MINUSMA und militärische Operationen im Sahel

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MINUSMA und militärische Operationen im Sahel
MINUSMA      und  militärische
Operationen im Sahel
von Christoph Marischka, Informationsstelle Militarisierung, veröffentlicht im
März 2021

Überblick
MINUSMA ist eine Stabilisierungsmission unter der Verantwortung der
Hauptabteilung Friedenssicherungseinsätze (Department of Peacekeeping
Operations, DPKO) der Vereinten Nationen (UN) in Mali. Sie begann 2013 vor
dem Hintergrund eines weitgehenden Zusammenbruchs des malischen Staates
und ging aus einer französischen Militärintervention sowie einer kurzen
Militärmission (AFISMA) unter Führung der Westafrikanischen
Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS hervor. Entsprechend dem jüngsten Mandat
(Resolution 2531 des UN-Sicherheitsrates vom 29. Juni 2020)[1] umfasst
MINUSMA bis zu 13.289 militärische und 1.920 polizeiliche Einsatzkräfte.
Primäre Ziele der Mission sind die Stabilisierung und die Umsetzung eines
„Friedensabkommens“.

MINUSMA gilt als der aktuell gefährlichste und verlustreichste UN-Einsatz
weltweit. Laut offizieller Statistik sind bis März 2021 240 Angehörige der UN-
Mission ums Leben gekommen, davon 140 durch Feindeinwirkung. Gemessen an
den Zielen der Mission ist sie bislang als Misserfolg einzustufen, da sich die
Sicherheitslage im Land seit ihrem Beginn weiter verschlechtert und die
Unsicherheit auf weitere Landesteile und auch die Nachbarstaaten, insbesondere
Niger und Burkina Faso, übergegriffen hat.
MINUSMA und militärische Operationen im Sahel
Karte: MINUSMA,
      https://minusma.unmissions.org/sites/default/files/s_2020_952_e.pdf

Vorgeschichte
Mit der Unabhängigkeit Malis von Frankreich wurden verschiedene
Bevölkerungsgruppen und Lebensstile in einen gemeinsamen Staat integriert, der
jedoch außerhalb der Hauptstadt Bamako weitgehend fiktiv blieb. Mit den
geringen Steuereinnahmen war beispielsweise eine flächendeckende Präsenz von
Polizeikräften oder die Überwachung der weitläufigen Grenzregionen nicht zu
gewährleisten. Vor allem die im Norden Malis sowie den Nachbarstaaten
lebenden Tuareg – aber auch andere Bevölkerungsgruppen – beharrten auf ihrer
Unabhängigkeit und grenzüberschreitenden Identitäten. Einer Kontrolle durch
Bamako entzogen sie sich durch mehrere Rebellionen, die meist durch die
Vergabe – weitgehend fiktiver – Posten (Privilegien und Löhne) an deren
Führungspersonal beigelegt wurden. Bei der Bevölkerung im Süden existieren
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teilweise auch noch Vorbehalte gegen die Bevölkerungsgruppen im Norden, da
sich diese vor Generationen an der Versklavung von Menschen mit dunklerer
Hautfarbe beteiligt hatten.

Bereits kurz nach den Anschlägen vom 11. September 2001 haben zunächst v.a.
die USA die Sahel-Region als geprägt von schwacher oder scheiternder
Staatlichkeit identifiziert und damit als potentielles Rückzugsgebiet des
Terrorismus ausgemacht. Deren zunehmende militärischen und
geheimdienstlichen Aktivitäten in der Region – die 2007 in der Gründung eines
eigenen US-Oberkommandos für den afrikanischen Kontinent, Africom, ihren
Ausdruck fand – wurde jedoch auch immer wieder mit einer verstärkten Präsenz
Chinas begründet. Tatsächlich mehrten sich in den folgenden Jahren v.a.
Entführungen westlicher Ausländer*innen, was zu einem Rückgang des
Tourismus führte. Außerdem rückten der Schmuggel von Kokain von
Lateinamerika über Westafrika nach Europa sowie die Vorverlagerung des
Grenzschutzes der EU die Region zunehmend in den Fokus westlicher
Sicherheitspolitik.[2] Entsprechend wurde Druck auf die Regierungen vor Ort
ausgeübt, ihre bisherige Praxis intermediärer Herrschaft durch eine stärkere
militärisch-polizeiliche Präsenz in der Fläche und verbesserte Überwachung der
Grenzen zu ersetzen. Die Regierung Malis versuchte dies u.a. mit ihrem (in Teilen
von der EU finanzierten) „Programme spécial pour la paix et le développement
dans le nord du Mali“ umzusetzen[3] – was Teile der Bevölkerung im Norden als
Gefahr für ihre Unabhängigkeit bzw. die dortigen Eliten als Gefährdung ihrer
Privilegien wahrnahmen.

Zur Eskalation in Mali trugen 2011 die NATO-Intervention und der Bürgerkrieg in
Libyen bei, welche die großräumige Ordnung insgesamt destabilisierten. Libyen
hatte zuvor als eine Art Schutzmacht der Tuareg fungiert und viele Angehörige
dieser Gruppe hatten in der libyschen Armee gedient. Nach dem Sturz Gaddafis
kehrten diese mit umfangreichen Armeebeständen nach Mali zurück und bildeten
eine Bewegung für die Unabhängigkeit des Nordens (Azawad), die jedoch
zunächst keine offen sezessionistischen Bestrebungen zeigte. Die Vertreibung der
offiziellen malischen Armee aus dem Norden, die auch mit Massakern einher
ging, verstärkte bereits bestehende Vorbehalte zwischen den
Bevölkerungsgruppen und führte zu einem Putsch junger Offiziere in der
Hauptstadt Bamako im März 2012, welcher weiter zur Handlungsunfähigkeit des
Staates beitrug. Daraufhin erklärten Teile der Unabhängigkeitsbewegung den
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Norden für unabhängig, de facto übernahmen jedoch djihadistische Gruppen die
Kontrolle über größere Städte im Norden und führten dort eine strenge,
angeblich an der Scharia orientierte Ordnung ein.

