Lesen und verstehen - Making Sense of CETA - Analyse des EU-Kanada-Freihandelsabkommens - PowerShift
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Making Sense of CETA – CETA lesen und verstehen. Analyse des EU-Kanada Freihandelsabkommens. Hrsg. v. PowerShift / CCPA u. a., Berlin / Ottawa, September 2016 Download unter https://power-shift.de/making-sense-of-ceta/ Herausgeber PowerShift – Verein für eine ökologisch-solidarische Energie- & Weltwirtschaft e. V. Greifswalder Str. 4 (Haus der Demokratie & Menschenrechte), 10405 Berlin Tel.: +49-(0)30-42805479 Email: Peter.Fuchs@power-shift.de http://power-shift.de Canadian Centre for Policy Alternatives (CCPA) Suite 500, 251 Bank Street, Ottawa, ON, K2P 1X3 Kanada www.policyalternatives.ca sowie Aitec (FR), Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (DE), AK Wien (AT), attac (DE), attac (AT), BUND e. V. (DE), Campact e. V. (DE), Compassion in World Farming (EU), Corporate Europe Observatory (EU), Ecologistas en Acción (ES), Fair Watch (IT), Forum Umwelt und Entwicklung (DE), Friends of the Earth (EU), Global Justice Now (UK), Institute of Global Responsibility (PL), Katholische Arbeitnehmer Bewegung (DE), Lobby Control e. V. (DE), Mehr Demokratie e. V. (DE), Mouvement Ecologique (NL), Nature Friends Greece (GR), Österreichischer Gewerkschaftsbund (AT), Progressi (IT), Seattle to Brussels Network (EU), SOMO (Centre for Research on Multinational Corporations) (NL), Stop TTIP (DE), Transnational Institute (EU), Umweltinstitut München (DE), War on Want (GB), weed e. V. (DE). Mitarbeit / Redaktion Hadrian Mertins-Kirkwood, Scott Sinclair, Stuart Trew (alle CPPA), Laura Große, Peter Fuchs, Anna Schüler, Ines Koburger (alle PowerShift). Externe Übersetzungen Marie-Sophie Keller, Madeleine Drescher Danksagung Wir bedanken uns bei den Funders for Fair Trade für die finanzielle Unterstützung dieser Publikation und bei allen AutorInnen für ihre inhaltlichen Beiträge. Layout, Satz und Grafik Tilla Balzer | buk.design Berlin, Ottawa Januar 2017 Creative Commons Lizenz: BY, NC, ND 3.0 ISBN: 978-3-9814344-7-7 Bestellung gedruckter Exemplare bitte per Email an: Anna.Schueler@power-shift.de (bitte genaue Stückzahl und Liefer-/Rechnungsadressen angeben) Preis Einzelexemplar: 3,- Euro (plus Versandkosten) Ab 10 Exemplaren: 2,- Euro (plus Versandkosten) 2 Impressum
Inhalt Seite 5 Zusammenfassung Seite 11 Investitionsschutz und Streitbeilegung in CETA PowerShift e. V. und Canadian Centre for Policy Alternatives (CCPA) Seite 19 CETA und Finanzdienstleistungen: Steigende Gewinne für Banken auf Kosten der BürgerInnen Myriam Vander Stichele, SOMO Seite 25 CETA: Öffentliche Dienstleistungen in Gefahr Roeline Knottnerus, Transnational Institute mit Scott Sinclair, CCPA Seite 31 Dienstleistungshandel PowerShift e.V. und Canadian Centre for Policy Alternatives (CCPA) Seite 39 Beschränkung der Regulierungskompetenz von Regierungen Ellen Gould, CCPA Seite 45 tandards abbauen durch regulatorische Kooperation S Max Bank, LobbyControl mit Ronan O‘ Brien, unabhängiger Wissenschaftler und Lora V erheecke, Corporate Europe Observatory Seite 49 Patente, Urheberrechte und Innovation Ante Wessels, Foundation for a Free Information Infrastructure, e. V. Seite 55 äuerliche Märkte und Lebensmittelqualität auf der Kippe B Berit Thomsen, Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) Seite 63 Freihandel oder Klimaschutz? – Energie- und klimapolitische Gefahren von CETA Ernst-Christoph Stolper, BUND e. V. Seite 71 Handel und Arbeitsrechte Angela Pfister, Österreichische Gewerkschaftsbund Éva Dessewffy, Österreichische Arbeitskammer Seite 75 CETA und seine Bedrohung der kulturellen Vielfalt Jan-Erik Thie, PowerShift Inhaltsverzeichnis 3
Seite 78 Das im Kulturbereich lange unterschätzte Freihandelsabkommen mit Kanada Olaf Zimmermann, Publizist und Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats Seite 81 Kanada-spezifische Bedenken Scott Sinclair und Hadrian Mertins-Kirkwood, CCPA Seite 87 Die CETA-Ratifikation in Kanada und Europa: Wann und wie können wir den Vertrag stoppen? Michael Efler, Mehr Demokratie e. V. 4 CETA Lesen und verstehen
Making Sense of CETA – CETA lesen und verstehen Analyse des EU-Kanada Freihandelsabkommens ZUSAMMENFASSUNG Die vorliegende Publikation analysiert die umstrittensten Aspekte des geplanten Um- fassenden Wirtschafts- und Handelsab- kommens, kurz CETA (Comprehensive Eco- nomic and Trade Agreement). Zahlreiche ExpertInnen aus Kanada und der EU ver- sammeln hier ihre Expertise und beleuch- ten das Abkommen aus verschiedenen Per spektiven. In einem sind sie sich alle einig: In bestehender Form gefährdet CETA das All- gemeinwohl auf beiden Seiten des Atlantiks. In einer ganzen Reihe von Politik feldern, von denen viele nur indirekt mit Handel zu tun haben, erhebt CETA die Rechte von Un- ternehmen und ausländischen Investoren über das Wohl von Bürgern und Bürgerin- Foto: Chris Grodotzki / Campact, CETA_16-06-30_11 nen sowie der breiten Allgemeinheit. flickr, CC BY-NC 2.0, https://www.flickr.com/photos/campact/27962567206/in/album-72157667658662643/ ISDS – INVESTOR-STAAT- Mit CETA erhalten ausländische Investo- ren umfangreiche Klagerechte gegen Re- SCHIEDSGERICHTE gierungsmaßnahmen, die ihre Investitio- Mit CETA soll das alte System der Inves- nen möglicherweise beeinträchtigen. Ein tor-Staat-Schiedsgerichte durch ein neu- solcher Schutz wird normalen BürgerIn- es „Investment Court System“ (ICS) ersetzt nen oder inländischen Investoren nicht werden. Tatsächlich bleibt dieser neue gewährt und könnte SteuerzahlerInnen Entwurf aber auf prozedurale Aspekte be- erhebliche finanzielle Bürden auferlegen. schränkt und adressiert die Sorgen der Zudem wird er von Investoren als Dro- Allgemeinheit keineswegs. Zwar werden hung eingesetzt, um neue Regulierungen einige Verfahrensaspekte verbessert – so im öffentlichen Interesse zu bekämpfen. verringert er das Potential für Interessens- Obwohl der Text das staatliche Regulie- konflikte der SchiedsrichterInnen –, aber rungsrecht bekräftigt („Right to Regu- der umfangreiche Schutz für Investoren late“), stellt diese Klausel lediglich eine bleibt weitestgehend unverändert. Dies vage Richtlinie dar, die von den Investi- gilt z. B. für das sehr weit interpretierbare tionsschutz-Tribunalen übergangen wer- Recht auf „faire und gerechte Behandlung“. den kann. Zusammenfassung 5
