1/ 2005 22.Jahrgang THEMENSCHWERPUNKT - Teamsupervision Coaching 20 Jahre GLE - Zeitschrift Existenzanalyse

 
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1/ 2005
22.Jahrgang

              THEMENSCHWERPUNKT

                    Teamsupervision
                          Coaching

                      20 Jahre GLE
INHALT

Impressum ................................................................................................................. 85    Wissenschaftlicher
                                                                                                                                   B E I R A T
ORIGINALARBEIT
Supervision und Coaching in Teams und Gruppen (Liselotte Tutsch) ....................... 4

                                                                                                                                 Michael ASCHER
FORUM                                                                                                                            Philadelphia (USA)
Psychotherapie und Supervision (Karin Matuszak-Luss) .......................................... 19                               Karel BALCAR
Kleines babylonisches Coaching ABC (Klaus Niedl) ................................................. 24                            Prag (CZ)
Das offene Gespräch im Team (Stefan Pfanner) ...................................................... 26                           Gion CONDRAU
Existenzanalyse und Gruppendynamik (Astrid Görtz) ............................................... 33                             Zürich (CH)
Von der Arbeitsgruppe zum Team (Felicitas Heindl) ................................................ 36                            Herbert CSEF
Coaching – Chancen für Leitende (Rainer Kinast) .................................................... 43                          Würzburg (D)
Führungskraft als Coach (Rainer Kinast, Irmgard Mendler-Schadt) ........................ 48                                      Nolberto ESPINOSA
Betriebsinterne Teamsupervisionen (Rainer Kinast, Irmgard Mendler-Schadt) ........ 52                                            Mendoza (ARG)
Wenn Werte wegbrechen (Alexander Milz) ............................................................... 57                        Reinhard HALLER
Kann Supervision an Schulen helfen? (Anton Nindl) ................................................ 61                            Feldkirch (A)
                                                                                                                                 Hana JUNOVÁ
                                                                                                                                 Prag (CS)
BUCHBESPRECHUNGEN ......................................................................................... 67                   Christoph KOLBE
PUBLIKATIONEN ..................................................................................................... 81           Hannover (D)
                                                                                                                                 George KOVACS
                                                                                                                                 Miami (USA)
BEILAGE: GLE - INFO                                                                                                              Jürgen KRIZ
KONTAKTADRESSEN ............................................................................................. 2                  Osnabrück (D)
AKTUELLES .............................................................................................................. 3       Anton-Rupert LAIREITER
20 Jahre GLE - eine Geschichte (Alfried Längle) ..................................................... 3                          Salzburg (A)
Ein Logo für Existenzanalyse (Alfried Längle) ......................................................... 13                       Alfried LÄNGLE
                                                                                                                                 Wien (A)
TERMINE .................................................................................................................. 17    Karin MATUSZAK-LUSS
MITTEILUNGEN ...................................................................................................... 23           Wien (A)
INSTITUTE ............................................................................................................... 28     Corneliu MIRCEA
                                                                                                                                 Temesvar (RO)
                                                                                                                                 Christian PROBST
                                                                                                                                 Graz (A)
                                                                                                                                 Heinz ROTHBUCHER
                                                                                                                                 Salzburg (A)
                                                                                                                                 Christian SIMHANDL
                           BANKVERBINDUNGEN DER GLE-INT.                                                                         Wien (A)
                                                                                                                                 Christian SPAEMANN
Österreich:                  Konto Nr.: 040-33884, Erste Österr. Spar-Casse-Bank, BLZ 20111                                      Braunau (A)
Deutschland:                 Konto Nr.: 7000006, Acredobank Nürnberg, BLZ 76060561                                               Michael TITZE
Schweiz:                     Konto Nr. 203054-10-556, Credit Suisse                                                              Tuttlingen (D)
Andere Länder:               Wir bitten um Zahlung mittels Postanweisung                                                         Liselotte TUTSCH
                             oder mittels DC, VISA, EC/MC                                                                        Wien (A)
                  BANKVERBINDUNGEN DER LÄNDERVEREINE                                                                             Helmuth VETTER
                                                                                                                                 Wien (A)
GLE-Österreich: Konto Nr.: 281-120-961/00, Erste Österr. Spar-Casse-Bank                                                         Beda WICKI
GLE-Deutschland: Konto Nr.: 8460700, Bank für Sozialwirtschaft                                                                   Unterägeri (CH)
IGEAP-Schweiz: Konto Nr. 42 391044435, Berner Kantonalbank (BeKB)                                                                Wasiliki WINKLHOFER
                       ABO-PREISE FÜR DIE EXISTENZANALYSE                                                                        München (D)
                                                                                                                                 Elisabeth WURST
Jahresabonnements für Nichtmitglieder: Euro 25,-/sfr 38,- inkl. Versand
                                                                                                                                 Wien (A)
Einzelpreis: Euro 16,-/ sfr 24,- inkl. Versand (Europa) – Mitglieder erhalten die Zeitschrift kostenlos.
Die EXISTENZANALYSE mit Info Beilage erscheint 2 mal jährlich.

2          EXISTENZANALYSE 22/1/2005
EDITORIAL

     HINWEISE                       Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen!
      Themenredaktion               Dieses Frühjahr bedeutete für die GLE ein Jubiläum – es brachte den 20
      Dr. Lilo Tutsch            jährigen Bestand der Gesellschaft. Es war kein leichter Beginn damals, zwischen
      Dr. Astrid Görtz           Zögern und Dringlichkeit und dem Selbstbewusstsein, einen eigenen Weg gehen zu
                                 müssen. Alfried Längle berichtet davon in einem ausführlichen Bericht aus der Insi-
                                 der-Perspektive. Dass wir uns über das, was inzwischen aus diesen Anfängen ge-
      20 Jahre GLE               wachsen ist, freuen können und es auch feiern wollen, fand seinen Ausdruck in
Ein Bericht zur Geschichte des   einem Sammelband zur Praxis der Existenzanalyse, den ich zusammen mit Martha
  Vereins von Alfried Längle     Sulz herausgeben konnte und der sich als ein Lesebuch zur Existenzanalyse ver-
       Infoheft Seite 3          steht: „das eigene leben“ – ein Titel, der programmatisch ist für den Inhalt.
                                    Als ein Fest kann man auch den gelungenen Jahreskongress der GLE Ende
 Lesebuch zur Existenzanalyse    April in Wien bezeichnen. Es war unser bisher größter Kongress mit 770 Teilneh-
    „das eigene leben“           mern, auch vielen, die nicht aus der Existenzanalyse stammen, und die uns durchwegs
                                 sehr positive Rückmeldungen gaben. Ein höchst aktuelles Thema, interessante Refe-
           Seite 86              renten – es war eine intensive Vertiefung in die Arbeit zum „Trauma und der verletz-
                                 ten Person“. Dies war auch ein Beitrag der GLE zu einem weiteren Jahrestag,
Psychotherapie Forum             zum 100. Geburtstag von Viktor Frankl am 26. März 2005. Vor allem der öf-
    Vol.13, No.2, 2005:          fentliche Vortrag von A. Längle abends am ersten Kongresstag hatte einen expliziten
 Schwerpunkt Existenzanalyse     Bezug auf Frankl beim Thema „Trauma und Sinn. Wider den Verlust der Menschen-
         Seite 56                würde.“
                                    Einen weiteren Bezug auf diesen runden Geburtstag Frankls stellen zahlreiche
                                 Fach-Artikel von Autoren aus der GLE in der neusten Ausgabe des „Psychothera-
Das Logo            der GLE      pie Forum“, der Fachzeitschrift des österreichischen Psychotherapieverbandes, dar.
      Infoheft Seite 13              Wir freuen uns auch sehr, eine neue Entwicklung ankündigen zu können, näm-
                                 lich die Akkreditierung des vom Verein „pro mente“ gemeinsam mit Lehrpersonal
     „pro mente“ bietet an
                                 aus der Existenzanalyse gestalteten Propädeutikums für die Psychotherapie-
 neues Propädeutikum             ausbildung in Österreich. Dieser Lehrgang soll im Frühling 2006 starten.
     ab Frühling 2006 mit
     Lehrpersonal aus der           Die Expansionskraft der Existenzanalyse wird auch am Thema dieser Ausgabe
        Existenzanalyse          unserer Zeitschrift deutlich: es ist das Anwendungsgebiet der Supervision, zu
                                 dem seit einigen Jahren Lilo Tutsch auch Ausbildungen mit einem eigenen Curricu-
           Seite 42
                                 lum entwickelt hat. Es umfasst die Teilgebiete der Teamsupervision und des Coaching,
   Kongressnachlese              dem dieses Heft gewidmet ist, und der Fallsupervision, die in einem zweiten Teil in
                                 einem Jahr hier dargestellt wird. In diesem Feld tätige existenzanalytische Autoren
       CD, DVD und MC
                                 haben die Beiträge gestaltet, die auch für Leser, die nicht in dem Bereich tätig sind,
          Seite 56               spannende Einblicke in Gruppenprozesse geben. Die Anwendung der Existenzanalyse
   Salzburger Nachtstudio        im Coaching bezieht sich auf das Paradigma der dialogischen Grundverfasstheit der
          Seite 18               Person und kann einen eminenten Beitrag zur Ressourcen- und Persönlichkeits-
                                 entwicklung leisten.

