SWR2 Musikstunde Extra mit Thomas Hampson - Das Lied als Spiegel seiner Zeit Teil X - Die Rückkehr der Melodie
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SWR2 MANUSKRIPT SWR2 Musikstunde Extra mit Thomas Hampson Das Lied als Spiegel seiner Zeit Teil X - Die Rückkehr der Melodie Autor: Jeff Lunden Übersetzung: Katharina Eickhoff Sendung: 28. Januar 2022 (Erstsendung 29. Juni 2018) Redaktion: Dr. Bettina Winkler Produktion: SWR 2018 SWR2 können Sie auch im SWR2 Webradio unter www.SWR2.de und auf Mobilgeräten in der SWR2 App hören: Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Die SWR2 App für Android und iOS Hören Sie das SWR2 Programm, wann und wo Sie wollen. Jederzeit live oder zeitversetzt, online oder offline. Alle Sendung stehen mindestens sieben Tage lang zum Nachhören bereit. Nutzen Sie die neuen Funktionen der SWR2 App: abonnieren, offline hören, stöbern, meistgehört, Themenbereiche, Empfehlungen, Entdeckungen … Kostenlos herunterladen: www.swr2.de/app
SWR2 Musikstunde Extra mit Thomas Hampson 18. Juni – 29. Juni 2018 Autor: Michael Haas Übersetzung: Katharina Eickhoff Guten Morgen! Ich bin Thomas Hampson, und in unserer heutigen – letzten – Folge von „Das Lied als Spiegel seiner Zeit“ erleben wir die Rückkehr der Melodie! Heute hören wir hier in der SWR2 Musikstunde Lieder aus den letzten Jahrzehnten, ziemlich neue Lieder also, Lieder der Liebe...des Kriegs...oder der Kontemplation...und sie alle haben etwas gemeinsam: Einen starken Hang zur Melodie, wie er eigentlich im zwanzigsten Jahrhundert schon aus der Mode gekommen schien... Fangen wir vielleicht mal mit einer kurzen Definition an, sie kommt vom Komponisten Mark Adamo, dessen Lieder und Opern voller Melodien sind: O-Ton Adamo: Melodie ist horizontal geschriebene Musik – die Logik von aufeinander folgenden Tonhöhen, die Logik von einander antwortenden Phrasen. Wir erinnern uns an die Melodie, und nicht an die wie auch immer gearteten Akkorde, die darunter liegen... Musik 1 Mark Adamo: The late Victorians – IV: Chorale Emily Pully (Sopran), Eclipse Chamber Orchestra Naxos 8.559258, 0’37 Mark Adamos Ehemann und manchmal auch Co-Autor ist der Komponist John Corigliano – er sagt: O-Ton Corigliano: „Die Sache mit der Melodie ist: Wie die Sprache auch braucht sie eine Zeichensetzung. Wenn du eine Melodielinie nie enden lässt, verlierst du sie als Melodie und es wird eine lyrische Passage. 2
Also braucht sie ein Komma, und sie braucht einen Punkt.“ Musik 2 John Corigliano: The Cloisters I – Fort Tryon Park: September Henry Herford (Bariton), Robin Bowman (Klavier) New World Records 80327, 1’01 Warum heißt diese Sendung heute „Die Rückkehr der Melodie?“ Nun ja, weil sich im zwanzigsten Jahrhundert so viele Komponisten von den traditionellen westlichen Konzepten von Melodie und Harmonie verabschiedet hatten, die auf den acht Noten einer Standardtonleiter basieren, Sie wissen schon: (singt: Do- Re-Mi-Fa-Sol-La-Ti-Do). Arnold Schönberg und seine Schüler Berg und Webern haben mit ihrer Zwölfton- Methode die Gewichte verschoben: Alle zwölf Töne von Do bis Do – also auch die Halbtöne, denken Sie sich die weißen und schwarzen Tasten auf dem Klavier zusammen - haben das gleiche Gewicht und werden in einer Serie oder: Reihe nach bestimmten Regeln angeordnet. Und diese Reihe ist dann das Material für das zu komponierende Stück. Diese Technik kann hoch expressive, wundervolle Musik