Der nahezu vollständige Zusammenbruch staatlicher Ordnung in Mali und
insbesondere die medial viel beachtete Zerstörung dortiger Kulturgüter führte im
Verlauf des Jahres 2012 zu Diskussionen über eine internationale
Militärintervention. Hierfür bot sich die ECOWAS als Regionalorganisation an und
ein entsprechender Einsatz wurde im Dezember 2012 mit der Resolution 2085
vom UN-Sicherheitsrat mandatiert.[4]

Den eigentlichen Startschuss für die Stationierung von Truppen der ECOWAS gab
jedoch die französische Militärintervention Serval, die am 11. Januar 2013
begann. Bis heute wird diese meist als spontane Reaktion auf das Gesuch der
malischen Übergangsregierung dargestellt, nachdem Islamisten am Tag zuvor die
Kleinstadt Konna eingenommen hatten und angeblich ein Vormarsch auf Bamako
gedroht hätte. Die komplexe französische Militärintervention, die mehrere
Staaten der Region als Aufmarschgebiet nutzte, schien jedoch gut vorbereitet und
es bestehen erhebliche Zweifel, ob die Islamisten überhaupt im Stande gewesen
wären oder ein Interesse daran gehabt hätten, weiter in den Süden vorzustoßen.

Die französischen Eingreifkräfte wurden von der malischen Armee und Truppen
aus dem benachbarten Niger sowie dem Tschad unterstützt, von denen aus
Frankreich operierte. Gemeinsam gelang es ihnen rasch, die Islamisten
zurückzudrängen und somit die dauerhafte Stationierung der ECOWAS-Truppen
im Rahmen des AFISMA-Mandats zu ermöglichen. Die Verlegung mehrerer
tausend Soldat*innen u.a. aus Nigeria, Burkina Faso, Benin und dem Tschad
wurde u.a. durch Deutschland und die USA unterstützt. Finanziert wurde der
Einsatz zu wesentlichen Teilen aus Mitteln der EU. Der ursprüngliche anvisierte
Umfang von 3.000 Kräften wurde schnell erreicht und auch überschritten, wobei
u.a. bei den Truppen aus dem Tschad und Burkina Faso nicht immer klar war, ob
sie unter der Kontrolle der ECOWAS, der französischen Truppen oder ihrer
nationalen Befehlshabenden standen. Diese Unschärfe besteht auch bei der
Folgemission MINUSMA fort, welche im Juli 2013 die AFISMA ablöste. De facto
blieb dabei ein großer Teil der Kontingente in Mali, wurde in die UN-Mission
überführt und beträchtlich aufgestockt. Die Überführung in eine UN-Mission
ermöglichte allerdings, dass sich auch in größerem Umfang Drittstaaten
(teilweise mit deutlich besserer Ausstattung) beteiligen konnten. Zu den größten
Truppenstellern jenseits der ECOWAS gehören – neben dem von Anfang an
beteiligten Tschad – Bangladesch, Ägypten, China und Deutschland.

Auftrag
Bereits das ursprüngliche Mandat der MINUSMA vom 1. Juli 2013 nennt sieben
Aufgabenbereiche, die wiederum bis zu fünf Unterpunkte aufweisen. Zuerst
genannt wird dabei die „Stabilisierung wichtiger Bevölkerungszentren und
Unterstützung zur Wiederherstellung der staatlichen Autorität im gesamten
Land“.[5] Hierzu gehören demnach u.a. „aktive Schritte […] um die Rückkehr
bewaffneter Elemente“ zu verhindern, aber auch Maßnahmen „zum Wiederaufbau
des malischen Sicherheitssektors, insbesondere der Polizei und Gendarmerie […]
sowie der Sektoren Rechtsstaatlichkeit und Justiz“ und „Programme zur
Entwaffnung, Demobilisierung und Wiedereingliederung ehemaliger
Kombattanten und zur Auflösung von Milizen“.

    Im Rahmen der UN-Mission MINUSMA             werden auch malische
    Polizeikräfte ausgebildet. Foto: UN, 2013

Ähnlich ausführlich wird der zweite Aufgabenbereich aufgeschlüsselt, bei dem es
um die „Umsetzung des Fahrplans für den Übergang“ und die Rückkehr zu einer
„verfassungsmäßige[n] Ordnung“ geht. Hierbei ist von „Vertrauensbildung“ sowie
einem „inklusiven nationalen Dialog und Aussöhnungsprozess“ die Rede. Weitere
Aufgabenbereiche betreffen u.a. den Schutz von Zivilpersonen, die Förderung der
Menschenrechte, der Erhalt von Kulturgütern sowie die „Unterstützung für die
nationale und internationale Justiz“. Der Auftrag ist damit so umfassend
formuliert, dass er zwar allerlei Befugnisse impliziert, ein Scheitern zumindest in
einem Großteil der gesetzten Aufgaben zugleich absehbar ist. Letztlich wurde der
Anspruch formuliert, im Rahmen einer Militärmission einen ganz neuen Staat
aufzubauen und zugleich zahlreiche gesellschaftliche Konflikte zu überwinden.
Wie dieser Staat gestaltet werden und wie die Bevölkerung dabei zumindest
einbezogen werden soll, darüber bestanden zu diesem Zeitpunkt allerdings nur
vage Vorstellungen.

