Monatsbrief Nr. 7 / Mai 2021 - SCHADOW GESELLSCHAFT BERLIN E.V - Bergsdorf

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Monatsbrief Nr. 7 / Mai 2021 - SCHADOW GESELLSCHAFT BERLIN E.V - Bergsdorf
SCHADOW GESELLSCHAFT BERLIN E.V.
               Monatsbrief Nr. 7 / Mai 2021
Die Ausstellung „Mühlenhaupt trifft Schinkel und Schadow“ findet im Sommer 2021 im Sockelbau unter dem
Kreuzberg-Denkmal statt.

Die Allegorien der Kontinente von der Alten Börse:
Wiederentdeckte Reliefs von Johann Gottfried Schadow

Im Zuge der Recherchen für die Ausstellung, die die Kurt und Hannelore Mühlenhaupt Stiftung
demnächst im Sockel des Kreuzbergdenkmals eröffnet, konnte eine seit langem ungeklärte Frage
beantwortet werden: Von welchem Künstler und welchem Gebäude stammen die vier Sandstein-
platten mit den Allegorien der Kontinente, die dort im äußeren Umgang aufgestellt sind, neben den
39 Platten von Schadows Münzfries? Bekannt war, dass Kopien davon an den Erweiterungsbauten
des Palais Schwerin am Molkenmarkt angebracht sind. Mit diesen Erweiterungsbauten wurde das
barocke Palais 1936-42 mit der neu erbauten „Reichsmünze“ verbunden, die ihrerseits eine Kopie
des Münzfrieses als Schmuck erhielt.

Abb. 1: Allegorien der Kontinente Afrika und Amerika am westlichen Erweiterungsbau des Palais Schwerin, Ende der 1930er Jahre. Die
Reliefs sind Kopien der Sandstein-Originale von Johann Gottfried Schadow. Foto (Ausschnitt): Benedikt Goebel

Das Landesdenkmalamt, dem die Reliefs gehören, verwies auf die zwischen 1777 und 1780 errich-
teten und 1910 in den Schöneberger Kleistpark versetzten Königskolonnaden – wohl weil Teile von
deren originalem Bauschmuck eine Zeitlang im Sockel des Kreuzbergdenkmals untergebracht wa-
ren. Thematisch hätten die Allegorien der Kontinente auch dorthin gepasst, denn das Bildpro-
gramm der Kolonnaden kreist um Handel und Gewerbe: Unter den Statuen ist Merkur, der Gott des
Handels, auf der Attika balancieren Putten Körbe und hantieren mit Fässern und großen ver-
schnürten Bündeln. Wo aber hätten die vier längsrechteckigen Reliefs dort angebracht sein kön-
nen? Zeitgenössische Abbildungen zeigen die Platten an den Sockeln der Aufsätze über den Mit-
telrisaliten schmucklos wie heute.

Abb. 2 / 3: Johann Gottfried Schadow, Allegorien der Kontinente Afrika und Amerika, Reliefs von der Alten Börse, Fotos: Karl Ringena

Annette Meier                                                                                                          SEITE 1 / 5
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Ein Artikel des Kunsthistorikers Christof Baier über die Börse am Lustgarten (in Claudia Sedlarz
(Hg.): Die Königsstadt. Stadtraum und Wohnräume in Berlin um 1800, Hannover 2008) brachte
Klarheit: Bei den Reliefs handelt es sich um Arbeiten aus der Werkstatt von Johann Gottfried Scha-
dow, die einst die Alte Börse schmückten. Hans Mackowsky führte sie 1951 noch in Schadows
Werkverzeichnis auf. Baier vermutete allerdings, dass die Reliefs am Palais Schwerin die Originale
seien.

Abb. 4: Leopold Ludwig Müller, Die Börse, um 1820, aus: Kat. Neue Baukunst. Berlin um 1800

Die Alte Börse, 1799 bis 1802 von Christian Friedrich Becherer erbaut, war wie die 1798-1800 von
Heinrich Gentz errichtete Münze am Werderschen Markt ein Zeugnis des neuen klassizistischen
Stils in Berlin: ein dreigeschossiges Gebäude, zurückhaltend gegliedert durch Lisenen. An der
Hauptfassade zum Lustgarten hin lag eine dorische Säulenhalle. An den beiden Eckrisaliten wa-
ren, über den Doppelfenstern des ersten und unter den Lünettenfenstern des zweiten Geschosses,
Schadows Reliefs angebracht: links Europa und Asien, rechts Afrika und Amerika, dazwischen je-
weils ein Merkurkopf. Als der alte Dom südlich der Börse dem jetzigen, monumentaleren weichen
musste, wurde auch das Börsengebäude abgerissen. Die Kaufleute waren schon dreißig Jahre zu-
vor, 1863, in die neue Börse am gegenüberliegenden Spreeufer umgezogen.

