Oskar Schlemmers Bühne im Bauhaus - und ihr Bezug zur Weimarer Republik
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Universität Potsdam Philosophische Fakultät Institut für Künste und Medien Seminar „Medienkultur in der Weimarer Republik“ Susanne Müller Wintersemester 2007/2008 Hausarbeit Oskar Schlemmers Bühne im Bauhaus und ihr Bezug zur Weimarer Republik Hoell, Kristin Europäische Medienwissenschaft BA, 1. Fachsemester Tegeler Straße 6 13353 Berlin 0179/7304116 KristinHoell@gmx.de 10.04.2008
Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 1 2. Das Theater der Republik 2 3. Die Bauhausbühne 6 3.1. Die Gründung der Bühnenwerkstatt 8 3.2. Oskar Schlemmers Bauhausbühne 10 3.2.1. Zwei Seelen in einer Brust 10 3.2.2. Das Triadische Ballett 12 3.2.3. Der Mensch im Blickfeld 14 3.2.4. Oskar Schlemmer und die Bauhausbühne 16 3.3. Das Ende der Bauhausbühne 20 4. Fazit 22 Literaturverzeichnis I Anhang Abbildungsverzeichnis III Eidesstattliche Erklärung V
„Zweifellos ist unsere Zeit, die gegenwärtige, dem Experimentellen abhold. Dennoch darf es nicht verkannt werden. Denn was ist dieses Experimentelle anderes als der jeweils nächste Schritt in die Zukunft?“ Oskar Schlemmer, 1931 1. Einleitung Oskar Schlemmer leitete von 1923 bis 1929 in den gemeinhin als „Goldene Zwanziger“ bekannten 1920er Jahren der Weimarer Republik die Bühne am Bauhaus in Weimar und Dessau. Diese Hausarbeit soll einen Überblick über Schlemmers Arbeit als Leiter der Bauhausbühne geben. Ziel ist es dabei, herauszufinden, inwieweit sich Schlemmers Art, mit dem Medium Theater umzugehen, in den zeitlichen Kontext der Weimarer Republik eingliedert. Bevor das Geschehen auf der Bauhausbühne betrachtet wird, gilt es verschiedene Punkte zu untersuchen, die für eine spätere Einordnung von Schlemmers Bauhaus- bühnenarbeit von Bedeutung sind: Dazu zählt neben einer Bestandsaufnahme des Bühnengeschehens in der Zeit der Weimarer Republik auch die Darlegung wichtiger Eckpunkte der Bauhausgeschichte. Zum Verständnis von Schlemmers Werk sollte zu- dem seine Biografie in Grundzügen – insbesondere denen, die das theatralische Schaf- fen Schlemmers betreffen – umrissen werden. Da das „Triadische Ballett“ eine wichtige Vorarbeit und spätere Grundlage für Schlemmers Bauhausbühnenarbeit darstellt, wird es vorgestellt, ehe die Entwicklung der Bauhausbühne und Schlemmers Verdienst um die Bühne erforscht wird. Zudem wird es vor dem Hintergrund der vielen technischen Neuentwicklungen auch darum gehen, Schlemmers Bild vom Menschen zu analysie- ren. Mit diesem Aspekt wird sich ein eigener Abschnitt befassen, er wird auch heran- gezogen werden müssen, um Schlemmers Werk verständlich zu machen. Als Material werden neben Dirk Schepers umfangreicher Publikation „Oskar Schlem- mer – Das Triadische Ballett und die Bauhausbühne“ insbesondere Schlemmers eigene Aufzeichnungen – seine Briefe und Tagebücher sowie sein Aufsatz „Mensch und Kunstfigur“ – dienen. Da vieles, was Oskar Schlemmer erarbeitet hat, nur schwer bild- lich vorstellbar ist, sollen ausgewählte Abbildungen einen Eindruck von seinem Schaf- fen vermitteln. Mit den Theatern der Weimarer Republik haben sich Günther Rühle und Walter Laqueur ausführlich beschäftigt. Ihre Darstellungen werden genutzt, um eine Übersicht der „Theater der Republik“ auszuarbeiten. 1
2. Das Theater der Republik „Von allen Musen lag Thalia dem Herzen Weimars am nächsten; das Theater brachte den Zeitgeist am getreuesten zum Ausdruck, die Bühne wurde nahezu zu einer natio- nalen Institution“ 1, schreibt Walter Laqueur in „Revolution auf der Bühne“ und bringt zum Ausdruck, welche Wirkungskraft das Theater zu Zeiten der Weimarer Republik hatte. Indem es gegen alte Herrschaftsstrukturen angehe, trete das Theater in den Dienst der Demokratie, interpretiert Günther Rühle in „Theater für die Republik“.2 Das intime Hoftheater, das vor dem Ersten Weltkrieg dominierte, weicht nach Kriegsende einem Theater für Massen. Die Menschen strömen ins Theater und diskutieren die Stü- cke, „als seien sie Ereignisse von größter politischer oder gesellschaftlicher Bedeu- tung“ 3, führt Laqueur aus. Auch in den Zeitungen ist das Geschehen auf der Bühne allgegenwärtig. Davon zeugen die zahlreichen Theaterkritiken.4 Das, was auf den Bühnen geboten wird, ist abwechslungsreich und äußerst di- vergent. Es kommt zu rasanten Entwicklungen im Theatergeschehen. Zeitweilig laufen verschiedene Strömungen nebenher. Neues wird gewagt. Dabei spielt es kaum eine Rolle, ob man das Theater in der Provinz oder in Berlin, das zur „Weltmetropole des Theaters“ 5 avanciert, betrachtet wird. Das Zentrum der Szene liegt somit in Berlin, was im Zusammenhang mit der Zentrierung der Staatsgewalt auf Berlin gesehen werden muss. 6 Die Namen der großen Regisseure des Berliner Bühnenlebens sind bis heute präsent: Max Reinhardt, Leopold Jessner, Erwin Piscator und Bertolt Brecht. Der letzte große Bühnenerfolg der Weimarer Republik wird der „Hauptmann von Köpenick“ von Carl Zuckmayer sein. Das Stück wird 1931 uraufgeführt. Rühle in- terpretiert es als „die große deutsche Zeitkomödie des Jahrzehnts“ 7. Nach diesem Er- folgsstück war die überragende Zeit des republikanischen Theaters vorbei. Vollends 1 Laqueur 1976, 174 2 Rühle 1967, S. 12 3 Laqueur 1976, 174 4 Günther Rühle hat in seinem knapp 1200 Seiten starken Werk „Theater für die Republik“ Aus- züge aus Kritiken über die rund 150 Inszenierungen zur Zeit der Weimarer Republik zusam- mengetragen, die ein lebhaftes Bild der unruhigen Theaterszene vor Augen führen. 5 Laqueur 1976, 175 6 Vgl. Rühle 1967, 18 7 Ebd., 36 2
