Professionalisierung von Beratung im Kontext des SGB II - Universität Münster
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Professionalisierung von Beratung im Kontext des SGB II Ein gemeinsames Forschungsprojekt des Münsteraner Beratungslabors und des Jobcenters der Stadt Münster. Ergebnisse und Anregungen für die Praxis Westfälische Wilhelms-Universität Institut für Psychologie Münsteraner Beratungslabor Fliednerstraße 21 48149 Münster www.beratungslabor.wwu.de Wissenschaftliche Leitung Prof. Dr. Joscha Kärtner Geschäftsführende Leitung Dr. Eva-Maria Schiller Projektleitung und Ansprechpartner Dipl.-Psych. Pascal Rickert E-Mail: pascal.rickert@uni-muenster.de
Professionalisierung von Beratung im Kontext des SGB II Juni 2018 Für Eilige: Forschungsprojekt und Ergebnisse Das Forschungsprojekt „Professionalisierung von Beratung im Kontext des SGB II“ des Münsteraner Beratungslabors des Instituts für Psychologie der Westfälischen Wilhelms-Universität und des Jobcenters der Stadt Münster bietet Jobcentern Orientierung bei der Personalauswahl und - entwicklung und leistet einen Beitrag zur Entwicklung eines Berufsbildes für Beratende im SGB II. Die Fragestellungen sind: (1) Welche Kompetenzen brauchen die Integrationsfachkräfte der Jobcenter für die Beratung im Kontext des SGB II?, (2) Inwiefern bestehen Unterschiede zwischen Integrationsfachkräften in der Umsetzung des gesetzlichen Beratungsauftrages?, (3) Wie lassen sich diese Unterschiede erklären? Der Fokus liegt auf der Beratung durch Integrationsfachkräfte im Bereich der aktiven Leistungen. Dabei wird das aktuelle SGB II System als unveränderbar vorausgesetzt. Der Kompetenzkatalog für die Beratung in Bildung, Beruf und Beschäftigung [30] eignet sich als Startpunkt für die Entwicklung eines Berufsbildes für Beratende im SGB II. Trotz Einigkeit in Bezug auf die Wichtigkeit des Kompetenzkataloges herrschen große Unterschiede zwischen den Integrationsfachkräften hinsichtlich seiner konkreten Umsetzung. Beratungskompetenzen erlauben folglich keine ausreichend detaillierte Kommunikation über das Beratungsgeschehen. Das neu entwickelte und frei verfügbare Employment Counseling Inventory (ECI) erfasst Unterschiede zwischen Beratenden im SGB II auf Ebene von Verhaltensweisen, Zielen und Themen für den Beratungsprozess im sogenannten ECI-Profil. Das ECI-Profil besteht im Detail aus den folgenden Dimensionen: Partizipation, Transparenz, Wertschätzung, Direktivität, Aktive Konfliktlösung, klientenorientierte Ziele, gesetzorientierte Ziele, klientenorientierte Themen, gesetzorientierte Themen. Ein kurzer Leitfaden für die Anwendung in der Personalauswahl und -entwicklung ist geplant. Integrationsfachkräfte unterscheiden sich stark in ihren ECI-Profilen. Das ECI-Profil wird durch das Geschlecht, die Berufserfahrung im Jobcenter, den Abschluss einer ein- bis dreijährigen Beraterweiterbildung, interne und externe Kontrollüberzeugungen, die gerechtigkeitsorientierte Selbstwirksamkeit sowie die allgemeine Selbstwirksamkeit beeinflusst. Seite 2
Professionalisierung von Beratung im Kontext des SGB II Juni 2018 Für Eilige: Anregungen für die Praxis Entwicklung eines eigenen Leitbildes für die Beratung. Der sehr umfassende und frei verfügbare Kompetenzkatalog für die Beratung in Bildung, Beruf und Beschäftigung [30] kann Jobcentern als Basis für die Entwicklung eines eigenen Leitbildes für die Beratung dienen. Das ebenfalls frei verfügbare Employment Counseling Inventory (ECI, siehe Anhang Seite 20) konkretisiert ein solches Leitbild für das beraterische Handeln und Denken im direkten Kundenkontakt und erlaubt Jobcentern eine konkrete und detaillierte Positionierung hinsichtlich einer gewünschten Umsetzung des gesetzlichen Beratungsauftrages. Personalauswahl. Entsprechend den Ergebnissen der Vorstudie könnten zwei unterschiedliche Bewerberinnen bzw. Bewerber gleichermaßen geeignet erscheinen, wenn man Sie zu Ihren beraterischen Kompetenzen befragt und trotzdem in der Praxis sehr unterschiedlich handeln. Verhaltensbasierte Verfahren können folglich eine wertvolle Ergänzung für Personalauswahl sein (z.B. kurze Rollenspiele; vgl. Aufgaben zur Arzt-Patient-Kommunikation im Auswahltest für das Medizinstudium). Die Verwendung von konkreten Fragen aus dem Employment Counseling Inventory (ECI) in Auswahlgesprächen kann darüber hinaus zur Strukturierung des Gesprächs dienen und Unterschiede zwischen Bewerberinnen und Bewerbern im beraterischen Handeln und Denken sichtbar machen. Ein kurzer Leitfaden ist in Arbeit. Personalentwicklung. Das Employment Counseling Inventory (ECI) kann sehr einfach als Tool zur Reflexion der beraterischen Praxis in Einzel- oder Gruppensupervision verwendet werden und darüber hinaus Führungskräfte befähigen, Integrationsfachkräften im Rahmen der Qualitätssicherung und - entwicklung konkrete und detaillierte Fragen zur beraterischen Praxis zu stellen. Ein kurzer Leitfaden ist in Arbeit. Qualitätssicherung. Die Ergebnisse des Forschungsprojektes offenbaren große Unterschiede zwischen Integrationsfachkräften in der Umsetzung des gesetzlichen Beratungsauftrages und Probleme in der Kommunikation über das Beratungsgeschehen. Die Qualität der Beratungsdienstleistungen könnte möglicherweise profitieren, wenn Führungskräfte der unteren Leitungsebene beraterisch sehr gut geschult und über konkretes und detailliertes Beratungsvokabular und -wissen verfügen, um in der Kommunikation mit den Integrationsfachkräften die Qualität der Beratungsdienstleistungen überprüfen und sicherstellen zu können (z.B. in Fallbesprechungen und Supervision). Das Employment Counseling Inventory (ECI) kann Führungskräfte in einem ersten Schritt dazu befähigen unterschiedliche Dimensionen beraterischen Denkens und Handelns besser zu identifizieren und selber gezielter Fragen zur beraterischen Praxis stellen zu können. Seite 3
