Probleme bei sektorenübergreifender Entlassung - Dr. Ulrike Brucklacher, Christoph Renz

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Recht

Dr. Ulrike Brucklacher, Christoph Renz

Probleme bei sektorenübergreifender
Entlassung
Regressmöglichkeiten für Kliniken?

In der Praxis zeigen sich immer wieder Probleme bei der sektorenübergreifenden Entlassung von Patienten aus
dem Krankenhaus. Mit der am häufigsten vorkommenden Fallgestaltung, der nicht (rechtzeitig) zur Verfügung
stehenden Anschlussheilbehandlung in einer Reha-Einrichtung, hatte sich nun das BSG in seinem Urteil vom
19. November 20191) befasst. Hieraus ergeben sich interessante Schlussfolgerungen für Krankenhäuser, die im
Rahmen des Entlassmanagements beachtet werden sollten.

Sehr häufig sind Krankenhäuser im Rahmen des Entlassma-           nicht nur bei nicht verfügbarer Anschlussheilbehandlung, son-
nagements mit Fällen konfrontiert, bei denen der Patient einer    dern auch fehlender stationärer Pflegeeinrichtung: Auch bei
Anschlussheilbehandlung (Reha-Maßnahme, stationäre Pflege)        dementen Patienten mit Weglauftendenzen drohen ohne die
bedarf, eine solche jedoch aus Kapazitätsgründen durch den        Gewährleistung der erforderlichen Obhut erhebliche Schäden.
zuständigen Leistungsträger (Krankenkasse, Pflegekasse) nicht     Auf der anderen, sozialrechtlichen Seite liegt eine sekundäre
bereitgestellt werden kann. Es kommt aber auch vor, dass wäh-     Fehlbelegung vor, wenn der Patient länger als nötig in der stati-
rend des stationären Krankenhausaufenthalts der laufende Pfle-    onären Behandlung verbleibt. Das heißt, die Krankenkassen
geheimvertrag durch den Pflegeheimträger gekündigt wird, und      übernehmen in einem solchen Fall regelmäßig nicht die Kosten,
der Patient nach Abschluss der Krankenhausbehandlung einen        die nach der gescheiterten Entlassung entstanden sind. Viel-
neuen Heimplatz benötigt. Unabhängig von der Fragestellung,       mehr blieben die Krankenhäuser in vielen Fällen in der Vergan-
ob eine solche Kündigung berechtigt ist, stellt sich auch hier    genheit auf diesen Kosten sitzen.
das Problem, dass der Patient nicht ohne Weiteres aus dem
Krankenhaus entlassen werden kann. Auch werden Entlas-            2. Entscheidung des BSG vom 19 November 2019
sungen zum Teil durch die persönlichen Entscheidungen der         Im konkret zu entscheidenden Fall war der Patient wegen einer
Patienten oder Angehörigen erschwert, die die angebotenen         chronischen Lungenerkrankung im Krankenhaus zur intensivme-
Anschluss-Versorgungsmöglichkeiten nicht akzeptieren, weil        dizinischen Komplexbehandlung aufgenommen, eine Anschluss-
zum Beispiel die Pflegeeinrichtung nicht ihren Erwartungen        heilbehandlung vorrangig in einer Lungenfachklinik war bean-
entspricht oder zu weit entfernt liegt.                           tragt und auch bewilligt worden. Eine Verlegung in eine geeignete
                                                                  Reha-Klinik zur Anschlussheilbehandlung war allerdings erst mit
1. Einleitung - Haftungsrechtliche Problem­                       einer erheblichen Verzögerung möglich, wobei die obere Grenz-
stellung                                                          verweildauer um zehn Tage überschritten wurde. Die Krankenkas-
Bis zu dieser Entscheidung des BSG standen die behandelnden       se verrechnete daraufhin ca. ein Drittel des Rechnungsbetrages
Ärzte, wenn die Entlassung scheitert und die Anschlussbehand-     mit unstreitigen Vergütungsforderungen mit der Begründung, dass
lung oder Aufnahme in ein Pflegeheim, nicht stattfinden konn-     die Krankenhausbehandlung jedenfalls ab dem 42. Tag der statio-
te, vor einem erheblichen Entscheidungskonflikt: Entweder         nären Behandlung nicht mehr erforderlich gewesen sei.
entlassen sie den Patienten trotz fortbestehender stationärer     Das SG verurteilte die beklagte Krankenkasse zur Zahlung die-
Behandlungsbedürftigkeit, da keine akut-stationäre Behand-        ses verrechneten Betrages, das LSG wies die Berufung der Kran-
lungsbedürftigkeit mehr besteht, jedoch wohlwissend, dass die     kenkasse zurück. Das BSG entschied4), dass das Krankenhaus
fehlende Anschlussversorgung zu erheblichen medizinischen         einen Anspruch auf Notfallvergütung habe, wenn es Versicher-
Problemstellungen führen kann. Dies hätte zur Folge, dass         te stationär versorgt, weil sie zwar nicht mehr der Kranken-
dann das Damoklesschwert der zivil- und ggf. auch strafrechtli-   hausbehandlung, wohl aber stationärer medizinische Reha be-
chen Haftung über ihnen schwebt.2) Denn nach der Rechtspre-       dürfen und ambulante Behandlung nicht ausreichend ist. In
chung des BGH statuiert der Behandlungsvertrag auch über die      diesen Fällen hat der Krankenhausträger einen Anspruch auf
eigentliche (Heil-)Behandlung hinaus, Schutz- und Fürsorge-       Krankenhausvergütung gegenüber dem Rehabilitationsträger.
pflichten des Arztes gegenüber dem Patienten.3) Diese Schutz-     Mit der angeführten Entscheidung bietet das BSG den entlas-
und Fürsorgepflichten wären verletzt, sollte dem Patienten        senden Krankenhäusern – und auch den Ärzten – einen Aus-
nach der Entlassung aufgrund der Entlassung ohne geeignete        weg aus dem beschriebenen Dilemma zwischen Haftungs- und
Anschlussversorgung etwas zustoßen. Dieses Problem besteht        Sozialrecht an und entwickelt seine Rechtsprechung weiter.

