Tuberkulose in Kindertagesstätten - zwei Erfahrungsberichte aus Bayern

Die Seite wird erstellt Maximilian Scholz
 
WEITER LESEN
Epidemiologisches Bulletin       11 | 2021      18. März 2021                                                    11

  Tuberkulose in Kindertagesstätten –
  zwei Erfahrungsberichte aus Bayern

  Bei Säuglingen und Kleinkindern führen Infektio-              im linken Lungenoberlappen feststellen. In den am
  nen mit Erregern aus dem Mycobacterium (M.) tuber-            14. Mai mikroskopisch negativ auf säurefeste Stäb-
  culosis Komplex häufig zu manifester Tuberkulose              chen untersuchten Sputumproben wurde am 4. Juni
  mit oft schwerem Verlauf oder sogar tödlichem Aus-            kulturell M. tuberculosis nachgewiesen. Daraufhin
  gang.1 Wir berichten über zwei Fälle offener Lun-             wurde der Indexfall am 5. Juni zur weiteren Behand-
  gentuberkulose beim Betreuungspersonal von Ein-               lung in eine Lungenfachklinik überwiesen. In den
  richtungen der Kindertagesbetreuung. Die von den              dort am Aufnahmetag entnommenen Sputumpro-
  zuständigen Gesundheitsbehörden eingeleiteten                 ben ließen sich nun mikroskopisch säurefeste Stäb-
  Infek­tionsschutzmaßnahmen erfolgten gemäß                    chen (+) feststellen. Entsprechend der S2k-Leitlinie
  Infek­tionsschutzgesetz (IfSG) und den Empfehlun-             „Tuberkulose im Erwachsenenalter“,3 wurde eine
  gen für Umgebungsuntersuchungen bei Tuberku-                  4-fach-Therapie mit Isoniazid (INH), Pyrazinamid
  lose des Deutschen Zentralkomitees zur Bekämp-                (PZA), Rifampicin (RMP) und Ethambutol (EMB)
  fung der Tuberkulose (DZK).2                                  eingeleitet. Molekularbiologische und im späteren
                                                                Verlauf auch Kultur-basierte Resistenztestungen
                                                                ­bestätigten die Sensibilität des Erregers gegenüber
  Fall 1                                                         allen Tuberkulose-Standardmedikamenten. Nach
                                                                 vier Wochen und drei konsekutiv mikroskopisch
  Indexfall                                                      negativen Sputum-Untersuchungen wurde der
                                                                 ­
  Am 4. Juni 2019 wurde bei einer Betreuungskraft                ­Indexfall bei leitliniengerechter ambulanter Fort-
  einer Kinderkrippe mit 51 betreuten Kindern und                 führung der Therapie und lungenfachärztlicher
  19  MitarbeiterInnen im Regierungsbezirk Oberbay-               Weiterbetreuung aus der stationären Behandlung
  ern eine offene Lungentuberkulose diagnostiziert.               entlassen.
  Der Fall wurde gemäß § 6 IfSG am Folgetag an das
  zuständige Gesundheitsamt gemeldet (Indexfall).               Die Befragung des Indexfalles ergab keine Hinweise
  Wegen bekanntem Asthma bronchiale war der In-                 auf eine Infektionsquelle im sozialen Umfeld. Aller-
  dexfall zuvor dauerhaft auf inhalative Steroide und           dings stellte sich später heraus, dass bereits 2012 bei
  β2-Sympathomimetika eingestellt und seit Mitte                dem Indexfall im Rahmen einer Umgebungsunter-
  Mai 2019 wegen eines protrahierten Infekts und                suchung eine latente Tuberkulose-Infektion (LTBI)
  vermehrten Asthmabeschwerden in lungenfachärzt-               diagnostiziert worden war, die nicht chemopräven-
  licher Behandlung. Anamnestisch bestanden zum                 tiv behandelt wurde.
  Zeitpunkt der Diagnose eine über die vergangenen
  drei Wochen sich verstärkende Hustensymptomatik,              Infektionsschutzmaßnahmen und
  ein reduziertes Allgemeinbefinden, Nachtschweiß               Umgebungsuntersuchung
  und Gewichtsabnahme (bei gleichzeitiger Diät).                Die Kinderkrippe blieb am Tag der Meldung der
                                                                ­Tuberkuloseerkrankung des Indexfalles für den Be-
  Am 14. Mai 2019 zeigte die Röntgen-Thorax-Unter-               treuungsbetrieb und für die sofortige Reinigung,
  suchung linksseitige Hilusverbreiterung, begleiten-            Lüftung und Oberflächendesinfektion der Räume
  de perihiläre Infiltration und kleinere Infiltrationen         geschlossen. Noch am gleichen Abend wurden die
  im Bereich des linken Oberfelds der Lunge. Am                  Eltern der Krippenkinder in der Einrichtung vom
  22.  Mai ließen sich computertomographisch hiläre              Leiter des Gesundheitsamtes umfassend über die
  Lymphadenopathie und entzündlich zu wertende                   Sachlage und das weitere Vorgehen informiert.
  Veränderungen, im Sinne einer Lobärpneumonie,
Epidemiologisches Bulletin      11 | 2021      18. März 2021                                                  12

