Seit wann gibt es Hütehunde? 1. Folge: Von Island nach Wales? - Vom Wunderhorn

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Seit wann gibt es Hütehunde? 1. Folge: Von Island nach Wales? - Vom Wunderhorn
Seit wann gibt es Hütehunde?                                   PyPo 75

Seit wann gibt es Hütehunde?
      1. Folge: Von Island nach
                         Wales?
                                                                            Josef Müller
         Der Hütehund entstand in        existieren, denn der Hütehund
Island um 1220 und der französische      kommt in Frankreichs Süden Planhol
Geograph Xavier de Planhol hatte         zufolge erst am Beginn des 19. Jahr-
wohl ein wenig Leerlauf nach den         hunderts an, wie Sie seiner zweiten
Studentenunruhen und befasste sich       Skizze entnehmen können (> S. 77).
1969 zur Abwechslung mal mit der         Aber lassen wir die Hütehunde der
Geschichte des Hütehundes. Er fand       Pyrenäen vorläufig aus dem Spiel
heraus, dass der Hütehund nur eine       und bleiben wir noch beim islän-
begrenzte Verbreitung auf der Welt       dischen Hütehund, der Planhol zufol-
hat, wie man seiner Skizze entneh-       ge weder von Island über die Faröer-
men kann (> S. 76).                      Inseln noch von Schottland den Weg
                                         nach Norwegen findet, obwohl
Zwar gibt oder gab es auch Hütehun-      Schottland und Norwegen politisch
de im Westen der USA und in Süd-         immer sehr eng verbunden waren -
Amerika sowie in Australien und Afri-    da fragt man sich: Wie hat es dann
ka, aber diese Randerscheinungen         der Buhund Norwegens überhaupt
waren dem Professor denn doch            geschafft, sich in die Herzen der
nicht wichtig genug - außerdem stör-     norwegischen Bauern einzuschlei-
ten sie seine schöne Theorie, derzu-     chen. Erstmals wurde sein Name
folge der Hütehund monolinear vom        schon im 17. Jahrhundert erwähnt,
äußersten Nordwesten Europas,            obwohl Planhols Hütehund erst zu
nämlich von Island aus, sich ausge-      Anfang des 18. Jahrhunderts von
breitet hat über England und den         Zentraleuropa nach Schweden ge-
Nordwesten Frankreichs in den Rest       langt. Der norwegische Buhund und
des alten Kontinents. Allein Planhols    seine Vorfahren waren die Universal-
Grundidee, der Hütehund sei von der      hunde der norwegischen Bauern, ein-
Menschheit nur ein einziges Mal und      gesetzt zum Viehhüten, zur Jagd und
folglich nur an einem einzigen Ort er-   zur Bewachung von Haus und Hof.
funden worden, ist schon bedenklich      1943 wurde er von der FCI als Rasse
an sich. Sinnvoller wäre es, eine mul-   anerkannt. Planhol zufolge aber zog
tiple Entstehung des Hütehundes zu       der Importweg des Hütehundes ja an
verschiedenen Zeiten und in ver-         Norwegen vorbei durch die schwedi-
schiedenen Regionen der Welt anzu-       sche Ebene direkt nach Lappland, wo
nehmen. Planhols Monolinearität ist      er erst 1830 ankommen darf.
nämlich wegen der von ihm festge-
setzten Zeitgrenzen je Region sehr       Planhol kapriziert sich auf Island und
angreifbar, wie wir gleich sehen wer-    die Faröer-Inseln als einzige Ur-
den. Aber wenn wir uns einmal auf        sprungsregion des Hütehundes, weil
Planhols Ideen einlassen, dann kann      der altisländische Politiker, Dichter
unser Pyrenäen-Hütehund erst seit        und „Historiker“ Snorri Sturluson
dem Beginn des 19. Jahrhunderts          (1179-1241) in seiner Saga vom nor-
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            Legende zu Planhols Hütehundtheorie: /////// ~ Verbreitungsgebiete von Hütehunden; \\\\\\\ ~
            Verbreitungsgebiet von Herdenschutzhunden; • ~ isoliertes Auftreten des Hütehundes (in
            Griechenland und in Kreta). In: Franck, 21, Abb. 6.

            wegischen König Olaf I. Tryggvason                Rinder starke Herde, und der
            (963-1000) von einem großen Hüte-                 Hund lief hin und her und sor-
            hund berichtet, der aus einer Herde               tierte genau so viele Kühe aus,
            von mehreren hundert Rindern die                  wie der Bauer gesagt hatte. Und
            Tiere nach Besitzer sortieren konnte:             alle Kühe waren in derselben
                                                              Weise markiert. Da sie nun er-
              So kam es, dass Olaf Gyda heira-                kannten, dass der Hund richtig
              tete und die meiste Zeit in Eng-                sortiert hatte, fanden sie das sehr
              land verbrachte, aber auch in Ir-               clever. Und da fragte Olaf den
              land (es gibt also schon vor 1000               Bauern, ob er ihm wohl den
              lebhaften Austausch zwischen                    Hund geben könnte. Gern , ant-
              Norwegen und den Britischen In-                 wortete er, und Olaf gab für ihn
              seln, was wir ja auch schon vor-                im Austausch einen Goldring
              her wussten). Einmal, als Olaf                  und die Garantie seiner Freund-
              auf Raubzug war, ergab sich die                 schaft. Der Hund hieß Vigi, und
              Notwendigkeit, dass sie an der                  er war der beste aller Hunde;
              Küste ihren Proviant durch Raub                 Olaf hatte großen Gefallen an
              auffrischen mussten. Seine Man-                 ihm für eine lange Zeit (in: Snor-
              nen gingen also an Land und                     ri, The Sagas of Olaf Tryggvason
              trieben eine Anzahl Rinder an                   and of Harald theTyrant, Kap. 41-
              den Strand. Da kam ein Bauer zu                 42; Übersetzung JM).
              ihnen und bat Olaf, ihm seine
              Kühe zurückzugeben. Und Olaf                 Auf diese in vielerlei Hinsicht bemer-
              gab ihm die Erlaubnis, seine Kü-             kenswerteTextstelle wollen sich Plan-
              he zurückzunehmen, wenn er sie               hol und seine Nachfolger stützen. So
              finden könnte: Aber lasst ihn                z.B. Emmanuelle Franck, die 2007 mit
              nicht unsere Abreise verzögern .             Planhols Theorie sogar eine Disserta-
              Der Bauer hatte einen großen                 tion zur Erlangung des Doktorgrads
              Kuhhund bei sich. Diesen Hund                erfolgreich einreichen konnte an
              schickte er in die viele hundert             Frankreichs berühmtester Veterinär-
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Professor Planhol zufolge entstand der Hütehund auf den nordatlantischen Inseln nach
Ausrottung der großen Beutegreifer Bär und Wolf, und zwar zuerst auf Island um 1220. Dann
gelangte er über die Faröer-Inseln nach Shetland, wo der Sheltie entstand, von dort kam er
im 15. Jahrhundert nicht zuerst nach Schottland, sondern gleich nach Wales. Wieso? Ende
des 17. Jahrhunderts fasst der Hütehund Fuß im Nordwesten des Kontinents und erreicht
1960 endlich den Süden der Iberischen Halbinsel. 1969 veröffentlicht Planhol seine Theorie
- da darf der Cão da Serra de Aires (~ der südportugiesische und südspanische Hütehundtyp)
gemäß Planhols Theorie erst neun Jahre alt sein - nur irgendwie merkwürdig, dass es schon
seit 1932 einen Standard für diese Rasse gibt. Skizze in: Franck, 27, Abb. 7.