Die Blauhelme der MINUSMA in einer gemeinsamen Patrouille mit malischen
Sicherheitskräfte in der Stadt Gao. Foto: MINUSMA, 2020

Die Breite des Auftrags blieb auch in der Folge erhalten. Seit Mitte 2015 steht im
öffentlichen Diskurs jedoch die Umsetzung eines häufig als „Friedensvertrag“
bezeichneten Abkommens im Mittelpunkt. Parteien dieses so genannten
Abkommens von Algier sind die Regierung, regierungsnahe Milizen (Plateforme)
und ein von Tuareg dominiertes Bündnis von Rebellengruppen (CMA).
Vorgesehen war u.a. eine Rückkehr der malischen Armee in den Norden sowie die
Entwaffnung oder Integration der bewaffneten Parteien des Abkommens in die
offizielle Armee. Daneben sah das Abkommen auch eine Dezentralisierung der
Verwaltung vor, welche theoretisch innerhalb eines staatlich verfassten Rahmens
die Autonomie der Regionen stärken sollte, in der Praxis jedoch in die
bestehenden Machtverhältnisse eingreift und Privilegien lokaler Eliten gefährdet.
Die Verknüpfung eines Waffenstillstandes zwischen einigen der bewaffneten
Gruppen mit der vagen Festlegung einer zukünftigen Ordnung birgt zahlreiche
Fallstricke. So wurden dadurch die zivilen Kräfte in allen Landesteilen und damit
v.a. auch Frauen sehr weitgehend aus den Aushandlungsprozessen über die
zukünftige Machtordnung ausgeschlossen, in denen die gezielte Destabilisierung,
Verunsicherung und Verzögerung von Reformen mit Waffengewalt zum
wichtigsten Mittel der Politik wird.[6] Entsprechend ist die Zahl der bewaffneten
Akteure im Anschluss an das Abkommen letztlich gewachsen, während deren
Entwaffnung und Integration in die Armee zögerlich und reversibel verläuft.
Hinzu kommt, dass mit dem Abkommen eine scheinbar binäre Trennung zwischen
den bewaffneten Gruppen in die Parteien des Friedensprozesses einerseits und
dessen Feinde andererseits stattfand. Letztere werden dabei überwiegend mit
terroristischen Akteuren gleichgesetzt, womit sich der MINUSMA-Auftrag der
Umsetzung des Friedensabkommens tendenziell in die Richtung der Bekämpfung
des Terrorismus verschoben hat. So fanden sich in den folgenden Mandaten des
UN-Sicherheitsrates auch in Bezug auf MINUSMA selbst entsprechende
Formulierung, die dazu aufforderten „asymmetrische[r] Bedrohungen […]
abzuschrecken und sie zu bekämpfen und robuste und aktive Schritte zum Schutz
von Zivilpersonen zu unternehmen“.[7] Über Jahre wurde international diskutiert,
das MINUSMA-Mandat noch deutlich offensiver zu formulieren und auch die
beteiligten Einheiten entsprechend umzustrukturieren und auszurüsten. Eine UN-
Mission zur Bekämpfung des Terrorismus wäre jedoch ein Novum und gewagtes
Experiment gewesen.[8] Obwohl diese Pläne so nicht umgesetzt wurden, hat sich
die MINUSMA zu einer Plattform entwickelt, auf der zahlreiche andere
militärische Akteure miteinander kooperieren, deren Doktrinen wesentlich an der
Aufstandsbekämpfung und/oder dem Krieg gegen den Terror orientiert sind
(siehe Kapitel 5 dieses Beitrags).

In den entsprechenden Resolutionen des UN-Sicherheitsrates, die im Kern
MINUSMA mandatieren, werden verschiedene dieser Akteure, darunter die
französische Mission Barkhane, die G5 Sahel und die malischen Streitkräfte
aufgefordert sowie letztlich alle Parteien des „Friedensabkommens“ ermutigt,
sich an der Bekämpfung des Terrorismus zu beteiligen. Das stellt ihnen letztlich
einen Freibrief aus, gegen mutmaßlich terroristisch Gruppen und damit auch
gegen die Zivilbevölkerung vorzugehen und ihre Konflikte untereinander unter
dem Deckmantel der Terrorbekämpfung auszutragen. Hinzu kommt, dass die
scheinbar binäre Trennung zwischen Parteien des Friedensabkommens einerseits
und terroristischen Akteuren andererseits in der Praxis so nicht existiert und
Anschläge terroristischer Gruppen durchaus den Interessen einzelner oder
mehrerer Parteien des Abkommens entgegenkommen können. Insgesamt stellt
sich also die Frage, wer von den beteiligten Akteuren in der aktuellen
Konstellation tatsächlich ein Interesse an einer nachhaltigen Stabilisierung oder
Befriedung hat.

Weitere militärische Operationen
Neben der malischen Armee und MINUSMA sind in der Region weitere
internationale Akteure militärisch aktiv.

EUTM
Sehr schnell nach der französischen Militärintervention Serval und noch während
des Aufwuchses der AFISMA wurde am 17. Januar 2013 vom Europäischen Rat
die EU-Trainingsmission EUTM (European Union Training Mission) Mali
beschlossen. Entsprechende Pläne befanden sich seit Jahren in der Vorbereitung
und wurden rasch der neuen Lage angepasst. Erste Voraus-Teams wurden bereits
im Januar entsandt. Die Planungen der EU sahen 550 Kräfte vor, von denen 150
für die Absicherung und gut 200 für die Ausbildung von zunächst einem Bataillon
der malischen Streitkräfte (ca. 670 Kräfte) vorgesehen waren. Offiziell begann die
Mission im März, die tatsächliche Ausbildung schon im April 2013.[9] Das
Hauptquartier der Mission befand sich in einem Hotel in Bamako, die Ausbildung
fand zunächst in einem Stützpunkt der malischen Armee, etwa 60 Kilometer
nördlich der Hauptstadt bei Koulikoro statt.

