Der person-zentrierte Ansatz von Tom Kitwood
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Karin Welling: Der person-zentrierte Ansatz von Tom Kitwood -Nachdruck aus Unterricht Pflege, 9. Jg., H. 5 (2004) Der person-zentrierte Ansatz von Tom Kitwood – ein bedeutender Bezugsrahmen für die Pflege von Menschen mit Demenz Karin Welling Die Ursprünge der person-zentrierten Pflege gehen auf die Theorie und Praxis der Klientenzentrierten Psychotherapie des amerikanischen Psychologen Carl Rogers zurück. Erste Einflüsse des Rogerianischen Ansatzes im Bereich der Arbeit mit Menschen mit Demenz finden sich in einem Aufsatz aus den 1960er Jahren von Naomi Feil, der Begründerin der Validation (Feil 1967). Der person-zentrierte Ansatz von Tom Kit- wood (2004), der hier vorgestellt wird, wurde in den 1980er Jahren von Kitwood und der Bradford Dementia Group (vormals Dementia Re- search Group) in England entwickelt. Bezugnehmend auf Rogers nannten die Begründer ihren Ansatz „person-centred care“ - person- zentrierte Pflege. In Deutschland hat der person-zentrierte Ansatz von Tom Kitwood durch das Dementia Care Mapping (DCM, Unterricht Pfle- ge 1/2010) zunehmend an Bekanntheit und Bedeutung gewonnen. Seine besondere Bedeutung für die Pflegeausbildung ist in seiner Spann- weite und in seiner klaren Aussage für Pflege begründet. 1. Ausgangspunkt und Ziel der person- niert. Neben der Kognition beinhaltet er Ge- das Gefühl, etwas wert zu sein, zentrierten Pflege fühle, Handlung, Zugehörigkeit, Bindungen das Gefühl, etwas tun, etwas bewirken Der person-zentrierte Ansatz stellt die Per- an andere Personen und Identität (Bradford zu können, son, das Subjekt selbst, in den Mittelpunkt Dementia Group 1997, S.10). Das Ziel, Per- das Gefühl, Kontakt zu anderen Men- aller Betrachtungen. Er impliziert somit das, sonsein zu erhalten, ist sicherlich grundle- schen zu haben, dazu zu gehören was für eine menschenwürdige Pflege gend für Pflege und Begleitung von Men- das Gefühl von Sicherheit, Urvertrauen selbstverständlich erscheint, aber nicht schen generell, für Menschen mit Demenz und Hoffung (Morton 2002, S. 152 und selbstverständlich ist, nämlich Menschen in ist es jedoch existentiell, denn sie sind mit Müller-Hergl, 2000, S. 256) ihrem vollen Menschsein anzuerkennen; Fortschreiten des demenziellen Prozesses Kitwood formuliert dementsprechend: „Un- immer weniger selbst in der Lage, ihr Per- Menschen, die über diese vier Empfin- ser Bezugsrahmen sollte nicht länger die sonsein aufrechtzuerhalten. Damit es nicht dungszustände in einem ausreichenden Person-mit-DEMENZ, sondern die zerfällt, benötigen sie andere Menschen, die Maße verfügen, können sich, trotz Demenz, PERSON-mit Demenz sein“ (2000, 25). fähig und bereit sind, ihr Personsein anzu- relativ wohlfühlen. Relativ deshalb, weil Dass der Fokus primär auf den betroffenen erkennen und es fortwährend zu nähren. Demenz für die betroffene Person immer mit Menschen und nicht auf seine Erkrankung, Die Person, das Selbst des Individuums, vielfältigen Verlusten verbunden ist. Hier in diesem Fall die Demenz, gerichtet wird, entwickelt sich durch die lebendige Bezie- wird insbesondere der Verlust mentaler Fä- verdeutlicht sich auch in der Sprache: Ge- hung zu anderen Menschen und wird durch higkeiten, wie beispielsweise Merk-, Orien- sprochen wird bewusst von Menschen mit deren wertschätzenden und einfühlenden tierungs- oder Problemlösefähigkeit, ge- Demenz und nicht von Dementen, Demenz- Kontakt aufrechterhalten. Dementsprechend nannt. Wie wir wissen, wirkt sich der Verlust kranken, Schreiern, Fragern, Wegläufern, formulieren Rogers und Schmid „(...) Die von kognitiven Fähigkeiten auf das Wohlbe- Kotschmierern, Wanderern oder ähnlichem. Person entzieht sich gänzlich jeder Objekti- finden der betroffenen Menschen aus. Je- Bezeichnungen wie diese sind durchaus ge- vierung, weil sie aus dieser zwischen- der, der Menschen im Anfangstadium des läufig; sie reduzieren den betroffenen Men- menschlichen Begegnung – im Dialog – erst demenziellen Prozesses begleitet, kann be- schen, wenn auch nicht bewusst, auf seine wird, was sie ist.“ ( 2004, S.72 ). Ferner ist obachten und erfahren, wie diese Menschen Erkrankung, bestimmte Symptome oder für den Erhalt des Personseins ein gewisser auch unter den kognitiven Verlusten, die Verhaltensweisen. Unmerklich verschwindet sozialer Status von Bedeutung, der Aner- häufig mit Gefühlen wie Angst und Scham das, was den Menschen als solchen aus- kennung, Respekt, Vertrauen und die Aner- verbunden sind, leiden (hierzu Haupt & macht - sein Wesen, sein Erleben, seine kennung der Einzigartigkeit jedes Menschen Kunz 1990; Niebuhr 2004). Kitwood war ü- Fähigkeiten, sein Gewordensein, seine beinhaltet – dieses gilt für alle Menschen, berzeugt davon, dass es Menschen mit Schmerzen und seineTrauer - hinter der Di- nicht nur für Menschen mit Demenz (Kit- Demenz, unter der Voraussetzung, dass agnose Demenz. wood 2004, S.27). Beziehung und Umfeld stimmen, trotz Ver- Das übergeordnete Ziel einer person- Kitwood setzte den Erhalt des Personseins lust kognitiver Fähigkeiten relativ gut gehen zentrierten Pflege besteht darin, das Per- mit Wohlbefinden gleich. Folgende vier glo- kann. Dieses ist möglich, weil kognitive Fä- sonsein von Menschen mit Demenz zu er- bale Empfindungszustände (global sentient higkeiten eben nur einen Teil von Person- halten, zu fördern oder wenn nötig wieder- states) gehen seiner Ansicht nach mit sein ausmachen. Vielen Menschen fällt es herzustellen. Dabei wird der zugrunde lie- Wohlbefinden und somit mit gut erhaltenem schwer, diesem Gedanken Glauben zu gende Personbegriff sehr umfassend defi- Personsein einher: schenken, sind es doch gerade die kogniti- 1
