RUMÄNISCHE JUSTIZ VOR DEM EUGH - KONRAD-ADENAUER-STIFTUNG
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März 2021 Rechtsstaatsprogramm Südosteuropa (Bukarest) Rumänische Justiz vor dem EuGH Untersuchung der sog. „Justizgesetze“, der Rechtmäßigkeit des Koopera- tions- und Kontrollverfahrens (CVM) und von Fällen des rumänischen Verfassungsgerichts Hartmut Rank, Christoph Popa Rumänien befindet sich seit seinem Betritt zur Europäischen Union in einem Prozess der Entwicklung hin zur Harmonisierung mit den fundamentalen Grundsätzen und Prinzipien, für die die EU steht. Diese Entwicklung wird von der Europäischen Kommission seit dem Beitritt im Jahr 2007 durch das Kooperati- ons- und Kontrollverfahren (auch als „Verfahren für Zusammenarbeit und Überprüfung“ bezeichnet, VZÜ, engl. CVM) begleitet. Im Rahmen der ursprünglich als kurzfristig geplanten, mittlerweile knapp an- derthalb Jahrzehnte andauernden Monitoring berichtet die Europäische Kommission jährlich über die Fortschritte der Mitgliedsstaaten Bulgarien sowie Rumänien in Bezug auf deren rechtsstaatliche Ent- wicklung. Momentan sind gleich mehrere Fälle, die sich mit zentralen Aspekten des rumänischen Justizsystems befassen, vor dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) anhängig. Neben einer Bewertung der in Rumänien umstrittenen Justizreformen der Jahre 2017-2019 ist auch die Frage, inwieweit die CVM- Empfehlungen der EU-Kommission verbindlich sind, Gegenstand von in Kürze zu erwartenden Entschei- dungen. Schon die Analyse der beim im Luxemburg ansässigen Gerichtshof anhängigen Fälle sowie der Anträge des Generalanwalts lassen eine Reihe von Schlüssen zu. Frühere „CVM-Berichte“ zu Rumänien zeigten be- ob diese verbindlich sind. Zusätzlich beantragten achtenswerte Fortschritte in der Bekämpfung der rumänische Gerichte eine Klärung, inwieweit die Korruption und Förderung der Unabhängigkeit sog. „Justizgesetze“ gegen das Unionsrecht ver- des Justizsystems. 1 Infolge struktureller Ver- stoßen. Auch mehrere Entscheidungen des rumä- schlechterungen in den Jahren 2017-2019 in den nischen Verfassungsgerichts wurden zur Über- genannten Bereichen stagnierte die positive Ent- prüfung der Unionsrechtskonformität an den wicklung Rumäniens nicht nur, vielmehr wurden EuGH übersandt. die gelobten Fortschritte zunichte gemacht. 2 Anhängige Rechtssachen im Über- Der aus Sicht der Europäischen Kommission zu- blick letzt rückschrittliche Weg, auf dem sich Rumänien bis 2019 befunden hat, führte zu viel Kritik aus Aktuell sind mehrere Fälle und Fragen vor dem dem Ausland und Protesten in Rumänien selbst. Europäischen Gerichtshof (EuGH) anhängig, die Durch diese Entwicklung sahen sich rumänische einen Bezug zu Rumänien aufweisen. Konkret be- Gerichte verpflichtet, den Europäischen Gerichts- treffen einige dieser Fälle die umstrittene Justiz- hof in Luxemburg um Vorabentscheidungen in reform, die durch eine PSD-geführte Regierung mehreren Rechtsfragen zu ersuchen, um auf unter dem damaligen rumänischen Ministerpräsi- diese Weise dessen Auslegung des Unionsrechts denten Mihai Tudose am 23. August 2017 vorge- zu erfahren. Im Kern geht es dabei um die stellt wurde. Hierauf folgten nicht nur Proteste in Rechtsnatur der Entscheidungen und Berichte im Rumänien selbst, auch in Brüssel sah man dies Rahmen des CVM-Verfahrens, also um die Frage, kritisch. Neben den Demonstrationen in vielen
