Maturaarbeit und selbstorganisiertes Lernen - worauf kommt es an? - Thementag 2020
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Maturaarbeit und selbstorganisiertes Lernen – worauf kommt es an? Thementag 2020 Zentralschweizer Dialog Gymnasien – Hochschulen Prof. Dr. Yves Karlen Pädagogische Hochschule FHNW Bahnhofstrasse 6 Brugg-Windisch yves.karlen@fhnw.ch 30. Oktober 2020
Ausgangslage • „Ich habe mich sehr lange nicht entschliessen können, mit der [Matura-] Arbeit wirklich anzufangen. Immer länger zögerte ich die Sache hinaus. Als ich vor den Sommerferien erste Resultate präsentieren sollte, hatte ich noch nichts. Erst die Drohung des Betreuers, die Zusammenarbeit abzubrechen, machte mir den Ernst der Lage klar. Gegen Ende der Arbeitszeit bedauerte ich, für die exakte Ausarbeitung nicht mehr genügend Zeit zu haben. Ehrlich gesagt: Meine [Matura-] Arbeit ist in den zwei Wochen vor dem Abgabetermin entstanden.“ (Bonati & Hadorn, 2009, S. 39) • Im Schulalltag können sich Lernprobleme sehr unterschiedlich äussern. Sehr offensichtlich werden sie, wenn Gymnasiasten/-innen schlechte Leistungen erbringen oder sich trotz vielem Üben nicht verbessern. • Wenn Gymnasiasten/-innen beim fachlichen und transdisziplinären Lernen Schwierigkeiten haben, hängt dies häufig mit einer mangelhaften Regulation des Lernverhaltens und Organisation des Lernens zusammen. Prof. Dr. Yves Karlen | Zentralschweizer Dialog Gymnasien – Hochschulen 30.10.2020 1
Selbstorganisiertes Lernen (SOL) im schulischen Kontext • SOL ist die Fähigkeit das eigene Lernverhalten (inkl. Motivation, Emotionen, Informationsverarbeitung) durch den Einsatz von Strategien planvoll zu überwachen und gegebenenfalls zu regulieren, um die gewünschten Ziele zu erreichen. • SOL geht mit grösserem Erfolg in Schule, Studium und Beruf einher und unterstützt eine positive Entwicklung über die gesamte Lebensspanne (Lifelong Learning). • SOL wird von der Lernaufgabe und der Lernumgebung (externe Faktoren) sowie von den individuellen Voraussetzungen (interne Faktoren) der Schüler/-innen (z. B. Vorwissen, Motivation, bisherige Erfahrungen) beeinflusst. • SOL im schulischen Kontext bedeutet, dass die Schüler/-innen beim Lernen angeleitet werden und sie auf dem Prozess der zunehmenden Selbstverantwortung gezielt durch die Lehrperson (und den Mitschülern) unterstützt werden. • SOL im schulischen Kontext bewegt sich auf einem Kontinuum zwischen Fremd- und Selbstregulation. (Schunk & Greene, 2018; Dent & Koenka, 2016; OECD 2019) Prof. Dr. Yves Karlen | Zentralschweizer Dialog Gymnasien – Hochschulen 30.10.2020 2
Das Schreiben einer Maturaarbeit hat das Potenzial Kompetenzen im SOL zu fördern. Zugleich setzt der Maturaarbeitsprozess auch vielfältige Kompetenzen im SOL voraus. Prof. Dr. Yves Karlen | Zentralschweizer Dialog Gymnasien – Hochschulen 30.10.2020 3