Karin Welling: Der person-zentrierte Ansatz von Tom Kitwood -Nachdruck aus Unterricht Pflege, 9. Jg., H. 5 (2004) ven Fähigkeiten, denen in unserer westli- nachhaltig auf die Sozialpsychologie einzu- Rogers hat darauf hingewiesen, dass die chen Kultur seit Beginn der Neuzeit eine wirken. Auseinandersetzung mit dem eigenen Men- große Bedeutung zugeschrieben wird. So schenbild, elementar für die professionelle wird beispielsweise Bewusstsein immer Der Begriff Wohlbefinden ist für die Zusammenarbeit mit Menschen ist: „Der noch primär mit kognitiven Fähigkeiten in Pflege kein neuer Begriff, er wurde und primär wichtige Punkt ist hier die Einstellung Verbindung gebracht: „Cogito ergo sum“ wird insbesondere im Rahmen der Pfle- des Beraters zum Wert und der Bedeutung (Ich denke, also bin ich). Erst die Fähigkeit geprozessplanung und hier in Hinblick des Individuums. Wie sehen wir den ande- auf die Zielformulierung („Wohlbefinden zu denken macht den Menschen demnach ren? Gestehen wir jedem Menschen seinen des Menschen erhalten, fördern und zu einem Menschen. Umgekehrt bedeutet ihm gemäßen Wert, die ihm gemäße Würde wiederherstellen“) benutzt. Der Begriff dieses: Menschen, deren Denkvermögen, wird zu Recht wegen seiner Unklarheit zu?“ (1992, S.35). Es ist wichtig, dass Pfle- warum auch immer, reduziert ist, verlieren kritisiert – ein „schwammiger, alles um- gende sich über ihr eigenes Menschenbild an Menschensein, verlieren an Personsein. fassender und daher nichtssagender bewusst werden und dass diesem Be- Sie werden vom Subjekt zum Objekt degra- Begriff“ (Bartholomeyczik 2001, 284). Im wusstwerdungsprozess innerhalb der Aus- diert, sie verlieren an Würde und Integrität. Rahmen des Dementia Care Mapping bildung genügend Aufmerksamkeit und Diese Denkweise und Haltung wirkt sich (DCM), ein Beobachtungsverfahren, Raum gegeben wird. Denn das Menschen- schädigend auf die Person mit Demenz aus. welches es ermöglicht, das relative bild beeinflusst die Haltung und die Art, wie Wohlbefinden jeder einzelnen Person Um ihr bewusst entgegenzuwirken, hat Kit- wir mit anderen Menschen in Beziehung tre- anhand spezifischer Beobachtungskrite- wood andere Faktoren, die ebenso das ten, maßgeblich. Insofern ist die Entwick- rien zu messen, gewinnt der Begriff je- Wohlbefinden einer Person ausmachen, doch durch Operationalisierung an Klar- lung, Ausgestaltung und Reflexion einer stärker in den Blickpunkt gerückt. Die zwölf heit persönlichen Haltung wichtiger, als das Er- Hauptindikationen des Wohlbefindens in der lernen einer Technik. Was kennzeichnet Demenz lauten demnach: Der Begriff Haltung meint nach Scheller nun eine person-zentrierten Haltung? Eine „Wünsche nachdrücklich zum Ausdruck „das Gesamt von inneren Einstellungen, person-zentrierte Haltung ist durch die drei bringen und in einer akzeptablen Weise Gefühlen, Vorstellungen und sozialen Merkmale Empathie, Akzeptanz und Kon- geltend machen Orientierungen und äußeren körperli- gruenz gekennzeichnet. Diese drei Merkma- Körperliche Entspannung und Erhaltung chen und sprachlichen Ausdrucks- und le hat Carl Rogers im Rahmen der klienten- Empfänglich sein für die emotionalen Be- Handlungsweisen, wie es sich in ver- zentrierten Psychotherapie entwickelt. Sie dürfnisse anderer schiedenen sozialen Situationen reali- Humor werden im folgenden kurz erläutert. siert. Haltungen sind, da sie in der Re- Kreativer Selbstausdruck (z.B. Singen, gel in einigen (insbesondere körperbe- Tanzen oder Malen) zogenen) Anteilen der bewussten Kon- 2.1 Empathie (einfühlendes Verstehen) Hilfsbereitschaft trolle entzogen sind, in sich wider- Empathie oder einfühlendes Verstehen ist Aktives Aufnehmen von Sozialkontakten sprüchlich, was vor allem in der Diskre- die Bereitschaft und Fähigkeit, die innere Zuneigung panz zwischen Selbst- und Fremdwahr- Erlebniswelt des Gegenübers aufzusuchen, Selbstrespekt (sich über Hygiene, Sauber- nehmung zum Ausdruck kommt (Schel- sie zu spüren, wahrzunehmen und zwar so, keit und Erscheinung Gedanken machen) ler 1987, S.59). wie der andere situativ seine innere Welt er- Eine ganze Bandbreite von Gefühlen zum lebt. Dies erfordert, sich auf den inneren Ausdruck bringen, sowohl im positiven wie im negativen Sinne Bezugsrahmen (Rogers & Schmid 2004) 2. Grundsätze einer person-zentrierten des anderen einzulassen und diesen für Andere anzunehmen, die auch an Demenz Haltung sich zu erfassen, allerdings ohne ihn zu be- leiden“ (Bradford Dementia Group 1997, S.11) Der person-zentrierte Ansatz fußt auf einem werten. Tausch und Tausch drücken diese humanistischen Menschenbild, das sich, Fähigkeit zur Empathie wie folgt aus: „Eine Es geht in der Pflege von Menschen mit ausgehend von Menschlichkeit und Men- in dieser Form verstehende Person hört, Demenz um die Be(ob)achtung des Wohl- schenfreundlichkeit auf den anderen, den welche Bedeutung die berichteten Erfah- befindens. Hierbei steht nicht die Linderung Nächsten bezieht. Das humanistische Men- rungen und Erlebnisse für das Selbst, für von Krankheit und Symptombeseitigung, schenbild sieht den Menschen als eigen- die Person des anderen haben, was sie für sondern der Erhalt des Personseins im Vor- ständige und wertvolle Persönlichkeit und sein Fühlen bedeuten.“ (1998, S.179) Im dergrund. Personsein und Wohlbefinden achtet hierbei die Unterschiedlichkeit der emphatischen Prozess zu sein bedeutet, umfasst mehr, als die Fähigkeit zu denken Menschen. Des Weiteren geht es davon dem subjektiven Erleben, den Erfahrungen, und wird insbesondere durch die Gestaltung aus, das jeder Mensch das Bedürfnis hat, Wahrnehmungen und Gefühlen (z.B. Furcht, der Beziehung beeinflusst. Hieraus ergibt sich weiterzuentwickeln, zu reifen und sich Wut, Verwirrung, Angst) des anderen in sich sich für die Pflege ein breites Spektrum an selbst zu aktualisieren oder zu verwirkli- selbst Raum zu geben, diesen nachzuspü- Möglichkeiten, denn keine andere Berufs- chen. Der Begriff „Menschenbild“ meint, ren und ein Stück weit in seinen Schuhen zu gruppe im Gesundheitswesen hat so häufig welche Vorstellung eine Person über das gehen. Hierbei ist äußerst wichtig, sich dar- und intensiv Kontakt zu Menschen mit De- Menschsein hat. Diese Vorstellung, die nicht über bewusst zu sein, dass dieses die menz wie die Gruppe der Pflegenden. Keine immer bewusst ist, beeinflusst die jeweilige Schuhe des anderen sind und nicht meine. andere Berufsgruppe hat die Möglichkeit, so Einstellung bzw. Haltung zum Menschen. Beim einfühlenden, nicht-wertenden Verste- 2