Professionalisierung von Beratung im Kontext des SGB II Juni 2018 1 Das Forschungsprojekt „Professionalisierung von Beratung im Kontext des SGB II“ Die Beratung von arbeitslosen Menschen im Kontext des SGB II gehört mit ca. 4,2 Millionen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten [8] zu den größten Handlungsfeldern beraterischer Tätigkeit in Deutschland. Die Beratung im SGB II ist sehr komplex, da viele unterschiedliche Themen, wie beispielsweise Gesundheit, Leistungsfähigkeit, Erwerbsbiografie, Qualifikation, Tagesstruktur und Motivation [5] eine Rolle spielen und sich die Integrationsfachkräfte in einer Doppelrolle zwischen Unterstützung und Kontrolle befinden [25,4]. Die Kundinnen und Kunden kommen außerdem nicht grundsätzlich freiwillig in die Beratung [15] und besitzen in fast jedem dritten Fall eine Migrationsvorgeschichte [9]. Die Jobcenter sind zur Erbringung dieser komplexen Beratungsdienstleistung auf qualifiziertes Personal angewiesen. Aber bis heute gibt es kein einheitliches Berufsbild für die Beratung im SGB II, das als Orientierung für die Personalauswahl und -entwicklung dienen könnte. Ein Grund dafür ist der Mangel an wissenschaftlichen Erkenntnissen über notwendige Beratungskompetenzen [31]. Das Forschungsprojekt „Beratungskompetenzen im SGB II“ trägt dazu bei, diese Wissenslücke zu schließen. Das Erkenntnisinteresse gilt den Integrationsfachkräften in der Beratung im Bereich der aktiven Leistungen. Das aktuelle SGB II System wird als unveränderbar vorausgesetzt. Dabei interessieren die folgenden Fragestellungen: (1) Welche Kompetenzen brauchen die Integrationsfachkräfte der Jobcenter für die Beratung im Kontext des SGB II? (2) Inwiefern bestehen Unterschiede zwischen Integrationsfachkräften in der Umsetzung des gesetzlichen Beratungsauftrages? (3) Wie lassen sich diese Unterschiede erklären? Übersichtliche Zusammenfassungen der a priori Wissensbasis und die Ergebnisse finden Sie jeweils unter den Kapiteln dieses Berichts, die den Fragestellungen entsprechend benannt sind. Im Anhang finden Sie eine kurze Zusammenfassung der Statistik, die aus Gründen der Lesbarkeit bewusst kurzgehalten und vom Fließtext getrennt dargestellt wird. Alle Ergebnisse finden Sie im Detail in den entsprechenden wissenschaftlichen Veröffentlichungen [33,34] oder beim Ansprechpartner des Münsteraner Beratungslabors. Die Beantwortung der Fragestellungen erfolgte im Zeitraum von Sommer 2016 bis Sommer 2018 in mehreren Teilschritten, die auf der folgenden Seite kurz skizziert werden. Der vorliegende Forschungsbericht ist zur internen Verwendung für alle Jobcenter verfügbar. Seite 4
Professionalisierung von Beratung im Kontext des SGB II Juni 2018 Teilschritte im Forschungsprojekt Schritt 1: Entwicklung der Fragestellungen Die Fragestellungen wurden gemeinsam vom Münsteraner Beratungslabor und der Amtsleitung und stellvertretenden Amtsleitung des Jobcenters der Stadt Münster entwickelt. Schritt 2: Hospitationen im Jobcenter der Stadt Münster Zur Überprüfung von Vorannahmen und zur Einbeziehung der Perspektive der Integrationsfachkräfte wurden Hospitationen bei insgesamt zehn Beratungsgesprächen im Jobcenter der Stadt Münster durchgeführt. Schritt 3: Entwicklung der Vorstudie Der methodische Zugang sollte einen geringen administrativen Aufwand verursachen und eine hohe Beteiligung ermöglichen. Folglich wurde ein Online-Fragebogen entwickelt. Zur Überprüfung der Verständlichkeit und Handhabbarkeit des Fragebogens wurden u.a. vier jeweils zweistündige Interviews mit Integrationsfachkräften des Jobcenters der Stadt Münster und Beratenden der Zentralen Studienberatung der Universität Münster durchgeführt. Schritt 4: Vorstudie in Münster und Warendorf (Online-Umfrage Nr. 1) Die Vorstudie wurde im April und Mai 2017 in den Jobcentern Münster und Warendorf durchgeführt. Insgesamt beantworteten 74 Integrationsfachkräfte den gesamten Fragebogen. Die Alterskategorien reichten von „21-25 Jahre“ bis „61 und älter“ (am häufigsten: „36-40“, ca. 22 %). Es nahmen mehr Frauen (ca. 66 %) als Männer (ca. 34 %) teil. Die Stichprobe beinhaltet Integrationsfachkräfte ohne (ca. 92 %) und mit Führungsverantwortung (ca. 8 %). Im Durchschnitt hatten die befragten Personen ca. 12 Jahre (SD = 8.65) Beratungserfahrung. Schritt 5: Auswertung der Vorstudie und Vorbereitung der Haupterhebung Die Ergebnisse der Vorstudie lieferten insbesondere Erkenntnisse zur Frage, welche Beratungskompetenzen für die Beratung notwendig sind und dienten der Weiterentwicklung des Online-Fragebogens. Schritt 6: Haupterhebung in Jobcentern in NRW (Online-Umfrage Nr.2) Die Haupterhebung wurde im September und Oktober 2017 in 26 teilnehmenden Jobcentern in NRW durchgeführt1. Insgesamt beantworteten 771 Integrationsfachkräfte den gesamten Fragebogen. Die Alterskategorien reichten von „21-25 Jahre“ bis „61 und älter“ (am häufigsten: „52-55“, n = 134). Es nahmen mehr Frauen (ca. 64 %) als Männer (ca. 36 %) teil2. Die Stichprobe beinhaltet Integrationsfachkräfte ohne (ca. 84 %) und mit Führungsverantwortung (ca. 16 %). Im Durchschnitt hatten die befragten Personen ca. 13 Jahre (SD = 9.35) Beratungserfahrung. Schritt 7: Forschungsbericht Der Forschungsbericht dokumentiert die Ergebnisse und ist zur internen Verwendung für alle Jobcenter verfügbar. 1 Bielefeld, Bonn, Ennepe-Ruhr-Kreis, Essen, Euskirchen, Gütersloh, Hamm, Herford, Hochsauerlandkreis, Höxter, Kleve, Lippe, Mettmann, Mönchengladbach, Oberbergischer Kreis, Recklinghausen, Rheinisch-Bergischer Kreis, Rhein-Kreis-Neuss, Rhein-Sieg-Kreis, Siegen-Wittgenstein, Solingen, Städte-Region Aachen, Steinfurt, Unna, Wesel, Wuppertal 2 Eine Person gab „andere“ als Geschlecht an und eine Person machte keine Angabe. Seite 5
