Der Wiener Gemeindebau. Geschichte, Daten, Fakten
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SCHON GEWUSST? Große Leistung Der Karl-Marx-Hof erstreckt sich über 1.100 Meter entlang der Heiligenstädter Straße und ist damit der längste zusammenhängende Wohnbau der Welt. Die Anlage umfasst ein Areal von mehr als 150.000 m2, von denen nur knapp 20 Prozent verbaut sind; der Rest entfällt auf Grünflächen, Wege und Kinderspielplätze. Kleiner Unterschied Wer verwirrt in der Döblinger Obkirchergasse steht und die Aufschrift auf einer Wohnhaus- anlage der Gemeinde Wien studiert, kann beruhigt sein: Dass dort „Karl-Mark-Hof“ steht, ist nicht etwa ein Schreibfehler. Der 1924/25 errichtete Bau befindet sich zwar im selben Bezirk wie sein um einiges größerer und bekannterer Bruder Karl-Marx-Hof, er ist aber nach dem sozialdemokratischen Politiker Karl Mark (1900 – 91), Nationalratsabgeordneter und Präsident des Wiener Volksbildungswerks, benannt. Stolze Bilanz 1900: Von über 2 Millionen Wienerinnen und Wienern haben 300.000 keine Wohnung. 1934: Jede zehnte Wienerin bzw. jeder zehnte Wiener wohnt in einem Gemeindebau. 2018: Jede vierte Wienerin bzw. jeder vierte Wiener wohnt in einem Gemeindebau. Karl-Marx-Hof, 19. Bezirk
VORWORT Sehr geehrte Leserin, sehr geehrter Leser! Der Karl-Marx- „Licht, Luft und Sonne“ errichtet wurden, andererseits Hof ist längst ein Kindergärten, Schulen und Büchereien sowie Gemein- Wiener Wahrzei- schaftseinrichtungen wie Waschküchen Platz boten. chen – so wie das Riesenrad oder Zwischen dem Spatenstich für den Metzleinstaler-Hof, © CHRISTIAN JOBST der Stephansdom. Wiens ersten Gemeindebau, im Jahr 1919, dem aktuellen © PID/BOHMANN Das kommt nicht SMART-Wohnbauprogramm und dem Beschluss aus dem von ungefähr, Jahr 2015, wieder neue Gemeindebauten zu errichten, denn er ist nicht wurden 220.000 Gemeindewohnungen für eine halbe nur architektonisch eindrucksvoll, er steht auch für die Million Bewohnerinnen und Bewohner sowie 200.000 ge- lange Geschichte des kommunalen Wohnbaus in Wien. förderte Wohnungen fertiggestellt. Der soziale Wohnbau Seit nahezu einem Jahrhundert prägt diese spezielle der Stadt Wien ist nach wie vor ein – auch international soziale Wohnbaupolitik unsere Stadt. anerkanntes – Erfolgsmodell und trägt maßgeblich zur ausgezeichneten Wohn- und Lebensqualität in Wien bei. Die Wurzeln für die städtebaulich außergewöhnlichen Aktivitäten liegen in der Zwischenkriegszeit, als im sogenannten „Roten Wien“ 65.000 Wohnungen erbaut wurden. Ziel war es, leistbare Wohnungen mit hoher Qualität einer breiten Bevölkerungsschicht zur Ver- fügung zu stellen. Gelungen ist noch mehr: nämlich Dr. Michael Ludwig Kathrin Gaál Wohnhausanlagen, die einerseits nach den Kriterien Bürgermeister Wiener Frauen- und Wohnbaustadträtin Reumannhof, 5. Bezirk Der Wiener Gemeindebau 3
Karl-Marx-Hof Im Karl-Marx-Hof im 19. Bezirk wurden 1927–30 zusätzlich zu 1.382 Wohnungen für etwa 5.000 BewohnerInnen auch zahlreiche Gemeinschafts- einrichtungen geschaffen, unter anderem Kindergärten, eine Mutterberatungsstelle, ein Jugendheim, eine Bibliothek, eine Zahn- klinik, eine Krankenkassenstelle mit Ambula- torium, eine Apotheke, ein Postamt, Arztpraxen, Kaffeehäuser, Räumlichkeiten für politische Organisationen und Geschäftslokale. Da zwar ursprünglich alle Wohnungen über eine eigene Wasserentnahmestelle verfügten, Badezimmer damals aber noch nicht zum Standard gehörten, waren in die Anlage auch zwei Badeanstalten mit insgesamt 20 Wannen und 30 Duschen sowie zwei Zentralwäschereien mit 62 Waschständen 4 Der Wiener Gemeindebau integriert.