Laut Angaben des EU-Außenbeauftragten Borrell nach dem erneuten
Militärputsch im August 2020 waren zu diesem Zeitpunkt ca. 90% der malischen
Armee im Rahmen der Mission EUTM aus- und fortgebildet worden,[10] wobei
der Umfang der malischen Streitkräfte meist auf knapp 20.000 geschätzt wird.
Die Lehrinhalte reichten von der Minenentschärfung und Missionsplanung bis hin
zur mechanisierten Infanterie und den Kampf in urbanem Gelände. Seit Beginn
wurde die Mission beständig ausgedehnt. Lehrgänge fanden zunächst verstärkt
auch außerhalb des Trainingslagers Koulikoro und später auch in Basen der
malischen Armee in anderen Landesteilen statt. Außerdem wurde die Ausbildung
auch auf andere Mitgliedsstaaten der G5-Sahel-Staaten erweitert und soll seit
2020 auch „einsatznah“ erfolgen, also in räumlicher und zeitlicher Nähe zu den
Einsätzen und Gefechten der malischen Armee.[11]

Serval und Barkhane
Die Mission Serval gilt heute als Musterbeispiel einer schnellen, robusten und
effektiven militärischen Intervention.[12] Zum „Erfolg“ trug wesentlich bei, dass
Frankreich dabei auf verschiedene Einheiten zurückgreifen konnte, die bereits in
der Region waren. Den Anfang machten Kampfhubschrauber und Spezialkräfte,
die Frankreich bereits in Burkina Faso stationiert hatte, unterstützt von
Kampfflugzeugen, welche die ehemalige Kolonialmacht dauerhaft im Tschad
unterhält. Nahezu unmittelbar nach Beginn der Intervention wurde auch
französische Infanterie aus der Côte d’Ivoire Richtung Mali in Marsch gesetzt.
Viele NATO- und EU-Verbündete sowie die Vereinigten Arabischen Emirate
leisteten Unterstützung bei der Logistik, etwa durch Truppentransporte und
Luftbetankung. Offenbar hat die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen
Truppenteilen – von der Luftwaffe bis zu den Bodentruppen – aus militärischer
Sicht beispielhaft funktioniert. Das gilt auch für die Zusammenarbeit der
französischen Spezialkräfte mit den lokalen Streitkräften (v.a. aus dem Tschad),
die sehr rasch eingebunden wurden. Auch das wurde sicherlich dadurch
begünstigt, dass Frankreich dauerhaft Kräfte in der Region stationiert hat, die mit
den lokalen Kräften gemeinsame Übungen und auch Einsätze durchführen. Zum
raschen Vorstoßen und „Erfolg“ von Serval dürfte auch beigetragen haben, dass
hierbei im umgangssprachlichen Sinne „keine Gefangenen gemacht“ wurden.
Auch auf sprachlicher Ebene wurde von der französischen Regierung die Devise
ausgegeben, den „Feind“ zu „vernichten“.[13] Entsprechend vage sind die
Angaben darüber, wie viele von diesen getötet wurden und wie viele Zivilist*innen
sich darunter befanden. Besonders durch die malische Armee soll es im Zuge des
französischen Vorstoßes auch zu schweren Menschenrechtsverletzungen
gekommen sein.[14]

So gelang es Serval bis Ende April 2013, die zuvor von vermeintlich
terroristischen Kräften kontrollierten Gebiete mit Ausnahme von Teilen des
Ifoghas-Gebirges ganz im Norden, zurück zu erobern. Dies führte dazu, dass diese
wieder verstärkt zu Guerilla-Taktiken übergingen und zunehmend ihre Fähigkeit
zu Anschlägen in den Städten des Nordens unter Beweis stellten. Nachdem die
massiven und konzentrierten Kampfhandlungen beendet waren, benannte
Frankreich die Operation Serval Mitte 2013 in Operation Barkhane um und
weitete diese auf jene Staaten aus, die später auch politisch unter dem Begriff
G5-Sahel zusammengefasst wurden: Neben Mali sind das Mauretanien, Niger,
Burkina Faso und Tschad. Letztlich wurde damit die bereits zuvor bestehende
dauerhafte Präsenz Frankreichs ausgeweitet und unter ein operatives Mandat,
nämlich die grenzüberschreitende Bekämpfung des Terrorismus gestellt. Offiziell
umfasst Barkhane dabei zwischen 4.000 und 5.000 Kräfte.

Über das operative Vorgehen von Barkhane ist insgesamt wenig bekannt, da es
sich meist um kleine, bilaterale Übungen und Einsätze mit den Armeen der G5-
Staaten handelt – wobei die Übergänge fließend sind. Wenn zum Beispiel einzelne
Dörfer von französischen und tschadischen Soldat*innen, unterstützt von
Kampfhubschraubern durchsucht werden, wird das von den beteiligten
Streitkräften oft als Übung bezeichnet, auch wenn sie in größere Operationen
eingebunden sind, die z.B. die Bewegungsfreiheit terroristischer Gruppen in
einem bestimmten Gebiet einschränken sollen.

Eine wichtige Rolle spielen bei Barkhane neben Spezialkräften auch unbemannte
Luftfahrzeuge (Drohnen), die von mehreren Flugplätzen in der Region aus
eingesetzt werden und Personen wie Gruppen aufklären und offenbar auch
längerfristig beobachten. Seit Dezember 2019 setzt Frankreich vom Flughafen
Niamey auch bewaffnete Drohnen ein. Wenige Tage nach einem ersten Testflug
habe eine Reaper-Drohne im Verbund mit einem Mirage-Kampfflugzeug „30
Dschihadisten neutralisiert“, so der französische Präsident Emmanuel
Macron.[15] Kurz zuvor waren 13 französische Soldaten bei der Kollision zweier
Kampfhubschrauber gestorben, als sie „Djihadisten gejagt“ hatten. Angeblich
erfolgen mittlerweile „[ü]ber 40 % aller Luftangriffe […] mithilfe von
Drohnen“.[16] Wie oft es zu solchen Angriffen kommt, ist allerdings nicht
öffentlich bekannt. Anfang November gab die französische Regierung bekannt,
dass „über 50 Dschihadisten neutralisiert“ sowie 30 Motorräder bei einem Angriff
in Mali zerstört worden seien, nachdem eine Drohne eine „sehr große Zahl“ von
Menschen auf Motorrädern im Grenzgebiet zu Niger und Burkina Faso entdeckt
hätte. Auch hierbei wurde der Angriff sowohl von der Drohne als auch von
Mirage-Flugzeugen aus durchgeführt. In den folgenden Wochen stieg die Zahl der
in Mali gefallenen französischen Soldat*innen auf über 50, worunter sich erstmals
auch eine weibliche Angehörige von Barkhane befand. Wenige Tage später, am 2.
Januar 2021, griffen wiederum Mirage-Kampfflugzeuge eine Personengruppe an,
nachdem eine Drohne zwei Männer auf Motorrädern verfolgt hatte, die sich nahe
Bounti mit weiteren Männern getroffen haben. Nach Angaben der Bevölkerung
vor Ort und internationaler Medien habe es sich dabei um eine
Hochzeitsgesellschaft gehandelt.[17]

