UMSETZUNG DES ART 17 DSM-RL IN DEN EU- MITGLIEDSTAATEN - JKU ePUB
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Eingereicht von Melda Karaarduç Angefertigt am Institut für Europarecht Beurteiler / Beurteilerin Univ.-Prof. Dr. Franz Leidenmühler UMSETZUNG DES ART 17 DSM-RL IN DEN EU- Oktober 2020 MITGLIEDSTAATEN – EINE INHALTLICHE ANALYSE UND DARSTELLUNG AKTUELLER PROBLEME Diplomarbeit zur Erlangung des akademischen Grades Magistra der Rechtswissenschaften im Diplomstudium Rechtswissenschaften JOHANNES KEPLER UNIVERSITÄT LINZ Altenberger Straße 69 4040 Linz, Österreich jku.at DVR 0093696
EIDESSTATTLICHE ERKLÄRUNG Ich erkläre an Eides statt, dass ich die vorliegende Diplomarbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt bzw. die wörtlich oder sinngemäß entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Die vorliegende Diplomarbeit ist mit dem elektronisch übermittelten Textdokument identisch. Linz, am 01.10.2020 01. Oktober 2020 2/70
GENDER ERKLÄRUNG Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in dieser Diplomarbeit die Sprachform des generischen Maskulinums angewendet. Es wird an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass die ausschließliche Verwendung der männlichen Form geschlechtsunabhängig verstanden werden soll. 01. Oktober 2020 3/70
UMSETZUNG DES ART 17 DSM-RL IN DEN EU- MITGLIEDSTAATEN – EINE INHALTLICHE ANALYSE UND DARSTELLUNG AKTUELLER PROBLEME Inhaltsverzeichnis I. Einleitung ........................................................................................................................... 9 II. Die Rechtslage vor der DSM-RL ......................................................................................10 A. Geschichte des Urheberrechts .........................................................................................................10 B. Unklarheiten im EU-Urheberrecht vor der DSM-RL ........................................................................11 III. Das Zustandekommen der DSM-RL ................................................................................14 A. Schritte zur neuen EU-Urheberrechtsreform ...................................................................................14 B. Das ordentliche Gesetzgebungsverfahren ......................................................................................15 1. Einleitung des Verfahrens mit dem Vorschlag der Europäischen Kommission ...............................15 2. Ablauf eines ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens......................................................................15 3. Abstimmung über die EU-Urheberrechtsreform ...............................................................................16 a) Abstimmung über die Richtlinie im Europäischen Parlament ......................................................17 b) Annahme der Richtlinie im Rat der Europäischen Union .............................................................19 C. Kritik an Art 17 DSM-RL .....................................................................................................................21 IV. Systematik des Art 17 DSM-RL ........................................................................................24 A. Inhaltliche Analyse .............................................................................................................................24 1. Der Begriff des Diensteanbieters nach der DSM-RL (Art 2 Z 6 DSM-RL) .......................................24 2. Rechtsverletzung durch den Diensteanbieter (Art 17 Abs 1 und 2 DSM-RL) ..................................26 3. Pflichten und Haftung des Diensteanbieters (Art 17 Abs 3, 4 und 10 DSM-RL) ..............................27 a) Die Erlaubnis des Rechteinhabers (lit a) ......................................................................................29 b) „Alle Anstrengungen“ des Diensteanbieters (lit b) ........................................................................30 c) ‚Notice-and-Stay-Down‘ oder ‚Notice-and-Take-Down‘? (lit c) .....................................................32 4. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip (Art 17 Abs 5 DSM-RL) ................................................................32 5. Haftungserleichterung für junge Unternehmen (Art 17 Abs 6 DSM-RL) ..........................................33 6. Zur Vermeidung von Overblocking (Art 17 Abs 7 DSM-RL).............................................................34 7. Überwachungspflicht und Anspruch auf angemessene Information (Art 17 Abs 8 DSM-RL)..........35 8. Beschwerde- und Rechtsbehelfsverfahren (Art 17 Abs 9 DSM-RL) ................................................35 B. Zur Notwendigkeit von Upload-Filter ...............................................................................................36 1. Verwendung von Upload-Filter in der Gegenwart ............................................................................38 2. Probleme mit Upload-Filter ...............................................................................................................39 3. Handlungsalternativen zu Upload-Filter ...........................................................................................40 01. Oktober 2020 4/70
V. Umsetzungsvorschläge zu Art 17 DSM-RL in den EU-Mitgliedstaaten .........................43 A. Rechtslage in Deutschland ...............................................................................................................43 B. Rechtslage in Österreich ...................................................................................................................47 C. Entwürfe aus anderen EU-Mitgliedstaaten ......................................................................................47 D. Nichtigkeitsklage von Polen ..............................................................................................................48 VI. Grundrechtskonformität des Art 17 DSM-RL ..................................................................49 A. Grundrechtsquellen auf nationaler und internationaler Ebene .....................................................50 B. Die betroffenen Grundrechte ............................................................................................................51 1. Unternehmerische Freiheit (Art 16 GRC) iVm Schutz des geistigen Eigentums (Art 17 GRC) .......52 2. Meinungsäußerungsfreiheit (Art 11 GRC, Art 10 EMRK).................................................................53 3. Frage der Verhältnismäßigkeit bei einem Grundrechtseingriff .........................................................55 VII. Fazit ...................................................................................................................................56 VIII. Literaturverzeichnis ..........................................................................................................58 IX. Abbildungsverzeichnis.....................................................................................................70 01. Oktober 2020 5/70
Abkürzungsverzeichnis ABl Amtsblatt Abs Absatz AEUV Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union AKM Autoren, Komponisten und Musikverleger registrierte Genossenschaft mit beschränkter Haftung ALDE Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa AnwBl Anwaltsblatt arg argumentum Art Artikel BGBl Bundesgesetzblatt BGH Bundesgerichtshof bspw beispielsweise bzw beziehungsweise CDU Christlich Demokratische Union DSM Digital Single Market dt Deutsch EFA Europäische Freie Allianz EFDD Fraktion Europa der Freiheit und der direkten Demokratie EKR Europäische Konservative und Reformer EMRK Europäische Menschenrechtskonvention ENF Europa der Nationen und der Freiheit engl Englisch EP Europäisches Parlament ErwGr Erwägungsgrund EU Europäische Union EuGH Europäischer Gerichtshof Europol Europäisches Polizeiamt EUV Vertrag über die Europäische Union EuZW Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht EVP Fraktion der Europäischen Volkspartei f, ff und folgende FPÖ Freiheitliche Partei Österreichs 01. Oktober 2020 6/70
GRC Charta der Grundrechte der Europäischen Union GUE/NGL Konföderale Fraktion der Vereinten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke Hrsg Herausgeber idF in der Fassung IMCO Comittee on the Internal Market and Consumer Protection (dt. Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz) iSd im Sinne des iVm in Verbindung mit jusIT Zeitschrift für IT-Recht, Rechtsinformation und Datenschutz leg cit legis citatae lit litera(e) mE meines Erachtens MR Zeitschrift für Medien und Kommunikationsrecht mwN mit weiteren Nachweisen Nr Nummer oD ohne Datum oV ohne Verfasser ÖJZ Österreichische Juristen-Zeitung ÖVP Österreichische Volkspartei RL Richtlinie Rs Rechtssache Rz Randziffer S Seite SABAM Société d’Auteurs Belge – Belgische Auteurs Maatschappij S&D Progressive Allianz der Sozialdemokraten SPÖ Sozialdemokratischen Partei Österreichs StGG Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger (Österreich) TRIPS Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights (dt. Abkommen über handelsbezogene Aspekte des Geistigen Eigentums) ua unter anderem UAbs Unterabsatz UKlaG Unterlassungsklagegesetz (Deutschland) 01. Oktober 2020 7/70
