Praxis ohne Profession? - Zwischenbilanz SGB VIII Reform Ethik und Zeugnis-verweigerung Neu: Aktuelle Film-besprechungen - Netzwerk ...

Die Seite wird erstellt Josefine Weller
 
WEITER LESEN
Praxis ohne Profession? - Zwischenbilanz SGB VIII Reform Ethik und Zeugnis-verweigerung Neu: Aktuelle Film-besprechungen - Netzwerk ...
FORUM
   sozial
     Die berufliche soziale arbeit                       3/2019

     Praxis ohne
     Profession?

     Zwischenbilanz
     SGB VIII Reform

     Ethik und Zeugnis-
     verweigerung

     Neu: Aktuelle Film-
     besprechungen

                                   Deutscher Berufsverband
                                  für Soziale Arbeit e. V.
     Tariffähige Gewerkschaft
     Mitglied der IFSW (International Federation of Social Workers)
Praxis ohne Profession? - Zwischenbilanz SGB VIII Reform Ethik und Zeugnis-verweigerung Neu: Aktuelle Film-besprechungen - Netzwerk ...
Praxis                                                                                                                                   63

    Praktisch pleite

                                                                                                                              photosforyou auf Pixabay

                                      Projektgruppe: Ellen Bogorinsky, Marc Hilling, Simon Hilmes,
                                                              Torsten Mössner, Thomas Vornkahl
„Damit nicht die durch das so-        kungen auf die Auswahl und Dif-                                        hat sich 2013 in Berlin das „Netz-
ziale Netz fallen, die es knüpfen     ferenzierung der unterschiedlichen                                     werk prekäres Praktikum“ (nachfol-
sollen!“                              Studiengänge der Sozialen Arbeit                                       gend NPP genannt), bestehend aus
Die berufliche Laufbahn vieler        (vgl. Erath; Balkow 2016: 404f).                                       Studierenden der drei Hochschulen
angehender Fachkräfte der So-                                                                                für Soziale Arbeit in Berlin, gegrün-
zialen Arbeit startet prekär, wo-     Ein anzuführendes Beispiel ist das                                     det. Um die sozioökonomische Si-
bei diese das soziale Netz knüp-      Berufsanerkennungsjahr. In den                                         tuation der Studierenden wissen-
fen sollen. Die Ergebnisse zweier     meisten Bundesländern ist die-                                         schaftlich zu erfassen, führte das
Studien, die in den letzten Jah-      ses in den Hochschulcurricula der                                      NPP eine Befragung an den drei
ren an Münsteraner und Berliner       Bachelorstudiengänge nicht mehr                                        Berliner Hochschulen durch (vgl.
Hochschulen für Sozialwesen           verankert und somit für angehen-                                       NPP 2014). Mit den Ergebnissen
entstanden sind, verdeutlichen        de SozialarbeiterInnen nicht mehr                                      der Umfrage und ihrem sozialpoli-
die prekäre finanzielle Situation     vorgesehen. Zum Erwerb der staat-                                      tischen Engagement erreichte das
von Studierenden der Sozialen         lichen Anerkennung reichen Pra-                                        NPP die Wiedereinführung des An-
Arbeit und zeigen auf, welchen        xisphasen während des Studiums       FUSSNOTE                          erkennungsjahres in Berlin und so-
Einfluss unbezahlte studienin-        (vgl. FBTS 2012). Da jedoch studi-                                     mit eine finanzielle Vergütung für
tegrierte Praxisphasen auf diese      enbegleitende Praktika vom Min-      1. Das Praxissemester kann        Studierende in studienintegrierten
                                                                           als ein Element im Bachelor-
haben.                                destlohn ausgeschlossen sind (vgl.   studiengang Soziale Arbeit        Praxisphasen.
                                      BMAS 2019: 10), entfällt für die     benannt werden und umfasst           Auch in Nordrhein-Westfalen
Der Bolognaprozess und damit die      Studierenden das gesicherte Gehalt   in Münster ein 640-Stunden        entwickelte sich aus der Hoch-
                                                                           umfassendes, verpflichtendes
Vereinheitlichung der Studiengän-     im Anerkennungsjahr.                 Praktikum in einer Praxisstelle   schulgruppe des Jungen DBSH
ge Anfang der 2000er hat auch die        Diese fehlenden Einnahmen stel-   der Sozialen Arbeit (vgl. FH      Münster im Wintersemester
                                                                           Münster 2015:.40). Dieses
Berufsausbildung von angehenden       len für die Studierenden der Sozi-   Praxissemester kann zwar auf      2015/2016 die „Projektgruppe Pre-
Fachkräften der Sozialen Arbeit       ale Arbeit einen schwerwiegenden     zwei Semester mit einem re-       käres Praktikum“, welche sich mit
maßgeblich beeinflusst. Seit 2007     Verlust dar.                         duzierterejn Stundenumfang        dem Thema Vergütung im Praxis-
                                                                           von 15-20 Std./Woche ge-
sind alle Studiengänge der Sozialen                                        streckt werden (vgl. FH Müns-     semester1 an der Fachhochschule
Arbeit ausnahmslos in das neue Ba-    Um auf diesen Missstand aufmerk-     ter 2014: 3), ist so allerdings   Münster auseinandersetzt. Nach
                                                                           im idealtypischen Studienver-
chelor-Master-System eingepflegt      sam zu machen und eine Vergütung     laufsplan nicht vorgesehen        dem Austausch mit KommilitonIn-
worden. Dies hatte große Auswir-      sozialer Praktika durchzusetzen,     (vgl. FH Münster 2015: 9).        nen, den eigenen Erfahrungen im

