Tuberkulose in Kindertagesstätten - zwei Erfahrungsberichte aus Bayern
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Epidemiologisches Bulletin 11 | 2021 18. März 2021 11 Tuberkulose in Kindertagesstätten – zwei Erfahrungsberichte aus Bayern Bei Säuglingen und Kleinkindern führen Infektio- im linken Lungenoberlappen feststellen. In den am nen mit Erregern aus dem Mycobacterium (M.) tuber- 14. Mai mikroskopisch negativ auf säurefeste Stäb- culosis Komplex häufig zu manifester Tuberkulose chen untersuchten Sputumproben wurde am 4. Juni mit oft schwerem Verlauf oder sogar tödlichem Aus- kulturell M. tuberculosis nachgewiesen. Daraufhin gang.1 Wir berichten über zwei Fälle offener Lun- wurde der Indexfall am 5. Juni zur weiteren Behand- gentuberkulose beim Betreuungspersonal von Ein- lung in eine Lungenfachklinik überwiesen. In den richtungen der Kindertagesbetreuung. Die von den dort am Aufnahmetag entnommenen Sputumpro- zuständigen Gesundheitsbehörden eingeleiteten ben ließen sich nun mikroskopisch säurefeste Stäb- Infektionsschutzmaßnahmen erfolgten gemäß chen (+) feststellen. Entsprechend der S2k-Leitlinie Infektionsschutzgesetz (IfSG) und den Empfehlun- „Tuberkulose im Erwachsenenalter“,3 wurde eine gen für Umgebungsuntersuchungen bei Tuberku- 4-fach-Therapie mit Isoniazid (INH), Pyrazinamid lose des Deutschen Zentralkomitees zur Bekämp- (PZA), Rifampicin (RMP) und Ethambutol (EMB) fung der Tuberkulose (DZK).2 eingeleitet. Molekularbiologische und im späteren Verlauf auch Kultur-basierte Resistenztestungen bestätigten die Sensibilität des Erregers gegenüber Fall 1 allen Tuberkulose-Standardmedikamenten. Nach vier Wochen und drei konsekutiv mikroskopisch Indexfall negativen Sputum-Untersuchungen wurde der Am 4. Juni 2019 wurde bei einer Betreuungskraft Indexfall bei leitliniengerechter ambulanter Fort- einer Kinderkrippe mit 51 betreuten Kindern und führung der Therapie und lungenfachärztlicher 19 MitarbeiterInnen im Regierungsbezirk Oberbay- Weiterbetreuung aus der stationären Behandlung ern eine offene Lungentuberkulose diagnostiziert. entlassen. Der Fall wurde gemäß § 6 IfSG am Folgetag an das zuständige Gesundheitsamt gemeldet (Indexfall). Die Befragung des Indexfalles ergab keine Hinweise Wegen bekanntem Asthma bronchiale war der In- auf eine Infektionsquelle im sozialen Umfeld. Aller- dexfall zuvor dauerhaft auf inhalative Steroide und dings stellte sich später heraus, dass bereits 2012 bei β2-Sympathomimetika eingestellt und seit Mitte dem Indexfall im Rahmen einer Umgebungsunter- Mai 2019 wegen eines protrahierten Infekts und suchung eine latente Tuberkulose-Infektion (LTBI) vermehrten Asthmabeschwerden in lungenfachärzt- diagnostiziert worden war, die nicht chemopräven- licher Behandlung. Anamnestisch bestanden zum tiv behandelt wurde. Zeitpunkt der Diagnose eine über die vergangenen drei Wochen sich verstärkende Hustensymptomatik, Infektionsschutzmaßnahmen und ein reduziertes Allgemeinbefinden, Nachtschweiß Umgebungsuntersuchung und Gewichtsabnahme (bei gleichzeitiger Diät). Die Kinderkrippe blieb am Tag der Meldung