endete seine Ära 1932 mit der Uraufführung von Gerhart Hauptmanns „Vor Sonnen- untergang“ und der Aufführung von „Faust II“ im Berliner Staatstheater. 8 Nach dem Ersten Weltkrieg bestimmen expressionistische Stücke die Bühnen der Republik. Es sind Werke über den Vater-Sohn-Konflikt, in die das Publikum strömt. Der Konflikt steht metaphorisch für das alte Gesellschaftsmodell mit einem Kaiser als Landesvater an der Spitze. Diese Stücke zeugen laut Laqueur vom „verzwei- felten Ansturm gegen die alte Welt und ihre politischen, sozialen und künstlerischen Konventionen“ 9. Ebenso wie die geschlossene bürgerliche Gesellschaft nach 1918 zer- fiel, löst sich auch die geschlossene dramatische Form auf. Der Expressionismus be- dient sich stattdessen einer „Vielzahl szenischer Strukturen“10. Das Publikum setzt sei- ne Hoffnung in die expressionistischen Stücke, weil sie „einen Weg aus dem Chaos in eine bessere Welt zeigen würden“ 11. Das vermögen die Stücke jedoch nicht. Hinzu kommt die verschärfte soziale Situation, in der sich das Theaterpublikum befindet. In den Inflationsjahren 1922/1923 verarmt das größte Stammpublikum, die bürgerliche Mittelklasse. 12 Zudem vernachlässigen die expressionistischen Autoren eine bedeuten- de Kraft in der Weimarer Republik, die Arbeiterschaft.13 Zwar bilden sich bereits wäh- rend der Zeit des Expressionismus erste proletarische Theater, jedoch sind sie bis zum Abklang des Expressionismus um 1923 bedeutungslos. So schnell der Expressionismus erlischt, so viel hat er für das neue Theater, das nach ihm kommen wird, getan.: „Zu- sammenhang mit der Zeit: das ist das große Experiment, das der Expressionismus ein- geleitet hat“, erklärt Rühle14 . Die Epoche der „Neuen Sachlichkeit“ beginnt. Die Wirklichkeit soll gezeigt werden, objektiv und präzise. Die Industrialisie- rung, die mit Rationalisierung und Mechanisierung einhergeht, findet ihren Widerhall auch auf den Bühnen.15 Die Nachfolger des Expressionismus finden sich nicht länger mit der Realität ab. Regisseure wie Erwin Piscator und Bertold Brecht wollen die Ge- sellschaft und damit auch die sozialen Verhältnisse verändern. Insbesondere Piscator ist für sein politisches Theater bekannt geworden. Allerdings schränkt Laqueur ein, 8 Vgl. Laqueur 1976, 176; Rühle 1967, 36 9 Laqueur 1976, 181 10 Rühle 1967, 15 11 Laqueur 1976, 181 12 Vgl. Schürer 1974, 49 13 Vgl. Rühle 1967, 14 14 Ebd., 18 15 Vgl. Schürer 1974, 51 3
dass „das politische Theater [...] wenig politische Wirkung“ hatte. Den Grund hierfür sieht er darin, dass die Zielgruppe von Piscator, das Proletariat, nicht in sein Theater ging. Im Gegensatz zu Piscator sei Brecht nicht „an Politik an sich“ interessiert gewe- sen, erklärt Laqueur, sondern „an den unbegrenzten, spannenden, dramatischen Mög- lichkeiten [...], die Politik in sich schließt“16. Bis heute ist Brecht weltweit für sein „epi- sches Theater“ bekannt, das den Menschen in seiner Abhängigkeit von der Gesellschaft statt in seiner Individualität zeigen sollte.17 Brecht und Piscator werden auch dem so- genannten Zeittheater zugeordnet, das ab Mitte der 20er Jahre im Theater vorherrscht. Dem Zeittheater geht es um Zeitbewusstsein und – besonders im Fall der beiden ge- nannten – um Gerechtigkeit. 18 Ebenfalls in den 20er Jahren hatte die Komödiendichtung Hochkonjunktur. Das konventionelle Lustspiel zog die Zuschauer an, ebenso wie die moderne, satirische Komödie. 19 Auch Revue und Kabarett gehören zum Bild dieser Zeit. Wenig davon ist jedoch in der heutigen Betrachtung des Theaters der Weimarer Republik geblieben. Ei- nige herausragende Komödien, die auf dem schmalen Grad zwischen Komik und Tra- gik balancieren, wie beispielsweise der „Hauptmann von Köpenick“ finden auch heute noch ihren Widerhall. Vieles aus der komödiantischen Sparte jedoch wird außer acht gelassen. „Sie [die Komödie...K.H.] ist die Form, in der man sich abfindet mit der Reali- tät“, schreibt Rühle20, das heißt, sie spiegelt zwar durchaus die Realität wieder – ganz im Sinne der „Neuen Sachlichkeit“. Sie will jedoch nicht verändern, was insbesondere für das konventionelle Lustspiel gilt. Die satirische Komödie steht dem kritischen Kunsttheater noch am nächsten und wird dementsprechend im Rückblick auch mehr beachtet. Viele Werke Brechts fallen in diese Kategorie. Allerdings erscheinen sie häufig grotesk, wie viele Stücke, die eigentlich satirisch-komödiantisch sein wollten.21 Auch hier kann als Grund die Technisierung angeführt werden. Die grotesken Züge sind nach Ansicht Ernst Schürers „künstlerischer Ausdruck der Desorientierung, Ratlosig- 16 Laqueur 1976, 189 17 Ebd., 189; Rühle definiert das epische Theater folgendermaßen: „Das dramatische Drama hat- te die Verhältnisse nur zum Anlass für die psychischen Konflikte der dramatischen Figuren ge- nommen. [...] Die sozialen Verhältnisse selbst waren konstant. Das epische Drama breitet nun diese Verhältnisse aus und führt den Menschen vor in seiner Abhängigkeit, aber auch in seiner Freiheit, auf sie zu antworten und sie zu verändern.“ (Rühle 1967, 28) 18 Rühle 1967, 30 19 Schürer 1974, 73 20 Rühle 1967, 32 21 Vgl. Schürer 1974, 59 ff. 4