FORUM sozial 3/2019
Praxis ohne Profession? - Zwischenbilanz SGB VIII Reform Ethik und Zeugnis-verweigerung Neu: Aktuelle Film-besprechungen - Netzwerk ...
64            Report

     Praxissemester sowie den Dialogen                                                                                  menbedingungen und ökonomi-
     mit PraxisvertreterInnen wurden                                                                                    schen Veränderungen im Praxisse-
     folgende Thesen von der Projekt-                                                                                   mester. Hierfür wurde eine weitere
     gruppe in Münster aufgestellt:                                                                                     Gruppierung gebildet, die nur noch
                                                                                                                        Daten von Studierenden mit auf-
     • Ein Großteil der Studierenden                                                                                    nahm, die bereits ein Praxissemes-
       finanziert ihr Studium und ih-                                                                                   ter absolvierten oder bereits absol-
       ren Lebensunterhalt durch                                                                                        viert hatten. Für die Auswertung
       Erwerbsarbeit.                                                                                                   wurden ausschließlich die Ergeb-
     • Die deutliche Mehrheit der Stu-                                                                                  nisse der PraktikantInnen verwen-
       dierenden erhält keine Vergü-                                                                                    det, die sich mindestens im vierten
       tung im Praxissemester.                                                                                          Fachsemester befanden. Damit lag
     • Studierende müssen während                                                                                       die Teilnehmerzahl bei n=276 Stu-
       des Praxissemesters die Er-                                                                                      dierende, diese Gruppe wird im
       werbsarbeit reduzieren oder                                                                                      nachfolgenden „Studierende im
       aufgeben.                                                                                                        Praxissemester“ genannt (vgl. Ab-
     • Dadurch geraten die Studieren-                                                                                   bildung 2). Der Altersdurchschnitt
       den in eine ökonomisch prekäre                                                                                   der Befragten lag bei 25 Jahren.
       Situation, da längere Praxis-
       phasen weniger Flexibilität zu-                                                                                  Forschungsergebnisse
       lassen als die klassischen Vorle-
       sungs- und Seminarzeiten.                                                                                        Münsteraner Studierende geben im
     • Die ökonomisch prekäre Situ-                                                                                     Monat 848 € aus und liegen damit
       ation im Praxissemester wirkt                                                                                    knapp 30 € über dem deutschen
       sich negativ auf den weiteren                                                                                    Studierendendurchschnitt 3, allein
       Verlauf des Studiums bzw. die                                                                                    die Wohnungskosten liegen 25
       persönliche Situation der Stu-                                                                                   € über diesem Durchschnitt (vgl.
       dierenden aus.                                                                                                   Abbildung 3). Zum Vergleich: Ber-
                                                                                                                        liner Studierende geben an, durch-
     Zur Überprüfung der Thesen wurde                                                                                   schnittlich 745 € auszugeben.
     in Anlehnung an die Arbeit des NPP                                                                                    Knapp die Hälfte von ihnen ge-
     ein Fragebogen erstellt, welcher im                                                                                nerierten demnach Einnahmen
     Wintersemester 2017/18 als Hyb-                                                                                    zwischen 401 – 800 €. 27% haben