  THEMEN-VORSCHAU                    Soviel dynamische Entwicklung bedarf zwischendurch auch einer Ruhepause.
                                 In diesem Sinne freuen wir uns sehr auf einen erholsamen Sommer, den wir uns für
         2/2005                  uns alle wünschen!
      Tagungsbericht
 Trauma und Persönlichkeit
         1/2006
     Supervision Teil II
   Redaktionsschluss EA
     Nummer 2/2005                                             Ihre Silvia Längle
       26. 08. 2005                                      Im Namen des Redaktionsteams
   gle@existenzanalyse.org
http://www.existenzanalyse.org

                                                                                  EXISTENZANALYSE 22/1/2005          3
ORIGINALARBEIT

                          Supervision und Coaching
                           in Teams und Gruppen
                                                          Liselotte Tutsch

    Supervision und Coaching haben sich als Teile                           In the last two decades supervision and coaching
    der Organisationsentwicklung in den letzten zwei                        have developed, as parts of the organisation
    Jahrzehnten zu einem integrierten und aner-                             development, into an integrated and respected
    kannten Bestandteil des beruflichen Alltages ent-                       component of professional everydaylife.
    wickelt. Demgemäß ist der Markt nahezu unüber-                          Accordingly the market has almost lost its clear
    schaubar geworden. Neben den aus psychothe-                             overview. Apart from the concepts developed and
    rapeutischen Schulen entwickelten und getrage-                          maintained from psychotherapeutical schools,
    nen Konzepten existieren eine Reihe von eklek-                          there exist a series of ecclectisistic proceedings
    tizistischen Vorgangsweisen, die in der Hand un-                        which in the hands of inexperienced supervisors
    erfahrener Supervisoren* oft auch zu fragwürdi-                         often turn out in doubtful performance. Therefore
    gen Vorgehensweisen führen. Daher ist es wich-                          it is important to connect a concept with its
    tig, ein Konzept mit seinen anthropologischen                           anthropological roots.
    Wurzeln zu verbinden. Der Artikel versucht dies                         The article tries to do this in a theoretical but also
    sowohl in theoretischer wie auch in praktischer                         in a practical manner.
    Hinsicht.                                                               While part I of this existing work deals with the
    Während sich Teil I der vorliegenden Arbeit mit                         explanation of the term and the history of
    der Begriffsklärung und Geschichte von Super-                           supervision and coaching, it is attempted in the
    vision und Coaching befasst, wird in Teil II und                        parts II and III to show this linking of an existenti-
    Teil III versucht, diese Anbindung eines existenz-                      al analytical supervision and coaching concept
    analytischen Supervisions- und Coachingkon-                             to its anthropological roots. On the one hand the
    zepts an seine anthropologischen Wurzeln dar-                           conceptual basis of existential analytical
    zustellen. Zum einen werden die konzeptuellen                           supervision is discussed, in order to continue with
    Grundlagen der existenzanalytischen Supervision                         necessary modifications or differences between
    besprochen, um im Weiteren notwendige Modi-                             supervision and therapy. On the other hand the
    fikationen beziehungsweise Unterschiede der                             thus resulting practice is described as a concrete
    Supervision zur Therapie anzumerken; zum an-                            methodical approach. The centre of the existenti-
    deren wird die daraus resultierende Praxis als kon-                     al analythical supervision and coaching is formed
    krete methodische Vorgehensweise beschrieben.                           by the dialogue of the persons involved. Hence,
    Im Zentrum existenzanalytischer Supervision und                         the central task of the supervisor is to guide this
    Coaching steht der Dialog der Beteiligten. Zen-                         dialogue, to support it, leading towards the
    trale Aufgabe des Supervisors ist es daher, die-                        formulation of necessary questions in a process
    sen Dialog anzuleiten, zu unterstützen, und da-                         providing new ways of thinking and solutions.
    mit die jeweiligen Fragestellungen in einen Verar-
    beitungsprozess hin zu neuen Sichtweisen und
    Lösungen zu führen.
    Schlüsselwörter: Coaching, Existenzanalyse, Pra-                        Key words: existential analysis, theory, practice,
    xis, Supervision, Theorie                                               supervision, coaching

Einleitung                                                              bereiche gesondert anführen zu müssen. Tatsächlich aber
                                                                        eignet sich die im Nachfolgenden dargestellte Vorgehensweise
    Der erste Teil des Artikels bezieht sich auf Supervision            ebenso für das Teamcoaching, für Gruppen- und für das
und Coaching im Allgemeinen und gibt einen kurzen Über-                 Einzelsetting. Die Vorgangsweise muss nur dem jeweiligen
blick über Begriff, Geschichte und „main streams” in diesem             Setting und seiner Zielsetzung angepasst und kann im Einzel-
Bereich. Im zweiten und dritten Teil wird das existenz-                 setting um die selbsterfahrerische und persönlichkeitsbildende
analytische Konzept (vgl. Tutsch 2001) in einer überarbeite-            Dimension erweitert werden. Auf die Differenzierung zwi-
ten Fassung vorgestellt.                                                schen Coaching und Supervision bzw. deren Schwerpunkte
    Wenn hier nur von „Teamsupervision” die Rede ist, so                wird sowohl im Einleitungsteil als auch in den Beiträgen an-
geschieht dies lediglich, um nicht jeweils alle Anwendungs-             derer Autoren in dieser Ausgabe eingegangen.

* Der leichteren Lesbarkeit halber wird nur die männliche Form verwendet.