Selbstreguliertes Lernen und Maturaarbeit (SelMa) Phasen der Erstellung der Maturaarbeiten 4. Phase: 1. Phase: 3. Phase: Abschluss Präsentations- 2. Phase: Erstellung Start Maturaarbeit Themenfindung der Maturaarbeit & Schulpraxis der Maturaarbeit erstellung & - Konzept Abgabe Durchführung Phasen des Forschungsprozesses Forschung t1 t2 t3 t4 t5 Vor dem Start Nach der Erstellung Während des Nach der Abgabe Nach der Maturaarbeit des Konzeptes Erstellungsprozesses Maturaarbeit Präsenta=on Befragungen mit Online-Fragebogen: 5 Erhebungszeitpunkte (t1-t5) Durchgehende Erfassung des Lern- und Arbeitsprozesses (Online-Lerntagebuch) N=12 Gymnasien; N=1215 Gymnasiasten/-innen (57% weiblich, Alter t1: M=17,5) Prof. Dr. Yves Karlen | Zentralschweizer Dialog Gymnasien – Hochschulen 30.10.2020 4
Vorbereitung durch die Schule t1 und t4 Wie gut wurden Sie an Ihrem Gymnasium auf die Maturaarbeit vorbereitet? Mein Gymnasium hat mich… sehr gut vorbereitet gut vorbereitet eher gut vorbereitet eher schlecht vorbereitet schlecht vorbereitet sehr schlecht vorbereitet T1 1% 12% 40% 31% 11% 5% (M = 3.46, SD = 1.04) T4 2% 21% 38% 23% 12% 5% (M = 3.62, SD = 1.13) 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% (Maag Merki et al., 2017) Prof. Dr. Yves Karlen | Zentralschweizer Dialog Gymnasien – Hochschulen 30.10.2020 5
Lerntagebuch – Dokumentation des Arbeitsprozesses Die Dokumentation des Arbeitsprozesses hat mir geholfen, …. trifft voll und ganz zu trifft zu trifft eher zu trifft eher nicht zu trifft nicht zu trifft gar nicht zu mich an Dinge zu erinnern, die ich noch erledigen wollte oder nicht 6% 25% 31% 14% 13% 10% vergessen durfte. mein Vorgehen besser zu planen. 4% 18% 31% 19% 16% 12% zu überlegen, ob ich mit meinem Vorhaben ans Ziel komme. 3% 16% 32% 19% 18% 11% Inhalte besser zu verstehen. 1% 8% 20% 28% 26% 17% meine Motivation bewusst wahrzunehmen. 1% 7% 16% 22% 29% 25% meine Emotionen bewusst wahrzunehmen. 1% 5% 13% 24% 32% 26% 0% 20% 40% 60% 80% 100% (Maag Merki et al., 2017) Prof. Dr. Yves Karlen | Zentralschweizer Dialog Gymnasien – Hochschulen 30.10.2020 6
Welche Gymnasiasten/-innen waren bei der Maturaarbeit erfolgreicher? Höhere Kompetenzen im SOL Nutzung von Vorwissen Strategien Erfolgreiche Maturaarbeit Beharrlichkeit Growth Mindset Intrinsische Gezieltes um Motivation Hilfe fragen è Werden diese Kompetenzen im Vorfeld gefördert? (Hirt, 2019; Hirt et al, eingereicht; Karlen et al., 2018, 2019) Prof. Dr. Yves Karlen | Zentralschweizer Dialog Gymnasien – Hochschulen 30.10.2020 7
Tipps für die Maturaarbeit von und für Gymnasiasten/-innen https://www.selbstreguliertes-lernen.org Prof. Dr. Yves Karlen | Zentralschweizer Dialog Gymnasien – Hochschulen 30.10.2020 8
• Welche Kompetenz im SOL bringen Gymnasiasten/-innen im Hinblick auf die erfolgreiche Bewältigung der Maturaarbeit mit? • Inwiefern werden Kompetenzen im SOL im gymnasialen Unterricht gefördert? • Über welche Kompetenzen verfügen Lehrpersonen im Bereich des SOLs? Prof. Dr. Yves Karlen | Zentralschweizer Dialog Gymnasien – Hochschulen 30.10.2020 9
