Der Wiener Gemeindebau. Geschichte, Daten, Fakten

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Der Wiener Gemeindebau. Geschichte, Daten, Fakten
Der Wiener Gemeindebau. Geschichte, Daten, Fakten
Der Wiener Gemeindebau. Geschichte, Daten, Fakten
SCHON GEWUSST?

 Große Leistung
 Der Karl-Marx-Hof erstreckt sich über 1.100 Meter entlang der
 Heiligenstädter Straße und ist damit der längste zusammenhängende
 Wohnbau der Welt. Die Anlage umfasst ein Areal von mehr als
 150.000 m2, von denen nur knapp 20 Prozent verbaut sind;
 der Rest entfällt auf Grünflächen, Wege und
 Kinderspielplätze.

 Kleiner Unterschied
 Wer verwirrt in der Döblinger Obkirchergasse
 steht und die Aufschrift auf einer Wohnhaus-
 anlage der Gemeinde Wien studiert, kann
 beruhigt sein: Dass dort „Karl-Mark-Hof“
 steht, ist nicht etwa ein Schreibfehler. Der
 1924/25 errichtete Bau befindet sich zwar im
 selben Bezirk wie sein um einiges größerer
 und bekannterer Bruder Karl-Marx-Hof, er ist
 aber nach dem sozialdemokratischen Politiker
 Karl Mark (1900 – 91), Nationalratsabgeordneter
 und Präsident des Wiener Volksbildungswerks, benannt.

 Stolze Bilanz
 1900: Von über 2 Millionen Wienerinnen und Wienern
       haben 300.000 keine Wohnung.
 1934: Jede zehnte Wienerin bzw. jeder zehnte Wiener
       wohnt in einem Gemeindebau.
 2018: Jede vierte Wienerin bzw. jeder vierte Wiener
       wohnt in einem Gemeindebau.
                                                                     Karl-Marx-Hof, 19. Bezirk
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VORWORT

                      Sehr geehrte Leserin, sehr geehrter Leser!

                                                           Der Karl-Marx-        „Licht, Luft und Sonne“ errichtet wurden, andererseits
                                                           Hof ist längst ein    Kindergärten, Schulen und Büchereien sowie Gemein-
                                                           Wiener Wahrzei-       schaftseinrichtungen wie Waschküchen Platz boten.
                                                           chen – so wie das
                                                           Riesenrad oder        Zwischen dem Spatenstich für den Metzleinstaler-Hof,
  © CHRISTIAN JOBST

                                                           der Stephansdom.      Wiens ersten Gemeindebau, im Jahr 1919, dem aktuellen

                                                         © PID/BOHMANN
                                                           Das kommt nicht       SMART-Wohnbauprogramm und dem Beschluss aus dem
                                                           von ungefähr,         Jahr 2015, wieder neue Gemeindebauten zu errichten,
                                                           denn er ist nicht     wurden 220.000 Gemeindewohnungen für eine halbe
                      nur architektonisch eindrucksvoll, er steht auch für die   Million Bewohnerinnen und Bewohner sowie 200.000 ge-
                      lange Geschichte des kommunalen Wohnbaus in Wien.          förderte Wohnungen fertiggestellt. Der soziale Wohnbau
                      Seit nahezu einem Jahrhundert prägt diese spezielle        der Stadt Wien ist nach wie vor ein – auch international
                      soziale Wohnbaupolitik unsere Stadt.                       anerkanntes – Erfolgsmodell und trägt maßgeblich zur
                                                                                 ausgezeichneten Wohn- und Lebensqualität in Wien bei.
                      Die Wurzeln für die städtebaulich außergewöhnlichen
                      Aktivitäten liegen in der Zwischenkriegszeit, als im
                      sogenannten „Roten Wien“ 65.000 Wohnungen erbaut
                      wurden. Ziel war es, leistbare Wohnungen mit hoher
                      Qualität einer breiten Bevölkerungsschicht zur Ver-
                      fügung zu stellen. Gelungen ist noch mehr: nämlich         Dr. Michael Ludwig         Kathrin Gaál
                      Wohnhausanlagen, die einerseits nach den Kriterien         Bürgermeister              Wiener Frauen- und Wohnbaustadträtin

