Nachrichten für Filmschaffende - DOK.fest München
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422 | 10. Mai 2018 Nachrichten für Filmschaffende herausgegeben von Peter Hartig in Kooperation mit www.crew-united.com
422 | 10. Mai 2018 Dokumentarfilme | 2 Dem Dokumentarfilm bleiben die Zuschauer weg, der Spielfilm soll sich vorsehen, sagt Arne Birkenstock (Titel): »Im Bergbau wurden früher Kanarienvögel als Warnsystem vor Sauerstoffmangel eingesetzt. Wir Dokumentarfilmer sind die Kanarienvögel der Filmbranche.« Ganz leeres Kino! Auf Festivals wird er gefeiert, in den Kinos läuft er vor leeren Sitzen. Was ist bloß mit dem Dokumentarfilm los? Arne Birkenstock gab in seiner Eröffnungsrede zum Kongress »Ganz großes Kino?« beim Münchner Dokfest einen Einblick in die Realität der Filmemacher. Text Arne Birkenstock Titel und Foto: Dokfest München
422 | 10. Mai 2018 Dokumentarfilme | 3 Ich bin gestern aus Toronto hier eingeflogen, wo Noch herber ist die Enttäuschung bei unserer zwei unserer Filme bei Hot Docs liefen und wo Produktion Die Nacht der Nächte: Dieser überaus Kolleginnen und Kollegen aus aller Welt ihre populär und unterhaltsam erzählte Film der Er- neuen Filmprojekte gepitcht haben. Ja genau: folgsregisseurinnen Yasemin und Nesrin Samde- Die Kollegen, denen wir im März schon in Ko- reli wurde von Concorde mit großem Einsatz penhagen, im April in Nyon und heute in Mün- herausgebracht. chen begegnet sind. Und die wir dann im Juni in Über den Film wurde in Tagesthemen, Heute- Sheffield und La Rochelle, im Oktober in Leipzig Journal, in Titel, Thesen, Temperamente und ei- und im November in Amsterdam wiedersehen nem Dutzend Kultur- und Regionalmagazinen werden. positiv berichtet, auch die Printmedien berichte- So ziehen wir Dokumentarfilmer als munte- ten ausführlich und überwiegend begeistert. Es rer, stets pitchender Wanderzirkus um die Welt gab sechsstellige Klicks in den sozialen Medien, und präsentieren uns und unsere Projekte den in den großen Städten wurden Plakatwände und immer gleichen sogenannten »decision makers«, Litfaßsäulen beklebt. Wir starteten in 60 gut aus- die zu ihrem eigenen Leidwesen immer weniger gewählten Kinos, die dem Film zumindest einige Entscheidungsmöglichkeiten haben. Abendvorstellungen zugestanden. Das Ergebnis: Nur ein Bruchteil dieser gepitchten Filme ent- Nach drei Wochenenden hat der Film bundes- steht dann wirklich. Zum Glück, möchte man sa- weit gerade mal 8.700 Zuschauer in den Kinos gen, sind es weltweit trotzdem jedes Jahr 30.000 eingesammelt. Filme, die auf den Markt geworfen werden. Leider liegen wir mit diesen Zahlen voll im Ganz großes Kino also? Diesen Anspruch er- Trend. In den ersten vier Monaten des laufenden füllt nur eine Minderheit dieser Filme. Ganz lee- Jahres sind in Deutschland schon wieder 40 Do- res Kino? Dieser Realität begegnen wir Doku- kumentarfilme per Flächenstart in die Kinos ge- mentarfilmer in Deutschland inzwischen eigent- kommen, darunter 21 deutsche Produktionen. lich fast immer. Davon erreichten 18 keine 10.000 Zuschauer, 15 Wir haben im November Das Kongo Tribunal keine 5.000 und neun nicht einmal 1.000 Besu- mit einer gewaltigen Präsenz in Presse und sozia- cher. Ganz leeres Kino eben. len Netzwerken herausgebracht. Wir haben ein großes interaktives Web- und VR-Projekt rund um Es liegt nicht am Wetter, nicht am Klimawandel den Film produziert, wir haben eine Ausstellung und auch nicht an böswilligen Kinobetreibern – konzipiert und auf Tournee geschickt, wir sind wir müssen im Jahre 2018 einfach mal festhalten mit illustren Gästen aus Afrika und Europa durch und aussprechen, wie es ist: Der Flächenstart im die Lande getourt und haben große Events in gro- Kino funktioniert für 98 Prozent aller Dokumen- ßen Kinos und Schauspielhäusern durchgeführt. tarfilme nicht mehr! Und zwar völlig unabhän- Geholfen hat das wenig: Während die Events auch gig, davon, ob es regnet oder schneit; es funktio- in den größten Sälen Wochen vorher ausverkauft niert nicht mehr! waren und mehr als 20.000 Menschen durch die Und, liebe Kolleginnen und Kollegen vom Ausstellung zogen, blieben die Kinos leer: Nicht Spielfilm, macht Euch da mal nichts vor: Im einmal 6.000 Zuschauer haben den Film auf der Bergbau wurden früher Kanarienvögel als Warn- Leinwand gesehen. system vor Sauerstoffmangel eingesetzt. Wir Do-
422 | 10. Mai 2018 Dokumentarfilme | 4 Bei Das Kongo Tribunal hatten die Produzenten eigentlich alles richtig gemacht: Mit Ausstellung, Tournee und großen Events bewarben sie den Film. Da kamen die Leute auch gerne – doch die Kinos blieben leer. Foto: Real Fiction
422 | 10. Mai 2018 Dokumentarfilme | 5 kumentarfilmer sind die Kanarienvögel der Dir die Herstellung Deiner Filme. Aber nur dann, Filmbranche. Was uns gerade passiert, ist auch wenn Du eine Form der Herausbringung wählst, beim kleineren Arthouse-Spielfim bereits deut- mit der diese von möglichst wenigen Menschen lich spürbar. gesehen werden können. Wir dürfen nicht weiter ignorieren, dass sich Dieser Trend ist seit Jahren sichtbar und verste- die Welt, in der wir Filme herstellen und heraus- tigt sich. Unsere Reaktion darauf: Wir produzie- bringen, dramatisch verändert hat: ren immer mehr Filme und bringen wirklich je- > Filme sind immer und überall in riesiger Aus- den Film, so nischig und so irrelevant er auch wahl verfügbar und werden auf jedwedem sein mag, in der Fläche in die Kinos: Die Anzahl Endgerät zu jedweder Zeit konsumiert. an Dokumentarfilm-Startkopien, die sich pro > Der lineare Konsum von Filmen und Serien im Jahr um die Plätze auf den Kinoleinwänden bal- TV geht (nicht nur) bei jüngeren Zuschauern gen, hat sich in den letzten 20 Jahren fast ver- dramatisch zurück und wird zunehmend hundertfacht! Waren es 1997 noch 11 Dokumen- durch den non-linearen Konsum in Mediathe- tarfilme, die mit gut 50 Kopien in den deutschen ken, SVoD-Plattformen und so weiter ersetzt. Kinos starteten, wurden 2017 fast 140 Filme mit > »Neue« Player wie Netflix oder Amazon Prime knapp 4.000 Startkopien herausgebracht. rollen den Markt auf, nutzen auch Dokumen- Die Gründe dafür sind mannigfaltig und ha- tarfilme zur Markenbildung und Imagepflege ben unter anderem mit der Digitalisierung und und bedrohen mit disruptiven Innovationen mit dem Rückgang von Sendeplätzen zu tun, vor althergebrachte Geschäftsmodelle unserer allem aber werden hierzulande alle finanziellen Branche. Anreize so gesetzt, dass Produzenten möglichst > International gibt es in der Folge eine verstärk- schnell und möglichst viel produzieren. Mit Ent- te Nachfrage für große und hoch budgetierte wicklung verdient man in Deutschland kein Geld Dokumentarfilme. Diese werden