universität Maisons Alfort bei Paris.            Die ältesten Zeugnisse (für den
Die 1977 geborene Emmanuelle                     Hütehund) findet man auf den
nimmt wie Planhol den Ursprung des               skandinavischen Inseln des
Hütehundes auf Island und den Farö-              Nordatlantik, auf den Faröern
er-Inseln an und behauptet:                      und auf Island. Es handelt sich
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            um zwei Sagas vom Beginn des            sein Leben aushauchte, und zwar auf
            13. Jahrhunderts, die Gudmun-           Veranlassung eines „hundeköpfi-
            Saga (genauer: Gudmundr) Ara-           gen“ Kriegers (~ Elitekrieger, der sich
            sons (verfasst um 1215-1220),           im Kampf wie ein rasender Hund ge-
            und die Sage von Olaf Tryggva-          bärdet und mit einem Hundeschädel
            son, in der Version von Snorri          „behelmt“ ist): Dieser „Hundskopf“
            Sturluson (der von 1178 bis 1242        schlägt Olaf auf denselben, worauf
            lebte). In dieser letzteren wird        dieser als Märtyrer stirbt - er will das
            berichtet, dass man gegen einen         Christentum zwangsweise imple-
            Goldring     einen     Hütehund         mentieren - und zum Heiligen avan-
            tauschte, der aus einer Herde           ciert. Franck und mit ihr Planhol neh-
            von mehreren hundert Kühen              men also mit 1220 die Entstehung
            die markierten Tiere seines Be-         des Hütehundes gut 200 Jahre später
            sitzers wiederfinden und aussor-        an, als er vom Historiker Snorri beur-
            tieren konnte (Franck, 23).             kundet wird. Man mag einwenden,
                                                    dass Snorri als Historiker nicht ganz
          An Francks Auswertung dieses Ab-          ernst zu nehmen sei, er habe einfach
          schnitts aus Snorris Saga ist einiges     isländische Verhältnisse seiner Zeit
          auszusetzen:                              200 Jahre rückversetzt. Dann aber gilt
                                                    außer dem Hinweis, dass Franck und
          1. Franck nimmt an, dass das Gesche-      Planhol Snorri grundsätzlich als be-
          hen des Kapitels 42 sich auf Island       lastbare Quelle verwenden wollen
          oder den Faröern ereignet, wohl weil      und sie deshalb seine Auskünfte
          Snorri von Geburt Isländer ist. Olaf      komplett ernstnehmen sollten, im-
          aber war König von Norwegen, und          mer noch der nächste Einwand:
          Snorri lebte und schrieb in Norwegen
          und nicht auf Island.                     4. Franck übersieht, dass der Hüte-
                                                    hund, den sie bei Isländern wie Snorri
          2. Franck unterschlägt, dass Olaf sich    als bekannt voraussetzt, dem König
          mit seinen Mannen auf einem Raub-         Olaf und seinen Norwegern völlig un-
          zug befindet. Auf Island gibt und gab     bekannt war - sie sind ja überrascht,
          es aber neben den bekannten Pfer-         dass der Bauer seine Rinder so
          den fast auschließlich Schafe, jeden-     schnell identfizieren kann, spekulier-
          falls keine riesigen Rinderherden. Au-    ten sie mit ihrer listigen Bedingung
          ßerdem war Island mit Norwegen            doch auf das Gegenteil: Dass der
          verbündet, jedenfalls politisch und       Bauer seinen Hund zum Sortieren der
          kulturell befreundet und kein Feind       riesigen Rinderherde nutzen wird, ha-
          Norwegens, den man mal eben aus-          ben Olaf und seine Mannen mitnich-
          raubt. Der große Rinderhütehund           ten vorausahnen können, und auch
          kann also mit seinem pfiffigen Bäuer-     deshalb erzählt Snorri dieses Detail
          lein nicht auf Island und auch nicht in   wohl so naturtreu, weil es sowohl auf
          Norwegen leben - sie beide sind in        Island wie in Norwegen unbekannt,
          südlicheren Gefilden zu suchen, wo        woanders aber alltägliches Werkzeug
          Besatzdichte, Weidedauer und Heu-         des Kühers war. Warum sollte Olaf so
          bergung für Rinderherden günstiger        einen tollen Hund gegen einen Gold-
          sind.                                     ring und die Zusicherung zukünftig
                                                    freundlichen Verhaltens tauschen,
          3. Franck unterschlägt oder bemerkt       wenn der Hütehund aus Island alltäg-
          nicht, dass König Olaf nicht um 1220      liche Ware war, wie Planhol und
          lebte, das Jahr, in dem Snorri schreibt   Franck annehmen ... es sei denn, die-
          und in dem Planhol die Kreation des       ser Bauer hätte ihn gerade frisch er-
          Hütehundes auf Island annimmt,            funden. Dann aber hätte der Bauer
          sondern dass Olaf I. bereits im sym-      ihn nicht so gern hergegeben. Wir
          bolträchtigen Jahr 1000 des Herrn         halten fest: Schon im Keim ist Plan-
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hols Theorie mit Geburtsfehlern be-        setzung als „Pudel“ bezeichnet: Er
haftet, die sie an ihrer weiteren Ver-     sorgt in den Ställen der Maultiertrei-
breitung hätten hindern sollen. Ver-       ber für Ordnung; dann den mâtin (~
lassen wir den Norden und wenden           Mastiff) als groben Jagdhund, angeb-
wir uns dem Südosten Europas zu:           lich das Produkt einer Kreuzung zwi-
Obwohl in Festland-Griechenland der        schen Saluki und Zaghari - und
Wolf keineswegs ausgerottet ist,           schließlich den honigfarbenen Schä-
kann sich dort - wie wir Planhols Skiz-    ferhund (in: Bugnion, Les chasses
ze entnehmen - der Hütehund isoliert       médiévales, 2005, 87). Mag auch die
festsetzen: Wie das? Und was macht         „Sorte“ oder „Rasse“ des honigfar-
ihn so interessant für die Insel Kreta,    benen Schäferhunds ein Herden-
dass man ihn dort angeblich irgend-        schutzhund sein, der Gelockte ist es
wann im 20. Jahrhundert importiert,        gewiss nicht. Wir dürfen uns unter
wo die Insel doch gut 8.000 Jahre oh-      ihm vielleicht einen Hund vorstellen,
ne den Import und ohne Wolf und Bär        der dem Tibet-„Terrier“ ähnelt und
auskam? Der einheimische Kritikos          vielleicht zu dessen Vorfahren zählt;
Lagonikos ist ein Vielzweckhund: Er        immerhin gibt es im Irak auch heute
wird auch von den kretischen Schä-         noch einen Booji genannten Hüte-
fern geführt (> Deutsches Hundema-         hund, der bereits auf mesopota-
gazin, 11/2008, S. 21). Die nächste Fra-   mischen Dokumenten zu erkennen
ge an Planhol & Co.: Im Internet           ist. Warum also zählt Planhol nicht
(http://www.coptic.net/pictures/Ta-        auch den arabischen Eselshütehund
bleau.Angel AndShepherds.gif) fand         auf? Weil er seine schöne Theorie
ich eine relativ moderne Darstellung       stört? Insgesamt habe ich jetzt einige
(wahrscheinlich um 1900 zu datieren)       lästerliche Fragen gestellt und Fakten
von der biblischen Verkündigungs-          aufgezählt, die die schöne Theorie
szene an die Hirten (> S. 80): Die In-     Planhols ins Wanken bringen. Damit
ternetquelle schreibt das Bild der         wäre der Fall eigentlich erledigt, und
Kunst der koptischen Kirche Ägyp-          ich käme mir vor wie ein Leichenfled-
tens zu. Hat Planhol hier ein isoliertes   derer an dem armen Monsieur de
Vorkommen des Hütehunds verges-            Planhol, hätte ihn nicht im Jahr 2007
sen? Nein, denn es handelt sich in         die schon erwähnte Emmanuelle
Wahrheit um ein Werk des deutschen         Franck exhumiert und mit seiner
Malers Bernhard Plockhorst (1825 -         Theorie im Gepäck ihre Doktorarbeit
1907). Dem Internet ist also nicht so      an Frankreichs berühmtester Veteri-
ohne weiteres zu trauen. Aber wo wir       när-Universität zu einem überra-
fast schon im Orient waren: Wieso er-      schend erfolgreichen Ende gebracht.
wähnt der arabische Schriftsteller Ibn     Dieses Wissenschaftsniveau wiegt
Mangli in seinem Werk Über die             noch viel schwerer als der Unsinn,
Jagd, das um 1372 entstand, unter          den man neuerdings im Internet le-
den ihm bekannten fünf Hunde„sor-          sen kann, dem zufolge alle Hütehun-
ten“ gleich zwei, die zumindest als        de vom Border Collie abstammen
Herdenhunde in Frage kommen, ei-           sollen. Planhols Unsinn ist also nicht
ner davon sogar als Hütehund? Ibn          tot, sondern lebt und feiert 2007 so-
Mangli übernimmt zu großen Teilen          gar seine universitäre Wiedergeburt -
seine Erkenntnisse aus einem Buch          aus einem kurzen Zeitschriftenbeitrag
des Irakers Al-Asadi, das zwischen         eines französischen Geographen
1237 und 1242 geschrieben wurde.           wird jetzt die Dissertation einer
Ibn Mangli unterscheidet in seinem         französischenTierärztin. Ich habe per-
Abschnitt über die Hunde fünf Arten:       sönlich nichts gegen die 1977 gebo-
Den Saluki als Sichthetzer; den Zag-       rene Emmanuelle, aber es scheint mir
hari (~ eine Art Vorstehhund) als Spür-    doch ein wenig naiv, nach fast 40 Jah-
hund; den Gelockten, den die bereits       ren und in Zeiten des Internets die
interpretierende französische Über-        von Planhol vorgeäffte Theorie voll-
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          Nicht die religiöse Kunst der christlichen Kopten in Ägypten, sondern der deutsche Maler B.
          Plockhorst kann manchmal sehr realistisch sein, zumindest bei der Darstellung eines wehr-
          haften Hütehundes - das Bild entstand vermutlich um 1880. In: http://www.biblical-art.com/bi-
          blicalsubject.asp?id_biblicalsubject=685&pagenum=3).

