Der person-zentrierte Ansatz von Tom Kitwood

 
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Karin Welling: Der person-zentrierte Ansatz von Tom Kitwood -Nachdruck aus Unterricht Pflege, 9. Jg., H. 5 (2004)

Der person-zentrierte Ansatz von Tom Kitwood
– ein bedeutender Bezugsrahmen für die Pflege von Menschen mit Demenz
Karin Welling

Die Ursprünge der person-zentrierten Pflege gehen auf die Theorie und Praxis der Klientenzentrierten Psychotherapie des amerikanischen
Psychologen Carl Rogers zurück. Erste Einflüsse des Rogerianischen Ansatzes im Bereich der Arbeit mit Menschen mit Demenz finden sich in
einem Aufsatz aus den 1960er Jahren von Naomi Feil, der Begründerin der Validation (Feil 1967). Der person-zentrierte Ansatz von Tom Kit-
wood (2004), der hier vorgestellt wird, wurde in den 1980er Jahren von Kitwood und der Bradford Dementia Group (vormals Dementia Re-
search Group) in England entwickelt. Bezugnehmend auf Rogers nannten die Begründer ihren Ansatz „person-centred care“ - person-
zentrierte Pflege. In Deutschland hat der person-zentrierte Ansatz von Tom Kitwood durch das Dementia Care Mapping (DCM, Unterricht Pfle-
ge 1/2010) zunehmend an Bekanntheit und Bedeutung gewonnen. Seine besondere Bedeutung für die Pflegeausbildung ist in seiner Spann-
weite und in seiner klaren Aussage für Pflege begründet.

1. Ausgangspunkt und Ziel der person-           niert. Neben der Kognition beinhaltet er Ge-         das Gefühl, etwas wert zu sein,
zentrierten Pflege                              fühle, Handlung, Zugehörigkeit, Bindungen            das Gefühl, etwas tun, etwas bewirken
Der person-zentrierte Ansatz stellt die Per-    an andere Personen und Identität (Bradford            zu können,
son, das Subjekt selbst, in den Mittelpunkt     Dementia Group 1997, S.10). Das Ziel, Per-           das Gefühl, Kontakt zu anderen Men-
aller Betrachtungen. Er impliziert somit das,   sonsein zu erhalten, ist sicherlich grundle-          schen zu haben, dazu zu gehören
was für eine menschenwürdige Pflege             gend für Pflege und Begleitung von Men-              das Gefühl von Sicherheit, Urvertrauen
selbstverständlich erscheint, aber nicht        schen generell, für Menschen mit Demenz               und Hoffung (Morton 2002, S. 152 und
selbstverständlich ist, nämlich Menschen in     ist es jedoch existentiell, denn sie sind mit         Müller-Hergl, 2000, S. 256)
ihrem vollen Menschsein anzuerkennen;           Fortschreiten des demenziellen Prozesses
Kitwood formuliert dementsprechend: „Un-        immer weniger selbst in der Lage, ihr Per-       Menschen, die über diese vier Empfin-
ser Bezugsrahmen sollte nicht länger die        sonsein aufrechtzuerhalten. Damit es nicht       dungszustände in einem ausreichenden
Person-mit-DEMENZ,          sondern       die   zerfällt, benötigen sie andere Menschen, die     Maße verfügen, können sich, trotz Demenz,
PERSON-mit Demenz sein“ (2000, 25).             fähig und bereit sind, ihr Personsein anzu-      relativ wohlfühlen. Relativ deshalb, weil
Dass der Fokus primär auf den betroffenen       erkennen und es fortwährend zu nähren.           Demenz für die betroffene Person immer mit
Menschen und nicht auf seine Erkrankung,        Die Person, das Selbst des Individuums,          vielfältigen Verlusten verbunden ist. Hier
in diesem Fall die Demenz, gerichtet wird,      entwickelt sich durch die lebendige Bezie-       wird insbesondere der Verlust mentaler Fä-
verdeutlicht sich auch in der Sprache: Ge-      hung zu anderen Menschen und wird durch          higkeiten, wie beispielsweise Merk-, Orien-
sprochen wird bewusst von Menschen mit          deren wertschätzenden und einfühlenden           tierungs- oder Problemlösefähigkeit, ge-
Demenz und nicht von Dementen, Demenz-          Kontakt aufrechterhalten. Dementsprechend        nannt. Wie wir wissen, wirkt sich der Verlust
kranken, Schreiern, Fragern, Wegläufern,        formulieren Rogers und Schmid „(...) Die         von kognitiven Fähigkeiten auf das Wohlbe-
Kotschmierern, Wanderern oder ähnlichem.        Person entzieht sich gänzlich jeder Objekti-     finden der betroffenen Menschen aus. Je-
Bezeichnungen wie diese sind durchaus ge-       vierung, weil sie aus dieser zwischen-           der, der Menschen im Anfangstadium des
läufig; sie reduzieren den betroffenen Men-     menschlichen Begegnung – im Dialog – erst        demenziellen Prozesses begleitet, kann be-
schen, wenn auch nicht bewusst, auf seine       wird, was sie ist.“ ( 2004, S.72 ). Ferner ist   obachten und erfahren, wie diese Menschen
Erkrankung, bestimmte Symptome oder             für den Erhalt des Personseins ein gewisser      auch unter den kognitiven Verlusten, die
Verhaltensweisen. Unmerklich verschwindet       sozialer Status von Bedeutung, der Aner-         häufig mit Gefühlen wie Angst und Scham
das, was den Menschen als solchen aus-          kennung, Respekt, Vertrauen und die Aner-        verbunden sind, leiden (hierzu Haupt &
macht - sein Wesen, sein Erleben, seine         kennung der Einzigartigkeit jedes Menschen       Kunz 1990; Niebuhr 2004). Kitwood war ü-
Fähigkeiten, sein Gewordensein, seine           beinhaltet – dieses gilt für alle Menschen,      berzeugt davon, dass es Menschen mit
Schmerzen und seineTrauer - hinter der Di-      nicht nur für Menschen mit Demenz (Kit-          Demenz, unter der Voraussetzung, dass
agnose Demenz.                                  wood 2004, S.27).                                Beziehung und Umfeld stimmen, trotz Ver-
Das übergeordnete Ziel einer person-            Kitwood setzte den Erhalt des Personseins        lust kognitiver Fähigkeiten relativ gut gehen
zentrierten Pflege besteht darin, das Per-      mit Wohlbefinden gleich. Folgende vier glo-      kann. Dieses ist möglich, weil kognitive Fä-
sonsein von Menschen mit Demenz zu er-          bale Empfindungszustände (global sentient        higkeiten eben nur einen Teil von Person-
halten, zu fördern oder wenn nötig wieder-      states) gehen seiner Ansicht nach mit            sein ausmachen. Vielen Menschen fällt es
herzustellen. Dabei wird der zugrunde lie-      Wohlbefinden und somit mit gut erhaltenem        schwer, diesem Gedanken Glauben zu
gende Personbegriff sehr umfassend defi-        Personsein einher:                               schenken, sind es doch gerade die kogniti-