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Vorab ist anzumerken, dass die gesetzlichen Krankenkassen ne-       Anschlussheilbehandlung bedarf, von dem zuständigen Reha-
ben ihrer Aufgabe als Leistungsträger für Leistungen nach dem       bilitationsträger Zahlung für die entstandenen Kosten verlan-
SGB V auch noch Träger der medizinischen Reha-Leistungen            gen kann, wenn dieser dem Krankenhaus eine geeignete Ein-
(Reha-Träger) sind, und auch die Pflegekassen bei den Kran-         richtung nicht rechtzeitig anbietet und der Patient daraufhin in
kenkassen eingerichtet sind. Das heißt, es hängt für den Regres-    dem Krankenhaus verbleibt.8)
sanspruch maßgeblich davon ab, in welcher ihrer Funktionen          Das Krankenhaus werde – so das BSG – im Rahmen der Notfall-
die jeweilige Krankenkasse in Anspruch genommen wird.               versorgung des Patienten als eine nicht zugelassene Reha-Ein-
                                                                    richtung tätig und sichert so die Behandlung des Patienten: Das
3. Vorangegangene BSG-Entscheidung vom                              Gesetz – § 76 Absatz 1 S. 2 SGB V – enthalte einen allgemeinen
17. November 2015                                                   Rechtsgedanken, dass der Versicherte im medizinischen Notfall
Noch im Jahr 2015 entschied das BSG, dass ein Krankenhaus           auch durch nicht zugelassene, aber behandlungsbereite Leis­
keinen Kostenerstattungsanspruch gegen die Krankenkasse hat,        tungserbringer behandelt werden darf. Denn es sollen mög-
wenn es einen Patienten, der vergeblich in eine Betreuungsein-      lichst keine Versorgungslücken zulasten des Versicherten beste-
richtung für psychisch schwer kranke Patienten entlassen wer-       hen.9) Mit anderen Worten: Das Krankenhaus erbringt Reha-
den sollte, weiterhin in stationärer Behandlung behält. Versi-      Leistungen in einem „anderen Gewand“10).
cherte könnten aufgrund ihres Anspruches auf Versorgungs-
und Entlassmanagement keine medizinisch nicht erforderliche         4.1. Vergleichbarkeit von Krankenhausbehandlung und
stationäre Behandlung beanspruchen, da es hier lediglich um         Reha-Behandlung
die im Management liegende Dienstleistung gehe. Tragende Er-        Das BSG beruft sich in seiner Entscheidung auf die Vergleich-
wägung des Gerichts war, dass es nicht Aufgabe der Kranken-         barkeit der stationären (Notfall-) Krankenhausbehandlung mit
kassen sei,                                                         der stationären Reha-Behandlung: In beiden Fällen geht es um
„die für eine erfolgreiche Krankenbehandlung notwendigen ge-        unverzichtbare ärztliche Leistungen. Beide Versorgungsbe-
sellschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen zu schaffen         reiche überschneiden sich in Einzelkomponenten in der Sa-
oder diesbezügliche Defizite durch eine Erweiterung des gesetzli-   che.11) Das BSG argumentiert, dass die Ziele der medizinischen
chen Leistungsspektrums auszugleichen“5).                           Rehabilitation nach dem SGB IX – zum Beispiel die Abwen-
Es widerspräche dem Regelungssystem, den Krankenkassen              dung, Beseitigung, Minderung und Ausgleichung chronischer
ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung, eine Strukturverant-       Krankheiten – ausdrücklich auch bei der Krankenbehandlung