UrhDaG Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetz (Deutschland) UrhDaG-E Entwurf zum Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetz (Deutschland) UrhG Urheberrechtsgesetz (Österreich) uvm und viele(s) mehr UWG Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (Österreich) Vgl Vergleiche WIPO World Intellectual Property Organization (dt. Weltorganisation für geistiges Eigentum) zB zum Beispiel 01. Oktober 2020 8/70
I. Einleitung Die Digitalisierung im Alltag entwickelt sich rasant und betrifft heutzutage fast jeden. So ist es gang und gäbe, dass sich das Leben vieler Menschen durch das Internet bzw. durch soziale Medien verändert hat, besonders im Bereich der Kommunikation untereinander. In diesem Zusammenhang haben soziale Medien wie Facebook, Instagram und Twitter an Bedeutung gewonnen, in denen Nutzer Texte und Bilder mit anderen teilen und sich austauschen können. Auch Online-Plattformen wie YouTube ermöglichen es, sekundenschnell Videos hochzuladen und zu veröffentlichen. Wie sieht es nun rechtlich aus, wenn man Bilder von Dritten ohne deren Zustimmung in den Netzwerken verbreitet, oder wenn ein Video, in dem im Hintergrund ein Musikstück zu hören ist, welches urheberrechtlich geschützt ist? Diese und weitere Fragen bezüglich Rechte und Pflichten in der digitalen Welt sind nach der aktuellen Rechtslage nicht eindeutig geklärt. Deshalb ist es dringend erforderlich, das Urheberrecht an die gegenwärtige Digitalisierung anzupassen. Dadurch, dass jedes Land eigene Urheberrechtsvorschriften hat, ist die Rechtsunsicherheit bei den Rechteinhabern in grenzüberschreitenden Angelegenheiten umso größer. Denn Online-Plattformen sind weltweit abrufbar (und gehen somit über die Ländergrenzen hinaus), weshalb eine internationale Rechtsanpassung im Urheberrecht unumgänglich ist. Auf EU-Ebene soll dies durch die Richtlinie 2019/790 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. April 2019 über das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte im digitalen Binnenmarkt und zur Änderung der Richtlinien 96/9/EG und 2001/29/EG geschehen. Vor allem soll das Recht auf Werknutzung mit den Rechten des Urhebers der geistigen Werke in Einklang gebracht werden. Diese Reform war eine der am häufigsten diskutierten Themen der letzten Jahre. Durch die Interessenkonflikte zwischen den Befürwortern der Reform auf der einen Seite und vom digitalen Zeitalter geprägten Demonstranten auf der anderen Seite, die sich in ihren Rechten auf Online-Plattformen verletzt fühlten, wurde der Richtlinie besonders viel Aufmerksamkeit geschenkt. Seit den ersten Ideen der Europäischen Kommission zur Modernisierung des Urheberrechts ist die Richtlinie nach Inkrafttreten im April vergangenen Jahres bis dato umstritten. Besonders von Kritik betroffen ist Art 17 der Richtlinie. Worum es in der hitzigen Diskussion geht und wie die Rechtslage ein Jahr nach der Entscheidung über die Richtline aussieht, soll im Rahmen dieser Diplomarbeit näher erläutert werden. 01. Oktober 2020 9/70
II. Die Rechtslage vor der DSM-RL A. Geschichte des Urheberrechts Das Urheberrecht ist historisch gesehen im Vergleich zu anderen Rechtsgebieten relativ jung. Seinen Ursprung hat es in der Neuzeit, in der die Erfindung des Buchdrucks von Johannes Gutenberg ausschlaggebend war. Um Konflikte mit Nachdruckern zu vermeiden, welche die Bücher kauften und günstiger nachproduzierten, wurden die sogenannten Druckerprivilegien erfunden. Dadurch wurde der Drucker (Verleger) geschützt, indem nur er die Privilegien besaß, die Werke zu publizieren.1 Mit der französischen Revolution wurde die Entwicklung des modernen Urheberrechts deutlich gefördert. Es entstanden zu dieser Zeit Überlegungen zum geistigen Eigentum sowie Persönlichkeitsrechte. Das älteste Urheberrechtsgesetz