RUMÄNISCHE JUSTIZ VOR DEM EUGH - KONRAD-ADENAUER-STIFTUNG

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RUMÄNISCHE JUSTIZ VOR DEM EUGH - KONRAD-ADENAUER-STIFTUNG
März 2021

Rechtsstaatsprogramm Südosteuropa (Bukarest)

 Rumänische Justiz vor dem EuGH

Untersuchung der sog. „Justizgesetze“, der Rechtmäßigkeit des Koopera-
tions- und Kontrollverfahrens (CVM) und von Fällen des rumänischen
Verfassungsgerichts

Hartmut Rank, Christoph Popa

Rumänien befindet sich seit seinem Betritt zur Europäischen Union in einem Prozess der Entwicklung
hin zur Harmonisierung mit den fundamentalen Grundsätzen und Prinzipien, für die die EU steht. Diese
Entwicklung wird von der Europäischen Kommission seit dem Beitritt im Jahr 2007 durch das Kooperati-
ons- und Kontrollverfahren (auch als „Verfahren für Zusammenarbeit und Überprüfung“ bezeichnet,
VZÜ, engl. CVM) begleitet. Im Rahmen der ursprünglich als kurzfristig geplanten, mittlerweile knapp an-
derthalb Jahrzehnte andauernden Monitoring berichtet die Europäische Kommission jährlich über die
Fortschritte der Mitgliedsstaaten Bulgarien sowie Rumänien in Bezug auf deren rechtsstaatliche Ent-
wicklung.
Momentan sind gleich mehrere Fälle, die sich mit zentralen Aspekten des rumänischen Justizsystems
befassen, vor dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) anhängig. Neben einer Bewertung der
in Rumänien umstrittenen Justizreformen der Jahre 2017-2019 ist auch die Frage, inwieweit die CVM-
Empfehlungen der EU-Kommission verbindlich sind, Gegenstand von in Kürze zu erwartenden Entschei-
dungen. Schon die Analyse der beim im Luxemburg ansässigen Gerichtshof anhängigen Fälle sowie der
Anträge des Generalanwalts lassen eine Reihe von Schlüssen zu.

Frühere „CVM-Berichte“ zu Rumänien zeigten be-       ob diese verbindlich sind. Zusätzlich beantragten
achtenswerte Fortschritte in der Bekämpfung der      rumänische Gerichte eine Klärung, inwieweit die
Korruption und Förderung der Unabhängigkeit          sog. „Justizgesetze“ gegen das Unionsrecht ver-
des Justizsystems. 1 Infolge struktureller Ver-      stoßen. Auch mehrere Entscheidungen des rumä-
schlechterungen in den Jahren 2017-2019 in den       nischen Verfassungsgerichts wurden zur Über-
genannten Bereichen stagnierte die positive Ent-     prüfung der Unionsrechtskonformität an den
wicklung Rumäniens nicht nur, vielmehr wurden        EuGH übersandt.
die gelobten Fortschritte zunichte gemacht. 2
                                                     Anhängige Rechtssachen im Über-
Der aus Sicht der Europäischen Kommission zu-        blick
letzt rückschrittliche Weg, auf dem sich Rumänien
bis 2019 befunden hat, führte zu viel Kritik aus     Aktuell sind mehrere Fälle und Fragen vor dem
dem Ausland und Protesten in Rumänien selbst.        Europäischen Gerichtshof (EuGH) anhängig, die
Durch diese Entwicklung sahen sich rumänische        einen Bezug zu Rumänien aufweisen. Konkret be-
Gerichte verpflichtet, den Europäischen Gerichts-    treffen einige dieser Fälle die umstrittene Justiz-
hof in Luxemburg um Vorabentscheidungen in           reform, die durch eine PSD-geführte Regierung
mehreren Rechtsfragen zu ersuchen, um auf            unter dem damaligen rumänischen Ministerpräsi-
diese Weise dessen Auslegung des Unionsrechts        denten Mihai Tudose am 23. August 2017 vorge-
zu erfahren. Im Kern geht es dabei um die            stellt wurde. Hierauf folgten nicht nur Proteste in
Rechtsnatur der Entscheidungen und Berichte im       Rumänien selbst, auch in Brüssel sah man dies
Rahmen des CVM-Verfahrens, also um die Frage,        kritisch. Neben den Demonstrationen in vielen
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V.
Länderbericht                                                                                    März 2021     2

