der Fernerkundung so zu lich festgelegt. © Wißner-Verlag 144. Jg. 4/2019 zfv 255
Fachbeitrag Wild-Pfeiffer et al., Kompetenzfeld Satellitendaten Tab. 2: Vor- und Nachteile der Nutzung von Sentinel-2-Satellitendaten gegenüber DOP Vorteile Nachteile pp Kostenfreie Nutzung der Sentinel‑2-Satellitendaten pp Geringe geometrische Auflösung im m-Bereich; pp Hohe zeitliche Auflösung bei Wiederholungsraten von höchste Auflösung liegt bei 10 m für die Kanäle wenigen Tagen R hohe Aktualität RGB‑NIR pp Hohe spektrale Auflösung (12 Kanäle; RGB R SWIR) pp Kontinuierliche Aufnahme in 786 km Flughöhe, pp Erfassungsbereich: Europa/weltweit dadurch unvermeidliche meteorologische Einflüsse wie beispielsweise Wolken R hoher Aufwand bei der Datenaufbereitung zur Bereitstellung zusammen hängender störungsfreier Szenen pp Störungen in Waldbereichen oder auch Stadtgebieten (Schlagschatten) pp Komplexer Datendownload/Verarbeitung und Aus wertung Abb. 2: DOP (Frühjahr 10 cm, Sommer 20 cm) vs. Satellitenbild Sentinel-2 (Frühsommer, 10 m) Die wachsende Zahl an Erdbeobachtungssystemen mit leitung der Landbedeckung oder für das Festpunktmoni- technologisch hochentwickelten Sensoren, deren Nut- toring auf der Grundlage radarinterferometrischer Ver- zung durch das Copernicus-Programm unterstützt wird, fahren (InSAR; Rili-RB-AdV 2017). erzeugen eine große Menge an Daten in zunehmend ho- her zeitlicher, räumlicher und spektraler Auflösung (Big Geo-Data), die wie ein Katalysator für die Erfassungsme- thode Fernerkundung wirken und als Innovationsmotor 4 Projekt Kompetenzfeld Satellitendaten im für die Landesvermessung dienen. Rahmen von digital@bw Die Integration der Prozesse in die Produktion der Daten der Landesvermessung kann den Fortführungsaufwand Mit der Digitalisierungsstrategie digital@bw hat die Lan- für die Geobasisdaten DLM (Digitales Landschaftsmo- desregierung zentrale Handlungsfelder und Querschnitts- dell), DOP, DGM verringern und den Aktualisierungszyk- aufgaben für Baden-Württemberg identifiziert und eine lus mit dem Ziel eines hochreaktiven dreidimensionalen Vielzahl von Innovationsprojekten auf den Weg gebracht Landschaftsmonitorings signifikant verkürzen. Vor allem (vgl. IM 2017). Anwender in Landwirtschaft, Umwelt, Forst und Kom- Daten mit Bezug zu einem Standort oder geografi- munalmanagement, aber auch im Siedlungs- und Ver- schen Gebiet (Geodaten) sind ein elementarer Baustein kehrswegebau profitieren davon. Mittels der Satelliten- der Digitalisierungsstrategie, die aufgrund ihrer Quer- daten können Rückschlüsse auf topographische Objekte, schnittsfunktion zu einer digitalen Informationsstruktur Geländeformen sowie deren Veränderungen (Change De- erheblich beitragen. Die Landesregierung hat daher auch tection) gezogen werden. Damit können beispielsweise Geoinformationen als einen wichtigen querschnittsorien- Zeitreihen für den Flächenverbrauch und die Siedlungs- tierten Digitalisierungsbereich definiert. entwicklung geschaffen, die Landbedeckung ermittelt, Als eines von fünf digital@bw-Projekten im Bereich und diesbezüglich Veränderungsanalysen erstellt werden. der Geoinformationen verfolgt das Projekt »Kompetenz- Vor diesem Hintergrund beschäftigt sich seit einiger feld Satellitendaten am Landesamt für Geoinformation Zeit auch die Arbeitsgemeinschaft der Vermessungsver- und Landentwicklung Baden-Württemberg« das Ziel, waltungen der Länder der Bundesrepublik Deutschland auf der Grundlage des europäischen Erdbeobachtungs- (AdV) mit den Möglichkeiten und Chancen, aber auch programms Copernicus und weiterer beitragender Satel- den Grenzen der frei verfügbaren Satellitendaten des litenmissionen, ein Verfahren zur zentralen Aufbereitung Copernicus-Programms z. B. als Datenquelle für die Ab- hochwertiger, komplexer Satellitendaten zu entwickeln, 256 zfv 4/2019 144. Jg. © Wißner-Verlag
