Prüfung und Bewertung kommunaler Beschlussvorlagen auf Klimarelevanz
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Ergebnis der Fachtagung „Meine Kommune im Klimanotstand – was nun?“ Prüfung und Bewertung kommunaler Beschlussvorlagen auf Klimarelevanz Seit Mitte 2019 haben viele deutsche Kommunalparlamente den Klimanotstand ausge- rufen oder ähnlich lautende Beschlüsse zur Stärkung des Klimaschutzes auf kommunaler Ebene getroffen. Zwar unterscheiden sich die Inhalte der einzelnen Beschlüsse in vielen Punkten, doch ein Punkt ist in den meisten Beschlüssen enthalten: Ratsvorlagen sollen auf ihre Auswirkung auf den Klimaschutz geprüft werden. Diese Anforderung ist neu und stellt die Kommunalverwaltungen vor Fragen: (1.) Wer soll das in unserer Verwal- tung übernehmen? (2.) Welche Beurteilungsmaßstäbe sollen angesetzt, welche Kriterien geprüft werden? Und (3.) sollen und können mit der Prüfung auch Handlungsempfeh- lungen für mehr Klimaschutz verbunden werden? I m Januar 2020 veranstalteten das Klima- Bündnis, die Landesenergieagenturen aus Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen und die D eutsche Bundesstiftung Umwelt die Fachtagung „Meine Kommune im Klimanotstand – Was nun?“. Intensiv wurden Fragen zur Prüfung und Bewertung der Klimarelevanz von Beschluss- vorlagen erörtert. Diese Handreichung fasst den Diskussionsstand der Teilnehmenden zusammen. Sowohl das Deutsche Institut für Urbanistik (Difu) als auch das Klima-Bündnis bieten Kommunen Hilfestellungen bezüglich der Prüfung von Be- schlussvorlagen an. Am Ende des Dokuments sind die Link-Tipps hierzu angegeben. Zusätzlich ist ein Interview mit Detlef Gerdts, Fachbereichsleiter Umweltplanung der Stadt Osnabrück, angefügt. Herr Gerdts hat das „Osnabrücker Modell“ zur Be- Die erste Frage, die für die Prozessgestaltung schlussvorlagenprüfung bei der Tagung vorgestellt. beantwortet werden muss, ist „wer soll’s machen?“ und reflexartig lautet die Antwort häufig: „der 1. Verortung des Prüfvorgangs oder die Klimaschutzmanager/-in!“. Jedoch ist das Klimaschutzmanagement in vielen Kommunen Je nach Größe und Organisationsform bearbeitet nur mit einer Personalstelle besetzt – und die ist eine Kommune jährlich zwischen 600 und 1.200 für die Umsetzung von Maßnahmen für den Klima- Beschlussvorlagen. Eine grobe Analyse in der schutz verantwortlich. Stadt Osnabrück hat ergeben, dass ca. 60 Prozent der Vorlagen keine Klimarelevanz haben, so zum Daher wird ebenso schnell klar, dass eine zentrale Beispiel die Umbenennung einer Straße oder die Verortung der Beschlussvorlagenprüfung in der finanzielle Unterstützung örtlicher Vereine. Bleiben Klimaschutzleitstelle / im Klimaschutzmanagement etwa 350 – 700 Beschlussvorlagen, für die ein ver- zusätzliche personelle Ressourcen voraussetzt. waltungsinterner Prozess definiert werden muss. Alternativ kann ein Prozess initiiert werden, der 1
eine dezentrale Prüfung in dem jeweiligen Fach- lichen Beschäftigten in den Abteilungen vor der ressort vorsieht, das die Beschlussvorlage erstellt Einführung einer dezentralen Klimarelevanz- hat. Beide Varianten, zentral oder dezentral, haben Prüfung für den Prüfvorgang geschult werden müs- ihre Vor- und Nachteile. Im Folgenden werden die sen, und dass das Klimaschutzmanagement zusätz- wesentlichen Vorteile aufgelistet: lich für alle Abteilungen bei Fragen zur Verfügung steht. Auch können die Kommunalpolitikerinnen Für eine zentrale Verortung spricht … und -politiker zu diesen Schulungen eingeladen werden, um hier die Sensibilisierung und das Ver- die fachkundige Einschätzung zur Klima ständnis für Klimaschutzmaßnahmen zu fördern. relevanz der Maßnahme Die Stadt Osnabrück hat sich, anders als