     ridumfrage online und in Präsenz-                                                                                  geringere Einnahmen und liegen
     vorlesungen durchgeführt wurde.                                                                                    damit unter 400 €, 26% erhalten
     Insgesamt wurde eine Stichprobe                                                                                    mehr als 800 € und 10% gehören
     von n=847 Studierenden erfasst.                                                                                    zu den „Spitzenverdienern“ im Stu-
     Dies sind, bei rund 2100 Studie-                                                                                   dium der Sozialen Arbeit mit mehr
     renden in den beiden Bachelorstu-                                                                                  als 1.000 € Einnahmen im Monat.
     diengängen Soziale Arbeit (1450       dere der Wohn- und Familiensitu-                                             Damit liegen mindestens ¾ der
     FH Münster und 650 Katholische        ation, sowie dem monatlich ver-                                              Münsteraner Studierenden unter
     Hochschule NRW Standort Müns-         fügbaren Einkommen und der Höhe                                              dem Bundesdurchschnittseinkom-
     ter), ca. 40% der möglichen Ziel-     der monatlichen Ausgaben. Diese                                              men von 918 € (vgl. DZHW 2017:
     gruppe in Münster. Der Frauenan-      werden im nachfolgenden „Müns-                                               39). Mit Blick auf das errechnete
     teil der Befragten ist wesentlich     teraner Studierende“ genannt.N        FUSSNOTE                               Existenzminimum von 758 € kann
     größer als der Männeranteil und       icht nur in Berlin, sondern auch in                                          festgestellt werden, dass mindes-
                                                                                 2. Um die erhobenen ökonomi-
     bildet damit auch das Geschlech-      Münster sind z.B. die Ausgaben für    schen Daten der angehenden             tens die Hälfte von ihnen Einnah-
     terverhältnis des Studiengangs        Wohnen eine besondere Belastung.      SozialarbeiterInnen realistisch ein-   men unter diesem Wert haben. Das
                                                                                 schätzen zu können, wurde bei der
     der Sozialen Arbeit wieder. Bei der   Die Rheinische Post führt Münster     Auswertung des ersten Teils eine
                                                                                                                        Existenzminimum errechnete sich
     Hybridumfrage konnten Daten von       auf Platz zwei der „angespanntes-     Gruppierung gebildet, welche nur       aus den durchschnittlich angege-
     Studierenden aus sämtlichen Se-       ten Unistädte“ in NRW mit einem       Studierende miteinbezog, die eine      ben Wohnkosten, sowie dem Hartz
                                                                                 Haushaltsform außerhalb der Her-
     mestern erhoben werden (vgl. Ab-      durchschnittlichen Mietniveau von     kunftsfamilie im Fragebogen an-        VI-Regelsatz aus dem Jahr 2017.
     bildung 1).                           8.90 € pro Quadratmeter und ei-       gegeben haben. Somit wurden die           Sowohl in der Münsteraner und
                                                                                 ökonomischen Daten realistischer
        Die durchgeführte Hybridumfra-     nem durchschnittlichen monatli-       in Bezug auf die Lebensgestaltung
                                                                                                                        der Berliner Studie als auch in der
     ge gliedert sich in zwei Teile. Der   chen WG-Zimmer-Preis von 310 €        und tatsächlichen Ausgaben einge-      Sozialerhebung konnte in den drei
     erste Teil befasst sich mit der so-   (vgl. Rheinische Post o.J.: 2).       schätzt. Durch diese Gruppierung       Haupteinnahmequellen unabhän-
                                                                                 reduzierte sich der Anteil der
     zioökonomischen Lebenssituation         Der zweite Teil der Befragung er-   Stichprobe um knapp ¼ auf n=641        gig voneinander eine Triangulation
     der Studierenden2, wie insbeson-      fasst Daten zu strukturellen Rah-     Studierende.                           zwischen BAföG, Elternunterstüt-
Praxis ohne Profession? - Zwischenbilanz SGB VIII Reform Ethik und Zeugnis-verweigerung Neu: Aktuelle Film-besprechungen - Netzwerk ...
Praxis                                                                                                                                     65