aufwändig und für die Herausbringung erhält man zu wenig. und zum Teil mit Budgets entwickelt, mit de- Bei den meisten Förderern gehen etwa 90 Pro- nen hierzulande mancher Kino-Dokumentar- zent der Fördermittel in die Produktion, nur zwei film komplett produziert wird. bis drei Prozent in die Entwicklung und nur sie- > Es gibt einen Trend zur zunehmenden Festiva- ben bis acht Prozent in die Herausbringung und lisierung und Eventisierung des Kinos: Einfach Vermarktung unserer Filme. Um es mal etwas »nur« einen Film zu zeigen reicht häufig nicht überspitzt zu formulieren: Jedes Jahr werden 350 mehr, um die Säle zu füllen. Das Kino ist dabei Millionen Euro an Filmförderung von Bund und längst nicht mehr der einzig mögliche Ort für Ländern eingesetzt, um Anreize dafür zu schaf- kollektiven Filmgenuss: Viele Filme suchen ihr fen, unterentwickelte Filme zu produzieren und Publikum wortwörtlich auf und gehen dahin, diese dann ohne nennenswerte Herausbrin- wo die Zielgruppen sitzen. Analog und digital. gungsbudgets auf den Markt zu werfen. Das ist absurd! Und wir? Wir produzieren munter weiter und Noch absurder ist die Grundbedingung jed- verstehen die Welt nicht mehr: weder Filmförderung: Im Grunde läuft diese > Da ist der Redakteur, der zwischen dem Zwang nämlich auf das Motto heraus: Wir finanzieren zur Einschaltquote und dem vorhergesagten
422 | 10. Mai 2018 Dokumentarfilme | 6 Populär und unterhaltsam erzählte Die Nacht der Nächte über ihr Thema, die Medien berichteten über den ungewöhnlichen Dokumentarfilm. An den Zuschauerzahlen war davon nichts zu merken. Birkenstock: »Der Flächenstart im Kino funktioniert für 98 Prozent aller Dokumentarfilme nicht mehr!« Fotos: Concorde
422 | 10. Mai 2018 Dokumentarfilme | 7 Ende des linearen TV-Konsums verloren viel Geld eingekauft. Der andere eher unter »fer- scheint, auch weil er die von ihm kofinanzier- ner liefen« im Rahmen eines Filmpakets. ten Filme nicht oder nur sehr kurz in seiner Davon habe ich jetzt nicht so viel gesehen. Mediathek auswerten darf. Und sollten die Kollegen aus dem Silicon Valley > Der sich übrigens auch darüber wundert, dass sich mit ihrer disruptiven Strategie durchsetzen sein Programmdirektor sonntags die Bedeu- und alle anderen Wettbewerber plattmachen, tung des Dokumentarfilms als DNA des öffent- wird die zweite Variante der häufigere Fall sein. lich-rechtlichen Rundfunks beschwört, ihm Dann ist SVoD (Subscription-Video-on-De- dann aber montags Budget und Sendeplätze mand, abonnierte Videos auf Anforderung, Red.) dafür zusammenstreicht. für die Macher von Qualitätsfilmen irgendwann > Da ist die Produzentin, die mit sinkenden Bud- in etwa so attraktiv wie Flatrate-Saufen für die gets für immer weiter gefasste Lizenzverträge Winzer edler Weine. konfrontiert wird. > Und am Ende der Nahrungskette fragt sich Letztlich schauen wir alle (Sender, Filmemacher, eine Regisseurin, warum ihre Tagesgage, die Förderer, Vertriebe und Verleiher) aus unter- sowieso schon unter der eines Kameraassi- schiedlichen Richtungen auf dasselbe Phäno- stenten liegt, immer weiter sinkt und warum men: Wir erleben gerade, dass unser Finanzie- eigentlich alle Seiten so viel Energie darauf ver- rungssystem und unser Geschäftsmodell auf ei- wenden, dafür zu sorgen, dass Ihr Film mög- ner Auswertungskaskade basiert, die es so nicht lichst wenige Zuschauer erreicht, indem sie mehr gibt. Wir müssen dieses System gemein- den Film nachmittags um drei im Kino spielen, sam vom Kopf auf die Füsse stellen und kon- gegen Mitternacht im Fernsehen versenden struktiv einen neuen Deal miteinander finden. und danach möglichst nicht ins Netz stellen. Solange jeder einzelne von uns lobbyistisch auf seinen Partikularinteressen beharrt, kommen Andernorts redet man vom neuen Dokumentar- wir nicht weiter und verlieren die Schlacht um filmboom. Der britische Guardian ruft »the Gol- die Zuschauer der Zukunft, beziehungsweise um den Age of Documentary« aus, in Variety gibt die die Zuschauer der Gegenwart. Solange ein jeder Chefin von National Geographic einen neuen für sich ruft »Rette sich, wer kann«, werden wir Slot für lange Dokumentarfilme bekannt und alle gemeinsam an den Herausforderungen die- wird zitiert: »Obwohl der Wettbewerb im Doku- ses sich wandelnden Marktes scheitern. mentarfilm-Bereich in den jüngsten Monaten Wenn wir unsere Ressourcen und Fähigkeiten immer stärker geworden ist, ist sie zuversicht- jedoch zusammenwerfen und gemeinsam die lich, dass sie Projekte anlocken kann.« Ja, Sie ha- richtigen Strategien und Geschäftsmodelle ent- ben das richtig verstanden: Die Dame bezieht wickeln, werden wir in diesem sich wandelnden sich auf den Wettbewerb der Sender und Platt- Markt wachsen und am Ende von den sich erge- formen um gute Filme und nicht umgekehrt. benden Chancen profitieren. Wir brauchen dazu Die Plattformen. Als neues El Dorado schim- Mut, Ambition und die Bereitschaft, uns von lieb- mern sie uns aus Kalifornien entgegen. Zwei gewonnenen Gewohnheiten zu verabschieden. meiner Filme laufen dort auch. Der eine, über ei- Wir müssen erstens unsere Filme sorgfältiger, nen Kunstfälscher, wurde tatsächlich für sehr ganzheitlicher und aufwendiger entwickeln und
422 | 10. Mai 2018 Dokumentarfilme | 8 dabei auch in dieser Phase kreativ über Zielgrup- aber (der überwiegend nur noch wenige Wochen pen und Herausbringungsstrategien nachden- im Kino läuft), sollten Pilotprojekte erlaubt wer- ken. Wir sollten lernen, dass nicht jedes entwik- den, um neue Vertriebsstrategien auszuprobie- kelte Projekt auch in die Produktion gehen muss, ren, von denen im besten Falle alle Beteiligten dass ein Erfolg von guter Projektentwicklung so- und eben auch die Kinos profitieren könnten, gar sein kann, dass ein Projekt nicht oder zumin- was man ja von der zurzeit üblichen herkömmli- dest nicht als Kinofilm produziert wird. Kurz: Wir chen Herausbringungsweise deutscher Doku- müssen mehr entwickeln und weniger produzie- mentarfilme wirklich nicht sagen kann. ren. Und zweitens: Wir müssen ambitionierter Solche Experimente werden wir auch gar nicht produzieren. Nicht alles, was keiner sehen will, nicht gegen Kinos, Verleiher und Vertriebe ist große Kunst. Manches ist einfach langweilig. durchsetzen können, sondern nur mit ihnen. Wir brauchen weniger Nabelschau und mehr Um in der Sperrfristdebatte voranzukommen Outreach. Mehr Experimente und weniger brauchen wir keine weiteren Panels und nicht Angst. Wir brauchen Relevanz, wir brauchen Tie- einmal weitere Keynotes. Wir brauchen Pilotpro- fe, und wir brauchen Größe, um gegen die Pro- jekte, bei denen Produzenten, Sender, Vertriebe, duktionen vieler angelsächsischer und skandi- Kinos und Plattformen