    Bei einem offiziellen Besuch in Frankreich nahm der damalige UN-
    Generalsekretär Ban Ki-moon zusammen mit dem damaligen
    französischen Präsidenten François Hollande an einer Militärparade
    anlässlich des französischen Nationalfeiertags teil – ebenso wie UN-
    Blauhelme, die im Rahmen von MINUSMA dienen. Foto: UN, 2013

Force Conjointe G5-Sahel
Jene Staaten, die gemeinsam das Einsatzgebiet der Operation Barkhane
definieren (Mauretanien, Mali, Burkina Faso, Niger, Tschad), haben im Februar
2014 unter dem Namen G5 Sahel eine politische Kooperation beschlossen.
Offiziell ging die Initiative von den beteiligten Regierungen aus, die französische
Regierung war jedoch von Anfang an und im gesamten Prozess involviert – so war
der französische Präsident auf den zentralen Konferenzen der G5 präsent oder
ließ sich zuschalten. Auch von der EU kam wesentliche Unterstützung.
Gemeinsam mit Frankreich, Deutschland, der Weltbank und der Afrikanischen
Entwicklungsbank gründete sie die „Sahel Allianz“, welche die
„Entwicklungszusammenarbeit“ mit den G5-Staaten insbesondere durch die
Förderung von Investitionen stärken soll.

Obwohl es bei den G5 Sahel als Zusammenschluss ehemaliger französischer
Kolonien auch um wirtschaftliche Entwicklung geht, ist ihr bislang wichtigstes
Projekt die Force Conjointe G5 Sahel (FCG5S), eine gemeinsame Eingreiftruppe,
die sich aus den Armeen der beteiligten Länder zusammensetzt,
grenzüberschreitend aktiv ist und zukünftig 5.000 Kräften umfassen soll. Deren
Aufstellung wurde bereits auf einem Gipfeltreffen der G5 Sahel im November
2015 beschlossen,[18] nahm aber erst im Laufe des Jahres 2017 Gestalt an.
Frankreich und Deutschland mobilisierten auf einer Geberkonferenz im Februar
2018 daraufhin internationale Zusagen in Höhe von 414 Mio. Euro zur
Finanzierung der Truppe,[19] Frankreich hatte sich zuvor bei den Vereinten
Nationen um eine internationale Anerkennung bemüht.

Konzeptionell unterscheidet sich die FCG5S von anderen regionalen
Eingreiftruppen dadurch, dass sie nicht primär für den kurzfristigen Einsatz im
Falle größerer Krisen vorgesehen ist, sondern für die kontinuierliche Bekämpfung
des Terrorismus. „Voll einsatzfähig soll sie über eine 5000-köpfige Truppe
verfügen (sieben Bataillone auf drei Sektoren verteilt, Osten, Mitte und Westen).
Ihr Einsatzgebiet erstreckt sich über 50 km auf beiden Seiten der gemeinsamen
Grenzen. In einem zweiten Schritt ist der Einsatz einer gemeinsamen Sahel-Anti-
Terror-Brigade im Norden Malis vorgesehen“.[20] Ihr operatives Hauptquartier
befindet sich in Mali, regionale Kommandos im Osten Mauretaniens (West), in
Niamey (Süd) und N’djamena (Ost). Außerdem wurde im Westen Mauretaniens
eine Ausbildungseinrichtung, das „Collège de défense G5 Sahel“, aufgebaut. Der
operationelle Fokus der FCG5S liegt auf den Grenzgebieten zwischen
Mauretanien und Mali, Burkina Faso und Mali bzw. Niger sowie zwischen Niger
und Mali.[21] Da neben dem Terrorismus auch die Bekämpfung des Drogen- und
Menschenhandels zu ihren Aufgaben zählt und Frankreich, Deutschland und die
EU einen massiven Einfluss auf die G5 ausüben, ist der Verdacht durchaus
berechtigt, dass die FCG5S v.a. auch der Bekämpfung illegalisierter Migration
und der Einschränkung der Bewegungsfreiheit der lokalen Bevölkerung dient. In
jedem Fall führt der Aufbau entsprechender Infrastruktur zu einer verstärkten
Überwachung und Militarisierung der Grenzen in der Region.