Karin Welling: Der person-zentrierte Ansatz von Tom Kitwood -Nachdruck aus Unterricht Pflege, 9. Jg., H. 5 (2004) hen bin ich als unterstützende Person mir in Hinblick auf die Beziehungsgestaltung werden, sich auch auf Menschen mit De- meiner eigenen Identität bewusst und im wenig hilfreich, manchmal sogar hinderlich, menz entwicklungsfördernd auswirkt. klaren darüber, dass „ich ich selbst und weil es den unbefangenen Blick auf das nicht der andere bin“ (Pörtner 2001, S.25). Wesen des Menschen und seine Ressour- Die folgende Skala über einfühlendes, nicht- Nur so bin ich in der Lage, den Menschen in cen verstellt. Hilfreich und förderlich hinge- wertendes Verstehen wurde von Tausch seiner inneren Welt professionell zu beglei- gen ist selbst schon das Bemühen, in der und Tausch (1998, S.181) entwickelt. Mit ten. Situation wirklich präsent zu sein, den ande- Hilfe dieser Skala ist es, durch Selbst- oder Um sich in den inneren Bezugsrahmen ei- ren suchend verstehen zu wollen und sich Fremdbeobachtung, möglich, den Grad des ner Person mit Demenz verstehend einfüh- ihm bedingungslos positiv zuzuwenden. einfühlenden nicht-wertenden Verstehens len zu können, ist es nicht zwingend erfor- Dieses geschieht ohne zu interpretieren, zu einer Person gegenüber einer anderen ein- derlich, genaues diagnostisches Wissen beurteilen oder zu bewerten. (Rogers & zuschätzen. über die Ursache und Folgen des Krank- Schmid 2004, S.194) Es ist davon auszuge- heitsprozesses zu haben. Dieses Wissen ist hen, dass dieses Erlebnis, verstanden zu Eine Person versteht einfühlend und nicht-wertend die innere Welt eines anderen und lässt ihn das erfahren Kein einfühlendes Verstehen Vollständiges einfühlendes Verstehen eine Person geht auf die Äußerungen des anderen nicht ein eine Person erfasst vollständig die vom anderen geäußerten gefühlsmäßigen Erlebnisinhalte und gefühlsmäßigen Bedeu- tungen sie geht nicht auf die vom anderen ausgedrückten oder hinter sei- sie wird gewahr, was die Äußerungen oder das Verhalten für nem Verhalten stehenden gefühlsmäßigen Erlebnisinhalte ein das Selbst des anderen bedeuten sie versteht den anderen deutlich anders, als dieser sich selbst sie versteht den anderen so, wie dieser sich im Augenblick sieht selbst sieht sie geht von einem vorgefaßten Bezugspunkt aus, der den anderen sie teilt dem anderen das mit, was sie von seiner inneren völlig ausschließt Welt verstanden hat sie zeigt nicht einmal, daß ihr die vom andern ausgedrückten Ober- sie hilft dem anderen, die von ihm gefühlte Bedeutung des- flächengefühle bewusst sind sen zu sehen, was er geäußert hat sie ist entfernt von dem, was der andere fühlt, denkt und sagt sie ist dem anderen in dem nahe, was dieser fühlt, denkt und sagt sie bemüht sich nicht, die Welt mit den Augen des anderen zu se- sie zeigt in ihren Äußerungen und Verhalten das Ausmaß an, hen inwieweit sie die Welt des anderen mit seinen Augen sieht sie befaßt sich nicht mit den vom anderen geäußerten gefühlsmä- sie drückt die vom anderen gefühlten Inhalte und Bedeutun- ßigen Erlebnissen oder schmälert diese, indem sie bedeutsam ge- gen in tiefgreifenderer Weise aus als dieser es selbst konnte ringere gefühlsmäßige Erlebnisinhalte des anderen anspricht ihre Handlungen und Maßnahmen sind nicht der inneren Welt des ihre Handlungen und Maßnahmen sind dem persönlichen Er- anderen angemessen, sie gehen an dem Fühlen und den inneren leben des anderen angemessen Bedürfnissen des anderen vorbei Kein Verstehen 1 2 3 4 5 Vollständiges Verstehen Stufe 1 = kein einfühlendes nicht-wertendes Verstehen der inneren Welt des anderen Stufe 3 = mäßiges einfühlendes nicht-wertendes Verstehen Stufe 5 = vollständiges nicht-wertendes Verstehen Diese Skala kann für Pflegende bezüglich gruenz in einem selbst auslöst. (Morton der Einschätzung und Reflexion ihres ein- 1999, S. 26) 2.3 Kongruenz (Echtheit) fühlenden nicht-wertenden Verstehens ge- Einen Menschen mit Demenz zu akzeptie- Kongruenz wird von Rogers (1992) als die genüber einer Person mit Menschen mit ren heißt demnach, ihn in erster Linie als grundlegendste Bedingung in Hinblick auf Demenz sehr hilfreich sein. Menschen und nicht als Symptomträger die person-zentrierte Haltung genannt. Kon- wahrzunehmen. Es reicht nicht aus, sich gruent sein heißt, dass ich fähig bin, meine 2.2 Akzeptanz (Wertschätzung) darüber im Klaren zu ein, dass dieser eigenen Gefühle und Haltungen wahrzu- Akzeptanz bedeutet, den anderen Men- Mensch für die Folgen seiner Erkrankung nehmen, zuzulassen, zu akzeptieren und schen in seinem Sein vorbehaltlos wertzu- nicht verantwortlich ist. Akzeptanz geht dar- diese in der Beziehung zum anderen leben schätzen, ihn so anzunehmen, wie er ist, mit über hinaus. Sie erkennt die Einzigartigkeit kann. Dass ich mich einem anderen Men- seinen Stärken und Schwächen. Das bein- des Individuums an, indem sie seine eigene schen so zeigen kann, wie ich bin, mich im haltet, sich von seinen eigenen Werten, persönliche Art und Weise, mit der Erkran- Kontakt nicht verstelle oder hinter einer pro- Vorstellungen und Deutungen zu distanzie- kung umzugehen und das Leben zu meis- fessionellen Maske verberge. Diese Fähig- ren, auch wenn dies eine starke Inkon- tern, vorbehaltlos respektiert. keit verdeutlicht sich in dem gern zitierten 3
Karin Welling: Der person-zentrierte Ansatz von Tom Kitwood -Nachdruck aus Unterricht Pflege, 9. Jg., H. 5 (2004) Satz von Kierkegaard: „Das Selbst zu sein, wesentlichen Teil der person-zentrierten Gefühle und persönlichen Sinngebungen was man in Wahrheit ist“ . Für die eigene Haltung wider. Morton (1999) weist zu einzutreten und sie so sehen wie er? Haltung und Gefühle sensibel zu sein be- Recht darauf hin, dass das Wesentliche 7. Kann ich jede Aussage des Anderen, die er mir bietet, akzeptieren und ihn anneh- deutet auch, dass ich diese deutlich von de- dieser Haltung, die „Seinsweise“, schwer zu men, wie er ist? nen meines Gegenübers unterscheiden erfassen und zu vermitteln ist. Dennoch ist 8. Bin ich in der Lage, mit zureichendem kann. Rogers ging davon aus, dass die Fä- es wichtig, den person-zentrierten Ansatz Feingefühl in einer Beziehung zu agieren, higkeit des Therapeuten, echt zu sein, Bar- immer im Kontext der Haltung dar- und vor- so dass mein Verhalten nicht als Drohung rieren abbaut und den Klienten darin be- zustellen. Nicht das Fachwissen oder die empfunden wird? stärkt, seine eigene Gefühle frei zu äußern. Technik, sondern die Einstellung und Hal- 9. Kann ich den Klienten vor der Gefahr einer So kann eine „Begegnung von Person zu tung auf Seiten der Pflegeperson sind ent- Bewertung von außen schützen? Person zwischen zwei unvollkommenen scheidend für die Qualität der Beziehung 10. Kann ich diesem anderen Individuum als Menschen“ stattfinden (Rogers & Schmid und für eine positive Interaktion. Die person- jemanden begegnen, der sich im Prozeß des Werdens befindet, oder bin ich durch 2004, S.203). zentriete Haltung ist grundlegend und somit seine und meine Vergangenheit gebun- Menschen mit Demenz sind häufig sehr unabhängig von der Art der Erkrankung o- den?“ (nach Rogers [1958], 1985 zitiert in sensibel für Inkongruenzen im Verhalten ih- der Diagnose des Klienten (Rogers & Morton, 2002, S. 35) res Gegenübers. Sie können diese im Be- Schmid, 2004, S.292). Demzufolge hat Ro- reich der verbalen und nonverbalen Kom- gers zehn Fragen formuliert, mit dessen Hil- Diese Fragen können auch für Pflegende in munikation in der Regel gut erspüren. Pfle- fe der Betreuer seine Haltung in Hinblick auf der Reflexion ihrer person-zentrierten Hal- gende sollten dem Menschen mit Demenz die Person-zentriertheit überprüfen kann tung in der Arbeit Menschen mit Demenz im Kontakt allerdings nicht alle ihre Gefühle sehr hilfreich sein. Sie sind auf alle Formen vorbehaltlos zeigen und ihn so vielleicht ü- 1. „Kann ich so sein, daß der andere mich wirklich als vertrauenswürdig, verläßlich menschlicher Beziehungen übertragbar. berfordern. Ob und wie weit die Pflegeper- son sich offenbart, hängt von der individuel- und beständig wahrnimmt? 