war die aus England stammende ‚Statute of Anne‘ (1709), dieser folgten der anglo-amerikanische ‚copyright approach‘ (1709) und das ‚droît d’auteur‘ aus Frankreich (1791 – 1793). Mithilfe dieser Gesetze wurde vor allem das ausschließliche Kopierecht der Autoren gefördert.2 In Österreich galt das Urheber-Patent aus dem Jahr 1846 als die erste Regelung zum Urheberrecht. Das Patent wurde 1895 vom Urheberrechtsgesetz abgelöst und mehrere Male novelliert. Das Stammgesetz des heutigen Urheberrechtsgesetzes trat im Jahr 1936 in Kraft.3 Auch dieses wurde mehrfach novelliert, um an den neuen technischen und internationalen Entwicklungen angepasst zu werden. Auf völkerrechtlicher Ebene sind Regelungen zum Urheberrecht unter anderem im Welturheberrechtsabkommen, in der Revidierten Berner Übereinkunft, im Abkommen über handelsbezogene Aspekte des Geistigen Eigentumsrechts (TRIPS) und im Urheberrechtsvertrag (WIPO Copyright Treaty) niedergeschrieben.4 Nach dem Beitritt zur Europäischen Union hat Österreich mehrere EU-Richtlinien in das innerstaatliche Recht umgesetzt. Diese Vorschriften richten sich an die Mitgliedstaaten, weshalb die Ziele der Richtlinien für diese verbindlich sind. Die Form und Mittel zur Umsetzung einer EU-Richtlinie sind allerdings nach Art 288 Abs 3 AEUV den 1 Vgl Walter, Grundriss des österreichischen Urheber-, Urhebervertrags- und Verwertungsgesellschaftenrechts (2016), 8. 2 Vgl Gehring/Djordjevic, Geschichte des Urheberrechts, in: bpb.de, 01.10.2013, URL: https://www.bpb.de/gesellschaft/medien-und-sport/urheberrecht/169977/geschichte-des-urheberrechts, Abruf am 14.07.2020. 3 Vgl Urheberrechtsgesetz BGBl 111/1936 idF BGBl I 105/2018. 4 Vgl Haybäck, Marken- und Immaterialgüterrecht4 (2014), 131. 01. Oktober 2020 10/70
Mitgliedstaaten überlassen. Diese Harmonisierungsrichtlinien der EU dienen dazu, innerstaatliche Rechtsordnungen den EU-Vorgaben anzupassen und somit Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten zu minimieren bzw gänzlich aufzuheben. 5 Vereinheitlicht wurden unter anderem aus urheberrechtlicher Perspektive Regelungen zu Computerprogrammen durch die Software-RL6, welche sogar vor dem EU-Beitritt mit dem Urheberrechtsgesetz-Novelle 1993 zum österreichischen Recht überführt wurde, und digitale Bestimmungen im Onlinebereich durch die Info-RL7 mit der Urheberrechtsgesetz-Novelle 2003.8 B. Unklarheiten im EU-Urheberrecht vor der DSM-RL Dadurch, dass geschützte Werke heutzutage im Internet weltweit abrufbar sind, hat das Urheberrecht einen grenzüberschreitenden Bezug. Das bisherige österreichische Urheberrecht basiert allerdings auf dem Territorialitätsprinzip. Dies bedeutet, dass jedes Land innerhalb seines Territoriums eigene Regelungen zum Urheberrecht festschreiben kann.9 Zwar sind gemäß der Info-RL die Rechte des Urhebers in allen Mitgliedstaaten zu schützen, dennoch unterliegt das Urheberrecht auf Grund des Territorialitätsprinzips dem materiellen Recht des jeweiligen Mitgliedstaates.10 Aus diesem Grund ist es schwierig festzustellen, welches Recht bei Handlungen im Internet anwendbar ist, da im digitalen Bereich keine konkrete territoriale Zuordnung existiert. Dies hätte durch eine Harmonisierung des Urheberrechts mit der Info-RL geregelt werden können. Allerdings konnte hier nur ein geringer Grad der Harmonisierung erreicht werden, da den Mitgliedstaaten eine große Entscheidungsfreiheit belassen wurde. Die Schrankenkataloge der einzelnen Mitgliedsstaaten waren nämlich aufgrund einer unzureichenden Vorgabe der EU-Richtlinie spürbar unterschiedlich. Dies hatte de facto 5 Vgl Leidenmühler, Europarecht3 (2017), 52 ff. 6 Vgl Richtlinie 91/250/EWG des Rates vom 14. Mai 1991 über den Rechtsschutz von Computerprogrammen, ABl 1991 L 122, 42 ff. 7 Vgl Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft, ABl 2001 L 167, 10 ff. 8 Vgl Walter, Grundriss des österreichischen Urheber-, Urhebervertrags- und Verwertungsgesellschaftenrechts (2016), 9. 9 Vgl Haybäck, Marken- und Immaterialgüterrecht4 (2014), 125. 10 Vgl Steinhardt/Pilz, Gerichtsstand bei Verletzung von Urheberrechten durch eine Website – Lichtbild, MR 2015, 86ff (88). 01. Oktober 2020 11/70
