Mit Burenziegen unterwegs - Landschaftspflege im Pfälzerwald

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Mit Burenziegen unterwegs - Landschaftspflege im Pfälzerwald
Institut für Naturkunde in Südwestdeutschland

     Mit Burenziegen unterwegs – Landschaftspflege im Pfälzerwald
                                     Oliver Röller & Annalena Schotthöfer

Einleitung:                                             Ziegenfütterung im Winter – Was Mut-
In dieser Ausgabe der Rundbriefs „Naturkun-             ter Natur im Pfälzerwald bereithält
de aus dem Südwesten“ stellen wir unser neues
Naturschutzprojekt vor: Landschaftspflege mit           Einen großen Teil unseres Wissens über die hei-
Burenziegen! Seit September 2020 lebt unsere            mischen Pflanzenarten verdanken wir der Tat-
kleine Ziegenherde, inzwischen bestehend aus            sache, dass in jeder Region bestimmte Pflanzen
25 Jungziegen, in Rinnthal bei Annweiler. Im            für die Menschen von je her von Bedeutung wa-
letzten halben Jahr hat sich ein eingespieltes          ren. In der Weidetierhaltung ist es sehr wichtig,
Ziegen-Mensch-Team gebildet, das gemeinsam              zu wissen, was die Natur in welcher Jahreszeit
einen Beitrag zur Offenhaltung der Landschaft           an Futterpflanzen bereithält. Und dann gibt es ja
und damit zur Förderung der Artenvielfalt im            auch noch die Weideunkräuter, die zur Gefahr
südlichen Pfälzerwald leistet. Unser Wissen über        für Weidetiere werden können. Meistens hört
Ziegenhaltung, Weidepflege und Tierhygiene              man davon im Zusammenhang mit Pferden und
konnten wir in dieser Zeit enorm steigern und           Jokobs-Greiskraut (Senecio jacobaea). Gesam-
möchten an dieser Stelle zum einen die Win-             melt ist das allgemein zugängliche Wissen über
terfütterung und zum anderen das Einrichten             die Bedeutung der Pflanzen auch in teils schon
und die Pflege neuer Weideflächen thematisie-           sehr alten Heilkräuterbüchern. Für die meisten
ren und unsere Leserinnen und Leser an unse-            der heute lebenden Menschen ist das, was darin-
rem neu gewonnenen Wissen teilhaben lassen.             steht, aber nicht mehr notwendiges Alltagswis-
Unser folgender Beitrag zum Winterfutter er-            sen. Vielmehr wird Manches aus den alten Wer-
scheint in etwas abgeänderter Form demnächst            ken gerne zur Unterhaltung gelesen, weil es uns
auch im „POLLICHIA-Kurier“.                             tatsächlich stellenweise amüsiert, was den Leu-
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ten früher alles einfiel und sich dann auch im       Schon Ende Herbst stellten wir fest, dass unse-
Namen der Pflanzen niederschlug. Zum Beispiel        re 25 Burenziegen, die ihre ersten Lebensmo-
die Namen Bettsächer oder Brunnsblum für den         nate in Oberfranken im Stall verbracht hatten,
Löwenzahn (Taraxacum div.), wobei diese spe-         Eicheln der Stieleiche (Quercus robur) an den
zielle Wirkung der Pflanze (harntreibend) auch       Rändern der Weideflächen für sich entdeckten.
heute noch genutzt wird.                             Zusammen mit den Früchten der Esskastanie
Seit wir Ziegenhalter im südlichen Pfälzerwald       (Castanea sativa), die in unserer Gegend ganze
bei Rinnthal sind, gewinnt das Pflanzenwissen        Wälder ausbildet, blieben die Eicheln über den
für uns eine neue Bedeutung. Wir registrieren,       gesamten Winter hinweg ein äußerst beliebtes
was unseren Weidetieren im Winter noch zur           natürliches Kraftfutter der immer stärker und
Verfügung steht. Wir beobachten, was sie davon       agiler werdenden Jungziegen. Wir fragten uns,
fressen und haben Acht, dass es ihnen dabei gut      wie viel von diesem stärkehaltigen Futter für un-
geht. Das Wohl unserer Tiere, das uns am Her-        sere Tiere gut sei. Sie fraßen sich zeitweise voll
zen liegt und für das wir volle Verantwortung        mit „Eichle un Keschde“. In der Literatur fanden
tragen, ist abhängig von dem, was die Natur          wir dazu wenig. Wir bekamen von einem Tier-
unmittelbar bietet. Denn im Winter wollen wir        arzt den Tipp, einfach den Kot und damit die
unsere Tiere nicht ausschließlich mit industriell    Verdauung zu beobachten: Solange die Hinter-
hergestelltem Futter aus Säcken ernähren, son-       lassenschaften „stimmen“, kann nichts großartig
dern wir bieten ihnen auch in dieser Jahreszeit      verkehrt sein.