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. Länderbericht März 2021 2 Städten Rumäniens fanden auch berufsständi- zwischen der CVM-Entscheidung und dem CVM- sche Vereinigungen den Mut, Kritik zu üben. Ein- Bericht, kam aber in beiden Fällen zu einer Ver- zelne Richter setzten Verfahren aus und wählten bindlichkeit für Rumänien. den Weg des Vorabentscheidungsersuchens. Deutlich wird vor allem, dass die Vereinigung „Fo- Erstere begründet sich auf den Wortlaut des Art. rum der Richter Rumäniens“ einen erheblichen 288 Abs. 4 AEUV, wonach Beschlüsse grundsätz- Anteil an der Bewegung hin zur Überprüfung der lich bindend sind. Zudem würde eine fehlende nationalen Vorschriften hat. Die Vereinigung ist Verbindlichkeit der CVM-Entscheidungen faktisch an drei der fünf verbundenen Rechtssachen be- zu einer Aufgabe der Kernanforderungen des teiligt und zeigt sich in einem Interview ihres Vor- Beitritts zur Europäischen Union führen. 5 Hin- sitzenden Dragoș Călin positiv überrascht über sichtlich der VZÜ-Berichte befand der Generalan- den Mut und die Bereitschaft weiterer Richter walt, sie seien keine „Handlung“ im Sinne des Art. und Staatsanwälte, dieser Bewegung zu folgen 288 Abs. 4 AEUV, sondern stellten vielmehr ein und sie zu unterstützen. 3 Rechtsakt eigener Art dar. 6 Die Verbindlichkeit für den Mitgliedsstaat resultiert infolgedessen aus Im Kern der Rechtssachen steht die Frage, inwie- Art. 4 Abs. 3 EUV, dem sog. „effet utile“-Grund- weit die sog. „Justizgesetze“ und der daraus resul- satz. Hieraus leitet der Generalanwalt eine ver- tierende strukturelle Wandel mit dem Unions- stärkte Verpflichtung des Mitgliedsstaats, der sich recht vereinbar sind. Vor allem wird die Verein- in einem CVM-Verfahren befindet, zur „loyalen barkeit mit den rechtsstaatlichen Grundsätzen in Zusammenarbeit“ mit der Europäischen Kommis- Frage gestellt. Sollte der EuGH der Sichtweise der sion ab. Vor allem bezieht sich diese Verpflich- Antragsteller folgen und die fragliche Reform der tung darauf, dass die Kommissionsberichte im sog. „Justizgesetze“ als unionsrechtswidrig bewer- Rahmen nationaler Justizreformen und dem Er- ten, würde allein dies bereits einen Fortschritt für lass von Gesetzes- bzw. Verwaltungsmaßnahmen die rechtsstaatliche Entwicklung Rumäniens be- ausreichend berücksichtigt werden müssten. deuten. Somit wurden die vorab zu klärenden Fragen hin- Bewertung der Entscheidungen und sichtlich der Rechtsnatur der Handlungen und Berichte im Rahmen des CVM-Verfah- deren Verbindlichkeit im Rahmen des CVM-Ver- rens fahrens beantwortet: nun steht fest, dass das Unionsrecht Anwendung findet und die Fragen in Rumänische Gerichte ersuchten die Hilfe des die Zuständigkeit des EuGH fallen. EuGH hauptsächlich, um die Rechtsnatur der auf Grundlage des CVM-Verfahrens erlassenen Ent- Beurteilung der in Rede stehenden scheidungen und Berichte zu klären. Generalan- nationalen Bestimmungen walt Michal Bobek schlug in seinen veröffentlich- ten Schlussanträgen folgende Lösung vor: Der Er- Rumänien befand sich, laut den Berichten der Eu- lass solcher Entscheidungen und Berichte seien ropäischen Kommission, bis 2017 auf einem gu- Handlungen eines Organs der Europäischen ten Weg und hätte wohl durch die Erfüllung der Union. Laut Art. 267 Abs. 1 lit. b AEUV ist eine sol- Vorgaben und Empfehlungen der Europäischen che Handlung erforderlich, um eine Vorabent- Kommission das CVM-Verfahren bereits beenden scheidung durch den EuGH beantragen zu