in der Herausbringung navischer Kollegen bestehen zu können. zusammenarbeiten und neue Wege ausprobie- Wir müssen drittens auch solche Filme und ren. Formate produzieren, die weder Kino noch Fern- Wir müssen differenzieren und uns immer ge- sehen sind, sich also heute noch nicht refinan- nau anschauen, was wir tun, für wen wir es tun zieren lassen. Sie sind womöglich unsere Zu- und wo wir es auswerten wollen. Auch bei dem kunft. ewigen Streit um Mediatheken und Online- Wir müssen viertens mit neuen Herausbrin- Rechte müssen wir gemeinsam Lösungen fin- gungsstrategien experimentieren. Wir sollten den. Es führt zu nichts, wenn Sender ihre Ver- ausprobieren und sehen, was passiert, wenn wir tragsvorlagen einseitig in ihrem Sinne ergänzen internationale Dokumentarfilme mit internatio- und auch nicht, wenn Produzenten und Förde- nalem Eventstart in den Kinos, vorgezogener TV- rer dies pauschal verweigern. Ausstrahlung und früher weltweiten Online-Ver- Wir müssen für jedes Projekt nicht nur das fügbarkeit herausbringen. Und wir sollten schon unterschiedlich große Engagement unterschied- während der Entwicklung und Produktion mit licher Partner in der Lizenzaufteilung würdigen, Impact Producern, Outreach Campaignern und sondern für jeden Film entscheiden, wann wo Zielgruppenspezialisten zusammenarbeiten, um und wie er am besten ausgewertet werden kann Kooperationspartner zu finden und Zielgruppen und dies dann auch gemeinsam und partner- für die Auswertung aufzubauen. schaftlich tun. Für all das brauchen wir kein zu- sätzliches Geld. Das Geld ist da, wir müssen es Wir müssen dazu überhaupt nicht grundsätzlich vielleicht anders nutzen und verteilen. an den Sperrfristen sägen, ich bin mir der Bedeu- Wir müssen Ausnahmen, Experimente und tung dieser überlebenswichtigen Exklusivität für neue Wege der Distribution nicht nur endlich er- die Kinos sehr bewusst. Im Dokumentarfilm lauben, sondern befördern. Wir müssen über-
422 | 10. Mai 2018 Dokumentarfilme | 9 Netflix und Amazon sind auch keine Lösung – Birkenstock hat’s ausprobiert. Beltracchi – Die Kunst der Fälschung wurde zwar für »sehr viel Geld« eingekauft, ein weniger bekanntes Werk aber ging in einem Filmpaket unter. Für die Zukunft werde sich die zweite Variante durchset- zen, fürchtet Birkenstock. Foto: Senator
422 | 10. Mai 2018 Dokumentarfilme | 10 haupt mehr für die Herausbringung und Bewer- laufen! Für das Kino, für diesen ureigenen Ort bung unserer Filme tun und dafür auch mehr der Filmkultur sind sie gemacht: Für die große Ressourcen einsetzen. Leinwand, den perfekten Ton, die konzentrierte Wir leben in einer Zeit, in der immer mehr Spannung, das kollektive Erlebnis im dunklen Menschen an immer mehr Orten und zu jeder Saal. Zeit Filme konsumieren. Es ist unfassbar, dass dies von Filmemachern hierzulande als Krise Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass wahrgenommen wird. Wir sollten diesen Para- unser Publikum dies auch wieder mitbekommt! digmenwechsel vielmehr als Chance wahrneh- In diesem Sinne wünsche ich fruchtbare und men und nutzen! konstruktive Diskussionen am heutigen Tage! c Ich glaube mit Leidenschaft an die Zukunft Herzlichen Dank! des Dokumentarfilms, der in Zeiten gefühlter Wahrheiten und »alternativer« Fakten wichtiger ist denn je. Ich glaube aber auch, dass wir dazu groß denken und produzieren müssen. In einer Welt, in der Filme auf allen möglichen Plattfor- men und Endgeräten konsumiert werden, hängt der Hammer sehr hoch für kreative Dokumen- tarfilme im Kino. Es ist dringend an der Zeit, dass wir jegliche Na- belschau beenden und uns gemeinsam den Chancen und Risiken zuwenden, die die »neue« Medienwelt und ihr unstillbarer Appetit auf au- diovisuelle Inhalte für uns bereithält. Wir müssen Möglichkeiten schaffen für die Entwicklung und Produktion künstlerisch und kommerziell erfolgreicher Filme. Wir müssen also größer, nachhaltiger und innovativer den- ken, wenn wir Filme entwickeln, produzieren und auswerten. Die Mittel dazu sind, wie gesagt, da. Kaum ein anderes Land dieser Erde hat ein besser ausgestattetes Förder- und Rundfunksy- stem als wir in Deutschland. Wir sollten kon- struktiv darüber verhandeln, wie diese Ressour- cen besser, zielgenauer und zeitgemäß einge- setzt werden können. Denn wir können ganz großes Kino! Das zei- gen nicht zuletzt viele der großen und großarti- gen Dokumentarfilme, die hier auf dem Dokfest www.dokfest-muenchen.de
422 | 10. Mai 2018 Dok-Kongress | 11 Sieben Themen in vier Stunden: Der Kongress beim Münchner Dokfest setzte auf viele kurze Gespräche in kleiner Runde. Das Konzept ging auf. Wo geht’s lang? Nach neuen Wegen zum Publikum suchte der Kongress »Ganz großes Kino?« für den Dokumen- tarfilm. Ideen gab es, doch die Branche wehrt sich noch. Viele harken lieber noch die alten Pfade. Text Peter Hartig Foto: Dokfest München
422 | 10. Mai 2018 Dok-Kongress | 12 Große Umwälzungen kündigen sich durch De- Anfang. Der Festivalleiter Daniel Sponsel, selbst batten an. Kleine auch. So gesehen, scheint in einst Dokumentarfilmer, schilderte in seiner Be- der Filmbranche einiges in Bewegung geraten zu grüßungsrede, was noch ein Traum ist: Wie er im sein. Seit zwei Jahren wird im Rahmen von Festi- Jahr 2027 im vollbesetzten Kino einen Doku- vals und eigenen Veranstaltungen über den Zu- mentarfilm sieht; dann nach Hause fährt, und stand und den Ausblick des Deutschen Films den Film noch einmal als Stream ansieht; wo ihn diskutiert und gestritten wie nie zuvor. Geredet seine Frau, während er noch im Kino saß, auch und geschrieben wurde zwar auch früher schon, schon gesehen hat. Und das Ganze sei dann doch nicht so geballt und andauernd. Die Pro- auch noch eine Koproduktion mit Arte, BR und bleme sind ja auch dringend. Netflix. Kurz gesagt, sei die heutige Auswer- Der Krise widmete nun das Dokfest München tungskette ist nicht mehr »state of the art«, mein- seine erste Konferenz. Unter dem Titel »Ganz te Sponsel: »Von liebgewonnen Strukturen der großes Kino?« diskutierten am vorigen Donners- Filmauswertung müssen wir uns endgültig ver- tag Filmemacher, Funktionäre und Experten vor abschieden.« 160 Gästen in der Hochschule für Fernsehen und Schon im nächsten Satz schränkte Sponsel Film München über die Krise des Kino-Doku- das gleich wieder ein: »Das Kino kann nicht län- mentarfilms. Dabei setzten die Veranstalter auf ger als Premierenort für Filme geschützt werden ein etwas anderes Konzept: Statt großer Panels – oder muss es das in ganz besonderer Weise? ließen sie lediglich zwei Gesprächspartner mit Was nicht passieren darf, ist, dass wir das Kino einem Moderator ihre Standpunkte austau- als ureigenen Ort der Filmkultur verlieren.