auf Wiesen und Weiden, an Hecken und Gebü-           Der Literatur entnehmen wir, dass Ziegen ger-
schen, an Weg- und Waldsäumen die Möglich-           ne Fichten (Picea abies) fressen und ein Zie-
keit selbst nach dem zu suchen, was die Natur ih-    genhalter-Kollege sagte uns, dass die Öle und
nen in der kargen Jahreszeit bereithält. Und dabei   Gerbstoffe der Fichte sehr gesund für die Tiere
lernen wir eine Menge dazu. Pflanzen, denen wir      seien. So wie wir den Fichtennadelhonig lieben,
z.T. bisher weniger Aufmerksamkeit geschenkt         lieben unsere Ziegen frische Fichtentriebe. Da
haben, gewinnen dadurch an Bedeutung.                wegen des Borkenkäfers überall Fichtenforste
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eingeschlagen werden, gibt es Fichten-Ziegen-       tiere sehr giftig sein. Die Menschen benutzten
futter im Überschuss. Das wird sich auch in den     die Wurzelstücke und Rhizome der Pflanze frü-
nächsten Jahren wohl nicht ändern.                  her dennoch zur Entwurmung. Und schließlich
Was uns überraschte, erfahrenen Ziegenhaltern       ist der Salbei-Gamander (Teucrium scorodo-
aber bekannt ist, ist die Tatsache, dass der Be-    nia) noch hervorzuheben. Eine recht aromati-
senginster (Cytisus scoparius) im Winter eine       sche Pflanze, die ebenfalls im milden Klima des
äußerst beliebte Futterpflanze unserer Vierbei-     Pfälzerwaldes im Winter grüne Blätter behält,
ner ist. Genauso wie die Besenheide (Calluna        überall an Waldsäumen vorkommt und von den
vulgaris) ist dieser Strauch charakteristisch für   Ziegen gerne verzehrt wird. Salbei-Gamander
bodensaure Gebiete und somit im Pfälzerwald         findet auch in der Homöopathie Anwendung.
eine typische Pflanze der Brachen und Säume.        An vielen Wintertagen, an denen wir mit unse-
Mit Ginster verbuschte Magerrasenbrachen las-       ren Ziegen triften, stehen auf dem Menü fast aus-
sen sich durch Ziegenbeweidung sehr gut wieder      schließlich die oben genannten Arten. Im Stall
öffnen. Die Besenheide ist dagegen in leichten      finden sie dann noch reichlich Heu und Stroh
Kiefernwäldern und entlang von Waldwegen an         und zwischendurch gibt es auch Heupellets. Die
sandigen und steinigen Böschungen häufig. Sie       beschriebene Speisekarte der frischen Pflanzen
wird durch den Verbiss verjüngt, was ihrer spät-    ist stärkereich und reich an Gerbstoffen, Vitami-
sommerlichen Blüte förderlich ist. Recht win-       nen und Ölen. Der Gesundheitszustand und der
terhart sind auch die Blätter der verschiedenen     allgemeine Eindruck, den wir von unseren Zie-
Brombeer-Arten, die allesamt von den Ziegen         gen haben, sagen uns, dass das genau die richti-
mit Vorliebe verspeist werden.                      ge Mischung ist.
Interessant ist auch, dass der Gewöhnliche          Nun, im beginnenden Frühling, steht die Er-
Wurmfarn (Dryopteris carthusiana), auch Ge-         schließung neuer Weideflächen auf dem Pro-
wöhnlicher Dornfarn genannt, im Winter              gramm.
von den Ziegen in Mengen verzehrt wird. Die
Schwesterart, der Männliche Wurmfarn (Dry-          Auftrieb auf die Sonnenhang-Weide
opteris filix-mas), soll für Mensch und Weide-
                                                    Am ersten März-Wochenende haben wir be-
                                                    gonnen die rund 2.500 m2 große und von uns
                                                    „Sonnenhang-Weide“ genannte Fläche mit un-
                                                    seren Burenziegen zu beweiden. Möglich wurde
                                                    dies u.a. durch Patenschaft-Spenden an den FNL
                                                    e.V., wodurch ein mobiler Elektrozaun samt Zu-
                                                    behör angeschafft werden konnte. Mit diesem
                                                    Zaunsystem können nun recht schnell und un-
                                                    kompliziert Flächen bis zu einer Größe von 0,5
                                                    Hektar vorübergehend eingezäunt und beweidet
                                                    werden. Vielen Dank an alle Spenderinnen und
                                                    Spender für die großzügige Unterstützung unse-
                                                    res Beweidungsprojektes!
                                                    Die Sonnenhang-Fläche, auf der vor einigen
                                                    Jahren Wildbirnen-Bäume von der der Rinn-
                                                    thaler Wald GmbH gepflanzt wurden, ist stark
                                                    verbuscht mit Brombeere und Besenginster.
                                                    Beides sind holzige Pflanzen, deren Blätter bzw.
                                                    jungen Äste die Ziegen überaus gerne fressen.