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Karin Welling: Der person-zentrierte Ansatz von Tom Kitwood -Nachdruck aus Unterricht Pflege, 9. Jg., H. 5 (2004)

ven Fähigkeiten, denen in unserer westli-        nachhaltig auf die Sozialpsychologie einzu-    Rogers hat darauf hingewiesen, dass die
chen Kultur seit Beginn der Neuzeit eine         wirken.                                        Auseinandersetzung mit dem eigenen Men-
große Bedeutung zugeschrieben wird. So                                                          schenbild, elementar für die professionelle
wird beispielsweise Bewusstsein immer            Der Begriff Wohlbefinden ist für die           Zusammenarbeit mit Menschen ist: „Der
noch primär mit kognitiven Fähigkeiten in        Pflege kein neuer Begriff, er wurde und        primär wichtige Punkt ist hier die Einstellung
Verbindung gebracht: „Cogito ergo sum“           wird insbesondere im Rahmen der Pfle-          des Beraters zum Wert und der Bedeutung
(Ich denke, also bin ich). Erst die Fähigkeit    geprozessplanung und hier in Hinblick          des Individuums. Wie sehen wir den ande-
                                                 auf die Zielformulierung („Wohlbefinden
zu denken macht den Menschen demnach                                                            ren? Gestehen wir jedem Menschen seinen
                                                 des Menschen erhalten, fördern und
zu einem Menschen. Umgekehrt bedeutet                                                           ihm gemäßen Wert, die ihm gemäße Würde
                                                 wiederherstellen“) benutzt. Der Begriff
dieses: Menschen, deren Denkvermögen,            wird zu Recht wegen seiner Unklarheit          zu?“ (1992, S.35). Es ist wichtig, dass Pfle-
warum auch immer, reduziert ist, verlieren       kritisiert – ein „schwammiger, alles um-       gende sich über ihr eigenes Menschenbild
an Menschensein, verlieren an Personsein.        fassender und daher nichtssagender             bewusst werden und dass diesem Be-
Sie werden vom Subjekt zum Objekt degra-         Begriff“ (Bartholomeyczik 2001, 284). Im       wusstwerdungsprozess innerhalb der Aus-
diert, sie verlieren an Würde und Integrität.    Rahmen des Dementia Care Mapping               bildung genügend Aufmerksamkeit und
Diese Denkweise und Haltung wirkt sich           (DCM), ein Beobachtungsverfahren,              Raum gegeben wird. Denn das Menschen-
schädigend auf die Person mit Demenz aus.        welches es ermöglicht, das relative            bild beeinflusst die Haltung und die Art, wie
                                                 Wohlbefinden jeder einzelnen Person
Um ihr bewusst entgegenzuwirken, hat Kit-                                                       wir mit anderen Menschen in Beziehung tre-
                                                 anhand spezifischer Beobachtungskrite-
wood andere Faktoren, die ebenso das                                                            ten, maßgeblich. Insofern ist die Entwick-
                                                 rien zu messen, gewinnt der Begriff je-
Wohlbefinden einer Person ausmachen,             doch durch Operationalisierung an Klar-        lung, Ausgestaltung und Reflexion einer
stärker in den Blickpunkt gerückt. Die zwölf     heit                                           persönlichen Haltung wichtiger, als das Er-
Hauptindikationen des Wohlbefindens in der                                                      lernen einer Technik. Was kennzeichnet
Demenz lauten demnach:                           Der Begriff Haltung meint nach Scheller        nun eine person-zentrierten Haltung? Eine
    „Wünsche nachdrücklich zum Ausdruck         „das Gesamt von inneren Einstellungen,         person-zentrierte Haltung ist durch die drei
     bringen und in einer akzeptablen Weise      Gefühlen, Vorstellungen und sozialen           Merkmale Empathie, Akzeptanz und Kon-
     geltend machen                              Orientierungen und äußeren körperli-           gruenz gekennzeichnet. Diese drei Merkma-
    Körperliche Entspannung und Erhaltung       chen und sprachlichen Ausdrucks- und           le hat Carl Rogers im Rahmen der klienten-
    Empfänglich sein für die emotionalen Be-    Handlungsweisen, wie es sich in ver-
                                                                                                zentrierten Psychotherapie entwickelt. Sie
     dürfnisse anderer                           schiedenen sozialen Situationen reali-
    Humor                                                                                      werden im folgenden kurz erläutert.
                                                 siert. Haltungen sind, da sie in der Re-
    Kreativer Selbstausdruck (z.B. Singen,      gel in einigen (insbesondere körperbe-
     Tanzen oder Malen)                          zogenen) Anteilen der bewussten Kon-           2.1 Empathie (einfühlendes Verstehen)
    Hilfsbereitschaft                           trolle entzogen sind, in sich wider-           Empathie oder einfühlendes Verstehen ist
    Aktives Aufnehmen von Sozialkontakten       sprüchlich, was vor allem in der Diskre-       die Bereitschaft und Fähigkeit, die innere
    Zuneigung                                   panz zwischen Selbst- und Fremdwahr-           Erlebniswelt des Gegenübers aufzusuchen,
    Selbstrespekt (sich über Hygiene, Sauber-   nehmung zum Ausdruck kommt (Schel-             sie zu spüren, wahrzunehmen und zwar so,
     keit und Erscheinung Gedanken machen)       ler 1987, S.59).                               wie der andere situativ seine innere Welt er-
    Eine ganze Bandbreite von Gefühlen zum
                                                                                                lebt. Dies erfordert, sich auf den inneren
     Ausdruck bringen, sowohl im positiven wie
     im negativen Sinne                                                                         Bezugsrahmen (Rogers & Schmid 2004)
                                                 2. Grundsätze einer person-zentrierten         des anderen einzulassen und diesen für
    Andere anzunehmen, die auch an Demenz
                                                 Haltung                                        sich zu erfassen, allerdings ohne ihn zu be-
     leiden“ (Bradford Dementia Group 1997,
     S.11)                                       Der person-zentrierte Ansatz fußt auf einem    werten. Tausch und Tausch drücken diese
                                                 humanistischen Menschenbild, das sich,         Fähigkeit zur Empathie wie folgt aus: „Eine
Es geht in der Pflege von Menschen mit           ausgehend von Menschlichkeit und Men-          in dieser Form verstehende Person hört,
Demenz um die Be(ob)achtung des Wohl-            schenfreundlichkeit auf den anderen, den       welche Bedeutung die berichteten Erfah-
befindens. Hierbei steht nicht die Linderung     Nächsten bezieht. Das humanistische Men-       rungen und Erlebnisse für das Selbst, für
von Krankheit und Symptombeseitigung,            schenbild sieht den Menschen als eigen-        die Person des anderen haben, was sie für
sondern der Erhalt des Personseins im Vor-       ständige und wertvolle Persönlichkeit und      sein Fühlen bedeuten.“ (1998, S.179) Im
dergrund. Personsein und Wohlbefinden            achtet hierbei die Unterschiedlichkeit der     emphatischen Prozess zu sein bedeutet,
umfasst mehr, als die Fähigkeit zu denken        Menschen. Des Weiteren geht es davon           dem subjektiven Erleben, den Erfahrungen,
und wird insbesondere durch die Gestaltung       aus, das jeder Mensch das Bedürfnis hat,       Wahrnehmungen und Gefühlen (z.B. Furcht,
der Beziehung beeinflusst. Hieraus ergibt        sich weiterzuentwickeln, zu reifen und sich    Wut, Verwirrung, Angst) des anderen in sich
sich für die Pflege ein breites Spektrum an      selbst zu aktualisieren oder zu verwirkli-     selbst Raum zu geben, diesen nachzuspü-
Möglichkeiten, denn keine andere Berufs-         chen. Der Begriff „Menschenbild“ meint,        ren und ein Stück weit in seinen Schuhen zu
gruppe im Gesundheitswesen hat so häufig         welche Vorstellung eine Person über das        gehen. Hierbei ist äußerst wichtig, sich dar-
und intensiv Kontakt zu Menschen mit De-         Menschsein hat. Diese Vorstellung, die nicht   über bewusst zu sein, dass dieses die
menz wie die Gruppe der Pflegenden. Keine        immer bewusst ist, beeinflusst die jeweilige   Schuhe des anderen sind und nicht meine.
andere Berufsgruppe hat die Möglichkeit, so      Einstellung bzw. Haltung zum Menschen.         Beim einfühlenden, nicht-wertenden Verste-

                                                                      2
Karin Welling: Der person-zentrierte Ansatz von Tom Kitwood -Nachdruck aus Unterricht Pflege, 9. Jg., H. 5 (2004)

hen bin ich als unterstützende Person mir          in Hinblick auf die Beziehungsgestaltung          werden, sich auch auf Menschen mit De-
meiner eigenen Identität bewusst und im            wenig hilfreich, manchmal sogar hinderlich,       menz entwicklungsfördernd auswirkt.
klaren darüber, dass „ich ich selbst und           weil es den unbefangenen Blick auf das
nicht der andere bin“ (Pörtner 2001, S.25).        Wesen des Menschen und seine Ressour-             Die folgende Skala über einfühlendes, nicht-
Nur so bin ich in der Lage, den Menschen in        cen verstellt. Hilfreich und förderlich hinge-    wertendes Verstehen wurde von Tausch
seiner inneren Welt professionell zu beglei-       gen ist selbst schon das Bemühen, in der          und Tausch (1998, S.181) entwickelt. Mit
ten.                                               Situation wirklich präsent zu sein, den ande-     Hilfe dieser Skala ist es, durch Selbst- oder
Um sich in den inneren Bezugsrahmen ei-            ren suchend verstehen zu wollen und sich          Fremdbeobachtung, möglich, den Grad des
ner Person mit Demenz verstehend einfüh-           ihm bedingungslos positiv zuzuwenden.             einfühlenden nicht-wertenden Verstehens
len zu können, ist es nicht zwingend erfor-        Dieses geschieht ohne zu interpretieren, zu       einer Person gegenüber einer anderen ein-
derlich, genaues diagnostisches Wissen             beurteilen oder zu bewerten. (Rogers &            zuschätzen.
über die Ursache und Folgen des Krank-             Schmid 2004, S.194) Es ist davon auszuge-
heitsprozesses zu haben. Dieses Wissen ist         hen, dass dieses Erlebnis, verstanden zu

