Lernen vom Orkan - Qualitätssicherung im Schutzwald - Schutzwald Schweiz
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Der Newsletter «Schutzwald Schweiz» wird herausge- geben von der Fachstelle für Gebirgswaldpflege – www.gebirgswald.ch | www.schutzwald-schweiz.ch | Newsletter 10 | Februar 2020 EDITORIAL Lernen vom Orkan – Qualitätssicherung im Schutzwald Über Nacht fällte der Sturm Vivian im Febru- Gebirgswaldförster seit den 1990er-Jahren intensiv ar 1990 Tausende von Hektaren Schutzwald. Als mit der Dokumentation der Waldentwicklung und junger Kreisförster war ich damals mit grossen der Erfolgskontrolle ihrer waldbaulichen Tätigkeit Waldschäden und mit vielen offenen Fragen kon- befassen. Ich bin dankbar, dass ich die Entwicklung frontiert: Ist liegengelassenes Sturmholz nützlich der Sturmflächen in den letzten dreissig Jahren für die Naturverjüngung oder nur ein Herd für die mitverfolgen konnte. Eine ganze Förstergeneration Borkenkäferentwicklung? Braucht es Pflanzungen hat aus «Vivian» gelernt. Heute können wir unsere oder setzen wir auf die Naturverjüngung? Die Un- Zielsetzungen und Massnahmen auf dokumentier- gewissheit, wie sich die Sturmflächen in Zukunft te Fakten abstützen. Zusammen mit einer seriösen entwickeln würden, war gross. Dokumentierte Erfolgskontrolle bietet dies Gewähr für die Quali- Erfahrungen fehlten weitgehend. Diese schmerzli- tätssicherung in der Schutzwaldpflege. che Erkenntnis ist einer der Gründe, dass sich die Beat Annen, Kantonsforstmeister Kanton Uri Der Wintersturm Vivian hat Ende Februar 1990, Gebirgswald jedoch, dass es auch unter günstigen also vor 30 Jahren, viele Schutzwälder hart getrof- Bedingungen oft mehr als eine Förstergeneration fen. Es zeigte sich: Stabile und gut strukturierte Wäl- dauert, bis sich der Wald erholt hat. der überstehen Sturmereignisse deutlich besser und Diese speziellen Rahmenbedingungen stellen hohe erholen sich dank vorhandener Verjüngung nach Er- Anforderungen an die Qualitätssicherung im Schutz- eignissen auch schneller. «Schneller» bedeutet im wald. Curaglia und sein Schutzwald: oben 1990 nach Vivian, unten im März 2015. (Bilder: Corsin Flepp)
Qualitätssicherung als Schlüssel zum Erfolg Ohne Erfolgskontrolle geht es nicht Wie rasch werden Schutzwälder sind einer stetigen natürlichen sich diese Pflan- zungen zwischen Dynamik unterworfen. Darüber hinaus wirken den liegenden Stämmen auf die- verschiedenste Naturereignisse auf den Wald ser Vivian-Fläche ein. Die für Pflegemassnahmen im Schutzwald bei Pfäfers SG zu schutzwirksamen verbindliche Wegleitung «Nachhaltigkeit und Bäumen entwi- Erfolgskontrolle im Schutzwald (NaiS)» hält ckeln? Eine Antwort dazu gibt die Er- unter anderem fest, dass die Wirksamkeit der folgskontrolle. (Bild: Massnahmen laufend zu überprüfen ist. Neue Raphael Schwitter) Erkenntnisse und Erfahrungen sollen rasch in die praktische Umsetzung einfliessen. Auch die Herausforderungen im Zusammenhang mit der Klimaveränderung lassen sich nur mit einem ad- aptiven Management meistern. Die verschiedenen Ebenen der Erfolgskontrolle Die Erfolgskontrolle im Schutzwald besteht aus Schema der Er- verschiedenen Ebenen. So wird mit der Voll- folgskontrolle ge- zugskontrolle sichergestellt, dass die Massnah- mäss NaiS: Die Wirkungsanalyse men fachgerecht und der Planung entsprechend auf Weiserflächen Lokal angepasste ist ein zentrales ausgeführt werden. Die Wirkungsanalyse hat Nachhaltige Schutzwaldpflege Zielanalyse Ziel-Waldzustände Element. zum Ziel, aufzuzeigen, ob die ausgeführten Weiserflächen Wirkungsanalyse Massnahmen (oder gezielten Unterlassungen) Erfolgskontrolle tatsächlich die erwartete Wirkung auf den Wald Herleitung