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JNeurolNeurochirPsychiatr Zeitschrift für Erkrankungen des Nervensystems
Prognosefaktoren des schweren
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Schädel-Hirn-Traumas
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Oder W JNeurolNeurochirPsychiatr
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Neurochirurgie und Psychiatrie
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2004; 5 (4), 7-22
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www.kup.at/JNeurolNeurochirPsychiatrPrognosefaktoren des schweren Schädel-Hirn-Traumas
W. Oder
Die Akutprognose des schweren Schädel-Hirn-Traumas (SHT) hat sich in den vergangenen 20 Jahren deutlich verbessert. Die Prognose hängt nicht
nur von der Primärschädigung des Gehirns zum Unfallzeitpunkt ab, sondern auch von den Sekundärschäden und nachfolgenden Komplikationen. Art
und Ausmaß der traumatischen Hirnschädigung finden ihren Ausdruck in der Schwere und Dauer der neurologischen Symptomatik, vor allem der
Bewußtseinslage und Hirnstammfunktionsstörung. In Studien mit multivariatem statistischem Ansatz wurden die Tiefe der Bewußtlosigkeit (meist
mittels der Glasgow Coma Scale erfaßt), die Hirnstammreflexe, das Vorliegen einer zusätzlichen Hypoxie, initiale Hirndruckwerte sowie das Lebens-
alter als unabhängige frühe Prädiktorvariablen nachgewiesen. Je schwerer die neurologischen Ausfälle und je länger die anfängliche Bewußtlosigkeit,
desto schlechter die Erholung; je älter der Patient, desto schlechter die Kompensationsfähigkeit; je länger die Bewußtlosigkeit, desto geringer die
Überlebenschance oder die Chance, ohne Defekte weiterzuleben. Die Dauer der posttraumatischen Amnesie erlaubt eine Abschätzung des vorhan-
denen Wiederherstellungspotentials. Ein breites Spektrum von neuroradiologischen, neurophysiologischen und neuronuklearmedizinischen Untersu-
chungsmethoden kann sich als hilfreich bei der Prognoseevaluation erweisen. Unumstritten ist eine zerebrale Vorschädigung in ihrer Signifikanz für
die Rehabilitationsprognose nach schwerem Schädel-Hirn-Trauma. Funktionen, die nach 2 Jahren intensiver Rehabilitation nicht wiedergekehrt sind,
bleiben für immer verloren. Hingegen sind Persönlichkeits- und psychosoziale Faktoren in ihrer prognostischen Einschätzung nicht ausreichend
eingeordnet. Aufgrund der Heterogenität der Verletzungsmuster, der unterschiedlichen Kriterien der Beurteilung des Schweregrades und des Behand-
lungsergebnisses sowie einer Vielzahl an methodischen Problemen bleibt die Prognose nach schwerem SHT weiterhin schwierig. Dabei ist die
Vorhersagbarkeit für den Endpunkt Überleben oder Tod akkurater als für das Ausmaß neurologischer Behinderungen.
Schlüsselwörter: SHT-Prognose, Rehabilitation, Behandlungsergebnis
Predictors of Outcome after Severe Traumatic Brain Injury. The current literature regarding prognostic parameters in severe traumatic brain injury
(TBI) is briefly reviewed, utilizing two broad parameter categorizations: injury-related factors and personality-related (non-injury) related factors. The
early identification of prognostic factors which are of greatest significance in determining outcome is of essential value in the appropriate manage-
ment of therapy. In many cases of severe TBI a reliable assessment of prognosis can be made on the basis of coma and brainstem dysfunction level,
reflecting type and extent of the traumatic brain lesions. In studies using a multivariate statistical design, initial level of coma (i. e. initial Glasgow
Coma Scale), brain stem reflexes, intracranial pressure assessment, the presence/absence of an additional thoracic injury, and age emerged as
independent early prognostic factors of outcome. Duration of posttraumatic amnesia has a clear, predictable relationship to long-term outcome. A
broad spectrum of neuroradiological and electrophysiological investigations, as well as measurements of regional cerebral blood flow have been
demonstrated to be helpful in establishing rehabilitation prognosis. Behavioural deficits seem to represent one major cause that hinders professional
reintegration. The presence of previous brain damage also seems extremely important. In contrast, the prognostic value of pretraumatic personality
factors and of the psychosocial status of the brain injured patient requires additional research. Comparison among studies is hindered by differences
in patient samples, timing of assessments, and various outcome measures with respect to rehabilitation management. The current paucity of service
provision for patients with extremely severe traumatic brain injury is highlighted. J Neurol Neurochir Psychiatr 2004; 5 (4): 7–22.
Key words: traumatic brain injury, prognosis, outcome prediction
E in Schädel-Hirn-Trauma (SHT) ist die Folge einer äuße-
ren Gewalteinwirkung auf den Schädel und/oder das
Gehirn mit primären und sekundären Verletzungsfolgen.
ein schweres SHT erleiden. Der Prozentsatz jener Patien-
ten, die sich nach einem schweren, initial mitunter als in-
faust imponierenden SHT gut erholen, wird in der Literatur
Die Einteilung eines SHT erfolgt international in der Regel mit 2–11 % angegeben, eine mäßige Behinderung wird
entsprechend folgender Graduierung: leichtes SHT (Glas- mit 5–18 % beschrieben. Die Zahl der Pflegefälle nach
gow Coma Score [GCS] > 12), mittelschweres SHT (GCS schweren Defektheilungen erhöht sich jährlich um ca.
9–12), schweres SHT (GCS < 8) [1–4]. Schädel-Hirn-Ver- 4000 Patienten. In Österreich gibt es keine exakten epide-
letzungen mit einer Dauer der primären Bewußtlosigkeit miologischen Daten über Häufigkeit, Schwere und Art von
über 6 Stunden (entsprechend einem GCS-Score unter Schädel-Hirn-Verletzungen.
8 Punkten über 6 Stunden nach dem Unfall) oder einer
Dauer der posttraumatischen Amnesie über 24 bzw. Dimensionen der Prognoseermittlung
48 Stunden werden somit als schwer bezeichnet [4–7].
Morbidität und Mortalität bei schwerem SHT sind erheb- Da eine Restitutio ad integrum nach schwerer, traumatisch
lich. Das SHT mit und ohne Verletzung anderer Organe ist bedingter Hirnschädigung nur in Ausnahmefällen möglich
die häufigste Todesursache bis zu einem Lebensalter von ist [9, 10], kommt der Abschätzung der Prognose eine
45 Jahren [8]. Die moderne Intensivmedizin hat durch die herausragende Bedeutung in der neurologischen Rehabili-
Senkung der Mortalität zu einer erheblichen Zunahme von tation zu. Eine verbleibende Behinderung nach schwerem
Patienten mit schwersten neurologischen Schäden geführt. SHT umfaßt sowohl psychische als auch körperliche Han-
Im letzten Jahrzehnt wurden in Deutschland ca. 800 dicaps, die die Lebensqualität des Betroffenen vermindern
SHT/100.000 Einwohner/Jahr beobachtet. Danach waren [9–16]. Neben neurologischen Defiziten werden dabei
in ca. 350 Fällen stationäre Behandlungen erforderlich, insbesondere psychoorganische Beeinträchtigungen und
180 schwere SHT und 40 Todesfälle wurden beobachtet Auswirkungen auf das Verhalten als bedeutsam angeführt
[8]. Pro Jahr sollen in Deutschland ca. 20.000 Menschen [15, 17, 18].
Information über die Prognose ist die verläßlichste
Grundlage einer realistischen Lebensplanung für den hirn-
geschädigten Patienten und seine Angehörigen [19, 20].
