Schichtarbeit und Gesundheit - Priv.-Doz. Dr.med. Wolfgang Zschiesche Verdi-Forum Nord e. V - ver.di - Landesbezirk Nord

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Schichtarbeit und Gesundheit

    Priv.-Doz. Dr.med. Wolfgang Zschiesche

               Verdi-Forum Nord e. V.
    8. Fachtagung Arbeits- und Gesundheitsschutz
              12. – 13. Juni 2013, Damp
Schichtarbeit

Der Begriff ist nicht einheitlich definiert

Er beinhaltet v. a. folgende Elemente:
Arbeit zu wechselnden oder konstant ungewöhnlichen Arbeitszeiten
einschl. Wochenend- und Nachtarbeit

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Problem der Nachtschicht

  Nachtschicht ist für jeden Chronotyp in gewissem Umfang
  unphysiologisch und gesundheitsschädlich

  Nachtschicht ist nicht einheitlich definiert

  In Deutschland üblicherweise:
  Jede Arbeitszeit zwischen 23 und 06 Uhr, die länger als 2 h dauert

  Nachtarbeitnehmer:
  Wenigstens 48 Schichten / Jahr mit Wechselschicht inkl. Nachtarbeit
  oder Dauer-Nachtarbeit

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Ausgangslage

Individueller chronobiologischer Typ ist weitgehend genetisch
festgelegt

Weite Bandbreite zwischen (ausgesprochenen) Früh- und
(ausgesprochenen) Spät-Typen („Lerche vs Eule“)

In der Pubertät generelle Shift zu Spät-Typ

Im höheren Alter häufig individuelle Tendenz zu Früh-Typ,
aber nicht generalisiert

Es gibt zahlreiche biologische tageszeitliche (circadiane) und
längerfristige Rhythmen von Hormonen, Körperfunktionen, Organen,
Leistungsfähigkeit, Schlafbedürfnis etc.

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Ausgangslage

Die circadiane Rhythmik verschiedener Körperfunktionen ist
nicht von sich aus gleichgeschaltet

       - Einzelne Funktionen haben unterschiedliche Rhythmen
       - Individuen weichen von 24h-Rhythmus häufig ab
         - z. T. kürzere Intervalle, z. T. längere Intervalle
       - Der Durchschnitt der Bevölkerung bei uns hat einen
         circadianen Rhythmus von rd. 25 h

         Externe Taktgeber nötig, die die physiologischen Rhythmen
         synchronisieren – Licht!

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Tagesrhythmen
                        Indifferenztypen
                         ca. 3 - 4 Stunden
„Lerchen“                                    „Eulen“

                               Körpertemperatur
                        37°C
Konzen-
tration/
                                                   Cortisol
Aktivität
                                                                                 Regeneration von Zellen
Höhe
                                                                                 und Immunsystem
       relative Werte

                                                 Adrenalinspiegel im Blut
                                                 Aufmerksamkeit
                                                 Leistungsbereitschaft

                                                                       Uhrzeit
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Schlafbedürfnis und schlafabhängige innere
   Tagesrhythmen
                                         Uhrzeit

            2   4     6    8        10    12       14   16       18      20      22    00

                                                                         Regeneration von Zellen
Schlaf-                                                                    und Immunsystem
neigung,                                                                      (Tiefschlaf)

Aktivität

Konzen-
tration                                  Schlafbedürfnis

            Melatonin

                                                             „Lerchen“                „Eulen“

 relative Einheiten

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Synchronisation und Desynchronisation von
  inneren hormonellen, äußeren schlafabhängigen
  Rhythmen und von äußeren Zeitgebern
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schlafun-
abhängige
                                       Cortisol
Rhythmen

            3       4   6   8          10         12   14   16       18   20      22     00
                2
Schlafbe-
                                                                                Schlafbedürfnis
dürfnis

schlafab-
hängige                                           Äußere Zeitgeber
Rhythmen

                                     Licht, Lärm, soziales Umfeld,
                                         Körperliche Aktivität,
                                 Zeitbewusstsein, Nahrungsaufnahme