2. Kann ich mich so ausdrücken, daß das, 3. Das person-zentrierte Verständnismo- len Situation und der Sinnhaftigkeit, dies zu was ich bin, unzweideutig mitgeteilt wird? dell der Demenz tun, ab. Grundlegend ist, dass sie ihre Ge- 3. Kann ich es mir erlauben, positive Einstel- Das person-zentrierte Verständnismodell fühle, die sie in der Beziehung wahrnimmt, lungen gegenüber dem anderen zu emp- versteht die Demenz eines Individuums als vor sich selbst nicht verleugnet und bereit finden – Einstellungen der Wärme, des eine Form der Behinderung, die infolge ei- ist, diese auszudrücken (Rogers & Schmid Fürsorge, Zuneigung, des Interesses und ner Interaktion von fünf Ursachenkomplexen 2004). Zu ihrer Entlastung sollten Pflegende Respekts? entsteht. die Möglichkeit erhalten, ihre Gefühle und 4. Kann ich als Mensch stark genug sein, um Erleben in Supervisionen oder Fallbespre- mich neben dem anderen zu behaupten? chungen vorurteilsfrei zu thematisieren. 5. Bin ich meiner selbst sicher genug, um ihm sein Anders-Sein zu erlauben? 6. Kann ich es mir erlauben, voll und ganz in Die drei beschriebenen Merkmale Empa- die Sphäre des anderen, in die Welt seiner thie, Akzeptanz und Kongruenz geben einen Demenz = Persönlichkeit + Biographie + körperliche Gesundheit + Neurologische Beeinträchtigung + Sozialpsychologie (Kitwood 1993, S.16 zitiert in Morton 2002, S.130) Laut Kitwood hängt der Verlauf des demenziellen Prozesses stark davon ab, inwieweit das Umfeld in der Lage ist, sich an den Bezugsrahmen der Person mit Demenz anzupassen. Mit diesem sozialpsychologischen Verständnis distanziert sich der person-zentrierte Ansatz vom biome- dizinschen Modell der Demenz. Das Standardparadigma der Medizin geht auf der Grundlage einer linearen Vorstellung weitgehend davon aus, dass Ursprung und Verlauf der Demenz ausschließlich eine Folge pathologischer Veränderung im Gehirn sind. „Der Begriff „Demenz“ be- zieht sich auf ein Muster von Symptomen, die bei Patienten mit Krankheiten des Gehirns auftreten, wenn diese eine Schädigung oder Zerstö- rung von Nervenzellen herbeiführen.“ (Alzheimer Europe, 1999, S.1) Dieses Verständnis versuchte Kitwood durch folgende Gleichung darzustellen: X (eine oder mehrere Faktoren) ⇒neuropathologische Veränderung ⇒Demenz (Kitwood 2004, S. 60) Kitwood setzte dem Standardparadigma der demenziellen Symptomen, die sich zu Leb- bestehen“ (Kitwood 2004, S. 61). Diese Dis- Medizin mehrere Kritikpunkte entgegen. zeiten des Menschen zeigen. „Es können krepanz kann mit dem Standardparadigma Beispielsweise existiert eine erhebliche Dis- beträchtliche neuropathologische Zustände der Medizin ebenso wenig hinreichend er- krepanz zwischen den neurologischen Ver- ohne Demenz vorliegen, und es kann eine klärt werden, wie das Phänomen der Re- änderungen im Gehirn (postmortal) und den Demenz ohne signifikante Neuropathologie menz (Wiederherstellung personaler Funkti- 4
Karin Welling: Der person-zentrierte Ansatz von Tom Kitwood -Nachdruck aus Unterricht Pflege, 9. Jg., H. 5 (2004) on). Die Medizinisierung der Demenz hatte fassung, dass diese Bedingungen, die ele- Persönlichkeit und Biographie sind eng mit- in Deutschland zur Folge, dass sich ihre Er- mentar für die Entwicklung des Kindes sind, einander verbunden, sie stehen in wechsel- forschung bis vor wenigen Jahren fast aus- ebenso elementar für die Bewahrung des seitiger Beziehung. So wird die Entwicklung schließlich auf Untersuchungen im Bereich Selbst eines Menschen mit Demenz sind. der Persönlichkeit stark von „psychisch be- der Neuropathologie beschränkte. Multipro- Grundlegend für einen verstehenden, reflek- deutsamen Lebensereignissen“ beeinflusst fessionelle Ansätze in Diagnostik und The- tierenden Zugang ist das Regressionsmo- (Morton 1999, S.132). Lebensereignisse rapie finden aufgrund der Tatsache, dass dell der Demenz (Radebold 1994). Regres- haben einen Einfluss darauf, wie ein die Medizin immer noch als Leitwissen- sion bedeutet die „Rückkehr zu einfachen Mensch mit Problemen und Verlusten des schaft der Demenz gesehen wird, wenig Be- und bereits gut beherrschbaren Handlungs- Lebens im Alter umgeht, wie er diese verar- rücksichtigung. und Denkweisen eines früheren Entwick- beiten kann (vgl. hierzu Schütze, Tesch- Das person-zentrierte Verständnismodell lungsniveaus, bes. bezüglich der Trieborga- Römer & Borchers,1996). Dieses erklärt mit den fünf Ursachenkomplexen Persön- nisation“ (Böhm, 1988, S.492). Der demen- auch, warum jeder Mensch mit den Folgen lichkeit, Biographie, körperliche Gesundheit, zielle Prozess ist verbunden mit dem Verlust seiner Demenz anderes umgeht. Menschen Neurologische Beeinträchtigung und Sozial- von „Ich Funktionen“ (insbesondere Merkfä- mit Demenz sind von vielfältigen Verlusten psychologie wird im Folgenden näher erläu- higkeit, Erinnerungsvermögen, Realitätskon- bedroht, dazu gehört auch der Verlust von tert. trolle). Durch diesen zunehmenden Verlust Wissen und hier insbesondere der Verlust von Ich-Funktionen wird es für den Men- des Wissens um die eigene Lebensge- 3.1 Persönlichkeit schen mit Demenz zusehends schwieriger, schichte. Dieser Verlust ist mit der Gefahr Die Persönlichkeit eines jeden Menschen ist den anfallenden Aufgaben und Problemen verbunden, die eigenen Identität zu verlie- einmalig und unverwechselbar, sie entwi- erwachsenengerecht zu begegnen (Rade- ren. Das biographische Wissen und Selbst- ckelt sich in der Beziehung mit und zu ande- bold 1994, S.65). Um mit dieser angst- und wissen, das heißt das Wissen, das ein ren Menschen (Person-Umwelt-Beziehung). schamvollen Situation zurechtzukommen, Mensch über sich selbst in Vergangenheit Kitwood verstand die Entwicklung der Per- setzt das Individuum regressive Muster als und Gegenwart hat, stellt die Grundlage sönlichkeit als einen sozialen Prozess, des- Abwehr- und Bewältigungsstrategie ein seiner Identität, seiner personalen Kontinui- sen Verlauf stark von dem jeweiligen Um- (Radebold 1994, S.65). Hierbei können laut tät dar. Störungen in der Erinnerungsfähig- feld, in dem der Mensch aufwächst, ab- Müller-Hergl (2003) verschiedene Arten von keit führen zur personalen Destabilität und