kön- können. Die dann folgende strukturelle Ver- nen. Der Generalanwalt bejahte diese Fragestel- schlechterung im Bereich der Unabhängigkeit der lung mit der Begründung, die Entscheidung ba- Justiz und der Korruptionsbekämpfung ließ die sierend auf dem CVM-Verfahren sei ein Beschluss Kommission umdenken. Die EU-Kommission sah im Sinne des Art. 288 Abs. 4 AEUV und sie sei auf in der damaligen rumänischen Justizreform in Grundlage der Art. 37 und 38 der Beitrittsakte er- dieser Form eine zunehmende Gefahr politischer lassen worden. 4 Untersucht wurde auch die Einflussnahme auf Entscheidungen der Judika- rechtliche Wirkung der CVM-Entscheidungen bzw. tive, obwohl der Mitgliedsstaat genau diese Ent- -Berichte und deren Verbindlichkeit für einen Mit- wicklung hätte verhindern sollen. gliedsstaat. Hier differenzierte der Generalanwalt
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. Länderbericht März 2021 3 Ziel der Europäischen Kommission war es, die Das Unionsrecht erfordert grundsätzlich die Ver- Unabhängigkeit der Justiz und die Korruptionsbe- meidung von Rechtsakten, durch die eine politi- kämpfung auf ein Niveau zu bringen, auf dem sche Einflussnahme bzw. politischer Druck auf eine Verschlechterung nahezu unmöglich ist und die Judikative entstehen könnte. Dies soll durch somit keiner Kontrolle durch die Europäische Art. 19 Abs. 1 EUV und Art. 47 Abs. 2 der Charta Union mehr bedarf. Zunächst sah es diesbezüg- der Grundrechte der Europäischen Union ge- lich auch gut aus, wie der CVM-Bericht vom Ja- währleistet werden. Aus Sicht des Generalanwalts nuar 2017 zeigt. Die negativen Auswirkungen vor stehen die genannten Vorschriften dem durch die allem mehrerer rumänischer Dringlichkeitsver- Dringlichkeitsverordnung Nr. 77/2018 geschaffe- ordnungen im Jahr 2017 waren enorm, so dass es nen System entgegen, da es die erforderlichen für die Europäischen Kommission unmöglich er- Garantien nicht gewährleisten kann. Dies wird schien, das CVM-Verfahren zu beenden. Konkret vor allem durch die Tatsache deutlich, dass die kritisiert wurden die vorläufige Ernennung eines Dringlichkeitsverordnung es der Regierung mög- Behördenleiters der Justizinspektion sowie die lich macht, ein bereits abgelaufenes Mandat zu Schaffung der eigenständigen Abteilung für die verlängern, ohne dass die nach der rumänischen Untersuchung von Straftaten in der Justiz. Verfassung hierfür zuständige Behörde ihr Er- messen in dieser Frage ausüben kann. Vorläufige Ernennung einer Interims- leitung für die Justizinspektion Hier wird auch deutlich, warum die Europäische Kommission die Justizgesetze in der damaligen Die Ernennung der Interimsleitung der Justizin- Form und vor allem die Wirkungen der Dringlich- spektion sorgte für kritische Stellungnahmen und keitsverordnungen derart kritisiert und als Rück- Bedenken hinsichtlich der Unabhängigkeit der ru- schritt in der Entwicklung Rumäniens sieht. Das mänischen Justiz. Zwar kann man das Argument vorherige System und in erster Linie die Zustän- der Justizinspektion teils verstehen, wonach das digkeit des Obersten Richterrats garantierten ein Mandat der früheren Leitung geendet habe, ohne Verfahren nach rechtsstaatlichen Grundsätzen. dass die hierfür zuständige Behörde ein neues Durch die Verordnung Nr. 77/2018 und die Mög- Auswahlverfahren eingeleitet habe und somit lichkeit der Einflussnahme auf die Ernennung der eine Verlängerung des früheren Mandats