Reumannhof, 5. Bezirk                                                                                                              Der Wiener Gemeindebau 3
Der Wiener Gemeindebau. Geschichte, Daten, Fakten
Karl-Marx-Hof
                           Im Karl-Marx-Hof im 19. Bezirk wurden 1927–30
                           zusätzlich zu 1.382 Wohnungen für etwa 5.000
                           BewohnerInnen auch zahlreiche Gemeinschafts-
                           einrichtungen geschaffen, unter anderem
                           Kindergärten, eine Mutterberatungsstelle,
                           ein Jugendheim, eine Bibliothek, eine Zahn-
                           klinik, eine Krankenkassenstelle mit Ambula-
                           torium, eine Apotheke, ein Postamt, Arztpraxen,
                           Kaffeehäuser, Räumlichkeiten für politische
                           Organisationen und Geschäftslokale. Da zwar
                           ursprünglich alle Wohnungen über eine eigene
                           Wasserentnahmestelle verfügten, Badezimmer
                           damals aber noch nicht zum Standard gehörten,
                           waren in die Anlage auch zwei Badeanstalten mit
                           insgesamt 20 Wannen und 30 Duschen sowie
                           zwei Zentralwäschereien mit 62 Waschständen
4 Der Wiener Gemeindebau   integriert.
Der Wiener Gemeindebau. Geschichte, Daten, Fakten
GESCHICHTE

HOCH HINAUS
   Das Jahrhundert des Wandels: Wie ein Wiener
Wohnbauprogramm das Leben der Menschen veränderte.

E   ine eigene Wohnung oder we-
    nigstens ein eigenes Zimmer …
Für viele WienerInnen an der Wen-
                                     bruch des Ersten Weltkriegs 1914
                                     hatte Wien bereits über 2 Millionen
                                     EinwohnerInnen, von denen die
                                                                             Zwischen den Kriegen:
                                                                             „Das Rote Wien“
                                                                             Nach dem Ende des Ersten Welt-
de zum 20. Jahrhundert ein Traum,    ärmeren unter unvorstellbaren Be-       kriegs und in den Anfängen der
der wohl niemals Wirklichkeit        dingungen lebten: BettgeherInnen,       Republik Österreich zog die Sozial-
werden würde. Die katastrophale      die sich nicht einmal die Miete für     demokratische Arbeiterpartei ins
Wohnungsnot wurde teils durch        ein Zimmer leisten konnten und          Wiener Rathaus ein und stellte mit
den Zuzug von Menschen aus allen     lediglich für ein paar Stunden pro      Jakob Reumann den ersten sozial-
Teilen der Habsburgermonarchie       Tag eine Liegestatt benutzen durf-      demokratischen Bürgermeister. Die
in die Haupt- und Residenzstadt      ten. Oder UntermieterInnen, die         Zeit des sogenannten „Roten Wien“
hervorgerufen. Teils aber war sie    wenigstens einen kleinen Raum           begann. Die Wohnungssituation
auch eine Folge der Tatsache, dass   ihr eigen nannten – in überfüllten      war durch die galoppierende In-
sich die meisten Wohnungen in Pri-   Wohnungen ohne Wasser, ohne Toi-        flation, Kriegsflüchtlinge und poli-
vatbesitz befanden und deren Ver-    lette, ohne Licht, schlecht belüftet,   tische Instabilität nicht einfacher
mietung sich an den Gesetzen der     sodass sich Krankheiten rasch und       geworden und so nahm die Stadt
Rentabilität orientierte. Bei Aus-   ungehindert ausbreiten konnten.         Wien umfangreiche Wohnbau-

                                                                                                       Der Wiener Gemeindebau 5
Der Wiener Gemeindebau. Geschichte, Daten, Fakten
Reumannhof, 5. Bezirk                                 Hugo-Breitner-Hof, 14. Bezirk

       programme in Angriff. Durch die      helle, lichtdurchflutete Wohnungen               und ihnen einen höheren Lebens-
       Errichtung von kommunalen Miets-     errichten, die über Zimmer, Küche,               standard zu ermöglichen.
       häusern sollte nicht nur Wohnraum    Vorraum und sogar ein eigenes WC
       geschaffen, sondern den Menschen     und eine Wasserstelle verfügten;                 Der Traum wird wahr
       auch ganz allgemein eine bessere     statt in schmutzstarrende Lichthöfe              Auch heute noch scheint es wie ein
       Ausgangsbasis für ein „normales“,    sollte man in Gärten und Grünanla-               Wunder, dass dies in der damaligen
       gesundes Leben geboten werden.       gen blicken, Gemeinschaftseinrich-               wirtschaftlichen Situation gelang.
       Die Ansprüche waren hoch: Statt      tungen wie Bäder und Kindergärten                Wesentlichen Anteil an diesem Er-
       der finsteren, schmutzigen Löcher,   wurden vorgesehen, um den Alltag                 folg hatte die von Finanzstadtrat
       in denen viele hausten, wollte man   der BewohnerInnen zu erleichtern                 Hugo Breitner initiierte zweckge-