          kommen unkritisch nachzuäffen.                  len soll? Bezeichnend auch, dass
          Oder ist es nur ihre Strategie, im              Emanuelle ihre Vorgängerin im Irr-
          französischen Mainstream mitzu-                 tum, nämlich Marie-Odile Pioche und
          schwimmen, um an einen Titel zu                 deren Dissertation Contribution à
          kommen, der ihre künftige Praxis fül-           l`Etude du Chien de Berger des Pyré-
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nées (~ Beitrag zur Analyse des Pyre-
näen-Hütehundes), vorgelegt in Nan-
tes 1989, mit keinem Wort erwähnt -
obwohl auch Marie-Odile auf 5 Seiten
die Planhol-Doktrin unkritisch nach-
betet. Verlassen wir die Doktorandin
Emmanuelle und wenden wir uns der
Wurzel dieses Übels, dem Professor
selbst zu: Planhols Theorie zufolge
hat der Hütehund den Herdenschutz-
hund nur ablösen können, weil der
auf den nordischen Inseln arbeitslos
geworden ist ohne Bär und Wolf. Soll-
te man sich dann als Franzose nicht
gleich fragen, warum im eigenen           Auf diesem Fenster aus dem späten 13. oder
Land mit Pyrenäen-Berghund und Py-        frühen 14. Jahrhundert in einer Kirche in
renäen-Hütehund zwei Hundetypen           Karlsruhe sehen wir einen eindeutigen
bis in die 1980er Jahre gemeinsam         Herdenschutzhund: Massiver Körperbau,
an der Herde arbeiteten - in Anwe-        schwere Knochen, typische Kopfstruktur,
senheit von Bär und Wolf, während         eventuell sogar mit Rückbiss, jedenfalls mit
gemäß Planhols Theorie ein striktes       etwas zu lang geratenen und deshalb nicht
Nacheinander vorgesehen ist? Ein          eng genug anliegenden Hängeohren. Kein
Herdenschutzhund ist nacht- und           Mensch käme auf die Idee, hier einen Hüte-
dämmerungsaktiv und synchroni-            hund erkennen zu wollen. Und wir müssen
siert sich so mit den Beutegreifern       zugeben, dass der mittelalterliche Künstler
Wolf und Bär. Oben sehen wir, wie         genau wusste, was für einen Hundetyp er
ein Wolf sich nachts der Herde nähert     darzustellen hatte - das Axiom, mittelalter-
- aber der angebliche Herdenschutz-       liche Tierdarstellungen seien zoologisch
hund schläft wie sein Hirte selig wei-    grundsätzlich irrelevant, sollte man daher
ter. Das ist keineswegs ein herden-       schleunigst vergessen. In: http://www.all-
schutzhundtypisches Verhalten, was        posters.fr/-sp/Vitrail-illustrant-l-annoncia-
in diesem englischen Bestiarium (~        tion-aux-bergers-d-apres-Karlsruhe-c-
mittelalterliche Textsorte: Ein zoolo-    1300-Affiches_i1347845_.htm
gisch angehauchtesTierbuch) des frü-
hen 13. Jahrhunderts geschildert
wird. Auch die Fellfarbe des Hundes       des Lukas-Evangeliums (die drei an-
ist nicht typisch für den Herden-         deren offiziell zugelassenen Evange-
schutzhund, der sich der Farbe seiner     lien erwähnen die Hirten nicht) und
Herdentiere angleicht, um nicht so-       sie gab den dankbaren Illustratoren
gleich als Hund aufzufallen: Der Wolf     der mittelalterlichen Handschriften,
greift nämlich gern an dem Ende der       v.a. der Stundenbücher, die Gelegen-
Herde zu, an dem sich gerade kein         heit, neben den Fantasiegestalten
Hund befindet. Eine abweichende           der drei hohen Herren aus fernen
Fellfarbe wäre geradezu eine Einla-       Landen auch einheimische Typen zu
dung an das Wolfsrudel - es könnte        zeigen, und zwar Leute aus dem Volk,
seinen Widersacher sogleich orten         oft mit zerlumpter Kleidung, was auf
und die Taktik entsprechend ändern.       einen gewissen Realismus in der Dar-
Einen eindeutigen Herdenschutz-           stellung schließen lässt - ein Aus-
hund hingegen sehen wir auf einer         gleich gewissermaßen zu den pom-
Darstellung der Verkündigung an die       pös ausgestatteten Königen: Jesus
Hirten auf einem Kirchenfenster in        ist halt für alle da, für nah und fern le-
Karlsruhe - das Bild entstand um          bende Völker, für reiche und arme
1300 (> oben rechts). Die Verkündi-       Menschen. Die Szene der Anbetung
gung an die Hirten ist eine Spezialität   durch die Hirten und die drei Könige
Seit wann gibt es Hütehunde? 1. Folge: Von Island nach Wales? - Vom Wunderhorn
82 PyPo        Seit wann gibt es Hütehunde?