zung und Jobeinnahmen festge-                                                                                      zusetzen. Während des Praxisse-
stellt werden. Auffallend ist dabei                                                                                mesters zusätzlich einer Erwerbs-
die andere Einnahmeverteilung in                                                                                   tätigkeit nachzugehen, ist für viele
Berlin und Münster im Vergleich                                                                                    Studierende unmöglich. Das Pra-
zur bundesweiten Sozialerhebung.                                                                                   xissemester in Verbindung mit dem
So ist die häufigste, vertretene                                                                                   Begleitseminar an der Hochschule
Einnahmequelle von Studierenden                                                                                    kommt einer Vollzeitbeschäftigung
in Deutschland normalerweise die                                                                                   gleich. Es ist diesbezüglich nicht
Elternunterstützung. Diese steht in                                                                                verwunderlich, dass fast die Hälf-
Münster jedoch an zweiter und in                                                                                   te der Studierenden im Praxisse-
Berlin sogar erst an dritter Stelle.                                                                               mester angaben, dass sie bereits
Stattdessen steht in der Münstera-                                                                                 im Vorfeld des Praktikums Geld für
ner als auch der Berliner Studie die                                                                               die Praxisphase ansparen mussten.
Erwerbstätigkeit an erster Stelle,                                                                                 Denn eine Praktikumsvergütung
diese steht im Bundesdurchschnitt                                                                                  stellt eine absolute Ausnahme dar.
hingegen an zweiter Stelle. Das                                                                                    Nur ein Viertel der Studierenden im
BAföG steht sowohl im Bundes-                                                                                      Praxissemester erhielten eine fi-
durchschnitt als auch in Münster                                                                                   nanzielle Vergütung, während drei
an dritter Stelle, bei den Berlinern                                                                               Viertel der Studierenden im Praxis-
an zweiter Stelle. Mehrfachnen-                                                                                    semester leer ausgingen (vgl. Ab-
nungen waren hier möglich (vgl.                                                                                    bildung 6).
Abbildung 4).                                                                                                         Bei den Berliner Studierenden
   Ein Erklärungsansatz, weshalb                                                                                   sah dies ähnlich aus. Die Quote
die finanzielle Unterstützung durch                                                                                für ein unentgeltliches Praktikum
das Elternhaus bei angehenden So-                                                                                  lag hier bei 70%. Die Münsteraner
zialarbeiterInnen im Vergleich zu                                                                                  Studierenden im Praxissemester,
allgemeinen Studierenden geringer                                                                                  die tatsächlich vergütet wurden,
ist, ist hier naheliegend. Studie-                                                                                 erhielten im Modalwert 200 €. Die-
rende der Sozialen Arbeit bringen                                                                                  sen Wert verdienten etwa ein Drit-
weniger ökonomisches Kapital mit,                                                                                  tel der Befragten monatlich (vgl.
da sie in der Regel Bildungsaufstei-                                                                               Abbildung 7).
ger_innen sind, die aus einem klas-                                                                                   Das Praxisbüro der Fachhoch-