6 Der Wiener Gemeindebau
Der Wiener Gemeindebau. Geschichte, Daten, Fakten
Per-Albin-Hansson-Siedlung, 10. Bezirk            Wohnsiedlung Schmelz, 15. Bezirk

bundene Wohnbausteuer, die es            sind die erste größere Wohnsied-            (1924–28), damals die größte mit
– neben anderen neu geschaffenen         lung der Stadt Wien auf der Schmelz         über 1.500 Wohnungen, und der
Abgaben – ermöglichte, die ambiti-       (1919–24) mit 150 Siedlungshäusern          Karl-Marx-Hof (1927–30), der noch
onierten Projekte zu verwirklichen.      und Gärten zur Selbstversorgung,            heute als herausragendes Beispiel
So wurden in der Zwischenkriegs-         der Metzleinstaler-Hof (1916–25),           für gelungene Architektur und
zeit über 61.000 Wohnungen in            der erste „echte Gemeindebau“, der          Stadtplanung der damaligen Zeit
348 Wohnhausanlagen und über             bereits eine Badeanstalt, eine Bi-          internationale Berühmtheit genießt.
5.000 Wohnungen in 42 Reihen-            bliothek, eine Wäscherei und einen          Wie auch andere große Wohnhaus-
haussiedlungen für die MieterInnen       Kindergarten enthielt. Dazu kamen           anlagen wurde er im Februar 1934
bezugsfertig gemacht. Darunter           die Wohnhausanlage Sandleiten               zum Kriegsschauplatz, als sozial-

                                                                                                             Der Wiener Gemeindebau 7
Der Wiener Gemeindebau. Geschichte, Daten, Fakten
GESCHICHTE

       demokratische Widerstands-            diese Zeit typischen Wohnblöcke     vorläufig letzte Gemeindebau, bei
       kämpfer sich gegen die angreifen-     in Fertigteilbauweise wie die       dem die Wiener Stadtverwaltung
       den Truppen des Ständestaates         Großfeldsiedlung, um in möglichst   als Bauherrin auftrat, steht in
       in den Bauten verschanzten.           kurzer Zeit möglichst viel leist-   1230, Rößlergasse 15.
                                             baren Wohnraum zu schaffen. Im
       Knapp danach wurde mit Beginn         Jahr 1969 wurde die 100.000ste      2015 fasste die Stadtregierung den
       des Ständestaates die Bautätigkeit    Wohnung seit Ende des Zweiten       Beschluss, wieder als Bauherrin
       fast völlig eingestellt und auch in   Weltkrieges fertiggestellt.         weitere Wohnhausanlagen zu er-
       der darauf folgenden Diktatur des     In den 1970er- und 1980er-Jahren    richten. Das Konzept „Gemeinde-
       Nationalsozialismus und im Zwei-      widmete sich die Stadt Wien, da     wohnungen NEU“ orientiert sich
       ten Weltkrieg naturgemäß kaum         die unmittelbare Wohnungsnot        an den alten Werten, angepasst an
       fortgesetzt.                          behoben war, vor allem der          die neuen Zeiten: leistbare Woh-
                                             Stadterneuerung und der Wohn-       nungen mit guter Ausstattung,
       Und weiter geht’s!                    haussanierung. In den 1990er-       genügend Grünraum und Freizeit-
       Nach Kriegsende machte man            Jahren wuchs der Bedarf an          einrichtungen. Bis 2020 sind rund
       sich an den Wiederaufbau und          Wohnungen wieder – Singlehaus-      4.000 „Gemeindewohnungen NEU“
       die Stadt Wien setzte 1947 mit der    halte, erneute Zuwanderung und      an 28 Standorten geplant.
       Errichtung der Per-Albin-Hansson-     immer höher werdende Ansprüche
       Siedlung (das Baumaterial war         verstärkten die Nachfrage; eine     Doch schon jetzt ist die Bilanz
       Ziegelschuttbeton) das Wohnbau-       neue Wohnbauoffensive begann.       durchaus erfreulich: Heute lebt
       programm fort. In rascher Folge       2004 wurde der gesamte geför-       jede vierte Wienerin bzw. jeder
       entstanden viele kleinere Anlagen,    derte Wohnbau zu gemeinnützigen     vierte Wiener in einem der über
       in den 1960er-Jahren dann die für     Wohnbauträgern verlagert. Der       1.800 Gemeindebauten.