Professionalisierung von Beratung im Kontext des SGB II Juni 2018 2 Welche Kompetenzen brauchen die Integrationsfachkräfte der Jobcenter für die Beratung im Kontext des SGB II? 2.1 Ausgangslage und Vorwissen Bislang gibt es nur wenig empirische Forschung zu Beratungskompetenzen im Kontext des SGB II. Die bedeutsamsten Ergebnisse im deutschsprachigen Raum stammen aus einem Verbundprojekt des Nationalen Forums Beratung und der Forschungsgruppe Beratungsqualität am Institut für Bildungswissenschaft der Universität Heidelberg. Dort wird Beratung verstanden als nicht- standardisierbarer Prozess der Selbstorganisation, der durch die Beteiligung der Ratsuchenden und Beratenden ermöglicht und gestaltet wird [37,38]. Die Beratungssituation wird anhand eines systemischen Kontextmodells beschrieben (siehe Abbildung 1). Abbildung 1: Das systemische Kontextmodell der Beratung [30] Beratungskompetenzen werden innerhalb eines performanzorientierten Kompetenzmodells definiert [30]. Demnach setzen sich Beratungskompetenzen zusammen aus gezeigtem Verhalten und vorhandenen kognitiven Potentialen (z.B. Wissen, Fertigkeiten, Haltungen, usw.). Entsprechend dem systemischen Kontextmodell der Beratung benötigen Beratende Kompetenzen auf jeder Ebene bzw. in jedem Sub-System des Beratungskontextes (siehe Abbildung 2). Für das direkte Gespräch von Integrationsfachkräften mit ihren Kundinnen und Kunden sind die prozessbezogenen Kompetenzen unmittelbar relevant und wurden daher in diesem Forschungsprojekt fokussiert. In den kognitiven Interviews und Vorgesprächen gab es allerdings Hinweise darauf, dass Integrationsfachkräfte die Kompetenzen im Kontext des SGB II unterschiedlich verstehen bzw. umsetzen. Seite 6
Professionalisierung von Beratung im Kontext des SGB II Juni 2018 Abbildung 2: Ebenen des Kompetenzmodells [30] 2.2 Methode In der Vorstudie sollte u.a. geklärt werden, inwiefern der Kompetenzkatalog für die Beratung in Bildung, Beruf und Beschäftigung in den Kontext des SGB II übertragbar ist. Dazu wurden 20 prozessbezogene Einzelkompetenzen ausgewählt. Diese Kompetenzen wurden in ihrer Formulierung angepasst, um die Erfordernisse einer Fragebogenbefragung zu erfüllen (u.a. Eindeutigkeit, Prägnanz). Die teilnehmenden Integrationsfachkräfte (n = 74) bewerteten die Kompetenzen hinsichtlich der wahrgenommenen Wichtigkeit für die tägliche Beratungsarbeit auf einer 5-Punkte Skala (überhaupt nicht wichtig, nicht sehr wichtig, einigermaßen wichtig, wichtig, äußerst wichtig). Um zu prüfen, inwiefern alle Integrationsfachkräfte ein gleiches Verständnis der Kompetenzen teilen, wurde außerdem erfasst, wie die Kompetenzen im Alltag üblicherweise umgesetzt werden. Dazu wurden jeweils zwei unterschiedliche Möglichkeiten angeboten und die Zustimmung der Integrationsfachkräfte zu diesen Vorgehensweisen erfragt. Die konkreten Fragen finden Sie im Anhang (Seite 22). 2.3 Ergebnisse Im Durchschnitt beurteilten mehr als 80 % der Integrationsfachkräfte die abgefragten Kompetenzen als wichtig oder äußerst wichtig (siehe Abbildung 3). Drei der abgefragten Beratungskompetenzen wurden deutlich weniger oft als wichtig oder äußerst wichtig bewertet. Diese sind: (a) „Gemeinsam mit den Kundinnen und Kunden die Erwartungen an die Beratung klären“ (k9; ca. 69 % wichtig oder äußerst wichtig); (b) „Gemeinsam mit den Kundinnen und Kunden eine Vereinbarung hinsichtlich der schriftlichen Aufzeichnungen während des Beratungsgespräches treffen“ (k3; ca. 44 % wichtig oder äußerst wichtig); (c) „Bei Bedarf mit den Kundinnen und Kunden wissenschaftlich anerkannte und geeignete diagnostische Verfahren zur Kompetenzermittlung und/oder Selbsteinschätzung einsetzen“ Seite 7
Professionalisierung von Beratung im Kontext des SGB II Juni 2018 (k17; ca. 40 % wichtig oder äußerst wichtig). Über alle Integrationsfachkräfte hinweg besteht signifikant mehr Einigkeit bei der Beurteilung der Wichtigkeit der einzelnen Beratungskompetenzen als bei der Beurteilung der Umsetzungsmöglichkeiten. Eine Zusammenfassung der Statistik finden Sie im Anhang (Seite 25). 100 Prozent aller Integrationsfachkräfte (n=74) 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 k1 k2 k3 k4 k5 k6 k7 k8 k9 k10 k11 k12 k13 k14 k15 k16 k17 k18 k19 k20 abgefragte Beratungskompetenzen wichtig nicht wichtig fehlend Durchschnitt Abbildung 3: Beurteilung der Beratungskompetenzen durch die Integrationsfachkräfte (n=74). Die Antwortkategorien „wichtig“ und „äußerst wichtig“ wurden als „wichtig“ zusammengefasst. Die Antwortkategorien „nicht wichtig“ und „nicht sehr wichtig“ wurden als „nicht wichtig“ zusammengefasst. Der berichtete Durchschnitt gibt an, wie viele Integrationsfachkräfte über alle Kompetenzen hinweg mit „wichtig“ oder „äußerst wichtig“ geantwortet haben. 3 Inwiefern bestehen Unterschiede zwischen Integrationsfachkräften in der Umsetzung des gesetzlichen Beratungsauftrages? 3.1 Ausgangslage und Vorwissen Systematisches Wissen über die Ausprägungen beraterischen Handelns und Denkens ist notwendig, um die Wirkung von Beratung differenziert erfassen zu können. Wissen über die Wirkung von Beratung wiederum ist notwendig, um erfolgreiches Beratungshandeln und -denken zu identifizieren und fördern zu können. Die Vorstudie hat gezeigt, dass Integrationsfachkräfte im SGB II größtenteils einheitlich über die Notwendigkeit der abgefragten Beratungskompetenzen urteilen. Allerdings zeigten sich erhebliche Unterschiede in der Art und Weise, wie Integrationsfachkräfte die Beratungskompetenzen konkret umsetzen (siehe Kapitel 2). Diese Unterschiede sind als Ausgangslage für weitere Forschung zur Wirkung von Beratung von großem Interesse. Da für ihre Erfassung kein geeignetes Erhebungsinstrument zur Verfügung stand, wurde ein eigenes Fragebogeninventar entwickelt: das Employment Counseling Inventory (ECI). Seite 8