Handlungsbedarf (Soll-Ist-Vergleich) haben. Die Zielanalyse prüft, ob aufgrund neuer Erkenntnissen gewisse Ziel-Waldzustände an- Umsetzung Massnahmen Vollzugskontrolle gepasst werden sollten. Insbesondere aufgrund des Klimawandels verändern sich beispielswei- Zielerreichungs- Nachhaltig wirksamer Schutzwald se die Zielsetzungen bezüglich der Baumarten. kontrolle Und letztlich wird mit der Zielerreichungskont- rolle die Frage beantwortet, ob sich der Zustand der Schutzwälder grossflächig über die Zeit auch tatsächlich verbessert. Die Wirkungsana- lyse im eigenen Die Wirkungsanalyse als zentrales Instrument Wald ist ein wichti- ges Instrument für Die Wirkungsanalyse auf den von den Bewirt- die lokalen Bewirt- schaftern über viele Jahre beobachteten und schafter. (Bild: Raphael Schwitter dokumentierten Waldflächen spielt eine Schlüs- selrolle. Diese sogenannten Weiserflächen die- nen einerseits der Überprüfung der Wirksam- keit von waldbaulichen Eingriffen sowie deren laufenden Optimierung. Andererseits tragen sie generell zur Kompetenzsteigerung bei und fördern den Wissens- und Erfahrungsaustausch zwischen den Bewirtschaftern.
Die Schutzwaldpflege zeigt Wirkung Dieser vielfältige Mehrheitlich positive Entwicklungen auf und gut struktu- Vivian-Flächen rierte Jungwald auf einer Vivian-Fläche Auf einem Teil der Sturmflächen stehen heute ist bestens für die Zukunft gewapp- wieder schutzwirksame Jungwälder. Viele sind net. (Bild: Raphael dank ihrer Baumarten- und Strukturvielfalt gut Schwitter) gerüstet für die Zukunft. Die positive natürliche Dynamik konnte man mit gezielten Massnah- men ausnutzen und beispielsweise an den Kli- mawandel angepasste Baumarten fördern. Ei- nige Sturmflächen bereiten den Förstern jedoch heute noch Sorgen. In hohen Lagen und unter extremen Bedingungen entwickelt sich dort der Jungwald nur sehr langsam. Nebst viel Geduld sind weiterhin kontinuierlich unterstützende Eingriffe nötig. Praxis und Forschung arbeiten Hand in Hand Kann hier der Wald 25 Jahre nach dem Nach Vivian war nebst vielen anderen die Fra- Sturm die Schutz- ge zentral, ob sich neuer schutzwirksamer Wald wirkung gewähr- leisten, bevor die genügend schnell aus Naturverjüngung entwi- Holzrechen ihren ckelt, oder ob Pflanzungen nötig sind. Ergän- Dienst versagen? (Bild: Peter Brang) zend zu den Beobachtungen und Erfahrungen aus der Praxis untersuchte die Eidgenössische Forschungsanstalt WSL viele Vivian-Flächen. Dank konstruktiver Zusammenarbeit zwischen Forschung und Praxis sind Empfehlungen ent- standen, welche beim nächsten Sturm beispiels- weise verbesserte Entscheidungsgrundlagen beinhalten, wann Pflanzungen angebracht sind. Im Schutzwald hat sich einiges verbessert – Sorgenkind bleibt die Verjüngung Der aktuelle Waldbericht des BAFU (2015) Die Schutzwirkung dieses vom Sturm kommt zum Schluss, dass sich der Zustand des Burglind betroffe- Schutzwaldes seit 1995 in vielen Bereichen ver- nen Steinschlag- Schutzwaldes ist bessert hat. Dieser ist insgesamt stabiler und gefährdet: Trotz schutzwirksamer geworden. Der Anteil stand- grossem Aufwand kann hier die Ver- ortgerechter Misch- und Laubwälder ist gestie- jüngung der stand- ortsgerechten Bau- gen. Hingegen hat sich die Verjüngungssituation marten aufgrund verschlechtert, obwohl mit den meisten Schutz- des starken Wild- verbisses nicht waldeingriffen gezielt die Verjüngung gefördert aufwachsen. (Bild: wurde. Zu dieser Entwicklung massgeblich bei- Christian Rüsch) getragen hat der in vielen Wäldern übermässige Verbiss durch das Schalenwild. Die teils hohen Wildbestände drohen die zukünftige Schutz- wirkung sowie die Anpassung des Waldes an den Klimawandel ernsthaft zu beeinträchtigen.