sischen Arbeitermilieu durch den                                                                                   schule Münster empfiehlt den Trä-
Erwerb einer akademischen Be-                                                                                      gern im Praktikumsvertrag eine
rufsausbildung aufsteigen. Die Kor-                                                                                Vergütungszahlung zwischen 300-
relation aus Studienfachwahl und                                                                                   400 € (vgl. FH Münster 2017: 5).
Schichtzugehörigkeit beschrieben                                                                                   Diesen Empfehlungswert erhalten
Becker, Haunberger und Schubert         ist, desto niedriger ist statistisch                                       nur 17 Studierende im Praxisse-
2009 sowie Schmitt 2010. Studie-        das Einkommensniveau des Eltern-                                           mester als tatsächliche Vergütung.
rende aus akademisch geprägten          hauses (vgl. Schmitt 2010: 78 ff.).                                        Folglich zahlen nur 6% der Träger
Herkunftsfamilien bevorzugen sta-          Die Erwerbstätigkeit für Sozial-                                        in und um Münster die vom Praxis-
tistisch häufiger ein Medizin- oder     arbeitsstudierende kann als exis-      FUSSNOTE                            büro empfohlene Vergütungshöhe.
Jurastudium, während pädagogi-          tenzielle Notwendigkeit betrachtet     3. Die 21. Sozialerhebung wurde     Dahingegen zahlen 93% der sozi-
                                                                               vom Bundesministerium für Bil-
sche und sozialwissenschaftliche        werden. Nach Angaben der Müns-         dung und Forschung zusammen
                                                                                                                   alen Organisationen weniger oder
Studienfächer von Studierenden          teraner Studierenden mit einem         mit dem Deutschen Stundenwerk       keine Vergütung.
präferiert werden, welche aus Ar-       Nebenjob benötigen 53% dieser          sowie dem deutschen Zentrum für        Angesicht der sozioökonomi-
                                                                               Hochschul- und Wissenschafts-
beiterfamilien stammen (vgl. Be-        Kohorte notwendigerweise ihre Er-      forschung durchgeführt (vgl.        schen Situation wurden abschlie-
cker, Haunberger, Schubert 2009:        werbstätigkeit für das Bestreiten      DZHW 2017: 7). Diese befragte       ßend alle Studierenden im Praxis-
                                                                               Studierende zur wirtschaftlichen
292 ff. und auch Schmitt 2010: 73       ihres Lebensunterhalts (vgl. Abbil-    sowie sozialen Lage und fand ein
                                                                                                                   semester befragt, ob sich die Fi-
ff.). Eine ähnliche Korrelation zeigt   dung 5).                               Jahr vor der Befragung in Münster   nanzierung des Lebensunterhalts
sich auch bei der Finanzierung ei-                                             statt. Mithilfe des sogenannten     durch das Praktikum verändert hat.
                                                                               Fokustyps zeigt diese Umfrage
nes Studiums und den Finanzie-          Folglich bieten die Einnahmen          die Einnahmen und Ausgaben          Rund zwei Drittel der Studierenden
rungsmotiven. Die Abhängigkeit          durch den Nebenjob den Studieren-      der Studierenden an. Damit hat      im Praxissemester stimmten dieser
vom eigenen Verdienst oder BAföG        den eine Existenzgrundlage für das     die Gruppierung „Fokustyp“ der      Frage zu. 13% der Befragten gaben
                                                                               Umfrage des Bundesministeriums
sinkt, je besser das Elternhaus fi-     Studium und das Leben in Müns-         fast identische Merkmale wie die    an, dass sich die finanzielle Situati-
nanziell gestellt ist. Des Weiteren     ter. Ein Wegfall einer solchen Ein-    Gruppierung der Alleinwirtschaf-    on verbessert hat. 87% der Befrag-
                                                                               tenden in Münster, womit die
lässt sich feststellen: Je höher der    nahmequelle ist einem Wegfall der      Daten eine hohe Vergleichbarkeit    ten gaben an, dass sich diese Situ-
Verdienst durch Erwerbstätigkeit        existenziellen Grundlage gleich-       aufzeigen (vgl. ebd., 12).          ation entsprechend verschlechtert