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Externe Synchronisation
               Melanopsin-Rezeptoren der Netzhaut des Auges
               Rezeption: 440-480 nm (Blaubereich)
               Unabhängig von dem Seheindruck durch Stäbchen
               und Zapfen der Netzhaut

            Aktivierung und Synchronisation des
            SCN = suprachiasmatischen Nucleus         Regulation von:

               Melatonin           Vegetatives    Hormonelle Achsen
                                   Nervensystem   Geschlechtshormone
                                                  (Hirnanhandrüse)

           Aktivierung/Unterdrückung von zeitsteuernden Genen
            Beeinflussung der Freisetzung von Gen-Produkten
                     Synchronisation aller Körperzellen

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Chronodisruption

Begriff ist unzureichend definiert

Wesentliche Aspekte:
- Arbeit / Aktivität zu ungewohnter Zeit
- Arbeit gegen den anlagebedingten individuellen Chronorhythmus
- Licht bei Nacht / Nachtarbeit / Aktivität bei Nacht

Desynchronisation der inneren Zeitgeber und biologischen
Rhythmen
- in unterschiedlicher Ausprägung und Geschwindigkeit
- Anpassung an Phasenverschiebung nach hinten gelingt schneller
  als Phasenverschiebung nach vorne

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Schicht und Leistung

  Zunehmende Fehlerraten / Unfallhäufigkeit
  bei Schichten über 8-9 Stunden

  Zunehmende Fehlerraten / Unfallhäufigkeit
  bei Arbeit in der Nacht

  Vereinzelte gegenteilige Ergebnisse

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Fehlerrate in Abhängigkeit von der
Arbeitszeit

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Schichtarbeit und Arbeitsunfälle/
Wegeunfälle

! Etliche spektakuläre Unfälle sind während arbeitsphysiologisch
    ungünstiger Zeiten eingetreten
    (z. B. Tschernobyl, Exxon Valdez, Bophal etc.)

! Bei Fahrtätigkeiten im Zeitraum des physiologischen Leistungs-
    tiefs bzw. erhöhten Schlafbedürfnisses Nachweis von vermehr-
    ten Unfällen wegen Einschlafens.

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Schichtarbeit und Arbeitsunfälle /
Wegeunfälle
! Einige Studien zeigen erhöhte Unfallraten am Arbeitsplatz bzw.
  bei Fahrtätigkeiten in der Nachtschicht

! Insgesamt inhomogene Datenlage
! Probleme der Studienbewertung:
   - Grundgesamtheit zum Teil nicht bekannt (Zahl der Beschäftigten in
   Nachtschicht vs. anderen Schichten nicht bekannt)
   - Anforderungsprofil der Arbeiten im Vergleich zu anderen Schichten zum Teil
    nicht bekannt (dadurch u. U. höheres oder niedrigeres zu erwartendes Risiko)
   - Selektionseffekte in der Arbeitnehmerschaft nicht immer ausschließbar
            (möglicherweise selektierte Arbeitnehmerschaft mit unfallträchtiger
            Arbeitsweise im Vergleich zu anderen Schichten)
   - unklarer Status der Synchronisation biologischer Rhythmen mit der
     Arbeitsschicht
   - möglicherweise anderes Arbeitsumfeld in Nachtschicht als in anderen Schichten
     (z. B. geringere Zahl an Mitarbeitern/Fahrzeugbewegungen etc., daher geringeres
   Unfallrisiko zu erwarten.

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Schichtarbeit und Arbeitsunfälle /
Wegeunfälle

 ! Unter Gesichtspunkten der Arbeitsphysiologie berechtigte
   Annahme:
     erhöhtes Unfallrisikos bei Arbeiten im Bereich des Leistungs-

     minimums und bei erhöhtem Schlafbedürfnis im Vergleich zu

     anderen Zeitpunkten bei vergleichbarer Tätigkeit und ver-

     gleichbaren Arbeitsumständen

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Körpertemperatur bei Wechsel in
Nachtschicht

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Wiederherstellung des Zeitrhythmus

   ! Theorie:
     - hohe, längere Beleuchtungsstärke in Spät-/Nachtschicht
        ≥ 2.500 Lux, ≥ 2,5 - 3 Stunden)
       (≥