  Untersuchung der Krippenkinder                               INH-Chemoprophylaxe wurde daraufhin gemäß
  Der Indexfall war noch bis zum Vortag der statio­            den DZK-Empfehlungen beendet.
  nären Aufnahme in der Kinderkrippe tätig und dort
  in den Monaten zuvor im Schichtdienst eingesetzt.            Zwei bis vier Wochen nach Beginn der prophylak­
  Während dieser Zeit bestand enger Kontakt zu allen           tischen bzw. chemopräventiven Medikamentenein-
  51 betreuten Kleinkindern im Alter von 1 – 3 Jahren          nahme wurden bei allen Kindern zum Ausschluss
  (füttern, wickeln, spielen), sodass bei allen betreu-        einer Leberschädigung die Transaminasen-Blutspie-
  ten Kindern und den 18 MitarbeiterInnen der Kin-             gel bestimmt, die durchweg im Normbereich lagen.
  derkrippe von einem infektionsrelevanten Kontakt             Anlässlich der Abschlussuntersuchung im Gesund-
  mit dem Indexfall ausgegangen wurde.                         heitsamt erhielten die Eltern der 50 prophylaktisch
                                                               behandelten Kinder einen Fragebogen zu ihren Er-
  Im familiären und sozialen Umfeld des Indexfalles            fahrungen mit der prophylaktischen INH-Gabe. Die
  wurden 32 weitere enge Kontaktpersonen ermittelt,            Fragen betrafen insbesondere Adhärenz, Akzeptanz
  darunter zwei Kinder unter 5 Jahren.                         und beobachtete Nebenwirkungen/Auffälligkeiten.
                                                               Die Eltern von 49 Kindern gaben an, die INH-­
  Für die Untersuchung und medizinische Betreu-                Prophylaxe durchgehend verabreicht zu haben. Ein
  ung der 51 Krippenkinder wurde eine nahe gelege-             Kind habe in der zweiten Hälfte des Verabrei-
  ne Kinderklinik eingebunden, die sich bereit erklär-         chungszeitraums öfters Tabletten ausgespuckt, so
  te, zeitnah die Erstdiagnostik und ggf. erforderliche        dass in diesem Fall die tatsächlich erhaltene INH-
  medizinische Versorgung bei allen Kindern zu                 Gesamtdosis unklar war. Neununddreißig (78 %)
  übernehmen. Anamnestisch und klinisch zeigten                Eltern gaben an, keinerlei Nebenwirkungen oder
  sich bei keinem der 51 Kinder Anzeichen einer aku-           Auffälligkeiten bemerkt zu haben. Elf (22 %) Eltern
  ten Erkrankung. Bei allen Kindern wurde ein Tu-              berichteten von vorübergehenden diskreten Auffäl-
  berkulin Haut Test (THT) und ein M. tuberculosis-            ligkeiten (z. B. diskreter Hautauschlag, diskrete Ver-
  spezifischer Interferon-γ-Test (QuantiFERON®-Tb-             änderungen bei Stuhlgang oder Schlafverhalten),
  Gold Plus, im Folgenden QFT) durchgeführt. Der               wobei häufig angemerkt wurde, dass diese mögli-
  THT war bei allen 51 Kindern, der QFT bei 50 Kin-            cherweise auch durch die Hitzeperiode im Einnah-
  dern negativ. Bei den Kindern mit negativem THT              mezeitraum bedingt waren. In keinem Fall führten
  und QFT wurde eine prophylaktische Behandlung                diese Beschwerden zur Beendigung oder Unterbre-
  mit INH eingeleitet, abweichend von den DZK-                 chung der INH-Prophylaxe.
  Empfehlungen ärztlicherseits aber auf eine Rönt-
  gendiagnostik verzichtet. Bei einem klinisch unauf-          Untersuchung des Kinderkrippen-Personals
  fälligen Kind mit niedrig positivem QFT (IFNγ  0,35          Die 18 MitarbeiterInnen der Kinderkrippe wurden
  IU/µl) wurde eine Röntgen-Thorax-Untersuchung                direkt am Tag der Meldung des Indexfalles klinisch
  vom behandelnden pädiatrischen Lungenfacharzt                untersucht und einem QFT unterzogen. Zwei Mit-
  als unauffällig bewertet. Die bei diesem Kind be-            arbeiterInnen mit positivem QFT-Ergebnis (IFNγ
  reits laufende INH-Prophylaxe wurde im Sinne ei-             0,37 und 0,54 IU/µl) und unauffälligem Röntgen-
  ner chemopräventiven Behandlung bei LTBI durch               Thorax-Befund lehnten die angebotene chemoprä-
  RMP ergänzt und insgesamt 12 Wochen fortge-                  ventive Behandlung ab (1-mal auf Grund des Alters
  führt. Bei Wiedervorstellung in der Ambulanz der             > 60 Jahre, 1-mal aus persönlichen Gründen). Nach
  Kinderklinik war das Kind weiterhin klinisch und             3 und 9 Monaten waren die Röntgenkontrollen bei
  in der Röntgen-Kontrolluntersuchung unauffällig.             diesen beiden MitarbeiterInnen unverändert unauf-
  Ein erneut durchgeführter QFT war nun negativ.               fällig.