« schen. Eine halbe Stunde musste dafür reichen, dann war das nächste Thema dran. Solche Worte hört man oft auf solchen Kongres- Das Konzept ging auf. In etwas mehr als vier sen. Da wird das Kino als Begegnungsstätte be- Stunden waren in fünf Runden die brennendsten schworen und die Riesenleinwand dem Video- Fragen durchgesprochen worden. Natürlich gucken auf dem Smartphone entgegengestellt, nicht abschließend, doch ausreichend, um als gäbe es nichts dazwischen. Die Verkaufszah- Denkanstöße und Einblicke zu geben (mehr len von Beamern, Surround-Anlagen und vor al- wäre auch keiner Riesenrunde gelungen) und lem Großbildfernsehern steigen seit Jahren. ohne das Publikum in endloser Debatte zu er- Auch den Vergleich mit der Musikindustrie müden. Und ausreichend genug, dass auf das ge- findet Sponsel »nicht angemessen«: Die Musik plante Resümee am Schluss verzichtet werden von einer CD und deren Stream seien identisch – konnte. ganz anders als der Kontrast zwischen Kino und Der Preis dafür: Für Fragen aus dem Publikum Stream. Doch da vergleicht er unterschiedliche blieb keine Zeit, auch wenn man beim einen Obstsorten. Zwischen DVD und Stream werden oder anderen Standpunkt gerne mal etwas ge- die wenigsten einen Unterschied feststellen, und nauer nachgefragt hätte. Das aber war zu ver- Musik kann man auch aus schlechten Boxen hö- schmerzen. ren. So etwas wie Auswertungsfenster, die das Falls die Debatten tatsächlich große Umwäl- Kino vor dem Home-Entertainment schützen zungen ankündigen (und das nicht nur Wunsch- sollen, kennt die Musikindustrie nicht. Denn denken ist), stehen sie bei vielen Fragen noch am dies würde bedeuten, dass ein neuer Song erst
422 | 10. Mai 2018 Dok-Kongress | 13 vier bis sechs Monate nur in Diskotheken und vom Leiter eines renommierten Festivals. Das auf Live-Konzerten gehört werden dürfte, ehe er zeigte sich kurz darauf im ersten Gespräch zwi- in Internet und Radio zu hören ist. schen Kinobetreiber und Filmverleiher, die je- Wichtiger als die ganz große Leinwand oder den Gedanken an andere Wege kategorisch aus- das gemeinschaftliche Erlebnis im Kino scheint blendeten. dem Publikum doch die eigene Autonomie zu Sponsel steht mit seinen Gedanken nicht al- sein: Dass man auf alles zugreifen kann, und lein. Karin Jurschick, als Leiterin der Abteilung zwar wo und wie und wann man will. Das lassen Dokumentarfilm an der HFF Gastgeberin des nicht nur die erwähnten Verkaufszahlen vermu- Kongresses, sagte in ihrer Begrüßung, es gebe ten – auch Sponsel verrät solche Sehnsüchte in nicht nur große Kinos, sondern auch kleine gro- seinem Traum. Mal abgesehen davon, dass nicht ße; und kleine große Filme. Man könne im Kino jeder ein Kino gleich um die Ecke hat, und schon auch Serien gucken. Also (das jedoch sprach sie gar keines, dass dann auch spielt, was nicht nicht aus) ganz großes Fernsehen. überall schon zu sehen ist, sondern auch den Auf die anschließenden Podien stimmte der ganzen Rest. Dokumentarfilmer Arne Birkenstock mit Fakten, Zahlen und Beobachtungen ein (Seite 2). Eine Doch trotz der tiefen Verbeugung vor dem My- Dokumentation aller Diskussionsrunden will thos Kino bergen Sponsels Worte eine Spreng- das Dokfest in den nächsten Tagen auf seiner kraft, die man vielleicht von jungen, wilden In- Website veröffentlichen. Eine Zusaammenfas- dependentfilmern erwartet hätte, nicht aber sung lesen Sie auf den nächsten Seiten. In ihrer Begrüßung dachten Karin Jurschick von der HFF und Festivalleiter Daniel Sponsel laut über andere Formen der Filmauswertung nach. Foto: Dokfest München
422 | 10. Mai 2018 Dok-Kongress | 14 Faire Gagen – auf dem Podium: Stefan Eberlein, Jörg Langer und David Bernet (von links). »Faire Gagen für Buch und Regie im Kinodoku- Die Leute finanzieren sich also gezwungener- mentarfilm« war das erste Thema. Jörg Langer, der maßen selbst, sagte Bernet von der AG Dok. Etwa in mehreren Studien die Lage der Filmschaffen- zwei Jahre Arbeitszeit steckten in einem Kino- den untersucht hat, sprach mit David Bernet von Dokumentarfilm – »so lange reicht kein Etat.« der Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm (AG Für ihn stellt sich daraus die Frage: Was für eine Dok) und Stefan Eberlein vom Regieverband Branche ist das? Und wie sieht sie ihre Kreativen (BVR). Zur Einstimmung zitierte Langer aus sei- – etwa als Hobbyfilmer? Ein Regisseur investiere ner Studie für die AG Dok zum Aufwand der Auto- als Faustregel 75.000 Euro an Arbeit. Das müsse ren- und Regieleistung bei dokumentarischen Fil- in den Kalkulationen sichtbar sein. men und Formaten: Wenn Dokumentarfilmer ihre Als nächsten Schritt, war man sich auf dem Arbeit an einem Film wirklichkeitsnah berechnen Forum einig, müsse man mit den Förder- würden, kämen sie auf einen durchschnittlichen einrichtungen sprechen, damit diese Zahl für die Stundenlohn von 9,80 Euro. Zum Vergleich: Hilfs- Vergabe relevant wird. Für die Zwischenzeit ver- arbeitern am Bau stehen 11,75 Euro zu. wies Bernet auf die Website www.faire-dokga- Das ist kein blinder Idealismus, den Filmema- gen.de, eine gemeinsame Initiative beider Ver- chern bleibt keine echte Wahl. Der BVR, der eine bände mit dem Deutschen Journalistenverband, eigene Abteilung für Dokumentarfilm-Regie hat, um, wie dort zu lesen ist, mit Honorar-Empfeh- kam in einer Studie auf eine Tagesgage von 120 lungen »dem Gagendumping und der damit Euro. »Die Sender feiern sich für ihr kulturelles einhergehenden Entprofessionalisierung des Engagement, zeigen aber nicht den selben Re- deutschen Dokumentarfilms ein Ende zu set- spekt bei der Bezahlung«, sagte Eberlein. zen.« Foto: Dokfest München
422 | 10. Mai 2018 Dok-Kongress | 15 Dokumentarfilme gehören ins Kino – auf dem Podium: Christian Bräuer, Daniel Sponsel und Joachim Kühn (von links). »Dokumentarfilme gehören ins Kino!« Das Aus- brauchte vier Wochen, bis er endlich seine Zu- rufezeichen im Titel der zweiten Gesprächsrun- schauer anzog … de duldete eigentlich keinen Widerspruch. Sie Bräuer widersprach aus der Sicht des Kinobe- war aber als Streitgespräch angelegt. Joachim treibers: »Wir brauchen große Film für die große Kühn vom Real Fiction Filmverleih vertrat die Leinwand.« Aber wie viele Filme eigneten sich These, Christian Bräuer kam die Gegenposition tatsächlich dafür? Auch das Arthaus lebe von zu. Bräuer ist Geschäftsführer, der Yorck-Kino- zugkräftigen Filmen, dazu gehöre auch ein Mar- gruppe, mit zwölf Lichtspielhäusern (darunter ketingbudget. All das schaffe ein normaler Doku- »Delphi«) der größte Betreiber in Berlin. mentarfilm nicht – außer zuletzt vielleicht Wim Kühn beschwor die Magie des Kinos und die Wenders 3D-Tanzdoku Pina. »Frankfurter Positionen« (cinearte 421) und be- Da wagte Daniel Sponsel als Moderator eine zweifelte, dass Dokumentarfilme zwangsläufig ketzerische Frage: Sollte man vielleicht die Aus- in leeren Sälen laufen müssen. Erfolgreiche Aus- wertungsfenster aufgeben? »Die Sperrfrist ist nahmen zeigten, dass es nicht am Genre an sich nicht diskutierbar«, entgegnete Bräuer. »Da wer- liegt. Zum Beispiel Wildes Herz: Der Dokumen- den Kinobetreiber zu französischen Bauern.« tarfilm über die Punkband Feine Sahne Fischfilet Da half auch der Verweis auf Weit nichts. Der fülle die Kinos trotz des sommerhaften Wetters, Dokumentarfilm war mit Hilfe von Crowdfun- noch dazu mit einem jungen Publikum, »denn ding entstanden und startete erst in den Kinos, die hat das Thema interessiert. Oder Beuys, gera- nachdem er schon auf Video herausgekommen de als bester Dokumentarfilm mit dem »Deut- war. »Mit 450.000 Zuschauerinnen wird unser schen Filmpreis« ausgezeichnet. Der Film Film 2017 zum meistgesehenen deutschen Art- Foto: Dokfest München