     - Lichtabschirmung nach Schicht und in Schlafenszeit

     - Lärmfreiheit in Schlafphase

     - Adaptierung des sozialen Lebens an Schlafrhythmus

     - Beibehaltung dieses Rhythmus auch an arbeitsfreien Tagen

             völlige Umkehr der chronobiologischen Zyklen möglich

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Wiederherstellung des Zeitrhythmus

  ! Praxis:
    - Beleuchtungsstärke in Arbeitsschicht relativ gering

    - keine völlige Lichtabschirmung nach Schicht und im Schlaf

    - Lärmeinwirkungen im Schlaf

    - soziales Leben asynchron

    - Wechsel des Rhythmus‘ an arbeitsfreien Tagen

           - keine völlige Umkehr der chronobiologischen Zyklen
           - Gefahr der Nivellierung der biologischen Zyklen
           - Erkrankungen
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Schichtarbeit, Alter und Schlaf-Typ

! Spät-Typen („Eulen“) leichter an Schichtarbeit adaptierbar
  als Früh-Typen („Lerchen“)

! mit zunehmendem Alter Tendenz zum Früh-Typ

! mit zunehmendem Alter Absinken der Stärke der Tagesrhythmen

          mit zunehmendem Alter Neigung zur Desynchronisation
          und Probleme mit Schichtarbeit (ab 40. - 50. Lebensjahr)

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Schlussfolgerungen der Wissenschaft

! Schichtarbeit stellt immer in gewissem Umfang eine Desynchroni-
  sation von externen Zeitgebern / Arbeitsanforderungen und
  endogenen biologischen Rhythmen dar

! Die Ergebnisse von Untersuchungen bei Schicht-Arbeitnehmer
  sind nicht konsistent

! Eine Verträglichkeit von Schichtarbeit mit den physiologischen
  Gegebenheiten ist in gewissem Umfang grundsätzlich möglich

! Mitarbeiter sind in Abhängigkeit von der Ausprägung endogener
  Rhythmen für verschiedene Formen von Schichtarbeit unterschied-
  lich geeignet

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Ergebnisse von Studien bei
Schichtarbeitnehmern

! Die Ergebnisse von Untersuchungen bei Schicht-Arbeitnehmern
  sind nicht einheitlich.

Häufiger sind:

! verkürzter Schlaf

! nicht erholsamer Schlaf

! eingeschränkte Regeneration des Immunsystems

! Symptome des Verdauungstraktes

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Ergebnisse von Studien bei
Schichtarbeitnehmern

    Häufiger sind:

    ! Symptome des Verdauungstraktes
      - Reizdarm
      - Durchfälle
      - Verstopfung
      - Sodbrennen
      - Magenschleimhautentzündung

    ! Soziale Probleme in Familie und Umfeld

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Bedeutsame Hinweise: Beschwerden
und Erkrankungen

     In einigen Studien erhöhtes Risiko für:

     ! Herz-Kreislauferkrankungen

        - Blutfettstörungen

        - Bluthochdruck

        - Herzkranzgefäßerkrankungen

        - Herzinfarkte

        - Schlaganfälle

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Limitierte Hinweise: Beschwerden und
Erkrankungen

 ! Depressionen

 Ungeklärte oder fehlende Hinweise

 ! Manifeste Erkrankungen des Immunsystems

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Einfluss von Schichtarbeit auf:

  ! Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus)

  ! andere Hormon-abhängige Erkrankungen

  ! Asthma/obstruktive Atemwegserkrankungen

  ! Epilepsie

  ! Wirkung von Medikamenten

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Schichtarbeit und Krebs
 Tierversuche:

 - Chronodisruption führt zu verstärktem Wachstum von Tumoren
 - Besonders: bei Entfernung des Suprachiasmatischen Nucleus
 - Melatonin-Unterdrückung (Licht) führt teils zu erhöhten,
   teils erniedrigten Tumor-Raten
 - Besonders betroffen: Geschlechtsorgane

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Schichtarbeit und Krebs
 Studien beim Menschen:

 - Untersuchungen an fliegendem Personal mit Jet Lag und bei
   Nachtschichtarbeiter/innen zeigen in unterschiedlichem Umfang
   erhöhte Raten an Brustkrebs und Prostatakrebs
 - Andere Krebsformen werden seltener gefunden oder nicht untersucht