der Tuberkuloseerkrankung des Indexfalles für den Be- Am 14. Mai 2019 zeigte die Röntgen-Thorax-Unter- treuungsbetrieb und für die sofortige Reinigung, suchung linksseitige Hilusverbreiterung, begleiten- Lüftung und Oberflächendesinfektion der Räume de perihiläre Infiltration und kleinere Infiltrationen geschlossen. Noch am gleichen Abend wurden die im Bereich des linken Oberfelds der Lunge. Am Eltern der Krippenkinder in der Einrichtung vom 22. Mai ließen sich computertomographisch hiläre Leiter des Gesundheitsamtes umfassend über die Lymphadenopathie und entzündlich zu wertende Sachlage und das weitere Vorgehen informiert. Veränderungen, im Sinne einer Lobärpneumonie,
Epidemiologisches Bulletin 11 | 2021 18. März 2021 12 Untersuchung der Krippenkinder INH-Chemoprophylaxe wurde daraufhin gemäß Der Indexfall war noch bis zum Vortag der statio den DZK-Empfehlungen beendet. nären Aufnahme in der Kinderkrippe tätig und dort in den Monaten zuvor im Schichtdienst eingesetzt. Zwei bis vier Wochen nach Beginn der prophylak Während dieser Zeit bestand enger Kontakt zu allen tischen bzw. chemopräventiven Medikamentenein- 51 betreuten Kleinkindern im Alter von 1 – 3 Jahren nahme wurden bei allen Kindern zum Ausschluss (füttern, wickeln, spielen), sodass bei allen betreu- einer Leberschädigung die Transaminasen-Blutspie- ten Kindern und den 18 MitarbeiterInnen der Kin- gel bestimmt, die durchweg im Normbereich lagen. derkrippe von einem infektionsrelevanten Kontakt Anlässlich der Abschlussuntersuchung im Gesund- mit dem Indexfall ausgegangen wurde. heitsamt erhielten die Eltern der 50 prophylaktisch behandelten Kinder einen Fragebogen zu ihren Er- Im familiären und sozialen Umfeld des Indexfalles fahrungen mit der prophylaktischen INH-Gabe. Die wurden 32 weitere enge Kontaktpersonen ermittelt, Fragen betrafen insbesondere Adhärenz, Akzeptanz darunter zwei Kinder unter 5 Jahren. und beobachtete Nebenwirkungen/Auffälligkeiten. Die Eltern von 49 Kindern gaben an, die INH- Für die Untersuchung und medizinische Betreu- Prophylaxe durchgehend verabreicht zu haben. Ein ung der 51 Krippenkinder wurde eine nahe gelege- Kind habe in der zweiten Hälfte des Verabrei- ne Kinderklinik eingebunden, die sich bereit erklär- chungszeitraums öfters Tabletten ausgespuckt, so te, zeitnah die Erstdiagnostik und ggf. erforderliche dass in diesem Fall die tatsächlich erhaltene INH- medizinische Versorgung bei allen Kindern zu Gesamtdosis unklar war. Neununddreißig (78 %) übernehmen. Anamnestisch und klinisch zeigten Eltern gaben an, keinerlei Nebenwirkungen oder sich bei keinem der 51 Kinder Anzeichen einer aku- Auffälligkeiten bemerkt zu haben. Elf (22 %) Eltern ten Erkrankung. Bei allen Kindern wurde ein Tu- berichteten von vorübergehenden diskreten Auffäl- berkulin Haut Test (THT) und ein M. tuberculosis- ligkeiten (z. B. diskreter Hautauschlag, diskrete Ver- spezifischer Interferon-γ-Test (QuantiFERON®-Tb- änderungen bei Stuhlgang oder Schlafverhalten), Gold Plus, im Folgenden QFT) durchgeführt. Der wobei häufig angemerkt wurde, dass diese mögli- THT war bei