hervorbringen. Aber was ihr in jedem Fall und mit vollster Absicht fehlt, ist: Melodie. Musik 3 [RBB] F009493 02-008, 2'50 Schönberg, Arnold Nr. 5: Walzer aus: 5 [fünf] Stücke für Klavier, op. 23 Gould, Glenn Glenn Gould spielt da aus Arnold Schönbergs Fünf Klavierstücken opus 23. Einen Großteil des zwanzigsten Jahrhunderts lang war atonale Musik an der Tagesordnung, sei es an den Hochschulen und Akademien, sei es bei Kompositionsaufträgen. Für viele Lied-Komponisten war das ein Problem. In Musik gesetzte Dichtung, das, was ein Lied ausmacht, war mit den immer fragmentierteren Kompositions-Techniken immer schwerer zu verwirklichen. Nicht 3
zuletzt, weil man schlicht die Texte nicht mehr verstehen konnte und so der Zweiklang aus Poesie und Musik verlorenging, der das Lied nun einmal ausmacht. Und so sind – besonders in den USA - viele, die die Kunstform Lied nicht aufgeben wollten, doch der Melodie treu geblieben. Ich denke da an Ned Rorem, Samuel Barber oder Leonard Bernstein. Und wir werden in dieser Sendung hören, wie ihr melodischer Stil über die vergangenen Jahrzehnte dann doch wieder enorm in Mode gekommen ist... 1966, kurz nachdem er seine melodiesatten „Chichester Psalms“ für Chor und Orchester komponiert hatte, bekam Leonard Bernstein, der Musiktitan seiner Zeit, einen Brief von einem jungen Komponisten. Sein Name war John Adams, und er wurde dann später selber ein Titan seiner eigenen Generation – heute ist John Adams schon lange einer der bedeutendsten Komponisten Amerikas. Adams wollte Bernstein zur Rede stellen, wieso der nicht eine modernere – also: atonalere – Musik komponierte. Bernstein antwortete ihm: „Ich kann mir Musik (also: meine Musik) nicht geschieden von der Tonalität vorstellen. Ob das nun gut oder schlecht ist, ist irrelevant. Das einzig Wichtige ist die Wahrheit des schöpferischen Akts.“ 1988 schreibt Bernstein einen Liedzyklus mit dem Titel „Arias and Barcarolles“, und er benutzt da ganz unterschiedliche Kompositionstechniken, auch Zwölftonmusik. In einem der Lieder, „Love Duet“, erforscht ein Paar nicht nur das Wesen seiner Beziehung, sondern auch das Wesen der wunderschönen Melodie, die sie singen: Musik 4 [BR] CD082190Z00 01-010, 4'05 Bernstein, Leonard; Bernstein, Leonard Love Duet Judy Kaye & William Sharp Judy Kaye und William Sharpe mit dem höchst melodischen „Love Duet“ aus „Arias and Barcarolles“, Text und Musik von Leonard Bernstein. Steven Blier und Michael Barrett begleiteten vierhändig. Ned Rorem, einer der ungeniertesten Melodiker in der Welt des amerikanischen Lieds, ist Jahrgang 1923. 4
In seinem enormen Werkkatalog finden sich viele Vertonungen von Poesie früherer Epochen, die aber den Blick auf aktuelle Probleme lenken sollen. 1969, der Vietnamkrieg ist auf dem Höhepunkt, holt Rorem sich Inspiration aus Walt Whitmans Tagebuch aus dem Bürgerkrieg, „Specimen Days“. Er versammelt fünf Ausschnitte daraus in einem Liedzyklus mit dem Titel „War Scenes“, und widmet ihn, Zitat, „..denen, die in Vietnam starben, auf beiden Seiten, während der Niederschrift vom 20. bis 30. Juni 1969.