Standpunkte Nr. 02 07/2021 - Antidiskriminierungsstelle des Bundes
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Standpunkte Nr. 02 – 07/2021 Ist das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz auf zivilrechtliche Betreuungsverträge in der Kindertages- betreuung anwendbar? An die Beratung der Antidiskrimi- nierungsstelle des Bundes wenden Artikel 2 UN-Kinderrechtskonvention (1) Die Vertragsstaaten achten die in diesem sich immer wieder Eltern, weil Übereinkommen festgelegten Rechte und sie und ihr Kind bei der Suche gewährleisten sie jedem ihrer Hoheits- nach einem Kita-Platz abgelehnt gewalt unterstehenden Kind ohne jede wurden oder weil während der Diskriminierung unabhängig von der Rasse, der Hautfarbe, dem Geschlecht, der Vertragsdurchführung Diskrimi- Sprache, der Religion, der politischen oder nierungserfahrungen gemacht sonstigen Anschauung, der nationalen, werden. ethnischen oder sozialen Herkunft, des Vermögens, einer Behinderung, der Geburt So werden Eltern und damit ihr Kind wegen oder des sonstigen Status des Kindes, des Geschlechts ihres Kindes abgelehnt, weil seiner Eltern oder seines Vormunds. in der Gruppe gerade noch ein Mädchen fehlt, (2) Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten und das Kind nicht das passende Geschlecht Maßnahmen, um sicherzustellen, dass das hat. Oder ein Kind kann beim „Vatertag“ nicht Kind vor allen Formen der Diskriminierung mitmachen, weil es zwei Mütter hat. Ob und oder Bestrafung wegen des Status, der wie Eltern und Kinder vor Diskriminierungen Tätigkeiten, der Meinungsäußerungen geschützt sind, hängt von dem Träger der oder der Weltanschauung seiner Eltern, Betreuungseinrichtung und von der Rechts- seines Vormunds oder seiner Familien- natur des Betreuungsverhältnisses ab. Etwa angehörigen geschützt wird. zwei Drittel der Kindertageseinrichtungen sind in Deutschland in freier Trägerschaft und ein Drittel in öffentlicher Trägerschaft.1 1 Kathrin Bock-Famulla, Anne Münchow, Jana Frings, Felicitas Kempf, Julia Schütz, Länderreport Frühkindliche Bildungs- systeme 2019, Transparenz schaffen – Governance stärken, 1. Auflage 2020, Anhang, Tabelle 78 1
Öffentliche Träger einer Kindertageseinrich- Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes ist tung können sowohl einen privatrechtlichen der Auffassung, dass der Betreuungsvertrag Vertrag als auch einen öffentlich-rechtlichen mit den Anbietern der Kindertagesbetreuung Betreuungsvertrag abschließen.2 Dieses Stand- in der Regel als ein einem Massengeschäft punktepapier befasst sich mit den privatrecht- vergleichbarer Vertrag nach § 19 Absatz 1 Nr. 1 lichen Benutzungsverhältnissen, da nur für AGG einzuordnen ist und damit in den Schutz- diese sich die Frage stellt, ob das Allgemeine bereich des Allgemeinen Gleichbehandlungs- Gleichbehandlungsgesetz vor Diskriminierun- gesetzes fällt. gen schützt. Damit können bei Benachteiligungen wegen des Geschlechts, der Religion, des Alters, einer Schutz vor Benachteiligungen bei der Behinderung und der sexuellen Identität Begründung, Durchführung und Been- Ansprüche nach dem Allgemeinen Gleichbe- digung des Betreuungsvertrages wegen handlungsgesetz gegenüber den Anbietern der der in § 1 AGG genannten Merkmale Kindertagesbetreuung geltend gemacht und der diskriminierungsfreie Zugang zur früh- Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz kindlichen Betreuung