Professionalisierung von Beratung im Kontext des SGB II Juni 2018 3.2 Methode Um beraterisches Handeln und Denken im Kontext des SGB II umfassend und detailliert abbilden zu können wurden neue Skalen entwickelt. Sie umfassen die beraterischen Verhaltensweisen, Ziele und Themen der Integrationsfachkräfte für den Beratungsprozess. Beratungshandeln wurde zunächst mit 28 Fragen in fünf Kategorien erfasst (Partizipation, Wertschätzung, Transparenz, Direktivität, Aktive Konfliktlösung), basierend auf typischen Aufgaben in der Arbeitslosenberatung [u.a. 7,14,16,17]. Zwar existieren gesetzlich vorgegebene Ziele und Themen für die Beratung im SGB II, allerdings können Integrationsfachkräfte in ihren Gesprächen eigenverantwortlich Schwerpunkte setzen. Ziele wurden daher zunächst mit 23 Fragen und Themen zunächst mit 24 Fragen erfasst. Basierend auf den Erkenntnissen der Vorstudie und existierender Forschung zum sogenannten Doppelmandat in der Beratung [25] wurden die Fragen zu Zielen und Themen in jeweils zwei Kategorien unterteilt: Klientenorientierung und Gesetzorientierung. Klientenorientierung beinhaltet die Berücksichtigung zusätzlicher Beratungsziele (z.B. Entwicklung einer persönlichen Lebensperspektive) und -themen (z.B. Motivation, Tagesstruktur). Gesetzorientierung beinhaltet eine Schwerpunktsetzung auf Ziele und Themen, die unmittelbar notwendig sind, um die Kosten für das Sozialsystem zu reduzieren und die Kundinnen und Kunden schnellstmöglich in Arbeit zu vermitteln (Ziele: z.B. Arbeitsvermittlung, Missbrauch staatlicher Leistungen verhindern; Themen: z.B. Qualifikation, zeitliche Flexibilität, Gesundheit). Die konkreten Ziele und Themen wurden auf Basis bestehender Literatur [u.a. 7,14,16,17] und den Erkenntnissen der Vorstudie formuliert. Um sicherzustellen, dass der Fragebogen den hohen Standards wissenschaftlicher Gütekriterien entspricht [29], wurden der Fragebogen in der Haupterhebung von 771 Integrationsfachkräften ausgefüllt und anschließend intensiven statistischen und inhaltlichen Analysen unterzogen. Als Folge wurde der Fragebogen auf 41 Fragen reduziert. Eine Zusammenfassung der statistischen Analysen zur Überprüfung der psychometrischen Eigenschaften und Reduktion des initialen Fragepools finden Sie im Anhang (Seite 25). Alle Ergebnisse sind beim Münsteraner Beratungslabor erhältlich und in der entsprechenden Veröffentlichung nachzulesen [33,34]. 3.3 Ergebnis Das Employment Counseling Inventory (ECI) erfasst Verhaltensweisen, Ziele und Themen von Integrationsfachkräften für die Beratung im SGB II in neun Dimensionen mit insgesamt 41 Fragen. Integrationsfachkräfte unterscheiden sich in dem Ausmaß, in dem Sie die Dimensionen betonen. Das Employment Counseling Inventory ist frei verfügbar (siehe Anhang 1, Seite 20). Ein kurzer Leitfaden zur Anwendung in der Personalentwicklung ist geplant und wird ebenfalls frei verfügbar sein. Beachten Sie, dass das Employment Counseling Inventory (ECI) zum jetzigen Stand eine differenzierte Seite 9
Professionalisierung von Beratung im Kontext des SGB II Juni 2018 Betrachtung der Beratungspraxis von Individuen oder Gruppen erlaubt, aber keine Bewertung im Sinne von „gut“ oder „schlecht“ ermöglicht oder impliziert. Abbildung 4: Dimensionen des Employment Counseling Inventory (ECI) Für jede Integrationsfachkraft kann ein individuelles Profil entsprechend ihrer Ausprägungen auf den neun ECI-Dimensionen gebildet werden, das sogenannte ECI-Profil. Es bestehen große Unterschiede zwischen Integrationsfachkräften hinsichtlich ihrer ECI-Profile. Besonders deutlich werden diese Unterschiede, wenn man gleichzeitig die ECI-Profil aller befragten Integrationsfachkräfte betrachtet (siehe Abbildung 5). Abbildung 5: ECI-Profile aller Integrationsfachkräfte (n = 771). Jede Linie repräsentiert eine Integrationsfachkraft. Die X-Achse beinhaltet die individuellen Skalenmittelwerte der entsprechenden ECI- Dimension. Die Skalenmittelwerte sind kodiert, wie die Antwortskala des Employment Counseling Inventory: 1 = trifft überhaupt nicht zu, 2 = trifft nicht zu, 3 = trifft eher zu, 4 = teils teils, 5 = trifft eher zu, 6 = trifft zu, 7 = trifft Seite 10
Professionalisierung von Beratung im Kontext des SGB II Juni 2018 voll und ganz zu. Die Y-Achse beinhaltet die neun Dimensionen des Employment Counseling Inventory: Part = Partizipation, Tran = Transparenz, Wert = Wertschätzung, Dire = Direktivität, AkKo = Aktive Konfliktlösung, klZi = klientenorientierte Ziele, goZi = gesetzorientierte Ziele, klTh = klientenorientierte Themen, goTh = gesetzorientierte Themen. 4 Wie lassen sich diese Unterschiede erklären? 