die Konsequenz, dass in einem Mitgliedstaat etwas verboten werden konnte, was in einem anderen gestattet war.11 Abgesehen davon hat sich das Internet seit 2001 rasant weiterentwickelt. Es entstanden die uns heute bekannten Online-Plattformen wie Facebook (2004)12, YouTube (2005)13, Twitter (2006)14 und Instagram (2010)15, welche von den urheberrechtlichen Regelungen der Info-RL nicht umfasst waren. Da durch die Entstehung dieser Plattformen eine Verbreitung von Daten wesentlich erleichtert und beschleunigt wurde, bedarf es nun einem angemessenen Schutz, um Urheberrechtsverletzungen im digitalen Raum entgegenzuwirken. Nimmt man das Videoportal YouTube als Beispiel, erkennt man schnell den Unterschied zwischen analogem und digitalem Urheberrecht: Während Urheber beispielsweise auf musikalischen Veranstaltungen oder im Radio für die Dauer der Wiedergabe eines Musikwerks Vergütungen bekommen, ist es in der digitalen Welt kaum nachweisbar, in welchem Umfang ein Werk hochgeladen und wiedergegeben wird. Auf YouTube können von Nutzern alle Arten von Videos – seien es Musikvideos, Filmausschnitte oder selbstgedrehte Filme – hochgeladen und dadurch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Auch kann nur ein Bruchteil eines Musikstückes in einem Videomaterial verwendet werden, weshalb es umso komplizierter ist, einen Überblick über die genaue Wiedergabe von urheberrechtlich geschützten Werken zu bewahren und Vergütungsansprüche geltend zu machen.16 Bei der Verbreitung von urheberrechtlich geschütztem Material im Internet ist es unklar, ob der Nutzer oder die Plattform für urheberrechtsverletzende Inhalte verantwortlich ist. Der für Urheberrechtsangelegenheiten zuständige deutsche Bundesgerichtshof hat dem Europäischen Gerichtshof mit Beschluss vom 13. September 2018 unter anderem folgende (Primärrechts-)Frage zur Auslegung vorgelegt: Im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens gemäß Art 267 AEUV soll der EuGH zur Rechtssache 11 Vgl Kreutzer/Pachali, Europäische Vorgaben für das deutsche Recht – Die Harmonisierung des Urheberrechts, in: irights.info, 10.10.2016, URL: https://irights.info/artikel/die-harmonisierung-des-urheberrechts/5069, Abruf am: 14.07.2020. 12 Vgl Welling, Seit wann gibt es Facebook? Die Entstehungsgeschichte, in: praxistipps.chip.de, 10.04.2018, URL: https://praxistipps.chip.de/seit-wann-gibt-es-facebook-die-entstehungsgeschichte_101377, Abruf am 15.07.2020. 13 Vgl Boie, Masse und Macht, in: sueddeutsche.de, 14.02.2015, URL: https://www.sueddeutsche.de/digital/youtube- wird-zehn-masse-und-macht-1.2349561, Abruf am 15.07.2020. 14 Vgl Reißmann/Lischka/Stöcker, Meilensteine des Weiterzähl-Webs, in: spiegel.de, 20.03.2011, URL: https://www.spiegel.de/netzwelt/web/fuenf-jahre-twitter-geschichte-meilensteine-des-weitererzaehl-webs-a- 751859.html, Abruf am 15.07.2020. 15 Vgl Heuser, Geschichten eines Bilderstürmers, in: zeit.de, 07.04.2016, URL: https://www.zeit.de/2016/16/instagram- kevin-systrom-soziale-medien, Abruf am 15.07.2020. 16 Vgl Kamenz/Weiß, Die EU-Urheberrechtsreform – Urheberrecht versus Meinungsfreiheit (2019), 8. 01. Oktober 2020 12/70
C-682/18 entscheiden, ob der Betreiber der Internetplattform YouTube für urheberrechtsverletzende Inhalte, die von Dritten hochgeladen werden, haften soll. 17 In casu klagte der deutsche Musikproduzent Frank Peterson im Jahr 2008 YouTube an, da mehrere Tonträger, an denen er die Rechte hielt, auf die Plattform hochgeladen wurden. Er verlangte Schadenersatz von YouTube und die Mitteilung, welche Nutzer für die Verbreitung verantwortlich waren.18 YouTube und ähnliche Video-Plattformen erzielen mit der Verbreitung von urheberrechtlich geschützten Werken (durch beispielsweise Platzierung von Werbungen) Einnahmen. Nach der aktuellen Rechtslage sind allerdings nicht die Betreiber der Online-Plattformen, sondern die Nutzer für die veröffentlichten Inhalte verantwortlich.19 Dem zustimmend erläuterte der Generalanwalt20 Saugmandsgaard Øe in seinem Schlussantrag vom 16. Juli 2020 zum vorliegenden Rechtsstreit, dass Betreiber von Online-Plattformen nicht unmittelbar für das urheberrechtsverletzende Hochladen von geschützten Inhalten haften. Der EuGH wurde ersucht, seine Entscheidung auf die derzeit geltenden Vorschriften der Richtlinien 2000/31/EG21, 2001/29/EG22, 2004/48/EG23 zu stützen, da die RL 2019/790, mit welcher neue Haftungsregelungen für Betreiber von Online-Plattformen eingeführt werden, in 17 Vgl BGH 13.09.2018, I ZR 140/15 = Bundesgerichtshof, Pressemitteilung: Bundesgerichtshof legt dem Gerichtshof der Europäischen Union Fragen zur Haftung von YouTube für Urheberrechtsverletzungen vor, in: juris.bundesgerichtshof.de, 13.09.2018, URL: http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi- bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&sid=b8aafb8402ad793f8a66fb579d54d791&nr=87859&pos=1 &anz=101&Blank=1.pdf, Abruf am 19.07.2020. 