Aus dem Rehabilitationszentrum Wien-Meidling der AUVA, Wien
Korrespondenzadresse: Prim. Univ.-Prof. Dr. med. Walter Oder, Rehabili- Die diffizile Frage nach der Prognose bei schwerem Schä-
tationszentrum Wien-Meidling der AUVA, A-1120 Wien, Köglergasse 2A; del-Hirn-Trauma hat Relevanz für die tägliche klinische
E-Mail: walter.oder@auva.at Arbeit. Heißt es auf der Intensivstation: „Wird mein Ver-
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For personal use only. Not to be reproduced without permission of Krause & Pachernegg GmbH.wandter die Verletzung überleben?“, wird diese Frage im Unmittelbar wirksame Faktoren
Verlauf der Neurorehabilitation ersetzt durch die nicht (unfallbezogene Faktoren)
weniger drängenden Fragen: „Wird er/sie behindert blei-
ben? In welchem Ausmaß? Wird er/sie wieder ein norma- Pathophysiologisch unterscheidet man primäre und
les Leben führen können?“ Die genaue Kenntnis prognosti- sekundäre Hirnschädigungen [6]. Primär-traumatische
scher Prädiktorvariablen erlaubt häufig eine erste frühzei- Hirnschäden sind Verletzungen, die dem Patienten unmit-
tige Abschätzung des verfügbaren Rehabilitationspoten- telbar während des Unfalls zugefügt werden. Der primär
tials. Je größer dieses Potential, desto geringer wird die erlittene Hirnschaden stellt den wichtigsten Einflußfaktor
verbleibende Behinderung im Langzeitverlauf sein. auf das Behandlungsergebnis dar, er kann aber nur durch
Über die individuelle Schicksalsfrage hinaus hat die Unfallprävention beeinflußt werden.
Frage nach der Prognose bei schwerem Schädel-Hirn- Sekundär-traumatische Hirnschäden treten mit einer
Trauma auch sozioökonomische und ethische Dimensio- zeitlichen Latenz zum Trauma als Folge von Verletzungen
nen [21]. Die sozioökonomische Dimension fragt „Wie anderer, meist benachbarter Strukturen, etwa Gefäße und/
viel Geld ist die Gesellschaft bereit, für die Neurorehabili- oder Knochen, auf. Die Latenz kann Minuten, aber auch
tation hirnverletzter Patienten zur Verfügung zu stellen?“ Tage, Wochen oder Monate betragen. Sekundäre Hirn-
Eine möglichst genaue Abschätzung des verfügbaren Wie- schäden können durch ein epidurales oder subdurales
derherstellungspotentials ist notwendige Voraussetzung Hämatom, aber auch in Folge eines Hirnödems entstehen.
für die Erstellung des in der Neurorehabilitation erreichba- Oft sind es Begleitverletzungen (z. B. Thoraxtraumen oder
ren Therapieziels [22, 23]. Die Neurorehabilitation wird schwere Blutverluste aufgrund abdominaler Blutungen),
unter dem sozioökonomischen Druck verknappter finan- welche zu Kreislaufinstabilität und Hypoxie führen kön-
zieller Ressourcen im Gesundheitswesen immer öfter dazu nen. Die Folge davon sind zerebrale Ischämien und Hirn-
aufgerufen werden, die Frage nach Dauer und Sinnhaftig- druckanstieg, die zu einem sekundären Hirnschaden füh-
keit von Rehabilitationsverläufen in den Vordergrund zu ren [28]. Hauptursache der sekundären Hirnschädigung ist
stellen. Hierzu ist eine kritische Auseinandersetzung mit die zerebrale Hypoxie, welche die Prognose dieser Patien-
der Prognose – gerade auch in der Neurorehabilitation ten entscheidend mitbestimmt [6, 27, 29–31].
nach schwersten Traumen – erforderlich. Zur frühzeitigen
und ausreichenden Durchführung der notwendigen Reha- Primär-traumatische Schädigungen
bilitation und gegebenenfalls rechtzeitigen Einleitung er- Hier sind in erster Linie Rindenprellungsherde [32–34]
forderlicher Unterstützungs- und Plazierungsmaßnahmen anzuführen, die meist fronto-temporal lokalisiert sind,
ist eine möglichst frühzeitige Prognoseerstellung angezeigt bei Patienten mit Schädelfrakturen meist schwerer ausfal-
[20, 24]. len als bei Patienten ohne Schädelfrakturen [35] und je
Die ethische oder philosophische Dimension berührt nach Lokalisation und Anzahl prognostisch zeichnen [36,
Fragen nach dem Sinn des Lebens, der Würde der mensch- 37]. Obwohl umschriebene Einblutungen in das Hirn-
lichen Kreatur und konkretisiert sich auf der klinisch-prak- parenchym (Kontusionen) oft keine chirurgische Konse-
tischen Ebene auf die Frage nach der Weiterführung der quenz haben und auch die Prognose quoad vitam nicht
Neurorehabilitation, wenn schwerste neuropathologische beeinflussen müssen, können umschriebene Läsionen in
Veränderungen und als infaust imponierende klinisch- Abhängigkeit von ihrer Lokalisation die neurologische
neurologische Bilder nur eine geringe Aussicht auf eine Rehabilitation natürlich entscheidend mitprägen, wenn sie
funktionelle Besserung wahrscheinlich machen. Es sind in relevanten Hirnregionen gelegen sind (Motorkortex,
dann in einem häufig sehr emotionalen Spannungsfeld visueller Kortex, Sylvii’sche Fissur der dominanten Hirn-
zwischen medizinischen Möglichkeiten, verständlichen hälfte u. a.). Auch die quantitative Ausprägung der kortika-
Wünschen und Erwartungen von oft verzweifelten und len, v. a. der fronto-temporalen Kontusionen ist für die
vergeblich hoffenden Angehörigen, zunehmenden Kosten- Rehabilitation prognostisch relevant [38]. Es läßt sich je-
einsparungen im Gesundheitswesen und nicht zuletzt doch nicht jeder Kontusionsherd mittels bildgebender Ver-
ureigener Verpflichtung der ärztlichen Profession, gravie- fahren sicher darstellen. Das Ausmaß der durch Kontusio-
rende klinische Entscheidungen im Rahmen der langfristi- nen bedingten zerebralen Gewebsläsionen ist meist mit-
gen und aufwendigen Betreuung dieser Patienten zu tref- tels in der chronischen Phase angefertigter Computer-
fen. Sicherheit über den Zeitpunkt, ab dem intensive the- tomographiebildern nicht mehr zuverlässig nachweisbar
rapeutisch-rehabilitative Bemühungen zurückgenommen [22, 39].
werden können bzw. sollen, ist hierbei von maßgeblicher Weiters werden zu den primär-traumatischen Schäden
Bedeutung [25, 26]. atypisch in den Lappen liegende Markblutungen gezählt,
Es war das Ziel der vorliegenden Übersicht, den gegen- die im angloamerikanischen Sprachraum als Gliding-Trau-
wärtigen Forschungsstand bezüglich der prognostischen ma bezeichnet und unter dem Konzept der primären axo-
Bedeutung unterschiedlicher klinischer, apparativer, nalen Schädigung, die im deutschen Sprachraum zumeist
demographischer und psychosozialer Einflußgrößen für als primäre Hirnstammkontusion oder inneres zerebrales
das Outcome schwerer Schädel-Hirn-Verletzungen darzu- Trauma bezeichnet wird [40–42], subsummiert werden
stellen. [33, 42]. In den letzten Jahren wurde zunehmend die so-
Es werden unmittelbar wirksame, unfallbezogene Fak- genannte „diffuse axonale Schädigung“ (diffuse axonal
toren von mittelbar wirksamen, personenbezogenen Ein- injury, shearing injury, Scherverletzung) als eine weitere
flußgrößen für die Prognose nach schwerem Schädel- primär-traumatische Läsion beschrieben und als Ursache
Hirn-Trauma unterschieden [6, 20, 22, 27]. Zu den unmit- schwerster klinischer Bilder in der Akutphase und schwe-
telbar wirksamen Faktoren gehören die Variablen „Art“, rer verbleibender Defekte unter Einschluß des Apallischen
„Ausmaß“ und „Lokalisation“ der traumatischen Hirnschä- Syndroms angeschuldigt [27, 37, 43, 44]. Neuropatholo-
digung, Zusatzverletzungen sowie der Faktor Zeit nach der gisch besteht die diffuse axonale Schädigung in ihrer
Hirnschädigung (Verlauf). Zu den mittelbar wirksamen, schwersten Ausprägung aus Blutungen im Hirnstamm und
personenbezogenen Einflußgrößen werden Alter, prämor- Balken, ventrikelnahen Blutungen im Großhirn sowie
bide Persönlichkeitsmerkmale und psychosoziale Fakto- einer diffusen Axonschädigung im Marklager und führt im
ren gezählt. chronischen Stadium zu ausgedehnten Marklageratrophien
J. NEUROL. NEUROCHIR. PSYCHIATR. 4/2004 9und der Entwicklung von massiv erweiterten Seitenventri- seinslage und Hirnstammfunktionsstörung, ist aber zusätz-
keln [44–48]. lich mit bildgebenden und funktionellen Untersuchungen
Der Entstehungsmechanismus der Scherverletzungen zu erfassen.