Eine Person versteht einfühlend und nicht-wertend die innere Welt eines anderen und lässt ihn das erfahren

Kein einfühlendes Verstehen                                                       Vollständiges einfühlendes Verstehen
   eine Person geht auf die Äußerungen des anderen nicht ein                        eine Person erfasst vollständig die vom anderen geäußerten
                                                                                      gefühlsmäßigen Erlebnisinhalte und gefühlsmäßigen Bedeu-
                                                                                      tungen
   sie geht nicht auf die vom anderen ausgedrückten oder hinter sei-                sie wird gewahr, was die Äußerungen oder das Verhalten für
    nem Verhalten stehenden gefühlsmäßigen Erlebnisinhalte ein                        das Selbst des anderen bedeuten
   sie versteht den anderen deutlich anders, als dieser sich selbst                 sie versteht den anderen so, wie dieser sich im Augenblick
    sieht                                                                             selbst sieht
   sie geht von einem vorgefaßten Bezugspunkt aus, der den anderen                  sie teilt dem anderen das mit, was sie von seiner inneren
    völlig ausschließt                                                                Welt verstanden hat
   sie zeigt nicht einmal, daß ihr die vom andern ausgedrückten Ober-               sie hilft dem anderen, die von ihm gefühlte Bedeutung des-
    flächengefühle bewusst sind                                                       sen zu sehen, was er geäußert hat
   sie ist entfernt von dem, was der andere fühlt, denkt und sagt                   sie ist dem anderen in dem nahe, was dieser fühlt, denkt und
                                                                                      sagt
   sie bemüht sich nicht, die Welt mit den Augen des anderen zu se-                 sie zeigt in ihren Äußerungen und Verhalten das Ausmaß an,
    hen                                                                               inwieweit sie die Welt des anderen mit seinen Augen sieht
   sie befaßt sich nicht mit den vom anderen geäußerten gefühlsmä-                  sie drückt die vom anderen gefühlten Inhalte und Bedeutun-
    ßigen Erlebnissen oder schmälert diese, indem sie bedeutsam ge-                   gen in tiefgreifenderer Weise aus als dieser es selbst konnte
    ringere gefühlsmäßige Erlebnisinhalte des anderen anspricht
   ihre Handlungen und Maßnahmen sind nicht der inneren Welt des                    ihre Handlungen und Maßnahmen sind dem persönlichen Er-
    anderen angemessen, sie gehen an dem Fühlen und den inneren                       leben des anderen angemessen
    Bedürfnissen des anderen vorbei

        Kein Verstehen     1                   2              3               4              5              Vollständiges Verstehen

Stufe 1 = kein einfühlendes nicht-wertendes Verstehen der inneren Welt des anderen
Stufe 3 = mäßiges einfühlendes nicht-wertendes Verstehen
Stufe 5 = vollständiges nicht-wertendes Verstehen

Diese Skala kann für Pflegende bezüglich           gruenz in einem selbst auslöst. (Morton
der Einschätzung und Reflexion ihres ein-          1999, S. 26)                                      2.3 Kongruenz (Echtheit)
fühlenden nicht-wertenden Verstehens ge-           Einen Menschen mit Demenz zu akzeptie-            Kongruenz wird von Rogers (1992) als die
genüber einer Person mit Menschen mit              ren heißt demnach, ihn in erster Linie als        grundlegendste Bedingung in Hinblick auf
Demenz sehr hilfreich sein.                        Menschen und nicht als Symptomträger              die person-zentrierte Haltung genannt. Kon-
                                                   wahrzunehmen. Es reicht nicht aus, sich           gruent sein heißt, dass ich fähig bin, meine
2.2 Akzeptanz (Wertschätzung)                      darüber im Klaren zu ein, dass dieser             eigenen Gefühle und Haltungen wahrzu-
Akzeptanz bedeutet, den anderen Men-               Mensch für die Folgen seiner Erkrankung           nehmen, zuzulassen, zu akzeptieren und
schen in seinem Sein vorbehaltlos wertzu-          nicht verantwortlich ist. Akzeptanz geht dar-     diese in der Beziehung zum anderen leben
schätzen, ihn so anzunehmen, wie er ist, mit       über hinaus. Sie erkennt die Einzigartigkeit      kann. Dass ich mich einem anderen Men-
seinen Stärken und Schwächen. Das bein-            des Individuums an, indem sie seine eigene        schen so zeigen kann, wie ich bin, mich im
haltet, sich von seinen eigenen Werten,            persönliche Art und Weise, mit der Erkran-        Kontakt nicht verstelle oder hinter einer pro-
Vorstellungen und Deutungen zu distanzie-          kung umzugehen und das Leben zu meis-             fessionellen Maske verberge. Diese Fähig-
ren, auch wenn dies eine starke Inkon-             tern, vorbehaltlos respektiert.                   keit verdeutlicht sich in dem gern zitierten

