Strukturelle Barrieren und Schwellen der Inanspruchnahme

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Strukturelle Barrieren

                                                                                                       Nicole Rosenbauer

                                        Strukturelle Barrieren
                                           und Schwellen der
                                            Inanspruchnahme

                                                                                       Risikofaktoren für produktive
                                                                 Aneignungsprozesse von Hilfen zur Erziehung
Freepik

          S
                chwellen und Barrieren kön-     den jeweils institutionalisierten      Relevanzen, den jeweiligen insti-
                nen im Rahmen der Inan-         und professionalisierten Formen        tutionellen Kontexten sowie von
                spruchnahme von Hilfen zur      der Gewährung und Erbringung           situativen Konstellationen abhän-
          Erziehung als Risikofaktoren für      von Hilfen zur Erziehung entste-       gig. Sie ist daher nicht statisch,
          produktive Aneignungsprozesse zu      hen, die typischerweise produk-        sondern notwendigerweise pro-
          allen Prozesszeitpunkten wirksam      tive Aneignungsprozesse im Sinne       zessural und relational. Gleichwohl
          sein und werden: vor, am Anfang,      eines ‚Gebrauchswerts‘ für junge       können sich jenseits der vielschich-
          während und bei Beendigung von        Menschen und Eltern erschweren,        tigen Deutungs- und Wahrneh-
          Hilfen zur Erziehung (vgl. Oelerich   begrenzen oder verhindern kön-         mungsweisen von Adressat*innen
          u. a. 2019, S. 6).                    nen (vgl. ebd., S. 7). Damit spricht   andererseits spezifische Aspekte
                                                die Thematik einerseits die Pers-      eben durchaus zu strukturell wir-
          Die dienstleistungstheoretisch ge-    pektive der Adressat*innen und         kenden Schwellen und Barrieren
          rahmte Nutzerforschung hat die        die aus ihrer Sicht erschweren-        der Inanspruchnahme verdichten
          Frage von Barrieren und Schwel-       den oder hinderlichen Aspekte ei-      (vgl. ebd., S. II).
          len der Inanspruchnahme jüngst        ner für sie selbst produktiven An-
          wieder aufgegriffen. Unter struk-     eignung von Hilfen zur Erziehung
          turellen Barrieren der Inanspruch-    an. Diese Wahrnehmung der jun-         Reflexive Professionalität
          nahme werden Aspekte und Me-          gen Menschen und Eltern ist von
          chanismen verstanden, die aus den     den subjektiv-individuellen und        Für die Rekonstruktion von struk-
          sozialstaatlichen Bedingungen und     lebensgeschichtlich-biografischen      turellen Barrieren reicht eine An-