wortung für eine Versorgung aufzuerlegen, die nicht zu ihrem        gelten (§§ 43, 42 Absatz 1 SGB IX). Umgekehrt umfasst die
Aufgabenbereich zählt.                                              Krankenbehandlung nach dem SGB V auch die Leistungen zur
Das Urteil war vor dem oben skizzierten haftungsrechtlichen         medizinischen Rehabilitation (§ 27 Absatz 1 S. 2 Nr. 6 SGB V).
Hintergrund problematisch: Denn daraus wurde geschlussfol-          Deshalb sei es hinzunehmen, dass das Krankenhaus im Notfall
gert, dass der Patient in jedem Fall zu entlassen sei und alles     Reha-Leistungen erbringt.
Weitere das Krankenhaus nicht zu kümmern habe.6) Indirekt           Dass das Krankenhaus nicht alle Mittel der Regelversorgung ei-
wurde mit dem Urteil den Krankenhäusern im konkreten Ein-           ner Reha-Einrichtung erbringen kann, sei unschädlich, denn
zelfall das Problem der strukturellen Mängel übertragen, ob-        eine Notfallversorgung sei besser als gar keine Versorgung.12)
wohl sie noch viel weniger als die Krankenkassen die Möglich-
keit haben, diese Mängel zu beheben.                                4.2. Ordnungsgemäß durchgeführtes Entlassmanagement
Jedoch hielt das BSG bereits damals eine Schadloshaltung bei        Ein weiteres Argument des BSG für die Kostentragungspflicht
den anderen Leistungsträgern (Krankenkasse in ihrer Funktion        des Reha-Trägers war, dass das Krankenhaus seinerseits alle
als Reha-Trägerin, Pflegekasse) und dem Versicherten für mög-       wirtschaftlich zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um
lich.7)                                                             dem Patienten eine rechtzeitige Verlegung in die Reha-Einrich-
                                                                    tung zu ermöglichen.13) Hier schlägt das BSG den Bogen zu
4. Voraussetzungen des Regressanspruches                            einem ordnungsgemäß durchgeführten Entlassmanagement
Über eine solche Inanspruchnahme der Krankenkasse als Reha-         (§ 39 Absatz 1a SGB V): Aus der Entscheidung lässt sich he-
Leistungsträgerin entschied das BSG nun im Jahr 2019 und            rauslesen, dass es dem BSG gerade auch darauf ankam, dass
stellte hierbei klar: Die Kosten, die durch die gescheiterte Ent-   das Krankenhaus den zuständigen Reha-Träger frühzeitig und
lassung entstanden sind, haben diejenigen zu tragen, die für        mit ausreichendem Zeitpuffer in das Entlassmanagement einbe-
das Defizit verantwortlich sind und dieses beheben können. In       zog. Deshalb ist zukünftig besondere Achtsamkeit darauf zu
dem Sachverhalt der BSG-Entscheidung ging es – wie bereits          legen, dass das Entlassmanagement im Einklang mit den ge-
oben dargestellt – um die Überleitung aus der Krankenhausbe-        setzlichen Regeln – insbesondere auch dem Rahmenvertrag
handlung (Leistungen nach SGB V) in die anschließende medi-         Entlassmanagement14) – durchgeführt wird, um sich den Re-
zinische Reha (Leistungen nach SGB IX).                             gressanspruch gegenüber den Krankenkassen zu erhalten. Die
Das BSG entschied, dass das Krankenhaus bei der Entlassung          Vorgänge sind möglichst genau zu dokumentieren, nicht zu-
eines Patienten, der einer Aufnahme in eine Reha-Klinik zur         letzt, um in einem möglichen Prozess gegen die Krankenkassen