zwin- Leitungsposition laufen rechtsstaatliche Grunds- gend gewesen sei. Dennoch zeigen die Wirkun- ätze Gefahr, untergraben zu werden. Zudem ver- gen der Dringlichkeitsverordnung Nr. 77/2018 liert das Justizsystem dadurch ein Stück seiner eine konträre Entwicklung zu den eigentlich ge- Unabhängigkeit und unterliegt steigender politi- wünschten Fortschritten in Richtung einer unab- scher Einflussnahme. hängigen Justiz. Laut der rumänischen Verfas- sung ist für die Ernennung der Leitung der Justi- Abteilung für die Untersuchung von zinspektion der Oberste Richterrat („Oberster Straftaten in der Justiz Magistraturrat“) zuständig. Die Behörde wird als Garant der richterlichen Unabhängigkeit angese- Die Mehrheit der aktuell von rumänischen Ge- hen, wurde aber durch die Dringlichkeitsverord- richten dem EuGH vorgelegten Rechtsfragen be- nung Nr. 77/2018 vielmehr in ihren verfassungs- treffen die 2018 neu gegründete Abteilung für die mäßigen Rechten beschränkt. Faktisch wurde Untersuchung von Straftaten in der Justiz (rum.: dem Obersten Richterrat die Möglichkeit der Er- SIIJ), eine neue Sonderabteilung innerhalb der messensausübung genommen und eine automa- Staatsanwaltschaft. Die Schaffung dieser Abtei- tische Verlängerung des Mandats, durch ein an- lung im Jahr 2018 wurde von Anfang an von star- deres, als das gesetzlich vorgeschriebene Verfah- ker Kritik begleitet, da eine zunehmende politi- ren, ermöglicht. Diese Einschränkung der verfas- sche Einflussnahme auf die Arbeit der Richter sungsmäßigen Rechte des Obersten Richterrats und Staatsanwälte befürchtet wurde. durch eine Dringlichkeitsverordnung verletzt nicht nur die rumänische Verfassung, sondern In diesem Fall erwähnte die Venedig-Kommission verstößt gleichzeitig auch gegen das Unionsrecht. auch die Auswirkungen auf die öffentliche Wahr- nehmung: Die Schaffung einer neuen Institution
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. Länderbericht März 2021 4 erwecke den Eindruck, das Justizsystem sei um- stehende die Möglichkeit, die Zuständigkeiten in- fänglich von Kriminalität und Korruption betrof- nerhalb der Justiz zu beeinflussen. Einer Einfluss- fen, da es sonst einer Spezialabteilung innerhalb nahme von außen ist dadurch Tür und Tor geöff- der Staatsanwaltschaft nicht bedurft hätte. Dass net. hierdurch aber die Vergehen von Richtern jegli- cher Art auf dieselbe Stufe gehoben werden, wie Die Errichtung einer solchen Sonderabteilung in- Korruption, organisierte Kriminalität und Terro- nerhalb der Staatsanwaltschaft begegnet zu- rismus, erscheint im Kontext unverhältnismäßig. nächst wohl keine Bedenken, da womöglich die Hemmschwelle eines strafrechtlichen Verhaltens Dennoch ist die in Rede stehende Sonderabtei- von Richtern und Staatsanwälten hierdurch deut- lung der Staatsanwaltschaft mit einem rechtferti- lich angehoben wird. Jedoch entdeckt man in der genden Schleier ummantelt. Selbstverständlich Umsetzung eher andere Ziele. Die Sonderabtei- lässt sich sagen, eine unabhängige Sonderabtei- lung ist nach den bisherigen Vorschriften nicht lung für Vergehen von Richtern und Staatsanwäl- nur ein „allmächtiger Überbau“, der das Verhal- ten führe zu einem Rückgang von Korruption in- ten der Richter und Staatsanwälte kontrollieren nerhalb des Justizsystems. Zudem führen die ho- soll, sondern bringt eine faktisch fiktive Immuni- hen Anforderungen einer Tätigkeit in dieser Ab- tät derjenigen Staatsanwälte hervor, die in