          an der Krippe, die der Verkündigung        freuen und doch überzeitliche Schlüs-
          chronologisch folgt, ist eine Gelegen-     se daraus ziehen. Die PyPo diesmal
          heit, auch auf die Seele imTier zu ver-    also als eine Art Stundenbuch, ein
          weisen: Immerhin schauen Ochs und          Buch für gewisse Stunden, angefer-
          Esel unverhältnismäßig fromm drein,        tigt für die religiösen reichen Laien,
          als sie plötzlich ein Baby in ihrer Fut-   nicht für die Kleriker. In diesen Stun-
          terkrippe liegen sehen. AuchTiere be-      den können sie das Buch als Gebet-
          ten an - Hundebesitzer können das          buch benutzen und gleichzeitig die
          problemlos bestätigen. Nur unter-          schönen Bilder betrachten, mit de-
          scheiden die Anbeter dabei selten, ob      nen die Stundenbücher je nach Auf-
          es sich wirklich um einen globalen         traggeber mehr oder weniger reich
          Heilsbringer handelt oder doch nur         verziert wurden. Stundenbücher wa-
          um einen Normalmenschen. Manch-            ren im Mittelalter unter den alphabe-
          mal werden die Tiere sogar als die         tisierten Reichen so beliebt, dass sie
          aufmerksameren Teilnehmer an der           heute den größten Anteil an den
          biblischen Szene dargestellt - zum         überkommenen Handschriften stel-
          Nachteil der Menschen. Sieht man           len. Dabei gleicht kein Stundenbuch
          sich im Angebot des Internets unter        dem anderen, obwohl die religiösen
          den Stichworten Schäfer bzw. Hirte         Themen ja die gleichen bleiben:
          sowie Anbetung und Verkündigung            Denn auch wenn man mit Schablo-
          und ihren englischen, französischen,       nen arbeitet, so ergeben sich doch
          italienischen und spanischen Ent-          regional bedingte Unterschiede in
          sprechungen um, dann findet man            der Kleidung, in den Geräten und
          sehr viele Bilder seit dem 12. Jahr-       wahrscheinlich auch in den darge-
          hundert, auf denen auch der Hund           stellten Tieren. Es ist daher sinnvoll,
          mit von der Partie ist. Manche dieser      Planhols Theorie in einem Indizien-
          Hunde sind eindeutig keine Herden-         prozess Land für Land zu überprüfen
          hunde (Hieronymus Bosch malt in            und zu widerlegen und dabei mit den
          seiner Anbetung durch die drei Köni-       Britischen Inseln anzufangen, denn
          ge natürlich nur einen höfischen           hier hat der Hütehund seinen ersten
          Windhund vor der Krippe), manche           Auftritt ja angeblich erst im 15. Jahr-
          sind hingegen nicht eindeutig einer        hundert. Die Ausbreitung des Hüte-
          der Kategorien Herdenschutzhund,           hundes von Island zu den Britischen
          wehrhafter Hütehund und kleiner Hü-        Inseln beschreibt Emmanuelle Franck
          tehund zuzuordnen, aber bei einigen        wie folgt:
          bleibt nur der Schluss übrig, die Exis-
          tenz des kleinen Hütehundes viel frü-        Von dort (~ Island) kommt der
          her als gesichert in Regionen anzu-          Hütehund auf die Britischen In-
          nehmen, als dies nach PlanholsTheo-          seln, ohne Zweifel vermittelt
          rie der Fall sein dürfte. Jeder Fund ei-     durch kleine, spezialisierte, seit
          nes Hütehundes allgemein und jeder           langer Zeit für diesen Gebrauch
          Fund eines kleinen Hütehundes im             auf den Shetland-Inseln bekann-
          Besonderen vor Planhols Zeitgrenzen          te Rassen. Er verbreitet sich dort
          bringt seine Theorie ins Wanken. An-         (~ Britische Inseln) nicht vor dem
          gesichts der Menge der folgenden In-         Beginn der Neuzeit. Die wali-
          dizien darf man sogar annehmen,              sischen Gesetze vom Anfang des
          dass Planhols Theorie haltlos ist. Zu-       13. Jahrhunderts spielen offen-
          sätzlich gewinnen wir den Eindruck,          sichtlich noch an auf den Schutz-
          dass es den kleinen Hütehund früher          hund, wenn sie als Eigenschaft
          als den wehrhaften Hütehund gibt.            eines guten Hundes anzeigen,
          Bilder von der Verkündigung passen           dass er am Morgen vor dem Vieh
          auch ganz gut in die Dezember-Aus-           und am Abend bei der Heimkehr
          gabe der PyPo - und so können wir            hinter ihm geht und dass er in
          uns an einem zeitnahen Thema er-             der Nacht dreimal die Herde um-
Seit wann gibt es Hütehunde? 1. Folge: Von Island nach Wales? - Vom Wunderhorn
Seit wann gibt es Hütehunde?                                              PyPo 83

Schäfer und stehkippohriger Hund schlafen, der Wolf schleicht sich an: Das Folio 19v [dr. 1/3
p.] eines um 1200 bis 1230 in Lincolnshire entstandenen und im Fitzwilliam Museum in Cam-
bridge aufbewahrten altenglischen Bestiariums (MS 254) zeigt einen Wolf, der sich einem
Schafpferch in böser Absicht nähert. Sowohl der Größenunterschied des schlafenden Hun-
des zum Wolf als auch die Tatsache, dass der Hund in der Nacht schläft, und das auch noch
in unmittelbarer Nähe des ebenfalls schlafenden Schäfers, verweisen auf einen Hütehund
und keineswegs auf einen Herdenschutzhund. Ein Herdenschutzhund wäre farbgleich mit
seiner Herde, würde nicht schlafen, und wenn doch, dann nicht in unmittelbarer Nähe des
Hirten. Einzuräumen ist, dass der Größenunterschied nicht nur den Hund betrifft, sondern
auch den Schäfer: Am Ende soll durch die Größe des Wolfs die große Gefahr verbildlicht
werden. In: http://www.fitzmuseum. cam.ac.uk/gallery/cambridgeilluminations/themes/
6.html.

  kreist. Die landwirtschaftliche Li-           Doctor Caius, in seinem Werk Über
  teratur Englands wird diesen                  die Englischen Hunde neben dem
  Hund bis ins 17. Jahrhundert be-              Herdenschutzhund auch den Hüte-
  schreiben, aber seit dem 15.                  hund erwähnt: Daraus aber ableiten
  Jahrhundert hat sich in Wales ei-             zu wollen, den Hütehund gebe es erst
  ne kleine Hütehundrasse entwik-               ab dem 16. Jahrhundert, weil er jetzt
  kelt, die die Herden leitet und bis           endlich erwähnt wird, das ist nicht
  auf die Viehmärkte der Region                 haltbar, wie eine andere Quelle be-
  von London begleitet (Franck,                 legt, auf die ich zum Schluss komme.
  23-4; Übers. JM).                             Betrachten wir zuerst einmal das Bild-
                                                material, das die Existenz eines Hüte-
Die angeblich kleine Hütehundrasse              hundes bezeugt - sei er eher groß und
aus Wales wird aber 1876 von Pierre             wehrhaft oder eher klein und je nach
Mégnin mit dem Old English Sheep-               Beutegreiferbesatz auf die Koopera-
dog, also dem Bobtail identifiziert -           tion mit einem Herdenschutzhund
mag sein, dass Franck den wali-                 angewiesen: Auf einem Folio des zwi-
sischen Heeler meint. Wie riskant es            schen 1200 und 1230 entstandenen
ist, aus dem Schweigen über einen               Lincolnshire-Bestiariums sehen wir
Gegenstand auf seine Nichtexistenz              einen Hund beim schlafenden Schä-
zu schließen, werden wir gleich se-             fer (> oben), der aufgrund mehrerer
hen - und wir haben einfach Glück,              Indizien eher ein Hütehund, vielleicht
dass Mitte des 16. Jahrhunderts der             ein großer, wehrhafter Hütehund ist
Arzt John Kays, besser bekannt als              als ein reiner Herdenschutzhund.
Seit wann gibt es Hütehunde? 1. Folge: Von Island nach Wales? - Vom Wunderhorn
84 PyPo        Seit wann gibt es Hütehunde?

          Im „Aberdeen Bestiary“ heißt es über den Wolf: Er „nähert sich dem Schafpferch wie ein
          Hund, heimlich und lautlos, ohne den Schäfer aufzuwecken. Seine Augen scheinen in der
          Nacht wie Lampen.“ In: http://www.abdn.ac.uk/bestiary/translat/16v.hti. Leider konnte ich
          nicht das passende Bild zu folgender Angabe zu einem anderen Bestiarium finden: “In the
          14th Cent. Bestiary in the British Museum (Slo. 3544) the wolf is drawn biting its paw. A dog
          is giving the alarm from a fold which contains three sheep, and a man is sounding a horn for
          help just behind.” Die Beschreibung ähnelt dem obigen Bild, deckt sich aber nicht ganz mit
          ihm, denn hier schlägt zwar ein falber Hund auf dem Pferchdach Alarm, um den Schäfer zu
          wecken, aber im Pferch sehe ich vier Schafe, nicht drei. Außerdem verstümmelt dieser Wolf
          nicht bestrafend diejenige seiner Pfoten, die das Geräusch verursachte, das den Hund ge-
          weckt hat (in: www.oldandsold.com/books/symbolism-6.shtml). In der 3. Folge über die
          wahre Geschichte des Hütehundes werden Sie eine französische Miniatur sehen, die der
          oben zitierten Beschreibung ziemlich genau entspricht.