                                                                                                                     13
Strukturelle Barrieren

eignungsperspektive nicht aus,           sowie die Einhaltung und Umset-            geln in stationären Hilfen als deut-
sondern bedeutsam sind zudem             zung der je einrichtungsbezoge-            lich nicht nachvollziehbar und ge-
die normativ-fachlichen und pro-         nen Normen und Regularien. Kin-            recht empfindet (vgl. Hartig/Wolff
fessionellen Ansprüche an das Feld       der und Jugendliche müssen sich            2008, S. 59).
der Hilfen zur Erziehung, die es zu      in Wohngruppen einer Grundbe-
wahren gilt. Das ist auf                 dingung unterwerfen und anpas-
• Ebene der Adressat*innen, dass         sen, die alle Organisationen kenn-         Strafen und Belohnen
   sie sich als Subjekte des Gesche-     zeichnet und für alle Mitglieder gilt:
   hens erfahren können und dass         die Akzeptanz von Statusfunktio-           An den Aspekt ‚Regeln‘ anschlie-
   ihre Rechte in der Praxis gewahrt     nen und Regeln (vgl. Duschek et al.        ßend, kommt dem Komplex ‚Strafen
   werden;                               2012, S. 7).                               und Belohnen‘ eine offensichtlich
• professioneller Ebene die Reali-                                                  wichtige Funktion für die instituti-
   sierung einer reflexiven Profes-      Während Studien bis dato durch-            onell geforderten Anpassungsleis-
   sionalität, die sich materialisiert   gängig resümieren, dass sich Kin-          tungen zu. Wenn ihre eigene Po-
   „in einer spezifischen Qualität       der und Jugendliche tendenziell            sition von der der Betreuer*innen
   sozialpädagogischer Handlungs-        eher unsicher und uninformiert             abweicht oder sie missliebiges Ver-
   praxis, die eine Erhöhung von         über ihre Partizipationsrechte in          halten an den Tag legen, lernen bis
   Handlungsoptionen, Chancenver-        der Gruppe zeigen, nehmen Re-              zu zwei Drittel der Kinder und Ju-
   vielfältigung und die Steigerung      geln demgegenüber eine expli-              gendlichen auch den Rechte-Entzug
   von Partizipations- und Zugangs-      zite Orientierungsfunktion in WG           als pädagogisches Erziehungs­mittel
   möglichkeiten aufseiten der Kli-      ein: „So berichteten alle Jugendli-        im WG-Alltag kennen: Taschen­
   enten zu Folge hat“ (Dewe/Otto        chen über gut sichtbare Regeltafeln        geldentzug, Ausschluss von Aktivi-
   2001, S. 1400);                       oder visualisierte Verstärkerpläne         täten in der Freizeit, Smartphone-
• struktureller Ebene die Reali-         in Form von Punktesystemen, die            Entzug oder Aberkennung des
   sierung des Subjektstatus von         erwünschtes Verhalten belohnen             Zu­gangs zu den Medien und In-