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bzw. Pflegekassen auf Kostenerstattung nicht in Beweisnot zu        Kosten in der Obhut des Krankenhauses verbleiben kann und
geraten.                                                            sich selbst um eine Kostenerstattung kümmern muss.
Damit gilt: Nur, wenn das Krankenhaus seine Pflichten aus dem       Auch im Falle der Ablehnung einer angebotenen Anschlussver-
Entlassmanagement erfüllt, kann der Reha-Träger in Anspruch         sorgung durch den Patienten oder seine Angehörigen müssen
genommen werden.15)                                                 die Kosten für den verlängerten, aber medizinisch nicht mehr
Die wesentlichen Grundsätze eines ordnungsgemäßen Entlass-          notwendigen stationären Aufenthalt durch den Patienten selbst
managements sind:                                                   getragen werden. Entspricht die angebotene Versorgungsmög-
– Erstellung eines Entlassplans                                     lichkeit nicht seinen Erwartungen, oder liegt das Pflegeheim
– Kommunikation mit Patient bzw. dessen Betreuer                    nach Ansicht der Angehörigen zu weit entfernt, so kann dies
– Frühestmögliche Einbeziehung der anderen Leistungsträger,         nicht dazu führen, dass das Krankenhaus letztlich die Kosten für
   wie Pflegekasse oder Reha-Träger (ggf. direkt am Tag der         die weitere stationäre Behandlung oder zumindest das Kosten­
   Aufnahme des Patienten)                                          risiko hierfür trägt. In solchen Fällen sollte der Patient hinrei-
– Frühestmögliche Einbeziehung der aufnehmenden Einrich-            chend über seine eigene Kostentragungspflicht nachweisbar
   tung (Pflegeheim, Reha-Einrichtung)                              aufgeklärt werden. Bestenfalls sollte ein Vertrag über die verlän-
– Dokumentation durch Entlassbrief                                  gerte stationäre Behandlung auf Wunsch des Patienten und bei
                                                                    Kostentragung durch den Patienten geschlossen werden.
4.3. Höhe des Erstattungsanspruchs
Zur Höhe des Erstattungsanspruchs entschied das BSG, dass           5. Übertragung der BSG-Entscheidung auf die
sich dieser nicht an den zwischen den Reha-Trägern und den          Überleitung aus der stationären Krankenhaus-
Reha-Einrichtungen bestehenden Verträgen zu orientieren             behandlung in eine stationäre Pflegeeinrich-
habe. Er ergebe sich vielmehr aus dem Krankenhausfinanzie-          tung?
rungsgesetz, dem Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG), der            Die Entscheidung des BSG befasst sich nur mit der Überleitung
Bundespflegesatzverordnung (BPflVO) sowie den untergesetz-          aus der stationären Krankenhausbehandlung in eine Reha-Ein-
lichen Normen einschließlich der Normverträge, insbesondere         richtung. Hinsichtlich der Überleitung von Patienten in ein sta-
auch aus der jeweiligen Fallpauschalenvereinbarung.16) Das          tionäres Pflegeheim oder andere sektorenübergreifende Entlas-
Krankenhaus ist somit nicht gehalten, eigenständige, kosten-        sungen trifft das Urteil keine Aussage. Gerade im Hinblick auf
günstigere Versorgungsstrukturen zu schaffen, die sich an de-       die fehlenden Kapazitäten für speziell pflegebedürftige Pati-