und ihre Durchführung (AGG), das in Deutschland vor Diskriminierung verbessert werden. im Zusammenhang mit privatrechtlichen Verträgen schützt, schränkt die Vertragsfrei- Diese Einordnung mag zunächst nicht nahe- heit der Träger von Kindertageseinrichtungen liegend erscheinen, kann doch gerade die und der Kindertagespflegepersonen ein. Bei Beziehung zu Erzieher*innen und Kinder- Abschluss, Durchführung und Beendigung tagespflegepersonen in besonderem Maße eines Kindertagesbetreuungsvertrages verbie- von persönlichen Kontakten und Vertrauens- tet § 19 Absatz 2 AGG die Benachteiligung beziehungen geprägt sein. Auf diese spezielle wegen rassistischer Zuschreibungen und Beziehung bezogene Argumente werden auch wegen der ethnischen Herkunft von Eltern in der wenigen Literatur zur Begründung und Kindern.3 Bei Benachteiligungen wegen vorgebracht, wenn die Anwendbarkeit des des Geschlechts, der Religion, des Alters, einer Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes auf Behinderung und der sexuellen Identität den Kindertagesbetreuungsvertrag verneint besteht der Diskriminierungsschutz in § 19 wird.4 Jedoch darf der Begriff des Massenge- Absatz 1 des Allgemeinen Gleichbehandlungs- schäfts im Allgemeinen Gleichbehandlungs- gesetzes jedoch nur, wenn ein sogenanntes gesetz nicht mit einer unpersönlichen Massengeschäft oder ein mit Massengeschäf- Massenabfertigung gleichgesetzt werden. ten vergleichbarer Vertrag betroffen ist (ver- Im Vordergrund steht bei der Einordnung gleiche § 19 Absatz 1 Nr. 1 AGG). Die Einord- als Massengeschäft und mit diesem vergleich- nung des Kindertagesbetreuungsvertrages baren Geschäft, dass die Vertragsbedingungen unter diese Voraussetzungen ist in der Litera- und der Vertragsabschluss nicht von Person tur kaum thematisiert worden. Die Rechtspre- zu Person variieren sowie von persönlichen chung hat sich damit bislang nicht befasst. Um Eigenschaften abhängig gemacht werden. den Diskriminierungsschutz in der Kinderta- Bezogen auf den Kindertagesbetreuungsver- gesbetreuung zu verbessern, ist es notwendig, trag ist insofern aus Sicht der Antidiskriminie- größtmögliche Rechtssicherheit für die rungsstelle des Bundes entscheidend, dass die Betroffenen und Beteiligten zu erreichen. Betreuungsverträge den durch Kita-Gesetze 2 Zum Beispiel: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20. Mai 2015 – OVG 6 L 34.15 3 BT-Drucksache 16/1780, S. 32 4 Richter in Rust, Falke, AGG, 2007, § 2 AGG, Rn. 133 2
und durch die Bildungspläne der Länder zwischen den Sorgeberechtigten und dem festgelegten Standards genügen müssen und Anbieter, das heißt dem Träger einer Kinder- sich daher nicht von Eltern beziehungsweise tageseinrichtung beziehungsweise der Kinder- von Kind zu Kind unterscheiden dürfen. tagespflegeperson. Das bedeutet, den Anspruch auf die vertragliche Leistung haben die Sorge- berechtigten.9 Massengeschäft oder vergleichbares Rechtsgeschäft gemäß § 19 Absatz 1 Nr. 1 AGG Typischerweise ohne Ansehen der Person § 19 Absatz 1 Nr. 1 AGG enthält für den Begriff Die wesentliche Voraussetzung für die An- „Massengeschäft“ eine Legaldefinition, die nahme eines Massengeschäfts gemäß § 19 durch die Rechtsprechung konkretisiert Absatz 1 Nr. 1 AGG ist ein Schuldverhältnis, wurde.5 Massengeschäfte sind danach zivil- das „ohne Ansehen der Person zustande rechtliche Schuldverhältnisse, die typischer- kommt“. Diese