keit und Entfremdung des modernen Menschen“ 22. Der Zuschauer wisse bei der Mi- schung aus Groteske, die auch eine komische Komponente enthalte, und Satirischem nicht, „ob er weinen oder lachen soll“ 23. Die neuen Formen des Theaters stellen auch veränderte Ansprüche an die Schauspieler. Dabei zeigt sich besonders in Russland ein enger Zusammenhang zur Industrialisierung. Vsevolod Meyerhold entwickelt seine sogenannte Biomechanik für Schauspieler auf Grundlage des Taylorismus.24 Er ist der Ansicht, dass „die Methode der Taylorisierung auf die Arbeit des Schauspielers genauso anwendbar [ist...K.H.] wie auf jede andere Arbeit, bei der man die maximale Produktivität zu erreichen trach- tet“25. Der Schauspieler hat demnach die Aufgabe, seinen Körper so zu trainieren, dass er jede geforderte Bewegung ausführen kann. Der Körper wird zur „Arbeitsmaschi- ne“ 26. Erstmals wird die Biomechanik 1922 in einer Aufführung angewendet. Allerdings, so kritisiert László Moholy-Nagy, der 1924 am Bauhaus sein „Thea- ter der Totalität“ projektiert, sei die „mechanische Exzentrik“ unzulänglich, weil der menschliche Körper allein das Mittel der Gestaltung ist.27 Moholy-Nagy geht in seiner Vorstellung noch einen Schritt weiter als Meyerhold: Er sieht im künftigen Theater das „Theater der Totalität“. In diesem soll der Mensch – wenn er nicht von mechanisch-dy- namischen Einrichtungen ersetzt wird – vielmehr als Kunstfigur denn als lebendiges Wesen auftreten. Den Grund dafür sieht Moholy-Nagy darin, dass „in unserer Zeit viel fähigere Apparate konstruiert werden können, welche die nur mechanische Rolle des Menschen vollkommener ausführen können, als der Mensch selbst“ 28. Präzise be- schreibt Moholy-Nagy in seiner Schrift „Theater, Zirkus, Varieté“ die Mittel, die ver- wendet werden sollen, um das „Theater der Totalität“ zu schaffen und verdeutlicht damit auch, wie wichtig die neu aufkommenden technischen Entwicklungen für die Menschen der Weimarer Republik sind: 22 Schürer 1974, 59 23 Ebd., 60 24 Der Taylorismus war von dem Ingenieur Frederick Taylor entwickelt worden und stellte ein „System der wissenschaftlichen Arbeitsorganisation dar“, bei dem die Arbeitseffizienz auf Grund einer exakten Berechnung von Arbeitszeit und Erholungspause größtmöglich gesteigert werden sollte. (Vgl. Fischer-Lichte 1989, 474) 25 Vsevolod Meyerhold zit. nach Fischer-Lichte 1989, 475 26 Ebd., 475 27 Lászlo Moholy-Nagy: „Theater, Zirkus, Varieté“. In: Die Bühne im Bauhaus 1965, 47 28 Ebd., 51 5
in diesem Fall angebracht, letzterer Einteilung zu folgen. Wulf Herzogenrath schlägt für die primär stilistische Darstellung eine Einteilung in fünf Phasen vor. Von der Gründung des Bauhauses 1919 von Walter Gropius bis 1922 sieht er „die expressionis- tische, individuelle, auf das Handwerk zielende (Itten, Schreyer u.a.)“ Phase. Ihr folgt von 1922 bis 1924 „die formale, die Grundformen und Grundfarben betonende (Einfluß Kandinsky, Theo van Doesburg u.a.)“ Phase. In den nachfolgenden vier Jahren sieht Herzogenrath „die funktionale, die erste Phase der Zusammenarbeit mit der Industrie (Moholy-Nagy)“. In diese Periode fällt auch der Umzug des Bauhauses nach Dessau in den Jahren 1925 und 1926. Grund dafür ist die drastische Kürzung der Mittel für das Bauhaus, nachdem Rechtsparteien bei der Landtagswahl gesiegt haben. 1928 tritt Gro- pius von seinem Direktorenamt zurück. Neuer Direktor des Bauhauses wird Hannes Meyer. 1928 beginnt nach Herzogenrath die „analytische, marxistische“ Phase. Sie währt bis 1930, als Ludwig Mies van der Rohe Meyer als Direktor des Bauhauses ab- löst. Diese bis zur Schließung des Bauhauses 1933 andauernde Phase wird als „materi- albewusste, ästhetische“ gesehen. 35 Im Herbst 1932 zieht das Bauhaus nach Berlin um, nachdem die NSDAP die Schule in Dessau geschlossen hat. Im Juli 1933 lösen die Bau- haus-Lehrkräfte die Schule auf. 3.1. Die Gründung der Bühnenwerkstatt Von Beginn an war die ganzheitliche Erziehung des Menschen Bestandteil des künstle- rischen Ausbildungsprogramms am Bauhaus. Dementsprechend gehört auch das The- ater an die Ausbildungsinstitution, wenngleich es anfangs noch keine reguläre Büh- nenwerkstatt gibt, diese wird erst 1921 gegründet. Bis dahin gibt es am Bauhaus im- provisierte Vorführungen auf Festen, schließlich ist in den 1919 formulierten Bauhaus- grundsätzen „die Pflege des freundschaftlichen Verkehrs zwischen Meistern und Stu- dierenden außerhalb der Arbeit; dabei Theater [...] Musik, Kostümfeste. Aufbau eines heiteren Zeremoniells bei diesen Zusammenkünften“ 36 festgelegt. Gropius sieht im „Bühnenwerk“ eine „orchestrale Einheit“, die „dem Werk der Baukunst innerlich ver- wandt“ ist. „Beide empfangen und geben einander wechselseitig“, erklärt er 1923.37 35 Herzogenrath zit. nach Wick 2000, 34 36 Zit. nach Krystof 1994, 192; vgl. ebd. 37 Walter Gropius zit. nach Scheper 1988, 250 8