viele CO -Berechnungen für Einzelmaßnahmen andere Kommunen, für eine zentrale Verortung möglich der Aufgabe entschieden, also die Mitzeichnung Klimaschutzabteilung wird durch Zusatz aller Beschlussvorlagen durch den Fachbereich aufgabe verwaltungsintern gestärkt Umwelt und Klimaschutz. So sollen kontinuierlich vergleichbare Ergebnisse gewährleisten werden. Für eine dezentrale Verortung spricht ... Im Interview erläutert Fachbereichsleiter Gerdts, die Hintergründe. größte Sachkenntnis über das zu beschließende Vorhaben und damit auch zu möglichen Letztlich wird jede Kommune für sich abwägen, Optimierungen unter dem Klimaschutzaspekt welcher Weg, dezentral oder zentral, für sie prak- tikabel ist und gegebenenfalls auch Mischformen Sensibilisierung für Klimaschutz-Belange in finden. Ein wesentlicher Entscheidungsfaktor ist allen Verwaltungsbereichen hierfür auch die Frage, in welchem Umfang und durch die Verteilung auf Viele, ist der Prozess welcher Detailtiefe die Prüfungen der Beschluss- weniger anfällig für Personalausfälle vorlagen stattfinden soll. Abschnitt zwei gibt eine Orientierung bei diesen Fragen. Stärkung der Kommunikationswege zwischen dem Klimaschutzmanagement und anderen Ressorts theoretisch auch in Kommunalverwaltungen ohne Klimaschutzmanagement umsetzbar Die Kommunen, die zur Erstellung der Difu- Orientierungshilfe befragt wurden, plädieren für die dezentrale Verortung in den jeweiligen Fach- ressorts, die bei Bedarf die Expertise des Klima- schutzmanagements hinzuziehen. Dieses Vorgehen wurde auch von der Klimaschutzmanagerin der Gemeinde Bargteheide präferiert, da es allein aus zeitlichen Gründen nicht möglich wäre, die Service- leistung für alle Beschlussvorlagen zu erbringen. Deutlich herausgestellt wurde jedoch von den Workshop-Teilnehmerinnen und Teilnehmern, dass die für die Beschlussvorlagen verantwort 2
HINTERGRUND Die Stadt Konstanz verabschiedete als erste Die ehrenamtlichen Mitglieder im Rat Kommune in Deutschland eine Resolution zum können die Klimarelevanz ihrer Entscheidun- Klimanotstand. In dem Text ist die Anforderung gen nur angemessen berücksichtigen, wenn formuliert, die „Auswirkungen auf den Klima- sie über die Folgen ausreichend informiert schutz“ in politischen Beschlussvorlagen auszu- werden. Zudem erleichtert die Angabe von weisen: klimafreundlichen Umsetzungsalternativen die Fach-Diskussionen in den Gremien. „Der Konstanzer Gemeinderat berücksichtigt ab sofort die Auswirkungen auf das Klima bei jegli- Dadurch, dass Klimaschutzbelange in allen chen Entscheidungen, und bevorzugt Lösungen, die Handlungsfeldern der Kommune präsent sich positiv auf Klima-, Umwelt- und Artenschutz werden, trägt die Prüfung und Angabe auf auswirken. Hierzu wird für sämtliche politische Dauer zu einer Sensibilisierung für Klima- Beschlussvorlagen ab September 2019 das Käst- schutzbelange in der Kommune bei. chen „Auswirkungen auf den Klimaschutz“ mit den Das Klimaschutzmanagement, bis dato häu- Auswahlmöglichkeiten „Ja, positiv“, „Ja, negativ“ fig als Randbereich der Kommunalverwal- und „Nein“ verpflichtender Bestandteil. Wird die tung angesehen, wird gestärkt. Frage mit „Ja, positiv“ oder „Ja, negativ“ beant wortet, muss die jeweilige Auswirkung in Zusam- Zusammenfassend kann gesagt werden, dass menarbeit mit dem Klimaschutzbeauftragten in dieser zentrale Punkt der Klimanotstands der Begründung dargestellt werden.“ 1 erklärungen entscheidend zu einem real verbes serten Klimaschutz auf kommunaler Ebene Nach diesem Vorbild wird die Beschlussvorla- beitragen kann. genprüfung in vielen Kommunen diskutiert. Der Mehraufwand in der Verwaltung, der durch die zusätzliche Prüfung entsteht, wird durch den Mehrwert an Informationen gerechtfertigt. 