Leerstellen und Ausblicke: Ein Fazit

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Leerstellen und Ausblicke: Ein Fazit

Vor dem Hintergrund der bisherigen Analysen der (potenziell) rassistisch und (mehr-
fach-)diskriminierenden Dynamiken im Übergang von der Kita zur Grundschule
in Berlin – und insbesondere in den Teilbezirken Nord-Neukölln und Kreuzberg –
werden nun noch einmal die zentralen Ergebnisse dieser Arbeit zusammengetragen
und die Bezüge und Wechselwirkungen zwischen den einzelnen neuralgischen
Punkten herausgearbeitet. Denn auch wenn keine direkten, kausalen Verbindungen
zwischen den einzelnen Aushandlungszonen im Übergangsbereich von der Kita zur
Grundschule existieren, so lässt sich doch im Ganzen ein Zusammenspiel der ver-
schiedenen Mechanismen und Dynamiken – den „Assemblagen des Rassismus“
(Tsianos/Pieper 2011) – auf unterschiedlichen Ebenen festhalten.
    In diesem Sinne stellten individuelle, diskursive, juridische und institutionelle
Praktiken die untersuchten neuralgischen Punkte des Übergangs von der Kita
zur Grundschule dar. Nichtsdestotrotz lag der Schwerpunkt der Studie auf
den Praktiken und Diskursen pädagogischer Fachkräfte, Lehrer*innen, Schul-
leitungen und (mehrheitlich bildungsprivilegierter) Eltern. Bedingt durch sowohl
forschungspraktische Überlegungen, meine eigene Subjektivität und meinen
situierten Blick als auch durch die gewählte Forschungsperspektive und -praxis,
entstanden auf diese Weise von meiner Forschung nicht beleuchtete Leerstellen
(vgl. Riedner 2018: 51). Im Folgenden soll auch auf einige dieser nicht erfassten
Aspekte des Übergangs von der Kita zur Grundschule kurz verwiesen werden.
    Als den Übergangsbereich rahmend hat sich (Neo-)Linguizismus heraus-
gestellt, denn schließlich sind sowohl Praktiken der Sprachförderung und
der Sprachstandserhebung in der Kita als auch die Zuordnung zur Kategorie
„nichtdeutsche Herkunftssprache“ in den Schulsekretariaten im Zuge der Ein-
schulung sowie nicht zuletzt die Verteilung von Schüler*innen anhand des

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I. Dean, Bildung – Heterogenität – Sprache,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-30856-8
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Kriteriums der Herkunftssprache in der Schule geprägt von (neo-)linguizistischen
Sprachregimen. An diesen Sprachregimen wirken vielfach auch pädagogische
Fachkräfte und Lehrer*innen mit, deren Zielsetzung eigentlich gerade die Ver-
ringerung sprachbezogener Diskriminierung und die Anerkennung sprachlicher
und ‚kultureller‘ Diversität darstellt. Diese Sprachregime werden jedoch auch
beständig durch widerständige, pädagogische ebenso wie alltägliche Praktiken
herausgefordert und unterlaufen, wie ich am Beispiel der Erzieherin Sevda
Yılmaz an der Ahorn-Grundschule in Kreuzberg aufgezeigt habe.
    Während in den letzten Jahren zunehmend die Chancen und Potenziale von
Mehrsprachigkeit betont und diesbezügliche Initiativen im Schulkontext von ver-
schiedenen (unternehmensverbundenen) Stiftungen gefördert werden, verschiebt
sich jedoch parallel dazu die Zielsetzung, nicht deutschkompetenten Kindern
gute Sprachkenntnisse des Deutschen zu vermitteln, auf den Elementarbereich
als einer der Schule zeitlich vorgelagerten Institution. Die (An-)Forderung an
Erzieher*innen, alle Kinder mit guten Deutschkenntnissen in die Schule zu ent-
lassen, habe ich anhand einer konkreten pädagogischen Institution – der Kreuz-
berger Primel-Kita – nachgezeichnet. Die in der Kita tätigen pädagogischen
Fachkräfte zeigten dabei zum Teil eine kulturalisierende Betrachtung von
Migrationsanderen, die sich zu einem guten Teil auf den – in der Konzeption der
Kita formulierten – Ansatz der „Interkulturellen Erziehung“ zurückführen lässt.
