Qualitätszeit für erweiterte Beratung - Digitalisierter Wandel in der Wirtschaftsprüfung

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Qualitätszeit für erweiterte Beratung - Digitalisierter Wandel in der Wirtschaftsprüfung
Gespräch | Qualitätszeit für erweiterte Beratung

Qualitätszeit für
erweiterte Beratung
Digitalisierter Wandel in der Wirtschaftsprüfung

Der bereitwillige Tausch von Wissen und der Wille zur Kollaboration sind für die Steuerung der integrierten Partner­
schaft des Beratungsunternehmens Mazars unverzichtbar. Ein Gespräch mit Christoph Regierer, Oliver Theobald
und Thomas Schildhauer über den Change, um von Daten über Informationen zu Wissen, Erfahrung und Beratungs­
kompetenz zu gelangen.

ZOE: Sie sind bei Mazars in der Leitung einer globalen Part-      Auf­gabe besteht vor allem darin, die Bedingungen für den Er-
ner-Organisation von gleichberechtigten Wirtschaftsprüfern,       folg zu schaffen, Expertise zu entwickeln und zu vernetzten.
Steuer,- Rechts- und Unternehmensberatern. Der Abstim-            Der Begriff Enabler bringt das sehr gut zum Ausdruck. Unsere
mungs- und Koordinationsbedarf ist da sicher sehr hoch. Wel-      Legitimität steigt in dem Maße, wie es gelingt, die Kompetenz
che Besonderheiten der organisatorischen Steuerung zeigen         unserer Berater und Prüfer beim Kunden zur Entfaltung zu
sich dort?                                                        bringen.

Regierer: Wir sprechen lieber von einer integrierten Partner-     ZOE: Herr Schildhauer, Sie beraten Mazars im Bereich der Di-
schaft. Jeder hat einen Anteil an der Gesellschaft. Die Erträge   gitalisierung und strategischen Entwicklung. Wie würden Sie
werden gleichmäßig verteilt. Nur so entsteht ein gemeinsames      die Struktur des Unternehmens beschreiben?
Interesse an der Entwicklung des Unternehmens und vor al-
lem am bereitwilligen Tausch von Wissen. Das ist wichtig, weil    Schildhauer: Ich würde von einem Hub & Spoke-Konzept spre­
zum Beispiel Abschlussprüfungen immer landesübergreifend          chen. In der Mitte der Organisation befindet sich die Steuerung
sind. Wir arbeiten in mehr als 90 Ländern und beschäftigen ca.    mit anderen Enablern sowie den gemeinsamen Infrastruktu-
1.500 Mitarbeiter alleine in Deutschland. Wir arbeiten als ver-   ren, wie etwa IT oder HRM. Drumherum befinden sich kranz­
netzte Experten-Organisation und stellen dafür Plattformen        artig die Experten und Berater, die projektartig kooperieren.
zur Verfügung. Auf die Bereitschaft zu Kollaboration wird bei
der Wahl von neuen Partnern sehr geachtet. Umgekehrt gilt         ZOE: Ist die Steuerung nicht besonders anspruchsvoll, wenn
das auch. Die Partner geben einen Teil ihrer rechtlichen Selb-    Sie Veränderungen oder gar Transformationen initiieren wol-
ständigkeit auf, wenn Sie zu uns kommen.                          len?

ZOE: Wie muss man sich die Steuerung dieser integrierten          Regierer: Die Frage stellt sich aktuell mehr denn je. Unsere
Partnerschaft vorstellen? Wie treffen Sie Entscheidungen?         Branche befindet sich in einem totalen Umbruch durch die
                                                                  Digitalisierung. Das ist zugleich ein enormer kultureller Wan-
Theobald: In der Leitungsrolle gibt es keine hierarchische        del. Man muss sich das so vorstellen, dass Wirtschaftsprüfer
Macht. Die Führungsrolle steht gleichberechtigt neben ande-       bislang nur in Wissen investiert haben. Jetzt müssen Mittel für
ren Rollen. Das bedeutet, dass alle Entscheidungen im Kon-        Software, Hardware und Plattformen bereitgestellt werden. Wir
sens getroffen werden. Für eine derartige partizipative Struk-    benötigen Geld für Investitionen, Gewinne kann man nicht
tur ist der kommunikative Aufwand natürlich hoch. Unsere          mehr komplett ausschütten. Unsere Klienten beurteilen uns

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daher nicht zuletzt auch nach der Investitionskraft. Das heißt,        ZOE: Mit dieser Phase «Null» wollten Sie Offenheit schaffen
wir kommen um Skalierungen nicht herum, sonst kann man                 für den digitalen Wandel. Dabei haben Sie teilweise offene Tü-
den notwendigen Aufwand nicht darstellen.                              ren eingerannt. Wie ging es dann weiter?