GESCHICHTE HOCH HINAUS Das Jahrhundert des Wandels: Wie ein Wiener Wohnbauprogramm das Leben der Menschen veränderte. E ine eigene Wohnung oder we- nigstens ein eigenes Zimmer … Für viele WienerInnen an der Wen- bruch des Ersten Weltkriegs 1914 hatte Wien bereits über 2 Millionen EinwohnerInnen, von denen die Zwischen den Kriegen: „Das Rote Wien“ Nach dem Ende des Ersten Welt- de zum 20. Jahrhundert ein Traum, ärmeren unter unvorstellbaren Be- kriegs und in den Anfängen der der wohl niemals Wirklichkeit dingungen lebten: BettgeherInnen, Republik Österreich zog die Sozial- werden würde. Die katastrophale die sich nicht einmal die Miete für demokratische Arbeiterpartei ins Wohnungsnot wurde teils durch ein Zimmer leisten konnten und Wiener Rathaus ein und stellte mit den Zuzug von Menschen aus allen lediglich für ein paar Stunden pro Jakob Reumann den ersten sozial- Teilen der Habsburgermonarchie Tag eine Liegestatt benutzen durf- demokratischen Bürgermeister. Die in die Haupt- und Residenzstadt ten. Oder UntermieterInnen, die Zeit des sogenannten „Roten Wien“ hervorgerufen. Teils aber war sie wenigstens einen kleinen Raum begann. Die Wohnungssituation auch eine Folge der Tatsache, dass ihr eigen nannten – in überfüllten war durch die galoppierende In- sich die meisten Wohnungen in Pri- Wohnungen ohne Wasser, ohne Toi- flation, Kriegsflüchtlinge und poli- vatbesitz befanden und deren Ver- lette, ohne Licht, schlecht belüftet, tische Instabilität nicht einfacher mietung sich an den Gesetzen der sodass sich Krankheiten rasch und geworden und so nahm die Stadt Rentabilität orientierte. Bei Aus- ungehindert ausbreiten konnten. Wien umfangreiche Wohnbau- Der Wiener Gemeindebau 5
Reumannhof, 5. Bezirk Hugo-Breitner-Hof, 14. Bezirk programme in Angriff. Durch die helle, lichtdurchflutete Wohnungen und ihnen einen höheren Lebens- Errichtung von kommunalen Miets- errichten, die über Zimmer, Küche, standard zu ermöglichen. häusern sollte nicht nur Wohnraum Vorraum und sogar ein eigenes WC geschaffen, sondern den Menschen und eine Wasserstelle verfügten; Der Traum wird wahr auch ganz allgemein eine bessere statt in schmutzstarrende Lichthöfe Auch heute noch scheint es wie ein Ausgangsbasis für ein „normales“, sollte man in Gärten und Grünanla- Wunder, dass dies in der damaligen gesundes Leben geboten werden. gen blicken, Gemeinschaftseinrich- wirtschaftlichen Situation gelang. Die Ansprüche waren hoch: Statt tungen wie Bäder und Kindergärten Wesentlichen Anteil an diesem Er- der finsteren, schmutzigen Löcher, wurden vorgesehen, um den Alltag folg hatte die von Finanzstadtrat in denen viele hausten, wollte man der BewohnerInnen zu erleichtern Hugo Breitner initiierte zweckge- 6 Der Wiener Gemeindebau
Per-Albin-Hansson-Siedlung, 10. Bezirk Wohnsiedlung Schmelz, 15. Bezirk bundene Wohnbausteuer, die es sind die erste größere Wohnsied- (1924–28), damals die größte mit – neben anderen neu geschaffenen lung der Stadt Wien auf der Schmelz über 1.500 Wohnungen, und der Abgaben – ermöglichte, die ambiti- (1919–24) mit 150 Siedlungshäusern Karl-Marx-Hof (1927–30), der noch onierten Projekte zu verwirklichen. und Gärten zur Selbstversorgung, heute als herausragendes Beispiel So wurden in der Zwischenkriegs- der Metzleinstaler-Hof (1916–25), für gelungene Architektur und zeit über 61.000 Wohnungen in der erste „echte Gemeindebau“, der Stadtplanung der damaligen Zeit 348 Wohnhausanlagen und über bereits eine Badeanstalt, eine Bi- internationale Berühmtheit genießt. 