8 Der Wiener Gemeindebau
Der Wiener Gemeindebau. Geschichte, Daten, Fakten
Metzleinstaler-Hof
Der Metzleinstaler-Hof am Margaretengürtel
wurde als erster „richtiger“ Gemeindebau
bereits während des Ersten Weltkriegs geplant
und bis 1925 in Etappen fertiggestellt. Mit
seinen komfortablen, hellen, aber sehr kleinen
Wohnungen steht er für eine neue Ära – am
Übergang vom „eigennützigen“ zum sozialen
Wohnbau. Balkone, Loggien und Erker sorgen im
Zusammenspiel mit gefalteten Fensterfronten,
Türmen und Dachaufbauten für ein nahezu herr-
schaftliches Flair. Kunstvoll gestaltete, bunte
Majolika-Verzierungen im jüngeren Teil der An-
lage konterkarieren die strenge Anmutung des
über 250 Wohnungen beherbergenden Baus,
wie auch der ruhige Innenhof mit seinen offenen
Durchgängen, der die Lage an einer der beleb-
testen Straßen Wiens vergessen lässt.             Der Wiener Gemeindebau 9
Der Wiener Gemeindebau. Geschichte, Daten, Fakten
Friedrich-Engels-Platz 1 – 10
Die Wohnhausanlage (1930 – 33) an der Floridsdorfer
Brücke war nach dem Sandleitenhof in Ottakring mit
1.400 Wohnungen der zweitgrößte Wohnbau des „Roten
Wien“. Von außen gleicht sie einer wehrhaften Burg:
Turmartige Vorsprünge mit hohen Fahnenmasten be-
grenzen den imposanten Zugang. Auch die Fassaden
in den Innenhöfen sind, in der Tradition Otto Wagners,
von einem geometrischen Stil geprägt; unterschiedlich
gestaltete Balkon- und Torgitter mildern den strengen
Eindruck und setzen farbige Akzente. Am äußersten
Rand ragt der mächtige Schlot der in die Anlage integrier-
ten Wäscherei empor – anlässlich der Eröffnung im
Jahr 1933 als „neues Wahrzeichen Wiens“ gepriesen,
beeindruckt er noch heute mit seiner monumentalen,
weithin sichtbaren Uhr.
HEUTE & MORGEN

NUMMER EINS IM
SOZIALEN WOHNBAU
     Was die Ansprüche ans Wohnen betrifft, so hat sich seit dem Beginn
des sozialen Wohnbaus sehr viel geändert.

D   ie ersten Gemeindebauten
    brachten für ihre Bewohner-
Innen einen Quantensprung in der
                                       Singlehaushalte. Diese haben, laut
                                       Statistik Austria, seit 2000 von 22
                                       auf 44 Prozent zugenommen. Das
                                                                             Wohnfläche in Wien
                                                                             50
                                                                                                                     pro Kopf, in m2

                                                                             40                                        38               37
Wohnqualität. Ab dann ging es –        heißt, es kommt zu maßgeblichen
                                                                                                         33
wenn auch nicht ganz so spektaku-      Änderungen in der Bevölkerungs-                      31
                                                                             30     25
lär – weiter stetig bergauf. Wie die   struktur, die Nachfrage nach klei-
                                                                              22
nebenstehende Grafik zeigt, wurde      neren und vor allem kostengünsti-
                                                                             20
die durchschnittliche Wohnfläche       geren Wohnungen steigt. Auch hier
pro Kopf zwischen 1961 und 2001        gibt es seitens der Stadt Wien ein    10
von 22 m² auf 38 m² ausgedehnt. Seit   zeitgemäßes Angebot: die SMART-
2011 stagniert die Wohnfläche pro      Wohnungen. Das sind kompakte,
                                                                             1961   1971   1981         1991         2001             2017
Person in etwa bei 37 m². Gleichzei-   kostengünstige Einheiten, die mit-
                                                                                           Quellen: Statistisches Jahrbuch der Stadt Wien;
tig wächst nach wie vor die Zahl der   tels verschiebbarer Wände nach                             STATISTIK AUSTRIA, Mikrozensus 2017