4.1 Ausgangslage und Vorwissen Beraterisches Handeln und Denken von Integrationsfachkräfte im Kontext des SGB II lässt sich mit Hilfe des Employment Counseling Inventories (ECI) erfassen. Jede Integrationsfachkraft besitzt ein eigenes ECI-Profil, dass sich im direkten Vergleich stark von dem ECI-Profil anderer Integrationsfachkräfte unterscheiden kann (siehe Abbildung 5). Vergleicht man zwei sehr unterschiedliche Profile, dann ist allerdings jede mögliche Ausprägung zwischen den ausgewählten extremen Profilen ebenfalls vertreten, d.h. Unterschiede in den Profilen verlaufen nicht sprunghaft, sondern fließend. Alle Versuche, prototypische Gruppen von Integrationsfachkräften zu identifizieren, die ein klar abgrenzbares ECI-Profil teilen, waren nicht erfolgreich3. Das bedeutet, es gibt keine Hinweise auf die Existenz „typischer Beraterprofile“. Stattdessen wird im Rahmen einer variablenorientierten Auswertungsstrategie [13] der Frage nachgegangen, wie Unterschiede in den einzelnen Dimensionen des Employment Counseling Inventory (ECI) über alle Integrationsfachkräfte hinweg zu erklären sind. 4.2 Methode Um die Ausprägungen auf den einzelnen Dimensionen des Employment Counseling Inventory zu erklären, wurde über die ECI-Profile aller Integrationsfachkräfte hinweg nach Zusammenhängen mit erklärenden Variablen gesucht. Dazu wurden Daten in drei Kategorien berücksichtigt: (1) soziodemografische Variablen (Alter, Geschlecht), (2) qualifikationsbezogene Variablen (Berufserfahrung im Jobcenter in Jahren, Beratungserfahrung allgemein in Jahren, Abschluss einer ein- bis dreijährigen Beraterausbildung, Abschluss eines Hochschulstudiums, Führungsverantwortung, Jobcenter der befragten Integrationsfachkräfte) und (3) psychologisch-orientierte Variablen (interne und externe Kontrollüberzeugungen, allgemeine Selbstwirksamkeit, gerechtigkeitsorientierte Selbstwirksamkeit, Glaube an eine gerechte Welt, Einstellung gegenüber den Kundinnen und Kunden). Die psychologisch-orientierten Variablen werden im Folgenden genauer erklärt: Kontrollüberzeugungen sind generalisierte Erwartungen hinsichtlich der Kontrollierbarkeit von Ereignissen [36]. Ereignisse werden entweder als Konsequenz des eigenen Verhaltens erlebt (Skala interne Kontrollüberzeugung) oder als Schicksal bzw. Zufall verstanden (Skala externale 3 Explorative deterministische und probabilistische Clusteranalysen sowie Latent-Class-Analysen zeigten keine sinnvoll interpretierbare Cluster-Lösung. Weiter Informationen und genaue Angaben sind beim Ansprechpartner des Münsteraner Beratungslabors erhältlich. Seite 11
Professionalisierung von Beratung im Kontext des SGB II Juni 2018 Kontrollüberzeugung). In der Regel werden diese Erwartungen auf andere Menschen übertragen, sodass Personen mit einer hohen internen Kontrollüberzeugung beispielsweise ebenfalls davon ausgehen, dass alle anderen Menschen verantwortlich für ihr Leben und Schicksal sind. Diese Annahme kann das Verhalten gegenüber hilfebedürftigen Personen beeinflussen [10]. Zur Erfassung der Kontrollüberzeugungen wurde die Kurzskala IE-4 [20] nach Rotter [36] verwendet. Allgemeine Selbstwirksamkeit beschreibt nach Bandura das Ausmaß, in dem Menschen davon überzeugt sind bestimmte Handlungen erfolgreich ausführen zu können [1]. Es konnte gezeigt werden, dass Selbstwirksamkeitserwartungen mitverantwortlich dafür sind, in welchem Ausmaß und in welcher Art und Weise Menschen ihre bestehenden kognitiven, sozialen und operativen Fähigkeiten für eine Handlung einsetzen [21]. Die allgemeine Selbstwirksamkeit wurde mit Hilfe der Kurzskala ASKU [2] erfasst. Die gerechtigkeitsorientierte Selbstwirksamkeit impliziert den Glauben daran, dass Ungerechtigkeiten korrigiert werden können und beschreibt das Ausmaß, indem Personen davon überzeugt sind, diese Korrektur selbstständig herbeiführen zu können, d.h. die Ungerechtigkeit auf der Welt zu reduzieren [28]. Die gerechtigkeitsorientierte Selbstwirksamkeit wird mit der Unterstützung von hilfebedürftigen Menschen in Verbindung gebracht und mit einer Skala in Anlehnung an die Arbeit von Mohiyeddini und Montada [28] erfasst. Der Glaube an eine gerechte Welt kann als positive Illusion beschrieben werden [42], die auf der individuellen Überzeugung beruht, dass jeder bekommt, was er oder sie verdient [22]. Für andere Kontexte wurde gezeigt, dass der Glaube an eine gerechte Welt beeinflusst, in welchem Ausmaß Personen anderen Menschen helfen oder sie stattdessen für ihre Probleme verurteilen. Der Glaube an eine gerechte Welt wurde mit einer Kurzskala von Dalbert, Montada und Schmitt [40] erhoben. Die Einstellung gegenüber den Kundinnen und Kunden wurde über einen Umweg erhoben, um sozial erwünschte Antworten zu verringern. So mussten die befragten Integrationsfachkräfte einen Vergleich durchführen. Anhand von 18 teils positiven teils negativen Adjektiven sollten sie Menschen, die niemals in ihrem Leben arbeitslos werden, mit Menschen vergleichen, die mindestens einmal im Leben arbeitslos werden. Je höher der Summenwert der Skala, desto positiver wurden die Kundinnen und Kunden bewertet. Die Adjektivliste basiert auf einem Fragebogen von Maes [24] und ist beim Ansprechpartner des Münsteraner Beratungslabors erhältlich. Alle Zusammenhänge wurden mittels multipler Regressionsanalyse untersucht. Das statistische Verfahren ist dazu geeignet, um lineare Zusammenhänge zwischen einer Kriteriums-Variablen (hier: je eine Dimension im ECI-Profil) und mehreren Prädiktor-Variablen (hier: die erklärenden Variablen, s.o.) Seite 12