4       EXISTENZANALYSE 22/1/2005
ORIGINALARBEIT
I) Begriffsklärung und Geschichte von Super-                         darin handelnden Personen und durch eine hohe Lösungs-
vision und Coaching                                                  orientiertheit aus und entspricht damit dem Zeitgeist, der
                                                                     schnelles Handeln, Beweglichkeit und Anpassungsfähigkeit
Supervision                                                          verlangt. Er bietet mit einer Reihe spielerischer und anschau-
    Der Begriff leitet sich aus den lateinischen Worten „su-         licher Methoden einen optimistischen und auch beeindrucken-
per” – oben, darüber, zuoberst – und „visio” – das Sehen,            den Zugang zu den Fragestellungen und produziert mit Leich-
der Anblick, die Erscheinung – ab. Er meint also, aus einer          tigkeit neue Sichtweisen und Lösungen, lässt aber Konflikt-
distanzierten, übergeordneten Position auf etwas zu schau-           haftes, Vergangenheitsorientiertes eher „liegen”, geht also
en, um so zu mehr Überblick, Einsicht und Mehrsicht und in           nicht den – langsameren – Weg über die explizite Verarbei-
der Folge zu neuen Handlungs- und Verhaltensspielräumen              tung. Dort wirkt er „eher nebenbei”.
wie auch Lösungen und Visionen zu kommen.
    Schauen wir auf die Konsumentenseite, so finden wir den              Als Vorläufer der systemischen Betrachtungsweise fin-
Begriff Supervision nahezu ausschließlich im Non-Profit-             den wir die gruppendynamisch orientierten Richtungen, de-
Bereich. Dies liegt in der Geschichte der Supervision begrün-        ren Augenmerk auf die typischen Prozesse und Interaktio-
det. Sie hat sich aus beruflichen Erfordernissen heraus als          nen innerhalb des Systems Gruppe gerichtet ist. In dieser
Anleitung durch Vorgesetzte und erfahrene Kollegen (Men-             Form hat die gruppendynamisch orientierte Supervision ihre
toren und Tutoren) entwickelt und war Praxisanleitung und            Hochblüte überschritten. Sie wurde in den siebziger Jahren
persönliche Hilfestellung hinsichtlich der beruflichen Aufga-        in verschiedensten Variationen vor allem seminaristisch als
ben. Ihre Ursprünge finden wir im Feld der Sozialarbeit und          Instrument der Organisationsentwicklung angewendet. Wird
in der Laienhilfe; sie sind verbunden mit Namen wie Oktavia          der Fokus auf die Gruppendynamik und deren Erleben und
Hill, die im 19. Jahrhundert in Großbritannien freiwillige Mit-      Verstehen gerichtet, so besteht aus meiner Sicht die Gefahr
arbeiter in der Gemeinde mit dem Ziel supervidierte, sie über        des Verlustes der Aufgabenorientierung. Zudem lässt sich das
ihr Arbeitsfeld zu informieren, in dessen Prinzipien und Me-         meist außerordentlich dynamische, persönlich nahe gehende
thoden einzuführen wie auch die Mitarbeiter in ihrer Tätig-          und in Frage stellende Geschehen in der begrenzten Zeit nicht
keit beratend zu unterstützen und ihre Arbeit zu kontrollie-         zureichend aufarbeiten und abrunden. Darüber hinaus kann
ren. Im deutschsprachigen Raum sind die Anfänge von Super-           die Auseinandersetzung mit den Beziehungen zueinander für
vision mit dem „Ebersfelder Modell” (1853) verbunden, ei-            eine Arbeitsbeziehung durchaus auch für die weitere Zusam-
ner Praxisanleitung und Begleitung der Armenhelfer und de-           menarbeit destruktive Folgen haben. Gruppendynamisch ori-
ren ehrenamtlicher Mitarbeiter. Ähnliches finden wir auch in         entiertes Vorgehen in der Supervision kann man damit als
den USA, wo die „friendly visitors”, freiwillige Helfer im Sozial-   „heißes Eisen” bezeichnen, ihr Einsatz braucht eine genau
bereich, und in weiterer Folge am Beginn des 20. Jahrhun-            Zielklärung und Grenzziehung im Vorgehen.
derts die professionellen Sozialarbeiter supervidiert wurden.
In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstanden die ers-           Eine weitere Strömung umfaßt die humanistischen Rich-
ten Bücher zum Thema: Virginia Robinson schrieb „Super-              tungen. Hier können wir im Besonderen die gestalttheoretische
vision in Social Casework” (Robinson 1936), Bertha Reynolds          Vorgangsweise finden, die auf Grund ihrer Methodenvielfalt
„Learning and Teaching in the Practice of Social Work”.              im supervisorischen Vorgehen eine reichhaltig stimulierende
(Reynolds 1942)                                                      und damit kreative Prozesse und Wahrnehmung erweiternde
    War Supervision in den Anfängen sehr pragmatisch und             Potenz zeigt. Aber auch die aus der klienten- und person-
anleitungsbetont, so kamen in weiterer Folge spezifische             zentrierten Theorie entwickelte Supervision ist hier zu er-
Schwerpunkte vor allem aus den psychotherapeutischen                 wähnen. Sie findet m. E. durch ihre empathisch der Selbst-
Schulen hinzu, was der pragmatischen Orientierung bisweilen          aktualisierung Raum gebende Art weniger Anwendung im
auch einen dogmatischen Zug verlieh.                                 wirtschaftlichen Bereich, wohl aber im Kontext der sozialen
    Als Pioniere der schulenspezifischen Konzepte von Super-         Organisationen, deren Supervisionsanliegen einen deutlichen
vision können wir Michael und Enid Balint betrachten, wel-           Fokus in der persönlichen Weiterentwicklung zu beruflichen
che die psychoanalytische Theorie und Vorgangsweise als              Zwecken findet.
erste für eine nicht therapeutische Klientel und ein nicht (dy-
adisches) therapeutisches Setting modifiziert haben (vgl. auch           Seit einigen Jahren ist auch das Neurolinguistische Pro-
Balint 1968). In weiterer Folge wurden dann durch J. L.              grammieren (NLP) eine trendige, vor allem Nutzen-orien-
Morenos Psychodrama (vgl. u. a. Hollenstein-Burtscher 2004)          tierte – und somit aus der Sicht der Existenzanalyse vorwie-
wertvolle Impulse für die Supervisionspraxis eingebracht,            gend apersonale – Strömung am Markt geworden. Hier wird
woraus sich eine Vielfalt von Methoden für die Anwendung             eine Kombination aus bewährten Methoden verschiedenster
in Gruppen entwickelte, die – manchmal in modifizierter Form         therapeutischer Richtungen zusammen gefasst. Dieser Rich-
– auch in anderen Schulen ergänzend zum Einsatz kommen.              tung wird m. E. nicht ganz zu Unrecht die Gefahr der Mani-
                                                                     pulation zugesprochen, ihr oberster Wert ist die Machbarkeit.
    Zur Zeit ist der systemische Ansatz marktdominierend vor         Sie findet daher vermutlich auch besonderen Zuspruch im
allem im Bereich der Organisationsentwicklung. Er zeichnet           politischen Feld wie auch ganz allgemein bei vorwiegend stra-
sich durch eine Fokussierung des Systems gegenüber den               tegisch orientierten Menschen bzw. Organisationen. Fairer-