hängt. Er beschreibt die kindliche Entwick- Regression beobachtet werden: am Anfang wirken sich negativ auf das Erleben und lung in Anlehnung an David Winnicott aus des demenziellen Prozesses reagiert die psychische Wohlbefinden des betroffenen einer psychoanalytischen Perspektive her- betroffene Person stärker mit bekannten Menschen aus (Romero 1992). Kenntnisse aus (Kitwood 2004). Die psychoanalytische Regressionsmustern wie Projektion (z.B. um die Biographie eines Menschen mit De- Entwicklungspsychologie interessiert sich andere Menschen werden beschuldigt, et- menz und die Sicherung des selbstnahen insbesondere für Objektbeziehungen (hier was verlegt zu haben) und Leugnung. Spä- Wissens sind aus zwei Gründen wichtig: insbesondere die Mutter) und die Entwick- ter werden diese durch grundlegendere Das Wissen um die Biographie einer Person lung des Selbst in den ersten drei Lebens- Regressionsmuster ersetzt: „Ich Regression mit Demenz kann zum einen helfen, das jahren des Kindes. Demnach steht bei der (>Ich muss zur Arbeit
Karin Welling: Der person-zentrierte Ansatz von Tom Kitwood -Nachdruck aus Unterricht Pflege, 9. Jg., H. 5 (2004) auch Schore 2002). Bauer (2002) weist in was erstens die Einheit von Gehirn und und der Sozialpsychologie auf der anderen seiner Veröffentlichung auf den Zusammen- Geist/Seele unterstreicht und zweitens be- Seite (2004, S.80ff). Dieses dialektische hang zwischen Biographie und Neurobiolo- deutet, dass Psychologie und Neurologie Modell der Demenz besagt, dass ein nega- gie hin. Biographische Erfahrungen, Gefühle untrennbar miteinander verbunden sind. tives soziales Umfeld den demenziellen und Erlebnisse in zwischenmenschlichen Diese These brachte Kitwood durch folgen- Prozess durch personale Detraktionen be- Beziehungen haben demnach einen Ein- de Gleichung zum Ausdruck (2004, S. 38). scheunigt: negative Interaktionen ziehen fluss auf das Hirnzellwachstum und hinter- ψ≡b neue neurologische Beeinträchtigungen lassen deutliche Spuren in den biologischen Neue Erkenntnisse der Neurowissenschaf- nach sich (Involutionsspirale). Anderseits ist und genetischen Strukturen des menschli- ten deuten darauf hin, dass die Entwicklung es aber auch möglich, den demenziellen chen Körpers. Sie werden im Gehirn als des Gehirns ein fortlaufender, lebenslanger Prozess durch positive Beziehungen und „neurobiologischer Fingerabdruck“ gespei- Prozess ist. Kitwood nennet diese Gehirn- ein entsprechendes soziales Umfeld perso- chert und können sich Jahre später in Form entwicklung Bd (Brain development). De- nal aufzufangen: positive Interaktionen kön- von körperlichen, seelischen und psycho- menz geht in der Regel mit einem Verlust nen die Folgen der neurologischen Beein- somatischen Krankheiten zeigen. der Anzahl von Neuronen und einer Redu- trächtigung ausgleichen und das Personsein zierung der synaptischen Verbindungen des Menschen mit Demenz stärken. Die hier 3.3 Körperliche Gesundheit einher. Dieser Prozess kann sich, als nor- beschriebene immense Wirkung der Sozial- Die körperliche Gesundheit eines Menschen maler Alterungsprozess, langsam über Jah- psychologie wird im nächsten Abschnitt nä- wirkt sich auf Körper und Geist aus. In Be- re abspielen. Schnellere Verluste weisen her erläutert. zug auf Menschen mit Demenz bedeutet dagegen auf eine Erkrankung oder degene- dieses, dass körperliche Gesundheitsstö- rative Prozesse hin, die Kitwood als Gehirn- 3.5 Sozialpsychologie rungen, wie beispielsweise eingeschränktes pathologie Bp (brain pathology) bezeichnet Die Sozialpsychologie ist eine Disziplin, die Sehen und Hören oder das Vorhandensein (2004, 40). Die neurologische Einschrän- sich erstens mit dem Individuum und mit von Schmerzen, eine bestehende Demenz kung eines Individuums lässt sich demnach intraindividuellen Prozessen befasst und verstärken oder aber das Bild einer bereits wie folgt beschreiben: zweitens die Rolle des Sozialen (Strukturel- bestehenden Demenz verfälschen können. ψ≡b len) für individuelle Prozesse in den Mittel- Kitwood (2004, S.58f) ging davon aus, dass Bd, Bp punkt stellt (Stroebe, Hewstone, Codol & insbesondere sensorische Störungen de- „Jedes psychosoziale Ereignis ist gleicher- Stephenson, 1992, S.13). Insofern verbindet mentogen wirken. Durch die eingeschränkte maßen auch ein Ereignis oder Zustand des die Sozialpsychologie drei unterschiedliche Wahrnehmung nimmt die betroffene Person Gehirns, das bzw. der von einem Gehirn Ebenen miteinander: die individuelle, die weniger Reize aus ihrer Umwelt auf >getragen< wird, dessen Struktur von den zwischenmenschliche und die soziale Struk- und/oder interpretiert sie falsch. Dieses führt Faktoren der Entwicklung und der Patholo- tur. zu Störungen in der Kommunikation und gie bestimmt worden ist.“ (Kitwood 2004, Kitwood konnte beweisen, dass psychologi- kann sogar soweit führen, dass der betrof- S.40). sche und soziale Faktoren einen großen fene Mensch sich ganz zurückzieht bzw. Einfluss auf das Wohlbefinden von Men- kein Kontakt mehr mit ihm gesucht wird. In Für die person-zentierte Pflege ist diese schen mit Demenz haben. Die Ausgestal- der Praxis wird der gezielten Wahrnehmung Aussage bedeutend. Sie impliziert, dass tung dieser den Menschen umgebenden und Beobachtung des körperlichen Wohlbe- psychosoziale Faktoren einen erheblichen Sozialpsychologie hängt von vielen Fakto- findens von Menschen mit Demenz oft zu Einfluss auf Ursprung und Verlauf der De- ren ab, sie kann qualitativ sehr verschieden wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Die Wirk- menz haben und sich ebenso auswirken sein. Dieses hat Kitwood durch die Ausar- lichkeit zeigt immer wieder, dass bestimm- können wie physiologische Faktoren. Durch beitung zweier sozialpsychologischer Kul- tes Verhalten (z.B. schreien und klagen) das person-zentrierte Modell der Demenz turkonzepte aufgezeigt: Die maligne Sozial- einfach als zum Krankheitsbild der Demenz erfahren informell und formell Pflegende ei- psychologie (MSP) verstärkt den demenziel- dazu gehörend gesehen und gedeutet wird. ne Anerkennung und Würdigung ihrer Be- len Prozess und wirkt sich durch bestimmte Durch diese Annahme wird dem Ursprung ziehungsarbeit, denn die therapeutische destruktive Verhaltensweisen schädigend des Verhaltens nicht tiefer nachgegangen. Wirkung ihres Handelns wird ihnen hiermit auf das Personsein des Menschen mit De- Es kommt es zu fatalen Fehlinterpretatio- zugestanden. Mit dieser Anerkennung ist menz aus. Die benigne Sozialpsychologie nen, die das Leiden des betoffenen Men- aber auch eine erhebliche Verantwortung hingegen (BSP) fängt durch positive