FINANZDIENSTLEISTUNGEN für Dienstleistungen, allerdings erfasst das hier verwendete Negativlisten-Prin- CETA sorgt für einen Anstieg der grenz zip generell alle Dienstleistungen, sofern übergreifenden Finanzdienstleistungen diese nicht explizit ausgeschlossen sind. und erleichtert den Zugang von Direktin- Überdies zwingen die „Sperrklinken“- und vestitionen zum finanziellen Sektor. Da- „Stillhalte“-Klauseln in CETA Regierungen durch würde das Abkommen die Finanzin- dazu, zukünftige Regulierungsfragen un- dustrie dazu ermutigen, größere Risiken ter der Maßgabe immer weiterer Liberali- einzugehen (z. B. durch die Entscheidung, sierung zu entscheiden. Dies würde auch in spekulative Anlagen zu investieren) um viele jener Dienstleistungen betreffen, im internationalen Wettbewerb bestehen für die eigentlich Ausnahmeregelungen zu können. Zudem würde CETA den regu- gelten. latorischen Spielraum von Regierungen einschränken, finanzielle Instabilität zu adressieren. Unter anderem, indem es der ÖFFENTLICHE Finanzindustrie ein institutionalisiertes Mitspracherecht innerhalb des regulato DIENSTLEISTUNGEN rischen Prozesses einräumt. Während eine begrenzte Anzahl öffentli- cher Dienstleistungen von einigen der Li- Völlig ungeachtet der Finanzkrise würde beralisierungsbestimmungen in CETA aus- CETA den Sektor für finanzielle Dienst- geschlossen ist, sind zentrale Vorbehalte leistungen in der EU und Kanada einem äußerst schwach formuliert oder mangel- erhöhten Wettbewerb aussetzen und haft. Der im Abkommen enthaltene Inves- starken Druck auf Aufsichtsvorschriften titionsschutz würde die Fähigkeit von Re- ausüben. Auf diese Weise wären beide gierungen unterlaufen, ihre öffentlichen Vertragsparteien anfälliger für Finanz- Dienste auszuweiten oder in der Zukunft schocks und Dominoeffekte. Hinzu kommt, neue zu etablieren. dass zentrale Bestimmungen bezüglich der Finanzdienstleistungen über den ISDS- CETA steht in starkem Widerspruch mit Mechanismus einklagbar sind. Regierun- der Freiheit gewählter Regierungen, pri- gen könnten praktisch dazu gezwungen vatisierte Dienstleistungen zurück in die sein, Banken für Regulierungsmaßnahmen öffentliche Hand zu bringen. Haben sich zu entschädigen. ausländische Investoren erst einmal auf einem privatisierten Sektor etabliert, kön- nen Anstrengungen zur Wiederherstellung HANDEL MIT öffentlicher Dienstleistungen Klagen auf Kompensationszahlungen auslösen, die DIENSTLEISTUNGEN die durchgeführten Privatisierungen un- CETA würde die Regulierungsfähigkeit von umkehrbar zementieren würden. Regierungen bezüglich des Eintritts und der Tätigkeiten ausländischer Dienst- leister auf dem inländischen Markt be- INTERNE REGULIERUNG grenzen. Das würde auch Regulierungen betreffen, die nicht auf Grundlage des Indem CETA festschreibt, dass die An- Herkunftslandes eines Unternehmens forderungen an Zulassungen und Quali- diskriminieren. Indem es ausländischen fikationen, genauso wie jede Maßnahme Dienstleistern Marktzugang und be- in Zusammenhang mit diesen Vorgaben – vorzugte Behandlung gewährt, bedroht „so einfach wie möglich“ sein soll, wür- CETA das Überleben öffentlicher Dienst- de es die gesetzgeberische Flexibilität leistungen und der regionalen Anbieter. auch in solchen Bereichen beschränken, Zwar enthält CETA Ausnahmeregelungen die nur lose mit Handel in Verbindung 6 CETA Lesen und verstehen
stehen. Selbst nicht-diskriminierende PATENTE UND Regulierungen werden so zu möglichen Handelshemmnissen. URHEBERRECHTE CETA würde die Position von Patentin- Der Geltungsbereich der Bestimmungen habern gegenüber EntwicklerInnen und zu interner Regulierung geht weit über VerbraucherInnen stärken und damit die das hinaus, was in anderen Verträgen bereits jetzt zerstörerische Praxis von Pa- und sogar in anderen Passagen in CETA tenttrollen in der Software- und anderen festgeschrieben ist. Regulierungen nicht Industrien noch bestärken. Da geistiges nur im Bereich Dienstleistungen, sondern Eigentum dem ISDS-Mechanismus in CETA „aller ökonomischen Aktivitäten“ werden unterworfen ist, könnten Patentinhaber davon betroffen sein. Nur bezüglich ei- das Abkommen nutzen, um Regierungen niger weniger Punkte sollen Vorbehalte für künftige Maßnahmen gegen Patent gelten. trolle zu verklagen. CETA greift die Internetfreiheit nicht direkt REGULATORISCHE an. Indem es aber das derzeitige System in- dustriefreundlicher Regelungen in Kanada KOOPERATION und der EU bekräftigt, würde der Vertrag CETA würde eine Reihe von Institutionen Regierungen davon abhalten, in Zukunft und Prozessen schaffen, die es auslän- zu benutzerfreundlicheren Regelungen dischen Regierungen (und deren Wirt- des geistigen Eigentums zurückzukehren. schaftslobbys) erlauben, sich bei der Einführung neuer interner Regulierungen einzumischen. Dies könnte Gesetzgebung LANDWIRTSCHAFT im Sinne des öffentlichen Interesses ver- langsamen oder verhindern und letztlich Die Ratifizierung von CETA würde einen das Vorsorgeprinzip untergraben. Die herben Rückschlag für die Bemühungen Bandbreite der davon betroffenen Berei- um bäuerliche und nachhaltige Landwirt- che wäre enorm: Sie würde nicht nur Wa- schaft auf beiden Seiten des Atlantiks ren und Dienstleistungen umfassen, son- bedeuten. Durch die Erhöhung zollfreier dern auch Investitionen und andere Felder, Importquoten etwa für Milch und Fleisch die nur locker mit dem Bereich Handel ver- werden kanadische und europäische Bäu- bunden sind. erinnen und Bauern einem erheblichen Wettbewerbsdruck ausgesetzt. Dies könn- Jeder Versuch einer „Harmonisierung“ der te sie dazu zwingen, in ihren Produktions- Regulierungen von Kanada und der EU methoden weniger auf Nachhaltigkeit als würde die Gefahr mit sich bringen, dass auf Kostensenkung und profitable Ergeb- Standards bis auf den kleinsten gemein- nisse zu setzen. samen Nenner abgesenkt werden. Doch damit nicht genug: Wirtschaftslobby Zudem geraten Produktions- und Verarbei- istInnen könnten im Rahmen der Regu- tungsstandards mit CETA unter weiteren latorischen Kooperation auf Änderun- Druck. Praktiken, die in Kanada als sicher gen drängen, die zu kontrovers sind, um gelten – wie die Oberflächenbehandlung sie im eigentlichen CETA-Vertragstext von Fleisch mit Milchsäure, die Verwen- aufzunehmen. dung von Hormonen in der Rindfleischpro- duktion oder die Nutzung genetisch modi- fizierter Organismen – sind in der EU mit Verweis auf das Vorsorgeprinzip untersagt. Solche Vorsorgemaßnahmen könnten un- ter CETA auf Basis des „Nachsorgeprinzips“ Zusammenfassung 7