                                                                                              EXISTENZANALYSE 22/1/2005          5
ORIGINALARBEIT
weise muss man jedoch hinzufügen, dass das NLP in der             der Supervision, andererseits aber auch – erfreulicherweise
Hand eines guten Therapeuten, und bei entsprechender Ein-         – eine die Scheu vor professioneller Begleitung überwinden-
bettung in eine Anthropologie, eine Vielzahl von hilfreichen,     de Entwicklung. War früher das Coaching Managern zur
geschickten und damit unterstützenden Techniken anzubie-          Steigerung ihrer Führungskompetenz vorbehalten, so gab es
ten hat.                                                          in weiterer Folge Coaching für „schwache” Mitarbeiter,
                                                                  bisweilen auch für jene, die unfreiwillig aus dem Betrieb aus-
    Die existentiellen Richtungen haben sich dem Bereich der      scheiden mussten (Outplacement-Coaching). Damit trug das
Supervision erst ab den achtziger Jahren zugewandt. Lange         Coaching vorerst zu einer Stigmatisierung der „Betroffenen”
Zeit bestand deren Input aus Beiträgen einzelner Personen,        bei. Heute ist Coaching zunehmend ein Angebot der Personal-
die, aus dem Beratungsfeld kommend, Elemente der existenz-        entwicklung, das nahezu allen Mitarbeitern im Kontext spe-
analytischen Theorie - vor allem aus der Logotherapie - in        zifischer beruflicher Aufgaben- und Fragestellungen zur Ver-
ihre praktische Arbeit einfließen ließen. Entweder taten sie      fügung steht, und hat damit den Stellenwert von maßge-
dies, ohne daraus ein umfassendes eigenständiges Konzept          schneiderter Unterstützung und Begleitung zur beruflichen
zu entwickeln, oder „umgekehrt” auf dem – vor der Weiter-         Kompetenzerweiterung. Mittlerweile hat es daher sogar Aus-
entwicklung der existenzanalytischen Anthropologie durch          zeichnungscharakter erhalten. Wir finden Coaching vor al-
A. Längle – zwar tragfähigen, aber in der praktischen Aus-        lem im Profit-Bereich. Es entwickelte sich ebenfalls aus dem
führung und anthropologischen Aussparung der psychischen          Mentoren- und Tutorentum und bezeichnete ursprünglich eine
bzw. psychodynamischen Ebene, „schmalspurigen” Konzept            Begleitung im beruflichen Feld durch den Vorgesetzten, ge-
bleibend.                                                         hörte also zu den Führungsaufgaben. Aus der häufig gegebe-
    Erst nach der Erweiterung der existenzanalytischen An-        nen Inkompatibilität von Kontrolle und Entwicklungsbegleitung
thropologie und vor allem der Betonung der phänomenologi-         bzw. der Abhängigkeit der Gecoachten vom Vorgesetzten
schen Vorgangsweise in der neueren Existenzanalyse entwi-         Coach wurde das Coaching zunehmend delegiert, entweder
ckelte sich aus den individuellen Vorgangsweisen existenz-        an eigens dafür geschaffene Stabsstellen innerhalb eines Be-
analytischer Berater und Therapeuten ein auf die Anthropo-        triebes (Personalentwickler) oder noch häufiger an externe
logie bezogenes umfassendes Konzept mit einer den                 Berater, die dem Gecoachten mit ihrer Fachkompetenz in per-
supervisorischen Gegebenheiten und Anforderungen ange-            sönlicher und beruflicher Hinsicht dazu verhelfen sollen, sei-
passten Methodik. Von diesen Grundkonzepten getragen, fin-        ne beruflichen Ziele zu finden, zu wählen bzw. zu erreichen.
den wir heute eine Reihe von Vorgangsweisen für diesen            Diese umfassende Aufgabenstellung findet sich in der etwas
Bereich.                                                          humoristischen Beschreibung der Aufgaben des Coachs von
                                                                  Baisch.
    Aus der Perspektive der anthropologisch konzeptuellen
Seriosität betrachtet, können wir also verschiedene Haupt-           „So verfügt der Super-Coach über das emotionale Ver-
strömungen wahrnehmen, die im Allgemeinen den Haupt-              ständnis der Ehefrau, versteht aber eine Menge vom Berufs-
strömen der verschiedenen psychotherapeutischen Schulen           leben, kennt als Führungskraft das Leben im Unternehmens-
folgen. Grundsätzlich bietet jede therapeutische Schule auch      dschungel mit seinen Spielregeln und Zwängen, besitzt the-
das ihrer Theorie immanente Konzept für die Supervision.          rapeutische Kompetenz, ohne sich wie ein Psychotherapeut
Diesen anthropologisch fundierten Richtungen stehen eine          zu verhalten. Er besitzt die innere Einstellung eines zum Sieg
Vielzahl eklektizistischer Konzepte gegenüber, die sich meist     entschlossenen Leistungssportlers und weiß, dass es außer
aus einer Sammlung bewährter Methoden aus verschiede-             der Arbeit noch andere Werte gibt, die er selbstverständlich
nen Konzepten und Praxiserfahrungen gebildet haben, leider        auch lebt.” (Baisch 1988, zit. n. Rauen 1999, 36)
aber zum Teil auch aus einem Mangel an therapeutisch-
beraterischer Qualifikation entstanden sind.                          Wenn dies auch als Persiflage verstanden werden kann,
                                                                  so trifft es doch die Bedeutung des Begriffes Coaching. Über-
   Die Anbieter-Struktur zeigt zwei große Zuströme:               setzt man den englischen Begriff, so finden wir zweierlei
Supervisoren und Coachs, die sich aus dem therapeutischen         Bedeutung: Kutscher und Kutsche (auch im Sinne des
Feld rekrutieren (ihre Domäne ist die Supervision im Non-         geschützen Raumes). So könnten wir sagen, im Coaching
Profit-Bereich und das Persönlichkeitsentwicklungs- bzw.          geht es darum, in einer wohlwollenden, wärmenden, bestär-
Krisencoaching), sowie nicht therapeutisch ausgebildete           kenden Weise die Fahrt des Gecoachten zu begleiten, „für
Supervisoren und Coachs, die wiederum zwei große Unter-           seinen Komfort zu sorgen”, und ihn gleichzeitig sicher und
gruppen bilden: einerseits jene, die Supervision als eigenstän-   durch gutes „Fahrvermögen”, durch Kenntnis des Straßen-
digen Grundberuf erachten und betreiben, und andererseits         netzes wie auch der Verkehrslage zum Ziel zu geleiten.
jene, die – aus wirtschaftlichen Berufen kommend – v.a.
Coaching im Rahmen von Personalentwicklung anbieten.                 Da die Anforderungen breit gestreut sind und neben feld-
                                                                  spezifischer Beratung auch Persönlichkeitsentwicklung,
Coaching                                                          Krisenintervention, Konfliktmanagement, ja oft auch thera-
    Coaching, so könnte man es kurz fassen, ist eine moder-       peutische Anforderungen gestellt sind, ist es für den Coach
ne, einerseits der Schnelllebigkeit unserer Zeit gemäßere Form    notwendig, die Aufgabenstellung des Coachings sorgfältig