Städten Rumäniens fanden auch berufsständi-             zwischen der CVM-Entscheidung und dem CVM-
sche Vereinigungen den Mut, Kritik zu üben. Ein-        Bericht, kam aber in beiden Fällen zu einer Ver-
zelne Richter setzten Verfahren aus und wählten         bindlichkeit für Rumänien.
den Weg des Vorabentscheidungsersuchens.
Deutlich wird vor allem, dass die Vereinigung „Fo-      Erstere begründet sich auf den Wortlaut des Art.
rum der Richter Rumäniens“ einen erheblichen            288 Abs. 4 AEUV, wonach Beschlüsse grundsätz-
Anteil an der Bewegung hin zur Überprüfung der          lich bindend sind. Zudem würde eine fehlende
nationalen Vorschriften hat. Die Vereinigung ist        Verbindlichkeit der CVM-Entscheidungen faktisch
an drei der fünf verbundenen Rechtssachen be-           zu einer Aufgabe der Kernanforderungen des
teiligt und zeigt sich in einem Interview ihres Vor-    Beitritts zur Europäischen Union führen. 5 Hin-
sitzenden Dragoș Călin positiv überrascht über          sichtlich der VZÜ-Berichte befand der Generalan-
den Mut und die Bereitschaft weiterer Richter           walt, sie seien keine „Handlung“ im Sinne des Art.
und Staatsanwälte, dieser Bewegung zu folgen            288 Abs. 4 AEUV, sondern stellten vielmehr ein
und sie zu unterstützen. 3                              Rechtsakt eigener Art dar. 6 Die Verbindlichkeit für
                                                        den Mitgliedsstaat resultiert infolgedessen aus
Im Kern der Rechtssachen steht die Frage, inwie-        Art. 4 Abs. 3 EUV, dem sog. „effet utile“-Grund-
weit die sog. „Justizgesetze“ und der daraus resul-     satz. Hieraus leitet der Generalanwalt eine ver-
tierende strukturelle Wandel mit dem Unions-            stärkte Verpflichtung des Mitgliedsstaats, der sich
recht vereinbar sind. Vor allem wird die Verein-        in einem CVM-Verfahren befindet, zur „loyalen
barkeit mit den rechtsstaatlichen Grundsätzen in        Zusammenarbeit“ mit der Europäischen Kommis-
Frage gestellt. Sollte der EuGH der Sichtweise der      sion ab. Vor allem bezieht sich diese Verpflich-
Antragsteller folgen und die fragliche Reform der       tung darauf, dass die Kommissionsberichte im
sog. „Justizgesetze“ als unionsrechtswidrig bewer-      Rahmen nationaler Justizreformen und dem Er-
ten, würde allein dies bereits einen Fortschritt für    lass von Gesetzes- bzw. Verwaltungsmaßnahmen
die rechtsstaatliche Entwicklung Rumäniens be-          ausreichend berücksichtigt werden müssten.
deuten.
                                                        Somit wurden die vorab zu klärenden Fragen hin-
Bewertung der Entscheidungen und                        sichtlich der Rechtsnatur der Handlungen und
Berichte im Rahmen des CVM-Verfah-                      deren Verbindlichkeit im Rahmen des CVM-Ver-
rens                                                    fahrens beantwortet: nun steht fest, dass das
                                                        Unionsrecht Anwendung findet und die Fragen in
Rumänische Gerichte ersuchten die Hilfe des             die Zuständigkeit des EuGH fallen.
EuGH hauptsächlich, um die Rechtsnatur der auf
Grundlage des CVM-Verfahrens erlassenen Ent-            Beurteilung der in Rede stehenden
scheidungen und Berichte zu klären. Generalan-          nationalen Bestimmungen
walt Michal Bobek schlug in seinen veröffentlich-
ten Schlussanträgen folgende Lösung vor: Der Er-        Rumänien befand sich, laut den Berichten der Eu-
lass solcher Entscheidungen und Berichte seien          ropäischen Kommission, bis 2017 auf einem gu-
Handlungen eines Organs der Europäischen                ten Weg und hätte wohl durch die Erfüllung der
Union. Laut Art. 267 Abs. 1 lit. b AEUV ist eine sol-   Vorgaben und Empfehlungen der Europäischen
che Handlung erforderlich, um eine Vorabent-            Kommission das CVM-Verfahren bereits beenden
scheidung durch den EuGH beantragen zu kön-             können. Die dann folgende strukturelle Ver-
nen. Der Generalanwalt bejahte diese Fragestel-         schlechterung im Bereich der Unabhängigkeit der
lung mit der Begründung, die Entscheidung ba-           Justiz und der Korruptionsbekämpfung ließ die
sierend auf dem CVM-Verfahren sei ein Beschluss         Kommission umdenken. Die EU-Kommission sah
im Sinne des Art. 288 Abs. 4 AEUV und sie sei auf       in der damaligen rumänischen Justizreform in
Grundlage der Art. 37 und 38 der Beitrittsakte er-      dieser Form eine zunehmende Gefahr politischer
lassen worden. 4 Untersucht wurde auch die              Einflussnahme auf Entscheidungen der Judika-
rechtliche Wirkung der CVM-Entscheidungen bzw.          tive, obwohl der Mitgliedsstaat genau diese Ent-
-Berichte und deren Verbindlichkeit für einen Mit-      wicklung hätte verhindern sollen.
gliedsstaat. Hier differenzierte der Generalanwalt
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V.
Länderbericht                                                                               März 2021   3