Vorgabe beruht auf Artikel 3 weise ohne Ansehen der Person zu vergleich- Absatz 3 der Richtlinie 2004/113/EG des Rates baren Bedingungen in einer Vielzahl von vom 13. Dezember 2004 zur Verwirklichung Fällen zustande kommen. Rechtsgeschäfte, bei des Grundsatzes der Gleichbehandlung von denen „das Ansehen der Person“ eine nachran- Männern und Frauen beim Zugang zu und bei gige Bedeutung hat (massengeschäftsähnliche der Versorgung mit Gütern und Dienstleistun- Geschäfte), werden von § 19 Absatz 1 Nr. 1 AGG gen, die durch die §§ 19 ff. AGG in deutsches ebenfalls erfasst. Recht umgesetzt wurde. Deutschland ist bei der Umsetzung der Richtlinie 2004/113/EG Dabei steht außer Frage, dass der Kindertages- zulässigerweise10 über die Richtlinienvorgaben betreuungsvertrag im Sinne des § 19 AGG ein hinausgegangen, indem neben der Benachtei- zivilrechtliches Schuldverhältnis ist, sofern ligung wegen des Geschlechts in § 19 Absatz 1 kein öffentlich-rechtlicher Vertrag mit einem AGG auch die Benachteiligung wegen der öffentlichen Träger abgeschlossen wurde.6 Das Religion, des Alters, einer Behinderung und „Wie“ der Kindertagesbetreuung mit einem der sexuellen Identität verboten wird (Artikel 7 öffentlichen Träger kann privatrechtlich Richtlinie 2004/113/EG). gestaltet sein.7 Die Abgrenzung ist allerdings nur im Einzelfall möglich und stellt ein Wenn diese Merkmale typischerweise keine weiteres rechtliches Problem dar, wenn es Rolle spielen, wird das Rechtsgeschäft ohne um den Diskriminierungsschutz in der Kin- Ansehen der Person begründet, durchgeführt dertagesbetreuung geht. Darum soll es aber und beendet.11 Dies ist der Fall, wenn dem an dieser Stelle nicht gehen. Unternehmen nicht wichtig ist, wer die Leistung entgegennimmt.12 Ein Ansehen der Der Kindertagesbetreuungsvertrag wird durch Person liegt hingegen vor, wenn der Anbieter die zivilrechtlichen Vorschriften nach § 611 seine Entscheidung über den Vertragsschluss des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) geregelt.8 erst nach Würdigung des*der Vertragspart- Dabei handelt es sich um einen Vertrag ner*in trifft. Enthält die Prüfung des Vertrags- 5 BGH, Urteil vom 25. April 2019 – I ZR 272/15; BGH, Urteil vom 27. Mai 2020 – VIII ZR 401/18 –, BGHZ 226, 145–161; BGH, Urteil vom 05. Mai 2021 – VII ZR 78/20 6 BGH, Urteil vom 18. Februar 2016 – III ZR 126/15 –, BGHZ 209, 52–71 7 Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 10. Oktober 2012 – 12CE 12.2170 8 BGH, Urteil vom 18. Februar 2016 – III ZR 126/15 –, BGHZ 209, 52–71 9 Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 26. März 2021 – 4 U 26/21 10 Franke/Schlichtmann, in: Däubler/Bertzbach, HK-AGG, § 19 AGG, Rn. 8, 9 11 BT-Drucksache 16/1780, S. 41 12 vgl. auch BGH, Urteil vom 05. Mai 2021, VII ZR 78/20 3
schlusses ein stark individualisiertes Element, Kindertagesbetreuung typischerweise nur verzichtet das Gesetz im Rahmen des § 19 eine nachrangige Rolle spielen darf: Absatz 1 Nr. 1 AGG zugunsten der persönlichen Willensbildung des Anbieters auf eine Benach- teiligungskontrolle.13 Dem Massengeschäft ähnlich sind gemäß der zweiten Alternative in — Träger von Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflegepersonen erfüllen im Rahmen der Kapazität einen Rechts- § 19 Absatz 1 Nr. 1 AGG Rechtsgeschäfte, bei anspruch, der allen Kindern und ihren denen das Ansehen der Person für die anbie- Eltern unter