Perso- schen unnötig vertiefen. verbunden. So, wie durch eine förderliche nenarbeit bestehende neurologische Beein- Beziehungsarbeit beispielsweise Re-menz trächtigungen auf, so dass es dem Men- 3.4 Neurologische Beeinträchtigung durchaus möglich ist, ist es ebenso möglich, schen trotz Demenz relativ gut gehen kann. Kitwood ging davon aus, dass jedes psychi- dass die Demenz durch Beziehungsschädi- sche Ereignis (ψ ) (z.B. die Entscheidung gendes Verhalten der Pflegenden verstärkt 3.5.1 Die maligne, bösartige Sozialpsycho- einen Spaziergang zu machen oder ein Zu- wird (Morton 2002, S.128). Kitwood be- logie stand wie Hunger) ein Hirnereignis oder schrieb den demenziellen Prozess als ein Die maligne, bösartige Sozialpsychologie ist Hirnzustand (b) ist. Hierbei ist entscheidend, fortlaufendes dialektisches Wechselspiel mit einer deutlichen Abnahme von Intersub- dass beide Ereignisse gleichzeitig auftreten, zwischen der Neuropathologie auf der einen jektivität auf Seiten der Pflegeperson ver- 6
Karin Welling: Der person-zentrierte Ansatz von Tom Kitwood -Nachdruck aus Unterricht Pflege, 9. Jg., H. 5 (2004) bunden. Dieses zeigt sich darin, dass die fordern“, die Intention, die hinter diesem halb seiner Bindungstheorie zahlreiche Be- Subjektivität, die Gefühle und das Erleben Verhalten liegt, herauszufinden und ihr zum lege dafür geliefert, dass das Phänomen der von Menschen mit Demenz missachtet und Gelingen zu verhelfen (Müller-Hergl 2000). sozialen Bindung bedeutsam für die Ent- verletzt werden. Der Begriff „maligne“, der in Diesem Gedankengang liegt die Annahme wicklung des Kleinkindes ist. Ferner konnte der Medizin zur Charakterisierung eines zu Grunde, dass jedes Verhalten eines im Rahmen der Attachment-Forschung bösartigen Krankheitsverlaufs benutzt wird, Menschen mit Demenz einen Sinn hat – nachgewiesen werden, dass das Kleinkind soll hier die äußerst schädigende Wirkung auch wenn er nicht immer erkennbar ist. in Belastungssituationen, in denen es sich des pflegerischen Handelns auf die Person Kitwood hat fünf zentrale psychische Be- unwohl fühlt, eine bekannte Bindungsperson mit Demenz verdeutlichen. Das maligne dürfnisse identifiziert, die sich gegenseitig (in der Regel die Mutter) deutlich vor ande- Setting kann sich nicht nur auf das Person- überlappen und sich in dem zentralen Be- ren Personen bevorzugt. In anderen Situati- sein äußerst schädigend auswirken, son- dürfnis nach großzügiger, bedingungsloser, onen, z. B. wenn das Kind spielen möchte, dern auch das körperliche Wohlbefinden der verzeihender Annahme - nach Liebe - ver- herrscht nicht das „Bindungsverhaltenssys- Person untergraben (Kitwood 2004, S.75). binden. (Kitwood 2004, S.121) Diese Be- tem“ sondern das „Erkundungssystem“ vor Kitwood verwies explizit darauf, dass das dürfnisse sind Trost, primäre Bindung, Ein- und es werden auch andere Personen ak- Untergraben des Personseins nicht bewusst beziehung, Beschäftigung und Identität. zeptiert (Trautner 1991, S.53). und in böswilliger Absicht geschieht. Er sah Menschen mit Demenz sind vielfältigen die Malignität und die damit verbundene 3.5.2.1 Trost Stress- und Belastungssituationen ausgelie- „personale Detraktion“ (z.B. entmächtigen, Trost wird insbesondere Menschen gespen- fert, sie verstehen ihre innere und die sie lächerlich machen, Infantilisieren) als Teil det, die sich in einer hoffnungslosen, ver- umgebene äußere Welt häufig nicht mehr. unseres kulturellen Erbes, welches abwei- zweifelten Situation befinden. Menschen mit Es ist anzunehmen, dass durch dieses chendes Verhalten ächtet und sanktioniert. Demenz Trost zu spenden bedeutet, die Si- „nicht verstehen“ das Verlangen nach Si- Maligne Sozialpsychologie zeigt sich in un- tuation, in der sie sich befinden, empathisch cherheit, nach primärer Bindung, in ähnli- serer Gesellschaft tagtäglich in vielen Be- wahrzunehmen und ihr Leiden anzuerken- cher Intensität hervortritt wie bei Kindern ziehungen und Interaktionen, es kann ins- nen. Demenz ist für die betroffenen Perso- (Kitwood 200, 123). Dieses Verlangen besondere bei der Kindererziehung beo- nen mit vielfältigen Verlusten verbunden. drückt sich auch deutlich in dem sogenann- bachtet werden. (Kitwood 2004, S.75). Verlust an sozialen Beziehungen, Verlust ten Attachment-Verhalten (Anklammern, von Fähigkeiten, Verlust der Kontrolle, Ver- Hinterherlaufen) aus. Mit Fortschreiten des 3.5.2 Die benigne, gutartige Sozialpsycho- lust eines unabhängigen Lebensstils - somit demenziellen Prozesses sind Menschen mit logie ist ihr dringliches Verlangen nach Trost nur Demenz immer weniger in der Lage, von Die benigne Sozialpsychologie oder die po- allzu verständlich. sich aus Beziehungen zu gestalten. Sie be- sitive Arbeit an der Person führt, wenn sie Einem Menschen mit Demenz Trost zu nötigenden dazu die Hilfe anderer, bezie- gelingt, in vielen Fällen zu einer Aufrecher- spenden bedeutet, ihm in seiner Not ganz hungsfähiger Menschen. Bère Miesen haltung und Stärkung des Personseins - nahe zu sein, ihm Stärke, Verlässlichkeit, brachte das Konzept von Attachment als und somit zu einem relativen Wohlbefinden Sicherheit und Geborgenheit zu vermitteln erster in die Demenzdiskussion mit ein (vgl. des Menschen mit Demenz. Kitwood ging (Kitwood 2004, S.123). Menschen kennen hierzu Miesen 1999) davon aus, dass eine Person ohne die Be- intuitiv und kulturübergreifend vielfältige Ar- friedigung ihrer menschlichen Bedürfnisse ten, sich auf körpersprachlicher Ebene Trost 3.5.2.3 Einbeziehung nicht funktionieren kann. Dies setzt voraus, zu spenden: ein verständnisvolles Nicken, Das soziale Leben von Menschen findet in dass die Bedürfnisse der jeweiligen Person das Halten einer Hand, das Reichen eines Gruppen statt. Entwicklungsgeschichtlich von den Pflegenden erkannt und dass die- Taschentuches oder das Abwischen von betrachtet war die Gruppe für den Men- sen Bedürfnissen verlässlich nachgegangen Tränen, eine zärtliche, umfassende Umar- schen lebensnotwendig, er konnte nur als wird. Die Bedürfnisse von Menschen mit mung, ein gemeinsames rhythmisches Hin- Teil einer funktionierenden Gruppe überle- Demenz unterscheiden sich nicht wesentlich und Herwiegen oder das Streicheln über ben. Das Verlangen, Teil einer Gruppe zu von denen eines Menschen ohne Demenz. den Rücken. Körpersprachliche Gesten wie sein, dazuzugehören und gesellschaftliches Ein wesentlicher Unterschied besteht jedoch diese, die man im Alltag beobachten kann, Miteinander zu erleben, ist bei Menschen darin, dass Menschen mit Demenz ihre Be- vermitteln Gefühle mit hoher Authentizität. mit Demenz vorhanden. Die Art und Weise