   Adressat*innen, von größtmög-         und unerwünschtes Verhalten sank-          formationsfreiheit, Streichung von
   licher Partizipation und der Be-      tionieren: „Wer hat dir Fragen be-         Besuchskontakten oder Heimfahr-
   darfsgerechtigkeit von Hilfen.        antworten können, als du in die            ten zu ihren Eltern (vgl. Marmier
                                         Gruppe gekommen bist? – Die Er­-           u. a. 2002, S. 67; Gragert u. a. 2005,
Exemplarisch wird ein Schlaglicht        zieher und die Regeltafel. Da vorne        S. 3f.).
auf Barrieren und Schwellen der          diese Karteikarten, wo die ganzen
Inanspruchnahme von stationä-            Regeln hängen“ (Caumanns 2013,             Regeln sind im Wesentlichen an
ren Wohngruppen (WG) geworfen,           S. 72). Diese Anpassungserforder­          Organisationszwecken und Funk-
die im Horizont der Anforderungen        nisse erscheinen in der Praxis ge­-        tionserfordernissen ausgerichtet;
dieses Arrangements rekonstruiert        meinhin als fraglose Selbstver-            sprich: institutionellen Interessen.
werden können.                           ständlichkeit der Inanspruchnah­-          Ein korrigierendes Schlüsselele-
                                         me. Wie konflikthaft sich jedoch           ment der Ermöglichung von pro-
                                         die Aneignung aus Sicht der Kin-           duktiven Aneignungsprozessen von
Gruppe und Regeln                        der und Jugendlichen darstellen            Kindern und Jugendlichen ist ent-
                                         kann, zeigen Ergebnisse von Be-            sprechend eine reflexiv-individuelle
Für die Aneignungsprozesse des           schwerdeverfahren. In der Stu-             Aushandlung über die Bedingun-
Lebensorts stationäre Wohngrup­pe        die ‚Beteiligung leben‘ belegen Be-        gen an ihrem Lebensort WG; wie
(WG) durch Kinder und Jugendliche        schwerden über das Verhalten von           eben insbesondere der Regeln. Und
kommen den Aspekten ‚Gruppe‘             Mitbewohner*innen den 1. Platz             das ist auch das Bedürfnis und In-
und ‚Regeln‘ zentrale Bedeutung zu.      (mit 56,5 %), gefolgt von Beschwer-        teresse von Kindern und Jugend-
Zwei wesentliche Anforderungen           den über die Regeln mit 53,5 % auf         lichen: Die „Erstellung von Grup-
sind die Akzeptanz der Gruppe als        Platz 2 (vgl. Müller u. a. 2016, S. 74).   penregeln“ und „Ausgestaltung von
Bestandteil des neuen Lebensorts,        Damit dürfte das Ergebnis einer äl-        Strafen“ sind zwei Aspekte der Top
das Finden eines Umgangs mit ih-         teren Studie weiterhin gelten, wo-         3, in denen sie sich mehr Mitbe-
rer Zusammensetzung, mit Grup-           nach ein Drittel der Kinder und Ju-        stimmung wünschen (vgl. Müller
penprozessen und -dynamiken;             gendlichen die existierenden Re-           u. a. 2016, S. 68).