angegriffen werden, weil Kanada auf und einige ihrer prioritären Governan- Grundlage „wissenschaftsbasierter Risiko- ce-Übereinkommen noch nicht ratifiziert. bewertung“ reguliert. Der CETA-Text ermuntert sie zwar dazu, dies zu tun, stellt aber keine Verpflichtung dar. Auch bedroht CETA das für europäische Produkte geltende System Geographischer Bezeichnenderweise ist das Kapitel zu Ar- Herkunftsangaben. Von 1.308 Lebensmit- beitsrechten in CETA von den generellen teln, 2.883 Weinen und 332 Spirituosen Streitschlichtungsbestimmungen des Ab- sind lediglich 173 im CETA-Text geschützt. kommens ausgeschlossen. Im Falle eines Konflikts zwischen den Parteien bezüglich einer Verletzung von Arbeitsstandards KLIMA UND ENERGIE sieht CETA lediglich unverbindliche Kon- sultationen zur Beilegung vor. CETA gefährdet eine zukunftsfähige Klima- und Energiepolitik. Die Bestimmungen zum Investitionsschutz könnten in Zukunft KULTUR eingesetzt werden, um Bemühungen zu untergraben, die fossile Energieproduk Kanada und die EU waren die beiden trei- tion herunterzufahren oder zu stoppen so- benden Kräfte hinter der UNESCO-Konven- wie Erneuerbare Energien zu fördern. CETA tion über Kulturelle Vielfalt aus dem Jahr enthält keinerlei Bestimmungen, die Maß- 2005. Umso enttäuschender ist es, dass nahmen zur Abwendung des Klimawan- beide Parteien die dort gemachten Ver- dels verlässlich vor Investor-Staat-Klagen pflichtungen in der CETA-Präambel ledig- schützen könnten. lich „bekräftigen“ – eine klare und verbind- liche Sprache zum Schutz der kulturellen Die CETA-Formulierungen zum Schutz von Vielfalt im Vertragstext selbst wurde hinge- Umweltschutzmaßnahmen und zur Regu- gen nicht aufgenommen. Mehr noch, wäh- lierung von Ressourcen sind dagegen sehr rend Kanada weitgehende Ausnahmen für schwach. Das Kapitel über „Handel und seine Kulturwirtschaft durchgesetzt hat, nachhaltige Entwicklung“ ist äußerst knapp ließ die EU nur wenige Bereiche seiner Kul- gehalten und enthält keinerlei Verpflich- turwirtschaft von den vertraglichen Libera- tungen für die Vertragsparteien, eine zu- lisierungsanforderungen ausnehmen. Und kunftsorientierte und klimafreundliche Po- selbst diese partiellen Ausnahmen werden litik zu implementieren. CETA würde so ein die Kulturwirtschaft der EU nicht von den erhebliches Hindernis beim Erreichen der weitreichenden Bestimmungen im Kapitel Ziele bedeuten, auf die sich unter anderem über Investitionsschutz schützen können. die EU und Kanada im Rahmen des Pariser Abkommens von 2015 verpflichtet haben. Eine Unterzeichnung des Abkommens wür- de die Freiheit der EU-Mitgliedsstaaten erheblich dabei einschränken, die Vielfalt ARBEITSRECHTE ihrer kulturellen Szenen und Industrien aktiv zu fördern und zu entwickeln. CETA verfehlt das Ziel, im Bereich der Ar- beitsrechte bindende und durchsetzbare Bestimmungen zu errichten, die Arbeits- BESONDERE BEDENKEN standards in der EU und in Kanada effektiv schützen und verbessern würden. VON SEITEN KANADAS Europäer und Kanadier teilen einen Groß- Diverse EU-Mitgliedsstaaten wie auch Ka- teil der mit CETA verbundenen Befürchtun- nada haben die Kernarbeitsnormen der gen. Einige Auswirkungen des Abkommens Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) allerdings dürften in Kanada negativer zu 8 CETA Lesen und verstehen
Foto: Ferdinando Iannone / Campact, CETA und TTIP freie Zone flickr, CC BY-NC 2.0, https://bit.ly/2IYGHDm spüren sein. Mit CETA wäre Kanada gezwun- DER CETA-RATIFIZIERUNGS- gen, unilateral Zugeständnisse bezüglich seines Umgangs mit geistigem Eigentum PROZESS im Bereich Pharmazeutika zu machen, was Nachdem die 2009 gestarteten CETA-Ver- zu einer deutlichen Erhöhung der Arz- handlungen Anfang 2016 abgeschlossen neimittelpreise führen würde. Als erstes wurden, folgt nun der Ratifikationsprozess Freihandelsabkommen überhaupt würden des Abkommens. Im Herbst 2016 wird der die Bestimmungen zur Auftragsvergabe EU-Ministerrat entscheiden, ob er die Un- auch Provinzen und Kommunen erfassen. terzeichnung des Abkommens genehmigt. Dies könnte regionale und lokale Entwick- Danach wird das Europäische Parlament – lungsinitiativen gravierend unterminieren. voraussichtlich im Dezember 2016 oder Des Weiteren könnte CETA in Konflikt mit Frühjahr 2017 – darüber abstimmen, ob den Rechten der indigenen Bevölkerung es dem vorgelegten CETA-Text zustimmt. geraten, deren Land häufige Zielscheibe CETA wurde für diese Entscheidungen als ausländischer Rohstoffkonzerne ist. ein „gemischtes“ Abkommen vorgeschla- gen. Das bedeutet, dass danach auch alle Weitere für Kanada sensible Bereiche sind 28 EU-Mitgliedstaaten den Vertrag ratifi- das Angebotsmanagement bei landwirt- zieren müssen, bevor er in 2-4 Jahren noch schaftlichen Produkten und die Arbeitsstan- einmal dem Ministerrat zur Entscheidung dards im Zusammenhang mit der vorüber über den Abschluss von CETA vorgelegt gehenden Einreise von Geschäftsleuten. wird und dann endgültig in Kraft tre- ten kann. Die EU-Kommission und viele Zusammenfassung 9
Mitgliedstaaten drängen allerdings darauf, CETA bereits vor den nationalen Abstim- mungsprozessen weitestgehend „vorläufig anzuwenden“. In allen Phasen des Ratifizierungsprozes- ses haben GegnerInnen des Abkommens in Europa noch politische Handlungs- möglichkeiten, um Mehrheiten gegen die CETA-Ratifizierung zu organisieren. Zudem werden auf europäischer und nationaler Ebene juristische Bemühungen gestartet, um CETA vor dem Europäischen Gerichts- hof und in Deutschland vor dem Bundes- verfassungsgericht überprüfen zu lassen. In Kanada ist vor Inkrafttreten des Ver- trags ein Gesetzgebungsverfahren vorge- sehen, dass die Zustimmung sowohl des gewählten Parlaments als auch des er- nannten Senats erfordert. Die derzeitige Regierung befürwortet CETA ausdrücklich und wird – ungeachtet der starken Oppo- sition durch eine Vielzahl von Kommunen und zivilgesellschaftliche Gruppen im öf- fentlichen Interesse – auf eine Ratifizie- rung noch im Herbst 2016 drängen. 10 CETA Lesen und verstehen
Investitionsschutz und Streitbeilegung in CETA PowerShift e. V. und Canadian Centre for Policy Alternatives (CCPA) * Die Europäische Kommission und Kanada hatten die Möglichkeit, im endgültigen Text des Freihandelsabkommens CETA auf das Recht ausländischer Investoren zur Nutzung der Investor-Staat-Streitbeile- gung (ISDS) zu verzichten. Sie taten es aber nicht. Die europäischen und kanadischen UnterhändlerInnen haben vielmehr be- schlossen, die schlimmsten Bestimmun- gen des ISDS-Systems beizubehalten und ihren Anwendungsbereich somit geogra- phisch beträchtlich auszuweiten. Wie die folgende Analyse offenbart, reformieren die Bestimmungen des CETA-Kapitels 8 zum Investitionsschutz le- Foto: Nicola Jäger / PowerShift e.V., EU diglich bestimmte Verfahrensaspekte des ISDS-Systems. Die unmittelbare Bedro- hung, die das Abkommen aber für demo- WIRKLICHE REFORM kratische Rechte und Rechtstaatlichkeit darstellt, wird gerade nicht adressiert. Auf ODER WIEDERHOLUNG DER die neue Formulierung zur Bekräftigung BEKANNTEN FEHLER? des staatlichen Regulierungsrechts (right to regulate) kann man sich nicht verlassen, Die