den Voraussetzungen des tende Person zwar eine Rolle spielt, es jedoch § 24 SGB VIII zusteht. Dort wo gem. eine nachrangige Bedeutung hat,14 weil der § 24 SGB VIII ein gesetzlicher Rechtsan- Anbieter aufgrund der Vielzahl der Geschäfte spruch besteht, ist das Ziel, allen Kindern bereit ist, mit jedem*jeder geeigneten Part- einen Platz zur Verfügung zu stellen. ner*in zu vergleichbaren Konditionen einen Entscheidendes Kriterium ist die Kosten- Vertrag zu schließen.15 übernahme durch das zuständige Jugend- amt. Eine Prüfung der individuellen Dabei ist für die Einordnung als Massenge- Zahlungsfähigkeit der Eltern erfolgt in schäft nicht die im Einzelfall erfolgte Ausge- der Regel nicht. staltung des Vertrages entscheidend. Vielmehr erfolgt eine typisierende Betrachtung („typi- scherweise“) des jeweiligen Rechtsgeschäfts. So verlangt diese Betrachtungsweise nicht — Die Bildung, Betreuung und Erziehung wird in der Gruppe angeboten (§ 22 Absatz 1 Satz 1 SGB VIII). den Abschluss des immer gleichen Vertrages, sondern lediglich zu vergleichbaren Bedingun- gen. Daher können auch bei Massengeschäften individuelle Vereinbarungen getroffen wer- — Vertragspartner*innen der Anbieter sind in der Regel die Eltern beziehungsweise Sorgeberechtigten.19 Die Kindertagesbe- den.16 Ob bei der Begründung des Vertrages die treuung erfüllt Bedürfnisse der Eltern, da Person des*der Vertragspartner*in eine die Kindertagesbetreuung auch den nachrangige Bedeutung hat, bestimmt sich Zweck hat, den Eltern dabei zu helfen, nach der Art des zu betrachtenden Schuldver- Erwerbstätigkeit und Kindererziehung hältnisses in seiner konkreten Ausprägung.17 besser miteinander vereinbaren zu können (vgl. § 22 Absatz 2 Nr. 3 SGB VIII). Mit Nach Ansicht des Gesetzgebers kommen dem Vertrag werden die den Sorge- Verträge typischerweise „ohne Ansehen der berechtigten obliegenden Erziehungs-, Person“ beispielsweise dann zustande, wenn Betreuungs- und Versorgungsleistungen der Vertragsschluss hauptsächlich von der für den Zeitraum wahrgenommen, in dem Zahlungswilligkeit und -fähigkeit der Vertrags- sich das zu betreuende Kind in der Obhut partner*innen abhängig gemacht wird.18 Bei der Anbieter befindet.20 einem Vertrag über die Bildung, Erziehung und Betreuung eines Kindes gemäß § 22 SGB VIII sprechen folgende Gründe dafür, dass das Ansehen der Person für die Anbieter der 13 BGH, Urteil vom 25. April 2019, I ZR 272/15, Rn. 18 m. w. N. 14 Franke/Schlichtmann, in: Däubler/Bertzbach, HK-AGG, § 19 AGG, Rn. 40 15 BGH, Urteil vom 05. Mai 2021, VII ZR 78/20 16 BT-Drucksache 16/1780, S. 41, 42 17 BGH, Urteil vom 05. Mai 2021, VII ZR 78/20 18 BT-Drucksache 16/1780, S. 41 19 Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 26. März 2021 – 4 U 26/21 20 Ebenda. 4
— Träger von Kindertageseinrichtungen sind grundsätzlich bereit, mit jedermann einen Betreuungsvertrag abzuschließen. Sie — Wenn überhaupt schriftliche Betreuungs- verträge verwandt werden, sind diese vorformuliert und werden vor Abschluss suchen sich die Vertragspartner*innen, des Vertrages nicht individuell verhandelt. das heißt die Eltern oder Sorgeberechtig- Zu Beginn eines Kita-Jahres wird von dem ten, nicht individuell anhand bestimmter Träger einer Kindertageseinrichtung in der Persönlichkeitsmerkmale aus. Den Regel eine Vielzahl von Verträgen abge- Anbietern ist nicht wichtig, welche Eltern schlossen, die oftmals