“ Das hier ist „Inauguration Ball“, eine Art dementer Walzer, der zwei Szenen aus Whitmans Tagebuch einander gegenüberstellt: Musik 5 Ned Rorem: Inauguration Ball Donald Gramm (Bassbariton), Eugene Istomin (Klavier) Phoenix U.S.A. PHCD 116, 1’35 „Inauguration Ball“ aus „War Scenes“, Szenen aus dem Krieg, von Ned Rorem, gesungen hat Bass-Bariton Donald Gramm, am Klavier war Eugene Istomin. Die meisten Lieder von Ned Rorem sind ziemlich lyrisch, aber das hier war eines mit ein paar Ecken und Kanten. Im Gegensatz zu Rorem ist Samuel Barber niemals von seinem verschwenderisch romantischen Stil abgewichen. Auch dann nicht, als die musikalischen Moden sich änderten. Barber war ein Kenner der Gegenwarts-Dichtung, und angesichts des skurrilen Textes von „A green lowland of pianos“ hat es ihn ganz offensichtlich in den Fingern gejuckt. Die Verse stammen vom polnischen Dichter Jerzy Harasymowicz, ins Englische übersetzt hat sie der Schriftsteller Czeslaw Milosz. Ich habe dieses Lied 1992 aufgenommen, als Teil einer Gesamtausgabe von Barbers Liedern. 5
Musik 6 M00531741-046, 2'09 Milosz, Czeslaw; Barber, Samuel Nr. 2: A green lowland of pianos. Allegretto con grazie aus: 3 Lieder für Singstimme und Klavier, op. 45 Hampson, Thomas; Browning, John „A green lowland of pianos“, von Samuel Barber – ich selbst habe gesungen, begleitet von John Browning. Ein Bereich des Liederschreibens, wo Melodie mehr oder weniger Voraussetzung ist, ist die Welt des Kabaretts. Gar nicht wenige klassische Komponisten haben Kabarett-Songs geschrieben, inklusive der Gottvater der Zwölftonmusik Arnold Schönberg...Der Amerikaner William Bolcom hat gleich vier Sammlungen von Cabaret Songs komponiert, auf Texte von Arnold Weinstein. Einer der lustigsten ist von 1978 und heißt „Amor“. Frederica von Stade hat ihn auf einem Geburtstagskonzert zum Sechzigsten der Mezzosopranistin Marilyn Horne gesungen: Musik 7 William Bolcom: Amor Frederica von Stade (Mezzosopran), Martin Katz (Klavier) RCA Victor 09026-62547-29, 3’08 „Amor“ von William Bolcom – Frederica von Stade war das, und Martin Katz saß am Klavier. Erinnern Sie sich an John Coriglianos Bemerkung von vorhin darüber, wie schwer es ist, eine Melodie zu komponieren? Er hat den Einsatz 1998 noch mal erhöht, als er zusammen mit Mark Adamo einen Cabaret Song geschrieben hat. Corigliano hatte darüber gescherzt, dass er immer ein Lied mit dem Titel „Twelve tone rose“ hatte schreiben wollen. Was, je nachdem, wie man es schreibt, entweder „Zwölfton-Rose“ bedeutet, oder eben „Zwölfton-Reihen“, Twelve tone rows...(versteht man das?) Sein Partner Mark Adamo hat ihm den Text 6
dazu geliefert, und das Resultat war „Dodecaphonia“. Corigliano erklärt dazu, dass er in dieses Lied serielle Techniken einfließen ließ – und ein paar musikalische Scherze. O-Ton Corigliano: „Die Melodie von „Twelve tone rose“ ist eine Zwölfton-Reihe, aber sie ist so harmonisiert, dass sie eigentlich klingt wie ein bluesiger, poppiger Kabarett-Song. Und es gibt auch jede Menge Zitate darin, also, wenn es im Text heißt „er köderte Leute wie Copland und auch Bernstein“, dann gibt es kleine Anklänge an Coplands „Fanfare for the common man“ und etwas aus der West Side Story. Und dann kommt auch dauernd der Tristan-Akkord ins Spiel, weil es dieser „deutsche“ Akkord war, der das ganze Zwölfton-Ding ins Rollen brachte.