18 Vgl APA, Streit um Youtube-Haftung bei Urheberrechtsverletzung geht zum EuGH, in: derstandard.at, 13.09.2018, URL: https://www.derstandard.at/story/2000087295044/streit-um-youtube-haftung-bei-urheberrechts-verletzung-geht- zum-eugh, Abruf am 19.07.2020. 19 Vgl Kamenz/Weiß, Die EU-Urheberrechtsreform – Urheberrecht versus Meinungsfreiheit (2019), 7 f. 20 Der Generalanwalt ist ein Mitglied des Europäischen Gerichtshofs und hat nach Art 252 Abs 2 AEUV unparteiliche und unabhängige Schlussanträge zu stellen, um den Gerichtshof bei seinen Aufgaben zu unterstützen. Diese Schlussanträge stellen ein Rechtsgutachten dar und beinhalten einen Entscheidungsvorschlag. Da es sich bloß um einen Vorschlag handelt, ist der EuGH selbstverständlich bei der Entscheidungsfindung nicht an den Schlussantrag des Generalanwalts gebunden. Allerdings folgt der EuGH in der Regel dem Schlussantrag. Siehe dazu: Riedl/Posch, in Mayer/Stöger (Hrsg), EUV/AEUV (2012), Art 252 AEUV, Rz 12; Bundeszentrale für politische Bildung, Generalanwalt, in: bpb.de, oD, URL: https://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/pocket-europa/16813/generalanwalt, Abruf am 18.07.2020. 21 Vgl Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt, ABl 2000 L 178, 1 ff. 22 Vgl Info-RL 2001/29/EG, ABl 2001 L 167, 10 ff. 23 Vgl Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums, ABl 2004 L 195, 16 ff. 01. Oktober 2020 13/70
Deutschland noch nicht in innerstaatliches Recht umgesetzt wurde und somit bis dato nicht anwendbar ist.24 Der Europäische Gerichtshof hat im Zeitpunkt der Verfassung dieser Diplomarbeit (Stand: September 2020) noch nicht in der Sache entschieden. Durch diesen Rechtsstreit ist jedenfalls ersichtlich, dass eine Neuerung im europäischen Urheberrecht unabdingbar ist, um Klarheit im digitalen Raum zu schaffen. III. Das Zustandekommen der DSM-RL A. Schritte zur neuen EU-Urheberrechtsreform Bereits im Mai 2015 hat die EU-Kommission ihre Pläne zur Schaffung eines digitalen Binnenmarkts in der EU veröffentlicht. Vorgestellt wurden hierbei Initiativen zu Harmonisierungsmaßnahmen, um ein modernes und europäisches Urheberrecht zu ermöglichen. Vor allem aber sollten laut Mitteilung der Kommission Online-Plattformen und ihre Rolle in Bezug auf urheberrechtlich geschützte Werke näher kontrolliert werden, indem die Ahndung gewerbsmäßiger Schutzrechtsverletzungen verschärft werden soll. Des Weiteren sollten Online-Plattformen analysiert und Lösungen gefunden werden, um illegale Inhalte im Internet bestmöglich einzuschränken.25 Im Dezember desselben Jahres hat die Kommission ihr Konzept zur Modernisierung des EU-Urheberrechts präsentiert. Da die letzte unionsweite urheberrechtliche Regelung auf das Jahr 2001 zurückging, sah es die Kommission als unerlässlich, die Modernisierung des digitalen Binnenmarkts rechtlich zu regeln, um sich der dynamisch entwickelnden Digitalisierung anzupassen. Die konkreten Vorschläge sollten in den darauffolgenden sechs Monaten erfolgen.26 24 Vgl Gerichtshof der Europäischen Union, Pressemitteilung: Schlussanträge des Generalanwalts in den verbundenen Rechtssachen C-682/18 Frank Peterson / Google LLC, YouTube LLC, YouTube Inc. und Google Germany GmbH sowie C-683/18 Elsevier Inc. / Cyando AG, in: curia.europa.eu, 16.07.2020, URL: https://curia.europa.eu/jcms/upload/docs/application/pdf/2020-07/cp200096de.pdf, Abruf am 19.07.2020. 25 Vgl Europäische Kommission, Pressemitteilung: Ein digitaler Binnenmarkt für Europa – Kommission stellt 16 Initiativen zur Verwirklichung vor, in: ec.europa.eu, 06.05.2015, URL: https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/IP_15_4919, Abruf am 18.07.2020. 26 Vgl Europäische Kommission, Pressemitteilung: Kommission unternimmt erste Schritte für einen breiteren Zugang zu OnlineInhalten und legt ihr Konzept für die Modernisierung des Urheberrechts in der EU dar, in: ec.europa.eu, 09.12.2015, URL: https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/IP_15_6261, Abruf am 18.07.2020. 01. Oktober 2020 14/70