  Acht bis 10 Wochen nach dem letztmöglichen Kon-              Untersuchung der Kontaktpersonen
  takt mit dem Indexfall erfolgte bei den 50 initial im        außerhalb der Kinderkrippe
  THT und QFT negativ getesteten Kindern im Ge-                Die Untersuchungen der weiteren 32 Kontaktperso-
  sundheitsamt erneut ein THT.4 Keines der unter-              nen aus dem familiären und sozialen Umfeld des
  suchten Kinder zeigte eine positive Reaktion. Die            Indexfalles, einschließlich QFT und/oder Rönt-
Epidemiologisches Bulletin      11 | 2021      18. März 2021                                                   13

  gen-Thorax-Untersuchungen, erfolgten an verschie-            17. Juni in eine infektiologische Fachklinik verlegt.
  denen Gesundheitsämtern entsprechend den                     Dort bestätigte sich durch Sputum-Untersuchun-
  DZK-Empfehlungen. Bei einer engen Kontaktper-                gen mikroskopisch (massenhaft säurefeste Stäb-
  son aus dem familiären Umfeld mit hochpositivem              chen) und kulturell der Verdacht einer offenen Lun-
  QFT und unauffälligen klinischen und Röntgen-                gentuberkulose. Nach molekularbiologischem Aus-
  Thorax-Befund leitete der Lungenfacharzt im Sinne            schluss von Resistenzen wurde eine 4-fach-Thera-
  einer LTBI-Behandlung eine neunmonatige Che-                 pie mit INH, PZA, RMP und EMB eingeleitet.
  moprävention mit INH ein. Alle übrigen Kontakt-
  personen zeigten 8 Wochen nach dem letzten infek-            Infektionsschutzmaßnahmen und
  tionsrelevanten Kontakt mit dem Indexfall einen ne-          Umgebungsuntersuchung
  gativen QFT bzw. unauffälligen Röntgenbefund.                Die Kindertageseinrichtung blieb am ersten Werk-
  Nach ca. einem Jahr waren die Röntgen-Kontrollun-            tag nach Meldung der Tuberkulose-Erkrankung des
  tersuchungen bei den Kontaktpersonen, die initial            Index­falles für eine sofortige Reinigung, Lüftung
  nur geröntgt wurden, sowie bei der chemopräventiv            und Desinfektion der Räume geschlossen. Die
  behandelten Kontaktperson mit LTBI unauffällig.              ­Eltern der betreuten Kinder wurden zeitnah durch
                                                                die Gesundheitsbehörden im Rahmen eines
                                                                Informa­tionsabends umfassend über die Sachlage
  Fall 2                                                        und das weitere Vorgehen informiert. Die Anamne-
                                                                se des Indexfalls und Befragung seines sozialen
  Indexfall                                                     Umfeldes ergaben keine Hinweise auf eine Infek­
  Am 15. Juni 2020 wurde in einer Klinik einer kreis-           tionsquelle.
  freien Stadt im Regierungsbezirk Oberbayern bei ei-
  ner Betreuungskraft einer Kindertageseinrichtung             Seit September 2019 und noch bis zum 9. Juni 2020
  mit 86 betreuten Kindern und 16 MitarbeiterInnen             war der Indexfall in der Kindertageseinrichtung tä-
  eine offene Lungentuberkulose diagnostiziert und             tig gewesen und dabei in allen 5 Betreuungsgrup-
  gemäß § 6 IfSG am Folgetag an das zuständige                 pen der Einrichtung eingesetzt. Wegen bereits seit
  ­Gesundheitsamt gemeldet (Indexfall).                        Monaten bestehender Husten-Symptomatik und
                                                               ausgedehntem kavernösem Lungenbefund sowie
  Der Indexfall hatte sich im Mai 2020 wegen Abge-             aufgrund der Vulnerabilität der exponierten Perso-
  schlagenheit, Schwäche und Gewichtsverslust beim             nengruppe wurde der infektiöse Zeitraum großzü-
  Hausarzt vorgestellt, der eine Eisenmangelanämie             gig mit 9 Monaten vor Diagnose angenommen, so
  diagnostizierte und eine Behandlung mit Eisen­               dass für alle 86 betreuten Kinder im Alter von
  tabletten einleitete. Nachdem sich keine Besserung           1 – 6  Jahren und für alle 15 anderen MitarbeiterInnen
  der Symptome einstellte, erfolgte am 15. Juni die            der Kindertageseinrichtung ein infektionsrelevanter
  stationäre Einweisung zur weiteren Abklärung der             Kontakt angenommen wurde.
  ­Eisenmangelanämie. Bei Aufnahme berichtete der
   Indexfall über starke Müdigkeit seit einigen Mona-          Untersuchung der betreuten Kinder
   ten, Kurzatmigkeit und Husten seit über 6 Mona-             Für die initiale Untersuchung und medizinische
   ten. Wegen der Hustensymptomatik sei der Index-             Versorgung der Kinder konnte eine lokale Kinder-
   fall bereits bei mehreren ÄrztInnen vorstellig ge-          arztpraxis eingebunden werden. Alle 86 betreuten
   worden. Computertomographisch zeigten sich                  Kinder wurden zeitnah entsprechend den DZK-
   Konsolidierungen mit Kavernenbildung und                    Empfehlungen klinisch untersucht und einem THT
   „kommu­nizierenden Bronchien“ in beiden Lungen-­            (bei Kindern < 5 Jahren) bzw. QFT unterzogen.
   Oberlappen, sowie kleinfleckige, linksseitig betonte
   Konsolidierungen in Ober- und Unterlappen. Die              Wegen SARS-CoV-2-Pandemie-bedingten Einschrän­
   molekularbiologische Untersuchung auf Severe                kungen des Regelbetriebs in der Betreuungseinrich-
   Acute Respiratory Syndrome Coronavirus Type 2               tung ab März 2020 konnte der Kreis der Kinder un-
   (SARS-CoV-2) war negativ. Aufgrund des ausge-               ter 5 Jahren, bei denen der letzte infektionsrelevante
   dehnten Lungenbefundes wurde der Indexfall am               Kontakt weniger als 8 Wochen zurücklag, auf insge-
Epidemiologisches Bulletin             11 | 2021      18. März 2021                                                       14