                                                                                                                   Der Wiener Gemeindebau 11
Wohnhausanlage Europan, 22. Bezirk

       den individuellen Vorstellungen der     geben werden muss, nimmt ständig       weit mehr, indem sie Subjekt- und
       MieterInnen gestaltet werden            zu. Dazu kommt eine hohe Zahl an       Objektförderung kombiniert. Men-
       können. Die Wohnungsgröße liegt         Wohnungsuchenden, die sich durch       schen mit niedrigem Einkommen
       zwischen 40 m² und 70 m² (ein bis       die künftige Bevölkerungsent-          werden auch in Wien direkt unter-
       drei Zimmer), wobei der Vergabe-        wicklung (siehe Grafik S. 13) noch     stützt. Darüber hinaus investiert
       grundsatz „pro Person ein Zimmer“       verstärken wird. Um hier auch in Zu-   Wien aber auch in die Neuerrichtung
       angewandt wird.                         kunft ein ausreichendes Angebot an     von Wohnraum und in die Sanierung
                                               erschwinglichem Wohnraum sicher-       von bestehenden Altbauten. Damit
       Wirkungsvoll fördern                    stellen zu können, wird die Wiener     profitieren die WienerInnen von den
       Ein Blick auf die Tendenzen des         Wohnbauförderung wie bisher eine       Vorteilen beider Systeme.
       Wohnungsmarkts zeigt, dass Wien         ganz wesentliche Rolle spielen.
       der allgemeinen Entwicklung entge-                                             Als klare Nummer 1 im sozialen
       genwirken muss: Die Mieten steigen      Denn im Unterschied zu den meisten     Wohnbau ist Wien mit rund 10.000
       überproportional zu den Einkom-         europäischen Metropolen, die Mie-      Wohneinheiten, die jährlich mit
       men, der Anteil am Haushaltsein-        terInnen ausschließlich finanziell     Fördermitteln errichtet werden, im
       kommen, der fürs Wohnen ausge-          unterstützen, leistet die Stadt Wien   internationalen Vergleich beispiel-

12 Der Wiener Gemeindebau
HEUTE & MORGEN

         gebend. Darüber hinaus werden                                                         Wohnverhältnisse in Wien                                               Stand: 31.12.2017
         in den nächsten fünf Jahren auch                                                                          4%
         noch 4.000 Gemeindewohnungen neu                                                                   6%
         gebaut. Ebenfalls vorbildlich sind die                                                                            n MieterInnen                                            690.900
         vielfältigen Maßnahmen zum Klima-                                                                         13 %    n WohnungsbesitzerInnen                                   112.700
         und Umweltschutz, die etwa bei der                                                                                n HausbesitzerInnen                                         57.700
                                                                                                77 %
         Sanierung gesetzt werden. Wobei das                                                                               n UntermieterInnen und andere                              40.600
         Ziel nie aus den Augen verloren wird:
                                                                                                                           Wohnungen insgesamt: 901.900
         möglichst vielen Menschen erschwing-
         lichen und qualitätsvollen Wohnraum
                                                                                                                                                        Quelle: Statistik Austria, Mikrozensus 2017
         zur Verfügung zu stellen.

         Wien wächst                                                     Bevölkerung          Ausstattung der Gemeindebauwohnungen*                                  Stand: 31.12.2017
                                                                                                                 0,2 %
2 Mio.                                                                                                                     n Kategorie A                                             139.406
                                                                             2.070.339

                                                                                                            17 %           	
                                                                                                                            Nutzfläche mindestens 30 m2, Küche, WC, zeit-
                                                         1.995.728

                                                                                                                              gemäßes Bad, Wärmeversorgungsanlage, Etagen-
                                      1.888.776

                                                                                                                              heizung oder gleichwertige stationäre Heizung
                  1.674.937

                                                                                                                           n Kategorie B                                              33.581
1 Mio.                                                                                                                        Zimmer, Küche, WC, zeitgemäßes Bad
                                                                                                67 %                16 %   n Kategorie C                                               36.114
                                                                                                                              Wasserentnahmestelle und WC im Inneren

                                                                                                                           n Kategorie D                                                    415
                                                                                                                              Keine Wasserentnahmestelle oder kein WC im Inneren
                2008                2018                2028                2038
         Quellen: STATISTIK AUSTRIA, Demographische Indikatoren; Statistisches Jahrbuch 2017                               * Wohnungen in Eigenverwaltung                  Quelle: Wiener Wohnen

                                                                                                                                                                         Der Wiener Gemeindebau 13
DATEN & FAKTEN

       WOHNEN
       IN ZAHLEN
            Die Wiener Gemeindebauten bergen
       so manche Überraschung. Ein Blick auf
                                                     500.000
                                                     Menschen
       die Statistik zeigt Beindruckendes.           wohnen im Wiener Gemeindebau. Das entspricht fast der
                                                     Einwohnerzahl von Graz, Innsbruck und Klagenfurt
                                                     (insgesamt ca. 518.500). Jede 4. Wienerin bzw. jeder 4. Wiener
                                                     lebt in einer der über 1.800 Wohnhausanlagen.