B. Das ordentliche Gesetzgebungsverfahren 1. Einleitung des Verfahrens mit dem Vorschlag der Europäischen Kommission Stützend auf Art 114 AEUV veröffentlichte die Kommission am 14. September 2016 einen Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments (EP) und des Rates über das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt. Hier erwähnte die Kommission zum ersten Mal die Form des Rechtsaktes, nämlich dass die neue Regelung – wie auch die Info-RL – als eine Richtlinie in Kraft treten soll.27 Im Vergleich zu einer Verordnung, welche unmittelbar in den Mitgliedstaaten wirksam ist, bedarf es bei einer Richtline der innerstaatlichen Umsetzung. Dadurch wird den Ländern bei der Umsetzung ein größerer Handlungsspielraum eingeräumt.28 Hier könnten sich somit dieselben Harmonisierungsprobleme ergeben wie bei der Richtlinie aus dem Jahr 2001, welche mE mit einer Verordnung, die das Urheberrecht in jedem Mitgliedstaat inhaltlich gleich und verbindlich regeln würde, vermeidbar gewesen wären. Die Kommission sieht dies allerdings anders und begründet in seinem Vorschlag die fehlende Notwendigkeit einer Verordnung damit, dass Ausnahmen und Beschränkungen in Bezug auf Urheberrechte bereits harmonisiert seien und der Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten deshalb schon reduziert sei.29 2. Ablauf eines ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens Der Vorschlag der Europäischen Kommission ist der erste Schritt zur Eröffnung des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens nach Art 294 AEUV. Die Bearbeitung der Gesetzesentwürfe der Kommission obliegt den Ausschüssen des Europäischen Parlaments. Es existieren insgesamt 20 parlamentarische Ausschüsse, die für gewisse Bereiche zuständig sind.30 In der ersten Lesung legt das Europäische Parlament seinen Standpunkt fest und über den Text wird im Plenum abgestimmt. Daraufhin wird der Entwurf des Europäischen Parlaments dem Rat der Europäischen Union vorgelegt. Dieser kann der Entscheidung des Parlaments zustimmen oder im Rahmen eines 27 Vgl Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt, 14.09.2016, COM/2016/0593 final, 2016/0280 (COD). 28 Vgl Leidenmühler, Europarecht3 (2017), 58. 29 Vgl Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt, 14.09.2016, COM/2016/0593 final, 2016/0280 (COD). 30 Vgl Europäisches Parlament, Ausschüsse, in: europarl.europa.eu, oD, URL: https://www.europarl.europa.eu/austria/de/europa/parlament/organisation/committees.html#:~:text=Die%20legislative %20Aufgabe%20der%20Aussch%C3%BCsse,des%20Mitentscheidungsverfahrens%20das%20letzte%20Wort., Abruf am 24.07.2020. 01. Oktober 2020 15/70
sogenannten ‚gemeinsamen Standpunktes‘ Änderungen vornehmen, wodurch der Entwurf dem Parlament zugestellt wird und dieses in einer zweiten Lesung über den Änderungsvorschlag des Rates abstimmt. Werden die Änderungen des Parlaments vom Rat abgelehnt, muss ein Vermittlungsausschuss einberufen werden. Falls es dann zu einer Einigung kommt, müssen sich das Parlament und der Rat in einer dritten Lesung einigen. Ansonsten ist das Gesetz gescheitert und es muss ein neues Gesetzgebungsverfahren initiiert werden. Bei Einigung wird der Vorschlag von den Präsidenten und Generalsekretären des EP und des Rates unterzeichnet und im Amtsblatt veröffentlicht.31 3. Abstimmung über die EU-Urheberrechtsreform Einer der ständigen Ausschüsse, nämlich jener für Binnenmarkt und Verbraucherschutz (IMCO), hat am 08. Juni 2017 als erstes über den Richtlinienentwurf der Kommission abgestimmt. Bis auf die Einführung von obligatorischen Upload-Filtern wurde dem Entwurf zugestimmt.32 Folglich kam es im Zeitraum von Jänner bis Mai 2018 zu diversen Kompromissvorschlägen seitens des EP, des Rates und der bulgarischen Präsidentschaft.33 Am bedeutendsten waren die Vorschläge des deutschen Abgeordneten und Berichterstatters Axel Voss von der Christlich Demokratischen Union (CDU). Diesen stimmte der Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments zu und sprach sich für Trilogverhandlungen mit der Kommission und dem Rat aus.34 Das Verhandlungsmandat wurde in einer ersten Abstimmung am 05. Juli 2018 vom EP abgelehnt35, nach einiger Änderungen des Richtlinientextes wurde es in einer zweiten Abstimmung am 12. September 2018 allerdings angenommen.36 31 Vgl Europäisches Parlament, Ordentliches Gesetzgebungsverfahren, in: europael.europa.eu, oD, URL: https://www.europarl.europa.eu/infographic/legislative-procedure/index_de.html, Abruf 17.07.2020. 