Ziel der Europäischen Kommission war es, die        Das Unionsrecht erfordert grundsätzlich die Ver-
Unabhängigkeit der Justiz und die Korruptionsbe-    meidung von Rechtsakten, durch die eine politi-
kämpfung auf ein Niveau zu bringen, auf dem         sche Einflussnahme bzw. politischer Druck auf
eine Verschlechterung nahezu unmöglich ist und      die Judikative entstehen könnte. Dies soll durch
somit keiner Kontrolle durch die Europäische        Art. 19 Abs. 1 EUV und Art. 47 Abs. 2 der Charta
Union mehr bedarf. Zunächst sah es diesbezüg-       der Grundrechte der Europäischen Union ge-
lich auch gut aus, wie der CVM-Bericht vom Ja-      währleistet werden. Aus Sicht des Generalanwalts
nuar 2017 zeigt. Die negativen Auswirkungen vor     stehen die genannten Vorschriften dem durch die
allem mehrerer rumänischer Dringlichkeitsver-       Dringlichkeitsverordnung Nr. 77/2018 geschaffe-
ordnungen im Jahr 2017 waren enorm, so dass es      nen System entgegen, da es die erforderlichen
für die Europäischen Kommission unmöglich er-       Garantien nicht gewährleisten kann. Dies wird
schien, das CVM-Verfahren zu beenden. Konkret       vor allem durch die Tatsache deutlich, dass die
kritisiert wurden die vorläufige Ernennung eines    Dringlichkeitsverordnung es der Regierung mög-
Behördenleiters der Justizinspektion sowie die      lich macht, ein bereits abgelaufenes Mandat zu
Schaffung der eigenständigen Abteilung für die      verlängern, ohne dass die nach der rumänischen
Untersuchung von Straftaten in der Justiz.          Verfassung hierfür zuständige Behörde ihr Er-
                                                    messen in dieser Frage ausüben kann.
Vorläufige Ernennung einer Interims-
leitung für die Justizinspektion                    Hier wird auch deutlich, warum die Europäische
                                                    Kommission die Justizgesetze in der damaligen
Die Ernennung der Interimsleitung der Justizin-     Form und vor allem die Wirkungen der Dringlich-
spektion sorgte für kritische Stellungnahmen und    keitsverordnungen derart kritisiert und als Rück-
Bedenken hinsichtlich der Unabhängigkeit der ru-    schritt in der Entwicklung Rumäniens sieht. Das
mänischen Justiz. Zwar kann man das Argument        vorherige System und in erster Linie die Zustän-
der Justizinspektion teils verstehen, wonach das    digkeit des Obersten Richterrats garantierten ein
Mandat der früheren Leitung geendet habe, ohne      Verfahren nach rechtsstaatlichen Grundsätzen.
dass die hierfür zuständige Behörde ein neues       Durch die Verordnung Nr. 77/2018 und die Mög-
Auswahlverfahren eingeleitet habe und somit         lichkeit der Einflussnahme auf die Ernennung der
eine Verlängerung des früheren Mandats zwin-        Leitungsposition laufen rechtsstaatliche Grunds-
gend gewesen sei. Dennoch zeigen die Wirkun-        ätze Gefahr, untergraben zu werden. Zudem ver-
gen der Dringlichkeitsverordnung Nr. 77/2018        liert das Justizsystem dadurch ein Stück seiner
eine konträre Entwicklung zu den eigentlich ge-     Unabhängigkeit und unterliegt steigender politi-
wünschten Fortschritten in Richtung einer unab-     scher Einflussnahme.
hängigen Justiz. Laut der rumänischen Verfas-
sung ist für die Ernennung der Leitung der Justi-   Abteilung für die Untersuchung von
zinspektion der Oberste Richterrat („Oberster       Straftaten in der Justiz
Magistraturrat“) zuständig. Die Behörde wird als
Garant der richterlichen Unabhängigkeit angese-     Die Mehrheit der aktuell von rumänischen Ge-
hen, wurde aber durch die Dringlichkeitsverord-     richten dem EuGH vorgelegten Rechtsfragen be-
nung Nr. 77/2018 vielmehr in ihren verfassungs-     treffen die 2018 neu gegründete Abteilung für die
mäßigen Rechten beschränkt. Faktisch wurde          Untersuchung von Straftaten in der Justiz (rum.:
dem Obersten Richterrat die Möglichkeit der Er-     SIIJ), eine neue Sonderabteilung innerhalb der
messensausübung genommen und eine automa-           Staatsanwaltschaft. Die Schaffung dieser Abtei-
tische Verlängerung des Mandats, durch ein an-      lung im Jahr 2018 wurde von Anfang an von star-
deres, als das gesetzlich vorgeschriebene Verfah-   ker Kritik begleitet, da eine zunehmende politi-
ren, ermöglicht. Diese Einschränkung der verfas-    sche Einflussnahme auf die Arbeit der Richter
sungsmäßigen Rechte des Obersten Richterrats        und Staatsanwälte befürchtet wurde.
durch eine Dringlichkeitsverordnung verletzt
nicht nur die rumänische Verfassung, sondern        In diesem Fall erwähnte die Venedig-Kommission
verstößt gleichzeitig auch gegen das Unionsrecht.   auch die Auswirkungen auf die öffentliche Wahr-
                                                    nehmung: Die Schaffung einer neuen Institution
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V.
Länderbericht                                                                                  März 2021    4