wird durch im Winkel zur Sagittalebene auf das Gehirn
wirkende Beschleunigungskräfte erklärt. Es kommt hierbei Tiefe und Dauer der Bewußtlosigkeit
auch häufig zur Abscherung kleiner Gefäße und daraus re- Die Rolle klinisch erfaßbarer Faktoren für die Prognose
sultierenden kleinen punktförmigen Blutungen. Pathomor- eines SHT ist in vielen Studien eindeutig belegt. Die neu-
phologisch erfolgt eine Schädigung des Zytoskeletts (vor rologische Erstuntersuchung im Akutstadium des schwe-
allem des axonalen Transports, Membranschäden mit ren SHT ist einerseits wesentlich zur Aufdeckung von
nachfolgendem Kalzium-Influx, Wassereinstrom und Herdbefunden, die auf intrakranielle Hämatome hinwei-
Schwellung des Axons). Es kommt in den ersten Tagen zur sen und unmittelbare chirurgische Konsequenzen bedin-
Ausbildung sog. „retraction balls“ nach Axonzerreißun- gen. Andererseits ist sie auch als Prädiktorvariable für die
gen, nach einigen Wochen zu multiplen Anhäufungen von zu erwartende Mortalität und das Behandlungsergebnis in
Mikroglia in der weißen Substanz, nach Monaten zu einer der Frühphase von essentieller Bedeutung [4, 60–65]. An
Degeneration langer Bahnen in Hemisphärenmarklager, erster Stelle stehen hier die Tiefe und Dauer der Bewußt-
Hirnstamm und Rückenmark [45, 46]. losigkeit, des weiteren die Pupillomotorik (Pupillenweite
Bezüglich des Langzeit-Outcomes gibt es widersprüchli- und -reaktion) und das Patientenalter.
che Literaturangaben zur Relevanz von Scherverletzungen In der semiquantitativen Erfassung der Bewußt-
sowohl hinsichtlich ihrer Lokalisation als auch zur Häufig- seinslage hat sich allgemein die 1974 von Teasdale und
keit. Als prognostisch ungünstig wird in den meisten Arbei- Jennett entwickelte Glasgow Coma Scale (GCS) in der ge-
ten das Vorliegen einer ausgedehnten hämorrhagischen ring modifizierten Fassung von 1977 [2, 66] wegen ihrer
Scherverletzung im Bereich des Balkens, dorsolateralen Einfachheit bewährt. Ihre große prognostische Bedeutung
Hirnstamms und der Stammganglien beschrieben, hingegen ist auch in Studien mit multivariaten Verfahren abgesichert
zeigen ohne Einblutungen einhergehende, weitgehend worden [67–70]. Die klinisch weltweit eingesetzte GCS
isolierte, lediglich im Balken- und Marklager lokalisierte mit den kombinierten klinischen Faktoren Pupillenreak-
Scherverletzungen keine ungünstige Prognose an [49–51]. tion, motorische Reaktion und verbale Antwort wird in
den meisten Prognosestudien bereits als Standard einge-
Sekundär-traumatische Schädigungen setzt, wobei die GCS 24 Stunden nach dem Trauma einen
Hier ist vor allem die Entwicklung von intrakraniellen, vermutlich höheren prognostischen Aussagewert hat als
extrazerebralen Hämatomen, aber auch eines diffusen der initiale GCS-Punktewert. Liegt der Glasgow Coma
oder umschriebenen Hirnödems, einer Subarachnoidal- Scale-Score unter 5 Punkten, ist die Lage ernst.
blutung, einer aufsteigenden Infektion und eines nicht- Dem Vorteil der Einfachheit und nahezu universellen
okklusiven Hydrozephalus anzuführen [32, 34, 52]. Verbreitung der Glasgow Coma Scale steht die Tatsache
Fokale Verletzungen durch intrakranielle Hämatome gegenüber, daß es sich um eine relativ grobe Skalierung
weisen schlechtere Behandlungsergebnisse auf als diffuse, handelt, die subtile Unterschiede zwischen den Patienten
ödembedingte Hirnläsionen [6, 53–55]. Bei schweren SHT einerseits und im individuellen Verlauf andererseits auf-
mit Kontusionen (Quetschungen, Zerreißungen) und grö- grund ihrer lediglich drei Parameter nicht erfassen kann.
ßeren Einblutungen in das Hirngewebe kommt es nahezu Ein weiterer Einwand besteht im unterschiedlichen Zeit-
immer zur Ausbildung eines traumatischen Hirnödems punkt der Erfassung der GCS und in der Variabilität der
(Hirnschwellung) mit oft im Verlauf weniger Tage weiterer Handhabung der Skala. Viele Autoren warnen auch davor,
Zunahme des Hirnödems und der vorhandenen Hirnkon- die Einteilung der Schwere einer Hirnverletzung anhand
tusionen. Beides führt zu intrakranieller Druckerhöhung eines einmalig erhobenen Wertes vorzunehmen, da die
(ICP) mit Kompression der Hirngefäße und daraus resultie- Entwicklung gerade in den ersten Stunden nach SHT eine
render Verminderung der Hirndurchblutung und der Sau- erhebliche Dynamik aufweist. Durch eine zielgerichtete
erstoffversorgung des Gehirns sowie irreversiblem Zell- initiale Therapie mit frühzeitiger Intubation und Analgo-
untergang. Als entscheidend für das Behandlungsergebnis sedierung – wie sie zum anerkannten Standard und weit-
nach intrakraniellen Hämatomen werden Patientenalter, gehend auch zur alltäglichen Routine geworden ist – wird
Hämatomvolumen, Lokalisation und die Dauer bis zur eine Verfolgung des GCS über den Initialbefund hinaus
operativen Entlastung angegeben [53, 54, 56]. Von den aber verunmöglicht.
Überlebenden eines Epiduralhämatoms werden 80 % wie- Des weiteren einschränkend zur Prognoseerstellung
der voll arbeitsfähig, nach Subduralhämatom hingegen anhand des initialen GCS-Scores als semiquantitativer
nur etwa 50 % [54]. Parameter der Komatiefe muß angemerkt werden, daß bei
Operationsindikationen und Langzeitergebnisse nach Vorliegen eines schweren SHT häufig nur das Kriterium
Operation eines posttraumatischen Hydrozephalus werden der „besten motorischen Antwort“ verwertbar ist, da die
uneinheitlich berichtet. Wiederholt wurden jedoch, auch beiden übrigen Kriterien der GCS, „Augen öffnen“ und
nach eigenen Erfahrungen, dramatische Besserungen schwe- „verbale Antwort“, bei den meisten schweren Schädel-
rer klinischer Bilder in der chronischen Phase nach Anle- Hirn-Traumen im Akutstadium in der schlechtesten Stufe
gen eines Shunts beobachtet [57, 58]. In einer eigenen vorliegen. Darüber hinaus müssen kritische Entscheidun-
retrospektiven Studie an 48 SHT-Patienten nach Shunt-Im- gen immer den dynamischen Aspekt des Krankheitsver-
plantation konnte in mehr als der Hälfte der Fälle eine kla- laufes berücksichtigen und dürfen nie auf einer einzelnen
re Verbesserung durch die Operation erreicht werden [59]. Befunderhebung fußen. Ein initial erhobener GCS-Wert ist
nicht aussagekräftig genug, um eine valide individuelle
Prognose darauf zu begründen. Die Anwendung der GCS
Ausmaß und Lokalisation der bei isolierten infratentoriellen Läsionen ist nicht zielfüh-
traumatischen Hirnschädigung rend.