Abb. 5: Johann Gottfried Schadow, Personifikation der Elbschifffahrt, Lünettenrelief aus dem Versammlungssaal der Alten Börse, heute
im ehemaligen Bankhaus Mendelssohn in der Jägerstraße 49/50. Foto: HGHI Holding GmbH

Im frühen 19. Jahrhundert kündete die Börse am Lustgarten vom Selbstbewusstsein der Berliner
Kaufmannschaft, die das teure Gebäude auch finanziert hatte. Zur neu gegründeten Börsenkorpo-
ration gehörten erstmals auch jüdische Bankiers und Großhändler, worauf Elke Blauert 2007 in ih
rem Beitrag über die Alte Börse im Katalog der Ausstellung „Neue Baukunst. Berlin um 1800“ hin-
gewiesen hat.

Annette Meier                                                                                                         SEITE 2 / 5
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Die exponierte Lage des Neubaus im königlichen Lustgarten hat damit zu tun, dass Friedrich Wil-
helm I., der aus dem Garten einen Exerzierplatz gemacht hatte, der Berliner Kaufmannschaft 1738
das dortige Lusthaus für ihre Versammlungen überlassen hatte. Die Kaufleute konnten durchset-
zen, dass der Neubau am selben Ort errichtet wurde. Mehrere bedeutende Architekten, darunter
auch Gentz, zeichneten Entwürfe dafür, der eindrucksvollste stammt von Friedrich Gilly. Für den
Bauschmuck gewannen die Kaufleute den besten Bildhauer Preußens, Johann Gottfried Schadow.
Alle Fassaden des Baus waren mit seinen Reliefs geschmückt, sie zeigten wohl überwiegend weib-
liche Figuren zwischen Handelsgütern. Auch die Stuckreliefs im basilikaähnlichen Börsensaal
stammten aus Schadows Werkstatt. Finanziert hatte sie der Bankier Joseph Mendelssohn, und als
die Börse abgerissen wurde, kamen sie in das Bankhaus der Mendelssohns in der Jägerstraße
49/50. Dort sind sie heute noch im Treppenhaus zu sehen.

Schadows Allegorien der Erdteile wirken vielleicht deshalb nicht so modern wie der Münzfries, weil
ihre Ikonographie tradierten Mustern folgt. Das Thema des Münzfrieses, die Entdeckung der Erze
und ihre Verarbeitung bis zum Prägen von Münzen, war neu – der junge Friedrich Gilly hatte die
Entwürfe dafür gezeichnet. Bei den Kontinenten gab es dagegen wenig Spielraum: Schon in
Cesare Ripas „Iconologia“ von 1603 hält die Asia einen Strauch von Gewürzen in der einen und ein
Rauchfass in der anderen Hand. Die Attributtiere – Elefant, Dromedar, Löwe, Tiger – werden
manchmal getauscht, der Sonnenschirm schützt mal Africa, mal Asia, aber die formelhaften Cha-
rakterisierungen ändern sich nicht. Geprägt sind die allegorischen Darstellungen unter anderem
von frühen Reisebeschreibungen. Speziell die America spiegelt die verzerrende Sichtweise der eu-
ropäischen Kolonisatoren wider. In den berühmtesten Erdteildarstellungen der Kunstgeschichte,
Tiepolos Deckenfresken aus dem Treppenhaus der Würzburger Residenz, reitet die halbnackte
America mit schillerndem Federschmuck, Pfeil und Bogen auf einem zähnefletschenden Krokodil,
am Boden vor ihr liegen abgeschlagene, von Pfeilen durchbohrte Köpfe – so wie bei Ripa 150
Jahre zuvor, nur farbenprächtig und detailreich ausgeführt und eingebettet in eine bewegte, figu-
renreiche Szene.