allen 51 Kindern, der QFT bei 50 Kin- cherweise auch durch die Hitzeperiode im Einnah- dern negativ. Bei den Kindern mit negativem THT mezeitraum bedingt waren. In keinem Fall führten und QFT wurde eine prophylaktische Behandlung diese Beschwerden zur Beendigung oder Unterbre- mit INH eingeleitet, abweichend von den DZK- chung der INH-Prophylaxe. Empfehlungen ärztlicherseits aber auf eine Rönt- gendiagnostik verzichtet. Bei einem klinisch unauf- Untersuchung des Kinderkrippen-Personals fälligen Kind mit niedrig positivem QFT (IFNγ 0,35 Die 18 MitarbeiterInnen der Kinderkrippe wurden IU/µl) wurde eine Röntgen-Thorax-Untersuchung direkt am Tag der Meldung des Indexfalles klinisch vom behandelnden pädiatrischen Lungenfacharzt untersucht und einem QFT unterzogen. Zwei Mit- als unauffällig bewertet. Die bei diesem Kind be- arbeiterInnen mit positivem QFT-Ergebnis (IFNγ reits laufende INH-Prophylaxe wurde im Sinne ei- 0,37 und 0,54 IU/µl) und unauffälligem Röntgen- ner chemopräventiven Behandlung bei LTBI durch Thorax-Befund lehnten die angebotene chemoprä- RMP ergänzt und insgesamt 12 Wochen fortge- ventive Behandlung ab (1-mal auf Grund des Alters führt. Bei Wiedervorstellung in der Ambulanz der > 60 Jahre, 1-mal aus persönlichen Gründen). Nach Kinderklinik war das Kind weiterhin klinisch und 3 und 9 Monaten waren die Röntgenkontrollen bei in der Röntgen-Kontrolluntersuchung unauffällig. diesen beiden MitarbeiterInnen unverändert unauf- Ein erneut durchgeführter QFT war nun negativ. fällig. Acht bis 10 Wochen nach dem letztmöglichen Kon- Untersuchung der Kontaktpersonen takt mit dem Indexfall erfolgte bei den 50 initial im außerhalb der Kinderkrippe THT und QFT negativ getesteten Kindern im Ge- Die Untersuchungen der weiteren 32 Kontaktperso- sundheitsamt erneut ein THT.4 Keines der unter- nen aus dem familiären und sozialen Umfeld des suchten Kinder zeigte eine positive Reaktion. Die Indexfalles, einschließlich QFT und/oder Rönt-
Epidemiologisches Bulletin 11 | 2021 18. März 2021 13 gen-Thorax-Untersuchungen, erfolgten an verschie- 17. Juni in eine infektiologische Fachklinik verlegt. denen Gesundheitsämtern entsprechend den Dort bestätigte sich durch Sputum-Untersuchun- DZK-Empfehlungen. Bei einer engen Kontaktper- gen mikroskopisch (massenhaft säurefeste Stäb- son aus dem familiären Umfeld mit hochpositivem chen) und kulturell der Verdacht einer offenen Lun- QFT und unauffälligen klinischen und Röntgen- gentuberkulose. Nach molekularbiologischem Aus- Thorax-Befund leitete der Lungenfacharzt im Sinne schluss von Resistenzen wurde eine 4-fach-Thera- einer LTBI-Behandlung eine neunmonatige Che- pie mit INH, PZA, RMP und EMB eingeleitet. moprävention mit INH ein. Alle übrigen Kontakt- personen zeigten 8 Wochen nach dem letzten infek- Infektionsschutzmaßnahmen und tionsrelevanten Kontakt mit dem Indexfall einen ne- Umgebungsuntersuchung gativen QFT bzw. unauffälligen Röntgenbefund. Die Kindertageseinrichtung blieb am ersten Werk- Nach ca. einem Jahr waren die Röntgen-Kontrollun- tag nach Meldung der Tuberkulose-Erkrankung des tersuchungen