6      EXISTENZANALYSE 22/1/2005
ORIGINALARBEIT
abzuklären und sich auf seine jeweilige Qualifikation zu be-     gen Fragestellung und den Themen nachzugehen, sowie bei
sinnen. Die breite Streuung dessen, was heute unter Coaching     der Erarbeitung und Durchführung von Lösungen behilflich
zusammengefasst wird, spiegelt sich in den verschiedenen         zu sein. Worauf der Supervisor in seinem Vorgehen den
Produktangeboten wie Crashcoaching, Outplacementcoa-             Schwerpunkt legt, wird aus der jeweiligen Fragestellung, aber
ching, Personal Coaching, Rollencoaching, Persönlichkeits-       auch aus seinen Konzepten und den damit verbundenen
entwicklungscoaching, Career Coaching, Managercoaching           Wertigkeiten entstehen.
u.v.a. mehr.                                                         Sowohl Supervision als auch Coaching stehen im betrieb-
                                                                 lichen Zusammenhang im Kontext der umfassenderen Orga-
    Heutzutage ist es schwierig geworden, eine deutliche Dif-    nisationsentwicklung, sind also Instrumente der Organi-
ferenzierung zwischen Supervision und Coaching zu formu-         sationsentwicklung.
lieren (immer wieder wird das Coaching auch als „alter Wein
in neuen Schläuchen” bezeichnet). Wir müssen sogar fest-         Zum Anforderungsprofil des Supervisors
stellen, dass der Begriff Supervision altmodisch geworden            Die Vielfalt der Persönlichkeiten, ihr Zusammenwirken,
und im „Aussterben” begriffen ist. Mehr und mehr wird auch       ihre unterschiedlichen Aufgaben, ihre Beziehungen zueinander
im Non-Profit-Bereich von Coaching gesprochen – ein Tri-         und zur gemeinsamen Sache, die Stimmung und Motivations-
but an den Sprachverlust, den wir mehr und mehr im deutsch-      lage in einem Team, der Systemhintergrund oder Kontext,
sprachigen Raum erleiden, aber auch an die bereits erwähnte      die Disziplin und Reife im Gespräch und in der Arbeit mit-
Schnelllebigkeit und Profitdominanz unserer Zeit. Denn mit       einander, die Frage der Arbeitsbelastung und vieles mehr –
Coaching sind im Allgemeinen beratende Interventionen ge-        im weitesten Sinn also die Frage, wie Gruppen funktionieren
meint, die gekennzeichnet sind durch eine konkrete Frage-        und miteinander arbeiten und umgehen, stellt an den Super-
stellung und eine auf die Bearbeitung dieser Fragestellung       visor bisweilen eine beträchtliche Anforderung an seine Fä-
begrenzte Zeitdauer (wobei mir allerdings vor kurzem auch        higkeit, auf mehreren Ebenen zu denken, zu spüren und zu
der Begriff „Berufszeit-Coaching” zu Ohren gekommen ist,         handeln, dar. Mehrfach wurde in der Literatur die Frage ge-
womit auch diese Definition als überholt gelten darf).           stellt, ob es eine bestimmte Persönlichkeitstruktur gibt, die
                                                                 sich für die supervisorische Tätigkeit besonders eignet. In
    Trotzdem gibt es noch einige Enklaven für Supervision.       derartigen Analysen wurde herausgefunden, dass die Effizi-
Dies ist vor allem der psychotherapeutische und psychologi-      enz des Supervisors nicht von einer bestimmten Persönlich-
sche Bereich der Fallsupervision wie auch die Teamsuper-         keitstruktur abhängt, sondern dass eben jede Struktur ihre
vision, so ferne darin die Begleitung von Teams über einen       Vor- und Nachteile aufweist. So wurden lediglich Eigenschaf-
längeren Zeitraum zu allen anstehenden und auftauchenden         ten, Haltungen und Vorgangsweisen gefunden, die eine sol-
Fragestellungen (nicht nur Problemen also) gemeint ist und       che Tätigkeit erleichtern. Sie beziehen sich im Wesentlichen
damit auch ein Gutteil Teamentwicklung und Prophylaxe in-        auf folgende Merkmale (vgl. Carfio, Hess 1988; Berner,
tendiert wird (und nicht nur per effectum erfolgt). Moderne      Johnsson 1993): Empathie, Echtheit, Wärme, Transparenz,
Teamsupervisionen sind heutzutage meist eine Mischung aus        Konkretheit, Engagement, Flexibilität, Aufgeschlossenheit,
Problemlösung, Konfliktlösung, Austausch, Teamentwicklung        Interesse, Aufmerksamkeit, Offenheit, Verstehen, beidersei-
wie Gruppenreifung und Pflege der Dialogkultur sowie Fort-       tige Kommunikation, Zusammenarbeit. Bezüglich der Vor-
bildung zur Selbsthilfe.                                         gangsweise stellen Carfio und Hess in ihrer Zusammenschau
    Coaching-Konzepte orientieren sich weniger als die Super-    von Befragungen an Supervisanden fest, dass die Definition
visionskonzepte an den Grundtheoremen psychotherapeuti-          einer konkreten Zielsetzung, ein sachliches, eindeutiges und
scher Schulen. Sie bestehen zumeist aus einem Mix aus prak-      unmittelbares Feedback sowie eine gute Dosierung zwischen
tischer Felderfahrung und unterstützenden Methoden. Dies         aktivem und zurückgenommenem Vorgehen, gepaart mit ei-
liegt vermutlich an den Anforderungen an einen Coach,            nem einsichtsbetonten und respektvollen Stil, den höchsten
besonders im Praxisfeld des Gecoachten versiert zu sein.         Erfolg verspricht. Es ist nahezu überflüssig zu betonen, dass
Einen sehr guten Überblick über gängige Coachingkonzepte         diese Eigenschaften, Haltungen und Umgangsweisen für jeg-
finden wir bei Christopher Rauen in seinem Buch „Coaching”       liche Zusammenarbeit wichtig sind, v.a. aber dass es auf-
(Rauen 1999).                                                    fällt, wie diese Faktoren im Grunde jene sind, die einen Dia-
                                                                 log und dessen personale Voraussetzungen auf der Ebene der
    Sowohl zu Supervision als auch zu Coaching kann man          Begegnung zwischen Personen und ihrer gemeinsamen Sa-
zusammenfassend sagen, dass es sich dabei um Vorgänge            che konstituieren.
handelt, in denen eine Person, ein Team oder eine Gruppe             Interessant in diesem Zusammenhang ist jedoch die Aus-
von Personen in einem, aus dem beruflichen Alltag heraus-        sage, dass Supervisoren, die Techniken beherrschen, erfolg-
genommenen Zeit-Raum die Möglichkeit findet, ihr berufli-        reicher sind. Dazu muss man anmerken, dass gleichzeitig
ches Erleben und Handeln zu reflektieren und zu einer besse-     bekannt ist, dass Techniken, die unspezifisch, unreflektiert
ren Arbeitszufriedenheit und zu effizienterem Handeln zu fin-    bzw. zu häufig oder zu vielfältig eingesetzt werden, dem
den. Der Supervisor bzw. Coach hat darin die Aufgabe, eine       Supervisionsprozess eher abträglich sind. Werden also Tech-
Atmosphäre zu schaffen, die dem Dialog miteinander för-          niken und die darin meist spielerisch herbeigeführten Neu-
derlich ist, diesen zu moderieren und anzuleiten, der jeweili-   erfahrungen nicht in den Bezugsrahmen zur Sache und zur

                                                                                          EXISTENZANALYSE 22/1/2005         7
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Person eingebunden oder können die Erfahrungen nicht an-          und personalisiert somit ihre Beziehungen untereinander bzw.
gebunden und verarbeitet werden, bleiben sie meist als „High-     zu ihrer Aufgabe. Supervision ist damit Pflege der Beziehun-
light”-Erfahrung (oder Horrorerfahrung) im Gedächtnis haf-        gen mittels des Dialoges. Beziehungskultur kann niemals vor-
ten, ohne Kontext und ohne bewussten Verarbeitungsprozess.        gegeben werden, so wie es heute oft in seitenlangen Schrif-
Wenn auch Bewusstsein nicht das Kriterium einer Verarbei-         ten zu Unternehmenskultur und Leitbild zu lesen ist, sondern
tung sein kann (manches verarbeiten wir auch im Schlaf),          muss aus der Kultivierung des Vor-Gegebenen entstehen. Die
so ist doch zumindest aus der Sicht einer personal-existenti-     Förderung des Dialoges im Team und zur Aufgabe ist damit
ellen Richtung das – emotional – Bewusste in die eigene Hand      der Kern der supervisorischen Praxis. Sie stellt dafür den
und Verantwortung zu nehmen, ein bedeutsamer Wirkfaktor           Rahmen und die Mittel zur Verfügung, die im Getriebe des
für anhaltende Veränderung und Basis für aktives weiteres         Alltags oft vernachlässigt werden (zu bloßen „Kontakten”
Üben.                                                             regredieren). Sie zielt damit auf die Verbesserung der Arbeits-
                                                                  zufriedenheit wie auch der Arbeitseffizienz ab.
    Meines Erachtens kann das Anforderungsprofil auf zwei             Ein weiteres Argument für die Eignung der Existenzanalyse
Faktoren reduziert werden: die Dialogfähigkeit einerseits (sie    in der Supervision stellt ihr umgreifendes Theoriegebäude
umfasst nahezu alle oben genannten Merkmale) und – mehr           dar (siehe nächstes Kapitel). Dadurch bietet sie ein ausge-
„technisch” gedacht – die Simultankapazität andererseits, die     zeichnetes Dach für vielerlei Betrachtungsebenen, sei es die
Fähigkeit also, auf mehreren Kanälen gleichzeitig Unterschied-    intraindividuelle (Person und ihre Innenwelt), die inter-
liches wahrzunehmen, dies zu integrieren, sowie mit einem         personale (Person und andere) oder die gruppendynamische
raschen Blick für das Wesentliche in einer Fragestellung zu       (als Psychodynamik der Gruppe), wie auch für verschie-
vertiefen und damit Komplexität zu vereinfachen.                  denste Anwendungsfelder. Der Fokus ihrer Arbeit in der per-
                                                                  sonal-existentiellen Ebene als die Psychodynamik/Gruppen-
                                                                  dynamik umfassende und ihnen übergeordnete Dimension
II) Theoretische Grundlagen existenz-                             bietet daher auch einen breiten Rahmen für die Integration von
analytischer Supervision und existenz-                            Techniken jener Richtungen, deren Schwerpunkt die psychi-
                                                                  sche Dimension, das System oder die Verhaltensebene ist.
analytischen Coachings
    Die Existenzanalyse als personale, also sehr individuelle     Die Konzepte der existenzanalytischen Super-
Richtung scheint sich auf den ersten Blick für ein Gruppen-       vision
setting nicht besonders gut zu eignen, stellt sich doch oft die      Existenzanalyse ist eine phänomenologische, dialogische
Frage, inwieweit man nicht in einer Gemeinschaft als Indivi-      sowie personal-existentielle Vorgangsweise und sie ist me-
duum zurücktreten müsse. Riskiert man den zweiten Blick,          thodisch in drei Grundkonzepten umgesetzt: Struktur-
bemerkt man jedoch, dass die Existenzanalyse in ihren an-         theoretisch in den personal-existentiellen Grundmotivationen,
thropologischen Grundlagen gleichermaßen für die Arbeit mit       prozesstheoretisch in der Personalen Existenzanalyse (in
Gruppen wie auch mit einzelnen Personen angelegt ist. In          weiterer Folge PEA; vgl. Längle 2000a) und der Sinnfindungs-
ihrer Sicht nämlich ist das Eingebunden-Sein und In-Bezie-        methode (SEM; vgl. Längle 1988).
hung-Sein der Person in ihrer Welt die menschliche
Grundverfasstheit und damit immer schon der Bezugsrahmen          Die Prozesstheorien – PEA und SEM
für das Gewahr-Werden des anderen wie auch für die perso-             Die PEA fokussiert das Erleben und die Aktivität der Per-
nale Stellungnahme des einzelnen in ihr. Personalität und         son im Existieren, lenkt den Blick also auf das Ich, während
Existentialität gehen über diese Grundverfasstheit hinaus und     in der SEM das Hauptaugenmerk auf die Situation, die Sa-
der Frage nach maximaler Personalität innerhalb des Sys-          che, die ein Ich bewegt, gelegt wird, das Existieren also mehr
tems nach und nicht über dieses hinweg. Personalität und          vom Wert her angefragt wird. Naturgemäß geht es in der
Existentialität sind jedoch angewiesen auf Begegnung. „Be-        PEA dem Ich darum, auch zu verstehen, weshalb etwas in
ziehungen leben aus Begegnungen, werden durch diese Be-           der einen oder anderen Weise bewegt, berührt und vor allem
gegnungen überformt und personalisiert.” (Längle 2004, 25)        blockiert ist (biografische Linie). Die PEA ist daher auch eine
„Begegnung ist Einsatz: man geht ihr nach, blickt auf den         Methode mit der Übertragungsanteile, welche in die aktuelle
anderen, spricht ihn an, versucht zu verstehen und Antwort        Situation mit einfließen, bearbeitet werden, während die SEM
zu geben. Das Medium, das Begegnung vermittelt, ist der           „darauf aus ist”, diese Anteile zu übersteigen und sich ganz
Dialog. Der Dialog ist konstitutiv für Begegnung, ist der ‚Car-   dem aktuellen Wertanspruch zu öffnen und zuzuwenden. Die
rier’ der Begegnung.” (Längle ebd., 24) Der Dialog ist jener      Phase des Verstehens und der Integration einer aktuellen Fra-
Prozess, der die Beziehung bewusst macht, indem ich auf-          gestellung rekurriert hier auf ein intaktes Ich und damit auf
merksam werde, womit und wie ich mit meiner Welt in Be-           eine „bewältigte” Vergangenheit (zum weiteren Verständnis
ziehung bin und wie ich mich in ihr positioniere, um authen-      der Methodenstruktur siehe auch S. Längle 2001).
tisch zu handeln. Der Dialog „kultiviert” letztendlich die je-        Die PEA beschreibt die Schritte des personalen inneren
weilige Team- und Unternehmenskultur. Menschen, die               Dialogs, sie nimmt die (äußere oder innere) Anfrage in einen
miteinander arbeiten, sind in Beziehung miteinander und mit       inneren Verarbeitungsprozess, um daraus zu einer für sie stim-
ihrer Aufgabe, ob sie wollen oder nicht. Der Dialog präzisiert    migen „sinnvollen” Antwort zu kommen. Die SEM dagegen