                                                                         3
Karin Welling: Der person-zentrierte Ansatz von Tom Kitwood -Nachdruck aus Unterricht Pflege, 9. Jg., H. 5 (2004)

Satz von Kierkegaard: „Das Selbst zu sein,      wesentlichen Teil der person-zentrierten                  Gefühle und persönlichen Sinngebungen
was man in Wahrheit ist“ . Für die eigene       Haltung wider. Morton (1999) weist zu                     einzutreten und sie so sehen wie er?
Haltung und Gefühle sensibel zu sein be-        Recht darauf hin, dass das Wesentliche              7.    Kann ich jede Aussage des Anderen, die
                                                                                                          er mir bietet, akzeptieren und ihn anneh-
deutet auch, dass ich diese deutlich von de-    dieser Haltung, die „Seinsweise“, schwer zu
                                                                                                          men, wie er ist?
nen meines Gegenübers unterscheiden             erfassen und zu vermitteln ist. Dennoch ist
                                                                                                    8.    Bin ich in der Lage, mit zureichendem
kann. Rogers ging davon aus, dass die Fä-       es wichtig, den person-zentrierten Ansatz                 Feingefühl in einer Beziehung zu agieren,
higkeit des Therapeuten, echt zu sein, Bar-     immer im Kontext der Haltung dar- und vor-                so dass mein Verhalten nicht als Drohung
rieren abbaut und den Klienten darin be-        zustellen. Nicht das Fachwissen oder die                  empfunden wird?
stärkt, seine eigene Gefühle frei zu äußern.    Technik, sondern die Einstellung und Hal-           9.    Kann ich den Klienten vor der Gefahr einer
So kann eine „Begegnung von Person zu           tung auf Seiten der Pflegeperson sind ent-                Bewertung von außen schützen?
Person zwischen zwei unvollkommenen             scheidend für die Qualität der Beziehung            10.   Kann ich diesem anderen Individuum als
Menschen“ stattfinden (Rogers & Schmid          und für eine positive Interaktion. Die person-            jemanden begegnen, der sich im Prozeß
                                                                                                          des Werdens befindet, oder bin ich durch
2004, S.203).                                   zentriete Haltung ist grundlegend und somit
                                                                                                          seine und meine Vergangenheit gebun-
Menschen mit Demenz sind häufig sehr            unabhängig von der Art der Erkrankung o-
                                                                                                          den?“ (nach Rogers [1958], 1985 zitiert in
sensibel für Inkongruenzen im Verhalten ih-     der Diagnose des Klienten (Rogers &
                                                                                                          Morton, 2002, S. 35)
res Gegenübers. Sie können diese im Be-         Schmid, 2004, S.292). Demzufolge hat Ro-
reich der verbalen und nonverbalen Kom-         gers zehn Fragen formuliert, mit dessen Hil-
                                                                                                    Diese Fragen können auch für Pflegende in
munikation in der Regel gut erspüren. Pfle-     fe der Betreuer seine Haltung in Hinblick auf
                                                                                                    der Reflexion ihrer person-zentrierten Hal-
gende sollten dem Menschen mit Demenz           die Person-zentriertheit überprüfen kann
                                                                                                    tung in der Arbeit Menschen mit Demenz
im Kontakt allerdings nicht alle ihre Gefühle
                                                                                                    sehr hilfreich sein. Sie sind auf alle Formen
vorbehaltlos zeigen und ihn so vielleicht ü-    1.    „Kann ich so sein, daß der andere mich
                                                      wirklich als vertrauenswürdig, verläßlich     menschlicher Beziehungen übertragbar.
berfordern. Ob und wie weit die Pflegeper-
son sich offenbart, hängt von der individuel-         und beständig wahrnimmt?
                                                2.    Kann ich mich so ausdrücken, daß das,         3. Das person-zentrierte Verständnismo-
len Situation und der Sinnhaftigkeit, dies zu
                                                      was ich bin, unzweideutig mitgeteilt wird?    dell der Demenz
tun, ab. Grundlegend ist, dass sie ihre Ge-
                                                3.    Kann ich es mir erlauben, positive Einstel-   Das person-zentrierte Verständnismodell
fühle, die sie in der Beziehung wahrnimmt,            lungen gegenüber dem anderen zu emp-          versteht die Demenz eines Individuums als
vor sich selbst nicht verleugnet und bereit           finden – Einstellungen der Wärme, des         eine Form der Behinderung, die infolge ei-
ist, diese auszudrücken (Rogers & Schmid              Fürsorge, Zuneigung, des Interesses und
                                                                                                    ner Interaktion von fünf Ursachenkomplexen
2004). Zu ihrer Entlastung sollten Pflegende          Respekts?
                                                                                                    entsteht.
die Möglichkeit erhalten, ihre Gefühle und      4.    Kann ich als Mensch stark genug sein, um
Erleben in Supervisionen oder Fallbespre-             mich neben dem anderen zu behaupten?
chungen vorurteilsfrei zu thematisieren.        5.    Bin ich meiner selbst sicher genug, um
                                                      ihm sein Anders-Sein zu erlauben?
                                                6.    Kann ich es mir erlauben, voll und ganz in
Die drei beschriebenen Merkmale Empa-
                                                      die Sphäre des anderen, in die Welt seiner
thie, Akzeptanz und Kongruenz geben einen

Demenz =           Persönlichkeit + Biographie + körperliche Gesundheit + Neurologische Beeinträchtigung + Sozialpsychologie
                                                                            (Kitwood 1993, S.16 zitiert in Morton 2002, S.130)

Laut Kitwood hängt der Verlauf des demenziellen Prozesses stark davon ab, inwieweit das Umfeld in der Lage ist, sich an den Bezugsrahmen
der Person mit Demenz anzupassen. Mit diesem sozialpsychologischen Verständnis distanziert sich der person-zentrierte Ansatz vom biome-
dizinschen Modell der Demenz. Das Standardparadigma der Medizin geht auf der Grundlage einer linearen Vorstellung weitgehend davon
aus, dass Ursprung und Verlauf der Demenz ausschließlich eine Folge pathologischer Veränderung im Gehirn sind. „Der Begriff „Demenz“ be-
zieht sich auf ein Muster von Symptomen, die bei Patienten mit Krankheiten des Gehirns auftreten, wenn diese eine Schädigung oder Zerstö-
rung von Nervenzellen herbeiführen.“ (Alzheimer Europe, 1999, S.1)
Dieses Verständnis versuchte Kitwood durch folgende Gleichung darzustellen:

X (eine oder mehrere Faktoren) ⇒neuropathologische Veränderung ⇒Demenz
(Kitwood 2004, S. 60)

Kitwood setzte dem Standardparadigma der        demenziellen Symptomen, die sich zu Leb-            bestehen“ (Kitwood 2004, S. 61). Diese Dis-
Medizin mehrere Kritikpunkte entgegen.          zeiten des Menschen zeigen. „Es können              krepanz kann mit dem Standardparadigma
Beispielsweise existiert eine erhebliche Dis-   beträchtliche neuropathologische Zustände           der Medizin ebenso wenig hinreichend er-
krepanz zwischen den neurologischen Ver-        ohne Demenz vorliegen, und es kann eine             klärt werden, wie das Phänomen der Re-
änderungen im Gehirn (postmortal) und den       Demenz ohne signifikante Neuropathologie            menz (Wiederherstellung personaler Funkti-

                                                                       4
Karin Welling: Der person-zentrierte Ansatz von Tom Kitwood -Nachdruck aus Unterricht Pflege, 9. Jg., H. 5 (2004)

on). Die Medizinisierung der Demenz hatte         fassung, dass diese Bedingungen, die ele-        Persönlichkeit und Biographie sind eng mit-
in Deutschland zur Folge, dass sich ihre Er-      mentar für die Entwicklung des Kindes sind,      einander verbunden, sie stehen in wechsel-
forschung bis vor wenigen Jahren fast aus-        ebenso elementar für die Bewahrung des           seitiger Beziehung. So wird die Entwicklung
schließlich auf Untersuchungen im Bereich         Selbst eines Menschen mit Demenz sind.           der Persönlichkeit stark von „psychisch be-
der Neuropathologie beschränkte. Multipro-        Grundlegend für einen verstehenden, reflek-      deutsamen Lebensereignissen“ beeinflusst
fessionelle Ansätze in Diagnostik und The-        tierenden Zugang ist das Regressionsmo-          (Morton 1999, S.132). Lebensereignisse
rapie finden aufgrund der Tatsache, dass          dell der Demenz (Radebold 1994). Regres-         haben einen Einfluss darauf, wie ein
die Medizin immer noch als Leitwissen-            sion bedeutet die „Rückkehr zu einfachen         Mensch mit Problemen und Verlusten des
schaft der Demenz gesehen wird, wenig Be-         und bereits gut beherrschbaren Handlungs-        Lebens im Alter umgeht, wie er diese verar-
rücksichtigung.                                   und Denkweisen eines früheren Entwick-           beiten kann (vgl. hierzu Schütze, Tesch-
Das person-zentrierte Verständnismodell           lungsniveaus, bes. bezüglich der Trieborga-      Römer & Borchers,1996). Dieses erklärt
mit den fünf Ursachenkomplexen Persön-            nisation“ (Böhm, 1988, S.492). Der demen-        auch, warum jeder Mensch mit den Folgen
lichkeit, Biographie, körperliche Gesundheit,     zielle Prozess ist verbunden mit dem Verlust     seiner Demenz anderes umgeht. Menschen
Neurologische Beeinträchtigung und Sozial-        von „Ich Funktionen“ (insbesondere Merkfä-       mit Demenz sind von vielfältigen Verlusten
psychologie wird im Folgenden näher erläu-        higkeit, Erinnerungsvermögen, Realitätskon-      bedroht, dazu gehört auch der Verlust von
tert.                                             trolle). Durch diesen zunehmenden Verlust        Wissen und hier insbesondere der Verlust
                                                  von Ich-Funktionen wird es für den Men-          des Wissens um die eigene Lebensge-
3.1 Persönlichkeit                                schen mit Demenz zusehends schwieriger,          schichte. Dieser Verlust ist mit der Gefahr
Die Persönlichkeit eines jeden Menschen ist       den anfallenden Aufgaben und Problemen           verbunden, die eigenen Identität zu verlie-
einmalig und unverwechselbar, sie entwi-          erwachsenengerecht zu begegnen (Rade-            ren. Das biographische Wissen und Selbst-
ckelt sich in der Beziehung mit und zu ande-      bold 1994, S.65). Um mit dieser angst- und       wissen, das heißt das Wissen, das ein
ren Menschen (Person-Umwelt-Beziehung).           schamvollen Situation zurechtzukommen,           Mensch über sich selbst in Vergangenheit
Kitwood verstand die Entwicklung der Per-         setzt das Individuum regressive Muster als       und Gegenwart hat, stellt die Grundlage
sönlichkeit als einen sozialen Prozess, des-      Abwehr- und Bewältigungsstrategie ein            seiner Identität, seiner personalen Kontinui-
sen Verlauf stark von dem jeweiligen Um-          (Radebold 1994, S.65). Hierbei können laut       tät dar. Störungen in der Erinnerungsfähig-
feld, in dem der Mensch aufwächst, ab-            Müller-Hergl (2003) verschiedene Arten von       keit führen zur personalen Destabilität und
hängt. Er beschreibt die kindliche Entwick-       Regression beobachtet werden: am Anfang          wirken sich negativ auf das Erleben und
lung in Anlehnung an David Winnicott aus          des demenziellen Prozesses reagiert die          psychische Wohlbefinden des betroffenen
einer psychoanalytischen Perspektive her-         betroffene Person stärker mit bekannten          Menschen aus (Romero 1992). Kenntnisse
aus (Kitwood 2004). Die psychoanalytische         Regressionsmustern wie Projektion (z.B.          um die Biographie eines Menschen mit De-
Entwicklungspsychologie interessiert sich         andere Menschen werden beschuldigt, et-          menz und die Sicherung des selbstnahen
insbesondere für Objektbeziehungen (hier          was verlegt zu haben) und Leugnung. Spä-         Wissens sind aus zwei Gründen wichtig:
insbesondere die Mutter) und die Entwick-         ter werden diese durch grundlegendere            Das Wissen um die Biographie einer Person
lung des Selbst in den ersten drei Lebens-        Regressionsmuster ersetzt: „Ich Regression       mit Demenz kann zum einen helfen, das
jahren des Kindes. Demnach steht bei der          (>Ich muss zur Arbeit
Karin Welling: Der person-zentrierte Ansatz von Tom Kitwood -Nachdruck aus Unterricht Pflege, 9. Jg., H. 5 (2004)