standardmäßig die Betreuungsleistung in Anspruch mit dem Erreichen des Schulalters enden. nehmen. Allenfalls spielen Kriterien, die Im Vertrag werden dann regelmäßig die das Kind betreffen, eine Rolle. Das Kind ist Bildungspläne und die Kita-Konzeption aber in der Regel nicht Vertragspartner*in. als Vertragsgrundlage genannt und keine Anders könnte die rechtliche Situation im individualisierten Bildungs- beziehungs- Einzelfall beurteilt werden, wenn es um weise Betreuungsziele. die Betreuung in einer von Eltern selbst- verwalteten Kindertageseinrichtung geht, In dem Gesetzentwurf zum Allgemeinen da der Träger der Einrichtung in der Regel Gleichbehandlungsgesetz finden sich Bei- dann die Rechtsform eines gemeinnützi- spiele, die verdeutlichen, wann es allgemein gen Vereins hat, in dem die Eltern Mitglied für Anbieter*innen auf das „Ansehen der sind und den Vorstand stellen und daher Person“ ankommen kann. Hier ist beispiels- die Person der Eltern eine Rolle spielen weise der Kreditvertrag zu nennen, da für die kann. Anders könnte die rechtliche Anbieter*innen die Solvenz der Kreditneh- Situation auch für Kindertagespflege- mer*innen für die Rückerlangung der Kredit- personen zu beurteilen sein, wenn die summe wesentlich ist.21 Betreuung in der Wohnung der Tages- pflegeperson angeboten wird und In der wenigen rechtswissenschaftlichen dem*der Vertragspartner*in mit Vertrags- Literatur wird die Anwendung des Allgemei- abschluss Zutritt zur eigenen Wohnung nen Gleichbehandlungsgesetzes auf den gewährt wird. Kindertagesbetreuungsvertrag hauptsächlich — Sofern vorab Kriterien für die Vergabe des Betreuungsplatzes festgelegt werden, geht es nicht darum, die Eignung des*der deshalb abgelehnt, weil standardisierte Ver- tragsverhältnisse nicht in Betracht kommen würden, da die Reife und Verfassung des einzelnen Kindes für die Vertragsdurchfüh- Vertragspartner*in zu prüfen, sondern rung eine Rolle spielen würden.22 Die Einschät- um eine Priorisierung der potenziellen zung dürfte nicht mehr aktuell sein, zumal Vertragspartner*innen auf der Warteliste, inzwischen jedes Bundesland einen Bildungs- um durch transparente Vergabekriterien plan erstellt hat, der die Verträge standardisiert, Konflikte zu vermeiden. Dass die Vergabe- um eine einheitliche Qualität der Betreuung zu kriterien für die Wahl des*der Vertrags- garantieren, damit jedes Kind gleiche Chancen partner*in keine Rolle spielen, zeigt sich erhält. auch darin, dass sie irrelevant werden, wenn ein Platz frei wird und das Kind auf der Warteliste vorrückt. 21 BT-Drucksache 16/1780, S. 42 22 Richter in Rust, Falke, AGG, 2007, § 2 AGG, Rn. 133 5
Dem steht auch nicht entgegen, dass das Die Betreuung variiert deshalb schon nicht Betreuungsverhältnis auch insoweit von von Kind zu Kind, da sich die Anbieter ver- persönlichen Beziehungen geprägt sein kann, pflichten, den Standards der Bildungspläne als sich die Erzieher*innen und Tagespflege- und Kita-Gesetzen zu entsprechen, um die personen mit ihren besonderen Fähigkeiten staatliche Finanzierung zu erhalten. und entsprechend dem ihnen entgegenge- brachten Vertrauen persönlich für die Bildung, Daher kann die Annahme, das Ansehen der Betreuung und Erziehung des einzelnen Person des*der Vertragspartner*in – das sind Kindes einsetzen. Diese Auffassung wird die Eltern und Sorgeberechtigten – habe beim gestützt durch ein Urteil des