Wild-Pfeiffer et al., Kompetenzfeld Satellitendaten Fachbeitrag sodass diese die Landes- und Kommunalverwaltungen eines Netzwerks aus Verwaltung, Wissenschaft, Wirt- und kleinere und mittlere Unternehmen für innovative schaft und Experten mit Fokus auf die Bereiche Land- Anwendungen nutzen können. Damit sollen die vorhan- und Forstwirtschaft sowie durch die prototypische Auf- denen Fernerkundungskompetenzen beim LGL weiter- bereitung und Bewertung von beispielhaften Datensätzen entwickelt, das Produktportfolio der bereits verfügbaren unter Nutzung der Projektsoftware. In einer zweiten Stu- Geodaten um speziell aufbereitete Satellitendaten er- fe erfolgt die Projektierung des Regelbetriebs. gänzt und über Webservices, z. B. im Geoportal BW, für Eine erste Pilotanwendung stellt die Erstellung von die öffentliche Verwaltung in Baden-Württemberg sowie Bildmosaiken für ausgewählte Monatshälften von Ba- für weitere Nutzer in Wirtschaft und Wissenschaft ver- den-Württemberg dar, die als WMS-Webservice im Geo- fügbar gemacht werden. portal BW, abrufbar sind. Der gesamte Workflow vom Der Kompetenzerwerb erfolgt in einer ersten Projekt- Daten-Download bis zum fertigen Mosaik wurde entspre- stufe durch eine Bestandsaufnahme und Evaluation der chend Abb. 3 erarbeitet – basierend auf schon bestehen- Systeme, Daten und Dienstleistungen, durch den Aufbau der Software oder frei verfügbaren ESA-Tools. Abb. 3: Workflow zur Erzeugung der halbmonatlichen Mosaike © Wißner-Verlag 144. Jg. 4/2019 zfv 257
Fachbeitrag Wild-Pfeiffer et al., Kompetenzfeld Satellitendaten Potenzielle Nutzer der bereitgestellten Satellitendaten sind Landes- und Kommunalverwaltungen, im speziel- len die Land- und Forstwirtschaft. Die aufbereiteten Sa- tellitendaten können z. B. im Bereich der Landwirtschaft eingesetzt werden, um Veränderungen zur Aktualisierung des landwirtschaftlichen Referenzsystems förderfähiger Flächen zu detektieren. Sie können als Bildreihen zum Nachvollzug der Veränderungen auf landwirtschaftlichen Flächen beispielsweise von Grünlandumbrüchen, der Ab- grenzung von Überschwemmungsereignissen oder des Monitorings von Biomasse-Aufwuchs/Mähterminen die- nen. Im Bereich der Forstwirtschaft sind das frühzeitige Erkennen biotischer und abiotischer Schadenseinflüsse, das Ableiten von Stressfaktoren wie Borkenkäfer, die Laub-Nadelwald-Differenzierung, Baumartenerkennung oder die Waldausbreitung mögliche Einsatzbereiche. Die- se Anwendungsszenarien der bereitgestellten Satelliten- Abb. 4: Verschiedene Indizes und Bandkomposite aus Sen- daten werden momentan getestet. tinel‑2-Satellitendaten in einer geometrischen Auflösung Eine weitere Pilotanwendung des Projekts ist die erst- von 10 m und 20 m malige Ableitung der Landbedeckung im Hinblick auf eine Veränderungsdetektion. Die Grundlagen für die Ab- Es werden für acht ausgewählte Monatshälften, näm- leitung der Landbedeckung mittels der Software eCogni- lich April und Mai 2017 und 2018, Sentinel‑2-Satelli- tion stellen wolkenfreie Sentinel‑2-Satellitenaufnahmen, tendaten plus veredelte Daten (Indizes, Bandkomposite) Referenzflächen für die von der AdV vorgegebenen vier mit einer geometrischen Auflösung von 10 m und 20 m Objektartengruppen Bebauung, Vegetationslos, Vegeta- in Form einer Themenkarte Fernerkundung (www.geo tion (krautige und holzige Vegetation) und Wasser, sowie portal-bw.de/themenkarten) bereitgestellt. Im Fall der digitale Geländemodell-, Oberflächenmodell- und Land- geometrischen Auflösung von 10 m sind dies True Co- schaftsmodelldaten dar, die mittels eines Algorithmus lor, Color Infrared, NDVI (Vegetationsindex) und NDWI des maschinellen Lernens (hier: Random Forest) mit einer (Wasserindex); im Fall der geometrischen Auflösung von Güte von ca. 95 % (Gesamtgenauigkeit) klassifiziert wer- 20 m sind dies Healthy Vegetation, Snow/Clouds und den. In Abb. 5 ist links das atmosphärisch korrigierte Mo- Moisture Stress Index jeweils inkl. des Aufnahmezeit- saik aus Baden-Württemberg mit »No Data«-Bereichen punkts (vgl. Abb. 4). dargestellt, in denen keine wolkenfreie Szene gefunden Abb. 5: RGB-Darstellung und Klassifizierung der Landbedeckung für Baden-Württemberg 258 zfv 4/2019 144. Jg. © Wißner-Verlag