Besonders im Bereich der Sprachförderung des Deutschen und zum Teil auch
bei der Sprachstandserhebung bestanden zudem defizitorientierte Annahmen
der „Ausländerpädagogik“ weiter. Mit und in ihren konkreten pädagogischen
Praktiken (re-)produzierten die pädagogischen Fachkräfte allerdings nicht nur
gesellschaftlich machtvolle Differenz- und Dominanzverhältnisse, sondern hinter-
fragten diese parallel dazu auch immer wieder.
    In Bezug auf die Rahmenbedingungen der pädagogischen Arbeit im
Elementarbereich lässt sich in Berlin im Vergleich zum bundesdeutschen Durch-
schnitt feststellen, dass der Personalschlüssel in öffentlichen Kitas relativ eng
bemessen und die Stundenanzahl für die mittelbare pädagogische Arbeit mit
einer Stunde pro Woche niedrig angesetzt ist (vgl. Bertelsmann-Stiftung 2017).
Der Aspekt der Arbeitsentlastung stellte daher ein zentrales Moment für die
pädagogischen Fachkräfte der Primel-Kita dar. Die Erzieherinnen befragten
die Zusammensetzung von Lerngruppen weniger auf den mit der angestrebten
Heterogenität verbundenen normativen Gehalt hin, sondern vielmehr hinsichtlich
deren Effekte für ein gutes Lern- und Entwicklungsklima für die Kinder und eine
Arbeitsentlastung durch eine, hinsichtlich verschiedener Heterogenitätsmerkmale
‚stimmige‘, Gruppenzusammensetzung. Auch im Schulkontext war der Aspekt
der Erleichterung der eigenen Arbeit zentral. Der Abbau einer ‚Trennung nach
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Herkunft‘ oder die Vermeidung einer solchen seitens Schulleitungen realisierte
sich daher nur zum Teil als bewusste Entscheidung für eine diskriminierungs-
kritische Schulentwicklung, zum Teil stellte sie auch einen Nebeneffekt des über-
geordneten Ziels dar, die pädagogische Arbeit zu erleichtern.
    Im Zusammenhang mit der gestiegenen Output- und Performanzsteuerung von
Schule hat sich der Wettbewerb zwischen Einzelschulen verstärkt. Dies befördert
zum Teil Segregationslogiken, bspw. im Kontext der Zuordnung zur Kategorie
„nichtdeutscher Herkunftssprache“. Die Kategorisierung als „ndH“ kann hier-
bei seitens Schulleitungen und Sekretariats-Mitarbeiter*innen sehr flexibel inter-
pretiert werden. In der Konsequenz werden über die schulische Zuordnungspraxis
zu „ndH“ Differenzen zwischen einzelnen Schüler*innen hergestellt. Diese
legitimieren Diskriminierung, ohne dass dabei rassistische Argumentationen zum
Tragen kommen müssen (vgl. Pieper/Panagiotidis/Tsianos 2011: 195). Vielmehr
erscheinen die damit verbundenen Verfahren und Zuschreibungen als angemessen
und ‚wertneutral‘ (vgl. Gomolla/Radtke 2009: 50).
    Aus der Analyse der verschiedenen (rassistisch) diskriminierenden und
segregierenden Praktiken in der Institution Schule wird deutlich, dass diese
kein durchgehendes Organisationsprinzip darstellen. Auch auf der Ebene der
Verwaltung würden sich vermutlich vergleichbare Befunde ergeben. Jedoch
habe ich in meiner Studie die Bildungsverwaltung in Berlin nicht in den Blick
genommen. Dieses Desiderat zu verringern, bleibt Aufgabe weiterer Studien, die
sich mit dem Zusammenwirken verschiedener Diskriminierungsdimensionen auf
institutioneller und individueller Ebene im Kontext von Kita und Grundschule
beschäftigen.