erwecke den Eindruck, das Justizsystem sei um-        stehende die Möglichkeit, die Zuständigkeiten in-
fänglich von Kriminalität und Korruption betrof-      nerhalb der Justiz zu beeinflussen. Einer Einfluss-
fen, da es sonst einer Spezialabteilung innerhalb     nahme von außen ist dadurch Tür und Tor geöff-
der Staatsanwaltschaft nicht bedurft hätte. Dass      net.
hierdurch aber die Vergehen von Richtern jegli-
cher Art auf dieselbe Stufe gehoben werden, wie       Die Errichtung einer solchen Sonderabteilung in-
Korruption, organisierte Kriminalität und Terro-      nerhalb der Staatsanwaltschaft begegnet zu-
rismus, erscheint im Kontext unverhältnismäßig.       nächst wohl keine Bedenken, da womöglich die
                                                      Hemmschwelle eines strafrechtlichen Verhaltens
Dennoch ist die in Rede stehende Sonderabtei-         von Richtern und Staatsanwälten hierdurch deut-
lung der Staatsanwaltschaft mit einem rechtferti-     lich angehoben wird. Jedoch entdeckt man in der
genden Schleier ummantelt. Selbstverständlich         Umsetzung eher andere Ziele. Die Sonderabtei-
lässt sich sagen, eine unabhängige Sonderabtei-       lung ist nach den bisherigen Vorschriften nicht
lung für Vergehen von Richtern und Staatsanwäl-       nur ein „allmächtiger Überbau“, der das Verhal-
ten führe zu einem Rückgang von Korruption in-        ten der Richter und Staatsanwälte kontrollieren
nerhalb des Justizsystems. Zudem führen die ho-       soll, sondern bringt eine faktisch fiktive Immuni-
hen Anforderungen einer Tätigkeit in dieser Ab-       tät derjenigen Staatsanwälte hervor, die in dieser
teilung möglicherweise ebenso zu mehr Rechtssi-       Sonderabteilung arbeiten. Dieser „Teufelskreis
cherheit und Unabhängigkeit. Es erfordert näm-        der Zuständigkeiten“ lässt den Schluss zu, dass
lich eine 18-jährige Erfahrung als Staatsanwalt       die Errichtung dieser Abteilung nicht primär zur
und die Bewältigung eines transparenten Verfah-       Bekämpfung der Korruption motiviert war, son-
rens, um überhaupt in die Abteilung aufgenom-         dern tendenziell eher zur politischen Einfluss-
men werden zu können.                                 nahme auf Entscheidungen, die seitens der Judi-
                                                      kative zu treffen sind.
Nichtsdestotrotz erscheint es fraglich, ob die        Aufschlussreich ist die Tatsache, dass die Son-
Schaffung einer Sonderabteilung tatsächlich ge-       derabteilung unmittelbar nach ihrer Errichtung