 - Es gibt auch gegenlautende Studienergebnisse

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Schichtarbeit und Krebs

Einschränkungen der Aussagekraft von etlicher Studien /
Ungewissheit der krebserzeugenden Wirkung von Nachtschicht
beim Menschen:

-    Studien waren ursprünglich nicht für Einfluss von Chronodisruption
     auf die Krankheits-/Sterblichkeitshäufigkeit und –ursachen konzipiert
-    z. T. kleine Fallzahlen
-    z. T. geringe Risikoerhöhungen mit fraglicher Signifikanz oder Relevanz
-    Meist nicht kontrollierter Einfluss anderer Störfaktoren
     (Rauchen, Ernährung, Hormonpräparate, Schwangerschaften etc.)
-    Fehlende individuelle Bestimmung des Chronotyps
-    z. T. keine Expositions-Risiko-Beziehungen
     (z. B. sinkendes Risiko mit zunehmender Dauer der Schichtarbeit /
      Zahl der Nachtschichten; sinkendes Risiko mit zunehmender Latenzzeit)

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Schichtarbeit und Krebs

Brustkrebsraten in Abhängigkeit vom Chronotyp:

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Schichtarbeit und Krebs

           Schlussfolgerungen der Internationalen Agentur zur
              Erforschung von Krebs (IARC) 2007 u. 2010:

   Schichtarbeit (mit Nachtschicht) ist wahrscheinlich krebserzeugend
                 beim Menschen (probably carcinogenic)

                           Basierend auf:
      - Ausreichenden Belegen (sufficient evidence) im Tierversuch
        - Begrenzten Belegen (limited evidence) beim Menschen

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Passung Chronotyp vs Schicht

Beispiele von extremen Früh- bzw. Spättypen

                Status/Aktivität im Einklang mit innerer Uhr

                Schichtarbeit gegen die innere Uhr

                 Soziale Aktivität gegen die innere Uhr (variabel)

                 Schlafnotwendigkeit gegen die innere Uhr

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Früh-Typ – Früh-Schicht

Uhrzeit
04:00 05:00       06:00                 4:00   19:00                      22:00              04:00

Aufstehen                 A r b e i t                  Sozialer Jet Lag           Schlafen

              Keine Arbeit gegen die innere Uhr
              Gewisses Schlafdefizit möglich

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Früh-Typ – Spät-Schicht

 Uhrzeit
 04:00   06:00               14:00        19:00                     22:00           04:00

                                       A r b e i t
Schlafen   Aufstehen                              Arbeits-Jet Lag   Sozialer   Schlafen
                                                                    Jet Lag

                                Schlafdefizit rel. hoch

   Schichtarbeit_Zschiesche_2013_06                                              Seite 33
Früh-Typ – Nacht-Schicht

Uhrzeit
04:00 05:00       06:00       10.00              18:00   19:00              22:00         04.00

 Arbeit                               Schlafen   Aufstehen                          Arbeit
                                                                 Sozialer
                                                                 Jet Lag

     Großer Teil der Arbeit gegen die innere Uhr

     Schlaf gegen die innere Uhr –
     meist deutliches Schlafdefizit

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Spät-Typ – Früh-Schicht

Uhrzeit
04:00 05:00     06:00         10.00   14:00   20:00       22:00       24:00   4.00

Aufstehen               A r b e i t             Schlaf Soll       Schlafen
                   Arbeits-
                  Jet Lag

    Großer Teil der Arbeit gegen die innere Uhr

    Schlaf gegen die innere Uhr –
    meist deutliches Schlafdefizit

  Schichtarbeit_Zschiesche_2013_06                                       Seite 35
Spät-Typ – Spät-Schicht

Uhrzeit
04:00                      10:00         14 :00                22:00      24:00          4:00

  Schlafen                   Aufstehen            A rb e i t    Sozialleben   Schlafen

                       Perfekte Passung
                       Chronotyp - Arbeitsschicht

  Schichtarbeit_Zschiesche_2013_06                                                 Seite 36
Spät-Typ – Nacht-Schicht

Uhrzeit
04:00      06:00       10.00                    18:00               22:00         04.00

Arbeit       Sozialer Jet Lag        Schlafen           Aufstehen     Arbeit

 Großer Teil der Arbeit gegen die innere Uhr
 Gewisses Schlafdefizit möglich

  Schichtarbeit_Zschiesche_2013_06                                             Seite 37
Was ist von der Forschung zu erwarten?