2. Welche Entscheidungskriterien Welche Emissionsfaktoren werden für die werden geprüft, bzw. welche Berechnung angesetzt? Beurteilungsmaßstäbe werden Kann ein CO -Bilanzierungs-Tool für Einzel angesetzt? maßnahmen angeschafft werden? Ab wieviel Tonnen CO -Äquivalenten ist die Klimaschutz bedeutet, klimaschädliche Treib- auf der Beschlussvorlage bewertete Tätigkeit hausgas (THG)-Emissionen zu vermeiden, bezie- tatsächlich „klimarelevant“? hungsweise Treibhausgase aus der Atmosphäre zu binden. Damit ist offensichtlich, dass bei einer Insbesondere zur letzten Frage bietet die Difu- Prüfung der Klimarelevanz von Beschlussvorlagen Orientierungshilfe Antworten und Hilfestellungen. der Faktor „mehr oder weniger THG-Emissionen“ An dieser Stelle soll ein möglicher Prüfansatz vor- bewertet werden muss. In der Praxis ist diese gestellt werden, der eine qualitative Bewertung der quantitative Bewertung mit Herausforderungen Beschlussvorlage erleichtert und in den meisten verbunden: Fällen auf eine Berechnung der THG-Emissionen 1 Quelle: Stadt Konstanz, Ratsinformationssystem, Informationsvorlage – 2019-0226, abgerufen am 25.03.2020 3
verzichtet. Die Grundidee ist, dass Maßnahmen dafür: Es sei ebenso wichtig, die positiven Auswir- wie Bodenversiegelung oder Verkehrsinfrastruktur kungen darzustellen, wie die negativen. In Summe nicht in THG-Emissionen umgerechnet werden, trägt dies zu einem positiven Gesamtbild für den sondern anhand von Einschätzungen der Fachab- Klimaschutz bei und es kann Rückenwind für wei- teilungen. tere Klimaschutz-Maßnahmen geben. Hierfür hat die Gemeinde Bargteheide einen Leit- Die letzten zwei Punkte im Leitfragenkatalog ge- fragenkatalog entwickelt, der auf den folgenden hen über eine einfache Prüfung der Klimarelevanz Seiten leicht adaptiert dargestellt wird. hinaus, sie betreffen mögliche klimafreundlichere Umsetzungs-Alternativen. Dieser Aspekt wird im In der Praxis wird bei vielen Vorlagen vermut- dritten Absatz kurz beleuchtet. lich bereits die kurze Vorprüfung ausreichen, um zu erkennen, ob eine Klimarelevanz vorliegt oder nicht. Der auf der Folgeseite dargestellte Leitfragenka- LITERATUR-EMPFEHLUNG: talog kann auf die individuellen Bedürfnisse der Das Service- und Kompetenzzentrum: Kom- Kommunen angepasst und ergänzt werden. So munaler Klimaschutz (SK:KK) hat 2018 „Erste diskutiert die Hansestadt Lüneburg aktuell einen Schritte und Hilfestellungen zur Energie- und Ansatz, in dem die Sustainable Development Goals Treibhausgasbilanzierung für Kommunen“ (SDG) der UN für die Beschlussvorlagenprüfung zusammengestellt. Hierin enthalten ist auch einbezogen werden. ein lesenswerter Abschnitt zu Bilanzierungs- Häufig taucht im Zusammenhang mit dem Um- Software. fang der Beschlussvorlagenprüfung die Frage auf, www.difu.de/publikationen/2018/fokus- ob es notwendig ist, auch die positiven Auswir- energie-und-treibhausgasbilanzierung-in- kungen auf das Klima explizit aufzuführen. Die kommunen Teilnehmenden im Diskussionsforum plädierten 4
Leitfragenkatalog für die Prüfung von Beschlussvorlagen auf Klimarelevanz – ein Beispiel, zur Verfügung gestellt von der Gemeinde Bargteheide 1. Stufe: VOREINSCHÄTZUNG DER KLIMARELEVANZ Bsp: Jede Beschaffung, jedes Bauvorhaben, alle Themen, die Mobilität betreffen, haben immer eine Klima relevanz. Sie verbrauchen mehr oder weniger Energie, versiegeln Fläche oder verbrauchen (fossile) Resourccen. Eine Straßenumbenennung oder die Entscheidung über eine neue Schuldirektorin haben wahrscheinlich keine Klimarelevanz. Mein Projekt hat keine Klimarelevanz ▸ Bitte begründen Sie kurz, warum ihr Vorhaben klimaneutral ist Bitte kreuzen Sie in der Beschlussvorlage „keine Auswirkungen“ an! Ich bin mir nicht sicher, es gibt vielleicht eine Klimarelevanz ▸ Bitte arbeiten Sie in der folgenden Tabelle weiter Ja, es gibt eine Klimarelevanz, mein Projekt hat etwas mit Energie, Klimaschutz, Klimaanpassung oder Bau zu tun, ich kaufe etwas. ▸ Bitte arbeiten Sie in der folgenden Tabelle weiter 2. Stufe: WELCHE KLIMARELEVANZ HAT DAS VORHABEN? Beispielhafte Fragen: Ja Nein (Mehrfachnennungen möglich) 1. Wird durch das Vorhaben weniger fossile Energie (Strom und Wärme aus Öl, Gas, Kohle) verbraucht? 