rechtfertigt war. Seit der Errichtung der Son-        zunächst Ermittlungen gegen solche Richter und
derabteilung wird deutlich, dass es an einer voll-    Staatsanwälte eingeleitet bzw. wiederaufgenom-
ständigen Funktionsfähigkeit der Abteilung man-       men hat, die öffentlich gegen den strukturellen
gelt. Vor allem wird dies durch das Verhältnis der    Wandel argumentiert hatten. Zusätzlich wurden
steigenden Anzahl der Fälle im Gegensatz zu der       Staatsanwälte ins Visier genommen, die zum Zeit-
sehr beschränkten Anzahl von Staatsanwälten,          punkt des Erlasses der Vorschriften über die Son-
die diese Fälle zu bearbeiten haben, deutlich. Zu-    derabteilung Mitglieder der Regierung strafrecht-
dem fehlt es an einer angemessenen territorialen      lich verfolgt haben.
Struktur, da die Sonderabteilung, im Gegensatz
zu anderen Abteilungen der Staatsanwaltschaft,        Schlussendlich ergibt sich aus diesen objektiven
ihren Sitz lediglich in Bukarest hat und nicht in     Aspekten stets der Eindruck, als würde die Abtei-
ganz Rumänien vertreten ist. Gegen eine „echte“       lung gezielt gegen die Menschen ermitteln, die
Rechtfertigung (und damit im Ergebnis eher für        gegen die Interessen der Initiatoren agierten.
eine Schwächung der Korruptionsbekämpfung)            Eine solche Entwicklung widerspricht nach unse-
spricht die Tatsache, dass die Sonderabteilung        rer Auffassung rechtsstaatlichen Grundsätzen,
eine ausschließliche Zuständigkeit für Fälle be-      vor allem deshalb, da dies den Druck auf weitere
treffend Richter und Staatsanwälte besitzt. Die       Richter und Staatsanwälte, die andere Meinun-
Zuständigkeit behält die Abteilung selbst dann,       gen vertreten, erhöht. Von einer unabhängigen,
wenn für die gleiche Tat zusätzlich eine andere       integren Justiz kann auf Grund dieser Entwicklun-
(nicht der Justiz angehörige) Person strafrechtlich   gen nicht mehr gesprochen werden.
verfolgt wird. Infolge dieser Regelungen ermögli-
chen fiktive Beschwerden gegen Richter bzw.           Als weiterer Aspekt muss bedacht werden, dass
Staatsanwälte es, gezielt in die Zuständigkeit der    jeder das Recht auf ein faires Verfahren innerhalb
Sonderabteilung zu fallen. Somit haben Außen-         einer angemessenen Frist hat. Rechtsstaatliche
                                                      Grundsätze sind nicht mehr gewahrt, wenn die
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V.
Länderbericht                                                                                   März 2021     5