  samt 8 Kinder eingegrenzt werden. Bei 7 dieser                      nenen prophylak­tischen Behandlung mit INH.
  8  Kinder wurde nach Ausschluss einer akuten Tu-                    Nach Abschluss der chemopräventiven Behand-
  berkuloseerkrankung eine prophylaktische Behand-                    lung der LTBI waren bei 8 der 9 Kinder die klini-
  lung mit INH eingeleitet. Die Eltern eines Kindes                   schen Untersuchungen und Thorax-Röntgenkont-
  lehnten die empfohlene prophylaktische Behand-                      rollen unauffällig. Bei einem Kind wurde aufgrund
  lung ab. Bei 78  Kindern lag der letzte infektionsre-               eines auffälligen Röntgen-­Thorax-Befundes nach
  levante Kontakt mit dem Indexfall bereits mehr als                  Abschluss der chemopräventiven Behandlung (gro-
  8 Wochen zurück, so dass eine prophylaktische Be-                   ße Konsolidierung im linken Lungenoberfeld, mög-
  handlung hier nicht mehr in Betracht kam.                           licherweise Infiltrat) eine Lungentuberkulose diag-
                                                                      nostiziert und unter stationärer pädiatrisch-fachärzt-
  Der initiale THT bzw. QFT war bei 10 der insgesamt                  licher Betreuung eine medikamentöse Tuberkulose­
  86 exponierten Kinder positiv (12%; 6 THT, 4 QFT).                  therapie eingeleitet.
  Der Anteil positiver Ergebnisse war bei Kindern mit
  < 8 Wochen zurückliegendem letztem Kontakt zum                      Bei allen initial im THT negativ getesteten Kindern
  Indexfall mit 3/8 (38%) höher, als bei Kindern, deren               waren 8 Wochen nach letztem infektionsrelevantem
  letzter Kontakt bereits länger zurücklag (7/78, 9%).                Kontakt zum Indexfall die THT-Kontrolluntersu-
                                                                      chungen weiterhin negativ. Die Chemoprophylaxe
  Bei einem im THT positiv getesteten Kind wurde                      bei diesen Kindern konnte dann entsprechend den
  aufgrund eines auffälligen Röntgen-Thorax-Befun-                    DZK-Empfehlungen beendet werden.
  des (rechts-perihiläre Verdichtung mit Belüftungs-
  störung) eine aktive Lungentuberkulose diagnos­                     Untersuchung weiterer Kontaktpersonen
  tiziert und die bereits begonnene prophylaktische                   Insgesamt wurden 70 weitere enge Kontaktperso-
  ­Behandlung unter stationärer pädiatrisch-fachärzt-                 nen im beruflichen (15), schulischen (38: 29 Mit-
   licher Betreuung auf eine Anti-Tuberkulosetherapie                 schülerInnen und 9 Lehrkräfte), familiären/sozia-
   mit INH, RMP und PZA umgestellt.                                   len (13) und sonstigen (4, medizinisches Personal)
                                                                      Umfeld des Indexfalles ermittelt (s. Tab. 1). Bei 23
  Nach Ausschluss einer aktiven Lungentuberkulose                     dieser 70 Kontaktpersonen (33 %) wurde anhand
  durch klinische und Röntgen-Thorax-Untersu-                         QFT bzw. THT nach Ausschluss einer Organtuber-
  chungen erfolgte bei den übrigen 9 positiv geteste-                 kulose eine LTBI diagnostiziert. Der Anteil positiver
  ten Kindern eine chemopräventive Behandlung                         Ergebnisse war bei Kontaktpersonen aus dem fami-
  (INH + RMP täglich über 4 Monate) im Sinne einer                    liären/sozia­len und beruflichen Umfeld mit 46 %
  LTBI-Behandlung. Bei 2 Kindern bedeutete dies                       und 40 % besonders hoch (s. Tab. 1 mit einer Ge-
  eine entsprechende Umstellung der bereits begon-                    samtübersicht zu allen Kontaktpersonen).