Wild-Pfeiffer et al., Kompetenzfeld Satellitendaten Fachbeitrag Abb. 6: RGB-Darstellung und Klassifizierung der Landbedeckung der Region um Stuttgart werden konnte. Basierend auf diesem wird eine Klassifi- mittels Satelliten, Flugzeugen, Drohnen oder auch terres zierung der Landbedeckung abgeleitet (rechts in Abb. 5). trisch gewonnen werden. In Abb. 6 ist die Klassifizierung für einen Detailausschnitt Baden-Württemberg hat sich zum Ziel gesetzt, im Lan- der Region um Stuttgart dargestellt. desamt für Geoinformation und Landentwicklung zentra- le Fähigkeiten zur Aufbereitung und Bereitstellung von Fernerkundungsdaten verschiedenster Herkunft zur Nut- zung in der Landes- und Kommunalverwaltung sowie für 5 Fazit und Ausblick kleine und mittlere Unternehmen aufzubauen und damit den Digitalstandort Baden-Württemberg strategisch zu In diesem Beitrag konnte aufgezeigt werden, dass die stärken. Satellitenfernerkundung, im Speziellen das Copernicus- Programm, als ein Innovationsmotor für die Landesver- messung genutzt werden kann. Literatur Die Satellitenfernerkundung ist einer permanenten BMVI (2017): Die Copernicus Strategie der Bundesregierung. Coperni- cus für Deutschland und Europa – Strategie und Handlungsfelder Weiterentwicklung unterworfen. Zukünftig wird eine der Bundesregierung für eine erfolgreiche Umsetzung des europäi- Vielfalt an Systemen mit unterschiedlichen geometri- schen Erdbeobachtungsprogramms. Bundesministerium für Verkehr schen Auflösungen vorliegen. Es werden zudem mehr und digitale Infrastruktur. spektrale Kanäle verfügbar sein, d. h. es wird ein Über- DIN 18716 (2017): DIN-Norm Photogrammetrie und Fernerkundung – Begriffe. Ausgabe 06. DOI: 10.31030/2654529. gang von multispektralen Missionen hin zu hyperspek- EU-Verordnung (2014): Verordnung (EU) Nr. 377/2014 des europäi- tralen Missionen erfolgen. Konstellationen baugleicher schen Parlaments und Rates vom 3. April 2014 zur Einrichtung des Satelliten wie beispielsweise die RapidEye Satelliten Programms Copernicus und zur Aufhebung der Verordnung (EU) (5 baugleiche Satelliten) oder die Planet Flock Satelliten Nr. 911/2010. IM (2017): Digitalisierungsstrategie der Landesregierung Baden-Würt- (»Satellitenschwarm: 185 baugleiche Satelliten«) werden temberg (digital@bw). Ministerium für Inneres, Digitalisierung und bereits vermehrt eingesetzt; dadurch wird die zeitliche Migration Baden-Württemberg, Stuttgart. Auflösung höher. Insgesamt gehen die Trends hin zu Rili-RB-AdV (2017): Richtlinie für den einheitlichen integrierten geodä- kleineren und günstigeren Systemen und zur Bereitstel- tischen Raumbezug des amtlichen Vermessungswesens in der Bun- desrepublik Deutschland. Arbeitsgemeinschaft der Vermessungs- lung neuerer Produkte wie beispielsweise Videos. Auch verwaltungen der Länder der Bundesrepublik Deutschland (AdV), das Konzept der Sentinel-Satelliten wird zukünftig wei- Version 3.0 – Stand 16.05.2017. tergeführt. Bis 2030 ist der Betrieb der aktuellen Genera- tion durch die Baureihen C und D gewährleistet. Internetlinks: letzter Zugriff 6/2019. Insbesondere die frei zur Verfügung stehenden Senti- nel-Daten des Copernicus-Programms mit räumlich und zeitlich hochaufgelösten Datensätzen, die in regelmäßi- Kontakt gen Abständen heruntergeladen, durch Algorithmen pro- Dr. Franziska Wild-Pfeiffer | Maryse Wampach | Marius Rokus | Karl-Heinz Holuba zessiert und den Nutzern zur Verfügung gestellt werden, Landesamt für Geoinformation und Landentwicklung Baden- erfordern Kenntnisse im Umgang mit großen Datenmen- Württemberg, Kriegsstraße 103, 76135 Karlsruhe gen. Das Thema Big Geo-Data spielt im Zusammenhang franziska.wild@lgl.bwl.de | maryse.wampach@lgl.bwl.de mit der Satellitenfernerkundung eine zunehmend große marius.rokus@lgl.bwl.de | karl-heinz.holuba@lgl.bwl.de Rolle. Der Trend bei der Erledigung der momentanen und zukünftigen Aufgaben der Landesvermessung wird in der Kombination der Fernerkundungsdaten liegen, die Dieser Beitrag ist auch digital verfügbar unter www.geodaesie.info. © Wißner-Verlag 144. Jg. 4/2019 zfv 259
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