          Im Bestiarium von Aberdeen sehen                re Fundgrube für Hütehunde in Bri-
          wir einen Hund auf dem Dach eines               tannien vor ihrer angeblichen Einbür-
          Schafstalls (> oben), der Alarm                 gerung (> S. 85): Links sehen wir die
          schlägt gegen den Wolf. Seine Verhal-           Hirten, wie sie der Verkündigung des
          tensdarstellung spricht mehr dafür, in          Engels lauschen, rechts ist das Kind
          ihm einen Hütehund als einen Her-               in der Krippe dargestellt. Der Engel
          denschutzhund zu sehen. Auch hier               zeigt mit seiner Rechten auf die Hir-
          dürfte der Größenunterschied zwi-               ten, die weiter rechts von ihm stehen,
          schen dem Wolf einerseits und Schä-             und seinem Gürtel scheint sich eine
          fer, Hund und Schafen andrerseits ky-           Gebetsrolle zu entwinden, auf der die
          nologisch nicht belastbar sein.                 Worte seiner Verheißung bereits
          Gleichwohl sind die Größenrelatio-              schriftlich fixiert sind. Ob diese Schä-
          nen innerhalb der Gruppe von Schä-              fer schon lesen konnten? Der dem En-
          fer, Hund und Schafen gewahrt. Und              gel nächste Schäfer hält seinen Hut in
          das spricht mehr für einen wehrhaf-             der Hand, er trägt einen dunkelroten
          ten Hütehund als für einen Herden-              Rock. Der zweite Schäfer, hinter dem
          schutzhund. Ein um 1250 angefertig-             ersten und zumTeil von ihm verdeckt,
          tes Wandbild in der Kirche zu As-               spielt auf dem Dudelsack, der die lin-
          hampstead in Berkshire ist eine wah-            ke Schulter des ersten Schäfers
Seit wann gibt es Hütehunde?                                              PyPo 85

Gesamtansicht der Malerei an der Nordwand des Schiffs der Pfarrkirche von Ashamp-
stead/Berkshire in England mit den Hauptszenen der frühen Jesus-Kindheit: Im rechten
Viertel sehen wir die Verkündigung an die Hirten (Detailansicht > unten). Die Wandmalerei
wird auf das zweite Viertel des 13. Jahrhunderts datiert. Sie entstand unter dem Einfluss der
Benediktinerabtei von Lyre nahe bei Évreux in der Normandie. Diese Abtei besaß Land in
Berkshire bis zum Jahr 1377. Der Wandmaler kam wahrscheinlich aus einer Benediktiner-
abtei im Westen Englands, vermutlich von Windsor oder von Winchester, und war wahr-
scheinlich Engländer. Wir dürfen annehmen, dass er englisches und nicht nordfranzösisches
Landleben in die Hirtenszene einbrachte. Aber selbst wenn es normannische Hirten sein
sollten: Der Auftritt des Hütehundes in einer Wandmalerei des 2. Viertels des 13. Jahrhun-
derts legt nahe, seine Existenz noch früher, keinesfalls jedoch später anzusetzen. Unten
rechts: Ausschnitt aus der Gesamtansicht der Wandmalerei: Um 1250 werden in der kleinen
Pfarrkirche von Ashampstead in Berkshire auf einer Wandmalerei drei Hirten bei der Verkün-
digung durch den Engel dargestellt - und im Zentrum der Szene sehen wir zwei kleine Hunde,
auch der Kommentator der Wandmalerei sieht “two small dogs”. Einer der beiden ist in Rot
gemalt und schaut zum Engel empor, der andere ist mit weißlichen Farbpigmenten und einer
Rute mit „Schäferhaken“ dargestellt. Er wird in der gleichen Haltung gezeigt, aber er sieht
nicht zum Engel, sondern zum dritten Schäfer nach rechts, der leider nur noch in Ansätzen er-
halten ist. In: http://www.paintedchurch.org/ashamnat.htm

streift. Kopf und Körper des dritten
Schäfers - am äußersten rechten Bild-
rand - sind fast vollständig verloren,
aber ein Bein und ein Fuß sowie der
Stab, auf den er sich stützt, sind noch
zu sehen. Im Mittelpunkt der Szene
aber befinden sich zwei kleine Hunde
- two small dogs, wie auch der Kom-
mentator meint: Der eine von röt-
licher Fellfarbe, er blickt zum Engel
hin; der andere, mit weißlichen Pig-
menten gemalt und einer leicht ein-
gerollten Rute, sieht aber - zwar mit
derselben Körperhaltung wie sein
Kollege - nicht zum Engel, sondern
zum dritten Schäfer hin. Die Mannbe-
zogenheit ist ein wesentliches Indiz
für den Hütehund, die unterschiedli-
che Fellfarbe kann auch auf das Prin-
zip des Malers zurückgehen, sein Bild
möglichst abwechslungsreich zu ge-
stalten. Es handelt sich - und das ist
86 PyPo        Seit wann gibt es Hütehunde?

          In einem gotischen Manuskript aus dem 13. Jahrhundert (1190-1250), das in der Bodleian Library
          unter der Nummer MS Gough liturg. 2 aufbewahrt wird, sehen wir auf Folio 14 die Verkündigung
          an drei Schäfer mit einem Herdenhund, der entweder ein wehrhafter Hütehund oder doch eher
          ein Herdenschutzhund ist (auch wegen der Lende und der Arroundera seiner Rute). In:
          http://med-imag.english.cam.ac.uk/ scholars_resources.ap

          das Wesentliche - eindeutig um kleine           wahrnimmt und den der Kommenta-
          Hunde, und der Kontext legt nahe, in            tor des Bildes einen mongrel dog (~
          ihnen Hütehunde zu erkennen.                    Mischling) nennt.

          In einem Manuskript aus dem 13.                 Im Queen Mary s Psalter (> S. 87 eine
          Jahrhundert (> oben), das in Oxford             andere Szene, die mit hoher Wahr-
          in der Bodleian Library aufbewahrt              scheinlichkeit aus Queen Mary s Psal-
          wird, sehen wir bei der Verkündi-               ter stammt) aus dem 14. Jahrhundert,
          gungsszene auf einem grünen Hügel               zuerst im Besitz der Tudor-Königin
          wieder mehrere Schäfer beim Em-                 Mary (daher der Name), werden auf
          pfang der frohen Botschaft: Prinzip ist         dem Kalenderblatt zum Monat März
          wohl, mindestens einen jungen und               (Tafeln 127 und 128) u.a. zwei Schäfer
          einen alten Schäfer darzustellen. Hier          dargestellt, von denen einer einen
          ist der jüngere der aufgewecktere,              Hund an der Leine hält. Auf Folio 112
          denn er gestikuliert aufgeregt zu sei-          (Tafel 162), am Ende des 25. Psalters,
          nem älteren, barfüßigen Kollegen                wird die Verkündigung an zwei Schä-
          hinüber, auf den Engel weisend. Der             fer in Bethlehem gezeigt, einer mit ei-
          dritte Schäfer, der in der Mitte steht,         nem Hund, der andere den Dudelsack
          ist seiner Position entsprechend mitt-          spielend. Leider konnte ich keine re-
          leren Alters. Sie alle sind mit einem           produzierbaren Bilder zu diesen An-
          etwas zu offenen Schäferstab ausge-             gaben finden. Und wo wir gerade bei
          rüstet und beaufsichtigen eine ge-              Bildquellen sind, die nicht mehr re-
          mischte Herde aus Ziegen, Schafen               produzierbar sind, kann ich gleich an-
          und einem Schwein. Sie werden be-               fügen eine Wandmalerei aus der Kir-
          gleitet von einem Hund, der von sei-            che zu Wissington in Suffolk, von der
          nem Körperbau her eindeutig die                 ich ebenfalls nur eine Beschreibung
          Funktion eines Herdenschutzhundes               habe: Die Malerei stammt aus dem
Seit wann gibt es Hütehunde?                                               PyPo 87

Ein anderes, von mir z.Z. noch nicht präzisierbares Bestiarium aus dem Mittelalter (sehr wahr-
scheinlich aus dem Queen Mary s Psalter das Folio 122) zeigt den deutlichen Größenunterschied
zwischen Wolf und windhundähnlich gebautem Hütehund; niemand wird in diesem stehkippoh-
rigen Hund einen Herdenschutzhund erkennen wollen.
In: http://peromniasaecula.blogspot.com/2007/10/bride-of-wmam.html.