422 | 10. Mai 2018 Dok-Kongress | 16 housefilm in den deutschen Kinos«, heißt es auf Dass es anscheinend doch geht, macht in der Website zum Film. Die FFA kommt zwar in Großbritannien die Arthouse-Kette Curzon Ci- ihrer Jahresstatistik auf 100.000 weniger, den- nemas vor, die mit zwölf Theatern mit der Yorck- noch steht der Dokumentarfilm da auf Rang 17, Gruppe vergleichbar ist: Statt bloß Kinos zu be- gleich nach den üblichen Komödien und Kinder- treiben, versucht sie, die Filme ans Publikum zu filmen, die den Marktanteil deutscher Filme he- bringen und stellt schon seit einigen Jahren aus- ben. Die Gilde deutscher Filmkunsttheater gewählte Werke parallel zum Kinostarts auch als zeichnete das Werk im vorigen September als Stream auf die eigene Plattform – inklusive Flat- »Kinophänomen 2017« aus. rate-Abo. Im vorigen Jahr ist die Kette mit dem Warum tut man sich nicht mit einem Strea- »Bafta« für »herausragende britische Beiträge ming-Partner zusammen, hakte Sponsel nach. zum Kino« ausgezeichnet worden. Das seien ganz andere Geschäftsmodelle, wehrte Da hatte Sponsel aber schon bemerkt, dass er Kühn ab. Und warum sollte dann überhaupt noch als Moderator plötzlich in die Kontra-Position jemand ins Kino gehen, wenn die Filme auf einer gegen seine beiden Gesprächspartner geraten Plattform billiger zu sehen sind? Bräuer stimmte war. zu: Da schütte man das Kind mit dem Bade aus. Der Saal war damit schon aufs nächste Thema die Kinos nicht selber streamen? Helwig sah da eingestimmt: »Streamingdienste – der erfolreiche gleich mehrere Hürden. Die Leute müssten sich Weg zum Publikum«. Dafür sprach der Dokumen- aufraffen und bezahlen, um ins Kino zu gehen. tarfilmer Cay Wesnigk, der mit Onlinefilm.org Derselbe Film als Stream müsste dann genauso eine Verwertungsplattform für Independent-Fil- viel kosten wie eine Eintrittskarte. Zudem werde me betreibt. Dagegen sprach Mathias Helwig, Be- ohnehin zu viel produziert. Er wisse ja jetzt treiber mehrerer Kinos in Oberbayern. schon nicht, wie er all die Neustarts bewerben Wesnigk zitierte frei nach dem Zigaretten-Pro- solle – »und dann auch noch Streaming?« duzenten Reemtsma: »Film ist etwas Zelluloid, Dann machst Du eben ein Nachspiel als Einsen und Nullen und ganz viel Marketing. Das Stream, riet Wesnigk. »Aber nicht vier Monate da- haben wir alle nicht gelernt.« Er erinnerte an ein nach.« Denn wer eine Auswertungsschiene ver- schon 120 Jahre altes Modell der Werbung, nach passt hat, muss für die nächste erst wieder erin- der die Kunden durch vier Phasen zur Kaufent- nert werden. scheidung geführt werden: Kreative denken bei Onlinefilm.org setzt auf die Autonomie der Aida gleich an Opern, das Marketing liest daraus Filmemacher. Das Aktienkapital ist laut Website Attention – Interest – Desire – Action. Erst Auf- »auf mehr als 130 Aktionäre verteilt, die selbst merksamkeit erzeugen, dann Interesse wecken, Urheber, Filmproduzenten oder Dienstleister im damit ein Wunsch entsteht, der schließlich zur Filmbereich sind«, zwei der drei Aufsichtsräte Kaufhandlung führt. sind wie Wesnigk Mitglieder der AG Dok. Wer sei- Sponsel, der auch diese Runde moderierte, nen Film über die Plattform ans Publikum wiederholte seinen vorherigen Vorstoß: Könnten bringt, erhält 51 Prozent der Einnahmen. Ob sich Foto: Dokfest München
422 | 10. Mai 2018 Dok-Kongress | 17 Streamingdienste – auf dem Podium: Cay Wesnigk, Daniel Sponsel und Mathias Helwig (von links). das lohnt, muss sich jeder selbst ausrechnen. fertigen Film gebe es hingegen 2.500 Euro und Wesnigk führte Beispiele von Filmen an, die sich man bekomme keine Informationen über die über Jahre mit kleinen Zuschauerzahlen ein Pu- Zuschauerzahlen.« Bei Amazon direkt hingegen blikum gewonnen hätten. Auch zwischen den könne man als Autor auch selber entscheiden. großen Plattformen gebe es grundlegende Un- Wie einfach es sei, verkannte Filme auf die- terschiede. Im Schwung der Diskussion etwas sem Weg ans Publikum zu bringen, erklären im- flapsig formuliert: »Netflix kuratiert heftig, Ama- mer wieder Marketing-Fachleute. Solche Rat- zon nimmt alles.« schläge sieht Wesnigk inzwischen skeptisch: »Ich Doch das große Geld darf man wohl auch da habe solchen Experten angeboten, mal das In- nicht erwarten. Netflix zahle zwar viel für seine teresse an so einem Film zu wecken – sie dürften Produktionen, etwa den österreichischen Doku- die ersten Einnahmen behalten. Ich habe von mentarfilm Elfenbein: Das weiße Gold. Für einen keinem mehr wieder gehört.« Das nächste Podium war wieder beim Lieblings- und Lisa Giehl vom Filmfernsehfonds (FFF) Bay- thema deutscher Filmemacher: »Welches Film- ern. fördergesetz braucht der Kinodokumentarfilm?« Berg verteidigte die neuen Leitlinien der FFA, Kein Streitgespräch diesmal, denn auf der Bühne die im vorigen Jahr heftig in die Kritik gekom- saß der AG-Dok-Vorsitzende Thomas Frickel als men waren: Zu hoch seien die Anforderungen Moderator zwischen zwei Fördererinnen: Chri- ans Produktionsbudget und die erwarteten Zu- stine Berg von der Filmförderungsanstalt (FFA) schauerzahlen, für den Dokumentarfilm erst Foto: Dokfest München