Bereits 1928 wurde vermutet, daß die Dauer der Be-
Beides findet seinen Ausdruck in der Schwere und Dauer wußtlosigkeit die Schwere der Hirnverletzung widerspie-
der neurologischen Symptomatik, vor allem der Bewußt- gelt [71]. In 90 % der Fälle ist eine Komadauer von weni-
10 J. NEUROL. NEUROCHIR. PSYCHIATR. 4/2004ger als 14 Tagen mit einem Überleben ohne schwere Be- („traumatische Psychose“ mit einer häufig agitierten Des-
hinderung verbunden, wogegen bei einer Komadauer orientiertheit) kann ebenfalls als Prädiktorvariable für neu-
von mehr als 14 Tagen nur in einem Drittel der Fälle mit ropsychologische Leistungsstörungen und Verhaltensauf-
einem guten/mäßigen Behandlungsergebnis gerechnet fälligkeiten dienen [19, 24, 89, 93, 94].
werden kann [69, 72]. Bei einer Komadauer über 4 Wo-
chen sind fast regelhaft Defektheilungen zu erwarten [73]. Klinische Zeichen einer Hirnstammfunktionsstörung
Bei einem Alter des Betroffenen über 40 Jahre zeigt eine Neben der Bewußtseinslage werden noch andere neurolo-
Komadauer von mehr als einer Woche bereits eine ungün- gische Parameter, wie Pupillenstörungen und reflektori-
stige Prognose an, es ist mit einer Invalidisierung zu rech- sche Augenbewegungen (okulozephaler Reflex, vestibulo-
nen. Bei Patienten über 60 Jahre verbleiben voraussicht- okulärer Reflex), häufig in Form einer erweiterten GCS
lich bereits ab einer Bewußtlosigkeit von mehr als 24 Stun- [55, 60, 61, 95], als prognostische Prädiktoren sowohl für
den Defekte [23, 73, 74]. die Akutprognose als auch für das Behandlungsergebnis
Der zusätzliche Nachweis von Augenbewegungsstö- nach 6 Monaten verwendet [4, 62, 63, 75, 96], wodurch
rungen in Kombination mit einer Komadauer über 14 Tage der prognostische Informationsgewinn vergrößert wird,
korreliert hochsignifikant mit bleibenden schweren Ge- der vor allem bei Patienten mit sehr niedrigen initialen
dächtnisstörungen [75]. Auch für spezifische neuropsy- GCS-Werten beträchtlich ist und auch in Studien mit mul-
chologische Defizite, wie z. B. visuelles Benennen oder tivariaten Verfahren nachgewiesen werden konnte [60, 69,
feinmotorische Leistungen (Tapping-Test, Trail making- 95, 97]. Nach eigenen Untersuchungen kann die Anwen-
Test), stellen Tiefe und Dauer des Komas prognostische dung des klinischen Parameters „Pupillenweite im Akut-
Indikatoren dar [44, 76]. stadium“ nicht als Prädiktorvariable für das Rehabilita-
Zusätzlich zu Komatiefe und Komadauer wird auch die tionsergebnis nach schwerem SHT dienen.
Dauer eines bestehenden Mittelhirnsyndroms und eines Medikamentöse Beeinflussungen und Auswirkungen
apallischen Syndroms als prognostisch relevant angesehen eines häufig zusätzlich vorliegenden Polytraumas mit
[23, 41, 55, 72, 74, 77–79]. Bezüglich der Rückbildungs- systemischem Schock und Organversagen sind hierfür am
prognose eines traumatischen apallischen Syndroms er- ehesten verantwortlich zu machen. Es erwies sich jedoch
holt sich etwa die Hälfte der Patienten, die 6–8 Wochen die einfach zu erhebende klinische Variable „Pupillen-
nach dem akuten SHT das klinische Vollbild eines apalli- reaktion“ in ihrer prognostischen Signifikanz nicht nur für
schen Syndroms zeigen, erfreulich gut, nur jeder zweite das unmittelbare Überleben der Akutphase und für das
Patient verbleibt in einem apallischen Defektsyndrom Behandlungsergebnis nach 6 Monaten, sondern auch für
[49]. Es muß ab einer Dauer des apallischen Syndroms die Langzeit-Rehabilitation dem Kriterium der „besten
über 4 Wochen selbst bei Kindern mit einer Defektheilung motorischen Antwort“ der GCS als durchaus gleichwertig
gerechnet werden. In den ersten drei bis sechs Monaten [98]. Auf die mitunter auftretenden Schwierigkeiten einer
zeigen sich die besten Chancen, das Bewußtsein wieder- Abgrenzung gegenüber einer isolierten Hirnnervenläsion
zuerlangen. Wie der Traumatic Coma Data Base-Report (N. oculomotorius), die keine wesentliche prognostische
berichtet, kommen 41 % der Betroffenen innerhalb des Bedeutung haben, muß vor allem bei einseitiger Sympto-
ersten und 11 % innerhalb des zweiten halben Jahres, je- matik hingewiesen werden.
doch nur 6 % in den folgenden zwei Jahren wieder zu Be-
wußtsein. Ungünstig wirken sich eine begleitende Hyp- Zeitfaktor der Entwicklung der neurologischen Sympto-
oxie sowie ein Alter über 40 Jahre aus. Einzelfälle mit einer matik
partiellen Remission nach bis zu 2,5 Jahren, allerdings mit Auch die zeitliche Entwicklung einer Hirnstammfunk-
schwersten Defekten, sind beschrieben [80–82]. Keine tionsstörung hat eine wesentliche prognostische Relevanz,
Prädiktorvariable erlaubt hingegen die sichere Voraussage, so hat etwa das Auftreten von Beuge-Streck-Synergien un-
ob ein SHT-Patient ein apallisches Durchgangssyndrom mittelbar am Unfallort eine gänzlich andere prognostische
oder gar ein apallisches Defektsyndrom entwickelt [49]. Wertigkeit als das Auftreten derselben nach einem freien
Intervall von mehreren Stunden. Im ersteren Fall wird es
Posttraumatische Amnesie (PTA) sich mit einiger Wahrscheinlichkeit um eine primär-trau-
Einen weiteren prognostischen Parameter, vor allem für matische Schädigung vom Typ des diffusen Axonschadens
kognitive Defizite, aber auch Persönlichkeitsstörungen, mit konsekutiv zu erwartender apallischer Symptomatik
stellt die Dauer der posttraumatischen Amnesie (PTA) dar, handeln, im zweiten Fall um ein raumforderndes intrakra-
die allerdings erst aus dem Verlauf faßbar ist [24, 83–86]. nielles Hämatom, das bei rechtzeitiger Entlastung durch-
Es besteht regelhaft eine Korrelation zum Ausmaß des dif- aus ohne jede verbleibende Behinderung ausheilen kann
fusen Axonschadens, hingegen nicht immer mit fokalen [27, 45, 56, 99].
Läsionen, v. a. wenn ausschließlich das Frontalhirn betrof-
fen ist [87]. Bei einer PTA unter 2 Wochen ist mit keiner Sekundäre hypoxische Hirnschädigung
wesentlichen kognitiven Beeinträchtigung und einer zu-
mindest teilweisen Arbeitswiederaufnahme zu rechnen 30–50 % aller Patienten mit schwerem SHT erleiden Mehr-
[14, 88–91], bei einer PTA bis zu 4 Wochen sind mäßige fachverletzungen [28]. Arterielle Hypotonie und Hypox-
Gedächtnis- und Verhaltensstörungen, jedoch keine we- ämie sind die Hauptursachen des sekundären Hirnscha-
sentliche körperliche Behinderung zu erwarten [14]. Pati- dens nach einer Schädel-Hirn-Verletzung [29, 31, 100].
enten mit einer PTA von über 4 Wochen haben in der Trotz des flächendeckenden Rettungs- und Notarztwesens
Regel schwere Lern- und Gedächtnisstörungen mit herab- ist bei etwa 15–20 % derart Verletzter mit dem Auftreten
gesetzter Arbeitsfähigkeit [11, 12, 92]. Eine PTA von über einer Hypoxämie, bei etwa 10–15 % mit einer Hypotonie
2 Monaten geht üblicherweise mit einer schweren kogniti- zu rechnen [101]. Eine arterielle Hypoxie durch Ventila-
ven und motorischen Behinderung einher [12, 24]. Es fan- tionsstörungen aufgrund Verlegung der Atemwege infolge
den sich auch Beziehungen zwischen der Dauer der PTA Aspiration oder Lungenverletzungen, ein peripheres Kreis-
und ängstlich-depressivem Verhalten bei Persönlichkeits- laufversagen mit Abfall des Blutdrucks sowie ein hämor-
untersuchungen in der chronischen Phase nach SHT [83, rhagischer Schock beeinträchtigen beim polytraumatisier-
86]. Die Dauer eines sogenannten Durchgangssyndroms ten Patienten zusätzlich die zerebrale Funktion und sind
J. NEUROL. NEUROCHIR. PSYCHIATR. 4/2004 11für die Chancen einer Wiederherstellung von maßgebli- drängt. Die Computertomographie ermöglicht den Nach-
cher Bedeutung [30, 63, 67, 97, 102, 103]. Beim Klein- weis raumfordernder intrakranieller Blutungen, die eine
kind kann im Gegensatz zum Erwachsenen auch eine iso- sofortige operative Entlastung erforderlich machen. Im
lierte intrakranielle Blutung ohne Polytrauma bereits für weiteren Verlauf wird sie als Verlaufsuntersuchung zur
einen Kreislaufschock verantwortlich sein. Der Einfluß des frühzeitigen Diagnostik möglicher Komplikationen (z. B.