2. Setzt das Vorhaben einen Anreiz für klimafreundliche Mobilität? (alternative Antriebe, keine Förderung des Autoverkehres!) 3. Werden durch das Projekt Flächen entsiegelt - oder zumindest versickerungsfreundlich gestaltet? 4. Unterstützt die Maßnahme ein Umdenken der Bevölkerung und der Verwaltung für mehr Klimaschutz? 5. Wird ressourcenschonend beschafft? Wurde bei der Ausschreibung der gesamte Lebenszyklus des Produktes betrachtet, nicht nur Kosten und Amortisation? Gibt es ein nachhaltiges Veranstaltungsmanagement? 5
3. Stufe: IST DIE KLIMARELEVANZ POSITIV ODER NEGATIV UND GERINGFÜGIG ODER ERHEBLICH? Beispielhafte Fragen: 3a. Wurden eine oder mehrere Fragen der Stufe zwei mit "Ja" beantwortet: 6. Erklären Sie bitte kurz, ob die positiven Auswirkungen auf das Klima erheblich oder geringfügig sind. Bsp: Werden 3 m² oder 20 ha Fläche entsiegelt? Bsp: Wird eine Ölheizung dauerhaft durch eine Holzhackschnitzelheizung ersetzt? Bitte kreuzen Sie in der Beschlussvorlage „Ja, positiv“ an! 3b. Wurden eine oder mehrere Fragen der Stufe zwei mit „nein“ beantwortet, beantworten Sie bitte folgende Fragen: 7. Ist die Auswirkung erheblich oder geringfügig? Bsp: Wieviele Quadratmeter Fläche werden versiegelt? Falls Sie Werte über zusätzliche Emissionen oder Energieverbräuche haben, bitte hier einfügen. 8. Wurden alternative Umsetzungsvarianten entwickelt, die zu einem Kreuz bei „Ja“ geführt hätten? 9. Wenn Frage 8 mit „Ja“ beantwortet wurde: Warum wurden diese verworfen? 10. Das Projekt hat offensichtlich negative Auswirkungen auf Klima / Umwelt / Energieverbrauch. Falls es dennoch beschlossen werden sollte, welche Kompensationsmaßnahmen (zusätzliche Ausgleichsflächen bei Baumaßnahmen, Aufforstungen, zusätzliche Mittel für Klimaschutzprojekte) schlagen Sie vor? 11. Welche Ideen haben Sie für eine Alternative, wie könnte das Projekt klimafreundlicher werden? Gefragt sind hier Ihre Ideen oder Projektskizzen. Keine ausführlichen Berechnungen oder Kalkulationen. Bitte kreuzen Sie in der Beschlussvorlage „Ja, negativ“ an! 6
3. Beschlussvorlage mit positiver oder Fällen, in denen keine Optimierungsmaßnahmen negativer Klimawirkung – und nun? zur Verfügung stehen, eine monetäre Kompen- sation der CO -Emissionen in Betracht gezogen Mit der Prüfung der Beschlussvorlagen auf ihre werden kann, um die negativen Auswirkungen der Klimarelevanz ist in der Kommune das primäre Maßnahme auszugleichen. Anbieter für Kompen- Ziel verbunden, unser Klima zu schützen. Besten- sationen gibt es viele, einige bieten Zertifikate für falls erhalten die kommunalen Entscheidungsträger eigene Klimaschutzprojekte an. Andere kaufen und daher nicht nur die Angabe zur Klimarelevanz, verkaufen Zertifikate von bereits existierenden sondern bei Vorlagen, die negative Auswirkungen Projekten. auf das Klima ausweisen, werden zusätzlich Letztlich kann sich die Kommune aber auch alternative Umsetzungsvorschläge entwickelt. zusätzliche CO -Senken vor Ort anlegen, beispiels- Erst wenn diese vorliegen, kann die Entscheidung weise durch Aufforstung. getroffen werden: a) Umsetzung wie vorgestellt (trotz negativer Auswirkungen auf das Klima, bzw. mit den