422 | 10. Mai 2018 Dok-Kongress | 18 Filmförderung – auf dem Podium: Christine Berg, Thomas Frickel und Lisa Giehl (von links). recht. Doch die Leitlinien förderten weiterhin Film »an mindestens sieben aufeinanderfolgen- die Vielfalt, sie intensivierten das sogar noch, er- den Tagen […] in einem Kino mit regelmäßigem klärte Berg. Auch die Förderlandschaft habe sich Spielbetrieb im Inland gegen ein marktübliches entwickelt: Neben der FFA gebe es große regio- Entgelt vorgeführt wurde.« Dass aber gehe heute nale Fördereinrichtungen, dazu den Deutschen kaum mehr, meinte Frickel. Der Dokumentar- Filmförderfonds (DFFF) und die Töpfe der Kul- film sei im Kino eine bedrohte Art. turstaatsministerin (BKM). »Wir haben uns erst- »Wir sollten aufhören, nur an Stellschrauben mal positioniert und schauen hin, was das be- zu drehen«, entgegnete Berg und drehte erstmal deutet. Wir müssen über Qualität reden. Die selber an einer: Sie halte auch nichts von Sperr- Reichweite ist ein Kriterium.« fristen für Dokumentarfilme. Es gebe auch im Und dann spielte sie den Ball zurück: »Wir er- Kino erfolgreiche Beispiele. Das eigentliche Pro- halten keine Anträge für neue Wege [der Distri- blem sei aber, dass der Dokumentarfilm keinen bution] – wir würden darauf eingehen.« Platz mehr im Fernsehen habe. Er brauche neue Doch was ist mit den Filmen, die die Hürden Plattformen wie Streaming oder Festivals. der FFA nicht nehmen können, fragte Frickel Filme sollten dort sichtbar gemacht werden, nach. Giehl antwortete mit einer Gegenfrage: wo sie hingehören, nämlich im Kino, hielt Frickel Muss jeder Dokumentarfilm unbedingt ins Kino? dagegen. Der Dokumentarfilm brauche eine Frickel appellierte an Kultur und Vielfalt, die besondere Förderung. Die sei zumindest beim doch besondere Unterstützung bräuchten. Auch FFF Bayern gegeben, erwiderte Giehl und führte in der Neufassung von 2017 schreibt das Filmför- dazu den hohen Anteil unter den Förderprojek- derungsgesetz als eine Bedingung vor, dass ein ten an. Foto: Dokfest München
422 | 10. Mai 2018 Dok-Kongress | 19 Wie gut die Produktionsförderung laufe, zeige Berg, sondern auch bei den Dokumentarfilmern: ja schon die Zahl der Filme, die produziert wer- »Wir vergeben pro Jahr 12 Millionen Euro für die den, stimmte Frickel zu. »Aber wie bringen wir Auswertung. Wenn Sie sehen, was wir da für Kon- das zum Publikum?« Da solle man nicht nur die zepte vorgelegt bekommen …« Steine bei den Förderern umdrehen, entgegnete Wenn nicht Kino, dann vielleicht ein anderer al- Der BR habe sich schon immer stark für den ter Weg: »Braucht der Dokumentarfilm das Fern- Dokumentarfilm engagiert, sagte Felber. Aber sehen?« fragte Arne Birkenstock drei Redakteu- die Etats seien nicht gestiegen, ebensowenig die re: Carlos Gerstenhauer und Petra Felber vom Sendeplätze. Warum aber gebe es keinen Prime- Bayerischen Rundfunk (BR) und Andreas Weinek time-Sendeplatz für Dokumentarfilme, fragte vom History Channel. Letzterer dämpfte gleich Birkenstock. Diente das nicht auch dem Image keimende Erwartungen: Die Schnittmenge sei- der Sender zu zeigen: Dokus können nur wir! nes Senders zum Kino sei gering, man setze we- »Ich halte 22:45 Uhr für einen guten Platz«, gen der Markenpflege auf Eigenproduktionen, erwiderte Gerstenhauer. Filmklassiker liefen und die kämen vor allem aus den USA. Interes- etwa um die selbe Zeit. Es gehe auch nicht nur sierten Filmemachern empfahl er (und da ließ ums Geld, sondern ebenso die Qualität: Das sich einschlägige Erfahrung vermuten) erstmal Wesen des cineastischen Dokumentarfilms müs- genau die Profilbeschreibung seines Senders zu se wieder spürbar sein. Gerade auch im Fernse- lesen. hen. Fernsehen – auf dem Podium: Carlos Gerstenhauer, Petra Felber, Arne Birkenstock und Andreas Weinek (von links). Foto: Dokfest München
422 | 10. Mai 2018 Dok-Kongress | 20 Doch die Frage nach dem besten Sendeplatz zent Eigenproduktionen und können darauf rea- dürfte sich ohnehin bald erübrigen, räumte Bir- gieren.« kenstock indirekt ein: Kaum jemand schaue »Aus diesem Grund haben wir die Mediathe- noch linear. Ja, stimmte Weinek zu: »Das lineare ken«, nickte Felber für den öffentlich-rechtlichen Fernsehen ist tot. Doch wir haben etwa 90 Pro- Rundfunk. »Was gibt der Dokumentarfilm der Demokratie?« die Zahlen: Die Mediennachrichten würden an- Die Antwort kannten wohl viele schon oder hiel- deres sagen. Er stehe hinter dem öffentlich-recht- ten die Frage nur für rhetorisch, denn plötzlich lichen Rundfunk, weil der einen ganz anderen leerte sich der Saal. Dabei ist die Frage aktueller Auftrag als andere Medien habe, »den wir brau- denn je: Ist unser öffentlich-rechtliches System chen.« Es gelte, neue Mittel zu erschließen. bereit, gegen Fake News anzugehen? fragte Mode- Über Geld wollte Langer aber nicht reden: rator Jörg Langer die Politiker Isabell Zacharias Etwa 9,1 Milliarden Euro beträgt das jährliche Ge- (SPD) und Otmar Bernhard (CSU). samtbudget der öffentlich-rechtlichen Anstalten. Streckenweise ließ die Diskussion die nahende »So viel hat kein anderer öffentlich-rechtlicher Landtagswahl spüren, was besonders die Opposi- Rundfunk auf der Welt. Da sollte doch etwas mög- tionspolitikerin beförderte. Ihr Gegenüber ruhte lich sein.« Und zückte ein paar selbsterhobene derweil in der Gelassenheit seiner Partei, die seit Zahlen zum gelebten Bildungsauftrag: In einer mehr als einem halben Jahrhundert (mit fünfjäh- Woche im Januar dieses Jahres hatte Das Erste 22 riger Unterbrechung) alleine regiert. Doch Zacha- Stunden Sport ausgestrahlt, 21,5 Stunden Soaps, rias führte einige Beispiele an, weshalb sie den BR 14 Stunden Krim, aber nur 7 Stunden Dokumen- nicht für staatsfern hält. Was das Programm an- tationen. Das ZDF kam in der selben Zeit auf 45 geht, wünsche sie sich auch »manchmal weniger Stunden Krimi und 8,5 Stunden Dokumentatio- Kochen, Fußball oder Tatort-Wiederholungen.« nen. Dokumentarfilme kamen bei beiden Sen- Da stimmte auch Bernhard zu: Das sei nicht dern nicht vor. der öffentlich-rechtliche Auftrag. Wie’s anders Das Dokumentarische bräuchte einen anderen geht, machte er an überraschender Stelle aus: Stellenwert im Programm, sagte Bernhard. »Wer »Die Privaten senden rund um die Uhr Dokus. Die guckt sich nach zehn noch sowas an?« Anderer- Öffentlich-Rechtlichen sagen, das geht erst ab seits könnten es die Öffentlich-Rechtlichen auch zehn. Das soll mir mal jemand erklären, wo es nie allen recht machen. doch offenbar andere Geschäftsmodelle gibt.« Dann sollte man ins Land gehen und die Men- Ansonsten findet der Rundfunkrat des BR das schen fragen, was sie von ihrem Geld sehen wol- Meiste in Ordnung. Die veröffentlichte Meinung len, schlug Zacharias vor. Das würde auch fürs öf- habe sich zwar von dem entfernt, was die Masse fentlich-rechtliche Fernsehen werben. Auch da denkt, aber das Niveau der Medien ist hoch. stimmte Bernhard zu: Das wäre auch eine Chance »Junge Leute hören kein Radio und sehen kein gegen das allgegenwärtige Denken, wenn statt Fernsehen, weil es sie nicht anspricht«, entgegne- Quoten einfach nur Qualität erwartet werde. Die te Zacharias: »Für die ist Fernsehen Vintage, die Idee stamme allerdings vom WDR-Intendanten finden das Angebot langweilig.« Bernhard bestritt Tom Buhrow.