Europäische Kommission ist mit dem wenn es darum geht, Regulierungen im öf- endgültigen CETA-Text zufrieden, das fentlichen Interesse vor Angriffen durch deutsche Wirtschaftsministerium fühlt Investor-Staat-Klagen zu schützen. Eine sich in seinem Ansatz bestätigt und viele wachsende Zahl von europäischen Bür- Mitglieder des Europäischen Parlaments gerInnen und EntscheidungsträgerInnen (MEP) sind erleichtert. Diese Akteure be- stehen der Aufnahme von ISDS in Freihan- grüßen das Verhandlungsergebnis als ei- delsabkommen mit den USA oder Kanada nen gemeinsamen Erfolg und Eckpfeiler bereits skeptisch oder ablehnend gegen- für eine globale Reform des gesamten In- über. Sie können nicht beruhigt sein, wenn vestitionsschutzregimes. Allerdings unter- die EU-Kommission ihnen nun versichert, schlägt diese Sichtweise eine sehr wichtige dass sie den Prozess jetzt fairer, transpa- Information: Während einer Online-Kon- renter und förderlicher für Regulierungs- sultation der EU vor zwei Jahren sprachen maßnahmen im öffentlichen Interesse ge- sich 97 % der TeilnehmerInnen gegen die macht habe. Bestimmungen zum Investitionsschutz Investitionsschutz und Streitbeilegung in CETA 11
WAS IST INVESTOR-STAAT-STREITBEILEGUNG? Canadian Centre for Policy Alternatives Investor-Staat Streitbeilegung (ISDS) ist ein Mechanismus zur außergerichtlichen Beilegung von Rechtsstreitigkeiten zwischen Staaten und ausländischen Investo- ren, der in Investitionsschutzabkommen und Freihandelsabkommen mit Investi- tionsschutzkapiteln wie CETA und TTIP verwendet wird. Ausländische Investoren sind regelmäßig nicht verpflichtet, den innerstaatlichen Rechtsweg des Gast landes auszuschöpfen, bevor sie eine ISDS-Klage einreichen. Sie brauchen hierzu auch keine Zustimmung der Regierung ihres Heimatlandes. Multinationale Unternehmen und reiche Investoren haben ISDS in der Vergangen- heit genutzt, um eine breite Palette von Gesetzen, Verordnungen und Richtlinien anzugreifen. Hierzu gehörten Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit, zum Um- weltschutz, zur Finanzmarktregulierung und zum Ressourcenmanagement. Unter bestimmten Umständen ist bereits die Androhung einer ISDS-Klage ein mächtiges Mittel für ausländische Investoren, um die Verabschiedung einer ungeliebten poli- tischen Maßnahme zu verhindern. ISDS-Fälle werden in der Regel von Tribunalen aus drei Mitgliedern entschieden: ein/e SchiedsrichterIn wird vom ausländischen Investor gewählt, eine/r durch die angegriffene Regierung und der/die dritte wird im gegenseitigen Einvernehmen bestimmt (oder, falls dies nicht möglich ist, von einer externen Instanz). Die Ent- scheidungen der Tribunale unterliegen nur sehr begrenzter oder gar keiner Über- prüfung durch nationale oder internationale Gerichte. Dennoch sind die Schieds- sprüche über öffentliche Entschädigungszahlungen an ausländische Investoren unmittelbar in einer Vielzahl der Staaten der Welt wie ein höchstrichterliches in- nerstaatliches Urteil vollstreckbar. Seit den 1990er Jahren ist die Inanspruchnahme von ISDS durch Investoren von einer kaum merklichen Anzahl von Fällen auf etwa 70 Fälle pro Jahr heute drama- tisch angestiegen. Kanada wurde unter dem Nordamerikanischen Freihandelsab- kommen (NAFTA) 39-mal in ISDS-Verfahren verklagt; fast immer von US-Investoren. Kanada hat bereits mehr als 190 Millionen US-Dollar an Entschädigungen nach bekannt gewordenen Schiedssprüchen oder Vergleichsvereinbarungen gezahlt. Diese Bilanz macht Kanada zum am meisten verklagten Industrieland der Welt. Zur gleichen Zeit reichen kanadische Unternehmen international zunehmend Klagen gegen staatliche Maßnahmen zum Umweltschutz oder Ressourcenmanagement ein. Dies betrifft zumeist Staaten, in denen kanadische Investoren große Energie- und Bergbauinteressen haben. Auch europäische Unternehmen sind sehr klage- freudig: Sie sind für etwa die die Hälfte aller bekannten ISDS-Fälle weltweit ver- antwortlich. Sieben der zehn Heimatländer, deren Investoren am häufigsten unter Investitionsabkommen klagen, sind Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Die Anzahl der ISDS-Klagen und die Höhe der zugesprochenen Entschädigungszah lungen wachsen weltweit weiter an. 12 CETA Lesen und verstehen
in CETA aus. Viele europäische Entschei- Zugriff auf den ISDS-Mechanismus ha- dungsträgerInnen scheinen die hitzigen ben. US-Unternehmen sind für diese Art politischen Debatten und die anhalten- aggressiver Ausnutzung des ISDS-System den Demonstrationen von Millionen von bereits bekannt. 2 Sollten die Bestimmun- BürgerInnen seit der Veröffentlichung des gen über Investitionsschutz in CETA über- Abschlussberichts über die öffentliche leben und der Vertrag ratifiziert werden, Konsultation zum Investitionsschutz zu gäbe es praktisch keine Notwendigkeit ignorieren. PolitikerInnen in Europa se- mehr, sie in das EU-USA-Abkommen TTIP hen die Durchsetzung neuer Privilegien für zu integrie ren. Aus dem gleichen Grund ausländische Investoren immer noch als wäre eine weitere Anpassung der Be- politisch wichtig an. stimmungen über den Investitionsschutz in TTIP sinnlos, wenn das CETA-Kapitel 8 Grundsätzlich ermöglicht Kapitel 8 des intakt bliebe. Die Investoren könnten ein- CETA den Investoren der jeweils ande- fach dasjenige Abkommen wählen, das ren Vertragspartei vor einem Investi für ihren Zweck günstiger ist, z. B. CETA tionstribunal auf hohe Entschädigungen gegenüber TTIP vorziehen. Die angekün- zu klagen, wenn sie glauben, dass sie digte transatlantische „Reform“ des In- Verluste u. a. in Folge staatlicher Regu- vestitionsschutzes hat mit CETA also eine lierungsmaßnahmen erlitten haben, z. B. Sackgasse erreicht. Das vage Versprechen bei Maßnahmen zum Gesundheitsschutz, eines zukünftigen „multilateralen Investi- dem Umwelt- oder Verbraucherschutz tionstribunals“ in CETA (Art. 8.29) könnte oder bei Markteingriffen zur Überwindung auf ewig unerfüllt bleiben. aktueller und zukünftiger Finanz- und Wirtschaftskrisen. Die Einführung solcher Angesichts der wachsenden Unzufrie- Privilegien für Investoren in CETA würde denheit der Bevölkerung hat das Euro- die globale Reichweite von ISDS erheblich päische Parlament gefordert, das ISDS erweitern und das Risiko von Rechtsstrei- System durch ein neues System zur Beile- tigkeiten auf Kosten des Gemeinwohls gung von Streitigkeiten zwischen Investo- auf beiden Seiten des Atlantiks multipli- ren und Staaten zu ersetzen, welches im zieren.1 Von besonderer Bedeutung für Einklang mit demokratischen Prinzipien die EuropäerInnen wird aufgrund der eng und dem Rechtsstaat steht. 