Theobald: Daraus resultiert auch unser strategisches Ziel, näm­        Regierer: Genau das war der Plan. Es zeichnete sich dann
lich uns hinter den vier großen dominierenden Wirtschafts-             aber ein Bedarf nach Systematisierung ab, also den richtigen
prüfungsgesellschaften eine Führungsposition zu erarbeiten             Fokus zu definieren, die Arbeitspakete daran auszurichten
und entsprechende Mandate zu gewinnen.                                 und zu verteilen.

ZOE: In diesem Zusammenhang haben Sie einen Prozess un-                Schildhauer: Mit Hilfe der wissenschaftlich fundierten und in
ter der Überschrift 3 D, also Doing Digital Development, zur           der Praxis erprobten Methode der Schlüsselfaktorenanalyse
digitalen Transformation angestoßen?                                   der Digitalen Transformation haben wir gemeinsam mit vie-
                                                                       len Mazars-Mitarbeitern und Führungskräften und Mandan-
Regierer: Ja, dieser Prozess begann 2018 und ist auf mehrere           ten die für Mazars wesentlichen Schlüsselfaktoren der Digita-
Jahre angelegt. Das Ziel ist, digitale Kompetenz in unserer Wert­      lisierung herausgearbeitet. Daneben analysierten wir das Um-
schöpfungsstruktur und der Unternehmenskultur tief zu ver-             feld, Kontexte und die Geschäftsmodelle. Daraus ergaben sich
ankern. Das ist ein evolutionärer Prozess, für den man die Be-         vier große Arbeitsfelder: Innovation und Change Kultur, agiles
dingungen schaffen muss.                                               Ressourcen-Netzwerk, neue digitale Kunden-Integration, sowie
                                                                       Smarte Automatisierung. Wir haben dann eine Handlungs-
ZOE: Herr Schildhauer, wie haben Sie die Ausgangssituation             Roadmap entwickelt. Sie enthält Workstreams, die von jeweils
erlebt?                                                                zwei Partnern begleitet werden. Dort gibt es zahlreiche priori-
                                                                       sierte Projekte, sogenannte «Digital Runner», die von Füh-
Schildhauer: Einerseits kommt Mazars die partizipative Kul-            rungskräften und Mitarbeitern bearbeitet und umgesetzt wer-
tur sowie das Führungsverständnis als Enabler entgegen, auf            den. Unser Plan war, diese Arbeitsfelder parallel, jedoch in
der anderen Seite ist der Aufwand an Überzeugungsarbeit                drei Wellen abzuarbeiten. Gegenwärtig befinden wir uns am
aber hoch. Aus der Beraterperspektive kann ich das bestäti-            Ende der ersten und im Einstieg zur zweiten Welle. Wir evalu-
gen. So viel Kommunikation wie in diesem Vorhaben habe ich             ieren gerade, welche Erfahrungen wir gemacht haben und was
noch nie erlebt. In dem Projekt 3D haben wir daher eine 360°-          das für die nächste Welle bedeutet. Die erste Welle lief übri-
­­Partizipa­tion in Richtung aller Stakeholder installiert: Partner,   gens unter der Überschrift «Lernen und Pilotieren».
Mitarbeiter, Mandanten und externe Querdenker.
                                                                       «Phase ‘Null’: sich ohne Druck
ZOE: Ich kann mir vorstellen, dass der Einstieg in solch ein
Vorhaben besondere Aufmerksamkeit benötigt. Wie haben Sie
                                                                       und Ziel mit Digitalisierung spielerisch
angefangen?                                                            aus­einander­setzen.»
Regierer: Paradox könnte man sagen, wir begannen, ohne zu              ZOE: Können Sie uns Beispiele nennen, was sie bereits um­
beginnen. Es gab eine Phase «Null», in der wir Raum gegeben            gesetzt haben?
haben, sich ohne Druck und konkretes Ziel mit Digitalisierung
durchaus spielerisch auseinanderzusetzen. Tatsächlich gab es           Theobald: Wir haben beispielsweise einen Data Day organi-
auch Ansätze, die in Richtung Gamification gehen, z. B. ein            siert, der von Mitarbeitern gestaltet und moderiert wurde. Es
Wettbewerb um die besten Ideen zur Verbesserung unserer                wurden dazu auch Unternehmen eingeladen, mit denen wir
Prozesse mit Hilfe von digitalen Konzepten. Diese wurde dann           ko­operieren, wie Datev oder Microsoft. Die leitende Frage war,
prämiert und mit einer entsprechenden Aufmerksamkeit ver-              was können wir sonst noch mit unseren vielen Daten machen?
sehen. Diese Phase sollte vor allem experimentell gehalten wer­        Dieser Blick hat für unsere Beratungskompetenz unglaubli-
den und nicht zuletzt Spaß machen. Dafür haben wir bereits             ches Potenzial. Traditionell richtet sich die Aufmerksamkeit in
digitale Partizipations-Plattformen eingesetzt, auf denen die          der Wirtschaftsprüfung auf Jahresabschlüsse mit Parametern,
Mitarbeiter alles verfolgen und mit neuen Medien arbeiten              die etwa durch das Handels- und Steuerrecht vorgebeben
konnten. Das erzeugte Neugierde, man schaute sich im Büro              sind. Das erwartet der Kunde. Aber was ist, wenn wir Daten
über die Schulter auf die Bildschirme und es entstand ein ge-          jenseits aller Raster von Klienten aus vergleichbaren Branchen
wisser sportlicher Ehrgeiz. Viele Mitarbeiter haben den Ball           oder an gleichen Standorten oder ähnlicher Größe vergleichen
sofort aufgenommen und weitergespielt.                                 und Zahlen korrelieren? Kann man Regeln sehen, gibt es über-