SOL Profile im Gymnasium (SolEva Studie) 1 0.5 cluster mean%values%(z,values)% 0 cluster 1.1 cluster 1.2 -0.5 cluster 1.3 cluster 1.4 -1 -1.5 -2 edge ce gies ies gies s ies ion ept acy n n egie atio atio isten ateg ateg conc ivat effic trate trate owl strat otiv otiv pers str g str mot self- self- kn ns ns sic m sic m ion ning atio atio n ent itive itori orat plan evem n in form u n intri eval mon extr elab acog s achi tran met Gymnasiasten/-innen im Cluster 1.4 haben die höchsten Kompetenzen im SOL und sind zugleich am erfolgreichsten. In diesem Custer sind jedoch nur 7.6 % der N=1`272 befragten Gymnasten/-innen. (Karlen, 2016) Prof. Dr. Yves Karlen | Zentralschweizer Dialog Gymnasien – Hochschulen 30.10.2020 10
Förderung des SOL im alltäglichen Fachunterricht (SolEva Studie) Vergleich 2004-2011 Unterrichtsdimensionen 2004 2011 Effektstärke N M SD N M SD d Autonomieunterstützung 1752 2.17 0.48 1068 2.39 0.57 0.43*** Elaboration 1753 2.16 0.55 1063 2.40 0.59 0.42*** Selbstaktivität 1753 2.20 0.48 1067 2.53 0.54 0.66*** Selbst-Monitoring / Evaluation 1753 1.68 0.47 1062 2.11 0.65 0.78*** Arbeitsreflexion 1753 1.24 0.35 1063 1.81 0.73 1.07*** 1 = Dies stimmt bei keiner oder sehr wenigen meiner Lehrpersonen, 2 = Dies stimmt bei einzelnen meiner Lehrpersonen, 3 = Dies stimmt bei vielen meiner Lehrpersonen, 4 = Dies stimmt bei den allermeisten oder allen meiner Lehrpersonen • Die gezielte Förderung von Kompetenzen im SOL wird zumindest 2011 im Gymnasium noch eher selten in den regulären Fachunterricht integriert. Insbesondere selten wird über das Lernen nachgedacht (Arbeitsreflexion). Stand 2020? • Das SOL ist auch auf der Sekundarstufe I kaum verankert. Wer bereitet die Schüler/- innen auf das SOL vor? • Es bräuchte vermehrt „SOL-Lernaufgaben“, die das Was (fachliche Kompetenzen) mit dem Wie (überfachliche Kompetenzen) verknüpfen. (Karlen et al., 2020; Maag Merki et al., 2012) Prof. Dr. Yves Karlen | Zentralschweizer Dialog Gymnasien – Hochschulen 30.10.2020 Seite 11
Kompetenzen von Lehrpersonen im SOL • Lehrpersonen verfügen lediglich über geringes Inhalts- und Vermittlungswissen (CK- SRL & PCK-SRL) im Bereich des SOLs. • Sowohl die Kompetenzen der Lehrpersonen als SOL Lernende (u.a. eigene Erfahrungen im SOL) als auch als Vermittler/-innen von SOL (professionelles Wissen, Überzeugungen, Motivation) sind für die Förderung des SOLs relevant. è Weiterbildungen im SOL wichtig. (Karlen et al., 2020; Modell adaptiert) Prof. Dr. Yves Karlen | Zentralschweizer Dialog Gymnasien – Hochschulen 30.10.2020 12
Abschliessende Gedanken / offene Fragen Wünschenswert wäre… • die Bedeutung/Relevanz des SOLs für Gymnasiasten/-innen (und Lehrpersonen) hervorzuheben und im gymnasialen Curriculum zu verankern. • eine stärkere Verankerung von SOL im regulären Fachunterricht. • die Konzeption von guten fachlichen Lernaufgaben, die auch Kompetenzen im SOL fördern (das Was mit dem Wie verzahnen). • vielfältige Lerngelegenheiten als Übungsfelder im Hinblick auf die Maturaarbeit schaffen (curricularer Aufbau). Ø Wie soll das Verhältnis zwischen Fremd- und Selbstregulation bei der Maturaarbeit ausgestaltet werden? Ø Unter welchen Bedingungen und inwieweit darf eine Maturaarbeit scheitern? Ø Wie könnten Gymnasiasten/-innen noch besser auf die Maturaarbeit vorbereitet werden? Prof. Dr. Yves Karlen | Zentralschweizer Dialog Gymnasien – Hochschulen 30.10.2020 13