angemessene Frist nicht eingehalten werden             Bitte um Überprüfung, ob die Grundsätze der
kann.                                                  richterlichen Unabhängigkeit und Rechtsstaatlich-
                                                       keit sowie der Schutz der finanziellen Interessen
Vor allem ist auch die Rechtsprechung des Euro-        der EU gewahrt seien.
päischen Gerichtshofs für Menschenrechte
(EGMR) zu Art. 6 Abs. 1 EMRK zu berücksichtigen.       Beteiligung von Inlandsnachrichtendienste an
Der nicht klar umgrenzte Begriff der Angemes-          Überwachungsmaßnahmen
senheit ist zwar stets unter den besonderen Um-
ständen des Einzelfalls zu bewerten, jedoch müs-       In der Entscheidung 51/2016 erklärte das Verfas-
sen auch objektive Aspekte herangezogen wer-           sungsgericht die Beteiligung von Inlandsnachrich-
den. Ein solcher Aspekt würde aus objektiven Ge-       tendiensten an der Durchführung technischer
sichtspunkten schon dann gegen rechtsstaatliche        Überwachungsmaßnahmen zum Zweck der straf-
Grundsätze sprechen, soweit er faktisch der Mög-       rechtlichen Ermittlungshandlungen für verfas-
lichkeit der Einhaltung der angemessenen Frist         sungswidrig. Der EU Generalanwalt schlug dem
entgegensteht. Der EGMR spricht hier von der           EuGH vor, zu entscheiden, dass das EU-Recht der
Verpflichtung der Staaten, sich in einer Weise zu      Entscheidung des nationalen Gerichts nicht ent-
organisieren, in der die Justiz den Anforderungen      gegenstehe, da das Unionsrecht nicht die Voraus-
des Art. 6 Abs. 1 EMRK entsprechen kann. 7             setzungen und Anforderungen solcher Maßnah-
                                                       men normiere, sondern lediglich die Wahrung
Durch die Errichtung der Sonderabteilung hat Ru-       der unionsrechtlichen Grundsätze fordere. Einen
mänien gegen dieses Prinzip verstoßen und so-          Einfluss solcher verfassungsgerichtlichen Ent-
mit eine Maßnahme umgesetzt, die rechtsstaatli-        scheidungen auf laufende bzw. künftige Korrupti-
chen Grundsätzen widerspricht. Die Anzahl der          onsverfahren betrachtet der Generalanwalt als
innerhalb der Sonderabteilung beschäftigten            eine logische Konsequenz, die eben nicht gegen
Staatsanwälte ist derart gering, dass es unmög-        die Entscheidung des Verfassungsgerichts spre-
lich erscheint, die Verfahren in angemessener          che.
Zeit zu bearbeiten. Dies wird zwangsläufig zu ei-
ner unangemessenen Dauer der Strafverfahren            Unzulässige Zusammensetzung von Spruch-
führen. Seitens des Mitgliedsstaates ist demnach       körpern
wohl festzustellen, dass eine fehlerhafte Organi-
sation der Sonderabteilung zu einem Verstoß ge-        Auch die Entscheidung über die unzulässige Zu-
gen Art. 6 Abs. 1 EMRK geführt hat.                    sammensetzung des ICCJ (685/2018) erachtet der
                                                       Generalanwalt als unionsrechtskonform. Die
Überprüfung mehrerer Entscheidun-                      Frage der Zusammensetzung liege in der Zustän-
gen des Rumänischen Verfassungsge-                     digkeit des Mitgliedsstaates. Zudem sieht Bobek
richts 8                                               auch die finanziellen Interessen der Union durch
                                                       die Entscheidung des Verfassungsgerichts als
Neben den dargestellten Fällen zu den rumäni-          nicht beeinträchtigt an, schließlich resultieren aus
schen Justizreformen sind auch drei weitere Fälle      dieser Entscheidung keine neuen Rechtsbehelfe.
aus den Jahren 2016, 2018 und 2019 in Luxem-           Ebenfalls würden keine Maßnahmen der Korrup-
burg anhängig. Diese betreffen Entscheidungen          tionsbekämpfung untergraben, weswegen auch
des rumänischen Verfassungsgerichts (Entschei-         daraus keine Unionswidrigkeit resultieren könne.
dung 51/2016, 685/2018 und 417/2019) und zie-          Aus Sicht des Generalanwaltes seien keine geeig-
len allesamt auf die Überprüfung der Vereinbar-        neten Gründe ersichtlich, die gegen eine Unab-
keit mit dem Unionsrecht ab. Konkret entschied         hängigkeit bzw. Unparteilichkeit des Verfassungs-
das rumänische Verfassungsgericht die Frage, ob        gerichts sprächen.
die Zusammensetzung einiger Spruchkörper des
Obersten Kassations- und Justizgerichtshofs (În-       Fachgremien zur Korruptionsbekämpfung
alta Curte de Casaţie şi Justiție „ICCJ“) unzulässig
waren. Zur Vorabentscheidung ersuchten der             Die Entscheidung des rumänischen Verfassungs-
ICCJ und das Tribunal in Bihor den EuGH mit der        gerichts in der Sache 417/2019 bezog sich auf die
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V.
Länderbericht                                                                                   März 2021     6