3 Das Parla- verflochtenen Wirtschaftsbeziehungen in ment verlangte außerdem, dass auslän- Nordamerika die Tatsache sein, dass viele dische Investoren keine weitergehenden US-Unternehmen mit Niederlassungen in Rechte als inländische Investoren genie- Kanada ISDS-Klagen gegen Mitgliedstaa- ßen dürfen. Das neue CETA Investitions- ten der EU aufgrund der CETA-Bestim- schutzkapitel macht deutlich, dass die mungen initiieren könnten, wenn sie ihre EU-Kommission zu solchen grundlegen- Investitionen entsprechend strukturie- den Veränderungen nicht bereit ist. Wenn ren. Nach jüngeren Schätzungen würden das Europäische Parlament seine eigenen 81 % der US-Unternehmen in der EU (ca. roten Linien ernst nimmt, wird es CETA ab- 42.000) unter die Definition eines kanadi- lehnen müssen. schen „Investors“ in CETA fallen und somit 1 Eberhardt, „Investitionsschutz am Scheideweg – TTIP und die Zukunft des globalen Investitionsrechts, Internatio 2 Vgl. Public Citizen, „Tens of Thousands of U. S. Firms nale Politikanalyse“, Mai 2014, zieht Parallelen in der Kritik would Obtain New Powers to Launch Investor-State-Attacks an ISDS zwischen TTIP und CETA anhand von anschaulichen against European Policies via CETA and TTIP“, https://www. Fallbeispielen auf Seite 7 und 12, http://library.fes.de/ citizen.org/documents/EU-ISDS-liability.pdf. pdf-files/iez/global/10773-20140603.pdf; für eine englisch- sprachige Analyse siehe Van Harten, „A Report on the Fla 3 Siehe Entschließung des Europäischen Parlaments wed Proposals for Investor-State-Dispute Settlement (ISDS) vom 8. Juli 2015 mit den Empfehlungen zu den TTIP-Ver- in TTIP and CETA“, 10. April 2015, Osgoode Legal Studies handlungen, 2014/2228(INI), S. 2. d) xv, http://www.europarl. Research Paper No. 16/2015, http://papers.ssrn.com/sol3/ europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//NONSGM- papers.cfm?abstract_id=2595189. L+TA+P8-TA-2015-0252+0+DOC+PDF+V0//DE. Investitionsschutz und Streitbeilegung in CETA 13
VerbraucherInnenrechte oder die Einhal- tung von Gesundheits- und Umweltstan- dards. Diese sind durch ISDS nicht einklag- bar und bleiben auf internationaler Ebene notorisch schwer durchsetzbar. CETA bietet auch materiell einen privile- gierten Schutz für das Eigentum und die erwarteten Gewinne ausländischer In- vestoren. Diese Rechte gehen weit über den bestehenden verfassungsrechtlichen und europarechtlichen Schutz hinaus und können Investoren auch gegen einen legi- timen demokratischen Politikwechsel ab- sichern. Ein begrenzterer Ansatz, nämlich der reine Schutz vor Diskriminierung, wäre Foto: KOMUnews, Airport Advisory Determines Future eine Option in den CETA-Verhandlungen Plans After Election Results flickr, CC BY 2.0, https://www.flickr.com/photos/komunews/8617836982 gewesen und hätte vermieden, dass aus- ländische Investoren schlechter gestellt werden als inländische Investoren. Gleich- DIE KRITIK AM zeitig hätte dieser begrenzte Ansatz das regulatorische Ermessen des Staates in INVESTITIONSSCHUTZ Angelegenheiten von allgemeinem öffent- UND ISDS lichem Interesse wirksam geschützt, weil die Rechte der Investoren den Rahmen Bisher wurden keine überzeugenden Ar- der Gesetzte und der Verfassung im Er- gumente für die Einbeziehung von In- gebnis nicht mehr überschreiten würden. vestitionsschutz und ISDS in CETA vorge- Stattdessen ermöglichen die Schutzstan- bracht. In der EU und Kanada genießen dards im CETA-Investitionskapitel aus- ausländische Investoren bereits einen ländischen Investoren beispielsweise im umfassenden Schutz durch die jeweilige Rahmen von Schadensersatzklagen für Rechtsordnung; zum Beispiel können ihre indirekte Enteignungen auch entgangene Eigentumsrechte wirksam vor Gericht gel- erwartete Gewinne einzuklagen. Investo- tend gemacht werden. Einer besonderen ren genießen in CETA insbesondere durch völkerrechtlichen Absicherung bedarf es das sehr weit gefasste Recht auf faire daher nicht. Ein Punkt, der auch immer und gerechte Behandlung (Fair and Equi- wieder von der aktuellen Bundesregie- table Treatment bzw. FET) gemäß Art. 8.10 rung betont wurde.4 Ein genauso wichtiges Absatz 1-4, ebenso wie durch den Schutz Argument ist, dass CETA Privilegien für In- vor indirekter Enteignung (Indirect Ex- vestoren gewährt, ohne dass diese selbst propriation) gemäß Art. 8.12 Absatz 1 Alt. irgendwelche Pflichten auferlegt bekom- 2 und Annex 8-A CETA einen sehr weit- men – etwa die Schaffung von Beschäfti- reichenden Schutz. 5 Bestrebungen der gungsmöglichkeiten, die Achtung der Men- 5 Siehe dazu auch den Schutzstandard der Inländer schenrechte, der ArbeitnehmerInnen- und Innenbehandlung, Art. 8.6 Absatz 2 CETA; vergleiche hierzu Art. 3 des Entwurfs für ein engere und sorgfälti- gere Fassung dieses Standards in: „Modell Investitions 4 Die Gegenargumente der EU-Kommission werden schutzvertrag mit Investor-Staat-Schiedsverfahren für hier weiter diskutiert: PowerShift, http://power-shift.de/ Industriestaaten unter Berücksichtigung der USA“, S. 9f., die wordpress/wp-content/uploads/2015/05/PowerShift-Ana von Professor Markus Krajewski in einem durch das BMWi lyse-ISDS-Reformdebatte-Sie-bewegen-sich-doch-nicht- in Auftrag gegebenen Gutachten erarbeitet wurde, http:// Mai2015.pdf, S. 3 ff. Zur Position der Bundesregierung, siehe www.bmwi.de/BMWi/Redaktion/PDF/M-O/modell-inves- u. a. die Rede von Bundeswirtschaftsminister Gabriel am titionsschutzvertrag-mit-investor-staat-schiedsverfah- 25. September 2014, http://www.bmwi.de/DE/Themen/aus- ren-gutachten,property=pdf,bereich=bm-wi2012,sprache=- senwirtschaft,did=656586.html. de,rwb=true.pdf. 14 CETA Lesen und verstehen
Vertragsparteien, die Schutzstandards in internationalen Rechts zwar ein inhären- CETA im Vergleich zu älteren Abkommen tes Recht souveräner Staaten zur Rege- einzuschränken und zu präzisieren sind lung seiner inneren Angelegenheiten gäbe, nicht gelungen, da viele unbestimmte dass die Ausübung dieses Rechts aber Rechtsbegriffe Spielraum für Auslegungen nicht unbegrenzt sei und Grenzen haben lassen. So wird beispielsweise in Art. 8.10 müsse. Wie vom Kläger zu Recht betont, Absatz 4 auf den Schutz legitimer Erwar- lege die Rechtsstaatlichkeit, welche in- tungen des Investors Bezug genommen ternationale vertragliche Verpflichtungen (in der deutschen Fassung übersetzt als beinhalte, solche Grenzen fest. „berechtigtes Vertrauen“ des Investors). Dieses Kriterium diente Schiedsgerichten Nachdem ihnen immer wieder von Tri- in der Vergangenheit wiederholt dazu, den bunalen bescheinigt wurde, dass die Ver- Schutzstandard der fairen und gerechten pflichtungen in Handelsabkommen dem Behandlung expansiv auszulegen. staatlichen Regulierungsrecht Grenzen setzen, können sich die UnterhändlerIn- Das überarbeitete CETA Investitionska- nen von