späten 13. Jahrhundert - sie wird auf           haben? Die Mentalität der Schäfer ist
1290 datiert - und zeigt u.a. die Ver-          hinreichend bekannt und hat sich bis
kündigungsszene in zwei Teilen: In              heute kaum verändert: Für einen un-
der linken Hälfte steht links am Rand           nützen Hund war bei der Herde kein
der Engel mit seiner Gebetsrolle,               Platz, der Hund musste sich durch Ar-
rechts von ihm ein Schäfer, der sich            beit beweisen. Da bleibt für einen
auf seinen Stab stützt.                         kleinen Hund nur noch das Anforde-
                                                rungsprofil des Hütehundes übrig. So
  He once had a small dog, visibly              einen kleinen Hütehund sehen wir
  barking at the strange sight, but             mit scharfem Auge in einer der klein
  this has faded into invisibility.             gekammerten, dramatisch wirkenden
  There may have been another                   Illustrationen der Holkham-Bibel, die
  shepherd beside him.                          in England um 1320 bis 1330 für ei-
                                                nen Dominikaner-Pater entstanden
  Vormals hatte er einen kleinen                ist und die in ihren Bildern eine ein-
  Hund, sichtlich bellend bei dem               zigartig konkrete Sicht auf die Umge-
  fremdartigen Anblick, aber das                bung des mittelalterlichen London
  ist zur Unsichtbarkeit hin ver-               anbietet und faszinierende Einblicke
  blichen. Da mag auch ein zweiter              ins mittelterliche Alltagsleben ge-
  Schäfer neben ihm gewesen                     währt: Hier sehen wir ebenfalls inter-
  sein (in: http://www.painted-                 essante kleine Hunde (> S. 88-89).
  church.org/index.htm).
                                                Die englische Mediävistin Michelle
Auch hier müssen wir uns auf den                Brown schwärmt von dieser Bibel als
Kommentator verlassen - und warum               einer unvergleichlichen Fundquelle
auch nicht: Er spricht eindeutig von            für konkrete Informationen über die
einem kleinen Hund, der keineswegs              mittelalterliche Kultur. Wer sie dabei
ein Herdenschutzhund gewesen sein               live erleben will, der schalte doch ein-
kann, auch wenn die in früheren Zei-            mal die folgende Adresse ein:
ten nicht ganz so groß waren wie                http://www. bl.uk/onlinegallery/featu-
heute - die Widerristhöhe dürfte wohl           res/sacred/videoholkham.html. Uns
von 55 oder 60 cm bis zu 80 cm und              genügt die Erkenntnis, dass hier ein
mehr reichen. Sollte der Schäfer also           unbezweifelbares Zeugnis für den
nur seinen Schoßhund dabei gehabt               Hütehund vorliegt im Bild der Szene
88 PyPo        Seit wann gibt es Hütehunde?

          Das Bild N° 230 aus der „Holkham“-Bibel, die zwischen 1320 und 1330 entstand, zeigt die Op-
          ferszene von Kain und Abel : Unten links sehen wir Vater Adam, der seine Söhne zu ange-
          messenen Opfern ermahnt. Kain steht in der Mitte, Abel rechts - schon fast in der Pose des
          Guten Hirten. Er hält einen Hirtenstab in der Hand, ist mit einem Schaffell bekleidet und wird
          von mindestens einem kleinen Hund begleitet, den er an der Leine hält. In der oberen Hälfte,
          über Adam, sehen wir Abel einen Widder opfern - und der Rauch steigt empor zum Adres-
          saten des Opfers. Kain hat mit der Windrichtung weniger Glück: Der Rauch sinkt ins aufge-
          rissene Maul der Hölle hinab - und Kain erschlägt im Affekt seinen Bruder. So in etwa könnte
          man den ersten „Tatort“ zusammenfassen, bei dem wir - wie immer im CBP - in der 1. Reihe
          sitzen. Abels kleiner, whippetähnlicher Hund ist definitiv kein Herdenschutzhund, kaum ein
          wehrhafter Hütehund, er kann am besten als kleiner Hütehund aufgefasst werden. In:
          http://med-imag. english.cam.ac.uk/zoomtest.asp?id=230
Seit wann gibt es Hütehunde?                                           PyPo 89

                                                 Detail aus dem Ausschnitt vom Folio 13 der
                                                 Holkham-Bibel.

Ein Ausschnitt aus der „Holkham“-Bibel (um         all the details of implements and
1320 bis 1330) zeigt Abel mit einem kleinen        harness in this picture of rural
Hütehund. Gesamtansicht des Folio > links.         life are apparently carefully and
Unten: Folio 13 der Holkham-Bibel zeigt u.a.       knowledgeably drawn,
die Verkündigung an die Hirten: Wir sehen
einen Hund, der klein ist, leicht gebaut, mit      dass alle Details ... in dieser Dar-
einem Kopf, der im Verhältnis zum Körper re-       stellung ländlichen Lebens of-
lativ klein ist, und mit Stehohren - kurz: Ein     fensichtlich sorgfältig und sach-
kleiner Hütehund, und das zwischen 1320 und        kundig gezeichnet wurden,
1330. In: http:// www.imagesonline.bl.uk/ re-
sults.asp?image=075423&imagex=92&se-             wie die Herausgeber ebenso sach-
archnum=0002                                     kundig befinden (Hassall 1954, 68-9).
                                                 Wenn dem so ist, dann dürfen wir
                                                 den kleinen whippetähnlichen Hund
                                                 in der Kainsszene der Holkham-Bibel
                                                 als Hütehund erkennen, dargestellt
                                                 und veröffentlicht zwischen 1320 und
                                                 1330. Ebenfalls in der noch franzö-
                                                 sisch getexteten Holkham-Bibel fin-
                                                 den wir auf Folio 13 eine Ankündi-
                                                 gung an die Hirten, die ihre Schafe
                                                 hüten mit einem eindeutig kleinen
                                                 Hütehund (> links & oben), der wahr-
                                                 scheinlich typgleich ist mit Abels we-
von Kain und Abel: Hier wird Abel                niger gut erkennbarem Hütehund.
von einem Hund begleitet (> ganz
oben ein Ausschnitt), den das künfti-            Um 1320 wurde die Macclesfield
ge Mordopfer an der Leine hält. Ob               Psalter genannte Handschrift (> S. 90)
der Hund den Mörder Kain bei des-                in England angefertigt - drei Indizien
sen Attacke nicht wenigstens gebis-              (Fellfarbe, Mannbezogenheit, graziler
sen hat - vielleicht an der Stirn? Dann          Körperbau) sprechen bei der Verkün-
wüssten wir auch, wer Kain das be-               digungsszene für einen kleinen Hüte-
rühmte Kainsmal wirklich verpasst                hund. Auch im Luttrell Psalter wird
hat. Egal: Worauf es ankommt, das ist            das englische Landleben mit seinen
die Tatsache, dass                               Berufsgruppen wie z.B. Schäfer oder
90 PyPo        Seit wann gibt es Hütehunde?

          Oben: Die Verkündigungsszene im „Macclesfield Psalter“ zeigt einen Hund, der von seiner
          Mannbezogenheit auf den Schäfer und von der Fellfarbe her als Hütehund, und zwar eher als
          kleiner denn als wehrhafter Hütehund interpretiert werden kann. In: The Art Fund - Shop -
          Macclesfield Psalter - Annunciation to the Shepherds. Unten: Das Folio 158 aus der „Luttrell-
          Psalter“ genannten Handschrift, die zwischen 1325 und 1335 angefertigt wurde in Lincolnshire
          - es zeigt des Müllers knurrenden Hund, d.h. des ostenglischen Windmüllers Hund natürlich.
          I                                             n                                             :
          http://www.redruth.cornwall.sch.uk/curriculum/History/lutt/The%20Luttrell%20Psalter%20134

          Müller sehr akkurat wiedergegeben               den Illustrationen zwischen 1325 und
          (> oben), wie die fachkundige Kom-              1335 im Auftrag von Sir Geoffrey Lutt-
          mentatorin Michelle Brown weiß: Die             rell, einem Großgrundbesitzer in
          Handschrift entstand zusammen mit               Lincolnshire. Ein Schreiber und sie-
Seit wann gibt es Hütehunde?                                              PyPo 91