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Gespräch | Qualitätszeit für erweiterte Beratung

Ein ZOE-Gespräch mit Thomas Schildhauer, Joachim Freimuth, Oliver Theobald und Christoph Regierer (v.l.n.r.) über den Weg von Daten über Informationen zu Wissen und
Erfahrung beim Beratungsunternehmen Mazars.

raschende Ausreißer, lassen sich Benchmarks definieren oder                        Regierer: Das ist der Kern, wo wir mit unserem Unternehmen
Trends herauskristallisieren? Daraus können sich Ratschläge                        hinwollen: Daten und Fakten analysieren, interpretieren und
für Kunden entwickeln, die einen Unterschied machen.                                                                                Informatio-
                                                                                   kontextualisieren. Oder anders: von Daten über Informatio­
                                                                                   nen zu Wissen und Erfahrung. Wir hatten den Eindruck, auf
ZOE: Klingt ein wenig nach Daten­Archäologie...
                           Daten-Archäologie...                                                                                            nut-
                                                                                   einer Goldmine von Daten zu sitzen, ohne sie richtig zu nut­
                                                                                   zen. Aber im richtigen Kontext werden daraus Informationen,
Schildhauer: In gewisser Weise ja. Ein Archäologe muss aber                                                                              Klien-
                                                                                   Wissen und Erfahrungen. Nur so lässt sich bei unseren Klien­
einschätzen können, ob er eine billige Scherbe oder das                            ten Wert generieren, weit über das hinaus, was wir immer
Bruchstück einer antiken Vase in der Hand hält. Bei Daten                          schon gemacht haben.
            Muster-Erkennung. Kombiniert man Zahlen, sieht
geht es um Muster­Erkennung.
man nicht viel, wenn man sie nicht deuten kann. Dazu braucht                       ZOE: Noch mal zurück zum Data­Day,
                                                                                                               Data-Day, das waren zu Beginn
es Urteilsfähigkeit und Interpretation. So erweitert sich unsere                              Präsenz-Veranstaltungen?
                                                                                   vermutlich Präsenz­Veranstaltungen?
Kompetenz. Die Basics werden früher oder später von Rech­  Rech-
nern und Algorithmen übernommen bzw. sie sind schon da­      da-                   Regierer: Ja, ein großer Teil der Interaktion spielte sich zwar
bei. Die Berater gewinnen so mehr Qualitätszeit für eine er­ er-                   schon frühzeitig im virtuellen Raum ab. Für uns war jedoch
weiterte Beratung der Mandanten.                                                   von vornherein klar, wie wichtig persönliche Begegnungen ge­ ge-
                                                                                   rade in einer Transformation sind. Danach bekommt die vir­   vir-
«Daten sind unsere Rohstoffe;                                                                                                                  ent-
                                                                                   tuelle Begegnung plötzlich eine ganz andere Qualität. So ent­
                                                                                   steht eine viel schnellere und intensive Austauschdynamik.
Digitalisierung hilft, unsere Wertströme                                           Auf einmal war klar, wir brauchen Werkzeuge, wie zum Bei­   Bei-
zu optimieren.»                                                                    spiel Microsoft Teams, eine Software für virtuelle Teamarbeit.
                                                                                   Das hat sehr geholfen, uns in der Transformation in unseren
Theobald: Ja, und die Frage lautet, wie kommt man dahin?                           Arbeitsprozessen neu zu organisieren. Oder Salesforce, das ist
Das wollten wir mit 3D erreichen. Die Daten sind unsere Roh­Roh-                                            Daten-Friedhof. Richtig genutzt, liest
                                                                                   eben doch nicht nur ein Daten­Friedhof.
                                                        optimie-
stoffe, Digitalisierung hilft uns, unsere Wertströme zu optimie­                   man daraus wichtige Informationen über Kundenthemen und
ren und zu standardisieren. Doing sollte den pragmatischen                         Trends. Wir sehen analoges und digitales Arbeiten inzwischen
                                                             In-
Aspekt ausdrücken. Es gibt daher inzwischen viele digitale In­                                           Kollaborations- und Kommunikations­
                                                                                   als eine einheitliche Kollaborations­       Kommunikations-
itiativen bei uns, die zu Lösungen werden und die wir den                          kultur. Der Unterschied zwischen virtuellen und realen Räu­Räu-
Mandanten Schritt für Schritt anbieten.                                            men wird kaum noch wahrgenommen.

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Qualitätszeit für erweiterte Beratung   | Gespräch

ZOE: Können Sie noch weitere Formate nennen, mit denen             Abweichungen hin, die sonst vielleicht nicht auffallen würden.
Sie die erste Welle Ihrer digitalen Transformation gestaltet ha-   Auch können dem Mandanten nun Benchmarks zu Kennzah-
ben?                                                               len aus der Branche leichter vermittelt werden.