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bewegt sich hinaus in die Außenwelt und beschreibt das Sich-       oder entstand die PEA aus der Integration der Psychodynamik
Einbringen der Person in die Situation, indem sie dieses auf       in die EA Theorie und damit in die SEM?),
die subjektive Wertigkeit hin prüft, um sich letztlich entschie-       b) in der Tiefe des Durcharbeitens, hier vor allem im Ver-
dener und sinnvoller in ihre Welt zu stellen und diese zu ge-      stehen der Motivation und ihrer Zusammenhänge aus den
stalten.                                                           lebensgeschichtlichen Gegebenheiten,
    Betrachtet man die beiden Methoden nicht nur von ihrem             c) in der Differenziertheit ihres Vorgehens – hier ist die
anthropologischen Ort her, sondern auch von der Abfolge            PEA feiner und in kleineren Detailschritten angelegt bzw.
der Schritte, so kann man sie einerseits spiegelbildlich – als     ausgefeilt – und
Innen- und Außenspiegel des personal-existentiellen Prozes-            d) im Fokus auf der Strecke zwischen Person und Wert.
ses – oder auch die SEM als Präzisierung des existentiellen        Die PEA ist Person-orientiert, die SEM Welt-orientiert.
Astes der PEA wahrnehmen. Folgt man ersterer Auslegung,
ist die PEA eine in die Tiefe des Personseins erweiterte SEM.      Die Personale Existenzanalyse im Supervisionsablauf
Ihr geht es zusätzlich um das Verstehen dessen, was be-
wegt, was es letztendlich verhindert oder ermöglicht zu exis-      Zur Erinnerung: Die existenzanalytische Prozesstheorie
tieren. Ihr fehlt allerdings nichts von dem, was die SEM hat.      (vgl. Längle 2000)
Das scheint mir aus der Geschichte der Theorieentwicklung              Die PEA beschreibt die Schritte des Dialoges der Person mit
verständlich. Stand die SEM noch stark auf dem Boden des           den jeweiligen Gegebenheiten ihrer inneren und äußeren Welt.
von Frankl in den Vordergrund gestellten existentiellen Ak-        Dieser Dialog wiederum ist die Voraussetzung eines erfüllten,
tes, so bewegte sich die Theorienbildung im Laufe der Jahre        existentiell gelungenen Lebens (und damit auch die Grundstruktur
auf die Integration der Voraussetzungen des Personseins und        eines Problemlösungsprozesses). Anders gesagt: So geht der
damit auf die Integration der Psychodynamik zu. (Dies ist          Mensch gut mit den Anfragen und Anforderungen des Lebens
bekanntlich ein Bereich, dem sich Frankl nicht gerne zuwandte      um. Dieser personale Dialog kann in aller Kürze in drei Phasen
und der in seinen Schriften fast als ein selbstverständlicher      (vier Schritten) beschrieben werden:
und kraft des Personseins, ohne innere Verarbeitung von stö-           Der Eindruck, bestehend aus der Information (Was ist?), der
renden Blockaden und Mängeln zu überwindender, psychi-             spontanen, primären Emotion (Wie ist es?), einem spontanen
scher Anteil des Menschen anmutet.)                                Handlungsimpuls (Was würde ich spontan am liebsten tun?)
                                                                   sowie der phänomenologischen Analyse der Bedeutung des Ein-
    Auf dem Hintergrund dieser Entwicklung erscheint es            drucks für den Betroffenen (Was sagt es mir?). Es geht darum,
logisch, dass für eine Supervision die PEA als in der Tiefe        das Gegebene ankommen zu lassen, es aufzunehmen, sich anzu-
der Person arbeitende Methode nicht Thema sein kann, son-          sehen und in seiner Qualität zu erfassen sowie in der Bedeutung
dern ihr Ort in der Selbsterfahrung zu finden ist. Die existenz-   für sich zu verstehen (Schritt 1 und 2 im Supervisionsprozess).
analytische Methode der Wahl müsste somit die SEM sein.               Die Stellungnahme erwächst auf dem Boden des Eindrucks
In der praktischen Erfahrung zeigt sich jedoch, dass die SEM       und des Verstehens des darin Bewegenden als der personale
in vielen Situationen nicht nur zu wenig Raum für die Vorbe-       Akt, in dem sich die Person zu den Gegebenheiten positioniert
reitung einer Stellungnahme anbietet, sondern dass es gerade       und damit von dieser Gegebenheit nicht nur bewegt wird, son-
jener Abschnitt der PEA ist, in dem es um das Verstehen des        dern auch ihre individuelle Beziehung zu diesen Gegebenheiten
Wesentlichen geht (phänomenologische Analyse und Reduk-            bestimmt (Schritt 3).
tion), an dem gleichzeitig die Vielfalt der individuellen „Ober-       Der Ausdruck, in den die präformierende Stellungnahme auf
flächen”, die eine Teamlandschaft kennzeichnen, in einige          die Realisierung hin adjustiert und ihre Ausführung geplant und
(wenige) Beweggründe zusammenfließen und der sich damit            geprobt wird. Damit wird der Mensch zum Gestalter seines Le-
als der gemeinsame und verbindende Ort erweist.                    bens (Schritt 4).
    So gesehen und erfahren, folge ich lieber der zweiten
Betrachtung: PEA als eine Methode, welche die SEM inte-                Betrachten wir die Abfolge der Schritte der Personalen
griert. Daher schlage ich die PEA als die umfassendere Grund-      Existenzanalyse als phänomenologisch-dialogische Vorgangs-
struktur für die existenzanalytische Teamsupervision vor. Ihre     weise, deren Ziel eine personale Stellungnahme und eine exis-
Höhenstruktur (oder ihr „Außenspiegel” bzw. ihr „absteigender      tentielle Verwirklichung ist, so können wir dies wie folgt
Ast”) mündet in die SEM. Anders gesagt: Geht es in der             markieren:
Supervision mehr um die Auseinandersetzung der jeweiligen              Aus den spezifischen Merkmalen existenzanalytischer
Teammitglieder mit einer Fragestellung, um das Finden, Klä-        Vorgangsweise folgt eine Tendenz zur Prozessorientierung.
ren oder Festigen des eigenen Standpunktes in oder zu einer        Ihr Fokus liegt nämlich im Dialog der Personen des Teams
Situation, so ist die (modifizierte) PEA indiziert; geht es mehr   und nicht primär in der Problemlösung. Daraus folgt, dass in
um eine Auseinandersetzung mit verschiedenen Möglichkei-           der existenzanalytischen Supervision der Teamentwicklungs-
ten, so „reicht” die SEM.                                          anteil eine deutliche Rolle spielt.
    Der Unterschied zwischen PEA und SEM liegt in den                  Aus den Anforderungen von Supervision allgemein folgt
wesentlichen Punkten zusammengefasst:                              auch die Ressourcenorientierung von Supervision. Die Res-
    a) in der Geschichte der Theorieentwicklung (Hätte es          sourcen werden genützt und stimuliert, Defizite nicht thera-
die SEM gegeben, wenn zuerst die PEA da gewesen wäre –             peutisch aufgearbeitet, sondern ausbalanciert bzw. bewusst