“ Hier ist ein Ausschnitt aus „Dodecaphonia“, gesungen von Lisa Delan. Musik 8 John Corigliano: Dodecaphonia Lisa Delan (Sopran), Kristin Pankonin (Klavier) Pentatone 5186099, 2’35 Der witzige Carabet Song „Dodecaphonia“ von John Corigliano und Mark Adamo, gesungen von Lisa Delan, mit Kristin Pankonin am Klavier. Ich bin Thomas Hampson, und Sie hören heute die letzte Folge unserer großen Musikstunden-Reihe „Das Lied als Spiegel seiner Zeit“, - wir schwelgen heute in Melodien, die im späteren zwanzigsten Jahrhundert ins klassische Lied zurückgekehrt sind. In den späten Achtzigern und frühen Neunzigern wurde die Welt – und die Kunstwelt im Besonderen – von der verheerenden AIDS-Epidemie heimgesucht. Während Dutzende Komponisten und Musiker aller Sparten dem Virus zum Opfer fielen, hat der amerikanische Bariton William Sharp ein Projekt konzipiert, das achtzehn Komponisten zusammenbrachte – Schwule und Heteros, gesunde und Kranke -, die sollten neue Lieder schreiben für „The AIDS Quilt Songbook“, wie das Projekt dann genannt wurde. 7
Inspiriert war das Songbook vom riesigen, handgenähten „AIDS Quilt“, der in den gesamten USA weitergereicht wurde – dafür wurden in amerikanischer Quilt-Tradition viele tausend kleine Stoffstücke zusammengenäht, jedes davon trägt den Namen eines an AIDS gestorbenen Menschen. Ähnlich konzipiert war das Liederbuch, dessen Premiere als Liederzyklus dann 1992 in New York City stattgefunden hat. Weniger als ein Jahr später starb William Sharp an der Krankheit. Hier ist „I never knew“ von Ricky Ian Gordon, aus dem AIDS Quilt Songbook. Musik 9 Ricky Ian Gordon: I never knew Kurt Ollmann (Bariton), Ricky Ian Gordon (Klavier) Harmonia mundi USA 907602, 4’02 Ricky Ian Gordons eindringlich melodisches „I never knew“ aus dem „AIDS Quilt Songbook“, mit Kurt Ollmann, begleitet vom Komponisten. Ricky Ian Gordon, dessen Partner in den neunziger Jahren an AIDS gestorben ist, ist ein in den USA viel aufgeführter Komponist, so wie auch John Musto - ein Opern- und Liedkomponist, der in den letzten zwei Dekaden des 20. Jahrhunderts bekannt geworden ist. Hier ist eine kleine Preziose von ihm: „Social Note“, basierend auf einem Gedicht der scharfzüngigen Mrs Dorothy Parker, gesungen von Mustos Frau, der Sopranistin Amy Burton: Musik 10 John Musto: Social Note Amy Burton (Sopran), John Musto (Klavier) Bridge 9286, 0’41 Amy Burton mit „Social Note“ von John Musto, der hier auch am Klavier saß. Heute, im frühen einundzwanzigsten Jahrhundert, ist einer der wichtigsten Trends unter Komponisten die Einbeziehung von Volksmusik, Weltmusik und Jazz. Die 8
nächsten drei Lieder illustrieren das – und zeigen, dass junge Komponisten immer noch fasziniert sind von der Möglichkeit, Dichtung in Musik auszudrücken: Musik 11a Gabriela Lena Frank: „Me Diste...oh Dios...Un Hija“ Robert Gardner (Bariton), Anna Polonsky (Klavier) Privataufnahme Th.Hampson, 0‘10 Die Komponistin Gabriela Lena Frank hat peruanische, chinesische, litauische und jüdische Wurzeln, - sie sagt, dass es vor allem die lateinamerikanische Volksmusik war, die sie immer angezogen hat. O-Ton Frank: „...und ich denke, ich habe mir da eine lebenslange Frage beantwortet, nämlich, wie sehr ich einerseits Amerikanerin und andererseits eine Latina bin. Es war etwas, was mich immer interessiert hat. Ich habe in meinem Leben viele lateinamerikanische Hüte aufprobiert...“ Einer der „Hispanic hats“, die sie probiert hat, war der nicaraguanische. 2004 hat Gabriela Lena Frank die „Songs of Cifar and the Sweet Sea“ des nicaraguanischen Dichters Pablo Antonio Cuadra bearbeitet. Es ist ein epischer Zyklus, sozusagen von der Wiege bis zum Grabe, über einen Schiffsmann auf dem Lake Nicaragua, in dem das Klavier seine ganz eigene Identität bekommt: O-Ton Frank: „Die zentralamerikanische Musik ist bekannt für ihre Marimba-Kultur, also versuche ich, das Klavier wie eine Marimba klingen zu lassen“. Wir hören hier einen Auszug aus einem dieser Songs – der Schiffsmann entdeckt, dass er Vater einer Tochter ist: „Me diste...oh Dios...Un Hija!“: 9