Polytraumas auf das Langzeitergebnis der Hirnverletzung verzögerte intrakranielle Blutung, Hygrom, Hydrozepha-
sollte aber auch nicht überschätzt werden [104]. lus), die ebenfalls eine chirurgische Intervention erforder-
lich machen können, eingesetzt. Neben dem direkten
Zeit der Hirnschädigung Nachweis einer Blutung läßt die CT-Untersuchung aber
auch Rückschlüsse auf die intrakraniellen Druckverhält-
Das wesentliche Ausmaß einer möglichen Rückbildung nisse und die zerebrale Durchblutung zu. Eine Erhöhung
wird innerhalb der ersten 6 Monate erreicht [4, 12, 13, 27]. des intrakraniellen Drucks kann zu einer Verlagerung von
Weitere Verbesserungen, die vor allem die Selbständigkeit Mittellinien-Strukturen bzw. zu einer Verkleinerung der
in den täglichen Verrichtungen, die Beweglichkeit mittels physiologisch vorhandenen äußeren Liquorräume führen.
Rollstuhl und das Ausmaß der Verhaltensstörung betreffen, Als indirektes Maß der zerebralen Druckverhältnisse
sind jedoch gerade bei jüngeren Patienten mit schweren haben diese CT-Merkmale deshalb auch eine prognosti-
Schädel-Hirn-Verletzungen noch mindestens bis zu 2 Jah- sche Relevanz in der Akutphase des Traumas [21].
re, bei vielen Patienten bis zu 8 Jahre nach dem Trauma zu Die für die Akutdiagnostik so wesentliche CT scheint
erzielen, wobei die Fortschritte in diesem Zeitraum jedoch hingegen für die prognostische Beurteilung von Verlet-
üblicherweise geringer als im ersten Jahr nach dem Trau- zungsfolgen oft keine entscheidenden Aussagen liefern zu
ma sind [16, 54, 93, 105, 106]. Bei Schwerstfällen zeigen können [37, 93, 114–116]. Eine diffuse axonale Schädi-
sich nur bei wenigen Patienten Fortschritte bereits nach gung und eine zusätzliche, vor allem beim Polytrauma
einem Monat Rehabilitation, bei der Mehrzahl dauert es häufige, hypoxische Hirnschädigung, die für die Prognose
2–3 Monate, bei wenigen 6–12 Monate. Ein möglichst frü- von wesentlicher Bedeutung sind [6, 33, 45], lassen sich
her Beginn soll die Rehabilitationsdauer beträchtlich ver- mit den derzeit verfügbaren bildgebenden Verfahren nicht
kürzen [107]. Art und Anzahl der Komplikationen wäh- eindeutig oder erst sehr spät nachweisen [22, 50, 34, 116].
rend der Intensivbehandlung sowie eine (notwendigerwei- Hingegen zeigen sich kleine Kontusionsherde oder pri-
se) lange Dauer des Aufenthaltes auf der Intensivstation mär-traumatische Blutungen oft nur bei frühen Untersu-
belasten den weiteren Rehabilitationsverlauf. chungen [39, 114]. Es besteht jedoch ein enger Zusam-
menhang zwischen Ausmaß und Dauer des mittels CT
Hirndruckmessung nachgewiesenen traumatischen Hirnödems und der Pro-
gnose für verschiedenartige, aber vor allem globale Hirn-
Die große prognostische Wertigkeit eines erhöhten Hirn- leistungsstörungen wie Gedächtnis- und Informationsver-
drucks konnte auch in Studien mit multivariatem statisti- arbeitungsgeschwindigkeit [22, 117], wobei vor allem in
schem Ansatz nachgewiesen werden [67, 68]. Die invasi- der Akutphase in der CT nicht darstellbare basale Zister-
ve Messung des Hirndrucks (ICP) ist heute klinischer Stan- nen als indirekter Hinweis auf einen beträchtlichen Hirn-
dard bei allen komatösen Patienten. Die Messung erfolgt druck prognostisch ungünstig zu werten sind [118, 119].
kontinuierlich entweder im Ventrikel über eine ventrikulä- Im chronischen Stadium fand sich hingegen eine aus-
re Drainage, im Hirnparenchym oder epidural. Ventrikel- geprägte Korrelation zwischen dem Ausmaß der Hirnatro-
druckmessungen gelten als relativ zuverlässig und haben phie, vor allem der Erweiterung der Seitenventrikel und
den Vorteil, daß bei einem Hirndruckanstieg auch thera- basalen Zisternen als Folge diffuser traumatischer Hirnschä-
peutisch über die Drainage von Liquor eingegriffen wer- digungen, und der Schwere der verbleibenden Behinde-
den kann. Beim Gesunden liegt der Hirndruck vermutlich rung unter Einschluß kognitiver Defizite [114, 120, 121].
um 10 mmHg [108]. Sowohl initiales Ausmaß als auch
Dauer eines erhöhten Hirndrucks sind prognostisch be- Magnetresonanztomographie
züglich einer zu erwartenden globalen Behinderung zu Entsprechend dem pathoanatomischen Schädigungsmuster
berücksichtigen [52, 63, 109, 110]. Des weiteren wurde sind nicht nur umschriebene intrakranielle Blutungen pro-
eine enge Korrelation zwischen dem Nachweis eines gnoserelevant, sondern auch diffuse Axonschäden, die
erhöhten initialen Hirndrucks und der Schwere der Ge- kernspintomographisch als „diffuse axonal injury“ (DAI,
dächtnisstörung nach einem Jahr nachgewiesen [111]. Bei shearing injury, Scherverletzung) bei unauffälligem CT
routinemäßig angewendeter Hirndruckmessung mittels nachgewiesen werden können [122, 123]. Es hat sich der
epiduraler Drucksonde haben sich initiale Hirndruck- Einsatz der Magnetresonanztomographie (MRT), die durch
Schwellenwerte um 20 mmHg und Spitzenwerte um größere Sensitivität der CT weitaus überlegen ist [124–
35 mmHg als prognostische Cut-off-Werte bezüglich einer 128], als sicher hilfreich bei der Prognoseerstellung erwie-
günstigen bzw. ungünstigen Prognose herauskristallisiert sen: So korrelierte der Nachweis von tiefen Läsionen im
[40, 53, 110, 112, 113]. Ein nicht oder wenig erhöhter Hirn- Bereich der weißen Substanz, des Hirnstamms und des
druck bei Vorliegen eines ausgeprägten Mittelhirnsyn- Balkens mittels MRT – durchgeführt im Anschluß an die
droms spricht hingegen eher für das Vorliegen einer schwe- Intensivbehandlung – sowohl mit der Tiefe und Dauer der
ren primär-traumatischen Schädigung vom Typ der diffu- Bewußtseinsstörung als auch mit dem Ausmaß der neuro-
sen axonalen Schädigung [27, 40], welche in der CT weiter- psychologischen Defizite und der globalen Behinderung
hin nicht oder nicht im vollen Ausmaß nachzuweisen ist. nach 6 bzw. 11 Monaten [44, 91, 116, 125, 126].