                            610
                            Hektar Grünfläche
                                                                                           5.507
                            werden von Wiener                                              Wäschetrockner
                            Wohnen betreut. Das                                            gibt es in den Wiener
                            entspricht der Größe                                           Gemeindebauten. Würde
                            von 854 Fußballfeldern                                         man sie in einer Reihe auf-
                            (nach der FIFA-Norm)                                           stellen (zwischen den Ge-
                            oder der Fläche der                                            räten ca. 15 cm), dann wäre
                            Bezirke Mariahilf,                                             eine Wäschetrockner-
                            Josefstadt, Neubau und                                         Schlange um die Wiener
                            Margareten.                                                    Ringstraße möglich.

14 Der Wiener Gemeindebau
67.000
                               Bäume

                                                                            1.300
                               befinden sich auf den Grundstücken von
                               Wiener Wohnen. Das entspricht durch-

7.807
                               schnittlich 37 Bäumen pro Wohnhaus-
                               anlage der Stadt Wien.                       Spielplätze
                                                                            gibt es in den Wohnhausanlagen von Wiener
Aufzüge                                                                     Wohnen, das sind dreimal so viele wie die
gibt es in den Wiener Ge-                                                   Summe der Spielplätze von Graz, Salzburg,
meindebauten. Damit könnte                                                  Linz, Innsbruck, Klagenfurt, Eisenstadt und
man einen Turm bauen, der                                                   Bregenz. 52 Prozent der städtischen Spielplät-
zweimal so hoch ist wie der                                                 ze werden von Wiener Wohnen verwaltet.
Himalaya.

4.979                                                                       1.588
Lokale                         12.933.009
                               Quadratmeter vermietete Fläche
                                                                            1.375 HausbesorgerInnen und
                                                                            213 HausbetreuerInnen
verwaltet Wiener Wohnen –                                                   kümmern sich um Ordnung und Sauberkeit
rund 15-mal so viele, wie es   verwaltet Wiener Wohnen. Das entspricht      in den Wiener Gemeindebauten – das sind
in den Shopping-Centern        der Fläche einer vier Meter breiten Straße   insgesamt etwas mehr Menschen, als
Süd und Nord gibt.             von Madrid nach Stockholm.                   Wolfpassing EinwohnerInnen hat.

                                                                                                              Der Wiener Gemeindebau 15
Rabenhof
Der Rabenhof (1925–28) im 3. Bezirk umfasst mehr als 1.000
Wohnungen. Aufgrund der unregelmäßigen topografischen
Gegebenheiten reihen sich zahlreiche Wohn- und Gartenhöfe
sowie Gebäude unterschiedlicher Größe und Höhe mit un-
einheitlichen Fassaden und Formen kunterbunt aneinander.
Romantische, scheinbar natürlich gewachsene, begrünte
Plätze, verspielte Fassadendetails und kleine Treppen, die die
Niveauunterschiede ausgleichen, sorgen für eine behutsame
Dynamik. Ebenfalls dynamisch ist die Geschichte der Anlage,
die ursprünglich „Austerlitz-Hof“ hieß, nach dem damals
bereits verstorbenen Chefredakteur der „Arbeiter-Zeitung“
Friedrich Austerlitz. Im Bürgerkrieg des Februar 1934, im Zuge
dessen das Bundesheer die Wohnhausanlage besetzte, war sie
Schauplatz eines heftigen Feuergefechts. Nach den blutigen
Ereignissen im Februar 1934 wurde der Hof kurzerhand nach
der nahe gelegenen Rabengasse in Rabenhof umbenannt.
CHARAKTERISTIKA

„T YPISCH
 GEMEINDEBAU“
     Im Laufe der Jahrzehnte hat sich das Erscheinungsbild
der Wohnhausanlagen gewandelt, doch das zugrunde
liegende Konzept ist unverwüstlich.

D   ie Wienerinnen und Wiener
    erkennen einen Gemeindebau
auf den ersten Blick. All diesen
                                       anmutenden Strukturen, Bäumen,
                                       Wiesen – und mit Orten der Begeg-
                                       nung, sei es der Kinderspielplatz,
Wohnhausanlagen ist ein „ge-           sei es die Waschküche. Oder es
wisses Etwas“ gemeinsam, das sie       verbindet sie die Architektur,
verbindet – auch wenn sich nicht       die sich zwar mit den Strömungen
genau sagen lässt, worin es besteht.   der Zeit und den Bedürfnissen
Vielleicht ist es der Umstand, dass    der Menschen gewandelt hat,
durch sie eine kleine, abgeschlos-     aber doch ihren ganz speziellen
sene Welt mitten in der Großstadt      Charakter weder verleugnen kann
geschaffen wird, mit fast dörflich     noch will.                            Rabenhof, 3. Bezirk

                                                                                                   Der Wiener Gemeindebau 17
Sandleitenhof, 16. Bezirk                                               Wohnhausanlage Leystraße 23, 20. Bezirk