bei den Kontaktpersonen, die initial Indexfalles für eine sofortige Reinigung, Lüftung nur geröntgt wurden, sowie bei der chemopräventiv und Desinfektion der Räume geschlossen. Die behandelten Kontaktperson mit LTBI unauffällig. Eltern der betreuten Kinder wurden zeitnah durch die Gesundheitsbehörden im Rahmen eines Informationsabends umfassend über die Sachlage Fall 2 und das weitere Vorgehen informiert. Die Anamne- se des Indexfalls und Befragung seines sozialen Indexfall Umfeldes ergaben keine Hinweise auf eine Infek Am 15. Juni 2020 wurde in einer Klinik einer kreis- tionsquelle. freien Stadt im Regierungsbezirk Oberbayern bei ei- ner Betreuungskraft einer Kindertageseinrichtung Seit September 2019 und noch bis zum 9. Juni 2020 mit 86 betreuten Kindern und 16 MitarbeiterInnen war der Indexfall in der Kindertageseinrichtung tä- eine offene Lungentuberkulose diagnostiziert und tig gewesen und dabei in allen 5 Betreuungsgrup- gemäß § 6 IfSG am Folgetag an das zuständige pen der Einrichtung eingesetzt. Wegen bereits seit Gesundheitsamt gemeldet (Indexfall). Monaten bestehender Husten-Symptomatik und ausgedehntem kavernösem Lungenbefund sowie Der Indexfall hatte sich im Mai 2020 wegen Abge- aufgrund der Vulnerabilität der exponierten Perso- schlagenheit, Schwäche und Gewichtsverslust beim nengruppe wurde der infektiöse Zeitraum großzü- Hausarzt vorgestellt, der eine Eisenmangelanämie gig mit 9 Monaten vor Diagnose angenommen, so diagnostizierte und eine Behandlung mit Eisen dass für alle 86 betreuten Kinder im Alter von tabletten einleitete. Nachdem sich keine Besserung 1 – 6 Jahren und für alle 15 anderen MitarbeiterInnen der Symptome einstellte, erfolgte am 15. Juni die der Kindertageseinrichtung ein infektionsrelevanter stationäre Einweisung zur weiteren Abklärung der Kontakt angenommen wurde. Eisenmangelanämie. Bei Aufnahme berichtete der Indexfall über starke Müdigkeit seit einigen Mona- Untersuchung der betreuten Kinder ten, Kurzatmigkeit und Husten seit über 6 Mona- Für die initiale Untersuchung und medizinische ten. Wegen der Hustensymptomatik sei der Index- Versorgung der Kinder konnte eine lokale Kinder- fall bereits bei mehreren ÄrztInnen vorstellig ge- arztpraxis eingebunden werden. Alle 86 betreuten worden. Computertomographisch zeigten sich Kinder wurden zeitnah entsprechend den DZK- Konsolidierungen mit Kavernenbildung und Empfehlungen klinisch untersucht und einem THT „kommunizierenden Bronchien“ in beiden Lungen- (bei Kindern < 5 Jahren) bzw. QFT unterzogen. Oberlappen, sowie kleinfleckige, linksseitig betonte Konsolidierungen in Ober- und Unterlappen. Die Wegen SARS-CoV-2-Pandemie-bedingten Einschrän molekularbiologische Untersuchung auf Severe kungen des Regelbetriebs in der Betreuungseinrich- Acute Respiratory Syndrome Coronavirus Type 2 tung ab März 2020 konnte der Kreis der Kinder un- (SARS-CoV-2) war negativ. Aufgrund des ausge- ter 5 Jahren, bei denen der letzte infektionsrelevante dehnten Lungenbefundes wurde der Indexfall am Kontakt weniger als 8 Wochen zurücklag, auf insge-