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Strukturelle Barrieren

Elternbeteiligung

                                                                                                                      Pixelio
Hansbauer/Gies (2016) resümie-
ren ihre Studie im Hinblick auf
die Frage (kollektiver) Partizipation
als eher ernüchternd. Im Übergang
von ambulanter in eine stationäre
Hilfe werde eine beträchtliche Be-
schneidung der elterlichen Ein-
flussmöglichkeiten sichtbar, die
in den allermeisten Fällen schein-
bar selbstverständlich und wohl
auch unreflektiert erfolge (vgl. ebd.
344f.). Es fände eine Umkehrung
der Verhältnisse statt: „Mit der Ver-
lagerung des Lebensortes des Kin-
des verändern sich offenbar über-
gangslos, und ohne dass dies von                                                Triadisches Partizipationsverhältnis
den beteiligten Akteuren ernsthaft
in Frage gestellt wird, die Rollen
zwischen Eltern und Fachkräften         Eltern dann häufig en passant (vgl.    nächst versuchen, das ‚Erziehungs-
samt ihren Aufgaben und Einfluss-       ebd., S. 365).                         verhältnis‘ zwischen Fachkräften
möglichkeiten“ (ebd., S. 350) „Es                                              und Kind ‚unter Kontrolle‘ zu be-
läge nahe anzunehmen, dass die          Im Übergang zu stationären Hil-        kommen, d. h. den Kontakt zu den
Fachkräfte das „faktisch noch im-       fen sind also auch Eltern gefordert,   Eltern anfänglich ganz zu unter-
mer triadische Partizipationsver-       sich den institutionell vorgefunde-    binden oder ihn stark zu beschrän-
hältnis in ein dyadisches“ umdeu-       nen Regeln und Statusfunktionen        ken, um ihn dann wieder sukzessive
ten, „um nunmehr in die Rolle der       zu unterwerfen. Diese Anpassung        zu ermöglichen, wenn sich die El-
Eltern einzutreten“ (ebd., S. 350f.).   wird u. a. durch zu Beginn einer Un-   tern als ‚kooperationswillig‘ erwei-
                                        terbringung verlangten Phasen von      sen. Auf diese Weise wird der El-
De facto entschieden die Fachkräfte     Kontakt- und Besuchsverboten ge-       tern-Kind-Kontakt zum Gegenstand
über Regularien wie bspw. Kontakt-      stützt. Regelwerke von Wohngrup-       eines impliziten Belohnungssys-
häufigkeiten und Rahmenbedin-           pen mit Vorgaben zu Tagesablauf,       tems, durch das Eltern und Kinder
gungen, ohne dass die Eltern ihre       Telefon- und Besuchszeiten, Haus-      gleichermaßen ‚erzogen‘ werden“
formal noch vorhandenen Kontroll-       aufgabenzeiten usw. enthalten zu-      (ebd. 2016, S. 359). Das institutio-
rechte zur Geltung bringen könn-        dem in der Regel keine einzelfall-     nelle Wohngruppensetting führt
ten. Exemplarisch sagt eine Mutter:     bezogenen Differenzierungen bspw.      dergestalt zu Ausschlussprozessen
„Es wurde im Heim so festgelegt,        nach dem rechtlichen Status der El-    der Eltern aus dem alltäglichen Er-
dass die Ausgangszeiten so sind.        tern (vgl. ebd., S. 351). Die Eltern   ziehungsverhältnis zu ihren Kin-
Ich muss das erst einmal so hin-        würden zwar bei allen wichtigen        dern und adressiert sie gleichzei-
nehmen“ (ebd., S. 356). Fachkräfte      Entscheidungen angehört, ihre Be-      tig auf der Hinterbühne ebenfalls
nehmen insbesondere Einfluss auf        teiligungsstufe gehe „jedoch in den    als Objekte einer Erziehung. Von
die Aspekte ‚Kommunikation‘ und         seltensten Fällen über die bloße In-   Eltern ist gefordert, diese Umkeh-
‚Kontakt‘ zwischen Eltern und Kin-      formation hinaus“ (Hansbauer/Gies      rung der Verhältnisse und den ih-
dern, wobei die aufgestellten Regu-     2017, S. 234).                         nen zugewiesenen Status zu ak-
larien kaum Gegenstand von Aus-                                                zeptieren, sich anzupassen und so
handlungsprozessen mit den Eltern                                              ‚mit zu tun‘, dass ihnen die Fach-
oder Gegenstand von Diskussionen        Kontrolle über Erziehung               kräfte wieder Chancen gegenüber
seien. Regeln und Abläufe perpetu-                                             ihren Kindern eröffnen. Eltern ha-
ierten sich bei fehlendem explizitem    Bei aller Varianz zeichne sich ein     ben bis dato kaum Zugang zu in-
Widerspruch oder Widerstand der         Muster ab, dass „Einrichtungen zu-     ternen Beschwerdeverfahren, je-