Bundesgerichts- Kindertagesbetreuungsvertrag eine mehr als hofes vom 18. Februar 2016,23 wonach es sich nachrangige Bedeutung, auch unter Berück- bei dem Betreuungsvertrag um einen einfa- sichtigung der besonderen Beziehung zwi- chen Dienstvertrag handelt. Das heißt, dass schen Erzieher*in und Kind, nicht überzeugen. trotz der Vertrauensstellung, die Erzieher*in- Die Bildung, Betreuung und Erziehung eines nen und Kindertagespflegepersonen haben Kindes sollen zwar spezifisch auf die Bedürf- können24, kein Dienstvertrag im Sinne des nisse des Kindes bezogen sein, ordnen sich § 627 BGB vorliegt, bei dem höhere Dienste, aber in den strukturierten Alltag in der Ein- aufgrund besonderen Vertrauens übertragen richtung und in die gleichzeitige Erfüllung der werden. Zu berücksichtigen ist auch, dass die Bedürfnisse der anderen Kinder ein. persönliche Fähigkeit der Anbieter*innen beziehungsweise der Erzieher*innen nur auf In der Begründung des Gesetzentwurfs zum der Seite der Eltern und der Kinder ein Krite- Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz werden rium für den Vertragsabschluss ist, in der Regel „standardisierte“ Dienstleistungen als Haupt- nicht jedoch auf der Seite der Anbieter*innen. anwendungsfall für Verträge genannt, die Letzteres ist aber maßgeblich für die Einord- typischerweise ohne Ansehen der Person nung, ob ein Massengeschäft beziehungsweise zustande kommen.25 ein massengeschäftsähnlicher Vertrag vorliegt oder nicht. Die Bildung, Betreuung und Erziehung in den Kinderbetreuungseinrichtungen sind solche Für eine standardisierte Dienstleistung spricht standardisierten Dienstleistungen, weil § 22 auch, dass die Bildung, Betreuung und Erzie- Absatz 4 SGB VIII bestimmt, dass die Qualität hung – auch wenn sie auf die Individualität des der Bildung, Betreuung und Erziehung durch Kindes eingeht – immer, auch in der offenen geeignete Maßnahmen gewährleistet werden, Arbeit, von wenigen Erzieher*innen für eine die durch Bildungspläne, Rahmenvereinba- Vielzahl von Kindern gleichzeitig erbracht rungen und die Kita-Gesetze festgelegt und wird. Auch wenn es Phasen gibt, in denen sich damit standardisiert werden. Die Bildung, einzelne Erzieher*innen für eine bestimmte Betreuung und Erziehung müssen daher zwar Zeit nur mit einem Kind beschäftigen, sind an das jeweilige Kind angepasst werden, in sie gleichzeitig in der Verantwortung für die jedem Fall aber unter vergleichbaren Bedin- anderen anwesenden Kinder. Die Betreuung in gungen durchgeführt werden. einer Kindertageseinrichtung ist damit gerade nicht eine vorrangig individualisierte Leistung. 23 BGH, Urteil vom 18.02.2016, III ZR 126/15, Rn. 34. 24 LG München I vom 23. April 2015, 6 S 16379/14, Rn. 36 25 BT-Drucksache 16/1780, S. 41 6
Ausnahme: besonderes Nähe- und Ergebnis Vertrauensverhältnis Privatrechtliche Kindertagesbetreuungsver- Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz träge zwischen den Anbietern und den Eltern findet gemäß § 19 Absatz 5 AGG auf zivilrecht- beziehungsweise Sorgeberechtigten sind mit liche Schuldverhältnisse, bei denen ein beson- Massengeschäften vergleichbare Verträge nach deres Nähe- oder Vertrauensverhältnis begrün- § 19 Absatz 1 AGG. Es handelt sich um Verträge, det wird, keine Anwendung. Dabei geht es um bei denen das Ansehen der Person des*der den Schutz der Privatsphäre und des Familien- Vertragspartner*in eine nachrangige Bedeu- lebens