Ende 1921 kommt dann Lothar Schreyer38 ans Bauhaus, dessen Bühnenauffas- sung im Zeichen des kultischen Expressionismus steht. Er wird Leiter der neu einge- richteten Bühnenwerkstatt. Walter Gropius arbeitet allerdings die theoretischen Grund- lagen für die Bühnenarbeit aus: Klare Neufassung des verzwickten Gesamtproblems der Bühne und ihrer Herleitung von dem Urgrund ihrer Entstehung bildet den Ausgangspunkt unserer Bühnenarbeit. Wir erforschen die einzelnen Probleme des Raumes, des Körpers, der Bewegung, der Form, des Lichtes, der Farbe und des Tones. Wir bilden die Bewegung des organischen und des mechanischen Körpers [...] und bauen den Bühnenraum und die Bühnenfiguren.39 Während Gropius demnach den Schwerpunkt auf die sachliche Erforschung der grundlegenden Bühnenmittel legt, will Schreyer eine „gleichsam kultische [...] Gemein- schaftshandlung“, bei der sich Akteure und Zuschauer vereinigen und die Bühne zu einem Ort der Reinigung, der Erlösung des Menschen wird.40 Schreyers kultischer Ex- pressionismus wird am Bauhaus immer mehr abgelehnt. Die Schule überwindet zu diesem Zeitpunkt nach Herzogenraths Einteilung die expressionistische Phase zuguns- ten der formalen, die Grundformen und Grundfarben betonenden Phase. Hans Haffen- richter, einer der Schüler Schreyers an der Bauhausbühne, erinnert sich daran, dass „im Bauhaus selbst [...] die Richtungswende von Expressionismus und Kubismus hin zu Konstruktivismus und Funktionalismus immer deutlicher spürbar [wurde...K.H], die Umstellung vom Handwerk auf Maschine und Industrie“ 41. Wie eingangs dargelegt, erfolgt diese Umstellung generell im Theater der Weimarer Republik. Bei einer Probeaufführung des „Mondspiels“42 im Februar 1923 kommt es zum Eklat. Nach der offenen Auseinandersetzung gibt Schreyer die Leitung der Bühne auf, im Herbst verlässt er das Bauhaus ganz. „Die Bauhausbühne, geleitet seither von Lo- thar Schreyer, hat mit einer Probeaufführung gänzlich versagt“, schreibt Oskar Schlemmer Ende März 1923 an seinen Freund Otto Meyer-Amden. Sie sei von „Meis- tern wie Schülern überwiegend abgelehnt“ worden. „Die Folge davon ist, dass sie nun zu mir gelaufen kommen als nächstem Anwärter und wie sie sagen, mehr als einmal 38 Lothar Schreyer entstammt dem Umfeld der expressionistischen Berliner Sturm-Gruppe um Herwarth Walden, wie viele Bauhaus-Lehrende. Mit Walden gründet er 1918 die „Sturm-Büh- ne“. 39 Walter Gropius zit. nach Krystof 1994, 92 40 Lothar Schreyer zit. nach Scheper 1988, 250; vgl. ebd. 41 Haffenrichter 1985, 120 42 Das „Mondspiel“ ist ein kurzes Maskenspiel, dessen 346 Verse keine inhaltliche Logik haben. Die Spieler sind hinter Masken verborgen. (Vgl. Scheper 1989, 69) 9
mer intensiv. Besonders das Verhältnis des Menschen zum Raum interessiert ihn. Diese Arbeit spiegelt sich auch in seinem malerischen Werk wieder. Weil der Direktor des Bauhauses, Hannes Meyer, und ein Teil der Bauhäusler eine linkspolitische Aktivierung fordern, verlässt Schlemmer das Bauhaus 1929. Er will seine liberale Haltung nicht aufgeben. Diese Einstellung wird später auch ein Brief an Propagandaminister Joseph Goebbels verdeutlichen. Anlässlich des beginnenden Bil- dersturms schreibt er am 25. April 1933: „Die Künstler sind im Grunde ihres Wesens unpolitisch und müssen es sein, weil ihr Reich von einer anderen Welt ist. Es ist immer die Menschheit, die sie meinen; das Totale, mit dem sie verbunden sein müssen.“ 46 Da die kommunistischen Tendenzen Schlemmers „Idealen und Talenten völlig wesens- fremd“ 47 waren, nimmt er die Berufung an die Akademie für Kunst und Kunstgewerbe in Breslau an. Dort lehrt er bis die Akademie 1932 geschlossen wird. Nach der Macht- übernahme der Nationalsozialisten im Januar 1933 wird Oskar Schlemmer früh als „entarteter Künstler“ diffamiert. Er geht in die „innere Emigration“ und zieht mit sei- ner Familie zurück nach Baden. Dort zwingt ihn die finanzielle Not ab 1938, als Ge- bäudemaler für ein Stuttgarter Malergeschäft zu arbeiten. 1940 beginnt er, in der Wup- pertaler Lackfabrik von Dr. Kurt Herberts zu arbeiten. Er ist nicht der einzige verfemte Künstler dort. Schlemmer trifft unter anderen seinen Freund Willi Baumeister wieder. Nach kurzer Krankheit stirbt Oskar Schlemmer am 13. April 1943 im Alter von 54 Jahren. In seinem Nachruf schreibt Schlemmers einstiger Schüler Max Bill: Oskar Schlemmer war nicht nur einer der bedeutendsten Maler Deutschlands, er war vielmehr die Verkörperung des künstlerischen Menschen des XX. Jahrhunderts in einer umfassenden Form, wie sie nur ganz Wenigen gegeben sein kann. Erst der Verlust zeigt die aufgerissene Lücke, die leer bleiben muß, weil kein Anderer hineintreten kann.48 3.2.2. Das Triadische Ballett „Der theatralische Tanz, Urform für Oper und Schauspiel [...] fristet heute als Ballett ein kümmerliches Dasein,“ 49 heißt es 1922 im Entwurf für den Programmtext zur Ur- aufführung des „Triadischen Ballett“ am Landestheater Stuttgart. Schlemmer glaubt 46 Oskar Schlemmer 25. April 1933. In: „Idealist der Form“ 1990, 274 47 Oskar Schlemmer 2. April 1933. In: ebd., 272 48 Max Bill zit. nach von Maur 1982, 285 49 Oskar Schlemmer zit. nach Ausstellungskatalog Kunstgewerbemuseum Zürich 1961, 15 12