Lernen von Vivian für Vaia Der Sturm Vaia schädigte am 30. Okto- ber 2018 verschiedene Schutzwäl- der – und zwar auch in Regionen sche Eignung vieler Baumarten auf wie Norditalien oder Südbünden, ihren heutigen Standorten ab. Die die in letzten Jahrzehnten weitge- App listet für jeden Ort im Schwei- hend von Windwurf verschont ge- zer Wald die Baumarten auf, die blieben waren. Unter Mitwirkung im heutigen und zukünftigen Klima Rasche Erkennung von Wind- von WSL/SLF fanden in den letzten gedeihen können. Voraussetzung würfen durch Satelliten-Fern Monaten Begehungen und Informa- ist die Kenntnis des heutigen Wald- erkundung Die Eidgenössische tionsveranstaltungen im In- und standorts gemäss den standorts- Forschungsanstalt WSL entwickelt Ausland statt, bei denen Erfahrun- kundlichen Grundlagen der Schutz- neue Möglichkeiten im Bereich gen aus Vivian und nachfolgenden waldpflege (NaiS). Sie wird vor- Fernerkundung bezüglich Identifi- Forschungsarbeiten weitergegeben aussichtlich im September dieses zierung von Sturmschäden. Dank wurden. Auf Vivian- und Vaia- Jahres unentgeltlich zur Verfügung Radar-Daten lassen sich auch bei Sturmflächen finden zurzeit im stehen. Eine Betaversion kann be- reits heute getestet werden: https://tree-app.ch/ Risikoreduktion durch den Schutzwald Im Rahmen zweier Fallstudien untersuchten die SBB und das BAFU in einem Projekt mit der Berner Fachhochschule und der geoformer ipg AG die Risiko- reduktion durch den Schutzwald an Bahnstrecken. Mit der Methode «Protect-Bio» kann die Wirkung des Schutzwaldes analog zu derjenigen von Schutzbauten beurteilt werden. Sowohl bei flachgründigen Rut- schungen wie auch bei Steinschlag war die Risikoreduktion durch den Wald beträchtlich und das Nutzen- Kostenverhältnis positiv. Die Fall- studien werden demnächst auf Der Sturm Vaia Wolkenbedeckung Informationen Rahmen einer Dissertation auch den Homepages des BAFU und der Ende Oktober 2018 zu Schäden gewinnen. Dies ermög- weiterführende Untersuchungen PLANAT veröffentlicht. schädigte in der Schweiz vor allem licht eine rasche Erstellung von zur Schutzwirkung nach Windwurf Wälder in Appen- zell und Graubün- Hinweiskarten zu grösseren Wind- statt. den wie etwa hier würfen nach einem Sturm. Eine oberhalb von Bergün GR. solche grobe Übersicht ermöglicht Tree App hilft bei der Baumar- (Bild: Peter Bebi) innerhalb weniger Tage beispiels- tenwahl im Klimawandel Die weise abzuklären, ob Schutzwälder neue App unterstützt die Waldfach- betroffen sind. leute bei der Wahl von zukunfts- https://www.wsl.ch/de/projekte/ fähigen Baumarten. Aufgrund des sturmhinweiskarte.html Klimawandels nimmt die klimati- IMPRESSUM · Redaktion: Lukas Glanzmann | Red akt ionelle Begleitung: Franç ois Bossel, Roland David, Giorgio Walther | Lektorat: Lukas Denzler | Gestaltung: Albi Brun | Weitere Infor- mationen: www.schutzwald-schweiz.ch Newsletter 10 · Auflage 2’700 · Februar 2020
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