der Anbieter*innen.26 Damit soll tung hat und die typischerweise zu vergleich- sichergestellt werden, dass der engste Lebens- baren Bedingungen in einer Vielzahl von bereich der durch das Benachteiligungsverbot Fällen geschlossen werden. Die Anbieter der Verpflichteten geschützt wird.27 Typischerweise Kindertagesbetreuung wählen ihre Vertrags- finden die Bildung, Betreuung und Erziehung partner*innen ohne eine besondere Würdi- in einer Kindertageseinrichtung nicht in der gung aus. Die Leistung erfolgt nach allgemei- Privatsphäre der Anbieter*innen statt, sondern nen fachlichen Qualitätsstandards auf der in einer eigenen Einrichtung. Somit kann in Grundlage der Bildungspläne, Rahmenverein- der Regel nicht von einem Ausschluss des barungen und Kita-Gesetze und somit zu Kindertagesbetreuungsvertrages aus dem vergleichbaren Bedingungen. Die Individuali- Anwendungsbereich des Allgemeinen Gleich- sierung im Rahmen der Gruppenbetreuung behandlungsgesetzes ausgegangen werden. führt nicht dazu, dass kein massengeschäfts- Anders ist dies in der Kindertagespflege zu ähnlicher Vertrag vorliegt. beurteilen, da die Betreuung durch die Kinder- tagespflegeperson in der Regel gerade in der Somit können, wenn Eltern oder Kinder Wohnung und damit in der Privatsphäre der ungerechtfertigt wegen des Geschlechts, der Anbieter*innen erfolgt. Dann schließt § 19 Religion, des Alters, einer Behinderung oder Absatz 5 AGG die Anwendung des Allgemeinen der sexuellen Identität benachteiligt werden, Gleichbehandlungsgesetzes aus. Maßgeblich ist Ansprüche auf Unterlassen, Beseitigung, der Einzelfall, da inzwischen vermehrt auch Schadensersatz und Entschädigung nach Tagespflegepersonen Räume für die Betreu- dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz ung anmieten (§ 22 Absatz 1 Satz 5 SGB VIII). geltend gemacht werden. Zur Klarstellung befürwortet die Antidiskrimi- nierungsstelle des Bundes, eine Regelung zum Diskriminierungsschutz in das überarbeitete SGB VIII aufzunehmen. Eine solche Regelung ist notwendig, da die Rechtsunsicherheit und damit die Schwierigkeit in der Rechtsdurch- setzung, letztendlich zu Lasten der Kinder geht. Gegebenenfalls kann ergänzend auch über die neue Ombudsstelle, die nach der Novellierung des SGB VIII eingerichtet werden soll (§ 9a SGB VIII), eine Verbesserung des Diskriminierungs- schutzes erreicht werden. 26 BT-Drucksache 16/1780, S. 42 27 Ebenda. 7
Impressum Diese Publikation ist Teil der Öffentlichkeitsarbeit der Antidiskriminierungsstelle des Bundes; sie wird kostenlos abgegeben und ist nicht zum Verkauf bestimmt. Die vorliegende Veröffentlichung gibt die Rechtsauffassung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes wieder, für die keine Haftung übernommen werden kann. Eine verbindliche Auslegung und Entscheidung der angesprochenen Rechtsfragen bleiben dem Rechtsweg und den zuständigen Gerichten vorbehalten. Herausgeberin: Antidiskriminierungsstelle des Bundes 11018 Berlin www.antidiskriminierungsstelle.de Kontakt: Allgemeine Anfragen: Mo. bis Fr. 9–12 Uhr und 13–15 Uhr Tel.: +49(0) 30 18555-1855 E-Mail: poststelle@ads.bund.de Juristische Erstberatung: Bitte besuchen Sie www.antidiskriminierungsstelle.de/beratung oder schicken Sie eine E-Mail an beratung@ads.bund.de Satz & Layout: www.zweiband.de Druck: MKL Druck GmbH & Co. KG Stand: Juli 2021
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