Die Wertigkeit der frühen zerebralen MRT bei der Ab-
Bildgebende Verfahren schätzung der Prognose von primär komatösen Patienten
nach schwerem SHT ist beträchtlich: Bis zu 50 % der in
Computertomographie der MRT untersuchten Patienten mit schwerem SHT mit
Computertomographische Untersuchungen des Schädels initialer tiefer Bewußtlosigkeit weisen prognostisch meist
gehören zur diagnostischen Routine beim SHT und haben maßgebliche Hirnstammläsionen auf. Hirnstammläsionen
die Röntgen-Nativ-Untersuchung nahezu vollständig ver- sind häufig mit anderen tiefen Hirnschäden, wie Balken-
12 J. NEUROL. NEUROCHIR. PSYCHIATR. 4/2004und Basalganglien assoziiert [129, 130]. Der klinische Ver- Elektroenzephalogramm
lauf korreliert eng mit der Lokalisation der tiefen bzw. Die Rolle des Elektroenzephalogramms (EEG) bei der Pro-
Hirnstammläsionen. So versterben in der Regel Patienten gnoseermittlung nach SHT wird seit langem sehr kontro-
mit bilateralen Ponsläsionen, ein apallisches Syndrom fin- vers diskutiert. Die in der Akutphase auf der IBST beim
det sich häufig bei bilateralen mesenzephalen Läsionen komatösen Patienten intermittierend oder kontinuierlich
und ausgedehnten Basalganglienläsionen. Patienten mit abgeleitete Hirnstromkurve wird hauptsächlich bezüglich
einseitiger Hirnstammschädigung weisen eine verlängerte der Grundfrequenz beurteilt. Zur Bewertung des EEG sind
Komadauer auf [131]. Die MRT kann auch bei der Progno- in der Regel wiederholte Untersuchungen notwendig, es
seerstellung eines apallischen Syndroms hilfreich sein: ist keine Unterscheidung zwischen primären oder sekun-
Patienten, die im apallischen Syndrom verblieben, wiesen dären Hirnschäden und reversiblen Pharmakawirkungen
signifikant mehr Balken- und dorsolaterale Hirnstamm- möglich. Die prognostische Wertigkeit bei Gabe von Seda-
läsionen auf als Patienten, die aus dem apallischen Syn- tiva ist deshalb eingeschränkt. Spezifische, automatisiert
drom remittierten [49]. ablaufende Verfahren der Zeitreihenanalyse des EEG wer-
Auch im Nachweis von kortikalen Kontusionsherden, den ebenfalls zur Prognosebeurteilung herangezogen
vor allem im temporalen und zerebellären Bereich, ist (z. B. spektrale Eckfrequenz, EEG-silence-ratio, ESR).
die MRT der CT deutlich überlegen [122, 127, 128]. Das Beurteilungskriterien bei der ESR sind Suppressionsinter-
Ausmaß der Hirnatrophie im subakuten Stadium, v. a. eine valle über 240 ms bei einer Amplitude < 5 mikroV [144].
Erweiterung des dritten Ventrikels, korreliert mit dem Die Ergebnisse zur Prognosebeurteilung werden nicht
Behandlungsergebnis, wahrscheinlich als Ausdruck des durch Benzodiazepine oder Opioide beeinflußt, das Ver-
Ausmaßes der vorderen Balkenläsionen und der Mark- fahren ist jedoch bei isolierten infratentoriellen Läsionen
lagerläsionen [132]. Aussagen anhand dieser morpho- ungeeignet. Nach Theilen [145] liegt der prognostisch
logischen, also eher statischen oder strukturellen Daten, kritische Bereich der ESR bei 20–25 %: Ein positives
die sich aus einer immer feiner werdenden Bildgebung Outcome (GOS 4–5) wurde bei einer ESR von 10,0 % ±
der zerebralen Strukturen ergeben, werden in Zukunft 10,8 % gesehen, eine schlechte Prognose (GOS 1–3) bei
durch funktionelle, mehr dynamische, auch biochemische einer ESR von 51,7 % ± 20,0 %. Polysomnographische
und elektrophysiologische Daten ergänzt werden [26, EEG-Befunde mit dadurch möglichen Rückschlüssen auf
133]. das Schlafmuster sollen ebenfalls prognostisch relevant
sein [146].
Evozierte Potentiale
Masseter-Reflex
In der Frühphase des schweren SHT erwiesen sich vor In der Diagnostik der prognostisch oft entscheidenden
allem die somatosensorisch evozierten Potentiale (SEP) als Hirnstammläsionen können neben den evozierten Poten-
zuverlässige Verlaufsprädiktoren [134–138], dies vor tialen auch andere elektrophysiologische Methoden, etwa
allem, da die Relevanz neurologischer Parameter durch die Ableitung des Masseter-Reflexes, insbesondere in
den heute üblichen Einsatz von Sedativa und Muskel- Ergänzung zur MRT, eine Hilfestellung bieten [129, 130].
relaxantien bei beatmungspflichtigen Patienten einge-
schränkt ist. Nach allgemeiner Erfahrung ist die Ableitung
der SEP innerhalb der ersten 5 Tage prognostisch am be- Hirndurchblutungsmessungen
deutendsten. Patienten mit beidseitigem Ausfall der korti- (Xenon-Studien, SPECT-Studien)
kalen SEP in der Akutphase zeigen immer eine schlechte
Prognose, ein einseitiger Verlust des Kortexpotentials weist Bildgebende CT-Untersuchungen zur zerebralen Durch-
auf überwiegend schlechte Prognose hin [139, 140]. In der blutung mit Xenon-133 werden vorwiegend aus wissen-
eigentlichen Rehabilitationsphase dürfte ihrer Ableitung schaftlichem Interesse durchgeführt und zeigen oft eine
jedoch kein wesentlicher prognostischer Wert mehr zu- Phase der Hyperperfusion initial nach schwerem SHT,
kommen [141], auch bei Patienten mit apallischem Syn- in einer zweiten Phase wird oft eine Minderperfusion fest-
drom nach schwerem SHT ist die Ableitung evozierter gestellt. In der Frühphase schwerer Schädel-Hirn-Ver-
Potentiale nicht für die Unterscheidung reversibler von letzungen fanden sich mittels intraarterieller Inhalations-
irreversiblen vegetativen Zuständen hilfreich [142]. Xenon-Studien sowohl sehr hohe als auch sehr niedrige
Einige Autoren sind der Meinung, daß die akustisch Werte der Hirndurchblutung bei Patienten mit letztlich
evozierten Potentiale (AEP) eine wertvolle Hilfestellung in schlechtem Behandlungsergebnis [68, 103, 111]. Es wurde
der Akutphase bei der Beurteilung der Komatiefe darstel- eine Korrelation zwischen initialer Hyperperfusion und
len. Mit akustisch evozierten Potentialen werden keine Langzeit-Outcome gefunden: bei Patienten mit einer aus-
kortikalen Läsionen erfaßt, deshalb ist eine Prognoseab- geprägten zerebralen Hyperämie fanden sich bei neuro-
schätzung für die Neurorehabilitation durch isolierte Ab- psychologischen Untersuchungen ein Jahr nach dem Trau-
leitung der AEP nicht sinnvoll. ma schwere intellektuelle und Gedächtnisbeeinträchti-
Zur Untersuchung zentraler motorischer Efferenzen im gungen [111].
Kortikospinaltrakt kann der motorische Kortex transkrani- Bei Patienten mit apallischem Syndrom unterschiedli-
ell magnetisch stimuliert werden. Die prognostische Wer- cher Ätiologie wurde bereits in den frühen 1970er Jahren
tigkeit der motorisch evozierten Potentiale (MEP) ist ohne mittels intraarterieller Xenon-Studien eine globale Minde-
Zweifel geringer als die der SEP; MEP sind durch Sedativa rung der Hirndurchblutung auf etwa 20 % des Normal-
beeinflußbar. Eine isolierte Anwendung des Verfahrens ist wertes gefunden [147, 148]. Eine signifikante Beziehung
kritisch in die Gesamtsituation einzuordnen, da auch bei zwischen Hirndurchblutung und Rückbildungsprognose
gesunden Probanden nicht immer ein Potential generier- konnte bei apallischen Patienten nachgewiesen werden
bar ist. Bei beidseits erhaltenen Potentialen findet sich [149]. Ein deutlich erniedrigter zerebraler Sauerstoffver-
überwiegend ein günstiges Outcome (68,8 % Glasgow brauch im Akutstadium, errechnet aus den Werten der
Outcome Scale [GOS] 4 + 5), Patienten mit bilateral erlo- regionalen Hirndurchblutung (Xenon-Studien) und der
schenen Potentialen haben in der Mehrzahl eine schlechte arteriovenösen Sauerstoffdifferenz, korrelierte mit dem
Prognose (81,8 % GOS 1 + 2) [143]. Nachweis eines apallischen Syndroms 6 Monate nach
J. NEUROL. NEUROCHIR. PSYCHIATR. 4/2004 13dem schweren SHT [68]. Eigene SPECT-Studien, erhoben letzte eher als ältere zu Verhaltens- und Affektstörungen
an Patienten mit traumatischem apallischem Syndrom in im Langzeitverlauf neigen [11, 16, 158].