nen der Reha-Einrichtungen orientieren. Denn es ist gerade          enten (etwa Personen mit psychiatrischen Auffälligkeiten),
Sache der Reha-Träger, die von ihnen verantwortete stationäre       stellt sich die Frage, ob das Urteil des BSG eine Lösung auch für
Reha-Versorgungsstruktur so zu gestalten, dass eine nahtlose        diese Fälle bereit hält, in denen ein geeigneter Pflegeheimplatz
Anschlussbehandlung möglich ist.                                    nach Abschluss der stationären Krankenhausbehandlung nicht
Das Krankenhaus konnte dem Reha-Träger damit seine Kosten           gefunden werden kann.
entsprechend der Krankenhausvergütungsregelungen vollstän-          Überträgt man die BSG-Rechtsprechung auf die Überleitung aus
dig auferlegen.                                                     der stationären Krankenhausbehandlung in die stationäre Pfle-
                                                                    ge, bedeutet dies, dass das Krankenhaus als „Notfall-Pflegeein-
4.4. Keine eigenmächtige Entscheidung über die Reha-Be-             richtung“ tätig werden muss, um einen Regressanspruch gegen
handlung                                                            die Pflegekasse geltend machen zu können. Anspruchsgegner
Allerdings ist zu beachten, dass durch die Weiterbehandlung im      des Krankenhauses wäre somit die Pflegekasse.
Krankenhaus nicht eine (für rechtswidrig erachtete) ablehnende      Hier gelten gleichermaßen die strengen Anforderungen an ein
Entscheidung der Reha-Träger übergangen werden darf.17)             ordnungsgemäßes Entlassmanagement, die unbedingt einzu-
­Hieran ist zum Beispiel stets zu denken, wenn der Reha-Träger      halten sind. Der Rahmenvertrag zum Entlassmanagement gilt
 die Reha-Behandlung nicht bewilligt. Gegen solche ablehnen-        auch bei der Entlassung und Überleitung in eine stationäre Pfle-
 den Entscheidungen des Reha-Trägers kann nur der Patient           geeinrichtung. Es gilt, die Pflegekassen möglichst frühzeitig in
 rechtlich vorgehen. Hier droht für das entlassende Krankenhaus     die geplante Entlassung einzubeziehen.
 ein Kostenrisiko: Fußt die Entscheidung des Reha-Trägers nicht     Nach der Diktion des BSG müssen die Leistungen vergleichbar
 auf fehlenden Kapazitäten, sondern auf einer richtigerweise feh-   sein. Hier geht es um Leistungen im Rahmen einer stationären
 lenden Reha-Behandlungsbedürftigkeit des Patienten, und be-        Krankenhausbehandlung (SGB V) und Leistungen der statio-
 hält das Krankenhaus den Patienten (irrtümlich oder aus gutge-     nären Pflege (SGB XI). Die Hauptleistungen von Krankenhäu-
 meinten Gründen) weiter in seiner Obhut, besteht kein Vergü-       sern und Pflegeeinrichtungen sind auf den ersten Blick nicht
 tungsanspruch gegen den Reha-Träger. Es liegt eine sekundäre       vergleichbar: Während auf der einen Seite die Behandlung von
 Fehlbelegung vor. Dies gilt auch dann, wenn sich im Nachhinein     Krankheiten im Vordergrund steht, stehen auf der anderen Seite
 herausstellen sollte, dass die Nichtbewilligung durch den Reha-    die körperbezogenen Pflegemaßnahmen und die pflegerischen
 Träger rechtswidrig war. In solchen Fällen kann es angezeigt       Betreuungsmaßnahmen im Vordergrund. Zu bedenken ist auch,
 sein, den Patienten darüber aufzuklären, dass er nur auf eigene    dass Krankenhäuser ausdrücklich keine Pflegeeinrichtungen