5.000 Wohnungen in 42 Reihen- bliothek, eine Wäscherei und einen Wie auch andere große Wohnhaus- haussiedlungen für die MieterInnen Kindergarten enthielt. Dazu kamen anlagen wurde er im Februar 1934 bezugsfertig gemacht. Darunter die Wohnhausanlage Sandleiten zum Kriegsschauplatz, als sozial- Der Wiener Gemeindebau 7
GESCHICHTE demokratische Widerstands- diese Zeit typischen Wohnblöcke vorläufig letzte Gemeindebau, bei kämpfer sich gegen die angreifen- in Fertigteilbauweise wie die dem die Wiener Stadtverwaltung den Truppen des Ständestaates Großfeldsiedlung, um in möglichst als Bauherrin auftrat, steht in in den Bauten verschanzten. kurzer Zeit möglichst viel leist- 1230, Rößlergasse 15. baren Wohnraum zu schaffen. Im Knapp danach wurde mit Beginn Jahr 1969 wurde die 100.000ste 2015 fasste die Stadtregierung den des Ständestaates die Bautätigkeit Wohnung seit Ende des Zweiten Beschluss, wieder als Bauherrin fast völlig eingestellt und auch in Weltkrieges fertiggestellt. weitere Wohnhausanlagen zu er- der darauf folgenden Diktatur des In den 1970er- und 1980er-Jahren richten. Das Konzept „Gemeinde- Nationalsozialismus und im Zwei- widmete sich die Stadt Wien, da wohnungen NEU“ orientiert sich ten Weltkrieg naturgemäß kaum die unmittelbare Wohnungsnot an den alten Werten, angepasst an fortgesetzt. behoben war, vor allem der die neuen Zeiten: leistbare Woh- Stadterneuerung und der Wohn- nungen mit guter Ausstattung, Und weiter geht’s! haussanierung. In den 1990er- genügend Grünraum und Freizeit- Nach Kriegsende machte man Jahren wuchs der Bedarf an einrichtungen. Bis 2020 sind rund sich an den Wiederaufbau und Wohnungen wieder – Singlehaus- 4.000 „Gemeindewohnungen NEU“ die Stadt Wien setzte 1947 mit der halte, erneute Zuwanderung und an 28 Standorten geplant. Errichtung der Per-Albin-Hansson- immer höher werdende Ansprüche Siedlung (das Baumaterial war verstärkten die Nachfrage; eine Doch schon jetzt ist die Bilanz Ziegelschuttbeton) das Wohnbau- neue Wohnbauoffensive begann. durchaus erfreulich: Heute lebt programm fort. In rascher Folge 2004 wurde der gesamte geför- jede vierte Wienerin bzw. jeder entstanden viele kleinere Anlagen, derte Wohnbau zu gemeinnützigen vierte Wiener in einem der über in den 1960er-Jahren dann die für Wohnbauträgern verlagert. Der 1.800 Gemeindebauten. 8 Der Wiener Gemeindebau
Metzleinstaler-Hof Der Metzleinstaler-Hof am Margaretengürtel wurde als erster „richtiger“ Gemeindebau bereits während des Ersten Weltkriegs geplant und bis 1925 in Etappen fertiggestellt. Mit seinen komfortablen, hellen, aber sehr kleinen Wohnungen steht er für eine neue Ära – am Übergang vom „eigennützigen“ zum sozialen Wohnbau. Balkone, Loggien und Erker sorgen im Zusammenspiel mit gefalteten Fensterfronten, Türmen und Dachaufbauten für ein nahezu herr- schaftliches Flair. Kunstvoll gestaltete, bunte Majolika-Verzierungen im jüngeren Teil der An- lage konterkarieren die strenge Anmutung des über 250 Wohnungen beherbergenden Baus, wie auch der ruhige Innenhof mit seinen offenen Durchgängen, der die Lage an einer der beleb- testen Straßen Wiens vergessen lässt. Der Wiener Gemeindebau 9