dürfnisse häufig nicht so direkt äußern kön- der Beteiligung ist, wie bei allen Menschen, nen und somit davon abhängig sind, dass 3.5.2.2 Primäre Bindung individuell unterschiedlich. Menschen mit Pflegende sensibel im Aufspüren der jewei- Primäre Bindungen sind für alle Menschen, Demenz können sich mit Fortschreiten des ligen Bedürfnisse sind. Zentrale psychische unabhängig von der Altersstufe, elementar. demenziellen Prozesses immer weniger Bedürfnisse verbergen sich häufig hinter Ein Mensch, der in kurzer Zeit mehrere Bin- selbst in eine Gruppe einbringen, sie benö- sogenannten „problematischen Verhaltens- dungen verliert, ist davon bedroht, sich zu tigen dazu die verbindende, feinfühlige Un- weisen“ (z.B. schreien, kratzen, hinterher- verlieren. (Kitwood 2004, S.123). Das Ver- terstützung anderer Menschen. Ansonsten laufen). Pflegende sollten dieses Verhalten langen nach Bindung beinhaltet den besteht die Gefahr, dass sie sich innerhalb als Kommunikationsversuch des Menschen Wunsch nach Verlässlichkeit , Sicherheit der Gruppe überfordert, ausgegrenzt und mit Demenz deuten. Es sollte sie „heraus- und Schutz. John Bowlby (1975) hat inner- unwohl fühlen. Jeder hat schon mal erfah- 7
Karin Welling: Der person-zentrierte Ansatz von Tom Kitwood -Nachdruck aus Unterricht Pflege, 9. Jg., H. 5 (2004) ren, dass es durchaus möglich ist, äußerlich es oftmals nicht leicht, diesem Bedürfnis Kitwood war davon überzeugt, dass durch Teil einer Gruppe zu sein und sich trotzdem adäquat nachzukommen. Damit das Be- sensibles Befriedigen der hier vorgestellten innerhalb dieser Gruppe zutiefst einsam und dürfnis nach Beschäftigung wirklich befrie- Gruppe von Bedürfnissen das Personsein „Fehl am Platze“ zu fühlen. Diese Phäno- digt werden kann, ist es zum einen wichtig, des Menschen mit Demenz erhalten bleiben men, „allein in einer Gruppe zu sein“, kann mit dem Menschen gemeinsam die für ihn kann. Er ging davon aus, das die Befriedi- man oft im Heimalltag beobachten: Men- richtige Art der Beschäftigung zu finden. gung eines Hauptbedürfnisses sich auf die schen (die sich nicht kennen) sitzen ge- Diese kann, muss aber nicht zwangsläufig, andere Bedürfnisse positiv auswirkt. meinsam in einem Raum und dennoch gibt an lebensgeschichtlich geprägte Aufgaben Die positive Arbeit an der Person geschieht es nichts, kein „Thema“, was sie verbindet . und Aktivitäten anknüpfen. Zum anderen gilt in der Interaktion mit dem betroffenen Men- Es gibt keine Person, die sich um den es, den richtigen Grad der Unterstützung zu schen. Interaktion wird hier nicht im Sinne Gruppenprozess, der ja durchaus stattfin- finden, um so dem Menschen, ohne ihn zu des Behaviorismus (Reiz-Reaktion) sondern det, kümmert. Solche unklaren Situationen über- oder zu unterfordern, zu einem Gefühl im Sinne des Symbolischen Interaktionis- sind selbst für Menschen, die die Situation der Zufriedenheit zu verhelfen (Kitwood mus verstanden. Hierbei geht es um die kognitiv erfassen können, schwer auszuhal- 2004, S.124). Herstellung von Bedeutungen und um die ten. Auf Menschen mit Demenz wirken die- Gemeinsamkeit von Bedeutungen zwischen se Situationen oft bedrohlich und rufen un- 3.5.2.5 Identität mehreren handelnden Personen. Ich reagie- terschiedliche Gefühle und Verhaltenswei- Identität bedeutet zu wissen wer man ist, re nicht nur auf die Signale, die eine Person sen hervor. So nimmt nicht selten eine sowohl im Erkennen als auch im Fühlen. I- aussendet, sondern ich reagiere auf die Be- Gruppendynamik ihren Lauf, die aufreibend, dentität zu haben bedeutet somit, dass ich deutung, die mir von der Person übermittelt verletzend und schädigend für die beteilig- über mich selbst eine Geschichte erzählen werden. Interaktion beinhaltet nach Kitwood ten Personen ist. Gruppenangebote sollten kann: Wo komme ich her? Wo bin ich? Wo- Reflexion, Antizipation, Erwartung und Krea- begleitet und spezifisch an die Lebensge- hin gehe ich? Der Prozess der Identitätsfin- tivität (2004, S.131). schichte, Interessen und Fähigkeiten der dung geschieht nach Erikson immer in teilnehmenden Menschen angebunden sein. Wechselseitigkeit mit der sozialen Umwelt Kitwood hat verschiedene Arten positiver In- Nur so kann Gruppenzugehörigkeit eine und erstreckt sich über die gesamte Le- teraktion identifiziert, die jedoch keinen An- persönlichkeitserweiternde Funktion habe. bensspanne. Erikson verstand unter Identi- spruch auf Vollständigkeit haben. tät „die im Laufe der Entwicklung wachsen- 3.5.2.4 Beschäftigung de Fähigkeit, sich trotz ständiger Verände- Das Verlangen, beschäftigt zu sein, ent- rungen sowohl in Übereinstimmung mit sei- springt aus dem Anrieb, etwas bewirken zu nem früheren Selbst zu erleben (self- wollen, die Wirkung des eigenen Handelns samenes = Bewusstsein der Kontinuität) als zu spüren und sich so selbst in seinem Sein auch in Übereinstimmung mit dem Bild, das zu erfahren. Das Gegenteil von beschäftigt sich die anderen von einem machen.“ sein ist Langeweile, Apathie und Bedeu- (Trautner 1991, S.81). Menschen mit De- tungslosigkeit (Kitwood 2004, S. 124). Be- menz geht dieses Bewusstsein der Kontinui- schäftigt zu sein kann viele Facetten an- tät zusehens verloren. Dieses bedeutet je- nehmen: Man kann alleine oder mit anderen doch nicht, dass das Identitätsgefühl zusammen beschäftigt sein, man kann bei zwangsläufig verloren gehen muss, denn der Arbeit oder in der Freizeit beschäftigt Identität zu haben ist nicht vollständig an sein. Beschäftigt zu sein hat einen großen Kognition gebunden, sondern auch von Er- Einfluss auf Wohlbefinden und Selbstwert- leben und Fühlen abhängig (Bradford De- gefühl des Menschen. Arbeit beispielsweise mentia Group 1997, S.10). Um das Bedürf- besitzt psychosoziale Funktionen wie Aktivi- nis nach Identität ausreichend befriedigen tät und Kompetenz, Zielstrukturierung, Ko- zu können, benötigen Menschen mit De- operation und Kontakt, soziale Anerkennung menz die Unterstützung des sozialen Um- und persönliche Identität (Padlinar 2000). feldes. Pflegende können durch Identitäts- Menschen, die ihre Beschäftigung verlieren erhaltende Maßnahmen, z.B. durch Biogra- und von Arbeitslosigkeit betroffen sind, füh- phiearbeit und Erinnerungspflege, dazu bei- len sich häufig hilflos, verzweifelt, minder- tragen, die Identität von Menschen mit De- wertig und schämen sich für ihre Situation. menz bis zu einem bewissen Grad zu be- Diese Situation mündet nicht selten in sozia- wahren (vgl. hierzu Trilling, Bruce, Hodgson len Rückzug und Einsamkeit (Padlinar & Schweitzer 2001). Ferner ermöglicht die 2000). Auch Menschen mit Demenz haben Fähigkeit zur Empathie, so auf eine Person das Bedürfnis, sich zu beschäftigen. Dieses zu reagieren, wie es ihrer Einzigartigkeit, ih- lässt sich häufig daran beobachten, dass sie rer Individualität entspricht. anderen helfen möchten. Für Pflegende ist 8