422 | 10. Mai 2018 Dok-Kongress | 21 Jetzt werden auch beim Dokumentarfilm die Arbeitsbedingungen beurteilt. Erster Preisträger des »Fair Film Awards Non- Fiction« ist die Kölner Florianfilm, für die Oliver Bätz (Mitte) die Auszeichnung entgegennahm. Die Produzentin Nicole Leykauf hielt die Laudation, um die beiden gruppieren sich Vincent Lutz und Christian Dosch von Crew United (links), und Festivalleiter Daniel Sponsel (rechts), der sich für den neuen Preis beim Dokfest stark gemacht hatte. Im Anschluss an den Kongress und als sein Ab- Die Laudatio hielt die Produzentin Nicole Ley- schluss wurden zwei neue Preise verliehen, die kauf, die sichtlich beeindruckt war von dem zum Thema passen. Für die Verwertungsgesell- Rückhalt aus der Branche, der sich in vielen Logos schaft der Film- und Fernsehproduzenten ver- zeigte: »So viele Menschen wollen, dass fair pro- gab deren Geschäftsführer Johannes Kreile den duziert wird. Also sollten wir es öfter tun.« Über- »VFF Dokumentarfilm-Produktionspreis«, der rascht sei sie aber auch gewesen, dass der Preis mit 7.500 Euro dotiert ist und den Einsatz eben nicht dotiert ist – »die Produzenten bekommen dieser Berufsgruppe würdigt. Erste Preisträgerin nur die Ehre.« wurde Birgit Schulz von der Kölner Produktions- Wahrscheinlich müssen Produzenten beson- firma Bildersturm für ihre Leistung bei Grenzen- ders aufs Geld achten, so dass sie auch einem ge- los – Geschichten von Freiheit & Freundschaft. schenkten Gaul noch tief ins Maul schauen. Dar- Die Produktions- und Arbeitsbedingungen um zur Erinnerung: Wie sein Vorbild ist auch der bei der Herstellung von Dokumentarfilmen wür- »Fair Film Award Non-Fiction« ein Preis, den es digt der »Fair Film Award Non-Fiction«, der in gar nicht geben sollte. Wenn einer den anderen Kooperation mit Crew United und mit Unter- vorführt, was nur selbstverständlich sein sollte, ist stützung zahlreicher Branchenverbände verge- das ein Lob wert, doch mehr wäre übertrieben. Es ben wird. Vorbild ist der »Fair Film Award Ficti- bekommt auch kein Grundschüler ein Fleißkärt- on«, den die Bundesvereinigung Die Filmschaf- chen, bloß weil er seine Hausaufgaben gemacht fenden mit Unterstützung von Crew United hat. schon seit mehreren Jahren während der Berli- So sah das wohl auch Oliver Bätz, der den Preis nale verleiht. Die Wahl treffen die beteiligten auch im Namen seiner Kollegen Marianne und Filmschaffenden selbst, die Kriterien wurden André Schäfer von der Kölner Florianfilm entge- den besonderen Produktionsbedingungen ange- gennahm und das Geheimnis des Erfolgs mit dem passt: Beurteilt werden hier nicht einzelne Pro- »Grundgefüge« in ihrer gemeinsamen Firma er- jekte, sondern die gesamten Produktionen einer klärte, wo man auch als Produzent mal über- Firma in den vergangenen zwei Jahren. stimmt werden könne: »Fair ist nicht nur Geld.« c Foto: Dokfest München
422 | 10. Mai 2018 Deutscher Filmpreis | 22 Gelassen im Glamour. Edin Hasanovic moderierte die Lola-Gala mit seiner »Chefin«, der Filmakademie-Präsidentin Iris Berben. Foto: Deutsche Filmakademie, Agentur Eventpress
422 | 10. Mai 2018 Deutscher Filmpreis | 23 Ohne Diskussion In Berlin wurden Ende April die »Deutschen Filmpreise« verliehen. Eine fröhliche Familienfeier für die Branche, ernste Themen hatten da keinen Platz. Text Jan Fedesz Wie war’s denn nun, vorletztes Wochenende in ben. Das lag gewiss auch an der Regie von Sherry Berlin bei der Verleihung des »Deutschen Film- Hormann und den vier Autoren, die bei den Mo- preises«? »Filmreife Ratlosigkeit« sah Spiegel On- derationstexten halfen; darunter Ralf Husmann, line. »Was für eine Nacht«, schwärmte der Stern, der uns schon Stromberg und Dr. Psycho beschert und titelte begeistert, »wie Edin Hasanovic die hatte. Lola rockte.« Vor allem aber lag es an den Filmschaffenden Ja, hat er, auch wenn das mit dem »rocken« selbst. Hasanovic führte mit einer quirligen Be- vielleicht ein bisschen stark ist. Sagen wir, er geisterung durch die Gala, die auch die Laudato- machte seine Sache hervorragend. Als Schauspie- ren und Preisträger zeigten. Der Deutsche Film ler braucht er sich nicht mehr zu erklären, die Ver- wollte sich selber feiern, und eben dafür sind leihung von Deutschlands renommiertestem solche Veranstaltungen auch gedacht: Als Famili- Filmpreis moderierte er zum ersten Mal. »Entwe- enfest, auf dem man sich lobt und freut und die der hab ich’s total verbockt, oder es kommt zum Sorgen der Welt mal für einen Abend vergisst. Eklat vor laufender Kamera«, erklärte er gleich Und damit könnten wir es gut sein lassen und zum Anfang. Die Sorge war unbegründet. den Gewinnern und Nominierten gratulieren. Das Problem bei solchen Veranstaltungen ist Die Liste mit den Preisträgern steht am Ende des ja, dass sich draußen vor der Tür nicht wirklich Artikels. viele dafür interessieren, wer von den Nominier- ten nun einen Preis gewonnen hat oder wer über- Andererseits: Wenn man schon all den Freunden haupt nominiert ist, außer den Nominierten und Familien dankt für die Unterstützung in har- selbst. Und dass sie wenig Spielraum lassen, ir- ten Zeiten, dann wäre dies doch der Ort, auch gendetwas groß anders zu machen. Preis-Galas das mal öffentlich anzusprechen. Wo doch schon arbeiten ihre Liste nach dem immer gleichen Mu- die Kulturstaatsministerin leibhaftig auf der ster ab: Ankündigung der Kategorie, Laudatio, Bühne steht und der eine oder andere Förderer Preisverleihung, Dankesrede, der nächste, bitte … und Politiker im Saal sitzt. Die Arbeitsbedingun- Das sieht in Paris ähnlich aus wie in Hollywood gen in der Branche zum Beispiel, die schwachen oder Stockholm. Strukturen, die Abhängigkeiten vom Fernsehen In Berlin konnten die versammelten Film- … Und warum, verdammt noch mal, die FFA seit schaffenden dem trotzdem eine eigene Note ge- mehr als einem Jahr als Aufgabe hat, sich um ihre