auch Schore 2002). Bauer (2002) weist in          was erstens die Einheit von Gehirn und         und der Sozialpsychologie auf der anderen
seiner Veröffentlichung auf den Zusammen-         Geist/Seele unterstreicht und zweitens be-     Seite (2004, S.80ff). Dieses dialektische
hang zwischen Biographie und Neurobiolo-          deutet, dass Psychologie und Neurologie        Modell der Demenz besagt, dass ein nega-
gie hin. Biographische Erfahrungen, Gefühle       untrennbar miteinander verbunden sind.         tives soziales Umfeld den demenziellen
und Erlebnisse in zwischenmenschlichen            Diese These brachte Kitwood durch folgen-      Prozess durch personale Detraktionen be-
Beziehungen haben demnach einen Ein-              de Gleichung zum Ausdruck (2004, S. 38).       scheunigt: negative Interaktionen ziehen
fluss auf das Hirnzellwachstum und hinter-        ψ≡b                                            neue neurologische Beeinträchtigungen
lassen deutliche Spuren in den biologischen       Neue Erkenntnisse der Neurowissenschaf-        nach sich (Involutionsspirale). Anderseits ist
und genetischen Strukturen des menschli-          ten deuten darauf hin, dass die Entwicklung    es aber auch möglich, den demenziellen
chen Körpers. Sie werden im Gehirn als            des Gehirns ein fortlaufender, lebenslanger    Prozess durch positive Beziehungen und
„neurobiologischer Fingerabdruck“ gespei-         Prozess ist. Kitwood nennet diese Gehirn-      ein entsprechendes soziales Umfeld perso-
chert und können sich Jahre später in Form        entwicklung Bd (Brain development). De-        nal aufzufangen: positive Interaktionen kön-
von körperlichen, seelischen und psycho-          menz geht in der Regel mit einem Verlust       nen die Folgen der neurologischen Beein-
somatischen Krankheiten zeigen.                   der Anzahl von Neuronen und einer Redu-        trächtigung ausgleichen und das Personsein
                                                  zierung der synaptischen Verbindungen          des Menschen mit Demenz stärken. Die hier
3.3 Körperliche Gesundheit                        einher. Dieser Prozess kann sich, als nor-     beschriebene immense Wirkung der Sozial-
Die körperliche Gesundheit eines Menschen         maler Alterungsprozess, langsam über Jah-      psychologie wird im nächsten Abschnitt nä-
wirkt sich auf Körper und Geist aus. In Be-       re abspielen. Schnellere Verluste weisen       her erläutert.
zug auf Menschen mit Demenz bedeutet              dagegen auf eine Erkrankung oder degene-
dieses, dass körperliche Gesundheitsstö-          rative Prozesse hin, die Kitwood als Gehirn-   3.5 Sozialpsychologie
rungen, wie beispielsweise eingeschränktes        pathologie Bp (brain pathology) bezeichnet     Die Sozialpsychologie ist eine Disziplin, die
Sehen und Hören oder das Vorhandensein            (2004, 40). Die neurologische Einschrän-       sich erstens mit dem Individuum und mit
von Schmerzen, eine bestehende Demenz             kung eines Individuums lässt sich demnach      intraindividuellen Prozessen befasst und
verstärken oder aber das Bild einer bereits       wie folgt beschreiben:                         zweitens die Rolle des Sozialen (Strukturel-
bestehenden Demenz verfälschen können.            ψ≡b                                            len) für individuelle Prozesse in den Mittel-
Kitwood (2004, S.58f) ging davon aus, dass        Bd, Bp                                         punkt stellt (Stroebe, Hewstone, Codol &
insbesondere sensorische Störungen de-            „Jedes psychosoziale Ereignis ist gleicher-    Stephenson, 1992, S.13). Insofern verbindet
mentogen wirken. Durch die eingeschränkte         maßen auch ein Ereignis oder Zustand des       die Sozialpsychologie drei unterschiedliche
Wahrnehmung nimmt die betroffene Person           Gehirns, das bzw. der von einem Gehirn         Ebenen miteinander: die individuelle, die
weniger Reize aus ihrer Umwelt auf                >getragen< wird, dessen Struktur von den       zwischenmenschliche und die soziale Struk-
und/oder interpretiert sie falsch. Dieses führt   Faktoren der Entwicklung und der Patholo-      tur.
zu Störungen in der Kommunikation und             gie bestimmt worden ist.“ (Kitwood 2004,       Kitwood konnte beweisen, dass psychologi-
kann sogar soweit führen, dass der betrof-        S.40).                                         sche und soziale Faktoren einen großen
fene Mensch sich ganz zurückzieht bzw.                                                           Einfluss auf das Wohlbefinden von Men-
kein Kontakt mehr mit ihm gesucht wird. In        Für die person-zentierte Pflege ist diese      schen mit Demenz haben. Die Ausgestal-
der Praxis wird der gezielten Wahrnehmung         Aussage bedeutend. Sie impliziert, dass        tung dieser den Menschen umgebenden
und Beobachtung des körperlichen Wohlbe-          psychosoziale Faktoren einen erheblichen       Sozialpsychologie hängt von vielen Fakto-
findens von Menschen mit Demenz oft zu            Einfluss auf Ursprung und Verlauf der De-      ren ab, sie kann qualitativ sehr verschieden
wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Die Wirk-         menz haben und sich ebenso auswirken           sein. Dieses hat Kitwood durch die Ausar-
lichkeit zeigt immer wieder, dass bestimm-        können wie physiologische Faktoren. Durch      beitung zweier sozialpsychologischer Kul-
tes Verhalten (z.B. schreien und klagen)          das person-zentrierte Modell der Demenz        turkonzepte aufgezeigt: Die maligne Sozial-
einfach als zum Krankheitsbild der Demenz         erfahren informell und formell Pflegende ei-   psychologie (MSP) verstärkt den demenziel-
dazu gehörend gesehen und gedeutet wird.          ne Anerkennung und Würdigung ihrer Be-         len Prozess und wirkt sich durch bestimmte
Durch diese Annahme wird dem Ursprung             ziehungsarbeit, denn die therapeutische        destruktive Verhaltensweisen schädigend
des Verhaltens nicht tiefer nachgegangen.         Wirkung ihres Handelns wird ihnen hiermit      auf das Personsein des Menschen mit De-
Es kommt es zu fatalen Fehlinterpretatio-         zugestanden. Mit dieser Anerkennung ist        menz aus. Die benigne Sozialpsychologie
nen, die das Leiden des betoffenen Men-           aber auch eine erhebliche Verantwortung        hingegen (BSP) fängt durch positive Perso-
schen unnötig vertiefen.                          verbunden. So, wie durch eine förderliche      nenarbeit bestehende neurologische Beein-
                                                  Beziehungsarbeit beispielsweise Re-menz        trächtigungen auf, so dass es dem Men-
3.4 Neurologische Beeinträchtigung                durchaus möglich ist, ist es ebenso möglich,   schen trotz Demenz relativ gut gehen kann.
Kitwood ging davon aus, dass jedes psychi-        dass die Demenz durch Beziehungsschädi-
sche Ereignis (ψ ) (z.B. die Entscheidung         gendes Verhalten der Pflegenden verstärkt      3.5.1 Die maligne, bösartige Sozialpsycho-
einen Spaziergang zu machen oder ein Zu-          wird (Morton 2002, S.128). Kitwood be-         logie
stand wie Hunger) ein Hirnereignis oder           schrieb den demenziellen Prozess als ein       Die maligne, bösartige Sozialpsychologie ist
Hirnzustand (b) ist. Hierbei ist entscheidend,    fortlaufendes dialektisches Wechselspiel       mit einer deutlichen Abnahme von Intersub-
dass beide Ereignisse gleichzeitig auftreten,     zwischen der Neuropathologie auf der einen     jektivität auf Seiten der Pflegeperson ver-