Theobald: Viele Anwendungen haben uns auf fast schon un-           ZOE: Hört sich so an, als ob Sie in der ersten Phase die kriti-
spektakuläre Weise geholfen, die Chancen des digitalen Hand-       sche Masse schon erreicht hätten.
lungsraums für eine bessere, interne Vernetzung zu erkennen
wie z. B. die Ausweitung von Sharepoint, des Intranets oder        Theobald: Zumindest kann man schon viele Veränderungen
von Plattformen für den Austausch von spezialisierten Exper-       sehen. Wir führen das darauf zurück, dass sich eben auch die
ten-Communities. Wir haben ein digitales Archiv mit hilfrei-       Transformation digitaler Formen bediente. So wurde sie ge-
chen Suchfunktionen, wenn jemand sich Anregungen aus äl-           wissermaßen alltagstauglich. Das mussten wir schon aus prag­
teren Projekten holen will. Natürlich verfügen wir über einen      matischen Gründen machen, weil wir an vielen Standorten
vir­tuellen Campus, in dem sich Mitarbeiter selbstgesteuert ihr    über den Globus verteilt arbeiten. Aber es ist eben auch eine
eigenes Lern-Menü zusammenstellen können. Das umfasst              Frage der Glaubwürdigkeit. Man kann nicht nur analog über
fachliche Themen und entsprechende Webinare, sowie Lern­           digitalen Wandel sprechen.
einheiten zu sozialen oder persönlichen Kompetenzen.
                                                                   «Innovation-Board als Teil der
ZOE: Was könnte sonst noch für unsere Leser*innen interes-         Governance-Struktur»
sant sein?
                                                                   Regierer: In dem Zusammenhang noch ein Seitenaspekt, der
Regierer: Von Interesse ist vermutlich unser Innovation-Board      sich für uns als bedeutender Lerneffekt herausgestellt hat.
als Teil der Governance-Struktur. Das ist eine Community von       Nicht nur unser Blick auf die Daten, auch unsere Sicht auf die
Schlüsselmitarbeitern unter Anleitung eines Sponsors. Sie          Organisation hat sich verändert. Wir bekamen plötzlich eine
sind in Kontakt mit anderen Communities und ihren virtuel-         Reihe von Mitarbeitern in den Fokus, die durch ihre bislang
len Plattformen. Man könnte sagen, es ist eine Art Trendradar      unentdeckten Talente eine verblüffende Hebel-Wirkung in der
für Neuerungen. Sie horchen quer zum Mainstream in die Or-         gesamten Organisation entfalten. Das sind Fachexperten mit
ganisation und ihr Umfeld hinein, halten nach neuen Themen         IT-Expertise, u. a. unsere Digital Heroes. Ich denke aber auch
Ausschau und spielen diese in das Unternehmen zurück. Sie          speziell an einen Mitarbeiter, bei dem ich dachte, «das wird