 -   Studien mit besserer Berücksichtigung von anderen
     Krebs-Risikofaktoren als Nachtarbeit

 -   Studien mit Berücksichtigung des individuellen Chronotyps der
     Probanden (z. B. über validierte Fragebogen)

 -   Studien mit Berücksichtigung des individuellen Ausmaßes
     der circadianen Rhythmik

 -   Weitere Berücksichtigung von ursächlichen physiologischen
     Einflussfaktoren wie: Melatonin, Achse Gehirn-Hormone,
     Zeitgeber-Genen

 -   Berücksichtigung weiterer Zeitgeber außer Licht: Nahrungsaufnahme,
     Körperliche Aktivität, Soziales Umfeld

 -   Bessere Erfassung von Schlafqualität und Immuneffekten
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Was tun in der Praxis?
Loslassen von etablierten Vorstellungen:
- kein „passendes“ Schichtmodell für „jeden“
- Sind schnell vorwärtsrotierende Schichtsysteme für jeden optimal?
- Wie kann „Chronodisruption“ vermieden werden?
   - lange Schichtzyklen – Adaptierung?
   - kurz eingestreute einzelne Nachtschichten – keine Chronodisruption?

-   Optimierung des Lichtregimes? Noch in Erprobungsphase
    - Hohe Beleuchtungsstärken nachts?
    - verstärkter Blaulichtanteil zur Erhöhung der Aufmerksamkeit?
    - Herausfiltern des unteren Blauanteils zur Vermeidung von
      Chronodisruption?

-   Betriebsärztliche individuelle Beratung
-   Ermittlung des individuellen Chronotyps
-   Adaptierung der Schichten an den Chronotyp
-   Optimal: Vermeidung von Nachtarbeit

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Arbeitszeitgesetz § 6

(3) Nachtarbeitnehmer sind berechtigt, sich vor Beginn der
Beschäftigung und danach in regelmäßigen Zeitabständen von nicht
weniger als drei Jahren arbeitsmedizinisch untersuchen zu lassen.

Nach Vollendung des 50. Lebensjahres steht Nachtarbeitnehmern
dieses Recht in Zeitabständen von einem Jahr zu.

Die Kosten der Untersuchungen hat der Arbeitgeber zu tragen, sofern
er die Untersuchungen den Nachtarbeitnehmern nicht kostenlos durch
einen Betriebsarzt oder einen überbetrieblichen Dienst von
Betriebsärzten anbietet.

(4) Der Arbeitgeber hat den Nachtarbeitnehmer auf dessen Verlangen
auf einen für ihn geeigneten Tagesarbeitsplatz umzusetzen, wenn
a) nach arbeitsmedizinischer Feststellung die weitere Verrichtung von
Nachtarbeit den Arbeitnehmer in seiner Gesundheit gefährdet o

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Beispiele für Individualisierung

-   Individuelle Gestaltungen der Schichtsysteme in Einzelfirmen
     - z. B. nach individuellen Wünschen – aufwändig!
     - ist eigener Wunsch auch physiologisch?

     - Versuch in einem Unternehmen, extreme Früh- und Spättypen
       aus für sie negativen Schichten weitgehend herauszunehmen
            Absenkung des Schlafdefizits um ca. 30 Minuten je Tag
            Subjektiv besseres Befinden, aber nicht bei allen Probanden

-   Einzelstudien zeigen bei jungen, „geeigneten“ Mitarbeitern
    keine Gesundheitsstörungen bei Dauer-Nachtschicht

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Belange von Unternehmen und
Individuum – Wie gehen sie zusammen?
  Beim bisherigen Stand des Wissens kann angenommen werden:

  -   Früh-Typen vertragen Nachtarbeit besonders schlecht
      - Herausnahme aus Nachtschicht?
        Einführung einer „Zwischenschicht“?