der Frühphase der Rehabilitation, stehen mit früheren
invasiven Xenon-Arbeiten in guter Übereinstimmung. Eine Prämorbide Persönlichkeitsfaktoren
diffuse kortikale Herabsetzung der Hirndurchblutung war Persönlichkeitsmerkmale sollen für die Rehabilitationspro-
in allen Fällen mit einer schlechten Prognose bezüglich gnose eine Rolle spielen, welche in ihrem Ausmaß aber
einer Rückbildung im Langzeitverlauf verbunden. Die bis heute nicht ausreichend definiert werden konnte [13,
Erstellung einer günstigen Prognose anhand des Nachwei- 22, 77]. Personen, die von ihren Bezugspersonen mit prä-
ses lediglich fokaler Durchblutungsminderungen war morbiden Eigenschaften wie „sozial schwach“, „nervös“,
jedoch nicht möglich [150, 151]. „unterkontrolliert“ oder „zwanghaft“ beschrieben wurden,
Bei Patienten mit schwerem SHT korrelierte im chroni- hatten eine sehr schlechte Prognose bezüglich ihrer Fähig-
schen Stadium eine frontale Minderperfusion mit einem keit, die Folgen einer traumatischen Hirnschädigung ange-
enthemmten Verhalten, eine herabgesetzte rechtshemi- messen zu bewältigen [7, 159, 160]. Das Rehabilitations-
sphärielle HMPAO-Tracer-Aufnahme mit einem aggressi- ergebnis könnte auch von der Art des Unfalls beeinflußt
ven Sozialverhalten [18, 26]. Der Einsatz funktionell-bild- werden: SHT-Patienten nach einem Überfall oder durch
gebender Verfahren, wie funktioneller Magnetresonanz- eine Gewalttat weisen eine schlechtere psychosoziale
tomographie oder Aktivations-PET, auch in der Akut- oder Reintegration auf als Patienten nach Autounfällen [161].
zumindest frühen Rehabilitationsphase wird möglicher- Ein höheres Intelligenz- und Ausbildungsniveau scheint
weise neue wissenschaftliche Erkenntnisse für erweiterte prognostisch günstig zu sein [162–164], vorausgesetzt,
oder neue Therapieansätze im Rehabilitationsprozeß erge- daß der Intelligenzbonus nicht durch eine überhöhte An-
ben [26, 122, 133]. spruchshaltung wieder relativiert wird.
Einstellung des Betroffenen zur Rehabilitation
Laborchemische Verfahren Eine unrealistische Anspruchs- und Erwartungshaltung,
(Biochemische Marker) die häufig mit einer mangelnden Einsicht in verbleibende
Defizite (Behinderungseinsicht) sowie einer Verhaltens-
Auch biochemische Marker reflektieren den initialen störung verbunden ist, erschwert hingegen adäquate Be-
Schweregrad des SHT und könnten somit im Akutstadium wältigungsstrategien und damit eine erfolgreiche psycho-
prognostisch wertvoll sein: Noradrenalin-, Adrenalin- und soziale Rehabilitation [22, 160, 164, 165].
Dopaminplasmaspiegel der ersten 48 Stunden [67, 152]
sowie extrapolierte Kreatin-Kinase-BB-Isoenzym-Werte im Psychosoziale Faktoren
Liquor, die mittels Ventrikelpunktion innerhalb der ersten Ein reiches psychosoziales Umfeld hat sich für eine erfolg-
24 Stunden nach dem Trauma gewonnen wurden, konnten reiche soziale und berufliche Wiedereingliederung des
sich in der klinischen Praxis nicht etablieren. Das wert- hirngeschädigten Patienten als günstig erwiesen [6, 22,
vollste laborchemische Verfahren zur Beurteilung von 160, 166]. Ein festes Arbeitsverhältnis, intakte Familien-
Schwere und weiteren Prognose beim SHT dürfte in der verhältnisse und ein unterstützendes soziales Milieu tra-
Bestimmung des S-100B-Proteins bestehen. Eine Erhöhung gen auch zu einer realistischen Einschätzung des Patienten
des S-100B-Proteins im Serum korreliert mit dem klini- bezüglich seiner verbliebenen beruflichen Möglichkeiten
schen und computertomographischen Schweregrad des bei [11, 70, 167, 168]. Eine günstige prognostische Wertig-
SHT; darüber hinaus könnte das S-100B-Protein im Serum keit eines höheren Ausbildungsniveaus wird besonders im
aber auch ein von diesen Faktoren unabhängiges Progno- Hinblick auf eine berufliche Rehabilitation diskutiert [22,
sekriterium darstellen [153, 154]. 167, 168], aber auch verneint [164, 169].
Woertgen und Mitarbeiter [155] ordnen dem S-100B-
Protein – einem Protein aus der Astroglia – eine höhere Zerebrale Vorschädigung
korrekte Vorhersehbarkeitsrate zu als der GCS oder einer Eine zerebrale Vorschädigung (früherer Unfall oder Er-
Klassifizierung auf der Grundlage der CT-Befunde. Von krankung) verschlechtert zweifelsohne die Rehabilita-
anästhesiologischer Seite wird auch der Nachweis von tionsprognose [6, 11, 70, 170]. Auch der Faktor Alkohol,
pulmonalen Shunts als „Hypoxie-Marker“ in der progno- entweder als Abusus oder in direkter Kausalverknüpfung
stischen Evaluierung des schweren SHT berichtet [102]. mit dem Unfall, ist eine negative Prädiktorvariable [16,
171]. In diesem Zusammenhang sind auch das bereits prä-
morbid häufig schlechtere Ausbildungsniveau, geringere
Mittelbar wirksame (personenbezogene) Faktoren Einkommen (sozioökonomischer Status) und häufigere
Schulprobleme bei Patienten mit Schädel-Hirn-Verletzung
Alter im Vergleich zur einer Normalpopulation anzusprechen
Die Bedeutung des Lebensalters als wesentlicher progno- [164, 166, 172].
stisch ungünstiger Faktor bei der Abschätzung der Reha-
bilitationschancen ist unumstritten [6, 74, 87, 156] und
auch mittels Studien mit multivariaten statistischen Verfah- Methodische Schwierigkeiten der
ren abgesichert [67, 68, 141]. Ein höheres Alter dürfte Prognoseermittlung
zwar nicht a priori negativ zu bewerten sein, jedoch steigt
mit zunehmendem Lebensalter die Wahrscheinlichkeit für Jeder in der Neurotraumatologie Tätige weiß, wie schwie-
Begleitverletzungen, Vorerkrankungen sowie allgemeine rig es ist, Antworten auf Fragen der Zukunft mit nur annä-
und operative Komplikationen an. Auch bestehen mögli- hernder Sicherheit zu geben, sei es in der Akutphase auf
cherweise beim älteren Menschen ausgedehntere Hirn- der Intensivstation, sei es in den weiteren Phasen der Neu-
läsionen (insbesondere infolge subduraler Hämatome), rorehabilitation. Bei der Metaanalyse unterschiedlicher
eine geringere Plastizität des zentralen Nervensystems und Studien, die sich mit dem Outcome von Schädel-Hirn-Ver-
oftmals schlechtere psychosoziale Faktoren [22, 36, 157]. letzten beschäftigen, stehen folgende methodische Proble-
Hingegen wurde berichtet, daß jüngere Schädel-Hirn-Ver- me im Vordergrund:
14 J. NEUROL. NEUROCHIR. PSYCHIATR. 4/2004• Unterschiede in der Größe der Patientenkollektive, die Die Vorhersage für Patienten mit einer späteren mäßig-
vor allem im Bereich der personal- und zeitaufwendi- gradigen Behinderung, die einen wichtigen Teil des Reha-
gen Neurorehabilitation im allgemeinen für statistisch bilitationskrankengutes darstellen, ist oft nur unbefriedi-
gesicherte Aussagen zu klein sind. gend möglich [55, 75]. Auch ist die Prognose bei Patienten
• Unterschiede der verwendeten Scoring-Systeme bei der mit apallischem Syndrom vor allem in der Frühphase der
Beurteilung des Schweregrades des SHT: Die Defini- Rehabilitation bezüglich des Ausmaßes der zu erwarten-
tion „schweres SHT“ wird unterschiedlich gehandhabt. den Remission weiterhin problematisch [60, 68, 69, 141,
Während einige Autoren das schwere SHT bei GCS- 150]. Ursächlich dürfte hierfür sein, daß – neben den
Werten von 3–5 oder < 7 definieren, sind andere „groß- obenstehend angeführten methodischen Problemen – ein
zügiger“ und sprechen vom schweren SHT bei GCS- zusätzlicher hypoxischer Hirnschaden zu einem frühen
Werten von ≤ 8 oder gar ≤ 9 und kommen verständli- Zeitpunkt oft nur unscharf und nicht in einem genauen
cherweise bereits durch diese unterschiedlichen Aus- Ausmaß zu erfassen ist. Auch ein diffuser Axonschaden ist
gangsdefinitionen zu unterschiedlichen Ergebnissen. häufig erst im chronischen Stadium und das nur mit der
• Heterogenität des Verletzungsmusters noch nicht allgemein zugänglichen Magnetresonanz-
• Unterschiede bei der Beurteilung des Ergebnisses und tomographie nachweisbar.