werden auch als Gesprächspartner gesucht. Querdenken und           nie was»: Ihm fehlen Detailwissen und das Gefühl für Steuer-
Innovation sehen wir als Teil des Enablings.                       recht. Doch dann fiel mir seine wohltuende Wirkung im Team
                                                                   auf und inzwischen möchte ich ihn nicht mehr missen. Wir
ZOE: Sie haben gerade die erste Welle hinter sich. Woran misst     ha­ben also ganz nebenbei neben den klassischen Ansätzen
sich der Erfolg dieser Phase?                                      des Talent-Managements neue Karrierewege aufgezeigt. Ta­
                                                                   len­­te wur­den durch den Wandel sichtbarer. Ihr Selbstbewusst-
Regierer: Ich könnte jetzt was erzählen über Befragungen und       sein ist zuweilen bemerkenswert. Sie haben kein Problem
Evaluierung, aber eine Geschichte, die ich erlebt habe, ist        beim Kunden zu sagen, übrigens, das läuft jetzt so.
sprechender. Eine Mitarbeiterin kam vor kurzen zurück aus
der Elternzeit und fragte überrascht: Was ist mit dem Unter-       ZOE: Schauen wir noch auf Ihre Kunden. Wie erleben sie den
nehmen passiert? Ich fragte, was Sie meinte. Sie hatte beob-       Wandel?
achtet, dass sich in dem Jahr ihrer Abwesenheit die Arbeit mit
Tools im digitalen Raum bei Mazars nahezu komplett in die          Theobald: Mandanten haben über lange Jahre nur regulatori-
Wertschöpfung integriert hatte. Vorher gab es nur unverbun-        sche Einzelleistungen von uns abgerufen. Inzwischen wollen sie
dene Einzellösungen, jetzt sind sie Teil des Organismus und        mehr und sie brauchen auch viel mehr. Ein Beispiel: wenn ein
der gelebten Arbeitsorganisation. Diejenigen, die über die gan­    Berater einen Abschluss erstellt, Daten eingibt und Vergleiche
ze Zeit bei den einzelnen Veränderungsschritten dabei waren,       rechnet, läuft im Hintergrund seiner Arbeit eine intelligente
haben das gar nicht so drastisch empfunden.                        Software mit, die sieht, an welchen Themen er arbeitet und
                                                                   macht Vorschläge, spielt Ideen ein oder verweist auf Bench-
Schildhauer: Ein kleines Beispiel: traditionell ist Wirtschafts-   marks. Selbst wenn die Software nicht sofort ins Schwarze trifft,
prüfung eine Stichproben-Prüfung. Data-Analytics hilft nun         löst sie oftmals einen kreativen Impuls aus und der Berater
durch maschinelle Lernalgorithmen, eine teilautomatisierte         stößt auf einen Aspekt, den er vorher nicht gesehen hat. Damit
Vollprüfung durchzuführen und weist bspw. auf Muster oder          erhöht sich signifikant die Qualität der Berater-Leistung.