LINK-TIPP: positiven Auswirkungen auf das Klima). Das Umweltbundesamt hat alles Wissens b) Umsetzung in alternativer klimafreundlicherer werte zum Thema „Freiwillige Form. CO -Kompensation“ zusammengetragen c) Die „Null-Variante“ (Maßnahme wird nicht um- www.umweltbundesamt.de/umwelttipps- gesetzt). fuer-den-alltag/mobilitaet/kompensation- von-treibhausgasemissionen Um die Erarbeitung von klimafreundlicheren Um- setzungs-Alternativen zu ermöglichen, ist eine frühzeitige und enge Zusammenarbeit des jewei- Die Gretchenfrage: Gibt es eine Bindungswir- ligen Fachbereichs mit dem Klimaschutzmanage- kung für politische Entscheidungsgremien? ment wichtig. Insbesondere bei Planungsvorhaben mit länger laufenden Verfahren und externen Gut- Die Antwort gibt das Niedersächsische Kommu- achten, wie beispielsweise bei der Aufstellung von nalverfassungsgesetz (NKomVG). § 54 regelt die Bebauungsplänen, ist das Klimaschutzmanagement Rechtsstellung der Mitglieder einer Ratsvertretung: frühzeitig einzubinden, da hier eine nachträgliche „Die Mitglieder der Vertretung üben ihre Tätigkeit Klimaprüfung kaum greifen würde. im Rahmen der Gesetze nach ihrer freien, nur durch Rücksicht auf das öffentliche Wohl geleiteten Überzeu- Und doch wird jede Kommune in der Praxis gung aus. Sie sind nicht an Verpflichtungen gebunden, Beschlussvorlagen erhalten, bei denen keine Op- durch die die Freiheit ihrer Entschließung als Mitglie- timierungen und keine Umsetzungsalternativen der der Vertretung beschränkt wird.“ realisierbar sind. Im Diskussionsforum bei der Fachtagung in Osnabrück wurde dafür plädiert, Die Klimarelevanzprüfung kann daher ausschließ- dass dies zwingend dokumentiert werden sollte. lich dazu dienen, die Ratsmitglieder mit der Anga- be der Klimarelevanz auf Beschlussvorlagen für die Zusätzlich wird in diesen Fällen eine Rückkopp- Treibhausgasemissionen der Kommune zu sensibi- lung der jeweiligen Fachabteilung mit dem Klima- lisieren und die vereinbarten Klimaschutzziele im schutzmanagement verpflichtend angeraten (so Blick zu haben. genannte Mitzeichnung durch das Klimaschutz- management). Hintergrund dieser Prüfschleife über das Klimaschutzmanagement ist, dass in den 7
Minderungspfad THG-Emissionen gem. Zielen der Bundesregierung im Klimaschutzplan 2050 LINK-TIPPS vom DIFU und KLIMA-BÜNDNIS 100 % Sowohl das Deutsche Institut für Urbanistik 80 % (Difu) als auch das Klima-Bündnis haben früh 60 % den Beratungsbedarf der Kommunen bezüg- lich der Beschlussvorlagen-Prüfung erkannt 40 % und bieten Kommunen Hilfestellungen an. 20 % Das Difu hat in Abstimmung mit dem Deut- 0% 1990 2020 2030 2040 2050 schen Städtetag (DST) eine Orientierungshilfe Quelle: Eigene Darstellung nach BMU (2016), erarbeitet, wie eine Prüfung der Klimarele- Klimaschutzplan 2050, S. 28 f. vanz bei der Erstellung von Beschlussvorlagen bzw. bei Anträgen in den kommunalen Vertre- Wie der Weg zur treibhausgasneutralen Kom tungskörperschaften gestaltet werden kann. mune definiert wird und ob dieser ambitionierter In diese Orientierungshilfe sind die Erfahrun- verläuft als der Minderungspfad, den die Bundes- gen aus mehr als 90 Kommunen eingeflossen, regierung für Gesamtdeutschland im Klimaschutz- die im zweiten Halbjahr 2019 einen Prozess plan 2050 anstrebt, verantwortet jede Kommune definiert haben. Die Orientierungshilfe schlägt individuell. einen zweistufigen Prozess vor, der in der ersten Stufe aus einer Vor-Einschätzung der Klimarelevanz und in der zweiten Stufe aus einer Prüfung der Klimarelevanz anhand einer quantitativen Bilanzierung des Treibhaus- gas(THG)-Ausstoßes in CO -Äq besteht. Die Difu-Orientierungshilfe steht unter www.klimaschutz-niedersachsen.de/ klimanotstand#HilfestellungenKlimanotstand zum Herunterladen bereit. Eine wertvolle Unterstützung bietet die "Klimawirkungsprüfung", die im Rahmen des Kooperationsprojektes „Klimaschutz in öffentlichen Projekten (KöP)“ vom Klima- Bündnis gemeinsam mit dem ifeu-Institut entwickelt wurde. KöP bietet für die verschie- denen Phasen der Planung und Realisierung von öffentlichen Projekten Instrumente und Materialien an. Dies beinhaltet u.a. eine Maßnahmenmatrix zur Bewertung möglicher Klimaschutzmaßnahmen, die sogenannte Klimawirkungsprüfung. Weitere Informationen auf der Projektseite: www.köp.de 8
IM INTERVIEW: Detlef Gerdts, Fachbereichsleiter Umwelt und Klimaschutz Stadt Osnabrück Als erste Kommune in Niedersachsen hat die Herr Gerdts, seit Oktober 2019 wird jede Stadt Osnabrück im Mai 2019 den Beschluss Beschlussvorlage, die in Ihrer Stadt in einen „Anstrengungen für kommunale Klimapolitik politischen Ausschuss geht, vom Fachdienst verstärken“ verabschiedet. Darin heißt es: Umweltplanung geprüft. Laufen nun im Jahr „Der Rat der Stadt Osnabrück [..] wird ab sofort die 1.000 Vorlagen über Ihren Tisch? Auswirkungen auf das Klima bei relevanten Ent- Gerdts: Tatsächlich sind es jährlich etwas über scheidungen besser berücksichtigen, und solche 300 Vorlagen, die in meiner Abteilung bearbei- Lösungen bevorzugen, die sich positiv auf den Kli- tet werden. Im Fachdienst Umweltplanung maschutz auswirken. Die Verwaltung wird aufgefor- der Stadt Osnabrück sind wir aktuell mit vier dert, unter Einbeziehung des Masterplan-Beirats zu Vollzeitstellen im Aufgabengebiet Klimaschutz prüfen, wie Beschlussvorlagen Klimaauswirkungen tätig. Bevor wir uns für die Mitzeichnung durch entsprechend ausweisen können.“ unseren Fachbereich entschieden, haben wir W uns die Beschlüsse der letzten drei Jahren an- ir haben uns für die Mitzeich- gesehen: Seit November 2016 wurden rund nung aller Beschlussvorlagen 4.000 Vorlagen im Ratsinformationssystem durch den Fachbereich Umwelt und erstellt, davon ca. 2.000 Beschlussvorlagen. Klimaschutz entschieden – nur so Das entspricht etwa 750 Beschlussvorlagen pro gewährleisten wir kontinuierlich ver- Jahr. Circa 60 Prozent dieser Beschlussvorlagen gleichbare Ergebnisse. sind jedoch nicht relevant für den Klimaschutz, beispielsweise die Vergabe von Straßennamen oder die Berufung eines Schulleiters. Damit die Beschlussvorlagen ohne Klimarelevanz nicht unnötig über unseren Fachdienst gehen, müs- sen die Vorlagenersteller grundsätzlich selbst auswählen, ob „keine, positive oder negative Auswirkungen“ mit dem Vorhaben verbunden sind. Nur bei positiven oder negativen Aus- wirkungen wird der Fachbereich Umwelt und Klimaschutz im Rahmen der Mitzeichnung beteiligt. Unser Fachbereich ermittelt die Klimarelevanz dann anhand der Kriterien „Intensität“ und „Dauer“ der CO -Emissionen und erarbeitet ge- gebenenfalls mit den Vorlagenerstellern Alter- nativen, die ebenfalls in der Vorlage dargestellt werden. Bei der Fachtagung ‚Meine Kommune im Klimanotstand‘ am 29.01.2020 stellte Detlef Gerdts das Verfahren seines Fachbereichs zur Prüfung der Beschlussvorlagen auf ihre Klimawirkung vor. 9
Welche Maßstäbe setzten Sie für die Einschät- wir laut Ratsbeschluss 95 Prozent gegenüber zung der Klimaauswirkungen an? 1990 einsparen – das heißt der gesamtstädti- sche CO -Ausstoß muss in den kommenden 30 Für unsere überschlägige Ermittlung setzen wir Jahren um weitere 1.4 Millionen Tonnen CO - zwei Kriterien an: (1.) die Menge der zusätz- Äquivalente dauerhaft reduziert werden. lichen oder eingesparten CO -Emissionen und (2.) die Dauer, für die diese Emissionen anfallen Übrigens entspricht dieses Ziel dem Pariser werden. Konkret haben wir für die überschlägi- Klimaschutzabkommen und müsste daher in ge Abschätzung folgende Abstufung gewählt: ganz Deutschland eingehalten werden. 