Friedrich-Engels-Platz 1 – 10 Die Wohnhausanlage (1930 – 33) an der Floridsdorfer Brücke war nach dem Sandleitenhof in Ottakring mit 1.400 Wohnungen der zweitgrößte Wohnbau des „Roten Wien“. Von außen gleicht sie einer wehrhaften Burg: Turmartige Vorsprünge mit hohen Fahnenmasten be- grenzen den imposanten Zugang. Auch die Fassaden in den Innenhöfen sind, in der Tradition Otto Wagners, von einem geometrischen Stil geprägt; unterschiedlich gestaltete Balkon- und Torgitter mildern den strengen Eindruck und setzen farbige Akzente. Am äußersten Rand ragt der mächtige Schlot der in die Anlage integrier- ten Wäscherei empor – anlässlich der Eröffnung im Jahr 1933 als „neues Wahrzeichen Wiens“ gepriesen, beeindruckt er noch heute mit seiner monumentalen, weithin sichtbaren Uhr.
HEUTE & MORGEN NUMMER EINS IM SOZIALEN WOHNBAU Was die Ansprüche ans Wohnen betrifft, so hat sich seit dem Beginn des sozialen Wohnbaus sehr viel geändert. D ie ersten Gemeindebauten brachten für ihre Bewohner- Innen einen Quantensprung in der Singlehaushalte. Diese haben, laut Statistik Austria, seit 2000 von 22 auf 44 Prozent zugenommen. Das Wohnfläche in Wien 50 pro Kopf, in m2 40 38 37 Wohnqualität. Ab dann ging es – heißt, es kommt zu maßgeblichen 33 wenn auch nicht ganz so spektaku- Änderungen in der Bevölkerungs- 31 30 25 lär – weiter stetig bergauf. Wie die struktur, die Nachfrage nach klei- 22 nebenstehende Grafik zeigt, wurde neren und vor allem kostengünsti- 20 die durchschnittliche Wohnfläche geren Wohnungen steigt. Auch hier pro Kopf zwischen 1961 und 2001 gibt es seitens der Stadt Wien ein 10 von 22 m² auf 38 m² ausgedehnt. Seit zeitgemäßes Angebot: die SMART- 2011 stagniert die Wohnfläche pro Wohnungen. Das sind kompakte, 1961 1971 1981 1991 2001 2017 Person in etwa bei 37 m². Gleichzei- kostengünstige Einheiten, die mit- Quellen: Statistisches Jahrbuch der Stadt Wien; tig wächst nach wie vor die Zahl der tels verschiebbarer Wände nach STATISTIK AUSTRIA, Mikrozensus 2017 Der Wiener Gemeindebau 11
Wohnhausanlage Europan, 22. Bezirk den individuellen Vorstellungen der geben werden muss, nimmt ständig weit mehr, indem sie Subjekt- und MieterInnen gestaltet werden zu. Dazu kommt eine hohe Zahl an Objektförderung kombiniert. Men- können. Die Wohnungsgröße liegt Wohnungsuchenden, die sich durch schen mit niedrigem Einkommen zwischen 40 m² und 70 m² (ein bis die künftige Bevölkerungsent- werden auch in Wien direkt unter- drei Zimmer), wobei der Vergabe- wicklung (siehe Grafik S. 13) noch stützt. Darüber hinaus investiert grundsatz „pro Person ein Zimmer“ verstärken wird. Um hier auch in Zu- Wien aber auch in die Neuerrichtung angewandt wird. kunft ein ausreichendes Angebot an von Wohnraum und in die Sanierung erschwinglichem Wohnraum sicher- von bestehenden Altbauten. Damit Wirkungsvoll fördern stellen zu können, wird die Wiener profitieren die WienerInnen von den Ein Blick auf die Tendenzen des Wohnbauförderung wie bisher eine Vorteilen beider Systeme. Wohnungsmarkts zeigt, dass Wien ganz wesentliche Rolle spielen. der allgemeinen Entwicklung entge- Als klare Nummer 1 im sozialen genwirken muss: Die Mieten steigen Denn im Unterschied zu den meisten Wohnbau ist Wien mit rund 10.000 überproportional zu den Einkom- europäischen Metropolen, die Mie- Wohneinheiten, die jährlich mit men, der Anteil am Haushaltsein- terInnen ausschließlich finanziell Fördermitteln errichtet werden, im kommen, der fürs Wohnen ausge- unterstützen, leistet die Stadt Wien internationalen Vergleich beispiel- 12 Der Wiener Gemeindebau