                                                                       6
Karin Welling: Der person-zentrierte Ansatz von Tom Kitwood -Nachdruck aus Unterricht Pflege, 9. Jg., H. 5 (2004)

bunden. Dieses zeigt sich darin, dass die        fordern“, die Intention, die hinter diesem        halb seiner Bindungstheorie zahlreiche Be-
Subjektivität, die Gefühle und das Erleben       Verhalten liegt, herauszufinden und ihr zum       lege dafür geliefert, dass das Phänomen der
von Menschen mit Demenz missachtet und           Gelingen zu verhelfen (Müller-Hergl 2000).        sozialen Bindung bedeutsam für die Ent-
verletzt werden. Der Begriff „maligne“, der in   Diesem Gedankengang liegt die Annahme             wicklung des Kleinkindes ist. Ferner konnte
der Medizin zur Charakterisierung eines          zu Grunde, dass jedes Verhalten eines             im Rahmen der Attachment-Forschung
bösartigen Krankheitsverlaufs benutzt wird,      Menschen mit Demenz einen Sinn hat –              nachgewiesen werden, dass das Kleinkind
soll hier die äußerst schädigende Wirkung        auch wenn er nicht immer erkennbar ist.           in Belastungssituationen, in denen es sich
des pflegerischen Handelns auf die Person        Kitwood hat fünf zentrale psychische Be-          unwohl fühlt, eine bekannte Bindungsperson
mit Demenz verdeutlichen. Das maligne            dürfnisse identifiziert, die sich gegenseitig     (in der Regel die Mutter) deutlich vor ande-
Setting kann sich nicht nur auf das Person-      überlappen und sich in dem zentralen Be-          ren Personen bevorzugt. In anderen Situati-
sein äußerst schädigend auswirken, son-          dürfnis nach großzügiger, bedingungsloser,        onen, z. B. wenn das Kind spielen möchte,
dern auch das körperliche Wohlbefinden der       verzeihender Annahme - nach Liebe - ver-          herrscht nicht das „Bindungsverhaltenssys-
Person untergraben (Kitwood 2004, S.75).         binden. (Kitwood 2004, S.121) Diese Be-           tem“ sondern das „Erkundungssystem“ vor
Kitwood verwies explizit darauf, dass das        dürfnisse sind Trost, primäre Bindung, Ein-       und es werden auch andere Personen ak-
Untergraben des Personseins nicht bewusst        beziehung, Beschäftigung und Identität.           zeptiert (Trautner 1991, S.53).
und in böswilliger Absicht geschieht. Er sah                                                       Menschen mit Demenz sind vielfältigen
die Malignität und die damit verbundene          3.5.2.1 Trost                                     Stress- und Belastungssituationen ausgelie-
„personale Detraktion“ (z.B. entmächtigen,       Trost wird insbesondere Menschen gespen-          fert, sie verstehen ihre innere und die sie
lächerlich machen, Infantilisieren) als Teil     det, die sich in einer hoffnungslosen, ver-       umgebene äußere Welt häufig nicht mehr.
unseres kulturellen Erbes, welches abwei-        zweifelten Situation befinden. Menschen mit       Es ist anzunehmen, dass durch dieses
chendes Verhalten ächtet und sanktioniert.       Demenz Trost zu spenden bedeutet, die Si-         „nicht verstehen“ das Verlangen nach Si-
Maligne Sozialpsychologie zeigt sich in un-      tuation, in der sie sich befinden, empathisch     cherheit, nach primärer Bindung, in ähnli-
serer Gesellschaft tagtäglich in vielen Be-      wahrzunehmen und ihr Leiden anzuerken-            cher Intensität hervortritt wie bei Kindern
ziehungen und Interaktionen, es kann ins-        nen. Demenz ist für die betroffenen Perso-        (Kitwood 200, 123). Dieses Verlangen
besondere bei der Kindererziehung beo-           nen mit vielfältigen Verlusten verbunden.         drückt sich auch deutlich in dem sogenann-
bachtet werden. (Kitwood 2004, S.75).            Verlust an sozialen Beziehungen, Verlust          ten Attachment-Verhalten (Anklammern,
                                                 von Fähigkeiten, Verlust der Kontrolle, Ver-      Hinterherlaufen) aus. Mit Fortschreiten des
3.5.2 Die benigne, gutartige Sozialpsycho-       lust eines unabhängigen Lebensstils - somit       demenziellen Prozesses sind Menschen mit
logie                                            ist ihr dringliches Verlangen nach Trost nur      Demenz immer weniger in der Lage, von
Die benigne Sozialpsychologie oder die po-       allzu verständlich.                               sich aus Beziehungen zu gestalten. Sie be-
sitive Arbeit an der Person führt, wenn sie      Einem Menschen mit Demenz Trost zu                nötigenden dazu die Hilfe anderer, bezie-
gelingt, in vielen Fällen zu einer Aufrecher-    spenden bedeutet, ihm in seiner Not ganz          hungsfähiger Menschen. Bère Miesen
haltung und Stärkung des Personseins -           nahe zu sein, ihm Stärke, Verlässlichkeit,        brachte das Konzept von Attachment als
und somit zu einem relativen Wohlbefinden        Sicherheit und Geborgenheit zu vermitteln         erster in die Demenzdiskussion mit ein (vgl.
des Menschen mit Demenz. Kitwood ging            (Kitwood 2004, S.123). Menschen kennen            hierzu Miesen 1999)
davon aus, dass eine Person ohne die Be-         intuitiv und kulturübergreifend vielfältige Ar-
friedigung ihrer menschlichen Bedürfnisse        ten, sich auf körpersprachlicher Ebene Trost      3.5.2.3 Einbeziehung
nicht funktionieren kann. Dies setzt voraus,     zu spenden: ein verständnisvolles Nicken,         Das soziale Leben von Menschen findet in
dass die Bedürfnisse der jeweiligen Person       das Halten einer Hand, das Reichen eines          Gruppen statt. Entwicklungsgeschichtlich
von den Pflegenden erkannt und dass die-         Taschentuches oder das Abwischen von              betrachtet war die Gruppe für den Men-
sen Bedürfnissen verlässlich nachgegangen        Tränen, eine zärtliche, umfassende Umar-          schen lebensnotwendig, er konnte nur als
wird. Die Bedürfnisse von Menschen mit           mung, ein gemeinsames rhythmisches Hin-           Teil einer funktionierenden Gruppe überle-
Demenz unterscheiden sich nicht wesentlich       und Herwiegen oder das Streicheln über            ben. Das Verlangen, Teil einer Gruppe zu
von denen eines Menschen ohne Demenz.            den Rücken. Körpersprachliche Gesten wie          sein, dazuzugehören und gesellschaftliches
Ein wesentlicher Unterschied besteht jedoch      diese, die man im Alltag beobachten kann,         Miteinander zu erleben, ist bei Menschen
darin, dass Menschen mit Demenz ihre Be-         vermitteln Gefühle mit hoher Authentizität.       mit Demenz vorhanden. Die Art und Weise
dürfnisse häufig nicht so direkt äußern kön-                                                       der Beteiligung ist, wie bei allen Menschen,
nen und somit davon abhängig sind, dass          3.5.2.2 Primäre Bindung                           individuell unterschiedlich. Menschen mit
Pflegende sensibel im Aufspüren der jewei-       Primäre Bindungen sind für alle Menschen,         Demenz können sich mit Fortschreiten des
ligen Bedürfnisse sind. Zentrale psychische      unabhängig von der Altersstufe, elementar.        demenziellen Prozesses immer weniger
Bedürfnisse verbergen sich häufig hinter         Ein Mensch, der in kurzer Zeit mehrere Bin-       selbst in eine Gruppe einbringen, sie benö-
sogenannten „problematischen Verhaltens-         dungen verliert, ist davon bedroht, sich zu       tigen dazu die verbindende, feinfühlige Un-
weisen“ (z.B. schreien, kratzen, hinterher-      verlieren. (Kitwood 2004, S.123). Das Ver-        terstützung anderer Menschen. Ansonsten
laufen). Pflegende sollten dieses Verhalten      langen nach Bindung beinhaltet den                besteht die Gefahr, dass sie sich innerhalb
als Kommunikationsversuch des Menschen           Wunsch nach Verlässlichkeit , Sicherheit          der Gruppe überfordert, ausgegrenzt und
mit Demenz deuten. Es sollte sie „heraus-        und Schutz. John Bowlby (1975) hat inner-         unwohl fühlen. Jeder hat schon mal erfah-