Musik 11b Gabriela Lena Frank: „Me Diste...oh Dios...Un Hija“ Robert Gardner (Bariton), Anna Polonsky (Klavier) Privataufnahme Th.Hampson, 2‘15 Ein Auszug aus „Songs of Cifar and the Sweet Sea“ von Gabriela Lena Frank – Robert Gardner war der Sänger, und Anna Polonsky machte das Klavier zur Marimba. Der Komponist Osvaldo Golijov ist als Jude im ziemlich katholischen Argentinien zur Welt gekommen, und seine Musik kombiniert oft diese beiden unterschiedlichen Kulturen. Golijovs „Markuspassion“ benutzt Passagen aus dem hebräischen Totengebet Kaddisch, und sein Liederzyklus „Ayre“, geschrieben zweitausendvier für die Sopranistin Dawn Upshaw, ist eine noch wildere Mixtur der Kulturen. „Ayre“, erzählt Golijov, „heißt im mittelalterlichen Spanisch „Luft“, aber auch „Melodie“. O-Ton Golijov: „Ich hatte beschlossen, dass ich, statt überall auf der Welt nach Volksmelodien zu suchen, mich auf den Mittelmeer-Raum konzentrieren würde; genauer gesagt: das mittelalterliche Spanien, einen Ort, wo Moslems, Juden und Christen relativ harmonisch ko-existiert und sich ausgetauscht haben, und das hat viel kreative Spannung erzeugt, in den Wissenschaften, in der Kunst und im Leben. Und doch ist dieser Ort später ein Ort des Blutvergießens geworden.“ Das erste Lied im Zyklus ist „Mananita de San Juan“. Auch wenn hier alles im Mittelalter spielt – Golijov sagt, es fühle sich an, als ob das genau so auch heute passieren könnte: O-Ton Golijov: „Es beginnt mit „Es war der Morgen des Johannistags, und Christen und Mohren zogen in den Krieg. Sie kämpften, sie starben, fünfhundert auf jeder Seite...“ 10
Musik 12 M0051765-001, 3'53 Golijov, Osvaldo; Traditional (1) Mañanita de San Juan (sephardische Romanze) aus: Ayre für Stimme und Kammerensemble Upshaw, Dawn; The Andalucian Dogs „Mananita de San Juan“ aus dem Liederzyklus „Ayre“ von Osvaldo Golijov, gesungen von Dawn Upshaw, die hier von einem Kammerensemble begleitet wird, das sich „The Andalusian Dogs“ nennt. Dawn Upshaw war immer eine große Fürsprecherin für die neue Vokalmusik, sie hat viele Kompositionsaufträge für neue Werke möglich gemacht – zum Beispiel auch für „Winter Morning Walks“ der Jazzmusiker und eine Sängerin. O-Ton Schneider: „Ich wollte etwas für sie schreiben, das Improvisation mit einbezieht. Also sagte ich: „Dawn, wenn ich was für dich schreibe, würde ich gerne etwas machen, wo ich ein paar Leute aus meinem Jazzensemble mit reinnehme...“ Und sie wurde ganz aufgeregt, sie sagte „Ich improvisiere eigentlich nicht“, und ich sagte „Naja, im Jazz-Sinne musst du das auch nicht, und ich glaube nicht, dass es sehr nach Jazz klingt“. Aber ich habe Musik geschrieben, die ein bisschen elastischer war, was die Takteinteilung angeht...“ Schneider beschloss, ein paar Gedichte des ehemaligen „Poet Laureate“ Ted Kooser zu vertonen. Er hat diese Verse auf seinen Spaziergängen vor Morgengrauen auf seiner Farm in Nebraska geschrieben, während er sich von einer Krebserkrankung erholt hat. O-Ton Schneider: „Ich liebe alle Lieder im Zyklus, aber mein Favorit ist vielleicht „Walking by flashlight“: „Unterwegs mit der Taschenlampe um sechs Uhr in der Früh/ mein Lichtkreis auf dem Schotter, wie er von Seite zu Seite schwingt/ Koyote, Waschbär, Feldmaus, Spatz/ betrachten diesen Mann mit seinem Mond an der Leine“ (Lacht) Ich liebe das!“ 11