HEUTE & MORGEN gebend. Darüber hinaus werden Wohnverhältnisse in Wien Stand: 31.12.2017 in den nächsten fünf Jahren auch 4% noch 4.000 Gemeindewohnungen neu 6% gebaut. Ebenfalls vorbildlich sind die n MieterInnen 690.900 vielfältigen Maßnahmen zum Klima- 13 % n WohnungsbesitzerInnen 112.700 und Umweltschutz, die etwa bei der n HausbesitzerInnen 57.700 77 % Sanierung gesetzt werden. Wobei das n UntermieterInnen und andere 40.600 Ziel nie aus den Augen verloren wird: Wohnungen insgesamt: 901.900 möglichst vielen Menschen erschwing- lichen und qualitätsvollen Wohnraum Quelle: Statistik Austria, Mikrozensus 2017 zur Verfügung zu stellen. Wien wächst Bevölkerung Ausstattung der Gemeindebauwohnungen* Stand: 31.12.2017 0,2 % 2 Mio. n Kategorie A 139.406 2.070.339 17 % Nutzfläche mindestens 30 m2, Küche, WC, zeit- 1.995.728 gemäßes Bad, Wärmeversorgungsanlage, Etagen- 1.888.776 heizung oder gleichwertige stationäre Heizung 1.674.937 n Kategorie B 33.581 1 Mio. Zimmer, Küche, WC, zeitgemäßes Bad 67 % 16 % n Kategorie C 36.114 Wasserentnahmestelle und WC im Inneren n Kategorie D 415 Keine Wasserentnahmestelle oder kein WC im Inneren 2008 2018 2028 2038 Quellen: STATISTIK AUSTRIA, Demographische Indikatoren; Statistisches Jahrbuch 2017 * Wohnungen in Eigenverwaltung Quelle: Wiener Wohnen Der Wiener Gemeindebau 13
DATEN & FAKTEN WOHNEN IN ZAHLEN Die Wiener Gemeindebauten bergen so manche Überraschung. Ein Blick auf 500.000 Menschen die Statistik zeigt Beindruckendes. wohnen im Wiener Gemeindebau. Das entspricht fast der Einwohnerzahl von Graz, Innsbruck und Klagenfurt (insgesamt ca. 518.500). Jede 4. Wienerin bzw. jeder 4. Wiener lebt in einer der über 1.800 Wohnhausanlagen. 610 Hektar Grünfläche 5.507 werden von Wiener Wäschetrockner Wohnen betreut. Das gibt es in den Wiener entspricht der Größe Gemeindebauten. Würde von 854 Fußballfeldern man sie in einer Reihe auf- (nach der FIFA-Norm) stellen (zwischen den Ge- oder der Fläche der räten ca. 15 cm), dann wäre Bezirke Mariahilf, eine Wäschetrockner- Josefstadt, Neubau und Schlange um die Wiener Margareten. Ringstraße möglich. 14 Der Wiener Gemeindebau
67.000 Bäume 1.300 befinden sich auf den Grundstücken von Wiener Wohnen. Das entspricht durch- 7.807 schnittlich 37 Bäumen pro Wohnhaus- anlage der Stadt Wien. Spielplätze gibt es in den Wohnhausanlagen von Wiener Aufzüge Wohnen, das sind dreimal so viele wie die gibt es in den Wiener Ge- Summe der Spielplätze von Graz, Salzburg, meindebauten. Damit könnte Linz, Innsbruck, Klagenfurt, Eisenstadt und man einen Turm bauen, der Bregenz. 52 Prozent der städtischen Spielplät- zweimal so hoch ist wie der ze werden von Wiener Wohnen verwaltet. Himalaya. 4.979 1.588 Lokale 12.933.009 Quadratmeter vermietete Fläche 1.375 HausbesorgerInnen und 213 HausbetreuerInnen verwaltet Wiener Wohnen – kümmern sich um Ordnung und Sauberkeit rund 15-mal so viele, wie es verwaltet Wiener Wohnen. Das entspricht in den Wiener Gemeindebauten – das sind in den Shopping-Centern der Fläche einer vier Meter breiten Straße insgesamt etwas mehr Menschen, als Süd und Nord gibt. von Madrid nach Stockholm. Wolfpassing EinwohnerInnen hat. Der Wiener Gemeindebau 15