                                                                       7
Karin Welling: Der person-zentrierte Ansatz von Tom Kitwood -Nachdruck aus Unterricht Pflege, 9. Jg., H. 5 (2004)

ren, dass es durchaus möglich ist, äußerlich    es oftmals nicht leicht, diesem Bedürfnis         Kitwood war davon überzeugt, dass durch
Teil einer Gruppe zu sein und sich trotzdem     adäquat nachzukommen. Damit das Be-               sensibles Befriedigen der hier vorgestellten
innerhalb dieser Gruppe zutiefst einsam und     dürfnis nach Beschäftigung wirklich befrie-       Gruppe von Bedürfnissen das Personsein
„Fehl am Platze“ zu fühlen. Diese Phäno-        digt werden kann, ist es zum einen wichtig,       des Menschen mit Demenz erhalten bleiben
men, „allein in einer Gruppe zu sein“, kann     mit dem Menschen gemeinsam die für ihn            kann. Er ging davon aus, das die Befriedi-
man oft im Heimalltag beobachten: Men-          richtige Art der Beschäftigung zu finden.         gung eines Hauptbedürfnisses sich auf die
schen (die sich nicht kennen) sitzen ge-        Diese kann, muss aber nicht zwangsläufig,         andere Bedürfnisse positiv auswirkt.
meinsam in einem Raum und dennoch gibt          an lebensgeschichtlich geprägte Aufgaben          Die positive Arbeit an der Person geschieht
es nichts, kein „Thema“, was sie verbindet .    und Aktivitäten anknüpfen. Zum anderen gilt       in der Interaktion mit dem betroffenen Men-
Es gibt keine Person, die sich um den           es, den richtigen Grad der Unterstützung zu       schen. Interaktion wird hier nicht im Sinne
Gruppenprozess, der ja durchaus stattfin-       finden, um so dem Menschen, ohne ihn zu           des Behaviorismus (Reiz-Reaktion) sondern
det, kümmert. Solche unklaren Situationen       über- oder zu unterfordern, zu einem Gefühl       im Sinne des Symbolischen Interaktionis-
sind selbst für Menschen, die die Situation     der Zufriedenheit zu verhelfen (Kitwood           mus verstanden. Hierbei geht es um die
kognitiv erfassen können, schwer auszuhal-      2004, S.124).                                     Herstellung von Bedeutungen und um die
ten. Auf Menschen mit Demenz wirken die-                                                          Gemeinsamkeit von Bedeutungen zwischen
se Situationen oft bedrohlich und rufen un-     3.5.2.5 Identität                                 mehreren handelnden Personen. Ich reagie-
terschiedliche Gefühle und Verhaltenswei-       Identität bedeutet zu wissen wer man ist,         re nicht nur auf die Signale, die eine Person
sen hervor. So nimmt nicht selten eine          sowohl im Erkennen als auch im Fühlen. I-         aussendet, sondern ich reagiere auf die Be-
Gruppendynamik ihren Lauf, die aufreibend,      dentität zu haben bedeutet somit, dass ich        deutung, die mir von der Person übermittelt
verletzend und schädigend für die beteilig-     über mich selbst eine Geschichte erzählen         werden. Interaktion beinhaltet nach Kitwood
ten Personen ist. Gruppenangebote sollten       kann: Wo komme ich her? Wo bin ich? Wo-           Reflexion, Antizipation, Erwartung und Krea-
begleitet und spezifisch an die Lebensge-       hin gehe ich? Der Prozess der Identitätsfin-      tivität (2004, S.131).
schichte, Interessen und Fähigkeiten der        dung geschieht nach Erikson immer in
teilnehmenden Menschen angebunden sein.         Wechselseitigkeit mit der sozialen Umwelt         Kitwood hat verschiedene Arten positiver In-
Nur so kann Gruppenzugehörigkeit eine           und erstreckt sich über die gesamte Le-           teraktion identifiziert, die jedoch keinen An-
persönlichkeitserweiternde Funktion habe.       bensspanne. Erikson verstand unter Identi-        spruch auf Vollständigkeit haben.
                                                tät „die im Laufe der Entwicklung wachsen-
3.5.2.4 Beschäftigung                           de Fähigkeit, sich trotz ständiger Verände-
Das Verlangen, beschäftigt zu sein, ent-        rungen sowohl in Übereinstimmung mit sei-
springt aus dem Anrieb, etwas bewirken zu       nem früheren Selbst zu erleben (self-
wollen, die Wirkung des eigenen Handelns        samenes = Bewusstsein der Kontinuität) als
zu spüren und sich so selbst in seinem Sein     auch in Übereinstimmung mit dem Bild, das
zu erfahren. Das Gegenteil von beschäftigt      sich die anderen von einem machen.“
sein ist Langeweile, Apathie und Bedeu-         (Trautner 1991, S.81). Menschen mit De-
tungslosigkeit (Kitwood 2004, S. 124). Be-      menz geht dieses Bewusstsein der Kontinui-
schäftigt zu sein kann viele Facetten an-       tät zusehens verloren. Dieses bedeutet je-
nehmen: Man kann alleine oder mit anderen       doch nicht, dass das Identitätsgefühl
zusammen beschäftigt sein, man kann bei         zwangsläufig verloren gehen muss, denn
der Arbeit oder in der Freizeit beschäftigt     Identität zu haben ist nicht vollständig an
sein. Beschäftigt zu sein hat einen großen      Kognition gebunden, sondern auch von Er-
Einfluss auf Wohlbefinden und Selbstwert-       leben und Fühlen abhängig (Bradford De-
gefühl des Menschen. Arbeit beispielsweise      mentia Group 1997, S.10). Um das Bedürf-
besitzt psychosoziale Funktionen wie Aktivi-    nis nach Identität ausreichend befriedigen
tät und Kompetenz, Zielstrukturierung, Ko-      zu können, benötigen Menschen mit De-
operation und Kontakt, soziale Anerkennung      menz die Unterstützung des sozialen Um-
und persönliche Identität (Padlinar 2000).      feldes. Pflegende können durch Identitäts-
Menschen, die ihre Beschäftigung verlieren      erhaltende Maßnahmen, z.B. durch Biogra-
und von Arbeitslosigkeit betroffen sind, füh-   phiearbeit und Erinnerungspflege, dazu bei-
len sich häufig hilflos, verzweifelt, minder-   tragen, die Identität von Menschen mit De-
wertig und schämen sich für ihre Situation.     menz bis zu einem bewissen Grad zu be-
Diese Situation mündet nicht selten in sozia-   wahren (vgl. hierzu Trilling, Bruce, Hodgson
len Rückzug und Einsamkeit (Padlinar            & Schweitzer 2001). Ferner ermöglicht die
2000). Auch Menschen mit Demenz haben           Fähigkeit zur Empathie, so auf eine Person
das Bedürfnis, sich zu beschäftigen. Dieses     zu reagieren, wie es ihrer Einzigartigkeit, ih-
lässt sich häufig daran beobachten, dass sie    rer Individualität entspricht.
anderen helfen möchten. Für Pflegende ist