                                                                                                             15
Strukturelle Barrieren

                                                                                                  tribute“ (Oelerich u. a. 2019) eine
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                                                                                                  produktive Aneignung bzw. diese
                                                                                                  provozieren und legitimieren auch
                                                                                                  Ausschluss- und Abbruchprozesse
                                                                                                  von Hilfen. Solche Attribute sind
                                                                                                  Zuschreibungen gegenüber jungen
                                                                                                  Menschen als ‚nicht-gruppenfähig‘,
                                                                                                  als ‚nicht haltbar‘ oder ‚kooperati-
                                                                                                  onsunwillig‘ gegenüber Eltern. Ge-
                                                                                                  tragen kann dies sein von einer
                                                                                                  verhaltens-, regel- und disziplino-
                                                                                                  rientierten pädagogischen Grund-
                                                                                                  haltung. Eine solche Grundhal-
                                                                                                  tung erzeugt in der Alltagspraxis
                                                                                                  in vorhersehbarer Weise Konflikte,
                                                                                                  Eskalationsdynamiken und Steige-
                                                                                                  rungslogiken immer rigiderer Sank-
                                                                                                  tionsdrohungen oder Eingriffe.
                      Beteiligungsrechte                                                          Hohe Alltags-Regulierung und zu-
                                                                                                  nehmende Verhaltensauffälligkeiten
                                                                                                  von Kindern und Jugendlichen kön-
                      doch geben die Anliegen, mit denen  pationsmöglichkeiten benennen,          nen sich in destruktiven Zirkeln ver-
                                                          im Sinne einer „Missachtung und
                      sie sich an die in jüngerer Zeit ent-                                       dichten (vgl. AGJ 2015, S. 8f.); eine
                      standenen unabhängigen Ombuds-      Verwehrung von Beteiligungsrech-        hohe Kontroll- und Moralisierungs-
                      stellen wenden, Hinweise auf kon-   ten“ und dem „Ausschluss von El-        neigung in einer Einrichtungskultur
                      flikthafte Aneignungsprozesse. Hier ternrechten“. Hier wirken teilweise     korreliert mit der Wahrscheinlich-
                      thematisieren Eltern bspw. als An-  „Inkompetenzunterstellungen ge-         keit von Hilfeabbrüchen (vgl. Tor-
                      liegen „Umgangs-/Besuchskontakte    genüber den Adressat*innen“ be-         now u. a. 2012, S. 101).
                      und -regelungen“ sowie „Probleme    zogen auf die Realisierbarkeit von
                      in der Kommunikation mit der Ein-   Partizipation (Messmer 2018). Zu
                      richtung“ (Straus u. a. 2020, S. 44).
                                                          betonen und zu berücksichtigen          Vertrauen vs. Beschämung
                                                          ist jedoch, dass Barrieren nicht
                                                          notwendigerweise auf bewusstem          Als sehr fragile, aber zentrale
                      Strukturelle Barrieren              und absichtsvollem Handeln von          Grundlage für produktive Aneig-
                                                          Akteur*innen des Hilfesystems ba-       nungsprozesse der Interaktions-
                      ‚Regeln‘ und ‚Gruppe‘ stellen für sieren, sondern diese Risiken sind        und Kommunikationsprozesse mit
                      sich keine Barrieren dar. Ihre Ge- eingelagert in die Grundbedin-           der öffentlichen Jugendhilfe er-
                      staltung müsste in der Praxis da- gungen der Inanspruchnahme von            weist sich immer wieder das Ver-
                      raufhin hinterfragt werden, in­   - Hilfen und entstehen aus Grund-         trauen (BRJ 2018, S. 18ff.). Entwer-
                      wiefern sie einzelfallbezogen pro­- widersprüchen öffentlich institu-       tungen der ‚subjektiven Hilfepläne‘
                      duktive Aneignungsprozesse für tionalisierter Erziehung. Entspre-           von jungen Menschen und Eltern
                      Kinder und Jugendliche sowie El- chend bedeutsam sind als weitere           und die Nichtberücksichtigung
                      tern entweder ermöglichen oder Schwellen oder Barrieren die                 der individuellen Besonderheit
                      erschweren und verhindern. Als „Überbewertung institutioneller In-          der Adressat*innen sind Aspekte,
                      strukturelle Barrieren lassen sich teressen“ (Ader 2002) und „institu-      durch die Vertrauen als zentrale
                      auf Basis der empirischen For- tionelle Zwänge“ in Organisations-           Ressource in der Praxis und in
                      schungen vielmehr die „Zuweisung kontexten (Messmer 2018).                  der Hilfeplanung angegriffen wird.
                      eines Objektstatus“ (Oelerich u. a.                                         Misstrauen kann zudem entstehen
                      2019) sowohl mit Blick auf Kinder Im Kontext von Regeln und Regu-           durch Prozesse der Beschämung,
                      und Jugendliche als auch die Eltern larien blockiert schließlich die „Zu-   auch durch verletzende, entwürdi-
                      sowie die Blockierung von Partizi- schreibung stigmatisierender At-         gende Kommunikation; durch Ge-