Handelsabkommen nicht mehr pitel enthält eine neue Formulierung zur legitimer Weise darauf berufen, dass die Bestätigung des staatlichen Regulierungs- einfache Bestätigung dieses Rechts einen rechts (right to regulate). Es wäre jedoch angemessenen Schutz vor erfolgreichen ein Fehler zu glauben, die Regierungen Klagen darstelle. Mit anderen Worten, im würden sich mithilfe dieser Klausel wirk- aktuellen CETA-Text ist das staatliche Re- sam gegen Investorenklagen verteidi- gulierungsrecht nur eine vage Norm, die gen können. Denn es bleibt immer noch während des ISDS-Verfahrens selbst inter- ein großer Ermessensspielraum bei den pretiert wird und den SchiedsrichterInnen SchiedsrichterInnen hinsichtlich der Fra- ge, ob die jeweils angegriffene staatliche Maßnahme auch „legitim“ im Sinne des In- vestorenschutzes ist. Investitionstribuna- le haben immer wieder entschieden, dass Regierungen zwar das Recht haben, zu regulieren, dass dieses Recht aber durch freiwillig eingegangene vertragliche Ver- pflichtungen beschränkt wird. So weist z. B. das WTO-Berufungsgremium darauf hin, dass Handelsabkommen „die Ausübung des inhärenten Rechtes der Mitglieder zu regulieren dadurch einschränken, dass sie von WTO-Mitgliedern verlangen, den Verpflichtungen nachzukommen, die sie darunter übernommen haben.“ 6 Im Rah- men eines Investor-Staat-Klageverfahrens gegen Ungarn, welches auf einem bilate- ralen Investitionsabkommen beruhte, er- klärte das Schiedsgericht 7, dass es nach seinem Verständnis der Grundlagen des 6 “China – Measures affecting Trading Rights and Dis tribution Services for certain Publications and Audiovisual Entertainment Products – Report of the Appellate Body”, 21. December 2009, WT/DS363/AB/R, S. 98, para. 222. 7 ADC v Hungary, ICSID Case No. ARB/03/1, Oktober 2006, S. 77, para. 423. Investitionsschutz und Streitbeilegung in CETA 15
vor. Die fünfzehn Mitglieder des Tribunals sollen sich aus 5 kanadischen Mitgliedern, STELLUNGNAHME des 5 Mitgliedern mit europäischen Staatsan- Deutscher Richterbundes ZUR STREITBEILEGUNG IN TTIP gehörigkeiten und 5 Mitgliedern zusam- mensetzen, die weder kanadische noch EU-BürgerInnen sind, um die Unparteilich- „Der Deutsche Richterbund lehnt keit zu gewährleisten. Eine Ernennung der die von der EU-Kommission vor Mitglieder des Tribunals erfolgt grund- geschlagene Einführung eines sätzlich für 5 Jahre. Das Tribunal verhan- Investitionsgerichts im Rahmen delt Investitionsstreitigkeiten mit einer der Transatlantic Trade and In Besetzung von drei Mitgliedern, die durch vestment Partnership (TTIP) ab. den Präsidenten des Tribunals abwech- Der DRB sieht weder eine Rechts selnd ernannt werden. Die Besetzung des grundlage noch eine Notwendig Tribunals soll stets ein/e SchiedsrichterIn keit für ein solches Gericht. (...) Die Schaffung von Sondergerichten aus jeder der drei Gruppen repräsentie- für einzelne Gruppen von Recht ren: aus Kanada, einem EU-Mitgliedsstaat suchenden ist der falsche Weg. (...) und einer/einem Vorsitzende/n des Tri- Der Deutsche Richterbund sieht bunal aus einem neutralen Land. keine Notwendigkeit für die Er richtung eines Sondergerichtes für Diese Neuerungen im Verfahren weisen Investoren. (...) Weder das vorge dennoch erhebliche rechtsstaatliche De- sehene Verfahren zur Ernennung fizite auf. Besonders besorgniserregend der Richter des ICS noch deren Stellung genügen den inter na ist, dass die Regelungen zur richterlichen tio nalen Anforderungen an die Unab Unabhängigkeit immer noch hinter den hängigkeit von Gerichten. Das ICS üblichen Rechtsstandards zurückblei- erscheint vor diesem Hintergrund ben. Zum Beispiel ist die Tätigkeit als nicht als internatio nales Gericht,SchiedsrichterIn keine Vollzeitbeschäfti- sondern vielmehr als ständiges gung. SchiedsrichterInnen wird zwar nach Schiedsgericht.“ * Artikel 8.30 Absatz 1 („Ethics“) verboten gleichzeitig als RechtsanwältInnen tätig zu sein. Nicht ausgeschlossen ist hinge- gen die Möglichkeit, dass die Mitglieder einen erheblichen Spielraum lässt, zu neben ihrer Tribunalfunktion auch als Gunsten des Investors und gegen die SchiedsrichterInnen im klassischen In- staatliche Regulierungsmaßnahme zu vestor-Staat-Streitbeilegungssystem tätig entscheiden. werden. Zudem werden SchiedsrichterIn- nen nur mit einer monatlichen Grundver- Der finale CETA-Text enthält ansonsten gütung und sodann nach Arbeitsaufwand einige längst überfällige Verbesserungen bezahlt.8 Das bedeutet, dass sie ein aktives des ISDS-Mechanismus. Zum Beispiel kön- finanzielles Interesse daran haben, eine nen die klagenden Parteien (die Investoren große Anzahl von Investor-Staat-Klagen oder Unternehmen) nicht mehr die Aus- zu verhandeln. Diese und andere struk- wahl der SchiedsrichterInnen beeinflus- turelle Anreize für investorenfreundliche sen. Stattdessen sieht CETA in der ersten Entscheidungen sind ein zentrales Prob- Instanz ein Tribunal mit 15 von der EU und lem auch des aktuellen Ansatzes zu ISDS. Kanada öffentlich ernannten Mitgliedern Eine offensichtliche Lösung zur Vermei- dung von möglichen Interessenkonflikten * Siehe Deutscher Richterbund, Stellungnahme zur Er- richtung eines Investitionsgerichts für TTIP – Vorschlag der Europäischen Kommission vom 16.09.2015 und 12.11.2015, 8 Siehe Art. 8.27 Absatz 12 und 14 CETA, denen zufolge Berlin, http://www.drb.de/fileadmin/docs/Stellungnah- die Mitglieder des Investitionstribunals lediglich eine men/2016/DRB_160201_Stn_Nr_04_Europaeisches_Investi- geringe feste Vergütung erhalten (deren Höhe auch noch tionsgericht.pdf. nicht feststeht). 16 CETA Lesen und verstehen
wäre gewesen, SchiedsrichterInnen als nicht zeitnah die Verfahrensregeln für Vollzeitangestellte zu ernennen und ihnen Berufungen und die Mitglieder der Beru- zu verbieten, nebenher ein anderes Amt fungsinstanz, ist diese zunächst nicht für (als AnwältIn oder SchiedsrichterIn) zu Investoren und die verklagten Staaten übernehmen. verfügbar. Schiedssprüche können dann nicht überprüft werden. LÜCKEN IN DER Diese Lücke in der Ausgestaltung des rechtsstaatlichen Verfahrens zeigt sich UMSETZUNG DES in ähnlicher Weise in der Erhebung eines REFORMIERTEN Schiedsspruches. Sollten sich die EU und STREITBEILEGUNGS Kanada nicht zeitnah nach Ratifikation des CETA auf die 15 Mitglieder des Tribunals SYSTEMS einigen können, werden drei Schiedsrich- terInnen aus der hergebrachten Investi Einige Bestimmungen im CETA weisen da- tions schiedsgerichtsbarkeit durch den/ rüber hinaus auch Lücken in der Umset- die Generalsekretär/in des Internationa- zung des geplanten Streitbeilegungssys- len Zentrums zur Beilegung von Investi- tems auf. Ein Grund zur Sorge ist, dass die tionsstreitigkeiten (ICSID) ernannt. In