    Um das Zusammenspiel von institutionellen und individuellen Faktoren zu
greifen, habe ich dagegen auch die Perspektiven schulwahlambitionierter Eltern,
deren Kind vor der Einschulung steht, mit einbezogen. Die sich überwiegend
als links oder linksliberal verstehenden Eltern aus dem Umfeld der ­Primel-Kita
nahmen dabei die migrationsgesellschaftliche Realität ihres Wohnumfelds
zumeist sehr positiv wahr. Je nach ihrer Positioniertheit hinsichtlich Rassismus
konzeptionalisierten sie ihr heterogenes Wohnumfeld als ‚Bereicherung‘ oder als
Schutz vor Rassismuserfahrungen. Erst wenn es um den Schuleintritt des Kindes
ging, wandelte sich die überwiegend positive Wahrnehmung des heterogenen
Umfeldes bei allen aktiv Schulwahl praktizierenden Eltern. Sie koppelten die
Dimensionen Mehrsprachigkeit, Klassenzugehörigkeit und Schulleistung mit-
einander und sprachen diesem Konglomerat eine zentrale Bedeutung für die
Qualität von Schule zu. Als notwendig erachteten sie dabei vielfach, eine andere
Grundschule für ihr Kind zu wählen als die ihnen eigentlich zugeordnete Schule im
Einzugsgebiet. Sorgfältig abgewogene Schulwahlentscheidungen erschienen somit
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für viele, insbesondere mittelschichtsorientierte Familien vor dem Hintergrund
eines gestiegenen Bildungsdrucks respektive einer zunehmenden „Bildungspanik“
(Bude 2011) nunmehr selbstverständlich oder vielmehr fast schon unumgänglich
(vgl. Forsey 2008: 76). Zur Ablehnung (nahegelegener) Kiezschulen mit einem
hohen Anteil an Kindern, die der Kategorie „ndH“ zugeordnet sind und häufig
aus sozial benachteiligten Familien stammen, tragen im Kontext Berlins zudem
maßgeblich die in den letzten Jahren intensiv geführten Debatten um ausufernde
Gewalt auf dem Schulhof bei. Angestoßen und angetrieben durch den früheren
Bezirksbürgermeister von Neukölln, Heinz Buschkowski (SPD), war ihr zentrales
Moment das Bild überforderter und resignierter Lehrkräfte, denen gewalttätige und
aggressive ‚türkische‘ und ‚arabische‘ Jugendliche gegenüberstehen (vgl. Friedrich
2017: 122).
   Während vielfach schulwahlambitionierte Eltern die nahegelegene Grund-
schule in ihrem Einzugsgebiet mit einem schlechten Ruf meiden wollten, existiert
parallel dazu an einigen solcher Einzugsgebietsschulen die Option der Gruppen-
anmeldung, also der gemeinsamen Einschulung einer Gruppe von Kindern. Die
Gruppe von ‚Gleichgesinnten‘, mit denen diese Eltern ihre Kinder an die Ein-
zugsgebietsschule schicken, bietet ihnen auf affektiver Ebene Rückhalt und ein
zentrales Schutzgefühl. Initiiert wurden dabei einige Gruppenanmeldungen in
den letzten Jahren durch schulische Akteur*innen, die sich im lokalen Quartiers-
management zusammenfanden. In diesem Sinne knüpfen Gruppenanmeldungen
an Formen des lokalen Bürgerengagements an, wie sie auch vom Quartiers-
management im Zuge der Implementierung des Soziale-Stadt-Programms ab der
zweiten Hälfte der 1990er Jahre maßgeblich befördert wurden.
   Insofern sich in den elterlichen Zusammenschlüssen in Gruppenanmeldungen
ein „Regieren durch Community“ (Rose/Nikolas 2012: 88; vgl. Rose 2000: 332–
337) realisiert, werden hier Vorstellungen von Gemeinschaft aufgerufen, die auf
Eigenverantwortung und den Rückgriff auf persönliche Loyalitätsbeziehungen
im eigenen Lokalraum basieren. Viele der Eltern – und besonders die Mütter aus
den Gruppenanmeldungen – verstanden es in diesem Sinne als eine Art Gemein-
wohlorientierung, wenn sie ihr Kind an einer ‚Problemschule‘ anmeldeten und
dort durch die Anwesenheit ihres Kindes zu einer stärkeren ‚Durchmischung‘ bei-
tragen wollten. Auf der Mikroebene der Gruppenanmeldungen zeigten sich hier
neokoloniale Bezüge im Sinne eines „white (wo)man’s burden“ (Kipling 1998:
311 f.). Viele der hinsichtlich Bildungskapitalien privilegierten Mütter nahmen
es als ihre Aufgabe und Verpflichtung wahr, insbesondere den ‚türkischen‘ und
‚arabischen‘ Kindern das gleichermaßen von der Institution Schule als auch von
ihnen als relevant erachtete Wissen zu vermitteln.