Epidemiologisches Bulletin 11 | 2021 18. März 2021 14 samt 8 Kinder eingegrenzt werden. Bei 7 dieser nenen prophylaktischen Behandlung mit INH. 8 Kinder wurde nach Ausschluss einer akuten Tu- Nach Abschluss der chemopräventiven Behand- berkuloseerkrankung eine prophylaktische Behand- lung der LTBI waren bei 8 der 9 Kinder die klini- lung mit INH eingeleitet. Die Eltern eines Kindes schen Untersuchungen und Thorax-Röntgenkont- lehnten die empfohlene prophylaktische Behand- rollen unauffällig. Bei einem Kind wurde aufgrund lung ab. Bei 78 Kindern lag der letzte infektionsre- eines auffälligen Röntgen-Thorax-Befundes nach levante Kontakt mit dem Indexfall bereits mehr als Abschluss der chemopräventiven Behandlung (gro- 8 Wochen zurück, so dass eine prophylaktische Be- ße Konsolidierung im linken Lungenoberfeld, mög- handlung hier nicht mehr in Betracht kam. licherweise Infiltrat) eine Lungentuberkulose diag- nostiziert und unter stationärer pädiatrisch-fachärzt- Der initiale THT bzw. QFT war bei 10 der insgesamt licher Betreuung eine medikamentöse Tuberkulose 86 exponierten Kinder positiv (12%; 6 THT, 4 QFT). therapie eingeleitet. Der Anteil positiver Ergebnisse war bei Kindern mit < 8 Wochen zurückliegendem letztem Kontakt zum Bei allen initial im THT negativ getesteten Kindern Indexfall mit 3/8 (38%) höher, als bei Kindern, deren waren 8 Wochen nach letztem infektionsrelevantem letzter Kontakt bereits länger zurücklag (7/78, 9%). Kontakt zum Indexfall die THT-Kontrolluntersu- chungen weiterhin negativ. Die Chemoprophylaxe Bei einem im THT positiv getesteten Kind wurde bei diesen Kindern konnte dann entsprechend den aufgrund eines auffälligen Röntgen-Thorax-Befun- DZK-Empfehlungen beendet werden. des (rechts-perihiläre Verdichtung mit Belüftungs- störung) eine aktive Lungentuberkulose diagnos Untersuchung weiterer Kontaktpersonen tiziert und die bereits begonnene prophylaktische Insgesamt wurden 70 weitere enge Kontaktperso- Behandlung unter stationärer pädiatrisch-fachärzt- nen im beruflichen (15), schulischen (38: 29 Mit- licher Betreuung auf eine Anti-Tuberkulosetherapie schülerInnen und 9 Lehrkräfte), familiären/sozia- mit INH, RMP und PZA umgestellt. len (13) und sonstigen (4, medizinisches Personal) Umfeld des Indexfalles ermittelt (s. Tab. 1). Bei 23 Nach Ausschluss einer aktiven Lungentuberkulose dieser 70 Kontaktpersonen (33 %) wurde anhand durch klinische und Röntgen-Thorax-Untersu- QFT bzw. THT nach Ausschluss einer Organtuber- chungen erfolgte bei den übrigen 9 positiv geteste- kulose eine LTBI diagnostiziert. Der Anteil positiver ten Kindern eine chemopräventive Behandlung Ergebnisse war bei Kontaktpersonen aus dem fami- (INH + RMP täglich über 4 Monate) im Sinne einer liären/sozialen und beruflichen Umfeld mit 46 % LTBI-Behandlung. Bei 2 Kindern bedeutete dies und 40 % besonders hoch (s. Tab. 1 mit einer Ge- eine entsprechende Umstellung der bereits begon- samtübersicht zu allen Kontaktpersonen). LTBI Kontaktpersonen n THT/QFT+ Tuberkulose n CP Kinder (Betreuungseinrichtung) 86 10 (12 %) 9 9 2* Familäres/soziales Umfeld 13 6 (46 %) 5 3 1 Schulisches