der EU-Kommission offenbar nicht auf die Si- Folge würden Schiedssprüche von priva- cherstellung einer Berufungsinstanz in der ten SchiedsrichterInnen gefällt und nicht Anfangsphase der Umsetzung von CETA von ernannten Tribunalmitgliedern. Diese bestanden hat.9 Ein Berufungsverfahren Entscheidungen können dann nicht mit wäre eine Grundvoraussetzung für den einer Berufung angegriffen werden. Die- Schutz der Rechtsstaatlichkeit, da es ein ser Aspekt des CETA-Investitionskapitels gewisses Maß an Rechenschaftspflicht der ist ein Rückschritt im Vergleich zu den SchiedsrichterInnen der ISDS-Tribunale EU-Vorschlägen für die TTIP-Verhandlun- gewährleisten würde. Es könnte auch eine gen, welche die sofortige Einbeziehung ei- einheitliche Umsetzung des Abkommens ner Berufungsinstanz enthalten. sicherstellen. Darüber hinaus hat die Kommission Halb- Der CETA-Text legt die genaue prozedurale herzigkeit in Bezug auf Garantien für Ausgestaltung des Berufungsverfahrens ordnungsgemäße Verfahren bewiesen: in die Hände eines Gemischten CETA-Aus- Während der TTIP-Vorschlag noch neue schusses (bestehend aus Vertretern von Mitwirkungsrechte für alle betroffenen EU und Kanada).10 Die Ausgestaltung und Parteien (zum Beispiel BürgerInnen, NGOs, Einsetzung einer Berufungsinstanz könn- Verbände, WettbewerberInnen des kla- te sich daher leicht in die Länge ziehen. In genden Investors, etc.) vorsah, wurden der Zwischenzeit würden Schiedssprüche solche Rechte Dritter bei den Verhandlun- gegen einen Staat ohne die Möglichkeit gen mit Kanada unter den Teppich gekehrt. substanzieller rechtlicher Überprüfung vollstreckbar sein, so wie sie das derzeit unter ähnlichen Verträgen auch sind. Un- ABSCHLIESSENDE ter die noch offenen Bestimmungen fallen auch die Ernennungen derjenigen Mitglie- BEMERKUNGEN der, die die Berufungsinstanz bilden sollen. Das geplante Streitbeilegungssystem in Bestimmt der Gemischte CETA-Ausschuss CETA ist keine überzeugende Antwort auf die Gefahren des ISDS. Trotz einiger Verfah- 9 Siehe Art. 8.28 Absatz 1,3, 7 und 9 CETA. Dort steht lediglich, dass die jeweiligen Bestimmungen „zeitnah“ rensverbesserungen im Vergleich zu ande- verabschiedet werden. ren Abkommen muss eine Ausweitung von 10 Siehe Art. 8.28 Absatz 7 CETA. ISDS auf transatlantische Investitionen Investitionsschutz und Streitbeilegung in CETA 17
entschieden zurückgewiesen werden. Es gibt weitere erhebliche rechtliche Beden- ken gegenüber dem ISDS-System in CETA und TTIP. Die Einführung eines parallelen Rechtsschutzsystems getrennt von den europäischen Gerichten könnte in Kon- flikt mit dem Prinzip der Autonomie der europäischen Rechtsordnung geraten, da ISDS eine Bedrohung für die wirksame und einheitliche Anwendung des EU-Rechts darstellt.11 * Für die Mitarbeit an dieser Analyse danken wir Malte Marwedel (Ass. iur., Doktorand, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg) 11 Siehe hierzu insbesondere die Analyse von Client Earth (in englischer Sprache), „Legality of investor-state dispute settlement (ISDS) under EU law”, 22. Oktober 2015, S. 3 und 7 ff, http://documents.clientearth.org/wp-content/uploads/ library/2015-10-15-legality-of-isds-under-eu-law-ce-en.pdf. 18 CETA Lesen und verstehen
CETA und Finanzdienstleistungen: Steigende Gewinne für Banken auf Kosten der BürgerInnen Myriam Vander Stichele, SOMO * Kanada gelang es, die Finanzkrise 2007-2008 besser als viele andere Länder und Regionen zu überstehen, darunter auch die Europäische Union (EU). Das liegt laut dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und anderen ExpertInnen daran, dass es in Kanada viel strengere Vorschrif- ten und bessere Aufsicht gab. Darüber hinaus sind das Bankensystem und der Finanzsektor Kanadas weniger offen für Auslandsinvestitionen oder Wettbewerb.1 Beispielsweise werden über 90 Prozent der kanadischen Bankvermögen von den sechs größten kanadischen Banken kon trolliert, welche zudem vor Auslandsüber- nahmen durch Fusionen oder Zusammen- schlüsse geschützt sind. Foto: George Socka, August 2012 Bay and King Bank Towers Toronto Looking Up flickr, CC BY 2.0, https://www.flickr.com/photos/beachdigital/7695092848/in/album-72157630862521156/ Trotz dieser Lektionen aus der Finanzkrise ist in CETA zu Finanzdienstleistungen vor- gesehen, dass der Finanzsektor und sei- sein, sondern zudem sollen Investitionen ne Märkte in Kanada und der EU weiter (einschließlich Übernahmen) in den je- geöffnet werden sollen. So sollen durch weiligen Finanzsektoren gefördert wer- CETA nicht nur mehr grenzüberschreiten- den (z. B. die Öffnung neuer Bankfilialen). de Finanzdienstleistungen (wie z. B. Bera- BefürworterInnen des freien Handels be- tung bei Portfolioinvestitionen) möglich jubeln den verstärkten Investitionswett- bewerb z wischen europäischen und kana- * Für die Mitarbeit an dieser Analyse danken wir Markus dischen Banken beziehungsweise anderen Henn (Referent für Finanzmärkte bei weed e. V.) Finanzdienstleistern. Dabei ist jedoch ein 1 Siehe beispielsweise Giovanni Aversa (Herausgeber), eindeutiger Nachteil, dass beide Finanz „Canada‘s financial system among federal regulation and economic crisis. Strengths and vulnerabilities“, E-Enzy systeme dadurch stärker gegenseitig ver- klopädie für das Bank- und Finanzwesen, sowie den strickt und anfälliger für äußere Shocks Börsenhandel, Assonebb (http://www.bankpedia.org/index. php/en/89-english/c/23915-canadas-financial-s ystem- und Ansteckungen werden. among-federal-regulation-and-economic-crisis-strengths- and-vulnerabilities-encyclopedia); und Chrystia Freeland, „What Toronto can teach New York and London“, Financial Diese Gefahr von rasanten Übertragungs- Times, 29. Januar 2010. Effekten und finanzieller Instabilität in CETA und Finanzdienstleistungen 19