dieser teilung möglicherweise ebenso zu mehr Rechtssi- Sonderabteilung arbeiten. Dieser „Teufelskreis cherheit und Unabhängigkeit. Es erfordert näm- der Zuständigkeiten“ lässt den Schluss zu, dass lich eine 18-jährige Erfahrung als Staatsanwalt die Errichtung dieser Abteilung nicht primär zur und die Bewältigung eines transparenten Verfah- Bekämpfung der Korruption motiviert war, son- rens, um überhaupt in die Abteilung aufgenom- dern tendenziell eher zur politischen Einfluss- men werden zu können. nahme auf Entscheidungen, die seitens der Judi- kative zu treffen sind. Nichtsdestotrotz erscheint es fraglich, ob die Aufschlussreich ist die Tatsache, dass die Son- Schaffung einer Sonderabteilung tatsächlich ge- derabteilung unmittelbar nach ihrer Errichtung rechtfertigt war. Seit der Errichtung der Son- zunächst Ermittlungen gegen solche Richter und derabteilung wird deutlich, dass es an einer voll- Staatsanwälte eingeleitet bzw. wiederaufgenom- ständigen Funktionsfähigkeit der Abteilung man- men hat, die öffentlich gegen den strukturellen gelt. Vor allem wird dies durch das Verhältnis der Wandel argumentiert hatten. Zusätzlich wurden steigenden Anzahl der Fälle im Gegensatz zu der Staatsanwälte ins Visier genommen, die zum Zeit- sehr beschränkten Anzahl von Staatsanwälten, punkt des Erlasses der Vorschriften über die Son- die diese Fälle zu bearbeiten haben, deutlich. Zu- derabteilung Mitglieder der Regierung strafrecht- dem fehlt es an einer angemessenen territorialen lich verfolgt haben. Struktur, da die Sonderabteilung, im Gegensatz zu anderen Abteilungen der Staatsanwaltschaft, Schlussendlich ergibt sich aus diesen objektiven ihren Sitz lediglich in Bukarest hat und nicht in Aspekten stets der Eindruck, als würde die Abtei- ganz Rumänien vertreten ist. Gegen eine „echte“ lung gezielt gegen die Menschen ermitteln, die Rechtfertigung (und damit im Ergebnis eher für gegen die Interessen der Initiatoren agierten. eine Schwächung der Korruptionsbekämpfung) Eine solche Entwicklung widerspricht nach unse- spricht die Tatsache, dass die Sonderabteilung rer Auffassung rechtsstaatlichen Grundsätzen, eine ausschließliche Zuständigkeit für Fälle be- vor allem deshalb, da dies den Druck auf weitere treffend Richter und Staatsanwälte besitzt. Die Richter und Staatsanwälte, die andere Meinun- Zuständigkeit behält die Abteilung selbst dann, gen vertreten, erhöht. Von einer unabhängigen, wenn für die gleiche Tat zusätzlich eine andere integren Justiz kann auf Grund dieser Entwicklun- (nicht der Justiz angehörige) Person strafrechtlich gen nicht mehr gesprochen werden. verfolgt wird. Infolge dieser Regelungen ermögli- chen fiktive Beschwerden gegen Richter bzw. Als weiterer Aspekt muss bedacht werden, dass Staatsanwälte es, gezielt in die Zuständigkeit der jeder das Recht auf ein faires Verfahren innerhalb Sonderabteilung zu fallen. Somit haben Außen- einer angemessenen Frist hat. Rechtsstaatliche Grundsätze sind nicht mehr gewahrt, wenn die