Rabenhof Der Rabenhof (1925–28) im 3. Bezirk umfasst mehr als 1.000 Wohnungen. Aufgrund der unregelmäßigen topografischen Gegebenheiten reihen sich zahlreiche Wohn- und Gartenhöfe sowie Gebäude unterschiedlicher Größe und Höhe mit un- einheitlichen Fassaden und Formen kunterbunt aneinander. Romantische, scheinbar natürlich gewachsene, begrünte Plätze, verspielte Fassadendetails und kleine Treppen, die die Niveauunterschiede ausgleichen, sorgen für eine behutsame Dynamik. Ebenfalls dynamisch ist die Geschichte der Anlage, die ursprünglich „Austerlitz-Hof“ hieß, nach dem damals bereits verstorbenen Chefredakteur der „Arbeiter-Zeitung“ Friedrich Austerlitz. Im Bürgerkrieg des Februar 1934, im Zuge dessen das Bundesheer die Wohnhausanlage besetzte, war sie Schauplatz eines heftigen Feuergefechts. Nach den blutigen Ereignissen im Februar 1934 wurde der Hof kurzerhand nach der nahe gelegenen Rabengasse in Rabenhof umbenannt.
CHARAKTERISTIKA „T YPISCH GEMEINDEBAU“ Im Laufe der Jahrzehnte hat sich das Erscheinungsbild der Wohnhausanlagen gewandelt, doch das zugrunde liegende Konzept ist unverwüstlich. D ie Wienerinnen und Wiener erkennen einen Gemeindebau auf den ersten Blick. All diesen anmutenden Strukturen, Bäumen, Wiesen – und mit Orten der Begeg- nung, sei es der Kinderspielplatz, Wohnhausanlagen ist ein „ge- sei es die Waschküche. Oder es wisses Etwas“ gemeinsam, das sie verbindet sie die Architektur, verbindet – auch wenn sich nicht die sich zwar mit den Strömungen genau sagen lässt, worin es besteht. der Zeit und den Bedürfnissen Vielleicht ist es der Umstand, dass der Menschen gewandelt hat, durch sie eine kleine, abgeschlos- aber doch ihren ganz speziellen sene Welt mitten in der Großstadt Charakter weder verleugnen kann geschaffen wird, mit fast dörflich noch will. Rabenhof, 3. Bezirk Der Wiener Gemeindebau 17
Sandleitenhof, 16. Bezirk Wohnhausanlage Leystraße 23, 20. Bezirk Klassisch und unverwechselbar nannten „Stiegen“, erreicht. Von Kri- Burgen: natürlich der Karl-Marx- Vor allem die „klassischen“ Wohn- tikerInnen zur Zeit ihrer Errichtung Hof (1927–30) mit seinen massiven hausanlagen, die in der Zwischen- wegen ihrer Abgeschlossenheit als Mauern, riesigen bogenförmigen kriegszeit entstanden sind, prägen „Festungsbauten“ geschmäht oder Durchfahrten, mächtigen Toren und als unverwechselbare Zeugnisse des ob der opulenten Gestaltung der Fahnenmasten; auch der Rabenhof „Roten Wien“ vielerorts noch heute Tore spöttisch als „Arbeiterbarock“ (1925–28), bei dem sich Wohn- und das Stadtbild. Die Wohngebäude tituliert, bilden sie nun Oasen der Gartenhöfe aneinanderreihen, die sind um einen gemeinsamen Innen- Ruhe in der belebten Stadt. von Häusern mit unterschiedlich hof gruppiert, in den man durch eine gestalteten Fassaden umschlossen oder mehrere große Toreinfahrten Einige der weitläufigen Wohnhaus- werden. Ähnlich, aber doch unter- gelangt und von dem aus man die anlagen erinnern mit dem charak- scheidbar der bereits in der Zeit des einzelnen Gebäudeteile, die soge- teristischen Innenhof in der Tat an Ersten Weltkriegs geplante Metz- 18 Der Wiener Gemeindebau