FORUM sozial 3/2019
Praxis ohne Profession? - Zwischenbilanz SGB VIII Reform Ethik und Zeugnis-verweigerung Neu: Aktuelle Film-besprechungen - Netzwerk ...
66            Report

     hat. Die gravierendsten Verände-                                                                                 Arbeit prekär. Das haben die Er-
     rungen waren dabei in der Verwen-                                                                                hebungen in Berlin und Münster
     dung von Ersparnissen (52%), der                                                                                 ergeben. Für den Erhalt des sozi-
     Reduzierung des Lebensstandards                                                                                  oökonomischen Status der Stu-
     (51%), der finanziellen Unterstüt-                                                                               dierendenschaft Sozialer Arbeit
     zung durch Dritte (36%) und einem                                                                                während studienintegrierter Pra-
     Jobwechsel/einer Kündigung des                                                                                   xisphasen ist die Vergütung dieser
     Nebenjobs (30%) zu sehen. Im-                                                                                    von äußerster Relevanz und Not-
     merhin 1% der Befragten wurde im                                                                                 wendigkeit. Es besteht dringender
     Praktikum in einer Höhe vergütet,                                                                                Handlungsbedarf, um weitere Stu-
     die ausreichte, um die Nebentätig-                                                                               dierende vor prekären finanziellen
     keit einschränken oder aufgeben                                                                                  Situationen zu bewahren. Struk-
     zu können. Mehrfachnennungen                                                                                     turelle Gegebenheiten sind zurzeit
     waren in dieser Frage möglich (vgl.                                                                              maßgeblich dafür verantwortlich,
     Abbildung 8).                                                                                                    dass Studierende der Sozialen Ar-
                                                                                                                      beit kurz vor ihrem Berufseinstieg
     Ist die Situation der Studierenden                                                                               „praktisch pleite“ sind.
     in der Sozialen Arbeit eine Armuts-
     lage? Die Erkenntnisse aus den ge-                                                                               Daher fordern wir eine angemesse-
     wonnenen Daten der Berliner und                                                                                  ne und wertschätzende finanzielle
     Münsteraner Studien sowie dem                                                                                    Vergütung für Studierende der So-
     Vergleich mit der Sozialerhebung                                                                                 zialen Arbeit während studieninte-
     von 2016 lässt folgenden armuts-                                                                                 grierter Praxisphasen. Nur so kann
     theoretischen Diskurs zur Beant-                                                                                 es gelingen, dass nicht genau die
     wortung dieser Frage zu. Butter-                                                                                 durchs soziale Netz fallen, die es
     wegge beschreibt den Begriff der                                                                                 später knüpfen sollen.          n
     Armut als einen politisch-normati-
     ven, der „sich bloß äußerst schwer
     und nicht ein für alle Mal definie-
     ren lässt“ (Butterwegge 2016: 10).
     Armut ist ein Begriff, der abhängig       gleichsweise höher als in ande-        AutorInnen:
     von den natürlichen und gesell-           ren Hochschulstädten.
     schaftlichen Gegebenheiten defi-
     niert wird. Armut bedeutet, „dass      Es ist letztlich nicht geklärt, ob eine
     eine Person deutlich schlechter ge-    klassische „Armut“ in der Studie-
     stellt ist als üblich“ (Wagner 1991:   rendenschaft Sozialer Arbeit vor-
     30; vgl. auch Butterwegge 2012: 19)    liegt. Dennoch wird deutlich, dass
        Zur Vergleichbarkeit dient die      angehende SozialarbeiterInnen vor
     gängige EU-Definition für Armuts-      einem großen Dilemma stehen.
     gefährdung, diese besagt, dass         Das Studium der Sozialen Arbeit
     diejenigen als armutsgefährdet         sieht längere Praxisphasen vor,
     gelten, die weniger als 60% des        die zweifelsfrei für eine reflexive
     Medianeinkommen zur Verfügung          Handlungswissenschaft notwen-
     hat. Dabei ist aus Sicht der Müns-     dig sind. Zugleich gestaltet sich die
     teraner Projektgruppe allerdings zu    sozioökonomische Situation der
     beachten, dass                         Studierenden der Sozialer Arbeit
     • die Festlegung von 60% eine          anders als bei Durchschnittsstudie-
         willkürliche Festlegung zur sta-   renden. Während die finanziellen
         tistischen Erfassung ist.          Ausgaben gleichzusetzen sind mit
     • dies keine Definition von Armut,     denen des Durchschnittsstudieren-
         sondern von Armutsgefährdung       den, liegen die Einnahmen hinge-
         darstellt, was den Eindruck er-    gen deutlich unter denen anderer
         weckt, als gäbe es keine Armut     Studierenden.
         in der EU.
     • die Definition auch keinerlei        Fazit                                     Die Projektgruppe prekäres Praktikum besteht aus Münsteraner Bache-
         Ausgaben berücksichtigt. Da-                                                 lor- und Masterstierenden, sowie Berufseinsteigenden der Sozialen Ar-
         bei sind wie o.g. die Ausgaben     Lange unbezahlte Praxisphasen             beit: Simon Hilmes, Ellen Bogorinsky, Marc Hilling. Nicht auf dem
         für das Wohnen in Münster ver-     sind für Studierende der Sozialen         Bild: Torsten Mössner und Thomas Vornkahl
Praxis ohne Profession? - Zwischenbilanz SGB VIII Reform Ethik und Zeugnis-verweigerung Neu: Aktuelle Film-besprechungen - Netzwerk ...
Praxis                                                                                                                                     67