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. Länderbericht März 2021 5 angemessene Frist nicht eingehalten werden Bitte um Überprüfung, ob die Grundsätze der kann. richterlichen Unabhängigkeit und Rechtsstaatlich- keit sowie der Schutz der finanziellen Interessen Vor allem ist auch die Rechtsprechung des Euro- der EU gewahrt seien. päischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 6 Abs. 1 EMRK zu berücksichtigen. Beteiligung von Inlandsnachrichtendienste an Der nicht klar umgrenzte Begriff der Angemes- Überwachungsmaßnahmen senheit ist zwar stets unter den besonderen Um- ständen des Einzelfalls zu bewerten, jedoch müs- In der Entscheidung 51/2016 erklärte das Verfas- sen auch objektive Aspekte herangezogen wer- sungsgericht die Beteiligung von Inlandsnachrich- den. Ein solcher Aspekt würde aus objektiven Ge- tendiensten an der Durchführung technischer sichtspunkten schon dann gegen rechtsstaatliche Überwachungsmaßnahmen zum Zweck der straf- Grundsätze sprechen, soweit er faktisch der Mög- rechtlichen Ermittlungshandlungen für verfas- lichkeit der Einhaltung der angemessenen Frist sungswidrig. Der EU Generalanwalt schlug dem entgegensteht. Der EGMR spricht hier von der EuGH vor, zu entscheiden, dass das EU-Recht der Verpflichtung der Staaten, sich in einer Weise zu Entscheidung des nationalen Gerichts nicht ent- organisieren, in der die Justiz den Anforderungen gegenstehe, da das Unionsrecht nicht die Voraus- des Art. 6 Abs. 1 EMRK entsprechen kann. 7 setzungen und Anforderungen solcher Maßnah- men normiere, sondern lediglich die Wahrung Durch die Errichtung der Sonderabteilung hat Ru- der unionsrechtlichen Grundsätze fordere. Einen mänien gegen dieses Prinzip verstoßen und so- Einfluss solcher verfassungsgerichtlichen Ent- mit eine Maßnahme umgesetzt, die rechtsstaatli- scheidungen auf laufende bzw. künftige Korrupti- chen Grundsätzen widerspricht. Die Anzahl der onsverfahren betrachtet der Generalanwalt als innerhalb der Sonderabteilung beschäftigten eine logische Konsequenz, die eben nicht gegen Staatsanwälte ist derart gering, dass es unmög- die Entscheidung des Verfassungsgerichts spre- lich erscheint, die Verfahren in angemessener che. Zeit zu bearbeiten. Dies wird zwangsläufig zu ei- ner unangemessenen Dauer der Strafverfahren Unzulässige Zusammensetzung von Spruch- führen. Seitens des Mitgliedsstaates ist demnach körpern wohl festzustellen, dass eine fehlerhafte Organi- sation der Sonderabteilung zu einem Verstoß ge- Auch die Entscheidung über die unzulässige Zu- gen Art. 6 Abs. 1 EMRK geführt hat. sammensetzung des ICCJ (685/2018) erachtet der Generalanwalt als unionsrechtskonform. Die Überprüfung mehrerer Entscheidun- Frage der Zusammensetzung liege in der Zustän- gen des Rumänischen Verfassungsge- digkeit des Mitgliedsstaates. Zudem sieht Bobek richts 8 auch die finanziellen Interessen der Union durch die Entscheidung des Verfassungsgerichts als Neben den dargestellten Fällen zu den rumäni- nicht beeinträchtigt an, schließlich resultieren aus schen Justizreformen sind auch drei weitere Fälle dieser Entscheidung keine neuen Rechtsbehelfe. aus den Jahren 2016, 2018 und 2019 in Luxem- Ebenfalls würden keine Maßnahmen der Korrup- burg anhängig. Diese betreffen Entscheidungen tionsbekämpfung untergraben, weswegen auch des rumänischen Verfassungsgerichts (Entschei- daraus keine Unionswidrigkeit resultieren könne. dung 51/2016, 685/2018 und 417/2019) und zie- Aus Sicht des Generalanwaltes seien keine geeig- len allesamt auf die Überprüfung der Vereinbar- neten Gründe ersichtlich, die gegen eine Unab- keit mit dem Unionsrecht ab. Konkret entschied hängigkeit bzw. Unparteilichkeit des Verfassungs- das rumänische Verfassungsgericht die Frage, ob gerichts sprächen. die Zusammensetzung einiger Spruchkörper des Obersten Kassations- und Justizgerichtshofs (În- Fachgremien zur Korruptionsbekämpfung alta Curte de Casaţie şi Justiție „ICCJ“) unzulässig waren. Zur Vorabentscheidung ersuchten der Die Entscheidung des rumänischen Verfassungs- ICCJ und das Tribunal in Bihor den EuGH mit der gerichts in der Sache 417/2019 bezog sich auf die