Ein Kirchenfenster, das zwischen 1325 und 1350 datiert wird und heute im Victoria and Albert
Museum in London aufbewahrt wird, zeigt uns einen kleinen Hütehund von gelblich-falber Fell-
farbe. Diese Farbe wird uns nicht zu überzogenen Schlussfolgerungen verleiten, da auch der
Schäfer links und v.a. der Engel teilweise mit der gleichen Farbe dargestellt werden. Dennoch
bleibt der Kontrast zwischen den weißen Schafen und dem andersfarbigen Hütehund ein für
meine Argumentation verwertbares Indiz. In: http://med-imag.english.cam.ac.uk/zoomtest.
asp?id=574. Unten: Ein um 90° im UZS gedrehter Ausschnitt mit dem kleinen, grazil gebauten
Hütehund, dem „small dog who is guarding horned sheep“. In: http://med-imag.english.
cam.ac.uk/zoomtest.asp?id=574

ben Zeichner waren vollauf damit be-
schäftigt, ihre Zeit den biblischen
Psalmen zu widmen - und sie haben
sich viel Mühe gegeben. So sehen wir
diesmal zwar keinen Schäfer, son-
dern einen Müller, der seine Mühle
von einem Hofhund bewachen lässt.
Müller und Hund - das ist also auch
eine alte Tradition, die uns in diesem
Zusammenhang aber nicht weiter in-
teressieren darf. Dafür nehmen wir
abschließend erfreut ein Kirchen-               and Albert Museum in London unter
fenster aus dem 14. Jahrhundert zur             der Katalognummer VandA 2270-
Kenntnis, das sich heute im Victoria            1900 befindet (> oben). In einem klei-
92 PyPo        Seit wann gibt es Hütehunde?

          nen Rundfenster erscheint ein Engel        mittelalterliche Kommentator hier
          zwei Schäfern, von denen einer sei-        schon einen Proto-Border-Collie vor
          nen Kopf mit einer Kapuze bedeckt          Augen hat. Jedenfalls steht eindeutig
          und in der Hand den Schäferstab hält,      fest, dass es auf den britischen Inseln
          während der andere zwar barhäuptig,        neben dem großen, massiv gebauten
          aber mit der Kapuze im Nacken, den         Herdenschutzhund auch den kleinen,
          Dudelsack spielt. Der Engel zeigt auf      leichten und wendigen Hütehund
          zwei Sterne am rechten Rand des            schon im Mittelalter gab.
          Rundfensters. Neben den Schäfern
          sehen wir einen kleinen Hund, und          Das bestätigt ohne jede Abbildung,
          nicht nur Kynologen auf der Spur des       dafür aber im Wortlaut eindeutig und
          Hütehundes erkennen hier einen sol-        definitiv 1577 William Harrison in sei-
          chen, sondern auch der fachkundige         ner Description of Elizabethan Eng-
          Kommentator des Fensters bemerkt:          land:

            Beside the shepherds is a small            Dogs of the homely kind are ei-
            dog who is guarding horned                 ther shepherd s curs or mastiffs.
            sheep (in: Alexander, J. & Binski,         The first are so common that it
            P. (eds), Age of Chivalry: Art in          needeth me not to speak of them.
            Plantagenet England 1200-1400,             Their use also is so well known in
            London 1986, 291).                         keeping the herd together (either
                                                       when they grass or go before the
          Es ist also wieder ein small dog, der        shepherd) that it should be but in
          weder mit einem wehrhaften Hüte-             vain to spend any time about
          hund à la Picard, Malinois oder Hol-         them. Wherefore I will leave this
          ländischer Hütehund noch mit einem           cur unto his own kind, and go in
          Herdenschutzhund verwechselt wer-            hand with the mastiff, tie dog, or
          den kann. Sollen wir eine kurze bri-         band dog, so called because ma-
          tische und kritische Bilanz hinsichtlich     ny of them are tied up in chains
          der Theorie von Planhol ziehen, so           and strong bonds in the daytime,
          können wir sagen, dass seine Datie-          for doing hurt abroad, which is a
          rung der Hütehundstationen von Is-           huge dog, stubborn, ugly, eager,
          land zum Kontinent schon auf den             burthenous of body (and there-
          Britischen Inseln ins Stocken gerät.         fore of but little swiftness), terri-
                                                       ble and fearful to behold.
          Wir erkennen, dass zumindest im
          Kontext von kirchlich beglaubigten           Hunde der einfachen (~ schlich-
          Wundern der Hütehund schon vor               ten) Art sind sowohl des Schä-
          Planhols Zeitgrenze erscheinen darf.         fers Köter als auch Mastiff. Die
          Für dieses Wunder sind wir natürlich         ersten sind so bekannt, dass ich
          besonders dankbar, erscheint der hei-        sie nicht eigens vorstellen muss.
          lige Xavier de Planhol so doch als fal-      Auch ihr Gebrauch ist so gut be-
          scher Prophet. Noch ein letzter bri-         kannt, indem sie die Herde zu-
          tischer Hinweis:                             sammenhalten(entweder wenn
                                                       sie grast oder vor dem Schäfer
          Im Aberdeen Bestiary (~Tierbuch von          hergeht), dass es überflüssig wä-
          Aberdeen) wird u.a. der Wolf in Bild         re, noch weitere Zeilen auf sie zu
          und Wort beschrieben. Seine Art, sich        verwenden. Deshalb überlasse
          in räuberischer Absicht der Herde            ich diesen Köter seiner eigenen
          nachts zu nähern, wird explizit ver-         Art, und betrachte näher den
          glichen mit der Verhaltensweise eines        Mastiff, den angebundenen
          zahmen Hundes (> S. 84) - das lässt          Hund oder Kettenhund, so ge-
          offen, ob hier an einen wildernden           nannt, weil viele von ihnen an-
          Hund gedacht wird oder ob der                gebunden sind mit Ketten und
Seit wann gibt es Hütehunde?                                     PyPo 93
  starken Leinen tagsüber, weil sie      tiff wird ausdrücklich gesagt, dass er
  sonst Menschen verletzen könn-         weniger wendig und schnell ist und
  ten - es ist ein riesiger Hund, ei-    dass das mit seiner Grundfunktion zu-
  gensinnig, hässlich, heftig, mit       sammenhängt. Harrison weiß also
  schwerem Körper, und daher             genau, wovon er spricht - und wir
  von nur geringer Geschwindig-          erkennen auf den mittelalterlichen Bil-
  keit, schrecklich und furchtbar        dern genau diese anatomisch-
  anzusehen (in: William Harrison        psychologische       Entgegensetzung
  (1534-1593), Description Of Eli-       wieder: Das spricht für dieThese, dass
  zabethan England, Kap. 15: Of          diese Gebrauchstypen entgegen
  Our English Dogs AndTheir Qua-         Planhols Doktrin schon vor dem 15.
  lities (in der Auflage von 1577 im     Jahrhundert auf den Britischen Inseln
  3. Buch, Kap. 13; in der Auflage       tätig waren. Wie weit aber können wir
  von 1587 auch im 3. Buch, aber         auf der Insel zurückgehen in der Zeit?
  im Kapitel 7).                         Nur bis zum ersten im Mittelalter
                                         durch altenglische Bilddokumente be-
Der Hütehund wird als cur (heute nur     glaubigten Hütehund? Wer Planhols
noch abwertend gebraucht wie im          Doktrin nicht kennt, der ist natürlich
Deutschen Köter) dem mastiff entge-      viel unbefangener mit der Frühdatie-
gengestellt: Der cur als Hütehund ist    rung von Hütehunden. So z.B. die Ku-
leider um 1577 so allgemein bekannt,     ratoren des Alexander-Keiller-Muse-
dass Harrison ihn und seine Arbeits-     ums in Avebury in Wiltshire: Hier in
weise kaum beschreibt - er denkt lei-    der Region von Stonehenge gibt es
der nicht an spätere Leser oder gar      auch ältere Kultorte, Silbury und auch
Professoren. Aber immerhin wird          Avebury selbst, sie alle sind megali-
klar, dass der cur der Hund des Schä-    thische Weiterentwicklungen des neo-
fers ist, und im cur mag vielleicht      lithischen Bergheiligtums Windmill
schon eine abwertende Tendenz mit-       Hill. Dieser „Hügel des Windmüllers“
schwingen, sind die Schäfer doch al-     zählt zu den frühesten Fundorten von
lein schon wegen ihres Einsatzortes      Ackerbau und Viehzucht auf den Briti-
vom übrigen Dorfleben abgeschie-         schen Inseln - die neue Wirtschafts-
den und deshalb „Außenseiter“. Der       weise der Produktion von Nahrungs-
cur hält die Herde zusammen, wenn        mitteln löste Sammeln und Jagen als
sie grast oder wenn sie vor (!) dem      nur aneignende Wirtschaftsweise ab.
Schäfer zur nächsten Weide zieht.        Die neue „Technologie“ kam aber
Merkwürdig ist, dass Harrison sich       nicht von Island zur Insel, sondern
bemüßigt fühlt, die Beschreibung des     vom Kontinent. Und mit ihr kam ein
mastiff in der Funktion als Hof- und     Produktionsmittel, ohne das diese
Herdenschutzhund besonders zu le-        Technologie nicht oder jedenfalls
gitimieren, während er sich gleich-      nicht so gut funktioniert hätte: Der Hü-
sam bei seinen Lesern dafür ent-         tehund nämlich. Ihn hat man in Wind-
schuldigt, den cur überhaupt zu er-      mill Hill gefunden. Ich habe ihn schon
wähnen. Man muss doch den Ein-           einmal in der PyPo vorgestellt (> N°
druck gewinnen, dass entgegen der        85, S. 40-57) und begnüge mich hier
Theorie Planhols der Hütehund so         mit einem neuen Foto von seinem
sehr im Bewusstsein von Harrisons        Skelett (> S. 94) und der Frage der Ku-
Zeitgenossen verankert ist, dass sei-    ratoren: War dieser Hund ein Jagd-
ne Tradition älter ist, als Planhol es   oder ein Hütehund? Er war wahr-
zulässt. Während die Tradition des       scheinlich beides, ja, er war ein Viel-
mastiff - so jedenfalls bei Harrison -   zweckhund, und u.a. war dieser um
neueren Datums sein muss. Das stellt     50 cm große Hund auch ein flinker
PlanholsTheorie zwar nicht vom Kopf      Hütehund, der Schafe und Schweine
auf die Füße, lässt sie aber doch mehr   zusammenhalten musste - wie auf
als zweifelhaft erscheinen. Zum mas-     Kreta der Kritikos Lagonikos heute
94 PyPo        Seit wann gibt es Hütehunde?