Professionalisierung von Beratung im Kontext des SGB II Juni 2018 aufzudecken. Im Folgenden finden Sie eine kurze Übersicht der Ergebnisse. Eine ausführliche Beschreibung der Analysen sowie der statistischen Kennwerte finden Sie im Anhang (Seite 26). 4.3 Ergebnisse Für das Geschlecht, die Berufserfahrung im Jobcenter, den Abschluss einer ein- bis dreijährigen Beraterweiterbildung, interne und externe Kontrollüberzeugungen, die gerechtigkeitsorientierte Selbstwirksamkeit sowie die allgemeine Selbstwirksamkeit konnte ein signifikanter Einfluss auf einige Dimensionen des ECI-Profils nachgewiesen werden. Das Alter, die Beratungserfahrung allgemein in Jahren, der Abschluss eines Hochschulstudiums, Führungsverantwortung, den Glauben an eine gerechte Welt, die Einstellung gegenüber den Kundinnen und Kunden sowie das Jobcenter, aus dem die befragte Integrationsfachkraft stammt, konnte kein signifikanter Einfluss auf das ECI-Profil nachgewiesen werden. Eine Übersicht über alle erklärenden Variablen, die einen signifikanten Einfluss auf das ECI-Profil haben, bietet Tabelle 1. Ein positiver Einfluss wird dort mit einem „+“ markiert. Ein negativer Einfluss wird mit einem „-“ markiert. Kein Einfluss wird durch ein „o“ markiert. Die letzte Zeile gibt an, wieviel Prozent der Unterschiede in der jeweiligen Dimension durch die Analysen erklärt werden kann. Tabelle 1: Zusammenhänge zwischen den als relevant identifizierten, erklärenden Variablen und dem ECI- Profil. Part Tran Wert Dire AkKo klZi goZi klTh goTh Geschlecht Männer o o o + + - o - - Frauen o o o - - + o + + Berufserfahrung im Jobcenter o o o o + - - o o Beraterweiterbildung + o + + o + o + o Interne Kontrollüberzeugung + o o + o + + o + Externe Kontrollüberzeugung o + o o + o o o o Gerechtigkeitsorientierte + + + o o + o + o Selbstwirksamkeit Allgemeine Selbstwirksamkeit + + + o + + + + + Aufgeklärte Unterschiede in 9% 12 % 15 % 5% 12 % 15 % 9% 8% 6% Prozent (gerundet) Part = Partizipation, Tran = Transparenz, Wert = Wertschätzung, Dire = Direktivität, AkKo = Aktive Konfliktlösung, klZi = klientenorientierte Ziele, goZi = gesetzorientierte Ziele, klTh = klientenorientierte Themen, goTh = gesetzorientierte Themen. Eine ausführliche Beschreibung der Analysen sowie der statistischen Kennwerte finden Sie im Anhang (Seite 26). Bei Fragen wenden Sie sich gerne an den Ansprechpartner im Münsteraner Beratungslabor. Seite 13
Professionalisierung von Beratung im Kontext des SGB II Juni 2018 Insgesamt können zwischen 5 % und 15 % der Unterschiede innerhalb der ECI-Dimensionen durch die Variablen erklärt werden. Beratungsgespräche stellen eine sehr komplexe soziale Interaktion dar, die von einer Vielzahl von Variablen auf Seite der Integrationsfachkraft, auf Seite der Kundin bzw. des Kunden als auch durch interaktive Faktoren und die Rahmenbedingungen der Beratung beeinflusst wird. Vor diesem Hintergrund ist der Anteil aufgeklärter Unterschiede bedeutsam. 5 Anregungen für die Praxis Leitbild für die Beratung Der in diesem Forschungsprojekt fokussierte Bereich des Kompetenzkatalogs für die Beratung in Bildung, Beruf und Beschäftigung [30] wurde als sehr wichtig für die Arbeit im SGB II bewertet. Dieses Ergebnis legt die Empfehlung nahe, den kompletten und sehr umfassenden Kompetenzkatalog (siehe Kapitel 2) als Startpunkt für die Entwicklung eines Leitbildes für die Beratung im SGB II zu verwenden. Dieser Schritt muss nicht unbedingt zentral, sondern kann auch dezentral auf Initiative einzelner Jobcenter erfolgen, die ein eigenes, hausinternes Leitbild entwickeln möchten. Das Forschungsprojekt konnte allerdings ebenfalls zeigen, dass für beraterisches Handeln und Denken im direkten Kundenkontakt die prozessbezogenen Kompetenzen des Kompetenzkataloges nicht ausreichend detailliert genug sind, um eine eindeutige Kommunikation über das Geschehen zu ermöglichen. Eine Lösung wäre, das Leitbild für den Bereich des beraterischen Handelns und Denkens im direkten Kundenkontakt auf Basis des neu entwickelten Employment Counseling Inventorys (ECI) zu formulieren, das explizit für eine hinreichend detaillierte Kommunikation über das Beratungsgeschehen entwickelt wurde und trotzdem auf den prozessbezogenen Kompetenzen des Kompetenzkataloges basiert. Da der Kompetenzkatalog für die Beratung in Bildung, Beruf und Beschäftigung [30] neben den prozessbezogenen Kompetenzen noch viele andere Kompetenzebenen enthält (z.B. organisationsbezogene Kompetenzen), stellt er einen gut durchdachten Rahmen, innerhalb dessen das Employment Counseling Inventory (ECI) zur Positionierung hinsichtlich gewünschtem beraterischen Handelns und Denkens genutzt werden kann. Bitte beachten Sie, dass das Employment Counseling Inventory (ECI) keine Aussagen über „gute“ oder „schlechte“ Beratung trifft und zum jetzigen Zeitpunkt noch keine empirischen Ergebnisse zur Wirkung unterschiedlicher ECI- Profile auf den Beratungsprozess vorliegen. Personalauswahl Selbstauskünfte zu eigenen Beratungskompetenzen sind zu abstrakt, um als Indikatoren für das konkrete beraterische Handeln und Denken einer Bewerberin bzw. eines Bewerbers um die Stelle einer Integrationsfachkraft dienen zu können. Entsprechend den Ergebnissen der Vorstudie könnten zwei unterschiedliche Bewerberinnen bzw. Bewerber gleichermaßen geeignet erscheinen, wenn man Sie zu Seite 14
Professionalisierung von Beratung im Kontext des SGB II Juni 2018 Ihren beraterischen Kompetenzen befragt und trotzdem in der Praxis sehr unterschiedlich handeln. Neben der Sichtung von Bewerbungsunterlagen und Auswahlgesprächen können verhaltensbasierte Verfahren eine wertvolle Ergänzung für die Feststellung der beruflichen Eignung sein (z.B. kurze Rollenspiele; vgl. Aufgaben zur Arzt-Patient-Kommunikation im Auswahltest für das Medizinstudium). Dieser Ansatz wird durch Befunde unterstützt, die die Validität von Selbstauskünften zu Beratungskompetenzen im Vergleich zu Verhaltensbeobachtungen schlechter bewerten [39]. Die Verwendung von Fragen aus dem Employment Counseling Inventory (ECI) im Auswahlgespräch kann darüber hinaus ein erster, unkomplizierter Schritt sein, um Unterschiede zwischen Bewerberinnen und Bewerbern hinsichtlich ihres beraterischen Handelns und Denkens aufzudecken. Bitte beachten Sie, dass das Employment Counseling Inventory (ECI) keine Aussagen über „gute“ oder „schlechte“ Beratung