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sind (§ 71 Absatz 4 Nr. 2 SGB XI). Damit scheint ein Exklusivi-    beheben.22) Das BSG nennt hier ausdrücklich die Unterversor-
tätsverhältnis vorzuliegen.                                        gung bei den Betreuungseinrichtungen für psychisch schwer
Das BSG fordert jedoch nur eine Überschneidung der Versor-         kranke Patienten, zu denken ist aber auch an fehlende Pflege-
gungsbereiche in Einzelkomponenten.18) Eine teilweise Über-        einrichtungen für behinderte Menschen.
schneidung ergibt sich hier daraus, dass im Rahmen der statio-
nären Pflege auch Leistungen der medizinischen Behandlungs-        6. Fazit
pflege erbracht werden (§ 43 Absatz 2 S. 1 SGB XI). Das sind       Zusammenfassend zeigt sich, dass das Urteil des BSG vom
insbesondere solche medizinischen Hilfeleistungen, die nicht       19. November 2019 in Verbindung mit dem Urteil aus dem Jahr
vom behandelnden Arzt selbst erbracht werden, wie Injekti-         2015 ein geschlossenes Bild zeichnet: Die jeweiligen Leistungs-
onen, Verbandwechsel, Katheterisierung, Sicherung des not-         träger – also die Krankenkassen, Reha-Träger oder Pflegekassen
wendigen Patientenbeitrags zur ärztlichen Therapie (zum Bei-       – sind verantwortlich für die in ihrem Versorgungsbereich be-
spiel Medikamenteneinnahme, Aufklärung über Medika-                stehenden Versorgungsdefizite. Sie haften gegenüber den Leis­
mente).19) Diese Leistungen der medizinischen Behandlungs-         tungserbringern für die Kosten, die durch das Scheitern einer
pflege sind deckungsgleich mit solchen der häuslichen              Überleitung in ihren Versorgungsbereich, entstehen.
Krankenpflege i. S. d. § 37 SGB V.20) Die häusliche Krankenpfle-   Das Urteil des BSG vom 19. November 2019 ist daher auf wei-
ge erfolgt, wenn eine Krankenhausbehandlung geboten, aber          tere sektorenübergreifende Entlassungen übertragbar.
nicht ausführbar ist. Daraus kann geschlossen werden, dass         Durch eine Geltendmachung des Regressanspruchs wird die
solche Leistungen in der Regel Teil der Krankenhausbehand-         Problematik fehlender Betten in Intensivpflegeheimen oder
lung sind und damit auch grundsätzlich von der Krankenkasse        Reha-Einrichtungen zwar nicht gelöst, hierdurch kann aber auf
zu übernehmen sind.21) Damit überschneiden sich die Versor-        Entscheidungsträger Druck ausgeübt werden, damit endlich
gungsbereiche zumindest teilweise.                                 eine ausreichende Versorgungsstruktur geschafft wird.
Somit müsste unter Anwendung und Einhaltung der Anforde-
rungen der Rechtsprechung des BSG auch in einem solchen Fall       Anmerkungen
ein Erstattungsanspruch gegen die Pflegekassen bestehen. Da-       1)    BSG, Urteil vom 19. November 2019 – B 1 KR 13/19 R.