Operationen der FCG5S finden meist in Zusammenarbeit mit Barkhane und damit
de facto unter französischer Führung statt, da Frankreich besonders in den
Bereichen Führung, Aufklärung und Luftmacht über bessere Fähigkeiten verfügt.
Zugleich ist bei den beteiligten Kontingenten oft unklar, ob sie unter
gemeinsamem oder nationalem Kommando agieren.[22]

US-Streitkräfte
Neben MINUSMA, EUTM, Barkhane und FCG5S haben auch die USA Truppen in
der Region, insbesondere in Niger stationiert. Offiziell handelt es sich dabei um
einen Ausbildungseinsatz. Spätestens nachdem am 4. Oktober 2017 neben fünf
nigrischen Soldaten auch vier US-Soldaten in einem stundenlangen Gefecht nahe
der malischen Grenze umkamen, ist jedoch klar, dass die US-Kräfte dort auch
gemeinsame Capture-or-Kill-Missionen mit nigrischen Streitkräften durchführen.
Der Fall sorgte in den USA für großes Aufsehen, da die US-Präsenz nicht als
Kampfeinsatz mandatiert ist, was u.a. zur Veröffentlichung eines ausführlichen,
sicherlich aber redigierten Abschlussberichts führte.[23] Demnach waren die US-
Soldat*innen – überwiegend Spezialkräfte – gemeinsam mit nigrischen Soldaten
und privaten Sicherheitskräften aus den USA in zivilen Fahrzeugen unterwegs,
als sie in einen Hinterhalt gerieten. Ziel war es offenbar, hochrangige IS-
Kommandeure festzunehmen oder zu neutralisieren. Im Laufe des stundenlangen
Gefechts kamen auch französische Kampfhubschrauber und -Flugzeuge sowie US-
amerikanische Drohnen zum Einsatz.

Die geschätzt 800 US-Soldat*innen, die in Niger stationiert sind, sind jedoch nicht
nur zur Ausbildung, sondern offenbar auch für gemeinsame Operationen mit
lokalen Kräften vor Ort. Die US-Armee hat in den letzten Jahren zwei
Drohnenbasen in Niger errichtet und angeblich existiert eine weitere, die von der
CIA betrieben wird. Obwohl die Drohnen vor Ort typischerweise von zivilen (US-
amerikanischen) Kräften gewartet und auch aus den USA oder vom US-Africom in
Stuttgart geflogen werden könnten, bedürfen sie doch auch einer Präsenz
militärischer Kräfte vor Ort – u.a. zum Schutz der Liegenschaften und zur
Bergung im Falle eines Absturzes.

Takuba und bilaterale Einsätze
Innerhalb der EU hatte Frankreich lange Druck ausgeübt, auch bei der
Bekämpfung des Terrors stärker von anderen Staaten unterstützt zu werden.
Allerdings ist der dabei von Frankreich recht eigenwillig und intransparent
umgesetzte Ansatz innerhalb der EU nicht unumstritten. Die vorläufige Lösung
besteht seit 2020 in der Task Force Takuba, einer Einheit, die sich aus den
Spezialkräften mehrerer europäischer Staaten zusammensetzt und in Barkhane
integriert ist. Neben Barkhane soll Takuba aber auch andere Eingreifkräfte in der
Region mit schnellen und robusten Interventionen unterstützen. Ihr gehören u.a.
150 schwedische Spezialkräfte an, die mit drei Kampfhubschraubern vor Ort
stationiert sind und durch weitere 100 Kräfte verstärkt werden können.

Deutschland und andere EU-Staaten unterstützen Takuba politisch, beteiligen
sich jedoch nicht unmittelbar militärisch. Trotzdem hat auch Deutschland
spätestens seit Herbst 2018 (auch) jenseits der EUTM- und MINUSMA-Missionen
dauerhaft Spezialkräfte in der Region stationiert. Offizieller Anlass der nicht
mandatierten Geheimoperation „EL Grenze‟ des Kommandos Spezialkräfte (KSK)
ist die Entführung eines deutschen Staatsbürgers im April 2018. Im Januar 2021
erfuhr dieser Einsatz kurzfristig eine begrenzte öffentliche Resonanz in
Deutschland, weil in dessen Rahmen 1.700 Schuss Munition ohne schlüssige
Erklärung in den Beständen fehlten.[24] Auch Spezialkräfte der deutschen
Marine sind im Rahmen der Operation Gazelle im Niger, ebenfalls um dort
Spezialkräfte auszubilden. Dieser Einsatz, für den es lange kein Mandat gab,
wurde 2020 in das Mandat der EUTM integriert. Es ist durchaus davon
auszugehen, dass neben Frankreich, den USA und den an Takuba und MINUSMA
beteiligten Staaten Spezialkräfte aus weiteren Ländern, auch aus den Golfstaaten,
vor Ort aktiv sind.

Darüber hinaus führen die Streitkräfte der G5 Sahel auch jenseits der Force
Conjointe bilaterale Operationen durch. So berichtete Human Rights Watch etwa
im September 2017, wie es bereits vor der Aufstellung der FCG5S bei
gemeinsamen Operationen der Streitkräfte Malis und Burkina Fasos – teilweise
unterstützt von Barkhane – zu Folter und summarischen Hinrichtungen kam.[25]
Die bereits angesprochenen Luftangriffe bei Bounti erfolgten in Zusammenhang
mit der Operation „Éclipse‟ in derselben Region, an der die FCG5S nicht offiziell
beteiligt war, in die aber neben Barkhane und der malischen Armee auch Truppen
aus Niger und Burkina Faso eingebunden war

Bi- und multilaterale Operationen mit und ohne Führung durch Frankreich stellen
seit Jahren eine Kontinuität in der Region dar – sind sozusagen Alltag –, wobei
insbesondere die Truppen aus dem Tschad eine herausragende Rolle spielen, die
oft sehr eng mit Barkhane zusammenarbeiten – obwohl der Tschad keine Grenze
zu Mali hat. Beteiligt sind daran Staaten und auch Truppenteile, die zugleich in
MINUSMA und die FCG5S eingebunden sind, sowie Spezialkräfte aus Europa, die
unter weitgehender Geheimhaltung und Mandaten operieren, die wenig
territoriale oder operative Einschränkungen vorsehen.