          Links das Skelett des Hütehundes vom Windmill Hill, rechts das Skelett eines wuseligen Fer-
          kels - ein flinkes und widerspenstiges Objekt des Hütetriebs. Foto: Claudia Müller.

          noch ein whippetähnlicher Vielzweck-
          hund ist, der dort auch und v.a. von
          Schäfern eingesetzt wird. Und das
          war in England vor ca. 5700 Jahren
          auch der Fall. Tja, Monsieur de Plan-
          hol, das sieht schlecht aus für Ihre
          Doktrin.

          Zum Abschluss des britischen Kapi-
          tels und zur Rückbesinnung auf den
          frommen Anlass unserer Jesus-Tour
          lassen wir uns unsere negative Ein-
          schätzung der Planhol-Doktrin durch
          eine Wandmalerei aus der Kirche in
          Faversham in der Grafschaft Kent be-
          stärken (> S. 95 & rechts ein Aus-
          schnitt): Hier sehen wir auf einer be-
          malten Säule aus dem frühen 14.
          Jahrhundert links den Engel der Ver-
          kündigung und rechts einen Hirten,
          der sich auf seinen Hirtenstab stützt
          und der begleitet wird von einem klei-
          nen, mit weißlichen Pigmenten dar-
          gestellten Hund: Dieser Hund bellt
          den Engel an. Eine leider berechtigte
          Reaktion, denn der Hund wird als re-
          ligiöses Kult- und Symboltier großen              At the far left is the youthful-loo-
          Schaden nehmen in der neuen Religi-               king Angel, who extends his
          on, die der vom Engel angekündigte                right hand and arm towards a
          Jesus stiften wird.                               shepherd who kneels, supported
Seit wann gibt es Hütehunde?                                               PyPo 95

Die Jesus-Story fängt in Faversham in der Grafschaft Kent auf einer bemalten Säule mit der
Verkündigung durch den Engel an die Hirten an und wird fortgesetzt mit Szenen an der
Krippe. Der Engel auf der linken Seite wirkt sehr jugendlich, er streckt den rechten Arm aus
zu einem knienden, nachdenklich lauschenden Schäfer, der sich dabei auf seinen Hirtenstab
stützt. Sein kleiner, weißlicher Hund - der Kommentator spricht von einem „small white dog“
- sitzt sehr aufrecht, d.h. gespannt im unteren, linken Viertel und bellt den Engel an. Auf der
anderen Seite der Säule - hier nicht abgebildet - steht ein zweiter Schäfer, dessen Haltung
und Mienenspiel sehr deutlich verrät, wie erstaunt er über diese Erscheinung ist - in gewisser
Weise ist er ebenso überrascht wie der Hund. Dieser kleine und weißliche Hund kann nur
ein Hütehund sein - und das im frühen 14. Jahrhundert: Er kommt für Planhol ein ganzes
Jahrhundert zu früh. In: http://www.paintedchurch.org/favernat.htm

  on his staff, at the near left. His            Der whippetähnliche Grundtyp des
  small white dog, sitting very up-              „britischen“ Hütehundes hält sich
  right on its haunches at the lower             über mehrere Jahrhunderte, und
  left, barks at the Angel (in:                  auch der Hund vom Windmill Hill ist
  http://www.paintedchurch.org/fa                whippetähnlich gebaut, von der Grö-
  vernat.htm).                                   ße, der Knochensubstanz und den
96 PyPo        Seit wann gibt es Hütehunde?

          “Shepherd Boys with Dogs Fighting” - von Thomas Gainsborough (1727-1788) vor 1783 ge-
          malt: Zwei Hütehunde, die sich zu wehren wissen. In: http://www.paintingall.com/
          product.php?productid=17450

          Längenverhältnissen der Gliedmaßen          oben) noch fast kommentarlos drei
          her. Dieser „Hütehund“ war als Viel-        Darstellungen neueren Datums, um
          zweckhund Traber wie Galopper. Be-          den ästhetischen und informativen
          trachten wir zum Abschluss unserer          Wert der mittelalterlichen Bilder bes-
          britischen Folge nach Thomas Gains-         ser erfassen zu können. Zuerst die
          boroughs kämpfenden Hütehunden              Verkündigung an die Schäfer von Wil-
          aus dem späten 18. Jahrhundert (>           liam Blake (1757-1827), ungefähr um
Seit wann gibt es Hütehunde?                                              PyPo 97

Die Verkündigung an die Hirten - wie sie sich um 1815 William Blake (1757-1827) vorstellt ...
immerhin mit Hund. In: http://emu.man.ac.uk/emuwebwag/objects/common/web
media.php?irn=4626&reftable=ecatalogue&refirn=83

1815 produziert (> oben). Das Bild be-          in a Moonlit Meadow (> 98). Noch ein
findet sich heute in The Huntington             weiteres Bild von Wetherbee, um
Library, Art Collections, and Botanical         1890, zwar ohne Mondlicht, aber für
Gardens in San Marino in Kalifornien.           mich stimmungsvoller als die Postkar-
Und ein zweites Bild, diesmal nicht re-         tenidylle, wenn auch kynologisch et-
ligiös inspiriert wie bei Blake, aber für       was unscharf, zeigt den Schäfer mit
kynologisch Interessierte etwas be-             Hund und Herde bei der Rückkehr
langreicher: Es ist ein Werk des ame-           zum Stall. In der nächsten PyPo be-
rikanischen Malers George Faulkner              leuchte ich bei Tageslicht Planhols
Wetherbee (1851-1920) und heißt A               Hütehund-Theorie am Beispiel der Al-
Shepherdess with her Dog and Flock              ten Niederlande.
98 PyPo   Seit wann gibt es Hütehunde?

                                         Eine Schäferin mit
                                         Hund und Herde auf
                                         mondheller Weide -
                                         wie George Faulk-
                                         ner       Wetherbee
                                         (1851 - 1920) sich
                                         das Landleben so
                                         vorstellt. In der Pri-
                                         vate        Collection
                                         Christie's Images
                                         Art. N°: CH28066. In:
                                         http://www. myart-
                                         prints.co.uk/a/wet-
                                         herbee-george-
                                         faulkner/a-shepher-
                                         d e s s - w i t h - h e r-
                                         do.html.
                                         Unten: Hirt und
                                         Herde kehren heim
                                         - um 1890, auch von
                                         Wetherbee.             In:
                                         http://www. kunst-
                                         fuer-alle.de/
                                         deutsch/kunst/ku-
                                         enstler/kunst-
                                         druck…-faulkner-
                                         wetherbee/
                                         15720/2/108999/end
                                         -of-the-day,1890/
                                         index.htm
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