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gemacht; ein ressourcenorientierter Umgang wird intendiert.      dern „Verstehe ich, worum es da geht?”
    Wie schon oben beschrieben, eignen sich die Schritte der         Die Unterschiede in der Vorgangsweise in der Therapie
PEA für die Supervision, sie müssen jedoch deren Erfordernis-    und in der Supervision bestehen:
sen angepasst werden. Daher sollen kurz die Unterschiede zwi-    a) im Fokuswechsel von Person zu „Gruppenperson”,
schen Psychotherapie und Supervision markiert werden:            b) in der Verstehensfrage,
    In der Therapie versuchen wir nach der genauen Erhe-         c) in der Bezugnahme der Stellungnahme zur Fragestellung,
bung des Eindruckes in der phänomenologischen Analyse die        d) im Fokussieren des Dialoges miteinander.
Botschaft, die diese Situation gibt, also die Bedeutung, die
das Wahrgenommene und Gefühlte für die Person hat, zu                Als Rahmenmodell bietet die PEA in ihrer Ausführlichkeit
bergen, um von dort aus ein Verständnis im Kontext des ei-       dem Supervisor Halt und Unterstützung, keine wesentlichen
genen Lebens zu ermöglichen; - d. h. zu verstehen, weshalb       Schritte zu übersehen und diese je nach Notwendigkeit mit
es „für mich so oder so ankommt (Biografie) und worauf es        zu bedenken, mit einzubeziehen, zu erwähnen (vgl. Tutsch
in mir trifft“. In der Therapie fragen wir somit nach dem        2001).
Verstehen aus der Tiefe des Gesamtlebenskontextes. Und               Nicht immer muss aber in der Ausführlichkeit und
gleichermaßen versuchen wir hier auch ein Verständnis für        Differenziertheit gearbeitet werden, welche die PEA anbie-
die Welt/den anderen zu finden. Aus diesem Verstehen mei-        tet. Überspringt man einige Sequenzen der PEA (v.a. die phä-
ner selbst, im Kontext des Verstehens des Gegenübers, bildet     nomenologische Analyse und das Verstehen) und betont den
sich der Boden für die Stellungnahme gleich einem „Ver-          ausführenden Ast, entsteht die SEM. Die PEA kann daher als
schmelzungsprozess”. Je mehr sich darin der Mensch selbst        Landkarte der Möglichkeiten betrachten werden, in der zwar
versteht, umso mehr Eigengrund besitzt er, desto mehr            alle Wege eingezeichnet sind, aber nicht alle für den Weg
Lebensraum entsteht, desto mehr Fundament wird „hinein-          zum Ziel begangen werden müssen. Die Wahl dessen, was
gegossen” in seine innere Festigkeit (Ich-Struktur) und desto    Not tut, ergibt sich ohnehin von allein aus der phänomenolo-
stabiler wird der Grund für die persönliche Stellungnahme.       gischen Vorgangsweise.
    Der therapeutische Prozess ist darin gründlich, er bewan-
dert die Ekstasen der Zeit – Gegenwart, Vergangenheit und        Die existenzanalytische Strukturtheorie
Zukunft – und hält den Blick damit auf die Festigung der             Die existenzanalytische Strukturtheorie stellt die Rahmen-
Person im Sinne eines In-sich-ruhen-Könnens und Zu-sich-         bedingungen in der Supervision (siehe auch Rahmenaufgaben)
stehen-Könnens.                                                  bzw. die Voraussetzungen des Dialoges im Team dar. Stellen
    Welchen Platz hat nun in der Supervision die Verstehens-     sich Hindernisse im Prozessablauf aus mangelnden struktu-
frage, und was soll hier verstanden werden?                      rellen Gegebenheiten in den Vordergrund, so gilt es, diese
    Verfolgen wir auch hier den Weg von Anfang an: Nach-         fallweise auch explizit als Themensupervision zu bearbeiten.
dem die Supervisanden ihre ganz subjektive Wahrnehmung           Die existenzanalytische Strukturtheorie in ihrer praktischen
und Betroffenheit von der Sache formuliert und in den Aus-       Ausführung hat vor allem im Gruppencoaching ihren domi-
tausch gebracht haben, braucht diese Vielfalt nun ein            nierenden Ort (siehe auch den Beitrag von Alexander Milz in
„Konzentrationsmittel”. Konzentration heißt Verdichtung auf      diesem Heft).
eine tiefere Ebene, auf ein Extrakt, auf das Wesentliche.
Ansonsten bringt die Vielfalt zwar neue Impulse für neue         Zur Erinnerung: Die existenzanalytische Strukturtheorie
Sichtweisen und Wege, aber der Prozess, der in die innere        (vgl. Längle 1992)
Festigkeit führen soll, bleibt aus.                                  Die personal-existentiellen Grundmotivationen beschreiben
    Die Verstehensfrage in der Supervision ist eine Frage nach   die vier Voraussetzungen des personalen Dialoges oder – mehr
der Essenz: Worum geht es hier eigentlich? Die Bewegung          von der psychischen Dimension her betrachtet – vier Grund-
geht nun – weniger tiefgreifend, weniger das Verstehen im        kategorien menschlicher Bedürfnisse. In sie ordnen sich die the-
eigenen Lebenskontext explizit reflektierend – in eine gemein-   matisch verschiedenen, vielfältigen Bedürfnisse ein. Die Bezeich-
same Tiefenschau der vorher gesammelten unterschiedlichen        nung „Grundmotivationen” resultiert aus der Tatsache, dass
Wahrnehmungen, aus der wir der phänomenologischen The-           Grundbedürfnisse in ihrem Mangel bzw. in ihrer Sättigung
orie gemäß einen oder einige wenige gemeinsame Nenner            menschliches Verhalten und Streben ausrichten. Durch diese
                                                                 Ausrichtung bringen sie den Menschen in Bewegung und „er-
erwarten. Ausgehend von der Person führt der Prozess hin
                                                                 scheinen” in seinem Verhalten. Als motivationale Kategorie struk-
zu einem Verständnis der Beweggründe der Gruppe, richtet
                                                                 turieren sie die Psychodynamik und haben damit Einfluss auf die
sich also auf das gemeinsame Feld des beruflichen Miteinander
                                                                 Personalität und Existentialität bzw. – prozesshaft gedacht – auf
und implizit auch auf die gemeinsame Geschichte. Die per-        den personalen Dialog des Menschen.
sönliche Geschichte bestimmt zwar wesentlich die Wahr-
nehmung und das Erleben der Sache, sie dient jedoch in der       Die Grundmotivationen und ihre Dynamik im Einzelnen:
Supervision dem Sammeln in den „gemeinsamen Topf”, der           • Raum, Halt und Schutz durch Annehmen und Aushalten, um
dann den Boden für die persönliche Stellungnahme bildet. In        sein zu können;
der Supervision führen wir den Dialog also nicht in die Tiefe    • den eigenen Wert spüren durch Zuwendung, Nähe und
der Person, sondern in die Tiefe der „Gruppenperson”.              Berührung, Beziehung, um die Qualität des Lebens zu erfahren;
    Die Frage lautet daher nicht „Verstehe ich mich?”, son-      • Achtung, Wertschätzung und Anerkennung, um in seiner