Schlemmers Aussage waren Ursache und Antrieb bei der Entstehung des „Triadischen Balletts“ allein die Freude am Gestalten, am Erfinden neuartiger Gebilde, am Spiel mit Materialien wie Aluminium, Gummi, Zelluloid, Draht und biegsamen Glas, die starre, kaschierende Kostümbildungen ermöglichten.53 Die Uraufführung in Stuttgart am 30. September 1922 bezeichnet Tut Schlem- mer als „entschiedenen Erfolg“. „Von reaktionären Kreisen wurde das Ballett jedoch sofort als Maschinentanz verschrien“, fährt sie fort. 54 „Das Fluidum Mensch ist [...] immer mit im Spiel“ schreibt Schlemmer selbst über seine Arbeit. Ein „mechanisches Ballett“ habe er nie gemacht. 55 Was Schlemmers Kreation auszeichne, sei die sich ent- faltende Spannung zwischen einem nicht mehr ganz Humanen und einem noch nicht ganz Mechanischen, urteilt Karin von Maur.56 „Der Wert dieses Balletts liegt wohl in der Musikalität der Formgestaltung, die entgegen dem Firlefanz des üblichen Balletts und von einer ‚Metropolis‘-haften Maschinenromantik ebenso weit entfernt, aus der Lust am Spiel mit Formen und Material entstand“57, schätzt Schlemmer sein Werk selbst ein. Er hofft, dass sein „Triadisches Ballett“ die Anfänge zeigt, „daraus sich ein deutsches Ballett entwickeln könnte“58. Zumindest für seine eigenen, späteren Tänze – respektive die Bauhaustänze – bildet es die Grundlage, wobei sich Schlemmers Ballett- konzept im Laufe der Jahre verändern wird. Mit Begeisterung wird die Aufführung des „Triadischen Balletts“ im Deutschen Nationaltheater Weimar im August 1923 im Rahmen der Bauhauswoche aufgenommen. 3.2.3. Der Mensch im Blickfeld Entgegen dem damals herrschenden Maschinenkult bleibt für Oskar Schlemmer immer der Mensch das Wichtigste. Nichts liegt ihm ferner als den Menschen zugunsten reiner mechanischer Gebilde von der Bühne zu verbannen – auch wenn er in seiner Arbeit immer wieder Grenzen auslotet. Wenn er beispielsweise seine Protagonisten im „Tria- dischen Ballett“ hinter Ganzkörpermasken verschwinden lässt, dann nur, um zu sehen, inwieweit, das Individuum, das Menschliche sogar hinter Masken hervor scheint. „Es 53 Vgl. von Maur 1982, 198 ff. 54 Tut Schlemmer zit. nach Ausstellungskatalog Kunstgewerbemuseum Zürich 1961, 15 55 Oskar Schlemmer 7. September 1931. In: „Idealist der Form“ 1990, 238 56 Vgl. von Maur 1982, 200 57 Oskar Schlemmer zit. nach Ausstellungskatalog Kunstgewerbemuseum Zürich 1961, 16 58 Ebd., 15 14
3.2.4. Oskar Schlemmer und die Bauhausbühne Noch ehe Oskar Schlemmer die Leitung der Bauhausbühne übernimmt, hat er die Bauhäusler bereits auf sein theatralisches Talent aufmerksam gemacht. Anlässlich der Bauhaus-Fastnacht 1922 führte er „Das Figurale Kabinett“ auf, eine Art mechanisches Kabarett. Damit parodierte er den Maschinenkult der Zeit sowie das fortschrittsgläubi- ge Vertrauen in Organisation und Funktion, indem er die wenigen tatsächlich vorhan- denen technischen Mittel durch umso größeren Einfallsreichtum überwindet. Eine er- weiterte Fassung des „Figuralen Kabinetts“ entsteht in den Jahren 1926 und 1927. 63 Nachdem Oskar Schlemmer die Leitung der Bühnenwerkstatt übernommen hat, beaufsichtigt er die Studierenden. Einfluss auf ihre Arbeit nimmt er vorerst nicht. Im Frühjahr und Sommer 1923 werden Stücke für die Bauhauswoche, die am 15. Au- gust beginnt, vorbereitet. Wie bereits erwähnt, wird dabei auch das „Triadische Ballett“ erneut aufgeführt und mit Begeisterung aufgenommen. Einen Tag später, am 17. Au- gust, sollen unter dem Titel „Das mechanische Kabarett“ sechs Einzelnummern aufge- führt werden – bis auf „Das Figurale Kabinett“ sind alle Arbeiten selbstständig von Studierenden erarbeitet worden. Fünf der sechs Darbietungen haben während der Auf- führung mit Umsetzungsschwierigkeiten zu kämpfen. Einzig „Das Mechanische Bal- lett“ von Kurt Schmidt und Georg Teltscher kann reibungslos präsentiert werden. 64 Im Herbst 1923 legt Schlemmer dem Meisterrat des Bauhauses sein Arbeitspro- gramm der Bühnenwerkstatt vor. Es ist unterteilt in eine innere und eine äußere Abtei- lung. Die Arbeitsgebiete der inneren Abteilung sind: „Untersuchung der Grundele- mente des bühnenbildnerischen Schaffens und Gestaltens: Raum, Form, Farbe, Ton, Bewegung, Licht. Praktische Versuche. Selbständige Gestaltungen.“ Die Arbeitsgebiete der äußeren Abteilung sieht Schlemmer in der „Übernahme von Inscenierungen (Ge- staltung der Bühnenbilder und Figurinen) an Theatern jeglicher Art: Oper, Schauspiel, Ballett, Circus, Varieté, Kino“. Zudem soll sie festliche Veranstaltungen gestalten.65 Das Arbeitsfeld der inneren Abteilung ähnelt dem von Gropius 1922 festgelegten Pro- gramm, das den Schwerpunkt auf die sachliche Erforschung der grundlegenden Büh- nenmittel legte. Auch in die „formale, die Grundformen und Grundfarben betonende Phase“ des Bauhauses passt Schlemmers Vorhaben, Grundelemente des Bühnenbildes 63 Vgl. Scheper 1989, 73 ff. 64 Vgl. ebd., 78 ff. 65 Oskar Schlemmer zit. nach Scheper 1989, 90 16