mit gilt: Scheitert die Überleitung aus der stationären Kranken-   2)    Makoski, jurisPR-MedizinR 1/2016 Anm. 4.

hausversorgung in eine stationäre Pflegeeinrichtung wegen feh-     3)    BGH (VI. Zivilsenat), Urteil vom 26.06.2018 - VI ZR 285/17.

lenden Kapazitäten in den Pflegeeinrichtungen, ist an einen        4)    BSG, Urteil vom 19. November 2019 – B 1 KR 13/19 R.
                                                                   5)    BSG, Urteil vom 17. November 2015 – B 1 KR 20/15 R, Rn. 11.
Regressanspruch gegen die Pflegekassen zu denken.
                                                                   6)    Makoski, jurisPR-MedizinR 1/2016 Anm. 4; Zawade, Anmerkung zu BSG, Urt.
                                                                         v. 17 November 2015 − B 1 KR 20/15 R, SGb 2017, 212 (217).
6. Übertragung der BSG-Entscheidung auf wei-                       7)    BSG, Urteil vom 17. November 2015 – B 1 KR 20/15 R, Rn. 15.
tere sektorenübergreifende Entlassungen?                           8)    BSG, Urteil vom 19. November 2019 – B 1 KR 20/15 R.
Wie gezeigt, lässt sich die Rechtsprechung des BSG zumindest       9)    BSG, Urteil vom 19. November 2019 – B 1 KR 20/15 R, Rn. 11.
auf die Überleitung aus der stationären Krankenhausbehand-         10) Plagemann, Sekundäre Fehlbelegung im Krankenhaus – eine Kostenfalle?,
lung in die stationäre Pflege übertragen.                              Gesundheit und Praxis, 2019, 145 (146).

Doch zeigen sich in dem Urteil durchaus auch Anhaltspunkte,        11)   BSG, Urteil vom 19. November 2019 – B 1 KR 20/15 R, Rn. 17.

dass diese Grundsätze bei jeder fehlgeschlagenen sektorenüber-     12) BSG, Urteil vom 19. November 2019 – B 1 KR 20/15 R, Rn. 20.

greifenden Überlassung Anwendung finden können, wenn fol-          13) BSG, Urteil vom 19. November 2019 – B 1 KR 20/15 R, Rn. 28.
                                                                   14) in der Fassung der 2. Änderungsvereinbarung vom 12. Dezember 2018, ab-
gende Voraussetzungen vorliegen:
                                                                       geschlossen zwischen dem GKV-Spitzenverband (als Spitzenverband der
– Das geforderte Entlassmanagement wurde ordnungsgemäß                 Kranken- und Pflegekassen), der Kassenärztlichen Bundesvereinigung
    durchgeführt,                                                      und dem Deutsche Krankenhausgesellschaft e. V.

– ein Notfall besteht in dem Sinne, dass die notwendige Über-      15) Plagemann, FD-SozVR 2020, 426381.
                                                                   16) BSG, Urteil vom 19. November 2019 – B 1 KR 20/15 R, Rn. 25 f.
    leitung aus Kapazitätsgründen fehlschlägt und
                                                                   17)   BSG, Urteil vom 19. November 2019 – B 1 KR 20/15 R, Rn. 16.
– die Leistungen sind miteinander vergleichbar, zumindest in
                                                                   18) BSG, Urteil vom 19. November 2019 – B 1 KR 20/15 R, Rn. 17.
    Einzelkomponenten.
                                                                   19) Reimer, in Hauck/Noftz (Begr.), SGB XI, Stand 9/19, § 43 Rn. 14.
Den Aussagen des BSG, dass es gerade Sache des jeweils ande-
                                                                   20) Luik, in: Schlegel/Voelzke (Hrsg.), Juris-PK SGB XI, 2. Auflage 2017, § 43,
ren Sozialleistungsträgers sei, eine ausreichende Versorgungs-         Rn. 92; Diepenbruck, BeckOK SGB XI, 55. Edition 2016, § 43 Rn. 32.
struktur zu schaffen, und, dass bestehende Versorgungslücken       21) Diepenbruck, BeckOK SGB XI, 55. Edition 2016, § 43 Rn. 33.
durch eine Notfallbehandlung geschlossen werden müssen,            22) BSG, Urteil vom 17. November 2015 − B 1 KR 20/15 R, Rn. 11.
lässt sich daher ein verallgemeinerungsfähiger Rechtssatz ent-
nehmen.                                                            Anschrift der Verfasser
Dies ist in Zusammenhang mit dem oben angesprochenen Ur-           Dr. Ulrike Brucklacher, Rechtsanwältin, Fachanwältin für
teil aus dem Jahr 2015 zu sehen: Hier entschied das BSG, dass      ­Medizinrecht/Christoph Renz, wissenschaftlicher Mitarbeiter,
die gesetzlichen Krankenkassen keine Möglichkeit haben,             VOELKER & Partner Rechtsanwälte Wirtschaftsprüfer Steuer-
strukturelle Mängel außerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs zu       berater, Am Echazufer 24, 72764 Reutlingen                 n

500                                                                                                              6.2020 |
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