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  individuellen Art so-sein zu dürfen;                                zu setzen: sei es durch die Arbeit an klärenden, haltgebenden
• den Anspruch der Situation aufnehmen und sich abstimmen             Strukturen, durch Üben von Vorgängen wie z .B effiziente
  mit der Welt durch Offenheit auf Welt hin, um zu erspüren, was      Kommunikation, durch unterstützendes und schützendes
  man soll.                                                           Vorgehen, durch stärkere Prozessleitung (1. GM), durch län-
                                                                      geres Verweilen, um mit sich in Fühlung zu kommen und
    Ist die Erfüllung dieser Grundbedürfnisse gesichert, so ist       mehr Gespür für den anderen zu entwickeln (2. GM), durch
die Person frei, sich den Fragen und Anforderungen des Lebens         verstärkte Beachtung und Betonung der Individualität, des
zuzuwenden. Die „Ichstärke” kann durch lebensgeschichtliche           Eigenseins (3. GM) oder durch Betonung der Sache, um die
Mängel und Traumata beeinträchtigt sein, aber auch durch aktu-        es gerade geht (4. GM). Damit verlässt der Supervisor je-
elle Belastungen geschwächt werden. Beeinträchtigungen ma-            doch in einem gewissen Sinn die Supervision in Richtung
nifestieren sich in einer „einseitigen Motivationslage”, in der die   Teamentwicklung. Man könnte sagen, Teamsupervision sei
Person mehr oder weniger effizient die Mangellage auszuglei-          nahe der Beratung, Teamentwicklung näher der Therapie.
chen vermag, damit jedoch auch eine Beeinträchtigung in ihrer
Offenheit auf Sinn hin erfahren kann.                                 Verführt eine der therapeutischen Vorgangsweise
    Die Wende ins Existentielle erfordert nicht nur das Vorhanden-    nahe liegende Supervisionsmethode nicht zu the-
sein dieser strukturellen Voraussetzungen, sondern ein Einver-        rapeutischem Vorgehen?
ständnis der Person zur Welt als Gegebenheit, zum Leben als              Grundsätzlich leitet sich aus der Kenntnis einer Vorgangs-
Bewegtsein, zu sich als Person, als Individuum und zum Sinn als       weise noch kein therapeutischer Einsatz derselben ab. Man
dem Gesollten.                                                        könnte auch das Gegenteil behaupten: Erst die genaue Kenntnis
    Therapeutische Arbeit bewegt sich meist im Bereich der            der Unterschiede zur Therapie schützt vor deren naivem Ein-
Voraussetzungen zum Dialog, hier besonders auch in der                satz. Die Fähigkeit zur Reflexion des eigenen Tuns ist für
Frage des Verstehens aus den jeweiligen Lebenszusammen-               den Supervisor gleichermaßen wichtig wie für den Thera-
hängen und Erfahrungen heraus. Biografische Arbeit dient              peuten. Es kann m. E. nicht angehen, zum Schutz vor den
somit der Erforschung und dem Verstehen einseitig orien-              Mängeln von Supervisoren ihren Klienten etwas vorzuent-
tierter oder fixierter Motivation und der Befreiung der Per-          halten, was gut ist.
son zur Existentialität. Existenzanalytische Supervision setzt
die Erfüllung dieser Voraussetzungen voraus bzw. arbeitet                 Wohl aber muss deutlich gesagt werden, dass in der Grup-
nicht prozesshaft, sondern ressourcenorientiert an diesen.            pen- bzw. Teamsupervision ein „Abrutschen“ in die Selbst-
Arbeit an der Biografie der einzelnen Teammitglieder ist nicht        erfahrung schädlich ist. Persönliche, „intime”, private Dinge
Thema der Supervision, wohl aber ist die Biografie von                anzufragen und auszubreiten, ist in Arbeitsbeziehungen un-
Teams, Gruppen, Betrieben bisweilen ein wichtiges Thema               passend, vor allem, wenn dies nicht entschieden, mit Zu-
und als solches veränderungs- und lösungsfördernd.                    stimmung der Teilnehmer und in Kenntnis der Folgen ge-
                                                                      schieht, sondern durch dynamische Momente passiert.
    Umgelegt auf die Gruppensituation bedeutet das, dass der          Möglicherweise fällt dies dem Teilnehmer irgendwann „auf
Supervisor auf die grundmotivationale Situation der einzel-           den Kopf”: Die Kollegen ändern z. B. ihr Verhalten zueinander
nen und der Gruppe Bedacht nehmen muss bzw. dass er                   und nehmen eine sorgende, therapeutische, oder aber auch
Störungen, die aus diesen Voraussetzungen stammen, aus-               intrigante Haltung ein oder verwenden die Informationen ge-
gleichen oder thematisieren soll.                                     gen diesen Kollegen.
    Hier sehen wir vermutlich am deutlichsten, worin sich
die Supervision zur Therapie hin unterscheidet: Geht es in            III) Existenzanalytische Supervision und
der Therapie v.a. darum, die Voraussetzungen des Person-              existenzanalytisches Coaching in der Praxis
seins zu entwickeln, zu stärken und aus den Lebens-
behinderungen zu befreien – also anders gesprochen das Ich                Das dynamische Feld von Supervision und Coaching
zu stärken bzw. die strukturellen Voraussetzungen des Dialo-          entsteht im Spannungsfeld von Person (Individualität), Ge-
ges zu entwickeln –, so werden in der Supervision diese Fä-           meinschaft (Gruppenperson, System) und Aufgabe. Die
higkeiten vorausgesetzt. Nun hat natürlich nicht jedes Team-          Grundbewegung in einer existenzanalytischen Supervision
mitglied bereits einen Entwicklungsreifegrad, der diese Vor-          innerhalb dieses Spannungsfeldes „Person/Gemeinschaft /
aussetzung tatsächlich rechtfertigen könnte. Was ist, wenn            Aufgabe” besteht in einer Fokusverschiebung zwischen die-
in sich gefangene Menschen in Teams die Öffnung auf-                  sen Bereichen.
einander und auf die Sache hin nicht mitgehen können? Dann                Innerhalb jedes dieser drei Pole bewegt sie sich zwischen
geht es eben nicht darum, Therapie in der Gruppe zu ma-               Bedingtheit und Freiheit, d. h. der Abhängigkeit von den Be-
chen, sondern das Team anzuhalten, mit diesen Gegebenhei-             dingungen der persönlichen Lebensgeschichte und dem per-
ten umzugehen und im Dialog die für diese Konstellation beste         sonalen Umgang mit sich, den Bedingungen der Gemeinschaft
Möglichkeit – auch der Unterstützung – zu entwickeln.                 und dem Raum für die Ausgestaltung des Miteinander sowie
    Ist ein Team noch nicht „teamfähig” – also nicht in der           zwischen der vorgegebenen Aufgabe und den persönlich darin
Lage, miteinander in Dialog zu treten –, so hat der Supervi-          empfundenen Werten. In der existenzanalytischen Super-
sor die Möglichkeit, den Schwerpunkt auf Teamentwicklung              vision geht es daher um maximales Personsein als Vor-

                                                                                              EXISTENZANALYSE 22/1/2005         11
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