Umfeld 38 11 (29 %) 11 6 (1)** Berufliches Umfeld 15 6 (40 %) 6 5 0 Sonstige Kontakte (medizinisches Personal) 4 0 0 – 0 Gesamt 156 33 (21 %) 31 23 2 Tab. 1 | Gesamtübersicht zu allen infektionsrelevanten Kontaktpersonen des 2. Indexfalls CP: Chemoprävention; LTBI: Latente Tuberkulose-Infektion; THT: Tuberkulin Haut Test; QFT: QuantiFERON®-Tb-Gold Plus Test * bei einem Kind Diagnose einer Lungentuberkulose nach Abschluss der CP; ** fraglicher epidemiologischer Zusammenhang mit dem Indexfall
Epidemiologisches Bulletin 11 | 2021 18. März 2021 15 Bei einer im THT positiv getesteten Kontaktperson tragen. Bei nur 4 von insgesamt 101 engen Kontakt- (Kind < 5 Jahre) aus dem familiären/sozialen Um- personen ergaben sich im Verlauf der Umgebungs- feld wurde aufgrund eines auffälligen Röntgen- untersuchung Hinweise auf eine S ekundärinfektion. Thorax-Befunds (im Sinne eines Mittellappensyn- Der anamnestische Hinweis beim Indexfall auf eine droms) und passender Symptomatik mit Husten Jahre zuvor diagnostizierte, jedoch unbehandelte und Fieber eine Lungentuberkulose diagnostiziert LTBI unterstreicht die Notwendigkeit, die Indikati- und unter stationärer fachärztlicher Betreuung eine on für eine chemopräventive Behandlung insbeson- Anti-Tuberkulosetherapie eingeleitet (im Verlauf dere bei jüngeren Menschen sorgfältig zu prüfen M. tuberculosis Komplex PCR aus Magensaft positiv, und, sofern keine Kontraindikationen vorliegen, Kulturergebnisse ausstehend). Bei 22 im QFT posi- konsequent anzubieten und durchzuführen. tiv getesteten weiteren Kontaktpersonen wurde, nach Ausschluss einer Tuberkulose, eine LTBI diag- Der zweite Fall schildert ein umfassendes Infek nostiziert (s. Tab. 1). Bei 16 von diesen wurde eine tionsgeschehen, mit Exposition zahlreicher Kon- chemopräventive Behandlung eingeleitet, bei 3 wei- taktpersonen gegenüber einem vermutlich über ei- teren von einer chemopräventiven Behandlung aus nen längeren Zeitraum infektiösen Indexfall. Hier Altersgründen (> 50 Jahre) abgesehen. Zwei Kon- ergaben sich bei 33 von insgesamt 156 und damit taktpersonen mit LTBI lehnten die empfohlene Che- jeder fünften engen Kontaktperson Hinweise auf moprävention ab. Von einer Kontaktperson mit eine Infektion mit M. tuberculosis, mit mindestens LTBI liegen keine Informationen über die Durch- 3 Lungentuberkulose-Folgefällen. Dieser Fall ver- führung einer chemopräventiven Behandlung vor. deutlicht eindrücklich die Notwendigkeit, im ambu- lanten Bereich bei entsprechenden Beschwerden Bei einer Kontaktperson aus dem schulischen Um- differentialdiagnostisch immer auch an eine Tuber- feld wurde im Juli 2020 wegen auffälliger klinischer kulose zu denken und bei anhaltenden Beschwer- und bildgebender (Röntgen-Thorax, Computer - den zeitnah weitere diagnostische Schritte zu veran- tomographie) Befunde ohne kulturellen oder lassen. mikroskopischen Nachweis säurefester Stäbchen eine Lungentuberkulose diagnostiziert und eine Die hier geschilderten Erfahrungen sollen Einrich- antituberkulöse Therapie eingeleitet. Ein Zusam- tungen der Kindertagesbetreuung und