                                                    Außerdem treten mit dem Roten Fingerhut (Di-
                                                    gitalis purpurea) und der Amerikanische Ker-
                                                    mesbeere (Phytolacca americana) zwei für Tiere
                                                    mehr oder weniger giftige Pflanzen auf. Vom
                                                    Roten Fingerhut wissen wir, dass unsere Zie-
                                                    gen ihn instinktiv meiden. Wie es sich mit der
                                                    erst später im Jahr austreibenden Kermesbeere
                                                    verhält, wissen wir noch nicht. Wir werden das
                                                    genau beobachten und ggf. die Kermesbeeren-
                                                    Austriebe beseitigen.
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Im Unterwuchs der Sträucher wachsen einige
Heide- und Magerrasen-Arten, u.a. viel Klei-
ner Sauerampfer (Rumex acetosella), was ty-
pisch für sandig-steinige Bundsandsteinböden
im Pfälzerwald ist. Aus den Brombeer- und Be-
senginster-Sträuchern ragen hier und da junge
Esskastanien, Buchen und Eichen-Austriebe he-
raus, die zeigen, welche Baumarten hier natürli-
cherweise die Waldentwicklung einleiten, wenn
keine Pflege durch Nutzung erfolgt.
Doch Wald ist hier nicht das Ziel von Natur-
schutz und Landschaftspflege, sonst hätte man
die Fläche nicht gerodet und mit Obstbäumen
bepflanzt. Entwicklungsziel ist vielmehr eine
halboffene, parkartige und sonnendurchflutete
Fläche, mit Einzelbäumen (Esskastanien und
Wildbirnen), unter denen sich lichtliebende
Kräuter und Zwergsträucher der Magerrasen
und Heiden behaupten können.
Für die Ziegen ist die Fläche im aktuellen Zu-
stand allerdings eine echte Herausforderung. Sie
ist nicht nur stark verbuscht und steinig, son-
dern auch steil und teilweise felsig. Außerdem
liegen als Ergebnis früherer Rodungen noch ei-
nige Totholzhaufen auf der Fläche, die sich nur
langsam und allmählig zersetzen. Wir helfen
unseren Landschaftspflege-Ziegen anfangs, in-
dem wir mit Heckenscheren Gänge durch das
Gestrüpp schneiden, damit sie leichter an den
Besenginster, die Brombeerblätter sowie die          besonders der Erhalt der Artenvielfalt in dem
Gräser und Kräuter herankommen und die Flä-          Tal, in dem unsere Ziegen leben. Wer sich für
che somit möglichst gleichmäßig abgeweidet           unsere Tiere und unsere Arbeit interessiert,
wird. Das Freischneiden der Gänge dient auch         kann sich gerne auch auf unserer Homepage
der Sicherheit der Tiere, die Bereiche benötigen,    weiter informieren. Und wer sogar als Förder-
an denen sie sicheren Tritt haben. Wenn sich         partner Teil des Projekts werden möchte, erhält
schließlich der Heckenbestand nach einigen           dort Informationen zu Ziegen-Patenschaften
Weidegängen etwas aufgelockert hat, haben es         und Spendenmöglichkeiten: http://natur-sued-
die Tiere leichter auch ohne unsere Hilfe überall    west.de/team-landschaftspflege/.
hinzukommen und die Fläche abzuweiden.
                                                     Impressum
Wir sind gespannt, welche Pflanzen sich auf der
                                                     Herausgeber: Institut für Naturkunde in Südwestdeutschland
von uns gepflegten Fläche einstellen und wel-
                                                     Erscheinungsweise der Reihe Naturkunde aus dem Südwesten:
che Tierarten hier vorkommen werden. Mau-
                                                     unregelmäßig, digital als PDF-Datei
ereidechsen wurden bereits Anfang März auf
                                                     ISSN 2569-1759
der Fläche gesichtet. Zauneidechsen haben sich
                                                     Redaktion: Dr. Oliver Röller
bisher noch nicht blicken lassen, diese kommen
                                                     Bildbeiträge der vorliegenden Ausgabe: Dr. Oliver Röller
aber in der Regel auch erst etwas später aus den
                                                     Redaktionsadresse:
Erdbauten, in denen sie den Winter verbringen.
                                                     Institut für Naturkunde in Südwestdeutschland
Interessant wird auch sein, welche Vögel auf und
                                                     NATUR SÜDWEST
am Rand der Fläche brüten. Eine hohe Insekten-
                                                     Bismarckstraße 49, 67454 Haßloch
vielfalt mit wärmeliebenden Arten wie z.B. der
                                                     Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt
Blauflügeligen Ödlandschrecke (Oedipoda cae-
                                                     die Meinung des Herausgebers wieder. Die Autoren sind für
rulescens) und der Europäische Gottesanbeterin       den Inhalt ihrer Beiträge verantwortlich. Die Redaktion behält
(Mantis religiosa) ist hier ebenfalls zu erwarten.
                                                     sich vor, Beiträge zu kürzen. Die Wiedergabe in anderen Print-
Neben dem Wohl unserer extensiv gehaltenen
                                                     medien oder im Internet ist bei Angabe der Originalquelle
Burgenziegen sind unsere Projektziele Land-
                                                     grundsätzlich zulässig.
schaftsschutz, Umwelt- und Naturschutz und
                                                     Naturkunde aus dem Südwesten 2021/1 		                      4
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