Musik 13 [BR] M0044715103 01-003, 3'52 Schneider, Maria; Kooser, Ted Walking by flashlight Maria Schneider, Dawn Upshaw & Australian Chamber Orchestra Dawn Upshaw und das Australian Chamber Orchestra mit „Walking by flashlight“, Musik von Maria Schneider, Verse von Ted Kooser, aus der Sammlung „Winter morning walks“. Diese Aufnahme hat übrigens 2014 vier Grammy Awards eingesammelt, für Komponistin, Sängerin, Producer und Technik. Ich bin Thomas Hampson, und unsere große Reihe „Das Lied als Spiegel seiner Zeit“ neigt sich langsam ihrem Ende zu. Ich wollte Ihnen in diesen Sendungen etwas über die Bedeutung des klassischen Lieds als Geschichtsbuch und Zeitenspiegel erzählen, und Ihnen zeigen, wie aktuell diese Kunstform immer war und bis heute geblieben ist: Lieder sind, in ihrer perfekten Synthese von Dichtung und Musik, der Schlüssel zum Verständnis von Kultur und Geschichte, sie sind das Tagebuch der Welt. Hier in unserer Musikstunden-Reihe hat ganz zum Schluss noch einmal Ned Rorem das Wort. Rorem, der dieses Jahr 95 Jahre alt wird und in seinem Leben weit über vierhundert Lieder geschrieben hat, hat im Jahr 2002 einen Zyklus unter dem Titel „Aftermath“ veröffentlicht, das bedeutet so viel wie „Nachspiel“ oder „Nachwirkung“. „Im ersten Schock nach dem Elften September“, so Rorem, „fragte ich mich, was Tausende andere Komponisten sich gefragt haben werden: Was ist jetzt noch der Sinn von Musik? Aber es wurde schon bald klar, dass Musik der einzige Sinn war.“ Wir hören hier noch das letzte Lied aus „Aftermath“, es heißt einfach „Then“, Dann. Der Text stammt von der amerikanischen Dichterin Muriel Rukeyser und ist eigentlich schon 1976 entstanden. Aber man versteht schnell, wieso Ned Rorem im Moment dieser Zeitenwende gerade diese Verse so wichtig fand: Wenn ich tot bin, sogar dann Werde ich dich noch lieben. Ich werde in diesen Gedichten warten, Wenn ich tot bin, sogar dann 12
Höre ich dir noch zu. Ich werde immer noch Gedichte für dich machen Gedichte aus Schweigen; Schweigen wird in Schweigen fallen Und es wird Musik daraus werden. Musik 14 Ned Rorem: Then Nathaniel Webster (Bariton), Gilbert Kalish (Klavier), Ani Kavafian (Violine), David Finckel (Violoncello) Music @ Menlo Recording Series (keine weiteren Angaben), 2‘32 Das waren der Bariton Nathaniel Webster, Gilbert Kalish am Klavier, Ani Kavafian, Violine, und David Finckel am Cello mit „Then“ von Ned Rorem aus seinem Zyklus „Aftermath“, geschrieben direkt nach den Anschlägen des 11. September 2001 – und heute so aktuell wie damals. Lieder sind eben Zeitreisende... Und damit sind wir am Ende unserer Musikstundenreihe „Das Lied als Spiegel seiner Zeit“ angekommen – Einzelheiten zu den Autoren und der Übersetzung finden Sie in den Manuskripten, die stehen auf der SWR2-Website unter swr2.de - schrägstrich – Musikstunde, dort können Sie die Sendungen auch noch einmal nachhören, und wenn Sie mehr über die Geschichte und die Geschichten des Lieds erfahren möchten, dann besuchen Sie meine Stiftung, die Hampsong Foundation, auf Hampsong.org – diese Sendereihe ist in Zusammenarbeit zwischen der Hampsong Foundation und SWR2 entstanden. Ich danke für Ihr Interesse und fürs Zuhören, Ihr Thomas Hampson! 13
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