MINUSMA als Plattform
Ohne die offensive französische Mission Serval wäre die Stationierung von
AFISMA und später auch von MINUSMA zumindest in der Fläche des malischen
Staates schwer realisierbar gewesen. Serval hat sozusagen den Raum
freigekämpft, in dem MINUSMA heute operiert und dabei grundlegende
Koordinaten ihres Handlungsspielraumes bestimmt. Hierzu gehört u.a., dass
(ehemals) sezessionistische Kräfte der Tuareg heute Partei des Friedensvertrages
und Verbündete bei der Bekämpfung des Terrorismus sind und dass diese
letztlich die primäre Wahrnehmungsfolie des internationalen „Engagements‟ in
der Sahel-Region darstellt.

Mittlerweile allerdings ist das Agieren der Operation Barkhane ohne die Präsenz
von MINUSMA schwer denkbar. Das gilt bereits auf völkerrechtlicher Ebene, da
die Resolutionen des UN-Sicherheitsrates unter Kapitel VII der UN-Charta
MINUSMA mandatieren, v.a. aber jenseits von Kapitel VII das Engagement
Frankreichs (Barkhane) und der FCG5S legitimieren. Tatsächlich ist die
Unterstützung der FCG5S und Barkhane auch zunehmend in die Mandate von
MINUSMA und EUTM eingegangen. Die Europäische Trainingsmission ist
beispielsweise mittlerweile aufgefordert, auch Streitkräfte anderer G5-Sahel-
Staaten auszubilden und hierzu über das Gebiet von Mali hinaus aktiv zu werden
und eine Präsenz aufzubauen.[26] Auch die MINUSMA ist aufgefordert, diesen
v.a. von Barkhane und Frankreich vorangetriebenen Prozess zu unterstützen.

Auch jenseits der Mandatierung und damit Legitimierung sind die UN-Mission
und die Einsätze zur Terrorbekämpfung eng miteinander verwoben. Ohne die
flächendeckende militärische Präsenz und Infrastruktur der MINUSMA wäre es
weder Barkhane, noch der FCG5S möglich, ihre auf offensive Operationen
ausgerichteten Einheiten vor Ort zu sichern und zu versorgen. MINUSMA ist in
den Aufbau von Feldlagern und die Versorgung der FCG5S eingebunden. Das
deutsche MINUSMA-Kontingent und Barkhane unterhalten in Niamey einen
gemeinsamen Lufttransport-Stützpunkt, von dem aus beide Einsätze versorgt
werden.[27] Angehörige von MINUSMA und Barkhane werden hier von derselben
(französischen) Feldküche versorgt. Auch die so genannten „Rettungsketten“,
also die notfallmedizinische Versorgung und Evakuierung beider Kontingente
stützen sich auf gemeinsam genutzte Einrichtungen. Auch in Mali selbst werden
Feldlager und Flughäfen oft gemeinsam von MINUSMA und Barkhane genutzt.
Neben der in den jüngeren Mandaten der MINUSMA vorgesehenen „operativen
und logistische Unterstützung“ von Barkhane und FCG5S ist dort auch die
„Koordinierung“ und der „Informationsaustausch“ vorgesehen. Entsprechend ist
davon auszugehen, dass nachrichtendienstliche Erkenntnisse des deutschen
MINUSMA-Kontingents, die etwa durch die von der Bundeswehr eingesetzten
Heron-Drohnen gewonnen werden, auch mit den französischen Streitkräften
geteilt werden. Während die Bekämpfung des Terrorismus also nicht im engeren
Sinne zum Mandat von MINUSMA gehört und die Mission auch nicht hiervon
geprägt ist, so bildet sie doch das infrastrukturelle und nachrichtendienstliche
Rückgrat mehrerer Einsätze, die primär hierauf abzielen.

Bilanz und Ausblick
Einen guten Überblick über die Erfolgsbilanz der MINUSMA geben die
vierteljährlichen Berichte des UN-Generalsekretärs zur Lage in Mali.[28] Der
Abschnitt zur Entwicklung der Sicherheitslage beginnt hier seit Jahren mit der
gleichen oder ähnlichen Formulierungen wie im jüngsten Bericht vom 28.
Dezember 2020: „Die Sicherheitslage hat sich im Berichtszeitraum weiter
verschlechtert“.[29] Zwar werden in diesen Berichten auch immer wieder
Fortschritte im politischen Prozess oder bei der Dezentralisierung der Verwaltung
hervorgehoben, der erneute Putsch des Militärs gegen die amtierende Regierung
vom 18. August 2020 stellt jedoch auch diese kleinen Erfolge sehr weitgehend in
Frage. Die Gewalt zwischen den Bevölkerungsgruppen nimmt ebenso
kontinuierlich zu, wie die territoriale Ausdehnung des Krieges gegen den Terror,
die Reichweite terroristischer Gruppierungen und der damit verbundenen
Unsicherheit für die Bevölkerung.

Unter den intervenierenden Staaten ist zunehmend Ratlosigkeit zu vernehmen,
wie eine politische Lösung und friedliche Zukunft in Malis aussehen soll und mit
den aktuellen Ansätzen erreicht werden kann. Einschätzungen wie diejenige des
Politikwissenschaftlers Marc-Antoine Pérouse gewinnen zunehmend die
Oberhand: „Im Moment hält die internationale Gemeinschaft korrupte und oft
autoritäre Regime künstlich an der Macht. Militär- und Finanzhilfe ermutigt nicht
zu Reformen, sie ist eine Art Lebensversicherung für diese Regime“.[30] Der
französische Konfliktforscher Bruno Charbonneau spricht vor dem Hintergrund
einer ähnlichen Analyse von der Terrorbekämpfung als „Regierungsform“,[31] in
der Gewalt und Repression die Notwendigkeit politischer Legitimation ersetzt
hätten und alle sozialen Beziehungen strukturieren würden.