1. Menge der CO -Emissionen LINK-TIPP: gering → bis ca. 10 t / Jahr mittel → bis ca. 400 t / Jahr Die Stadt Osnabrück stellt das genaue Prüf- groß → mehr als ca. 400 t / Jahr schema in einer Präsentation vor: www.klimaschutz- 2. Dauer der CO -Emissionen niedersachsen.de/klimanotstand kurz → max. 1 Jahr Hier sind auch zwei Beispiele enthalten: mittel → max. 5 Jahre (1.) Ersatzbeschaffung von drei Handwerker lang → mehr als 5 Jahre fahrzeugen mit E-Antrieb sowie (2.) die Ent- scheidung für die Erweiterung eines Gymna- siums, entweder um einen Anbau oder ein Anhand dieses Maßstabs haben wir ein Prüf- zwei- oder dreigeschossiges Solitärgebäude. schema entwickelt: Bei Beschlussvorlagen, die mit einer geringen Menge CO -Emissionen ver- bunden sind (positiv wie negativ), erfolgt keine Herr Gerdts, theoretisch kann die CO -Bilan- weitere Betrachtung. Wird eine mittlere Menge zierung einer ganzen Kommune in Excel erfol- zusätzlicher CO -Emissionen erwartet, über- gen. In der Praxis helfen Bilanzierungstools, in prüfen wir, ob es Umsetzungsmöglichkeiten mit denen unter anderem bereits CO -Emissions- geringeren Auswirkungen gibt. faktoren für alle Energieträger hinterlegt sind. Nur bei Beschlussvorlagen, die mehr als 400 Nutzen Sie solche Tools? Tonnen zusätzliche CO -Emissionen jährlich Für die Beurteilung der Klimaauswirkungen verursachen, erfolgt zusätzlich eine konkrete greifen wir auf diverse Quellen zurück. Berechnung der Emissionen. Eventuell empfeh- len wir dann auch ein Verzicht auf die Durch- Für die Berechnung der CO -Emissionen führung des Vorhabens oder regen zusätzliche von Neubauten nutzen wir beispielsweise Untersuchungen vor der Beschlussfassung an. die Ergebnisse einer aktuellen ARGE-Studie von 2019 „Auswirkungen energetischer Zum Vergleich: Im Jahr 1990 war die Stadt Standards auf die Bauwerkskosten und die Osnabrück verantwortlich für ca. 2,1 Millionen Energieeffizienz im Geschosswohnungs Tonnen THG-Emissionen. Bis 2020 haben wir es neubau in Deutschland“ und die Energieein- geschafft, ca. 600.000 Tonnen (30 Prozent) ein- sparverordnung (EnEV). zusparen. Spätestens bis zum Jahr 2050 wollen 10
Emissionsfaktoren für Energieträger zur und Klimaschutz mit einer Alternativ-Prüfung in Energiebereitstellung entnehmen wir dem ein Planungsvorhaben einzubeziehen? „Klimaschutz-Planer“ vom Klima-Bündnis. Um spätere Verfahrensverzögerungen zu ver- www.klimaschutz-planer.de meiden, sollten wir möglichst frühzeitig ein- Hinsichtlich der Grauen Energie beziehen bezogen werden – noch bevor Ausschreibungen wir uns auf adäquate wissenschaftliche oder Grundsatzentscheidungen gefällt werden. Publikationen wie etwa die „Lebenszyklus- Besonders wichtig ist dies für den Bereich der bewertung von Gebäudekonzepten“ von Bauleitplanung: Da am Anfang der B-Planauf- Dr. W. Feist. stellung in der Regel noch nicht genau feststeht, wie das Areal bebaut werden wird, brauchen Für die Berechnung von Emissionen von wir über den gesamten Prozess hinweg eine Fahrzeugen nutzen wir in aller Regel die enge Zusammenarbeit der Stadtplanung mit Referenzwerte des Umweltbundesamtes. dem Klimaschutzmanagement. Beispielsweise Diese werden stets aktualisiert und sind frei sollten bereits in städtebaulichen Wettbewerben zugänglich. konkrete Standards für eine klimaverträgliche Wenn es um den Vergleich von fossilen Stadtentwicklung definiert werden. Antrieben mit der E-Mobilität geht, fließt na- Aber auch in anderen Bereichen ist eine früh- türlich auch der aktuelle Strommix unserer zeitige Einbeziehung von Klimaschutzkriterien Stadtwerke mit