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. Länderbericht März 2021 6 Verpflichtung des Obersten Kassationsgerichts- Partei Union zur Rettung Rumäniens, USR) einen hofs zur Einrichtung von Fachgremien zur erstin- entsprechenden Gesetzesentwurf an die Regie- stanzlichen Auseinandersetzung mit Korruptions- rung übersandt. 2020 konnte diese Reform nicht delikten. Laut dem Verfassungsgericht ist der umgesetzt werden, da die PNL-geführten Minder- Oberste Kassationsgerichtshof dieser Verpflich- heitsregierungen sich situativ Mehrheiten suchen tung nicht nachgekommen. Nach Ansicht des Ge- mussten und nach Ausbruch der Pandemie an- neralanwalts sollte der EuGH in der Weise ent- dere Fragen dringender waren. scheiden, dass dieser Beschluss des rumänischen Verfassungsgerichts tatsächlich gegen das EU- Der Gesetzesentwurf des Justizministers zielt auf Recht verstoße, konkret gegen Art. 325 Abs. 1 die Abschaffung der Abteilung für Sonderermitt- AEUV. Er erklärt die Entscheidung des Verfas- lungen innerhalb der Justiz. Der Justizminister be- sungsgerichts insofern als unionsrechtswidrig, gründet diesen Schritt mit dem Wunsch, zur Nor- dass die Zusammensetzung der Spruchkörper malität zurückzufinden. Zudem bezeichnet er die nur aufgrund der fehlenden Spezialisierung auf Sonderabteilung als ein ineffizientes Organ, das Korruptionsfälle für rechtswidrig erklärt werden sein Ziel, Richter, die das Gesetz verletzen zur Re- würde. Dies hätte zur Folge, dass zahlreiche erst- chenschaft zu ziehen, vollständig verfehlt hat. Au- instanzliche Korruptionsfälle zwischen April 2003 ßerdem hatte die Sonderabteilung lediglich zwei und Januar 2019 erneut überprüft und verhan- Fälle pro Jahr vor Gericht gebracht hat. Hierüber delt werden müssten. Bedenken entstehen im zeigt sich der Justizminister sehr verwundert. 10 Hinblick auf die praktischen Folgen des Beschlus- ses: Nach Auffassung des Generalanwalts würde Dennoch bleibt abzuwarten, inwieweit die aktu- die nachträgliche Straffreiheit in einer hohen Zahl elle Regierung die Anforderungen der EU umset- von Fällen einen Nachteil der finanziellen Interes- zen wird und ob die negativen Auswirkungen der sen der EU darstellen. Daher wertet er die rumä- strukturellen Veränderungen in Rumänien nicht nische Entscheidung als unionsrechtswidrig, die noch versteckte Baustellen aufgeworfen hat. die Verpflichtung des Mitgliedsstaates zur Wah- Schließlich sank nicht nur das Vertrauen der Eu- rung der finanziellen Interessen der EU, die aus ropäischen Kommission in die Standfestigkeit der Art. 325 Abs. 1 AEUV resultiert, verletze. rechtsstaatlichen Entwicklung Rumäniens, son- dern zusätzlich auch das Vertrauen der Bevölke- rung in die Regierung und der Fortschritte im Ausblick Kampf gegen die Korruption auf höchster Ebene. Es wird mehr als nur eines Gesetzes bedürfen, Die abschließenden Entscheidungen des EuGH in das Vertrauen der rumänischen Bevölkerung in diesen Rechtssachen stehen noch aus. die Justiz wiederherzustellen. Nach den rumänischen Parlamentswahlen Ende 2020 ist in Rumänien erneut Bewegung in Rich- tung EU-konformer Justizreformen gekommen. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund des Streits um die Einhaltung von Rechtsstaatsprinzipien in wei- teren EU-Mitgliedsstaaten wird dieser Schritt nicht nur der Europäischen Kommission gefallen. Letztlich wird er auch Rumänien nützen, da damit das angestrebte Ende des schon seit 2007 gelten- den CVM-Mechanismus in Sichtweite rückt. Für dieses Ziel wurde ein optimistischer und enga- gierter Zeitplan erstellt, aus dem sich ergibt, dass bereits Ende April 2021 die Gesetzesentwürfe vorgelegt werden sollen. 9 Konkrete Schritte sind bereits eingeleitet. Mitte Februar 2021 hat der ru- mänische Justizminister Stelian Ion (Mitglied der
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. Länderbericht März 2021 7 Hierbei können die Entscheidungen des EuGH be- reits den ersten Schritt ebnen. Aufgrund des Grundsatzes des Anwendungsvorrangs des EU- Rechts müssen supranationale vor nationalen Vorschriften und Regelungen angewendet wer- den. Im konkreten Fall würde die Kollision uni- onsrechtlicher Grundsätze mit nationalen Rege- lungen bedeuten, dass die EU-Vorschriften vor- rangig anzuwenden sind. Sollte sich Rumänien an diesen Entscheidungen orientieren und diese als Gradmesser heranziehen, dürfte es bereits in nä- herer Zukunft Gesetzesänderungen geben, die den Vorgaben der EU entsprechen und das Land weiter in Richtung eines voll funktionierenden Rechtsstaats bewegen. Es bleibt abzuwarten, wie der EuGH die hier dar- gestellten Fälle beurteilt. Unabhängig davon ist es zu begrüßen, dass das Parlament nun Reformen des rumänischen Justizsystems wieder ernsthaft in Angriff genommen hat.
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. Länderbericht März 2021 8 1 https://ec.europa.eu/info/files/progress-report-romania-2019-com-2019- 393_d e. 2 https://ec.europa.eu/info/files/progress-report-romania-2018-com-2018- 851_en. 3 http://www.forumuljudecatorilor.ro/index.php/archives/4233 (auf Rumänisch). 4 http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=231501&pageInd ex=0&do- clang=DE&mode=req&dir=&occ=fi rst&part=1, Rn. 125. 5 http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=231501&pageInd ex=0&do- clang=DE&mode=req&dir=&occ=fi rst&part=1, Rn. 153: Michal Bobek macht dies deutlich, in dem er es als einen Freibrief für die Aufgabe der Erfüllung der Kernanforderungen bezeichnet. 6 http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=231501&pageInd ex=0&do- clang=DE&mode=req&dir=&occ=fi rst&part=1, Rn. 159. 7 http://hudoc.echr.coe.int/fre?i=001-57765, Rn. 24. 8 Press Release No. 33/21, Court of Justice of the European Union, Luxembourg March 4, 2021. 9 https://intellinews.com/romania-government-to-pursue-ambitious-timetable-for-justice- reforms-200994/?source=ro mania&fbclid=IwAR 3mGoO6R zPYsXFnut reVekZUkjjqT- KEAvz45rDbjH08aHpP8_EiSCGvlkQ. 10 https://www.nineoclock.ro/2021/02/12/justice-minister-sends-govt-bill-proposal-for-dis- mantling-siij/?fbclid=IwAR0XFzoU939A-15jdNbHgoo0xTGkwM7iDb4GLr2J6uk_AQIAkwA- MiSE9Q60 Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. Hartmut Rank Leiter Rechtsstaatsprogramm Südosteuropa Hauptabteilung Europäische und Internationale Zusammenarbeit www.kas.de hartmut.rank@kas.de Der Text dieses Werkes ist lizenziert unter den Bedingungen von „Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international”, CC BY-SA 4.0 (abrufbar unter: https://creativecom mons.org/licenses/ by-sa/4.0/legalcode.de) www.kas.de
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