       Klassisch und unverwechselbar          nannten „Stiegen“, erreicht. Von Kri-      Burgen: natürlich der Karl-Marx-
       Vor allem die „klassischen“ Wohn-      tikerInnen zur Zeit ihrer Errichtung       Hof (1927–30) mit seinen massiven
       hausanlagen, die in der Zwischen-      wegen ihrer Abgeschlossenheit als          Mauern, riesigen bogenförmigen
       kriegszeit entstanden sind, prägen     „Festungsbauten“ geschmäht oder            Durchfahrten, mächtigen Toren und
       als unverwechselbare Zeugnisse des     ob der opulenten Gestaltung der            Fahnenmasten; auch der Rabenhof
       „Roten Wien“ vielerorts noch heute     Tore spöttisch als „Arbeiterbarock“        (1925–28), bei dem sich Wohn- und
       das Stadtbild. Die Wohngebäude         tituliert, bilden sie nun Oasen der        Gartenhöfe aneinanderreihen, die
       sind um einen gemeinsamen Innen-       Ruhe in der belebten Stadt.                von Häusern mit unterschiedlich
       hof gruppiert, in den man durch eine                                              gestalteten Fassaden umschlossen
       oder mehrere große Toreinfahrten       Einige der weitläufigen Wohnhaus-          werden. Ähnlich, aber doch unter-
       gelangt und von dem aus man die        anlagen erinnern mit dem charak-           scheidbar der bereits in der Zeit des
       einzelnen Gebäudeteile, die soge-      teristischen Innenhof in der Tat an        Ersten Weltkriegs geplante Metz-

18 Der Wiener Gemeindebau
Wohnhausanlage Friedrich-Engels-Platz, 20. Bezirk   Wohnhausanlage Wallgasse 13, 6. Bezirk

leinstaler-Hof (1916–25) mit seinem                 debauten: Keramikreliefs, Bronze-                  Mehr als nur wohnen
großen, rechteckigen Innenhof,                      figuren, Mosaike, Brunnen oder                     Sicher, eine Wohnung, ein Zuhause
dessen Form an Höfe aus dem Barock                  Steinskulpturen entdeckt man nicht                 zu haben ist einmal die Basis. Aber
und dem Biedermeier gemahnt.                        nur bei den berühmten, sondern auch                weil das Leben noch mehr Facetten
                                                    an den Wänden und in den Höfen von                 hat, waren in den Wohnhausanlagen
Oft gliedern Balkone, Loggien, Erker                weniger spektakulären Wohnhaus-                    von Anfang an zahlreiche Gemein-
oder kleine Türmchen die Fassaden,                  anlagen. Ein Meisterstück anderer                  schaftseinrichtungen mit einge-
durch das Spiel mit verschiedenen                   Art ist der flammend rote Schriftzug               plant. Denn es erleichtert den Alltag,
Farben heben sich die Häuser einer                  „Errichtet aus den Mitteln der Wohn-               wenn von der Mutterberatung bis
Anlage oder auch einzelne Elemente                  bausteuer“, der unübersehbar an                    zum Kindergarten, von der Badean-
voneinander ab. Auch Kunstwerke                     vielen Bauten an das gelungene                     stalt bis zur Zentralwäscherei, vom
finden sich an und in vielen Gemein-                Finanzierungsmodell erinnert.                      Ambulatorium bis zur Zahnklinik

                                                                                                                                 Der Wiener Gemeindebau 19
George-Washington-Hof, 10. und 12. Bezirk                                                   Ernest-Bevin-Hof, 17. Bezirk

       alles in wenigen Minuten zu Fuß er-         Namen – poetische wie Rabenhof        Natürlich sind bekannte Sozialisten
       reichbar ist. Das gibt den Bauten das       oder Lindenhof bilden hier eher die   wie Karl Marx, Victor Adler und Jean
       Flair eines kleinen Dorfes, in dem          Ausnahme, häufiger sind Flurnamen,    Jaurès vertreten, auch Wissenschaf-
       auch Kaffeehäuser, Geschäftslokale          z.B. Hasenleitenhof, Sandleitenhof    ter, etwa Sigmund Freud und Albert
       und Bibliotheken nicht fehlen.              oder Wohnhausanlage Am Laaer          Einstein. So manche Höfe tragen
                                                   Berg. Meist jedoch soll durch die     – wohl österreichspezifisch – einen
       Große Namen,                                Benennung Menschen, die Herausra-     Professoren- oder Doktortitel, zum
       stolz getragen                              gendes geleistet haben, ein Denkmal   Beispiel der Professor-Jodl-Hof und
       Und so wie in ländlichen Gegenden je-       gesetzt werden, etwa Künstlern wie    der Dr.-Ellenbogen-Hof. Nicht viele,
       der Hof seine eigene Bezeichnung hat,       August Strindberg, Oskar Werner       aber doch einige Frauen finden sich
       tragen auch viele Gemeindebauten            und Friedensreich Hundertwasser.      unter den NamensgeberInnen, so