Verpflichtung des Obersten Kassationsgerichts-         Partei Union zur Rettung Rumäniens, USR) einen
hofs zur Einrichtung von Fachgremien zur erstin-       entsprechenden Gesetzesentwurf an die Regie-
stanzlichen Auseinandersetzung mit Korruptions-        rung übersandt. 2020 konnte diese Reform nicht
delikten. Laut dem Verfassungsgericht ist der          umgesetzt werden, da die PNL-geführten Minder-
Oberste Kassationsgerichtshof dieser Verpflich-        heitsregierungen sich situativ Mehrheiten suchen
tung nicht nachgekommen. Nach Ansicht des Ge-          mussten und nach Ausbruch der Pandemie an-
neralanwalts sollte der EuGH in der Weise ent-         dere Fragen dringender waren.
scheiden, dass dieser Beschluss des rumänischen
Verfassungsgerichts tatsächlich gegen das EU-          Der Gesetzesentwurf des Justizministers zielt auf
Recht verstoße, konkret gegen Art. 325 Abs. 1          die Abschaffung der Abteilung für Sonderermitt-
AEUV. Er erklärt die Entscheidung des Verfas-          lungen innerhalb der Justiz. Der Justizminister be-
sungsgerichts insofern als unionsrechtswidrig,         gründet diesen Schritt mit dem Wunsch, zur Nor-
dass die Zusammensetzung der Spruchkörper              malität zurückzufinden. Zudem bezeichnet er die
nur aufgrund der fehlenden Spezialisierung auf         Sonderabteilung als ein ineffizientes Organ, das
Korruptionsfälle für rechtswidrig erklärt werden       sein Ziel, Richter, die das Gesetz verletzen zur Re-
würde. Dies hätte zur Folge, dass zahlreiche erst-     chenschaft zu ziehen, vollständig verfehlt hat. Au-
instanzliche Korruptionsfälle zwischen April 2003      ßerdem hatte die Sonderabteilung lediglich zwei
und Januar 2019 erneut überprüft und verhan-           Fälle pro Jahr vor Gericht gebracht hat. Hierüber
delt werden müssten. Bedenken entstehen im             zeigt sich der Justizminister sehr verwundert. 10
Hinblick auf die praktischen Folgen des Beschlus-
ses: Nach Auffassung des Generalanwalts würde          Dennoch bleibt abzuwarten, inwieweit die aktu-
die nachträgliche Straffreiheit in einer hohen Zahl    elle Regierung die Anforderungen der EU umset-
von Fällen einen Nachteil der finanziellen Interes-    zen wird und ob die negativen Auswirkungen der
sen der EU darstellen. Daher wertet er die rumä-       strukturellen Veränderungen in Rumänien nicht
nische Entscheidung als unionsrechtswidrig, die        noch versteckte Baustellen aufgeworfen hat.
die Verpflichtung des Mitgliedsstaates zur Wah-        Schließlich sank nicht nur das Vertrauen der Eu-
rung der finanziellen Interessen der EU, die aus       ropäischen Kommission in die Standfestigkeit der
Art. 325 Abs. 1 AEUV resultiert, verletze.             rechtsstaatlichen Entwicklung Rumäniens, son-
                                                       dern zusätzlich auch das Vertrauen der Bevölke-
                                                       rung in die Regierung und der Fortschritte im
Ausblick                                               Kampf gegen die Korruption auf höchster Ebene.
                                                       Es wird mehr als nur eines Gesetzes bedürfen,
Die abschließenden Entscheidungen des EuGH in          das Vertrauen der rumänischen Bevölkerung in
diesen Rechtssachen stehen noch aus.                   die Justiz wiederherzustellen.