wie Form und Farbgebung zu erforschen. Schlemmers Plan für die äußere Abteilung geht jedoch weit über Gropius‘ ursprüngliche Vorstellung hinaus, dem lediglich öffent- liche Aufführungen der Bauhausbühne in Weimar vorgeschwebt hatten. Schlemmers Vorschlag eines Arbeitsprogramms bleibt jedoch nahezu wirkungs- los. Eine systematische Tätigkeit in der Bühnenwerkstatt, wie Schlemmer sie will, kann es vorerst weiterhin nicht geben. Es gibt keine Bühne, auf der geprobt werden könnte. Die Mittel, die zur Verfügung stehen, sind begrenzt. Die Bühnenangehörigen sind an- deren Werkstätten verpflichtet, da die Teilnahme an der Bühnenwerkstatt freiwillig ist. Sie ist zusätzlich zur eigentlichen Ausbildung der Studierenden eingerichtet worden.66 Etwa zur gleichen Zeit regt Schlemmer bei seinen Schülern an, ein Marionetten- theater zu entwickeln. Die Studierenden nehmen das Projekt in Angriff, wählen aller- dings eine andere Geschichte als die von Schlemmer vorgeschlagene. „Die Schüler wol- len nicht, weil es vom Meister kommt. Sie wollen selbst“, schreibt Schlemmer Anfang Oktober 1923 an seinen Freund Otto Meyer-Amden. Die Schüler müssten das Gefühl haben, es käme von ihnen selbst, fährt Schlemmer fort. „Der Schülerwahn ist enorm gezüchtet worden.“ 67 Zwar wird lange an dem Marionettentheater gearbeitet, aufge- führt wird das Märchen „Die Abenteuer des kleinen Buckligen“ aus „Tausendundei- nernacht“ jedoch nicht. Stattdessen wird im Frühjahr 1924 eine andere Arbeit der Bau- hausbühne aufgeführt, die auf Schlemmer zurückgeht. „Meta oder die Pantomime der Örter“ wird von fünf Darstellern überwiegend pantomimisch gespielt und parodiert das konventionelle Drama. 68 Damit bleibt Schlemmer seiner Linie treu, das Theater seiner Zeit verändern zu wollen. Dieses Streben nach Veränderung drückt sich auch in der Veröffentlichung „Die Bühne im Bauhaus“ aus, die Schlemmer gemeinsam mit Moholy-Nagy 1924 zusam- mengestellt hat. In ihr befindet sich Schlemmers bedeutende theoretische Abhandlung „Mensch und Kunstfigur“. Darin macht der Verfasser vorerst die „Zeichen seiner Zeit“ aus, die er in der „Mechanisierung“, der „Abstraktion“ und den neuen „Möglichkeiten durch Technik und Erfindung“ sieht. „Die Bühne, die Zeitbild sein sollte und beson- ders zeitbedingte Kunst ist, darf an diesen Zeichen nicht vorübergehen.“69 Wie der Titel „Mensch und Kunstfigur“ erkennen lässt, steht auch in dieser Publikation der Mensch 66 Vgl. Scheper 1989, 91 67 Vgl. Oskar Schlemmer Anfang Oktober 1923. In: „Idealist der Form“ 1990, 113 f. 68 Vgl. Scheper 1989, 94 69 Vgl. Oskar Schlemmer „Mensch und Kunstfigur“. In: Die Bühne im Bauhaus 1965, 7 17
rungsreifen Ergebnissen getan werden. Des Weiteren legt Schlemmer darin Aufnahme- bedingungen und Arbeitsgebiete fest sowie finanzielle und eigentumsrechtliche Kon- sequenzen, die sich aus öffentlichen Aufführungen ergeben könnten. 74 Auch hier zeigt sich wieder Schlemmers Wille zur Erneuerung. Er hofft, zu neuen, zeitgemäßen Thea- terformen zu kommen, indem er seine Schüler verstärkt mit den Grundlagen des Thea- ters vertraut macht.75 Er plant aus der Bauhausbühne eine Typenbühne zu machen. Analog zum Personal der Commedia dell‘arte können nach Schlemmers Ansicht neue Bühnentypen gebildet werden. 76 Im März 1926 tritt die Bühne in Dessau beim „Früh- jahrsfest der Bauhäusler“ zum ersten Mal mit eigenen kleinen Szenen öffentlich auf. Diese Vorführungen tragen nach Schlemmers Ansicht noch immer den „Charakter der Improvisation“. Die eigentliche Arbeit der Bühne soll sich jedoch immer mehr von der Improvisation lösen und „durch gründliche Arbeit und vielfaches Proben zu einer ge- wissen endgültigen Form“ gelangen. 77 Diese Aussage zeigt, wie wichtig Schlemmer die Grundlagenforschung und die Bühnentheorie ist; damit steht er in enger Beziehung zu den anderen Bauhaus-Werkstätten, die das vorhandene Material und seine Gesetzmä- ßigkeiten erforschen, bevor sie neue Formen schaffen. 78 Mitte 1926, mit Fertigstellung der Bauhausbauten, kann endlich auch das Büh- nenstudio bezogen werden. Fortan kann Schlemmer – wie von ihm seit Jahren ge- wünscht – professionelle Bühnenarbeit mit einer Gruppe von etwa zehn Studierenden leisten. Systematisch erforscht die „Versuchsbühne für Tänzer, Schauspieler und Regis- seure“ die elementaren Bühnenelemente Raum, Form, Farbe, Licht und Materie in ih- rem Verhältnis zum handelnden Menschen. Das daraus entstandene Bühnenprogramm wird im März 1927 nach einem Vortrag Schlemmers auf der Bauhausbühne aufgeführt. 79 Im Sommersemester 1927 dehnt Schlemmer die Auseinandersetzung mit den Bühnenelementen auf Wort und Sprache, Idee und theatralische Komposition aus. Ein Stück soll entstehen, das jedoch auf Grund organisatorischer Zwänge nicht vollen- det werden kann.80 74 Vgl. Scheper 1989, 119 75 Vgl. ebd., 120 76 Vgl. ebd., 124 f 77 Oskar Schlemmer zit. nach Scheper 1989, 126 78 Vgl. ebd., 126 79 Vgl. Scheper 1988, 255 80 Vgl. ebd. 19