OrganisationsEntwicklung Nr. 2 |2020                                                                                             23
Gespräch | Qualitätszeit für erweiterte Beratung

Regierer: Man kann heute nicht mehr mit zwei dicken Ord-
nern unterm Arm zum Kunden laufen und die dann gemein-
                                                                                  Dr. Christoph Regierer
                                                                                  Partner und Sprecher des Vorstandes
sam durchgehen. Es gibt kollaborative Plattformen, zu denen                       der Mazars GmbH & Co. KG in Deutschland,
Kunde und Berater jeweils Zugang haben und über die sie sich                      Mitglied im Group Excecutive Board bei
                                                                                  Mazars.
austauschen. Das ist für beide Seiten eine Learning Journey
                                                                                  Kontakt:
auf Augenhöhe. Wir spielen Daten und unsere Ergebnisse ein,                       christoph.regierer@mazars.de
wir korrelieren und betrachten die Resultate im Kontext. Es
entsteht dann ab einem gewissen Punkt eine…

ZOE: …eine kognitive Matrix?

Regierer: Genau! Diese verdichtet sich iterativ zu einem ge-
meinsamen Problemverständnis sowie zu Lösungsrichtun-                             Oliver Theobald
gen. Wir wollen und werden dabei nicht nur die Leistung des                       Partner und Leiter Service Line Accoun-
Computers in den Mittelpunkt stellen. Zahlen sprechen, man                        ting und Outsourcing Solutions Mazars
                                                                                  GmbH & Co. KG
muss gemeinsam hinhören und hinschauen. Visuelle Software-
                                                                                  Kontakt:
Lösungen helfen dabei, Zusammenhänge herzuleiten, deren                           oliver.theobald@mazars.de
Evidenz man sich nicht entziehen kann. Aber man muss auch
die Geschichte dazu erzählen können. Wir möchten solche
Gespräche künftig häufiger führen.

ZOE: Rückblickend, was würden Sie heute anders machen?

Regierer: Ursprünglich habe ich gedacht, wenn etwas nicht
funktioniert, liegt es an den Leuten oder es gab im Design des
                                                                                  Prof. Dr. Dr.
Change einen Fehler. Tatsächlich haben wir häufig unsere An-                      Thomas Schildhauer
liegen nicht gut erklärt, wir konnten es vielleicht gar nicht.                    Professor Electronic Business UdK Berlin,
                                                                                  Kuratoriumsvorsitzender Institute of
Nicht nur für die Mitarbeiter, auch für uns waren die Brücken,                    Electronic Business e.V., Berater Digitale
um über die Untiefen zu kommen, nicht lang genug. Anders                          Innovation und Transformation
ausgedrückt, heute würde ich noch mehr beobachten, noch                           Kontakt:
geduldiger sein und noch mehr warten, bis von selbst etwas                        schildhauer@ieb.net

passiert.
                                                                 © Mike Henning

ZOE: Was würden Sie unseren Leser*innen empfehlen, die
selbst in ihren Organisationen über digitalen Wandel nach-
denken?                                                                           Prof. Dr.
Regierer: Der größte Denkfehler ist, diesen Wandel top down
                                                                                  Joachim Freimuth
                                                                                  Selbst. Berater, Trainer und Coach
zu führen und zu institutionalisieren, etwa in Form eines CIO
                                                                                  Kontakt:
und dann vielleicht noch als ersten Schritt technische Lösun-                     joachim.freimuth@t-online.de
gen einzukaufen. Wir glauben – und das ist unsere eigene Er-
fahrung –, dass dieser Wandel aus der Mitte der Organisation
kommen und aus sich heraus eine Bewegung entwickeln
muss, die sich schließlich selber trägt. Digitale Kommunika­
tion und Kollaboration haben als Katalysator dieses Wandels
den Vorteil, dass sie schnell, flexibel und zunehmend intelli-
gent ist.

ZOE: Danke vielmals für dieses Gespräch.

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