Nach den rumänischen Parlamentswahlen Ende
2020 ist in Rumänien erneut Bewegung in Rich-
tung EU-konformer Justizreformen gekommen.
Nicht zuletzt vor dem Hintergrund des Streits um
die Einhaltung von Rechtsstaatsprinzipien in wei-
teren EU-Mitgliedsstaaten wird dieser Schritt
nicht nur der Europäischen Kommission gefallen.
Letztlich wird er auch Rumänien nützen, da damit
das angestrebte Ende des schon seit 2007 gelten-
den CVM-Mechanismus in Sichtweite rückt. Für
dieses Ziel wurde ein optimistischer und enga-
gierter Zeitplan erstellt, aus dem sich ergibt, dass
bereits Ende April 2021 die Gesetzesentwürfe
vorgelegt werden sollen. 9 Konkrete Schritte sind
bereits eingeleitet. Mitte Februar 2021 hat der ru-
mänische Justizminister Stelian Ion (Mitglied der
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V.
Länderbericht                                         März 2021   7

Hierbei können die Entscheidungen des EuGH be-
reits den ersten Schritt ebnen. Aufgrund des
Grundsatzes des Anwendungsvorrangs des EU-
Rechts müssen supranationale vor nationalen
Vorschriften und Regelungen angewendet wer-
den. Im konkreten Fall würde die Kollision uni-
onsrechtlicher Grundsätze mit nationalen Rege-
lungen bedeuten, dass die EU-Vorschriften vor-
rangig anzuwenden sind. Sollte sich Rumänien an
diesen Entscheidungen orientieren und diese als
Gradmesser heranziehen, dürfte es bereits in nä-
herer Zukunft Gesetzesänderungen geben, die
den Vorgaben der EU entsprechen und das Land
weiter in Richtung eines voll funktionierenden
Rechtsstaats bewegen.

Es bleibt abzuwarten, wie der EuGH die hier dar-
gestellten Fälle beurteilt. Unabhängig davon ist es
zu begrüßen, dass das Parlament nun Reformen
des rumänischen Justizsystems wieder ernsthaft
in Angriff genommen hat.
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V.
Länderbericht                                                                                  März 2021   8

1    https://ec.europa.eu/info/files/progress-report-romania-2019-com-2019- 393_d e.
2    https://ec.europa.eu/info/files/progress-report-romania-2018-com-2018- 851_en.
3    http://www.forumuljudecatorilor.ro/index.php/archives/4233 (auf Rumänisch).

4
     http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=231501&pageInd ex=0&do-
     clang=DE&mode=req&dir=&occ=fi rst&part=1, Rn. 125.
5    http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=231501&pageInd ex=0&do-
     clang=DE&mode=req&dir=&occ=fi rst&part=1, Rn. 153: Michal Bobek macht dies deutlich, in dem er es
     als einen Freibrief für die Aufgabe der Erfüllung der Kernanforderungen bezeichnet.
6
     http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=231501&pageInd ex=0&do-
     clang=DE&mode=req&dir=&occ=fi rst&part=1, Rn. 159.
7
     http://hudoc.echr.coe.int/fre?i=001-57765, Rn. 24.
8
     Press Release No. 33/21, Court of Justice of the European Union, Luxembourg March 4,
     2021.
9
     https://intellinews.com/romania-government-to-pursue-ambitious-timetable-for-justice-
     reforms-200994/?source=ro mania&fbclid=IwAR 3mGoO6R zPYsXFnut reVekZUkjjqT-
     KEAvz45rDbjH08aHpP8_EiSCGvlkQ.
10
     https://www.nineoclock.ro/2021/02/12/justice-minister-sends-govt-bill-proposal-for-dis-
     mantling-siij/?fbclid=IwAR0XFzoU939A-15jdNbHgoo0xTGkwM7iDb4GLr2J6uk_AQIAkwA-
     MiSE9Q60

Konrad-Adenauer-Stiftung e. V.

Hartmut Rank
Leiter Rechtsstaatsprogramm Südosteuropa
Hauptabteilung Europäische und Internationale Zusammenarbeit
www.kas.de

hartmut.rank@kas.de

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