der sogenannten Outcome-Kriterien Es bestehen, wie bereits angeführt, große Unterschiede
• Unterschiedliche Ein- und Ausschlußkriterien der der Outcome-Studien bezüglich der Wahl der Beurtei-
Patientenkollektive lungskriterien des neurologischen Ergebnisses und dem
• Unterschiedliche Beobachtungszeiträume [21] unterschiedlichen Zeitpunkt ihrer Erhebung. Aus einem
rehabilitationsorientierten Blickwinkel muß angeführt
Eine Vergleichbarkeit der zahlreichen Studien ist durch werden, daß viele der angeführten Arbeiten, die die Erstel-
unterschiedliche Patientendefinitionen und -stichproben, lung prognostischer Faktoren beim schweren SHT zum
Untersuchungszeitpunkte und Erfassung des Behandlungs- Ziel hatten, als Outcome-Kriterien lediglich einfach zu er-
ergebnisses, vor allem in bezug auf rehabilitationsrele- fassende Kategorien wie Überleben/Tod bzw. meist die
vante Aspekte, nur eingeschränkt möglich. Auf die Hetero- anhand von Globalfunktionen erstellten Kriterien der
genität des Verletzungsmusters wurde in früheren Studien Glasgow Outcome Scale (GOS) [1] angeben. Die GOS hat
hingewiesen [6, 20, 47, 89]. Unterschiede sind bereits sich weitgehend durchgesetzt, auch wenn gerade aus dem
beim zerebralen Primärschaden vorhanden und werden neurologischen Rehabilitationsbereich eine Reihe weite-
beim Sekundärschaden ebenso deutlich. rer, subtilerer Beurteilungskriterien und Fragebögen erar-
Zusätzliche Unterschiede bei den Begleitverletzungen beitet worden sind, die eine bessere Betrachtung der
machen die Bildung ausreichend großer homogener Kol- „Lebensqualität“ erlauben. Andererseits werden häufig
lektive außerordentlich schwierig. 40–60 % aller Patien- neuropsychologische Testergebnisse als abhängige Variab-
ten mit SHT haben eine oder mehrere Begleitverletzun- le (Outcome-Kriterien) angegeben, die nur bedingt auf
gen; bei Polytraumatisierten ist das Ausmaß der Hirnbetei- alltagsrelevante Fähigkeiten übertragbar sind. Differen-
ligung häufig, aber sicher nicht regelhaft, eine entschei- zierte, pragmatisch-rehabilitationsorientierte Outcome-
dende prognostische Größe. Versucht man nun über mul- Kriterien werden in nur wenigen Arbeiten berücksichtigt.
tizentrische Studien die Kollektive mit homogenerem Ver- Die Wertigkeit verschiedener klinischer und apparativer
letzungsmuster zu vergrößern, so rücken wiederum die Verfahren zur Beurteilung der Prognose bezüglich der
Unterschiede in den therapeutischen Konzepten sowohl in Überlebenschance ist unbestritten, diese haben für die
der Intensivbehandlung als auch in der anschließenden Rehabilitationsprognose oft nur eine eingeschränkte Be-
Neurorehabilitation in den Vordergrund. Die derzeitigen deutung.
Konzepte der Behandlung des SHT sind so heterogen, daß Die Zeitpunkte der Beurteilung des therapeutischen
es nicht möglich ist, die Variabilität der Rahmenbedingun- „Erfolges“ differieren enorm und reichen vom Zeitpunkt
gen auszuschalten [21, 173]. In der Therapie des SHT, v. a. der Entlassung aus der Klinik, über ein halbes Jahr bis hin
in der Neurorehabilitation nach SHT, sind wir in vielen Be- zu mehreren Jahren in anderen Studien, welche die späte-
reichen noch weit von der zunehmend geforderten „Evi- ren Rehabilitationsmaßnahmen mit bzw. ausschließlich in
dence-Based Medicine“ entfernt. die Betrachtung aufnehmen. Die meisten Autoren des
Es müssen somit Einschränkungen der Prognostik nach Akutbereichs haben sich auf ein Follow-up von 6 Monaten
schwerem SHT eingeräumt werden. Von einem klinisch- festgelegt; offensichtlich wird die Meinung vertreten, daß
pragmatischen Standpunkt aus sind negative Vorhersagen nach diesem Zeitpunkt nur noch in Einzelfällen weitere
sehr viel leichter zu treffen, als die Prognose eines unbe- Veränderungen zu erwarten sind. Hingegen ist dieser Be-
hinderten Ausgangs zu bestimmen. Auch ist die Unter- obachtungszeitraum aus Sicht der Neurorehabilitation
scheidung sehr guter von sehr schlechten Verläufen meist sicher zu kurz, um Aussagen über das endgültige Rehabili-
möglich [60, 67]. Pupillenreaktion und initialer Glasgow tationsergebnis treffen zu können, da Verbesserungen
Coma Score, spontane Augenbewegungen sowie der Zeit- sicher bis zu mindestens 2 Jahren nach dem Trauma er-
punkt des ersten Augenöffnens, Lebensalter und zerebrale reichbar sind. Es muß aber konzidiert werden, daß der
Vorschädigungen sind jedoch imstande, zumindest ten- größte Prozentsatz einer möglichen Rückbildung der neu-
denziell die Prognose quoad vitam beim akuten SHT-Pati- ropsychiatrischen Folgeerscheinungen innerhalb der
enten vorauszusagen und einzugrenzen. Wenn der initiale ersten 6 Monate nach dem Trauma zu erwarten ist.
Glasgow Coma Score, das Alter und die Pupillenreaktio- Methodenkritisch ist auch anzumerken, daß viele der
nen sicher beurteilt werden können, läßt sich mit einer in der Literatur angeführten prognostischen Faktoren
Wahrscheinlichkeit von über 90 % vorhersagen, ob der Be- lediglich mit Hilfe univariater statistischer Verfahren ohne
treffende überleben wird. Diese Möglichkeit, schon frühzei- Berücksichtigung eventuell vorhandener konfondierender
tig eine prognostische Entwicklung zumindest tendenziell Variablen ermittelt wurden und mitunter sogar ausschließ-
vorherzusagen, erlaubt dennoch nicht, bereits Rehabilita- lich auf heuristischer Basis angegeben werden. Die weni-
tionsprognosen in der Frühphase des Managements von gen Arbeiten, die einen multivariaten statistischen Ansatz
SHT-Patienten zu stellen, insbesondere keine endgültigen wählten, untersuchten, abgesehen von Ausnahmen [58,
prognostischen Aussagen für den Langzeitverlauf zu treffen. 123], als mögliche Prädiktorvariable ausschließlich klini-
J. NEUROL. NEUROCHIR. PSYCHIATR. 4/2004 15Sie können auch lesen