422 | 10. Mai 2018 Beschäftigten zu kümmern, aber sich bis heute einen feuchten Dreck darum schert. Aber bei den Fördermeldungen vorzählen, wie viele Drehbücher von Frauen sie unterstützt hat, das kann sie. Das kann man jetzt leicht falsch verstehen, ist aber nicht so gemeint. Vor den kreativen Kolle- gen für Selbstverständlichkeiten einzustehen, ist wohlfeil. Frauen stehen die selben Rechte und Möglichkeiten wie Männern, auch Flüchtlinge können es schaffen, wenn man sie nur lässt – wer wollte da (zumindest öffentlich) widersprechen? Dass es im Alltag auch am Filmset noch ganz an- ders zugeht, ist ein anderes Thema. Oder ob die paritätisch beteiligten Filmemacherinnen von ihren Aufträgen, die sie plötzlich erhalten, auch tatsächlich leben können … Aber das wurde eben nicht gesagt. Solange wir nur Quoten zählen und darüber reden, womit Aufnahme- der Dieter wedelt, haben wir auch keine Zeit, uns bedingungen um all das andere zu kümmern. Zum Beispiel eben, unter welchen Bedingungen die hohe vereinfacht Filmkunst entsteht, die hier geehrt wird. Da reicht schon ein schneller Blick auf die Nominie- rungsliste für den besten Film: Sechs Titel stan- den in der Endauswahl, vier davon waren von Ein wertvoller Beitrag den Mitarbeitern selbst für den »Fair Film Award« der Bundesvereinigung Die Filmschaf- zu Ihrer Altersversorgung: fenden benotet worden. Nur einer kam auf eine gute Note: Fatih Akins Aus dem Nichts, mit der Bis zu 50 % gibt ’s von »Lola« in Silber ausgezeichnet, hatte eine »1 bis Ihrem Auftraggeber dazu. 2« erhalten. Der nächste hatte schon nur noch eine schlechte »2 minus«: Emily Atefs 3 Tage in Quiberon. Die anderen beiden wurden als mehr oder weniger »befriedigend« beurteilt. Es wäre schön, wenn die Kulturstaatsministerin Die Altersversorgung für Freie auf ihrer Veranstaltung den versammelten Film- schaffenden dazu auch etwas zu sagen hätte. Oder die Präsidentin der Filmakademie, die ja www.pkr.de Foto: Deutsche Filmakademie, Agentur Eventpress
422 | 10. Mai 2018 Deutscher Filmpreis | 25 nach eigenem Verständnis die Filmschaffenden Lolas 2018 im Lande repräsentiert und selbst sagte, sie Spielfilm – Gold: 3 Tage in Quiberon von Karsten könnte eigentlich die gleiche Rede halten wie in Stöter (Produktion) und Emily Atef (Regie) Silber: den Vorjahren, mit den »identischen Fazits« und Aus dem Nichts von Nurhan Sekerci-Porst, Her- »identischen Forderungen«. Oder vielleicht man Weigel (Produktion) und Fatih Akin (Produk- eine/r der vielen Regisseur/innen, die ja (sagt ihr tion und Regie) Bronze: Western von Jonas Dorn- Berufsverband) eine »Fürsorgepflicht« für ihre bach, Janine Jackowski, Maren Ade (Produktion), Mitarbeiter haben. Taten sie aber nicht. Und was Valeska Grisebach (Produktion und Regie) Berben und Grütters doch sagen wollten, wurde Dokumentarfilm: Beuys von Thomas Kufus (Pro- aus der Aufzeichnung herausgeschnitten. duktion) und Andres Veiel (Regie) Indirekt wies auch der Preisträger-Film auf die Kinderfilm: Amelie rennt von Philipp Budweg, Krise hin, in der der deutsche Film schon seit Thomas Blieninger, Martin Rattini (Produktion) Jahrzehnten steckt. 1981 gab Romy Schneider in und Tobias Wiemann (Regie) dem französischen Kurort einem Stern-Reporter Regie: Emily Atef für 3 Tage in Quiberon ein langes Interview. 3 Tage in Quiberon ist die Drehbuch: Fatih Akin und Hark Bohm für Aus kunstvolle Verdichtung dieser wahren Begeben- dem Nichts heit, zehnfach nominiert und mit sieben »Lola« Bildgestaltung/Kamera: Thomas W. Kiennast für ausgezeichnet, darunter die für den besten Film. 3 Tage in Quiberon Die Branche bespiegelt sich selbst – so etwas Szenenbild: Erwin Prib für Manifesto funktioniert bei den »Oscar«-Verleihungen fast Kostüm: Bina Daigeler für Manifesto immer. Schön, dass auch Deutschland so etwas Maske: Morag Ross, Massimo Gattabrusi für Ma- in seinem Fundus findet. Mit einem Unter- nifesto schied: Man muss es sich »ausleihen«. Romy Montage: Stephan Krumbiegel, Olaf Voigtländer Schneider war eine »Abtrünnige«, die aus für Beuys Deutschland floh, um endlich mal andere Filme Musik: Christoph M. Kaiser, Julian Maas für 3 zu drehen. Tage in Quiberon 60 Jahre später sitzt Diane Kruger im Saal, die Tongestaltung: André Bendocchi Alves, Eric De- nun für ihren ersten deutschen Film nominiert vulder, Martin Steyer für Der Hauptmann ist (die Koproduktion Unknown Identity lassen Hauptdarstellerin: Marie Bäumer in 3 Tage in wir mal unbeachtet). In Frankreich und Amerika Quiberon Nebendarstellerin: Birgit Minichmayr ist sie schon lange gut im Geschäft. in 3 Tage in Quiberon Hauptdarsteller: Franz Rogowski in In den Gän- Man schließlich könnte man auch kurz grübeln, gen Nebendarsteller: Robert Gwisdek in 3 Tage in ob die Branche schon so verzweifelt ist, dass sie Quiberon eine eigene »Lola« für den besucherstärksten Besucherstärkster Film: Fack ju Göhte 3 von Film vergibt. Lena Schömann (Produktion) und Bora Dagtekin Damit soll’s aber genug sein mit der Mäkelei. (Produktion und Regie) Schön war’s, wir freuen uns mit den Preisträgern Ehrenpreis: Hark Bohm (Regisseur, Schauspieler und beherzigen den Abschiedssgruß und wer- und Drehbuchautor) den ins Kino gehen. Die Preisträger: www.deutscher-filmpreis.de
422 | 10. Mai 2018 Fragebogen | 26 Was treibt die nächste Generation? Die Umfrage von HFF München und cinearte auf dem Internationalen Festival der Filmhochschulen München. Miriam Goeze Spielfilmregie. Hochschule für Fernsehen und Film München So habe ich mich ins Kino verliebt: Als ich als Kind Jenseits der Stille sah und zu Trä- nen gerührt war, ohne dass ich verstand, warum und wieso es mich persönlich so ansprach. Spä- ter verstand ich es. Für mich persönlich können Filme im Kino in einem kleinen Moment Wahr- heiten zeigen, und man fühlt sich als Zuschaue- rin wahr- und ernstgenommen. Mein Traumprojekt in drei Sätzen: Ein Zeitgeist-Projekt, welches Leben rettet, Menschen berührt und zu Tränen und Verände- rung anregt. Ein phänomenal-geiles Team mit einer intensivst-phänomenalen Zeit. Ich will den Film danach immer noch sehen wollen. :) Ein Monat, eine einsame Insel und nur ein Video*. Welches? Central Station (Central do Brasil) von Walter Salles. * Stromanschluß vorhanden Fragebogen und Fotos: Sophie Averkamp, Tim Dünschede, Gudrun Gruber und Ozan Mermer
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