Wohnhausanlage Friedrich-Engels-Platz, 20. Bezirk Wohnhausanlage Wallgasse 13, 6. Bezirk leinstaler-Hof (1916–25) mit seinem debauten: Keramikreliefs, Bronze- Mehr als nur wohnen großen, rechteckigen Innenhof, figuren, Mosaike, Brunnen oder Sicher, eine Wohnung, ein Zuhause dessen Form an Höfe aus dem Barock Steinskulpturen entdeckt man nicht zu haben ist einmal die Basis. Aber und dem Biedermeier gemahnt. nur bei den berühmten, sondern auch weil das Leben noch mehr Facetten an den Wänden und in den Höfen von hat, waren in den Wohnhausanlagen Oft gliedern Balkone, Loggien, Erker weniger spektakulären Wohnhaus- von Anfang an zahlreiche Gemein- oder kleine Türmchen die Fassaden, anlagen. Ein Meisterstück anderer schaftseinrichtungen mit einge- durch das Spiel mit verschiedenen Art ist der flammend rote Schriftzug plant. Denn es erleichtert den Alltag, Farben heben sich die Häuser einer „Errichtet aus den Mitteln der Wohn- wenn von der Mutterberatung bis Anlage oder auch einzelne Elemente bausteuer“, der unübersehbar an zum Kindergarten, von der Badean- voneinander ab. Auch Kunstwerke vielen Bauten an das gelungene stalt bis zur Zentralwäscherei, vom finden sich an und in vielen Gemein- Finanzierungsmodell erinnert. Ambulatorium bis zur Zahnklinik Der Wiener Gemeindebau 19
George-Washington-Hof, 10. und 12. Bezirk Ernest-Bevin-Hof, 17. Bezirk alles in wenigen Minuten zu Fuß er- Namen – poetische wie Rabenhof Natürlich sind bekannte Sozialisten reichbar ist. Das gibt den Bauten das oder Lindenhof bilden hier eher die wie Karl Marx, Victor Adler und Jean Flair eines kleinen Dorfes, in dem Ausnahme, häufiger sind Flurnamen, Jaurès vertreten, auch Wissenschaf- auch Kaffeehäuser, Geschäftslokale z.B. Hasenleitenhof, Sandleitenhof ter, etwa Sigmund Freud und Albert und Bibliotheken nicht fehlen. oder Wohnhausanlage Am Laaer Einstein. So manche Höfe tragen Berg. Meist jedoch soll durch die – wohl österreichspezifisch – einen Große Namen, Benennung Menschen, die Herausra- Professoren- oder Doktortitel, zum stolz getragen gendes geleistet haben, ein Denkmal Beispiel der Professor-Jodl-Hof und Und so wie in ländlichen Gegenden je- gesetzt werden, etwa Künstlern wie der Dr.-Ellenbogen-Hof. Nicht viele, der Hof seine eigene Bezeichnung hat, August Strindberg, Oskar Werner aber doch einige Frauen finden sich tragen auch viele Gemeindebauten und Friedensreich Hundertwasser. unter den NamensgeberInnen, so 20 Der Wiener Gemeindebau
Goethehof, 22. Bezirk Margarete Schütte-Lihotzky und So stehen die Bauten als Mahnmal Rosa Albach-Retty. Dass man nicht und Erinnerung an die Frauen und unbedingt sozialdemokratisch Männer, deren Namen sie tragen, gesinnt sein muss, um auf einem und zugleich sorgen die vertrauten Gemeindebau verewigt zu werden, Benennungen dafür, dass die Wie- bestätigt unter anderen auch der nerInnen sich mit ihren Wohnhaus- Maria-Restituta-Hof, der an die anlagen auf eine besondere Weise Ordensschwester Helene Kafka er- identifizieren: In der Schüttau- innert, die sich gegen die National- straße kann jede und jeder wohnen, sozialisten auflehnte und für ihre aber die Adresse „Goethehof“ ist Überzeugung sterben musste. schon etwas ganz Besonderes.