                                                                                             LTBI
   Kontaktpersonen                                    n           THT/QFT+                                     Tuberkulose
                                                                                       n            CP

   Kinder (Betreuungseinrichtung)                    86            10 (12 %)           9             9             2*

   Familäres/soziales Umfeld                         13            6 (46 %)            5             3             1

   Schulisches Umfeld                                38            11 (29 %)           11            6            (1)**

   Berufliches Umfeld                                15            6 (40 %)            6             5             0

   Sonstige Kontakte (medizinisches Personal)         4                0               0             –             0

   Gesamt                                            156           33 (21 %)           31           23             2

  Tab. 1 | Gesamtübersicht zu allen infektionsrelevanten Kontaktpersonen des 2. Indexfalls
  CP: Chemoprävention; LTBI: Latente Tuberkulose-Infektion; THT: Tuberkulin Haut Test; QFT: QuantiFERON®-Tb-Gold Plus Test
  * bei einem Kind Diagnose einer Lungentuberkulose nach Abschluss der CP; ** fraglicher epidemiologischer Zusammenhang
  mit dem Indexfall
Epidemiologisches Bulletin      11 | 2021      18. März 2021                                                  15

  Bei einer im THT positiv getesteten Kontaktperson            tragen. Bei nur 4 von insgesamt 101 engen Kontakt-
  (Kind < 5 Jahre) aus dem familiären/sozialen Um-             personen ergaben sich im Verlauf der Umgebungs-
  feld wurde aufgrund eines auffälligen Röntgen-­              untersuchung Hinweise auf eine S­ ekundärinfektion.
  Thorax-Befunds (im Sinne eines Mittellappensyn-              Der anamnestische Hinweis beim Indexfall auf eine
  droms) und passender Symptomatik mit Husten                  Jahre zuvor diagnostizierte, jedoch unbehandelte
  und Fieber eine Lungentuberkulose diagnostiziert             LTBI unterstreicht die Notwendigkeit, die Indikati-
  und unter stationärer fachärztlicher Betreuung eine          on für eine chemopräven­tive Behandlung insbeson-
  Anti-Tuberkulosetherapie eingeleitet (im Verlauf             dere bei jüngeren Menschen sorgfältig zu prüfen
  M. tuber­culosis Komplex PCR aus Magensaft positiv,          und, sofern keine Kontraindikationen vorliegen,
  Kulturergebnisse ausstehend). Bei 22 im QFT posi-            konsequent anzubieten und durchzuführen.
  tiv getesteten weiteren Kontaktpersonen wurde,
  nach Ausschluss einer Tuberku­lose, eine LTBI diag-          Der zweite Fall schildert ein umfassendes Infek­
  nostiziert (s. Tab. 1). Bei 16 von diesen wurde eine         tionsgeschehen, mit Exposition zahlreicher Kon-
  chemopräventive Behandlung eingeleitet, bei 3 wei-           taktpersonen gegenüber einem vermutlich über ei-
  teren von einer chemopräventiven Behandlung aus              nen längeren Zeitraum infektiösen Indexfall. Hier
  Altersgründen (> 50 Jahre) abgesehen. Zwei Kon-              ergaben sich bei 33 von insgesamt 156 und damit