In militärnahen Kreisen werden die Chancen einer militärischen Stabilisierung –
zumindest nach den bestehenden Ansätzen – bereits seit längerem skeptisch
bewertet. Die Zeitschrift des deutschen Reservistenverbandes „loyal“ betitelte
bereits im Frühjahr 2017 einen ausführlichen Beitrag über die deutsche
Beteiligung an MINUSMA mit „Mission Impossible?“ und zitierte einen Soldaten
mit ungewöhnlich klaren Worten: „[…] meinen Verwandten daheim kann ich nicht
erklären, warum ich in Mali bin und was wir hier erreichen wollen“.[32] Obwohl
die Skepsis hinsichtlich der möglichen Erfolge von MINUSMA mittlerweile
allgemein überwiegt, ist ein Umdenken eher unwahrscheinlich – u.a. weil dies
dem Eingeständnis des Scheiterns und in diesem Falle auch der Verschlimmerung
der Lage gleichkäme. Vielmehr ließen sich im Falle Malis bereits Symptome eines
„Mission Creep“ identifizieren, wie Dan Krause, wissenschaftlicher Mitarbeiter
und Dozent an der Universität der Bundeswehr in Hamburg, feststellt: „Die
schrittweise, nicht beabsichtigte, aber irgendwann kaum mehr umzukehrende,
kontinuierliche und beinahe unvermeidliche Ausweitung des eigenen
Engagements“.[33] Er fügt hinzu: „Warum sollte in Mali funktionieren, was in den
vergangenen großen Stabilisierungsoperationen der USA und des Westens in
Vietnam, Afghanistan oder dem Irak gescheitert ist? Wenn nicht, was ist dann die
Alternative?“

Das Beitragsbild zeigt senegalesische Polizeikräfte, die im Rahmen von
MINUSMA dienen und in den Straßen der Stadt Gao in Mali patroullieren. Foto:
UN, 2013

Fußnoten
[1] https://www.un.org/Depts/german/sr/sr_20/sr2531.pdf

[2]
https://www.imi-online.de/2012/11/30/henne-oder-ei-die-eu-aufstands-und-terrorb
ekampfung-im-sahel/

[3]
https://www.sipri.org/commentary/essay/2012/wrong-paths-peace-re-emergence-a
rmed-violence-northern-mali

[4] https://www.un.org/Depts/german/sr/sr_12-13/sr2085.pdf

[5] https://www.un.org/Depts/german/sr/sr_12-13/sr2100.pdf

[6]
https://www.blaetter.de/ausgabe/2018/mai/mali-am-abgrund-fuenf-jahre-militaerin
tervention

[7] https://www.un.org/Depts/german/sr/sr_16/sr2295.pdf

[8]
https://zeitschrift-vereinte-nationen.de/fileadmin/publications/PDFs/Zeitschrift_VN
/VN_2017/Heft_4_2017/04_Karlsrud_4-2017_7-8-2017_final_web.pdf

[9] https://core.ac.uk/download/pdf/33268762.pdf

[10]
https://eeas.europa.eu/headquarters/headquarters-homepage/84441/informal-mee
ting-eu-defence-ministers-remarks-high-representativevice-president-josep-
borrell_en

[11] https://www.imi-online.de/2020/03/25/eu-mandat-ausgeweitet-zweck-unklar/

[12]
https://www.rand.org/content/dam/rand/pubs/research_reports/RR700/RR770/RA
ND_RR770.pdf

[13]
https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/afrika/mali-im-krieg-12082900.html

[14] https://www.hrw.org/news/2013/02/21/mali-prosecute-soldiers-abuses

[15]https://www.france24.com/en/20191224-france-says-it-carried-out-first-armed-
drone-strike-in-mali
[16] https://www.swp-berlin.org/publikation/operation-barkhane-im-sahel/

[17]
https://www.heise.de/tp/features/Allons-Enfants-Umstrittene-franzoesische-Luftan
griffe-in-Mali-5019322.html

[18]
https://www.jeuneafrique.com/452523/politique/g5-sahel-enfin-force-conjointe-a-li
ssue-sommet-de-bamako/

[19] https://ec.europa.eu/germany/news/20180223-g5-sahel-geberkonferenz_de

[20]
https://www.diplomatie.gouv.fr/de/aussenpolitik-frankreichs/frankreichs-internati
onaler-einsatz-gegen-den-terrorismus/die-gemeinsame-truppe-g5-sahel-und-die-
sahel-allianz/

[21] https://africacenter.org/spotlight/review-regional-security-efforts-sahel/

[22] https://www.thedefensepost.com/2020/12/21/g5-sahel-force-struggles/

[23]
https://www.defense.gov/portals/1/features/2018/0418_niger/img/Oct-2017-Niger-
Ambush-Summary-of-Investigation.pdf

[24]
https://www.spiegel.de/politik/deutschland/ksk-munition-bei-bundeswehr-geheimo
peration-verschwunden-a-00000000-0002-0001-0000-000174784594

[25]
https://www.hrw.org/news/2017/09/08/mali-unchecked-abuses-military-operations

[26] https://www.imi-online.de/2020/03/25/eu-mandat-ausgeweitet-zweck-unklar/

[27]
https://www.bundeswehr.de/de/einsaetze-bundeswehr/mali-einsaetze/minusma-bu
ndeswehr-un-einsatz-mali/drehkreuz-in-der-wueste-lufttransportstuetzpunkt-
niamey-167020

[28] https://minusma.unmissions.org/en/reports
[29] https://minusma.unmissions.org/sites/default/files/s_2020_1281_e.pdf

[30] https://taz.de/Politologe-ueber-Islamismus-in-Sahelzone/!5666568/

[31]
https://ffm-online.org/wp-content/uploads/2020/04/Charbonneau-Bulletin-FrancoP
aix-vol5n1_eng.pdf

[32]
https://www.reservistenverband.de/magazin-die-reserve/aus-der-aktuellen-loyal-m
ission-impossible/

[33]
https://www.hsu-hh.de/staackib/wp-content/uploads/sites/757/2020/07/Dan-Kraus
e-Stabilisierung-im-Treibsand.pdf
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