SOZIALER WOHNBAU GESELLSCHAFTLICHER NUTZEN Das Wiener Modell des sozialen Wohnbaus bietet zahlreiche Vorteile für Gesellschaft, Nachbarschaften und jede einzelne Bürgerin und jeden einzelnen Bürger. D ie 420.000 kommunalen Wohnungen und Genos- senschaftswohnungen tra- gen auf dem gesamten Woh- nungsmarkt dazu bei, dass Mieten leistbar bleiben. Der soziale Wohnbau sorgt für eine gute soziale Durch- mischung in allen Stadt- teilen und ist die Grundlage für eine hohe Lebensquali- tät in Wien. 22 Der Wiener Gemeindebau
SCHON GEWUSST? Kurzer Prozess Friedrich Engels, Weggefährte von Karl Marx und Mitautor des „Kommunistischen Manifestes“, ist ebenso wie dieser in sozial- demokratischen Kreisen ein beliebter Namensgeber. Rund um den nach ihm benannten Platz im 20. Bezirk wurden zwischen 1930 und 1970 insgesamt vier Wohnhausanlagen er- richtet und bereits seit 1925/26 gibt es im 11. Bezirk den Friedrich-Engels-Hof. Nach 1934, in der Zeit des Austrofaschismus, war dieser rebellische Name auf der Wohnhausanlage naturgemäß ein ideologischer Dorn im ständestaatlichen Auge und man wählte eine pragmatische Lösung: Einfach einen „Friedrich“ und ein „s“ abmontieren – und was bleibt, ist ein biederer „Engel-Hof“. Den Friedrich-Engels-Platz ereilte ein ähnliches Schicksal; er hieß ab 1934 Pater- Abel-Platz, nach dem antisemitischen „Männerapostel von Wien“. Platz wie Ge- meindebau wurden 1946 wieder umbenannt. Der Wiener Gemeindebau im Web Die Geschichte des kommunalen Wohnbaus in Wien: wienerwohnen.at/wiener-gemeindebau/geschichte.html dasrotewien.at > Kommunaler Wohnbau de.wikipedia.org/wiki/Gemeindebau Beschreibungen aller Wohnhausanlagen der Gemeinde Wien: wienerwohnen.at/wiener-gemeindebau/ gemeindebaubeschreibungen.html Reumannhof, 5. Bezirk
Impressum: Medieninhaber und Herausgeber: Stadt Wien – Wiener Wohnen, Rosa-Fischer-Gasse 2, 1030 Wien; Produktion: Domus Verlag, Rahlgasse 1, 1060 Wien; Coverfoto: Gerry Frank; Fotos: Wiener Wohnen, Dieter Steinbach, Gerry Frank; Verlags- & Herstellungsort: Wien; Druck: Bernsteiner Media GmbH. Gedruckt auf ökologischem Papier aus der Mustermappe von „Ökokauf Wien“. Stand: November 2018
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