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit und die Diskussion! «Man kann einen Menschen nichts lehren, man kann ihm nur helfen, es in sich selbst zu entdecken.» Galileo Galilei 1564–1641 yves.karlen@fhnw.ch Prof. Dr. Yves Karlen | Zentralschweizer Dialog Gymnasien – Hochschulen 30.10.2020 14
Literatur • Bonati, P., & Hadorn, R. (2009). Matura- und andere selbständige Arbeiten betreuen: Ein Handbuch für Lehrpersonen und Dozierende (2 ed.). hep. • Dent, A. L., & Koenka, A. C. (2016, Sep). The Relation Between Self-Regulated Learning and Academic Achievement Across Childhood and Adolescence: A Meta-Analysis. Educational Psychology Review, 28(3), 425-474. https://doi.org/10.1007/s10648-015-9320-8 • Hirt, C. N. (2019). Social Help-Seeking – Soziale Hilfesuche im Kontext wissenschaftspropädeutischer Arbeiten: Eine quantitative Analyse im Rahmen des Projekts SelMa (Selbstreguliertes Lernen und Maturaarbeit). Universität Zürich. • Hirt , C. N., Karlen, Y., Maag Merki, K., & Suter, F. (eingereicht). What Differs the High Achievers From the low Achievers? Self-regulated Learners in the Context of a Challenging Long-term Task ) • Karlen, Y. (2016). Differences in students' metacognitive strategy knowledge, motivation, and strategy use: A typology of self-regulated learners. Journal of Educational Research, 109(3), 253–265. https://doi.org/10.1080/00220671.2014.942895 • Karlen, Y., Hertel, S., & Hirt, C. N. (2020). Teachers’ Professional Competences in Self-Regulated Learning: An Approach to Integrate Teachers’ Competences as Self-Regulated Learners and as Agents of Self-Regulated Learning in a Holistic Manner. Frontiers in Education, 5(159). https://doi.org/10.3389/feduc.2020.00159 • Karlen, Y., Maag Merki, K., Hirt, C., & Suter, F. (2018). Sind Gymnasiastinnen und Gymnasiasten mit mehr Grit erfolgreicher? Untersuchung der Zusammenhänge zwischen Grit, selbstreguliertem Lernen und Lernerfolg. Unterrichtswissenschaft, 46(4), 437-459. https://doi.org/10.1007/s42010-018- 0030-z • Karlen, Y., Suter, F., Hirt, C., & Maag Merki, K. (2019). The role of implicit theories in students' grit, achievement goals, intrinsic and extrinsic motivation, and achievement in the context of a long-term challenging task. Learning and Individual Differences, 74. https://doi.org/10.1016/j.lindif.2019.101757 • Maag Merki, K., Hofer, K., Ramseier, E., & Karlen, Y. (2012). Selbst organisiertes Lernen (SOL) an Zürcher Mittelschulen – neue Lehr- und Lernformen. Abschlussbericht zur SOL-Evaluation (SOLEVA) im Schuljahr 2010/11. Universität Zürich & PHBern. • Maag Merki, K., Karlen, Y., Hirt, C. & Suter, F. (2017). Abschlussworkshop der SelMa-Studie. Universität Zürich. • OECD. (2019). OECD Future of Education and Skills 2030. OECD Learning Compass 2030. A Serie of Concept Notes. OECD. • Schunk, D. H., & Greene, J. A. (2018). Handbook of Self-Regulation of Learning and Performance (2 ed.). Routledge. https://doi.org/10.4324/9781315697048 Prof. Dr. Yves Karlen | Zentralschweizer Dialog Gymnasien – Hochschulen 30.10.2020 15
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