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     In diesem Zusammenhang bestand ein weiteres Desiderat meiner Forschung
darin, nicht explizit die Motive von Eltern erfasst zu haben, die ganz selbstver-
ständlich die ihnen zugewiesene Grundschule mit einem hohen „­ndH“-Anteil
wählen (vgl. Karakayalı/zur Nieden 2013: 68). Auf diese Weise wird das
Phänomen der Schulwahl nur sehr einseitig beforscht (vgl. ebd.; Karakayalı/zur
Nieden 2014: 79). Hier können bereits existierende Studien zu den Perspektiven
von Bewohner*innen marginalisierter Stadtteile (vgl. bspw. Geisen/Riegel/Yıldız
2017) mögliche Ansatzpunkte für weitere Forschungen zu den Schulwahlmotiven
benachteiligter Eltern bieten.
     Im Zuge der Etablierung von Gruppenanmeldungen kam es in den ver-
gangenen Jahren an einigen Schulen zu Konflikten und Auseinandersetzungen
um die Zusammensetzung von Schulklassen. An einer Grundschule in Kreuzberg
warfen dabei Eltern, die nicht Teil einer Gruppenanmeldung waren, der Schule
vor, nach ‚Herkunft segregierte Klassen‘ eingerichtet zu haben. Diese Eltern
trugen ihre Wut über die bestehende Benachteiligung ihrer Kinder aktiv auf die
Straße und drückten so ihre Hoffnung auf Änderung der bestehenden Verhältnisse
aus. Ein weiterer von mir dargestellter Konflikt bezog sich auf schulischerseits
anerkanntes Elternengagement, der zwischen zwei Elterngruppen an der
­Rosen-Grundschule ausbrach.
     In diesen beiden Konflikten sowie auch insgesamt in der vorliegenden Studie
 haben umkämpfte migrationsgesellschaftliche Machtverhältnisse den zentralen
 Analysefokus dargestellt. Vor diesem Hintergrund war die Studie stark beein-
 flusst von einer rassismuskritischen Herangehensweise. Insofern auch nach
 möglichen Wegen gefragt wurde, wie diskriminierende Verhältnisse im Kontext
 von Schule zum Thema gemacht werden können, bieten sich in meiner Arbeit
 Anknüpfungspunkte für eine diversitätssensible und diskriminierungskritische
 Schulentwicklung in der Migrationsgesellschaft, wie sie in den letzten Jahren in
 verschiedenen Teildisziplinen der Erziehungswissenschaft entwickelt wurde.
     Die diesbezüglichen Studien, Projektevaluationen und Konzepte legen ihren
 Fokus auf verschiedene Aspekte einer diskriminierungskritischen Schulent-
 wicklung, bspw. auf Mehrsprachigkeit im Unterricht (vgl. Huxel 2019), auf das
 Lehramtsstudium (vgl. Putjata 2019) oder auf Fortbildungen für Lehrkräfte (vgl.
 Gomolla/Schwendosius/Kollender 2016; Gomolla 2019), auf den Zusammen-
 hang von sozialräumlicher Lage und Schulentwicklungsprozessen (vgl. Huxel/
 Fürstenau 2017), auf Strukturen der Bildung bzw. der Bildungspolitik (vgl.
 Karakaşoğlu/Gruhn/Wojciechowicz 2011), auf Bildungsmaterialien und Schul-
 bücher (vgl. Niehaus u. a. 2015) oder auch auf die schulische Einbindung neu
 zugewanderter Kinder und Jugendlicher als Aufgabe von Schulentwicklung in der
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Migrationsgesellschaft (vgl. Terhart/Massumi/von Dewitz 2017). Auch wenn die
vorliegende Studie nur einige weniger dieser verschiedenen Aspekte fokussiert
hat, so hoffe ich doch, mit dem Fokus auf netzwerkartige Verbindungen im Sinne
von Assemblagen und der ethnografischen Herangehensweise anregend für
weitere Arbeiten im Feld der diskriminierungskritischen Schulentwicklung im
weitesten Sinne wirken kann. Dies nicht zuletzt, da die vorliegende Studie einen
Beitrag dazu leisten möchte, der Vision der Schule – sowie im Besonderen des
Übergangs von der Kita zur Grundschule – als einem möglichst diskriminierungs-
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