trifft und zum jetzigen Zeitpunkt noch keine empirischen Ergebnisse zur Wirkung unterschiedlicher ECI-Profile auf den Beratungsprozess vorliegen. Personalentwicklung Die Personalentwicklung ist im Rahmen von Supervision und Fallbesprechungen darauf angewiesen, dass eine erfolgreiche Kommunikation über das Beratungsgeschehen stattfindet, mit dem Ziel, die beraterische Praxis zu professionalisieren und bei den Integrationsfachkräften einen Kompetenzzugewinn zu erreichen. Das vorliegende Forschungsprojekt zeigt, wie uneindeutig der Austausch über beraterisches Handeln und Denken sein kann. Eine Lösung bietet das Employment Counseling Inventory (ECI), das eine empirisch begründete Struktur für beraterisches Handeln und Denken vorgibt und jeweils sehr konkrete Verhaltensweisen, Ziele und Themen als Beispiele enthält. So kann das Employment Counseling Inventory (ECI) sehr einfach als Tool zur Reflexion der beraterischen Praxis in Einzel- oder Gruppensupervision verwendet werden. Außerdem kann es Führungskräfte befähigen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Rahmen der Qualitätssicherung und -entwicklung konkrete und detaillierte Fragen zur beraterischen Praxis zu stellen. Die Planung von Fort- und Weiterbildungen kann ebenfalls profitieren, da beraterisches Denken und Handeln im direkten Kundenkontakt auf Ebene von Kompetenzen nicht hinreichend detailliert abgebildet werden kann und das Employent Counseling Inventory (ECI) folglich eine detailliertere Orientierung bei der Planung erlaubt. Bisher ist allerdings unklar, inwiefern sich unterschiedliche ECI- Profile auf die Wirkung der Beratung auswirken. Entscheidungen über die Förderung bestimmter Profile von Beraterinnen und Beratern können zwar programmatisch, aber bisher auf Grund noch ausstehender Forschung nicht wissenschaftlich begründet getroffen werden. Falls eine programmatische Entscheidung über die Förderung bestimmter ECI-Profile getroffen wird, dann liefert der vorliegende Bericht Ansatzpunkte für die gezielte Förderung von ECI-Profilen. So wird das ECI-Profil sowohl durch soziodemografische, qualifikationsbezogene und psychologisch-orientierte Seite 15
Professionalisierung von Beratung im Kontext des SGB II Juni 2018 Variablen beeinflusst. Die stärksten Einflussfaktoren sind die allgemeine und gerechtigkeitsorientierte Selbstwirksamkeitserwartung von Integrationsfachkräften und der Abschluss einer ein- bis dreijährigen Beraterweiterbildung. So könnte beispielsweise die Sensibilisierung von Integrationsfachkräften für Beratungserfolge, die über gesetzlich und organisational vorgegebene Kennzahlen hinausgehen (z.B. für Veränderungen im Leben der Kundinnen und Kunden, die die Aufnahme einer Erwerbsarbeit wahrscheinlicher machen oder für Veränderungen der Motivation und Einstellung gegenüber Erwerbsarbeit im Allgemeinen), ein Ansatz für die Erhöhung der Selbstwirksamkeit sein. Qualitätssicherung Die Ergebnisse des Forschungsprojektes offenbaren große Unterschiede zwischen Integrationsfachkräften in der Umsetzung des gesetzlichen Beratungsauftrages und Probleme in der Kommunikation über das Beratungsgeschehen. Die Qualität der Beratungsdienstleistungen könnte möglicherweise profitieren, wenn Jobcenter sich stärker als Beratungsdienstleister aufstellen. Etablierte Beratungsdienstleister (z.B. Unternehmensberatungen, Sozialberatungsstellen, Psychotherapieambulanzen) besitzen i.d.R. in der unteren Führungsebene beraterisch sehr gut geschultes Personal (z.B. Seniorberater(inn)en, Personen mit mehrjähriger Beratungsausbildung, Psychotherapeut(inn)en, Oberärzt(inn)en, usw.), die in wöchentlichen Fallbesprechungen und Supervisionen das diagnostische, beraterische oder auch therapeutische Vorgehen ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Detail besprechen. Diese beraterisch sehr gut geschulte untere Führungsebene fördert den Handlungsspielraum der Beratenden durch Reflexion und differenziertes Fachwissen. Sie stellt sich konkreten und spezifischen Nachfragen der Mitarbeitenden zur beraterischen Praxis und ist expliziter Bestandteil der Qualitätssicherung und -entwicklung. Das führt zu der Annahme, dass Führungskräfte der Jobcenter in der unteren Leitungsebene beraterisch sehr gut geschult und über konkretes und detailliertes Beratungsvokabular und -wissen verfügen sollten, um in der Kommunikation mit den Integrationsfachkräften die Qualität der Beratungsdienstleistungen überprüfen und sicherstellen zu können (z.B. in Fallbesprechungen und Supervision). Beratungskompetenzen sind als Leitbild und als Rahmen für die Qualitätsentwicklung ausreichend, aber scheinbar nicht für die Kommunikation über die konkrete Umsetzung des gesetzlichen Beratungsauftrages. Das Employment Counseling Inventory (ECI) kann Führungskräften in einem ersten Schritt dazu dienen unterschiedliche Dimensionen beraterischen Denkens und Handelns besser zu identifizieren und selber gezielter Fragen zu bestimmten Bereichen stellen zu können. Seite 16