Krisenzeiten wird durch Verpflichtungen ausländischen Investoren vor dem Inves- an anderen Stellen von CETA noch zusätz- tor-Staat-Streitschlichungssystem stärken lich erhöht. So müssen die Vertragspartei- und dadurch noch nie dagewesene und en (Kanada und die EU) beispielsweise laut streitbare Einschränkungen nichtdiskri- den Schlussbestimmungen alle Zahlungen minierender inländischer Regelungen, wie und Transfers ihrer Leistungsbilanzen zu- z. B. Lizenzforderungen im Finanzdienst- lassen (Artikel 30.4). Darüber hinaus ver- leistungssektor, schaffen. pflichten sich die Vertragsparteien zu Be- ratungen über das Ziel, den Kapitalverkehr sehr großer Summen und Investitionszah- ZENTRALE BESTIMMUNGEN lungen zu liberalisieren, also die Vermö- gensübertragungs- und Kapitalbilanzen Die Regeln zum „Marktzugang“ im Finanz- (Artikel 30.5). Zusätzlich schreibt CETA dienstleistungskapitel (Artikel 13.6) von viele Bedingungen für Maßnahmen eines CETA verbieten den Regulierungsbehör- Staates in finanziellen Schwierigkeiten vor, den Maßnahmen, die zu einer Begrenzung die Zahlungen und Kapitalbewegungen der Beteiligung ausländischen Kapitals an einschränken (siehe Artikel 28.4, 28.5 im inländischen Banken oder Finanzdienst- Kapitel zu den Ausnahmen) – obwohl die leistern führen würde, oder die die Anzahl jüngste Krise klar gezeigt hat, wie wichtig von Finanzinstituten des jeweils anderen es zur Verhinderung einer Finanzkrise ist, Landes, den Gesamtwert der Finanztrans- spekulative Kapitalflüsse zu drosseln. aktionen oder die Gesamtzahl an Finanz- dienstleistungen beschränken würden. Allgemein kann festgehalten werden: Der Solche Regeln stehen faktisch im Gegen- durch CETA vorgesehene erhöhte Wettbe- satz zu notwendigen Maßnahmen zur Ein- werb würde dazu führen, dass die Finanz- schränkung von Finanzblasen oder zur Kon- branche zur Erschließung neuer Märkte trolle von Banken und Versicherungen, die mehr Risiken eingehen, mehr hochrisikan- „zu groß sind, um zu scheitern“ (um weitere te Finanzprodukte verkaufen und weniger teure Rettungspakete zulasten der Steu- wohlhabenden KundInnen geringere Leis- erzahlerInnen zu verhindern). Obwohl CETA tungen anbieten würde. Die durch CETA Regulierungsbehörden im Allgemeinen un- ausgelöste Dynamik würde den Ansätzen tersagt, dass ein Finanzinstitut bestimm- seit der Krise zuwiderlaufen, den Finanz- te Finanzdienstleistungen durch eine be- sektor zu reformieren, die wesentlichen stimmte Rechtsform erbringen müsste, soll Ursachen finanzieller Instabilität zu behe- dies immerhin weiterhin erlaubt bleiben, ben, die Risikobereitschaft zu senken, die „sofern nach dem Recht der Vertragspartei Größe des Finanzsektors zu reduzieren (z. B. das Angebot an Finanzdienstleistungen, die „zu groß um zu scheitern“) und einen bes- das Finanzinstitut erbringt, nicht in seiner seren Schutz der KonsumentInnen und der Gesamtheit von einer einzelnen Einheit er- gesamten Wirtschaft zu bewerkstelligen. bracht werden darf“. (Artikel 13.6.3 [b]). Dies könnte eine Aufspaltung von spekulativen Vielmehr würde CETA zu einer Einschrän- Geschäften und gewöhnlichen Privatkun- kung des Handlungsspielraums von Re- dengeschäften gestatten, was von der EU gierungen, Parlamenten und anderen und anderen Regulierungsbehörden als öffentlichen Institutionen führen, im öf- Mittel zur Eindämmung zukünftiger Finanz- fentlichen Interesse den Finanzmarkt zu krisen und Rettungspakete gesehen wird.2 regulieren, um entweder eine Finanzkrise zu verhindern oder um den Finanzsektor 2 Es ist noch nicht abzusehen in wie weit dieser durch CETA vorgesehende Schutz halten wird, da er bisher noch nicht im zu reformieren – außer Kanada oder die EU aktuell hinter verschlossenden Türen, verhandelten Abkom- haben explizite Ausnahmen von den Ver- men über den Handel mit Dienstleistungen (Trade in Services and Agreements, TiSA), zwischen der EU, Kanada, sowie 21 tragsregeln vorgesehen. Der Vertrag würde weiteren WTO Mitgliedsstaaten, enthalten ist und welches darüber hinaus die Sonderklagerechte von größtenteils dieselben Finanzdienstleistungen abdeckt. 20 CETA Lesen und verstehen
CETA definiert, welche Gesetze und ande- ren Maßnahmen als Aufsichtsmaßnahmen zur Regulierung der Finanzmärkte erlaubt sind (Artikel 13.16, dort bezeichnet als „auf- sichtsrechtliche Ausnahmeregelung“). Die Definition unterscheidet sich insofern von anderen Freihandelsabkommen (FHA), dass Aufsichtsmaßnahmen nicht nur solche umfassen, die dem Schutz von Investoren, KundInnen und der Finanzstabilität dienen, sondern vor allem auch solche Eingriffe erlaubt sind, die die Integrität und Verant- wortlichkeit eines Finanzinstituts aufrecht- erhalten sollen. Darüber hinaus sind im Anhang 13-B des Finanzdienstleistungska- pitels eine Anzahl von Zusicherungen auf- gelistet, die eine ungebührliche Einschrän- kung der Aufsichtsmaßnahmen durch CETA Foto: Jakob Huber / campact, umfairteilen_13-04-14_11 flickr, CC BY-NC 2.0, https://bit.ly/2RSphfN verhindern sollen. Zwar gab es bisher in noch keinem EU-Handels- und Investiti- onsabkommen einen solchen zusätzlichen Innerhalb der ersten drei Jahre ab In- Finanzregulierungsschutz, doch bleibt ab- kraftsetzung von CETA müssen die EU und zuwarten, welche faktischen Handlungs- Kanada Regeln zur Begrenzung von Leis- möglichkeiten dadurch geboten werden. tungsanforderungen für Investitionen in Darüber hinaus ist es unwahrscheinlich, der Finanzindustrie aushandeln. Sollten dass diese verbesserte Formulierung auch in diesem vorgegebenen Zeitrahmen kei- in das von der EU und Kanada in Bezug ne entsprechenden Regeln ausgehandelt auf dieselben Finanzdienstleistungen ver- sein, werden automatisch die auf allge- handelte Abkommen über den Handel mit meine Investitionen anwendbaren Leis- Dienstleistungen (Trade in Services and tungsanforderungen (z. B. jene in Artikel Agreement, TiSA) aufgenommen wird. 8.5 des Investitionskapitels) gelten. Diese würden die Regierungspolitik stark darin CETA legt fest, wie Zulassungs- und Qua- einschränken, in Bezug auf ausländische lifikationserfordernisse sowie deren Ver- Finanzinvestoren (wie z. B. ausländische fahren angewendet werden sollen. Regu- Banken und Hedge-Fond-Manager) regu- lierungs- und Aufsichtsbehörden werden lieren zu können, um positive Effekte für es schwerer haben, zu handeln und zu re- die inländische Wirtschaft sicherzustel- agieren, indem festgeschrieben wird, dass len. Insbesondere hindern die in Artikel solche Regelungen für Finanzdienstleister 8.5 festgeschriebenen Leistungsanforde- und Investoren im Voraus festgelegt und rungen Regulierungsbehörden daran, eine so objektiv und klar wie möglich sein müs- Einschränkung des Verkaufs von Waren sen (Artikel 12.3, laut Artikel 13.2.6 auch auf und Dienstleistungen (wie z. B. Geldtrans- den Finanzsektor anwendbar). Solche Zu- fers) vorzunehmen, indem sie sich nach der lassungen und Qualifikationen sind nicht Menge oder dem Wert der Finanzdienst- nur wichtig, um die Integrität des durch leistungsexporte oder Deviseneinnahmen Skandale erschütterten Finanzsektors richten. Eine Erlaubnis solch weitläufiger zu sichern, sondern auch, um mit neuen Freiheiten für den Kapital- und Dienst- Produkten und zukünftigen Regulierungs leistungsverkehr im Finanzsektor könnte herausforderungen, u. a. im Bereich tech- zu einer Destabilisierung des Finanzsys- nischer und digitaler Innovationen (auch tems führen, da sie die Finanzreserven als FinTech bezeichnet), umzugehen. eines Landes erschöpfen (Leistungs- und CETA und Finanzdienstleistungen 21
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