Abb. 6: Adriaen Collaert, Allegorie des Kontinents Asien, aus der Serie der „Vier Kontinente“, Kupferstich nach Maerten de Vos, 1580-
1600

Annette Meier                                                                                                           SEITE 3 / 5
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Unverändert bleibt über Jahrhunderte die Rangordnung der Kontinente. Die Repräsentantinnen der
als primitiv geltenden Erdteile Amerika und Afrika tragen nur einen Lendenschurz, während die
Personifikation von Asien als Weltregion, in der die Schrift und die Architektur erfunden wurde,
stets in ein langes Gewand und Schleier oder Turban gekleidet ist. Europa steht nach damaligem
Verständnis auf der höchsten Entwicklungsstufe und wird häufig als Athena dargestellt, umgeben
von Zeugnissen der Wissenschaften und Künste, auch der hochtechnisierten Kriegskunst.

Abb. 7 / 8: Johann Gottfried Schadow, Allegorien der Kontinente Asien und Europa, Reliefs von der Alten Börse, Foto: Karl Ringena

Schadow hat sicher Andreas Schlüters meisterhafte Allegorien der Erdteile aus dem Rittersaal des
Berliner Schlosses gekannt. Das Dromedar, das neben der Asia liegt, ähnelt dem bei Schadow
(das im Original verloren, auf der Kopie am Palais Schwerin aber noch sichtbar ist). Anders als
Schadow vergrößert Schlüter noch den Abstand zwischen den „wilden“, exotischen Erdteilen und
dem zivilisierten eigenen Kontinent: Während die nackte Afrika sich unter dem Löwen ausstreckt,
sitzt die gerüstete Europa aufrecht, den Blick fest in die Ferne gerichtet.

Abb. 9 / 10: Andreas Schlüter, Allegorien der Kontinente Afrika (links) und Europa (rechts), Supraportenreliefs im Rittersaal des Berliner
Schlosses, 1702

Annette Meier                                                                                                              SEITE 4 / 5
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Während Schlüters Supraportenreliefs im Schloss die Macht und den Ruhm des Herrschers bekun-
den – Kurfürst Friedrich III. hatte sich zwei Jahre zuvor zum König in Preußen gekürt –, stehen die
Kontinente an der Börse, einem Bau der Bürgerschaft, für den weltweiten Handel. Entsprechend
sitzen die Personifikationen auf Bündeln und Fässern und haben Produkte aus ihrer Region neben
sich. Die America weist wohl auf eine Tabakpflanze, Asia hantiert mit Blättern (Tee?) über einem
Räuchergefäß. Auch die Personifikationen der beiden Gilden und der Elbschifffahrt aus dem Bör-
sensaal sitzen zwischen Säcken, Fässern, Amphoren und Stoffballen und zeigen auf diese Waren.

Was an den Allegorien der vier Kontinente ist dann typisch für Schadow? Wohl die Natürlichkeit
der Bewegungen und Haltungen. Vielleicht war es Schadows Erfindung, der Asia nicht ein Rauch-
fass in die Hand zu geben wie sonst, sondern einen antiken Dreifuß zur Seite zu stellen, so dass
sie nicht einfach posiert, sondern einer alltäglichen Handlung nachgehen kann, der Zubereitung
von Tee.

Mindestens bis zum 11. Juni können Schadowfans sich im Sockel des Kreuzbergdenkmals die Al-
legorien der Kontinente und den komplett erhaltenen Münzfries ansehen – das Sockelgeschoss
wird zum ersten Mal wieder für Publikum geöffnet.
Anlass sind 100 Jahre Kreuzberg, 200 Jahre Kreuzbergdenkmal und der 100. Geburtstag eines
Malers, der wie niemand sonst das Kreuzberg der Mauerjahre festgehalten hat, Kurt Mühlenhaupt.
Seine Gemälde – Straßenszenen und ganzfigurige Porträts – werden dem Schadowfries gegen-
über hängen. So verschieden ihre Kunst ist: Die Lebensnähe der Darstellungen, die unprätentiöse
Schilderung, das Weglassen aller für die Verständlichkeit unnötigen Details sind beiden gemein-
sam.

                                                          Weitere Informationen zur Ausstellung unter:
                                                                               www.muehlenhaupt.de

Annette Meier                                                                             SEITE 5 / 5
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