  -   Spät-Typen vertragen Frühschichten besonders schlecht
      - Anpassung an späteren Arbeitsbeginn möglich?

  -   Früh-, aber auch Spättypen vertragen schnell vorwärts rotierende
      Schichtsysteme schlechter als Indifferenztypen

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Anpassung an Wechselschicht

Die Anpassungsfähigkeit an Wechselschicht hängt auch von der
individuellen Ausprägung zirkadianer Rhythmen ab.

Personen mit stark ausgeprägten tageszeitlichen Rhythmen sind leicht
und schnell auf einen Schichtwechsel einstellbar.

  Schichtarbeit_Zschiesche_2013_06                                 Seite 43
Belange von Unternehmen und
Individuum – Wie gehen sie zusammen?
  Bei fehlenden Möglichkeiten der Flexibilisierung:

  -   Wahrscheinlich ist für den größeren Teil der Belegschaft ein
      schnell vorwärts rotierendes System am verträglichsten

  -   Wahrscheinlich führen einzeln eingestreute Nachtschichten in
      geringer Frequenz nicht zu einer Chronodisruption
           Nachtschichten sollten nur einzeln eingestreut sein und
           von wenigstens 2 Freischichten gefolgt sein

  -   Adaptierung an Dauer-Nachtschicht ist im realen Alltag i. d. R.
      nicht realisierbar

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Einfluss von inneren und äußeren Faktoren
auf Gesundheitsstörungen

                 individuelle Toleranz               Arbeitszeit-
                 der Zeitverschiebung                Management

nicht beeinflussbar                 Alter            Soziales                  beeinflussbar
                                                     Umfeld

                                      Gesundheitsstörungen

               Akut                                                       Chronisch
   • Schlafmangel                                        • Schlafstörungen
   • Müdigkeit am Arbeitsplatz                           • Herz-Kreislauf-Störungen
   • Stimmungsschwankungen                               • Störungen des Verdauungstraktes
   • erhöhte Fehlerrate                                  • Depressionen
   • familiäre/soziale Probleme                          • Zerbrechen familiärer/sozialer Strukturen

      frühzeitiges Ausscheiden                                      langfristiges Ausscheiden
      aus Schichtarbeit                                             aus Schichtarbeit

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Wer braucht den Betriebsarzt vor allem?

   ! stark ausgeprägter Morgen-Typ
     Schlafstörungen/ Schlafmangel/nicht erholsamer Schlaf

   ! Zuckerkranke

   ! Epileptiker

   ! Symptome und Erkrankungen des Verdauungstraktes

   ! Herz-Kreislauf-Kranke

  Schichtarbeit_Zschiesche_2013_06                           Seite 46
Wer braucht den Betriebsarzt vor allem?

    ! Depressive

    ! regelmäßige Medikamenten-Einnahme

    ! hohe Anforderungen im sozialen Umfeld (Familie etc.)

    ! Instabile Sozialstruktur

    ! Alter > 40. - 50. Lebensjahr

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Prävention von Beschwerden und
Erkrankungen

! Betriebsärztliche Betreuung vor Aufnahme und dann in regelmäßigen
  Abständen bei Schichtarbeit (Zeitarbeitsgesetz!)

! Entwicklung geeigneter Schichtmodelle (z. B. Vorwärts-Rotation;
  Einstreuung von einzelnen Nachtschichten etc.)

! diätetische Beratung

! Vermeidungsstrategien von Genuss- und Suchtmitteln
  (Tabak, Alkohol, Kaffee)

! Training von Entspannungsübungen (Vermeidung von Schlafstörungen)

! sozialpädagogische Begleitung

! Entfernung aus Schichtmodell ab 40./50. Lebensjahr

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Was können die betroffenen Mitarbeiter tun?

   ! Betriebsärztliche Betreuung vor Aufnahme und dann in
     regelmäßigen Abständen bei Schichtarbeit (Arbeitszeitgesetz)

   ! Beratung zur Ernährung

   ! Leichte Kost in der Nachtschicht

   ! Leichte Kost vor dem Schlafengehen

   ! Vermeidung von Tabak und Alkohol

   ! Regelmäßige Schlafrituale

   ! Training von Entspannungsübungen
     (Vermeidung von Schlafstörungen)

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