  taktpersonen mit LTBI lehnten die empfohlene Che-            jeder fünften engen Kontaktperson Hinweise auf
  moprävention ab. Von einer Kontaktperson mit                 eine Infektion mit M. tuberculosis, mit mindestens
  LTBI liegen keine Informationen über die Durch-              3  Lungentuberkulose-Folgefällen. Dieser Fall ver-
  führung einer chemopräventiven Behandlung vor.               deutlicht eindrücklich die Notwendigkeit, im ambu-
                                                               lanten Bereich bei entsprechenden Beschwerden
  Bei einer Kontaktperson aus dem schulischen Um-              differentialdiagnostisch immer auch an eine Tuber-
  feld wurde im Juli 2020 wegen auffälliger klinischer         kulose zu denken und bei anhaltenden Beschwer-
  und bildgebender (Röntgen-Thorax, Computer­        -         den zeitnah weitere diagnostische Schritte zu veran-
  tomographie) Befunde ohne kulturellen oder                   lassen.
  mikros­kopischen Nachweis säurefester Stäbchen
  eine Lungentuberkulose diagnostiziert und eine               Die hier geschilderten Erfahrungen sollen Einrich-
  ­antituberkulöse Therapie eingeleitet. Ein Zusam-            tungen der Kindertagesbetreuung und zuständige
   menhang mit dem Indexfall ist hier allerdings frag-         betriebsmedizinische Stellen für das Thema Tuber-
   lich, da es anamnestisch nur kurzen Kontakt mit             kulose sensibilisieren. Sie zeigen die Bedeutung ei-
   Mund-Nasen-Schutz gab. Es gibt Hinweise, dass               ner frühzeitigen Tuberkulose-Diagnostik bei Ver-
   sich diese Kontaktperson bei ihrem an infektiöser           dachtsfällen und der konsequenten Umsetzung von
   Tuberkulose erkrankten Vater angesteckt haben               Infektionsschutz- und Präventionsmaßnahmen in
   könnte.                                                     diesem besonders vulnerablen Bereich. Unsere Er-
                                                               fahrungen zeigen darüber hinaus, dass bezüglich
                                                               der gut verträglichen Chemoprophylaxe bzw. Che-
  Zusammenfassung und Diskussion                               moprävention bei entsprechender Information der
  Die hier geschilderten Fälle von Lungentuberkulose           Eltern und kompetenter Therapiebegleitung eine
  in Einrichtungen der Kindertagesbetreuung ergän-             hohe Akzeptanz und Therapie-Adhärenz erreicht
  zen Medienberichte zu ähnlichen Ereignissen in               werden kann. Da sich auch unter präventiver Be-
  der Vergangenheit.                                           handlung eine Tuberkulose entwickeln kann, ist die
                                                               Leitlinien-gerechte Durchführung von Kontroll­
  Im ersten Fall wurde eine Lungentuberkulose beim             untersuchungen und ggf. Durchführung weiterfüh-
  Indexfall vermutlich so frühzeitig erkannt, dass wei-        render Diagnostik von großer Bedeutung.
  tere Folgeinfektionen durch die Infektionsschutz-
  maßnahmen des Gesundheitsamts wirksam unter-
  bunden werden konnten. Die entsprechend den
  Leitlinien frühzeitig eingeleitete INH-Prophylaxe
  bei Kleinkindern wurde von allen Kindern gut ver-
Epidemiologisches Bulletin            11 | 2021      18. März 2021   16