zuständige menhang mit dem Indexfall ist hier allerdings frag- betriebsmedizinische Stellen für das Thema Tuber- lich, da es anamnestisch nur kurzen Kontakt mit kulose sensibilisieren. Sie zeigen die Bedeutung ei- Mund-Nasen-Schutz gab. Es gibt Hinweise, dass ner frühzeitigen Tuberkulose-Diagnostik bei Ver- sich diese Kontaktperson bei ihrem an infektiöser dachtsfällen und der konsequenten Umsetzung von Tuberkulose erkrankten Vater angesteckt haben Infektionsschutz- und Präventionsmaßnahmen in könnte. diesem besonders vulnerablen Bereich. Unsere Er- fahrungen zeigen darüber hinaus, dass bezüglich der gut verträglichen Chemoprophylaxe bzw. Che- Zusammenfassung und Diskussion moprävention bei entsprechender Information der Die hier geschilderten Fälle von Lungentuberkulose Eltern und kompetenter Therapiebegleitung eine in Einrichtungen der Kindertagesbetreuung ergän- hohe Akzeptanz und Therapie-Adhärenz erreicht zen Medienberichte zu ähnlichen Ereignissen in werden kann. Da sich auch unter präventiver Be- der Vergangenheit. handlung eine Tuberkulose entwickeln kann, ist die Leitlinien-gerechte Durchführung von Kontroll Im ersten Fall wurde eine Lungentuberkulose beim untersuchungen und ggf. Durchführung weiterfüh- Indexfall vermutlich so frühzeitig erkannt, dass wei- render Diagnostik von großer Bedeutung. tere Folgeinfektionen durch die Infektionsschutz- maßnahmen des Gesundheitsamts wirksam unter- bunden werden konnten. Die entsprechend den Leitlinien frühzeitig eingeleitete INH-Prophylaxe bei Kleinkindern wurde von allen Kindern gut ver-
Epidemiologisches Bulletin 11 | 2021 18. März 2021 16 Literatur 1 Feiterna-Sperling C et al.: S2k-Leitlinie zur Diag- nostik, Prävention und Therapie der Tuberkulose im Kindes- und Jugendalter. Pneumologie 2017; 71: 629 – 680 2 Diel R, Loytved G, Nienhaus A et al.: Neue Empfeh- lungen für die Umgebungsuntersuchung bei Tuber- kulose. Deutsches Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose. Pneumologie 2011; 65: 359–378 3 Schaberg T et al.: S2k-Leitlinie: Tuberkulose im Erwachsenenalter. Pneumologie 2017; 71: 325–397 Autorinnen und Autoren a) PD Dr. med. Ruprecht Schmidt-Ott | b) Dr. med. Cornelia Erat | c) Lucas Velleuer a) Regierung von Oberbayern, Maximilianstraße 39, 80538 München E-Mail: ruprecht.schmidt-ott@reg-ob.bayern.de b) Gesundheitsamt Mühldorf a. Inn, Töginger Str. 18, 84453 Mühldorf a. Inn E-Mail: cornelia.erat@lra-mue.de c) Gesundheitsamt, Esplanade 29, 85049 Ingolstadt E-Mail: Lucas.Velleuer@ingolstadt.de Korrespondenz: ruprecht.schmidt-ott@reg-ob.bayern.de Vorgeschlagene Zitierweise Schmidt-Ott R, Erat C, Velleuer L : Tuberkulose in Kindertagesstätten – zwei Erfahrungsberichte aus Bayern Epid Bull 2021;11:11 -16 | DOI 10.25646/7991 Interessenkonflikt Die Autorinnen und Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht. Danksagung Besonderer Dank geht an alle beteiligten Mitarbeiter der Gesundheitsämter von Mühldorf a. Inn, Pfaffenho- fen und Ingolstadt, an Herrn PD Dr. med. Martin Rose- wich und Herrn Dr. med. Christian Seidel und sein Praxisteam.
Sie können auch lesen