20 Der Wiener Gemeindebau
Goethehof, 22. Bezirk

Margarete Schütte-Lihotzky und            So stehen die Bauten als Mahnmal
Rosa Albach-Retty. Dass man nicht         und Erinnerung an die Frauen und
unbedingt sozialdemokratisch              Männer, deren Namen sie tragen,
gesinnt sein muss, um auf einem           und zugleich sorgen die vertrauten
Gemeindebau verewigt zu werden,           Benennungen dafür, dass die Wie-
bestätigt unter anderen auch der          nerInnen sich mit ihren Wohnhaus-
Maria-Restituta-Hof, der an die           anlagen auf eine besondere Weise
Ordensschwester Helene Kafka er-          identifizieren: In der Schüttau-
innert, die sich gegen die National-      straße kann jede und jeder wohnen,
sozialisten auflehnte und für ihre        aber die Adresse „Goethehof“ ist
Überzeugung sterben musste.               schon etwas ganz Besonderes.
SOZIALER WOHNBAU

       GESELLSCHAFTLICHER NUTZEN
           Das Wiener Modell des sozialen Wohnbaus bietet zahlreiche Vorteile für Gesellschaft,
       Nachbarschaften und jede einzelne Bürgerin und jeden einzelnen Bürger.

       D  ie 420.000 kommunalen
          Wohnungen und Genos-
       senschaftswohnungen tra-
       gen auf dem gesamten Woh-
       nungsmarkt dazu bei, dass
       Mieten leistbar bleiben.

       Der soziale Wohnbau sorgt
       für eine gute soziale Durch-
       mischung in allen Stadt-
       teilen und ist die Grundlage
       für eine hohe Lebensquali-
       tät in Wien.

22 Der Wiener Gemeindebau
SCHON GEWUSST?
                         Kurzer Prozess
                         Friedrich Engels, Weggefährte von Karl Marx und Mitautor des
                         „Kommunistischen Manifestes“, ist ebenso wie dieser in sozial-
                             demokratischen Kreisen ein beliebter Namensgeber. Rund um den
                                    nach ihm benannten Platz im 20. Bezirk wurden zwischen
                                         1930 und 1970 insgesamt vier Wohnhausanlagen er-
                                            richtet und bereits seit 1925/26 gibt es im 11. Bezirk
                                               den Friedrich-Engels-Hof. Nach 1934, in der Zeit
                                                 des Austrofaschismus, war dieser rebellische
                                                   Name auf der Wohnhausanlage naturgemäß
                                                     ein ideologischer Dorn im ständestaatlichen
                                                      Auge und man wählte eine pragmatische
                                                       Lösung: Einfach einen „Friedrich“ und ein
                                                       „s“ abmontieren – und was bleibt, ist ein
                                                       biederer „Engel-Hof“.
                                                       Den Friedrich-Engels-Platz ereilte ein
                                                      ähnliches Schicksal; er hieß ab 1934 Pater-
                                                     Abel-Platz, nach dem antisemitischen
                                                   „Männerapostel von Wien“. Platz wie Ge-
                                                 meindebau wurden 1946 wieder umbenannt.

                                           Der Wiener Gemeindebau im Web
                                    Die Geschichte des kommunalen Wohnbaus in Wien:
                              wienerwohnen.at/wiener-gemeindebau/geschichte.html
                         dasrotewien.at > Kommunaler Wohnbau
                         de.wikipedia.org/wiki/Gemeindebau
                         Beschreibungen aller Wohnhausanlagen der Gemeinde Wien:
                         wienerwohnen.at/wiener-gemeindebau/
                         gemeindebaubeschreibungen.html
Reumannhof, 5. Bezirk
Impressum:
     Medieninhaber und Herausgeber: Stadt Wien – Wiener Wohnen, Rosa-Fischer-Gasse 2, 1030 Wien;
                Produktion: Domus Verlag, Rahlgasse 1, 1060 Wien; Coverfoto: Gerry Frank;
          Fotos: Wiener Wohnen, Dieter Steinbach, Gerry Frank; Verlags- & Herstellungsort: Wien;
Druck: Bernsteiner Media GmbH. Gedruckt auf ökologischem Papier aus der Mustermappe von „Ökokauf Wien“.
                                         Stand: November 2018
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