Karin Welling: Der person-zentrierte Ansatz von Tom Kitwood -Nachdruck aus Unterricht Pflege, 9. Jg., H. 5 (2004) Interaktion Beschreibung Erkennen und Anerken- Der Person in einer offenen, vorurteilsfreien Haltung begegnen und davon ausgehen, dass alles Verhalten und Gesagte eine nen Bedeutung für die Person hat. Die Person durch achtsames Zuhören anerkennen und jede Art ihrer Kommunikation würdigen. Versuchen echten Kontakt herzustellen, z.B. die Person mit ihrem Namen ansprechen, Blickkontakt aufnehmen, evtl. vorsich- tig berühren und darauf achten, im Blickfeld zu bleiben. Der Person genügend Zeit lassen, um andere Personen oder Dinge zu erkennen. Ver-/Aushandeln Der Person die Kontrolle über die Situation ermöglichen, indem man mit ihr verhandelt, ihre Wünsche, Bedürfnisse und Vorlie- ben erkennt und diese berücksichtigt. Beim Beraten und Zuhören ist es notwendig, eigene Gedanken und Annahmen in den Hintergrund zu stellen. Zusammenarbeiten Der Person Angebote machen, tätig, nützlich und somit selbstwirksam zu sein, indem man mit ihr zusammenarbeitet. Bei ver- schiedenen Handlungen, z.B. in der Pflege oder im Haushalt, der Person Raum geben, ihre gegenwärtige Fähigkeiten einzu- bringen und sich so im Tun zu erleben. Die Person nicht durch vorzeitige Übernahme der Handlung entmächtigen, sondern auch ihre Art und Weise, Dinge zu tun, akzeptieren. Sich bewusst sein, dass die Selbstständigkeit und die Selbsttätigkeit wich- tiger sind, als ein makelloses Pflegeresultat. Zwecklosigkeit und Spiel Der Person Raum für Spontaneität und Selbstausdruck geben, zum Beispiel durch Spielen. Nicht nur Verrichtungs- oder Aufgabenorientiert Kontakt aufnehmen, sondern sich immer auch wieder absichtslos zur Verfü- gung stellen. Timalation Die Kommunikations- und Wahrnehmungsmöglichkeiten der Person erweitern und fördern, indem z.B. über sensobiografisch bedeutsame Zugangswege (somatisch, vestibulär, vibratorisch, visuell, audiorhythmisch, oral und olfaktorisch) Kontakt her- stellt wird. Der Person so Möglichkeiten bieten, sich selbst spüren. Insbesondere bei Personen, die sich nicht aktiv zu der Art und Weise, wie sie berührt werden möchten, äußern können, fol- gende Qualitätsmerkmale einer guten Berührung berücksichtigen: die Person alleine berührten, den Anfang und das Ende der Handlung signalisieren, die Konstanz in der Berührung erhalten, die Kontaktintensität langsam aufbauen, einen Rhythmus für die Berührung entwickeln und die Berührung so gestalten, dass diese Berührung der Person Sicherheit vermittelt. (Bienstein & Fröhlich 2003, S.50ff) Feiern und sich Freuen Mit der Person zusammen feiern und so Möglichkeiten zum freudvollen, humorvollen Miteinander finden. Beim Feiern wird die Trennung zwischen der zu pflegenden Person und der Pflegeperson aufgehoben. Entspannen Der Person Raum geben, zur Ruhe zu kommen, sich zurückzuziehen und zu entspannen. Den äußeren und inneren Rahmen dafür schaffen, indem man Stimmungen und Gefühle mit dem Betoffenen zusammen aushält und nicht durch Aktivismus über- tönt. Hierbei ist es wichtig, selbst zu Ruhe kommen und dem Bedürfnis der Person nach körperliche Nähe nachzukommen. Validation Die subjektive Wirklichkeit der Person akzeptieren, in dem man sich in das Erleben und die Gefühlswelt der Person hineinver- setzt, ihre Gefühle wahrnimmt und diese durch eine wertschätzende Bestätigung (verbal und nonverbal) zum Ausdruck bringt. Halten Der Person einen sicheren psychologischen Raum bieten, indem man z.B. auch in emotional schwierigen Situation (z.B. tiefe Trauer, Angst) präsent, beständig und selbstsicher bleibt. Hierbei ist es wichtig, herausforderndes Verhalten auf der Ebene des Selbstausdrucks und nicht auf er Ebene der Beziehung zu verstehen. Erleichtern (Faciliation) Die Person dabei unterstützen, Handlungen selbstständig aus und zu Ende zu führen. Handlungsversuche als solche erken- nen, zum Beispiel durch die Verwendung von Schlüsselreizen (Worte, Gesten) und so die Ausführung der Handlung ermögli- chen. Ein Handlungsprogramm kann auch durch die Verwendung von verbalen und nonverbalen Schlüsselreizen in Gang ge- setzt werden. (in Anlehnung an Kitwood 2004, S.133-137 und173,174, Morton 1999, S.163) 4. Die Bedeutung des person-zentrierten und verrichtungsorientiert und somit weni- Die aufgezeigte Situation spricht dafür, den Ansatzes für die Gestaltung von Lernsi- ger person-zentriert gepflegt wird (Beyer person-zentrierten Ansatz in die Pflegeaus- tuationen 2001, Petry 1996, Schopp et al. 2001). Für bildung zu implementieren. Er stellt einen Der person-zentrierte Ansatz eignet sich die Unterrichtspraxis lässt sich ähnliches geeigneten Bezugsrahmen für die didakti- dazu, „pflegerisches Denken und Handeln vermuten, wenngleich dieses bisher auch sche Planung und Durchführung von Lernsi- zu leiten“ (Riesner 2004, S.11). Aus der noch nicht hinreichend untersucht worden tuationen zur übergeordneten Thematik Perspektive der Pflegewissenschaft wird ist. Im Rahmen von Unterrichtsbesuchen „Pflege und Begleitung von Menschen mit der zu pflegende Mensch, sein subjektives kann man jedoch immer wieder beobach- Demenz“ dar. Als solches enthält er wert- Erleben und seine individuelle Lebens- und ten, dass die jeweilige Erkrankung und nicht volle Hinweise, von denen einige im Fol- Alltagsgestaltung, zunehmend mehr in das der zu pflegende Mensch im Vordergrund genden näher erläutert werden sollen. Zentrum des Forschungsinteresses gerückt der Betrachtung steht. Weiterhin fällt auf, (Moers, Schiemann & Schnepp 1999). Ob dass Pflege auf Handlungsabläufe reduziert 4.1 Die Lernsituation person-zentriert in der Pflegepraxis diesbezüglich ebenfalls wird, in denen der zu pflegende Mensch beginnen ein Perspektivwechsel zu verzeichnen ist, nicht einmal vorkommt. Hierdurch wird bei Der Beginn der Lernsituation sollte, wie der kann an dieser Stelle nicht hinreichend ge- den Lernenden, wenn auch nicht bewusst, Beginn einer Pflegebeziehung, person- klärt werden. Verschiedene Veröffentli- eine krankheits- und verrichtungsorientierte zentriert erfolgen. Hier werden bewusst chungen weisen jedoch darauf hin, dass in Haltung gefördert, die den zu pflegenden Themen und Inhalte ausgewählt, die sich Deutschland stärker krankheits-, symptom- Menschen außen vor lässt. mit der Person mit Demenz, mit ihrer Le- 9
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