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Karin Welling: Der person-zentrierte Ansatz von Tom Kitwood -Nachdruck aus Unterricht Pflege, 9. Jg., H. 5 (2004)

Interaktion           Beschreibung
Erkennen und Anerken- Der Person in einer offenen, vorurteilsfreien Haltung begegnen und davon ausgehen, dass alles Verhalten und Gesagte eine
nen                   Bedeutung für die Person hat. Die Person durch achtsames Zuhören anerkennen und jede Art ihrer Kommunikation würdigen.
                            Versuchen echten Kontakt herzustellen, z.B. die Person mit ihrem Namen ansprechen, Blickkontakt aufnehmen, evtl. vorsich-
                            tig berühren und darauf achten, im Blickfeld zu bleiben. Der Person genügend Zeit lassen, um andere Personen oder Dinge zu
                            erkennen.
Ver-/Aushandeln             Der Person die Kontrolle über die Situation ermöglichen, indem man mit ihr verhandelt, ihre Wünsche, Bedürfnisse und Vorlie-
                            ben erkennt und diese berücksichtigt. Beim Beraten und Zuhören ist es notwendig, eigene Gedanken und Annahmen in den
                            Hintergrund zu stellen.
Zusammenarbeiten            Der Person Angebote machen, tätig, nützlich und somit selbstwirksam zu sein, indem man mit ihr zusammenarbeitet. Bei ver-
                            schiedenen Handlungen, z.B. in der Pflege oder im Haushalt, der Person Raum geben, ihre gegenwärtige Fähigkeiten einzu-
                            bringen und sich so im Tun zu erleben. Die Person nicht durch vorzeitige Übernahme der Handlung entmächtigen, sondern
                            auch ihre Art und Weise, Dinge zu tun, akzeptieren. Sich bewusst sein, dass die Selbstständigkeit und die Selbsttätigkeit wich-
                            tiger sind, als ein makelloses Pflegeresultat.
Zwecklosigkeit und Spiel    Der Person Raum für Spontaneität und Selbstausdruck geben, zum Beispiel durch Spielen.
                            Nicht nur Verrichtungs- oder Aufgabenorientiert Kontakt aufnehmen, sondern sich immer auch wieder absichtslos zur Verfü-
                            gung stellen.
Timalation                  Die Kommunikations- und Wahrnehmungsmöglichkeiten der Person erweitern und fördern, indem z.B. über sensobiografisch
                            bedeutsame Zugangswege (somatisch, vestibulär, vibratorisch, visuell, audiorhythmisch, oral und olfaktorisch) Kontakt her-
                            stellt wird. Der Person so Möglichkeiten bieten, sich selbst spüren.
                            Insbesondere bei Personen, die sich nicht aktiv zu der Art und Weise, wie sie berührt werden möchten, äußern können, fol-
                            gende Qualitätsmerkmale einer guten Berührung berücksichtigen: die Person alleine berührten, den Anfang und das Ende der
                            Handlung signalisieren, die Konstanz in der Berührung erhalten, die Kontaktintensität langsam aufbauen, einen Rhythmus für
                            die Berührung entwickeln und die Berührung so gestalten, dass diese Berührung der Person Sicherheit vermittelt. (Bienstein &
                            Fröhlich 2003, S.50ff)
Feiern und sich Freuen      Mit der Person zusammen feiern und so Möglichkeiten zum freudvollen, humorvollen Miteinander finden. Beim Feiern wird die
                            Trennung zwischen der zu pflegenden Person und der Pflegeperson aufgehoben.
Entspannen                  Der Person Raum geben, zur Ruhe zu kommen, sich zurückzuziehen und zu entspannen. Den äußeren und inneren Rahmen
                            dafür schaffen, indem man Stimmungen und Gefühle mit dem Betoffenen zusammen aushält und nicht durch Aktivismus über-
                            tönt. Hierbei ist es wichtig, selbst zu Ruhe kommen und dem Bedürfnis der Person nach körperliche Nähe nachzukommen.
Validation                  Die subjektive Wirklichkeit der Person akzeptieren, in dem man sich in das Erleben und die Gefühlswelt der Person hineinver-
                            setzt, ihre Gefühle wahrnimmt und diese durch eine wertschätzende Bestätigung (verbal und nonverbal) zum Ausdruck bringt.
Halten                      Der Person einen sicheren psychologischen Raum bieten, indem man z.B. auch in emotional schwierigen Situation (z.B. tiefe
                            Trauer, Angst) präsent, beständig und selbstsicher bleibt. Hierbei ist es wichtig, herausforderndes Verhalten auf der Ebene
                            des Selbstausdrucks und nicht auf er Ebene der Beziehung zu verstehen.
Erleichtern (Faciliation)   Die Person dabei unterstützen, Handlungen selbstständig aus und zu Ende zu führen. Handlungsversuche als solche erken-
                            nen, zum Beispiel durch die Verwendung von Schlüsselreizen (Worte, Gesten) und so die Ausführung der Handlung ermögli-
                            chen. Ein Handlungsprogramm kann auch durch die Verwendung von verbalen und nonverbalen Schlüsselreizen in Gang ge-
                            setzt werden.
(in Anlehnung an Kitwood 2004, S.133-137 und173,174, Morton 1999, S.163)

4. Die Bedeutung des person-zentrierten            und verrichtungsorientiert und somit weni-            Die aufgezeigte Situation spricht dafür, den
Ansatzes für die Gestaltung von Lernsi-            ger person-zentriert gepflegt wird (Beyer             person-zentrierten Ansatz in die Pflegeaus-
tuationen                                          2001, Petry 1996, Schopp et al. 2001). Für            bildung zu implementieren. Er stellt einen
Der person-zentrierte Ansatz eignet sich           die Unterrichtspraxis lässt sich ähnliches            geeigneten Bezugsrahmen für die didakti-
dazu, „pflegerisches Denken und Handeln            vermuten, wenngleich dieses bisher auch               sche Planung und Durchführung von Lernsi-
zu leiten“ (Riesner 2004, S.11). Aus der           noch nicht hinreichend untersucht worden              tuationen zur übergeordneten Thematik
Perspektive der Pflegewissenschaft wird            ist. Im Rahmen von Unterrichtsbesuchen                „Pflege und Begleitung von Menschen mit
der zu pflegende Mensch, sein subjektives          kann man jedoch immer wieder beobach-                 Demenz“ dar. Als solches enthält er wert-
Erleben und seine individuelle Lebens- und         ten, dass die jeweilige Erkrankung und nicht          volle Hinweise, von denen einige im Fol-
Alltagsgestaltung, zunehmend mehr in das           der zu pflegende Mensch im Vordergrund                genden näher erläutert werden sollen.
Zentrum des Forschungsinteresses gerückt           der Betrachtung steht. Weiterhin fällt auf,
(Moers, Schiemann & Schnepp 1999). Ob              dass Pflege auf Handlungsabläufe reduziert            4.1 Die Lernsituation person-zentriert
in der Pflegepraxis diesbezüglich ebenfalls        wird, in denen der zu pflegende Mensch                beginnen
ein Perspektivwechsel zu verzeichnen ist,          nicht einmal vorkommt. Hierdurch wird bei             Der Beginn der Lernsituation sollte, wie der
kann an dieser Stelle nicht hinreichend ge-        den Lernenden, wenn auch nicht bewusst,               Beginn einer Pflegebeziehung, person-
klärt werden. Verschiedene Veröffentli-            eine krankheits- und verrichtungsorientierte          zentriert erfolgen. Hier werden bewusst
chungen weisen jedoch darauf hin, dass in          Haltung gefördert, die den zu pflegenden              Themen und Inhalte ausgewählt, die sich
Deutschland stärker krankheits-, symptom-          Menschen außen vor lässt.                             mit der Person mit Demenz, mit ihrer Le-

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