ein. wichtig. So gilt es, die Klimaschutzkriterien in Die Emissionsfaktoren sind für uns eine Hilfe Dienstanweisungen zu Vergabeverfahren hin- für die überschlägige (!) Ermittlung der Aus- reichend zu gewichten. Denn wenn die klima- wirkungen. Die Ergebnisse sollen nur Anhalts- verträgliche Alternative Mehrkosten verursacht, punkte für die Intensität der Auswirkungen und kann sie nur dann berücksichtigt werden. für die Wirkung möglicher Alternativen liefern. Tatsächlich stellen wir für einzelne Vorhaben, Zum Abschluss noch eine Frage: Welches wie beispielsweise für neue Wohngebiete, die Resümee können Sie heute ziehen, nachdem Sie Faktoren in Excel dar und verknüpfen sie mit einige Monate die Beschlussvorlagenprüfung einzelnen Merkmalen. So können wir relativ durchführen? schnell die baubedingten und betriebsbedingten Emissionen verschiedener Gebäudearten, Effi- Bisher wurden wir bei über 40 Beschlussvorla- zienzstandards, Bauköperstellungen und Wohn- gen im Rahmen der Mitzeichnung beteiligt, weil flächen ermitteln und miteinander vergleichen. negative oder positive Auswirkungen angege- Gleichzeitig gewährleisten wir so kontinuierlich ben wurden. Die Prüf- und Bearbeitungszeit ist vergleichbare Ergebnisse. sehr unterschiedlich – sie reicht von 2 Minuten bis 8 Stunden, im Durchschnitt sind es bisher 30 – 40 Minuten. In Ihrem Prüfschema definieren Sie, dass gege- benenfalls ein separater Untersuchungsauftrag Die Resonanz der anderen Fachbereiche war für die Erarbeitung von klimafreundlicheren anfangs unterschiedlich, einige Dienststellen Umsetzungsalternativen gestellt und beschlos- hatten zeitliche Verzögerungen im Workflow sen werden muss. Wann ist Ihrer Meinung nach oder Bevormundung durch unseren Fach der richtige Zeitpunkt, den Fachbereich Umwelt bereich befürchtet. Daher haben wir mit einigen 11
ienststellen Einzelgespräche geführt, um die D CO -Emissionen hat, wenn anstelle eines Neu- Vorbehalte auszuräumen. baus nach EnEV-Regeln im KfW55-Standard gebaut oder Gebäude alternativ im Passivhaus- Alternativ hätte die Prüfung ja auch von den standard entstehen. Nur so können alle Be- Vorlagenerstellern selbst gemacht werden teiligten ein Gefühl für die Auswirkungen ihrer können. Aber wenn man sich die vielen ver- Entscheidungen auf das Klima bekommen. schiedenen Quellen von CO -Emissionsfaktoren und Lebenszyklusbewertungen vor Augen führt, kann das aus unserer Sicht die Vorlagenersteller schnell überfordern. Auch würde eine dezent- rale Prüfung und Bewertung sicherlich nicht zu gleichbleibend guten und vergleichbaren Ergeb- nissen führen. Nach einigen Monaten zeigt sich jetzt, dass die Mehrzahl der Vorlagenersteller diese Prüfung selbst nicht machen möchte und inzwischen froh ist, dass unser Fachbereich ihnen die Prü- fungen abnimmt. Aus meiner Sicht zahlt sich dieses neue Vorge- hen besonders im Baubereich aus, da die hier getroffenen Entscheidungen langfristig für die CO -Bilanz der Stadt relevant sind. Wir möchten der Politik und den Fachbereichen von Anfang an aufzeigen, welche Auswirkungen es auf die War dieses Dokument für Sie hilfreich? Wir freuen uns über Ihre Meinung, Erfahrungs berichte und Ergänzungen, die für andere Kommu- nen interessant sein könnten. Ansprechpartnerin: Anke Kicker © Klimaschutz- und Energieagentur Niedersachsen GmbH Stand: März 2020 Tel.: 0511 89 70 39 - 28 E-Mail: anke.kicker@klimaschutz-niedersachsen.de © Fotos: DBU (S.1, 4), Detlef Gerdts (S.8) 12 Herausgeber Osterstr. 60, 30159 Hannover Gefördert durch: Telefon: 0511 897039-0 Klimaschutz- und Energieagentur info@klimaschutz-niedersachsen.de Niedersachsen GmbH www.klimaschutz-niedersachsen.de
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