 Literatur
 Becker, Rolf; Hauberger, Sigrid; Schubert, Frank (2009): Studien-            länder zur Erlangung der staatlichen Anerkennung. Online im Internet:
 fachwahl als Spezialfall der Ausbildungsentscheidung und Berufswahl.         https://bit.ly/2lPZI3v
 Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung 2009. Springer Verlag.        FH Münster (2014): Wissenswertes zum Praxismodul. Bachelor „Soziale
 BMAS (2019): Bundesministerium für Arbeit und Soziales (Hg.). Der Min-       Arbeit“, Prüfungsordnung 2014. Online im Internet: https://bit.ly/2kKqmKSf
 destlohn. Fragen und Antworten. Online im Internet: https://bit.ly/1uVcYBv   FH Münster (2015): Handbuch Bachelor (B.A.) Soziale Arbeit (reakkredi-
 Butterwegge, Christoph (2016): Armut. 1. Auflage. PapyRossa Verlag.          tierter Studiengang 2014). Online im Internet: https://bit.ly/2mfANqb
 Köln
                                                                              FH Münster (2017): Praktikumsvertrag. Begleitetes Praktikum II. Online
 Butterwegge, Christoph (2012): Armut in einem reichen Land: Wie das Pro-     im Internet: https://bit.ly/2kLxWEVf
 blem verharmlost und verdrängt wird. 3. Auflage. Campus Verlag. Frankfurt
                                                                              Huster, Ernst Ulrich (1996): Armut in Europa. Leske + Budrich. Opladen.
 DZHW, Middendorff, E., Apolinarski, B., Becker, K., Bornkessel, P.,
                                                                              NPP (2014): Netzwerk prekäres Praktikum. Eine empirische Studie über die
 Brandt, T., Heißenberg, S. & Poskowsky, J. (2017): Die wirtschaftli-
                                                                              sozioökonomische Lebenssituation Studierender. Berlin. Online im Internet:
 che und soziale Lage der Studierenden in Deutschland 2016. 21. Sozi-
                                                                              https://bit.ly/2mh0d6Q
 alerhebung des Deutschen Studentenwerks – durchgeführt vom Deut-
 schen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung. Berlin:             Rheinische Post (o.J.) Online im Internet: https://bit.ly/2lUWQ56)
 Bundesministerium für Bildung und Forschung. Online im Internet: ht-         Schmitt, Lars (2010): Bestellt und nicht abgeholt. Soziale Ungleichheit
 tp://www.sozialerhebung.de/download/21/Soz21_hauptbericht.pdf                und Habitus-Struktur, Konflikte im Studium. VS Verlag für Sozialwissen-
 Erath, Peter; Balkow, Kerstin (2016): Einführung in die Soziale Arbeit.      schaften. Marburg
 Stuttgart: W. Kohlhammer Verlag.                                             Wagner, Wolf (1991): Angst vor der Armut: Eine Einführung in die Sozi-
 FBTS (2012): Fachbereichstag Soziale Arbeit. Regelungen der Bundes           alpolitik. Rotbuch. Berlin.

FORUM sozial 3/2019
Praxis ohne Profession? - Zwischenbilanz SGB VIII Reform Ethik und Zeugnis-verweigerung Neu: Aktuelle Film-besprechungen - Netzwerk ... Praxis ohne Profession? - Zwischenbilanz SGB VIII Reform Ethik und Zeugnis-verweigerung Neu: Aktuelle Film-besprechungen - Netzwerk ... Praxis ohne Profession? - Zwischenbilanz SGB VIII Reform Ethik und Zeugnis-verweigerung Neu: Aktuelle Film-besprechungen - Netzwerk ...
Sie können auch lesen