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Strukturelle Barrieren

                                           dort auch bearbeitet bzw. qualifi-      ist untrennbar verbunden mit dem
                                           ziert werden können, genutzt wer-       Thema ,Macht und Machtverhält-
                                           den, um Weiterentwicklungspro-          nisse‘. Für die Existenz und Auf-
                                           zesse im Interesse von produktiven      rechterhaltung von Barrieren und
                                           Aneignungsprozessen der Kinder,         Schwellen spielen strukturelle
                                           Jugendlichen und Eltern zu initi-       Machtasymmetrien eine zentrale
                                           ieren. Alles andere wäre prekär:        Rolle. Über die Themen Macht und
  Prof. Dr. Nicole Rosenbauer              ,Partizipation‘ und ,Passung des        Ohnmacht in Erziehungs- und Bil-
  Jg. 1975; Studium der Psychologie und    Hilfesettings‘ sind zentrale Wirk-      dungsfeldern wird jedoch trotz ih-
  Erziehungswissenschaften, NLP-Mas­       faktoren für gelingende Hilfen. Die     rer hohen Bedeutung nach wie vor
  ter; u. a. wissenschaftliche Mitarbei­   empfundene Gerechtigkeit von Re-        vielfach geschwiegen (vgl. Geiss/
  terin am Institut für Sozialpädagogik,   geln, die Information und Verfügung     Magyar-Haas 2015). Das Thema
  Erwachsenenbildung und Pädagogik         über Rechte sowie hohe Beteiligung      Macht ist nach wie vor weitgehend
  der frühen Kindheit an der Universität   sind zudem verknüpft mit Selbst-        tabuisiert und erzeugt bei Thema-
  Dortmund, Berufstätigkeiten u. a. als    wirksamkeitserleben und Wohlbe-         tisierung Abwehrreaktionen – ins-
  Sozialpädagogin in einer betreuten       finden junger Menschen am stati-        besondere bei den durch sie Privi-
  Wohngruppe für junge Menschen mit        onären Lebensort (vgl. Hartwig/         legierten (Reher 2018, S. 105).
  Essstörungen, selbständige Tätigkeit     Wolff 2008). Ausschließungsdyna-
  im Bereich Coaching, Wissenschaft        miken und Blockaden produktiver         Ein erster Schritt auch zum Abbau
  und Beratung für Einzelpersonen,         Aneignungsprozesse durch profes-        von Barrieren und Schwellen wäre
  Gruppen und Einrichtungen, seit          sionelle und organisationskulturelle    entsprechend die Bereitschaft von
  2017 Professorin für Wissenschaft der    Routinen führen nicht notwendiger-      Fachkräften, sich unter dem Fokus
  Sozialen Arbeit und Studiengangs­        weise zu einem Abbruch von Hilfen       der ‚Macht‘ der eigenen Praxis zu-
  leitung BA Soziale Arbeit an der         oder zu wahrnehmbaren Eskalatio-        zuwenden, und ein entsprechender
  Evangelischen Hochschule Dresden.        nen, jedoch ggfs. zur Wahrnehmung       Sensibilisierungs- und Reflexions-
                                           der „Inanspruchnahme als Angriff        prozess in Einrichtungen, Teams,
                                           auf die eigene Integrität“ (Herzog      Supervisionen und der Ausbildung.
ringschätzung von Gutachten oder           u. a. 2018, S. 99) und müssten sehr     Eine Bewusstwerdung ist auch die
Empfehlungen, die die Perspekti­ve         viel radikaler analysiert werden, um    erste Voraussetzung, Machtressour­-
der Adressat*innen unterstützen            Beteiligungsansprüchen und De-          cen gezielt einsetzen und auch ab-
oder durch Verweigerung von Ak-            mokratisierungsimpulsen deutlich        geben bzw. teilen zu können (ebd.,
teneinsicht und fehlende Transpa­          gerecht(er) zu werden.                  S. 116). Ein konkreter Schritt weg
renz von Entscheidungsprozessen                                                    vom ‚Schweigen‘ in Richtung des
(vgl. BRJ 2018, S. 24ff.). Für den         Hansbauer und Gies (2016, S. 343)       ‚Sprechens‘ und ‚Hörens‘ der Stim-
Zugang zu adäquaten Unterstüt-             verweisen bspw. auf skandinavi-         men der Adressat*innen wäre, ih­-
zungsleistungen kann schließlich           sche Ansätze kollektiver Partizipa-     nen Rückmeldungen und Beurtei-
„hochschwelliges Verwaltungshan­           tion, in denen Eltern zuallererst als   lungen zu ihren Aneignungspro-
deln“ als Barriere wirken bspw.            Träger*innen von Bürgerrechten be-      zessen zu ermöglichen bspw. im
durch die Gestaltung des Umgangs           griffen werden mit Anspruch nicht       Rahmen von Beschwerdeverfah-
mit (Nicht-)Erreichbarkeiten, War-         nur auf Nutzung, sondern auch Ge-       ren, und diese Hinweise professi-
tezeiten, mit Antragstellungen und         staltung sozialer Dienstleistungen.     onell selbstbewusst aufzunehmen
Anträgen oder mit Bearbeitungs-            Im professionellen Fokus steht das      und für die Qualitäts- und Weiter-
zeiten (BRJ 2018: 13ff.).                  Ziel von Befähigungsprozessen, die      entwicklung innerhalb des eigenen
                                           eigenen elterlichen Rechte ausüben      Systems produktiv zu nutzen.
                                           und durchsetzen zu können.
Passung des Hilfesettings
                                                                                                  LITERATUR
Im Horizont einer reflexiven Pro-          Geteilte Macht
fessionalität kann das Wissen um                                                    Ausführliche Literaturliste
Barrieren und um Risikofaktoren,           Die Perspektive auf Barrieren und        unter www.sp-impulse.at
die im System selbst liegen und            Schwellen der Inanspruchnahme

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