In der darauf folgenden Zeit bis 1929 vervollständigen pantomimische Tänze und Demonstrationen das Repertoire der Bühne. Die Bauhaustänze entstehen: Stäbe- tanz, Reifentanz, Raumtanz, Formentanz, Gestentanz, Kulissentanz, Baukastenspiele, Metalltanz, Glastanz, Frauentanz bilden neben Maskenchor und Sketch auch das Pro- gramm der einzigen Bauhausbühnen-Tournee im Frühjahr 1929.81 In den Tänzen er- scheint der Mensch nicht als individuell handelndes Wesen, sondern als Inbegriff eines bestimmten Verhaltens gegenüber den verschiedenen Bühnenelementen. Für Schlemmer stellen die Bauhaustänze nur den ersten Teil, der die Beziehung des Menschen zu den formalen, farbigen und räumlichen Elemen- ten der Bühne untersucht, dar. Bevor jedoch seine angestrebte Neuerung des Theaters erreicht Abb. 3.13: Der Stäbetanz ist einer der Bauhaustänze werden kann, müssten seiner Ansicht nach auch die Bühnenmittel Wort, Ton, Sprache und Musik untersucht werden.82 Dieses Vorhaben wird Schlemmer jedoch nicht mehr umsetzen können. 3.3. Das Ende der Bauhausbühne Mit Beginn der Direktorentätigkeit von Hannes Meyer 1928 ändert sich das Klima am Bauhaus. Rückblickend wird von der „marxistischen Phase“ gesprochen. Um 1928 po- litisieren sich auch die Theater der Republik zunehmend. Diese Veränderung muss zwangsläufig auch die Bauhausbühne beeinflussen. Politik in der Kunst – dagegen sträubt sich Oskar Schlemmer. Am Bauhaus verstärkt sich dementsprechend der Wi- derstand gegen seine Bühnenarbeit. Schon 1928 gründet sich die „Junge Gruppe“. Sie will Schlemmers „betont unpolitischer Art der Bühnenarbeit“ 83 eine Alternative entge- 81 Vgl. Scheper 1988, 256 82 Vgl. ebd., 257 83 Scheper 1989, 202 20
gensetzen. Zwei Dinge sind der Gruppe, die zwei Stücke erarbeiten wird84, wichtig: die „Kollektivarbeit“ und die Auseinandersetzung mit aktuellen, das heißt mit politischen Themen. 85 Zum politischen Theater äußert Schlemmer, er könne nicht die Rolle eines Agitators übernehmen, für eine Sache, die „mich nicht erfüllt“. „Verlangen Sie von mir nicht, daß ich wie George Grosz zeichne oder wie Piscator [Theater] mache. Ich meine, daß wir das politische Theater füglich den Russen überlassen, die das viel besser machen.“ 86 Obwohl die Bauhaus- bühnen-Tournee im Früh- jahr 1929 erfolgreich ver- läuft, löst sich der Wider- stand gegen Schlemmers Arbeit nicht auf – im Ge- genteil. Meyer und die ihm nahestehenden Abb. 3.14: die „Junge Gruppe“ linksorientierten Studie- renden lehnen sie als „unaktuell, formalistisch und zu persönlich bestimmt“ ab.87 Als im Juni die Berufung an die Breslauer Akademie für Kunst und Kunstgewerbe eingeht, nimmt Schlemmer an. Gründe seines Weggangs finden sich in einem Schreiben an den Architekten Richard Herre, in dem er erklärt, dass es am Bauhaus an einer „genügen- den Basis“ für seine Bühnenbestrebungen mangele. Das Bauhaus stelle diese „trotz äu- ßerer Erfolge [...] in Frage [...] zugunsten tendenziöser, ‚aktueller‘, piscatoribler Prob- leme, doch so, daß zunächst nichts nach außen gewollt, sondern intern laboriert wer- den soll“. Abschließend stellt Schlemmer fest: „Die Bühne am Bauhaus endet quasi mit mir, wenigstens in der von mir erstrebten Form.“ 88 84 Der erste Sketch „Drei gegen Eine“ wird im November 1928 am Bauhaus uraufgeführt. Ent- gegen seiner eigenen Überzeugung nimmt Schlemmer ihn ins Gastspielprogramm der Bau- hausbühne auf, weil der Sketch „so sehr den Vorstellungen der Bauhaus-Leitung von der anzu- strebenden Arbeitsweise der Bauhausbühne“ entspricht. (Vgl. Scheper 1989, 202) Das zweite Stück „Bauhausrevue“ wird am 22. Juli 1929 uraufgeführt. Dazu schreibt Schlemmer: „[...] eine Bauhausrevue, worin das Revolutionsprogramm des neuen Bauhauses zum Ausdruck kommen soll. Ungefähr so: Räterepublik des Bauhauses, die ‚Meister‘ sind die kapitalistischen Könige, die entthront und entrechtet werden müssen.“ (In: „Idealist der Form“ 1990, 211) 85 Vgl. Droste 1990, 186; vgl. Scheper 1989, 202 und 213 86 Oskar Schlemmer zit. nach Scheper 1989, 179 87 Vgl. Oskar Schlemmer 8.September 1929. In: „Idealist der Form“ 1990, 212 88 Oskar Schlemmer zit. nach Scheper 1989, 216 21