  Literatur
  1      Feiterna-Sperling C et al.: S2k-Leitlinie zur Diag-
         nostik, Prävention und Therapie der Tuberkulose
         im Kindes- und Jugendalter. Pneumologie 2017; 71:
         629 – 680

  2 Diel R, Loytved G, Nienhaus A et al.: Neue Empfeh-
         lungen für die Umgebungsuntersuchung bei Tuber-
         kulose. Deutsches Zentralkomitee zur Bekämpfung
         der Tuberkulose. Pneumologie 2011; 65: 359–378

  3 Schaberg T et al.: S2k-Leitlinie: Tuberkulose im
         Erwachsenenalter. Pneumologie 2017; 71: 325–397

  Autorinnen und Autoren
  a)
       PD Dr. med. Ruprecht Schmidt-Ott |
  b)
       Dr. med. Cornelia Erat | c) Lucas Velleuer
  a) 
     Regierung von Oberbayern, Maximilianstraße 39,
     80538 München
     E-Mail: ruprecht.schmidt-ott@reg-ob.bayern.de
  b) 
      Gesundheitsamt Mühldorf a. Inn, Töginger Str. 18,
      84453 Mühldorf a. Inn
      E-Mail: cornelia.erat@lra-mue.de
  c) 
     Gesundheitsamt, Esplanade 29, 85049 Ingolstadt
     E-Mail: Lucas.Velleuer@ingolstadt.de

  Korrespondenz: ruprecht.schmidt-ott@reg-ob.bayern.de

  Vorgeschlagene Zitierweise
  Schmidt-Ott R, Erat C, Velleuer L : Tuberkulose
  in Kindertagesstätten – zwei Erfahrungsberichte
  aus Bayern

  Epid Bull 2021;11:11 -16 | DOI 10.25646/7991

  Interessenkonflikt
  Die Autorinnen und Autoren erklären, dass kein
  Interes­senkonflikt ­besteht.

  Danksagung
  Besonderer Dank geht an alle beteiligten Mitarbeiter
  der Gesundheitsämter von Mühldorf a. Inn, Pfaffenho-
  fen und Ingolstadt, an Herrn PD Dr. med. Martin Rose-
  wich und Herrn Dr. med. Christian Seidel und sein
  Praxisteam.
Sie können auch lesen