Professionalisierung von Beratung im Kontext des SGB II Juni 2018 6 Ausblick Das Münsteraner Beratungslabor und das Jobcenter der Stadt Münster planen eine Fortführung der Forschungskooperation, um der Frage nachzugehen, inwiefern die mit Hilfe des Employment Counseling Inventorys (ECI) darstellbaren Unterschiede in der Beratung die Wirkung von Beratung beeinflussen. So könnten Stärken- und Schwächen bestimmter beraterischer Denk- und Handlungsweisen identifiziert werden. Das Forschungsprojekt „Professionalisierung von Beratung im Kontext des SGB II“ hat dafür die Grundlage geschaffen, indem es mit dem Employment Counseling Inventorys (ECI) einen Fragebogen zur Erfassung individueller Unterschiede in der Beratung entwickelte und Erklärungsmöglichkeiten für diese Unterschiede bietet. Erklärung über gute wissenschaftliche Praxis Das Forschungsprojekt erhielt zu keinem Zeitpunkt eine finanzielle oder sonstige Förderung durch Dritte. Die Ressourcen im Münsteraner Beratungslabor wurden im Rahmen des Promotionsvorhabens von Herr Dipl.-Psych. Pascal Rickert zur Verfügung gestellt, der während der gesamten Projektlaufzeit eine volle Stelle in der Studienfachberatung des Instituts für Psychologie an der Universität Münster innehatte. Die inhaltliche Ausrichtung des Projektes wurde in Gesprächen zwischen den Kooperationspartnern entwickelt, basierend auf dem aktuellen Forschungsstand und dem praxisorientierten Erkenntnisinteresse. Für das Projekt existiert eine positive Entscheidung der Ethikkommission des Fachbereichs für Psychologie an der Universität Münster. Die wissenschaftliche Methodik richtet sich nach den Standards guter wissenschaftlicher Praxis der Deutschen Gesellschaft für Psychologie (DGPs). Seite 17
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Professionalisierung von Beratung im Kontext des SGB II Juni 2018 ANHANG 1: Das Employment Counseling Inventory (ECI) Die Beantwortung erfolgt auf einer 7-Punkte Likert Skala (trifft überhaupt nicht zu, trifft nicht zu, trifft eher nicht zu, teils teils, trifft eher zu, trifft zu, trifft voll und ganz zu). Eine kurzer Leitfaden zur Anwendung ist geplant und wird frei verfügbar sein. Verhaltensweisen in der Beratung Partizipation Ich erfrage das subjektive Erklärungsmodell meiner Kundinnen und Kunden für die aktuelle Problemlage. Ich erfrage die Wünsche meiner Kundinnen und Kunden für die Zusammenarbeit. Ich lege viel Wert auf die Lösungsideen meiner Kundinnen und Kunden. Ich unterstütze meine Kundinnen und Kunden bei wichtigen Entscheidungen. Ich plane das weitere Vorgehen in der Beratung gemeinsam mit meinen Kundinnen und Kunden. Wertschätzung Ich setze bewusst Gesprächstechniken ein, damit meine Kundinnen und Kunden ihre Stärken kennen lernen. Ich gebe meinen Kundinnen und Kunden bei jeder Gelegenheit eine positive Rückmeldung. Ich finde in jedem Gespräch einen Anlass die Stärken meiner Kundinnen und Kunden hervorzuheben. Transparenz Ich kläre meine Kundinnen und Kunden darüber auf, welche Daten von ihnen gespeichert werden. Ich informiere meine Kundinnen und Kunden über Chancen und Möglichkeiten der Beratung. Ich informiere meine Kundinnen und Kunden über klare Grenzen der Beratung. Ich prüfe, wie realistisch die Erwartungen meiner Kundinnen und Kunden in Bezug auf die Beratung sind. Ich erkläre meinen Kundinnen und Kunden die Rahmenbedingungen der Beratung. Direktivität Ich gebe meinen Kundinnen und Kunden eine sinnvolle Vorgehensweise vor. Ich erkläre meinen Kundinnen und Kunden, wie sie ihre Probleme lösen können. Ich bestehe darauf, dass zuerst Ziele bearbeitet werden, die in meinen Augen kritisch für eine Arbeitsaufnahme sind. Aktive Konfliktlösung (Achtung: invertierte Fragen) Ich versuche konflikthaften Gesprächen mit meinen Kundinnen und Kunden aus dem Weg zu gehen. Falls möglich, dann überlasse ich Anderen das Führen von konflikthaften Gesprächen mit meinen Kundinnen und Kunden. Ich versuche konflikthafte Gespräche mit meinen Kundinnen und Kunden zu verschieben, bis ich Zeit zum Nachdenken hatte. Ziele in der Beratung Klientenorientierung Meine Kundinnen und Kunden fühlen sich von mir für ihren bisherigen Lebensweg wertgeschätzt. Meine Kundinnen und Kunden sind mit der Geschwindigkeit des Beratungsprozesses zufrieden (z.B. Terminplanung, Angehen nächster Schritte). Die Beziehung zwischen mir und meinen Kundinnen und Kunden ist authentisch und wertschätzend. Meine Kundinnen und Kunden haben eine persönliche Lebensperspektive entwickelt (z.B. Familie, Hobbies, Wohnen, usw.). Meine Kundinnen und Kunden empfinden den Raum, den ihre Gefühle im Gespräch einnehmen können, als angemessen. Seite 20
Professionalisierung von Beratung im Kontext des SGB II Juni 2018 Gesetzorientierung Integration der Kundinnen und Kunden in Erwerbstätigkeit. Kundinnen und Kunden, die staatlicher Hilfeleistungen missbrauchen, sind gesetzeskonform sanktioniert. Meine Kundinnen und Kunden sind von mir zur Eigeninitiative bei der Stellensuche aufgefordert. Der Missbrauch staatlicher Hilfeleistungen durch meine Kundinnen und Kunden ist verhindert. Meine Kundinnen und Kunden sind an die Einhaltung der Regeln des SGB II erinnert (z.B. Pünktlichkeit, Meldung bei Ortsabwesenheit, usw.). Themen der Beratung Klientenorientierung Aktuelle Tagesstruktur und Gewohnheiten (z.B. Schlaf-Wach-Rhythmus, Essenszeiten) Sorgen und Ängste in der jetzigen Lebenssituation (z.B. „Ich bin den Kindern ein schlechtes Vorbild.“ oder „Ich komme nie wieder aus der Grundsicherung heraus.“) Quellen der Lebensfreude (z.B. Hobbies, Kinder) Gestaltung des sozialen Netzwerkes (z.B. Partnerschaft, Beziehungsprobleme, Familie, Freunde) Erscheinungsbild (z.B. Körperhygiene, Körperhaltung, Kleidungsstil) Persönliche Motivation (z.B. „Was treibt mich im Alltag an? Was mache ich gerne?“) Zukunftsvorstellungen und Lebenswünsche (z.B. Wohnsituation, berufliche Tätigkeit, Einkommen, Familie und Freunde) Gesetzorientierung Berufliche Kompetenzen, Qualifikation und Erwerbsbiografie Zeitliche Flexibilität Berufsbezogene Einstellungen (z.B. „Harte Arbeit mache ich nicht.“ oder „Ich mache jeden Job.“) Gesundheit und Leistungsfähigkeit (z.B. chronische Krankheiten, Fitness) Bewerbungs- und Stellensuchverhalten (z.B. Internetrecherche in Jobportalen) Seite 21
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