Nach dem Sommersemester 1929 schließt Meyer die Bühne tatsächlich – aus „wirt- schaftlichen Gründen“ im Zuge einer Neuorganisation des Bauhauses. Die „Junge Gruppe“ besteht zwar noch bis zu Meyers Entlassung im August 1930, von ihrer Arbeit wird jedoch nicht mehr viel bekannt. 89 „In Dessau werden, so höre ich, Tränen geweint um das vergangene, mit mir entschwundene Theatralische, das, in neuer Form, in der Tendenz politischer, nicht gelingen will und auch scheint‘s, nicht darf“90, schreibt denn auch Schlemmer am 31. Januar 1930 an seinen Freund Otto Meyer-Amden über die Bühnenarbeit am Bauhaus, die unter der Leitung von Mies van der Rohe nicht wieder aufgenommen wird. 4. Fazit Dass Oskar Schlemmer die Leitung der Bauhausbühne übernehmen konnte, verdankte er einem Umschwung am Anfang der sogenannten Goldenen Zwanziger weg vom Ex- pressionismus hin zur Sachlichkeit. Denn Schlemmers Bühnenarbeit zeichnete sich durch die Erforschung elementarer Bühnenelemente aus. Ansonsten entspricht Schlemmers Bauhausbühne dem zeitlichen Kontext der Weimarer Republik jedoch nur bedingt. Unverkennbar ist, dass Schlemmer seine Faszination für Technik und Mecha- nik, die in die Bühnenarbeit einfließt, mit seinen Zeitgenossen teilt. Eine genauere Be- trachtung wert, wären aber nun die eigenständigen Arbeiten von Schlemmers Schülern oder von anderen Bauhaus-Meistern wie Lásló Moholy-Nagy, die sich mit dem Thea- ter auseinandergesetzt haben. Vermutlich würde ein Vergleich zwischen Schlemmers Theater und anderen Theater-Konzepten am Bauhaus zeigen, dass andere Herange- hensweisen wesentlich mechanischer ausgerichtet waren als die Schlemmers. Es ist ihm zugute zu halten, dass er den Menschen eben nicht von der Bühne verbannen und vollständig durch Maschinen ersetzen wollte. Den Zeichen seiner Zeit folgend sah er zwar durchaus große Möglichkeiten in neuen technischen Erfindungen, allerdings be- trachtete er die bloße Technik nicht schon als Kunst selbst, sondern erst als Vorausset- zung für Kunst. Vom vorherrschenden Technikkult ließ er sich also nicht mitreißen. Trotzdem Schlemmer die Bühne als Zeitbild und auch als durch die Zeit bedingt sah, weigerte er sich, dass Politisches in seinem Theater Einzug hält – obwohl sich die Büh- 89 Vgl. Scheper 1989, 217; vgl. Droste 1990, 186 90 Oskar Schlemmer 31. Januar 1930. In: „Idealist der Form“ 1990, 215 22
nen in der ganzen Republik politisch orientierten; obwohl der Druck des linksaktivier- ten Bauhauses auf ihn wuchs. Schlemmer beachtete zwar die Zeichen der Zeit auf künstlerischer Ebene – in Form von Verwendung neuester Materialien und dem Inte- resse an technischen Erfindungen –, auf politischer – in Form eines Zeittheaters – klammerte er sie aber aus. Es ging ihm bei seiner Arbeit für die Bauhausbühne um rei- ne Kunst, um die Erneuerung des Theaters auf künstlerischer Ebene durch umfassen- des Experimentieren. Seine Zeit verändern, wie viele derer, die zur Zeit der Weimarer Republik künstlerisch – vor allem am Theater – tätig waren, das wollte Oskar Schlem- mer hingegen nicht. 23
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Abbildungsverzeichnis • Abb. 2.1, S.6: Entwurf des „Totaltheaters“ von Gropius aus: Wingler, Hans M. (Hrsg.) (1965): Schlemmer, Oskar; Moholy-Nagy, László; Molnar, Farkas: Die Bühne im Bauhaus. Neue Bauhausbücher Band 3. Mainz und Berlin: Florian Kupferberg Verlag, S. 86 • Abb. 3.1; Abb. 3.2, S. 7: Einige der Bauhaustänze sind rekonstruiert worden aus: The Baltimore Museum of Art (Hrsg.) (1986): Oskar Schlemmer. Balti- more: Schneidereith ans Sons, S. 148 • Abb. 3.3, S. 10: Schlemmer, 1931 aus Wick, Rainer K. (2000): Bauhaus. Kunst- schule der Moderne. Ostfildern-Ruit: Hatje Cantz, S. 256 • Abb. 3.4, S.11: Schlemmer in einem Kostüm des „Triadischen Balletts“ aus: The Baltimore Museum of Art (Hrsg.) (1986): Oskar Schlemmer. Baltimore: Schneidereith ans Sons, S. 160 • Abb. 3.5; 3.6; 3.7; 3.8, S. 13: Drei Kostüme des „Triadischen Balletts, die bis heute erhalten sind: Abb. 3.5: abstrakte Figur aus The Baltimore Museum of Art (Hrsg.) (1986): Oskar Schlemmer. Baltimore: Schneidereith ans Sons, S. 165 Abb. 3.6: „Tänzerin in Weiß“ aus Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf, Kunsthalle Wien, Sprengel Museum Hannover, Bühnen Archiv Oskar Schlemmer (Hrsg.): Oskar Schlemmer. Tanz Theater Bühne. Ostfildern- Ruit: Hatje Cantz, S. 172 Abb. 3.7: „Draht-Kostüm“ aus The Baltimore Museum of Art (Hrsg.) (1986): Oskar Schlemmer. Baltimore: Schneidereith ans Sons, S. 166 Abb. 3.8: getragenes „Draht-Kostüm“ aus Kunstgewerbemuseum Zürich (Hrsg.) (1961): Oskar Schlemmer und die abstrakte Bühne, Zürich: Aschmann & Scheller AG, S. 63 • Abb. 3.8, S. 15: Schlemmers Mensch aus Wick, Rainer K. (2000): Bauhaus. Kunstschule der Moderne. Ostfildern-Ruit: Hatje Cantz, S. 277 • Abb. 3.9; 3.10;3.11; 3.12, S. 18: Vier Tänzer-Kostüme aus: Wingler, Hans M. (Hrsg.) (1965): Schlemmer, Oskar; Moholy-Nagy, László; Molnar, Farkas: Die Bühne im Bauhaus. Neue Bauhausbücher Band 3. Mainz und Berlin: Florian Kupferberg Verlag, S. 16 und 17 III
• Abb. 3.13, S. 20: Der Stäbetanz ist einer der Bauhaustänze, S. 20 aus: The Bal- timore Museum of Art (Hrsg.) (1986): Oskar Schlemmer. Baltimore: Schnei- dereith ans Sons, S. 144 • Abb. 3.14, S. 21: die „Junge Gruppe“ aus Droste, Magdalena (1990): Bauhaus 1919 - 1933. Berlin: Benedikt Taschen Verlag, S. 187 IV
Eidesstattliche Erklärung Plagiatserklärung Ich versichere hiermit, dass ich die Seminararbeit selbstständig verfasst habe. Andere als die ausgewiesenen Hilfsmittel wurden nicht verwendet. Ort, Datum // Unterschrift V
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