32 Vgl Institut für Urheber- und Medienrecht, EU-Urheberrechtsreform – Erste Abstimmung im EU-Parlament, in: urheberrecht.org, 11.06.2017, URL: http://www.urheberrecht.org/news/5878/, Abruf am 24.07.2020. 33 Vgl Biselli, Urheberrechtsreform – Was in den letzten drei Jahren geschah, in: netzpolitik.org, 01.03.2019, URL: https://netzpolitik.org/2019/urheberrechtsreform-was-in-den-letzten-drei-jahren-geschah/, Abruf am 25.07.2020. 34 Vgl Europäisches Parlament, Pressemitteilung: Urheberrecht – Europaabgeordnete aktualisieren Regeln für das digitale Zeitalter, in: europarl.europa.eu, 20.06.2018, URL: https://www.europarl.europa.eu/news/de/press- room/20180618IPR06024/urheberrecht-europaabgeordnete-aktualisieren-regeln-fur-das-digitale-zeitalter, Abruf am 25.07.2020. 35 Vgl Europäisches Parlament, Pressemitteilung: Parlament will Urheberrechtsreform im September überarbeiten, in: europarl.europa.eu, 05.07.2018, URL: https://www.europarl.europa.eu/news/de/press- room/20180628IPR06809/parlament-will-urheberrechtsreform-im-september-uberarbeiten, Abruf am 25.07.2020. 36 Vgl Abänderungen des Europäischen Parlaments vom 12. September 2018 zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt, ABl 2019 C 433, 248. 01. Oktober 2020 16/70
Nach mehreren Treffen des Trilogs wurden am 13. Februar 2019 die Verhandlungen erfolgreich abgeschlossen und der Rechtsausschuss des EP billigte am 26. Februar 2019 den Richtlinienentwurf zum Urheberrecht im Internet.37 a) Abstimmung über die Richtlinie im Europäischen Parlament Am 26. März 2019 wurde die Richtlinie und damit die Reform des Urheberrechtsschutzes im EP gebilligt.38 Abstimmungsergebnis im Europäischen Parlament am 26. März 2019, Quelle: https://twitter.com/Senficon/status/1110509831989936128?ref_src=twsrc%5Etfw%7Ctwcamp%5Etweetembed%7Ctw term%5E1110514261112045568%7Ctwgr%5E&ref_url=https%3A%2F%2Fwww.derstandard.at%2Fstory%2F200010 0235742%2Feu-parlament-stimmt-fuer-urheberrecht-mit-uploadfilter-und-leistungsschutzrecht, Abruf am 25.07.2020. Die Richtlinie ist mit einer Mehrheit von 74 Stimmen (348 zu 274 Stimmen bei 36 Enthaltungen) angenommen worden. Anwesend und stimmberechtigt waren 651 von 751 Abgeordneten des EP. Eine Abstimmung über Änderungsanträge wurde mit bloß fünf Stimmen (312 zu 317 Stimmen bei 24 Enthaltungen) abgelehnt. 39 Bei den Änderungsanträgen änderten laut Protokoll40 zehn Abgeordnete ihr Votum auf Zustimmen, zwei auf Ablehnen und einer auf Enthaltung. Diese Korrektur entfaltete 37 Vgl Europäisches Parlament, Pressemitteilung: Reform des EU-Urheberrechts – EP-Rechtsausschuss billigt Einigung mit Rat, in: europarl.europa.eu, 26.02.2019, URL: https://www.europarl.europa.eu/news/de/press- room/20190226IPR28811/reform-des-eu-urheberrechts-ep-rechtsausschuss-billigt-einigung-mit-rat, Abruf am 25.07.2020. 38 Vgl Europäisches Parlament, Pressemitteilung: Parlament billigt Reform des digitalen Urheberrechtsschutzes, in: europarl.europa.eu, 26.03.2019, URL: https://www.europarl.europa.eu/news/de/press- room/20190321IPR32110/parlament-billigt-reform-des-digitalen-urheberrechtsschutzes, Abruf am 25.07.2020. 39 Vgl Institut für Urheber- und Medienrecht, Europäisches Parlament stimmt für Reform des Urheberrechts, in: urheberrecht.org, 26.03.2019, URL: http://www.urheberrecht.org/news/p/1/i/6193/, Abruf am 25.07.2020. 40 Vgl oV, Protokoll: Ergebnis der namentlichen Abstimmungen - Anlage, in: europarl.europa.eu, 11.04.2019, URL: https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/PV-8-2019-03-26-RCV_DE.pdf?redirect, Abruf am 25.07.2020. 01. Oktober 2020 17/70
allerdings keine rechtliche Wirkung, da sie erst nach Abstimmung und somit nicht rechtzeitig erfolgte.41 Tabelle 1: Abstimmungsergebnisse nach Fraktionen im Europäischen Parlament am 26. März 2019 Fraktionen Mitglieder Dafür Dagegen Enthalten / gesamt (2019)42 Nicht anwesend EVP 216 153 28 35 S&D 187 99 54 34 EKR 77 23 42 12 ALDE 69 36 25 8 GUE / NGL 52 5 36 11 Grüne / EFA 52 4 39 9 EFDD 42 6 28 8 ENF 36 15 14 7 Fraktionslose 20 7 8 5 Abstimmungsergebnisse nach Zugehörigkeit zu Fraktionen im Europaparlament am 26. März 2019. Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Richtlinie_(EU)_2019/790_(Urheberrecht_im_digitalen_Binnenmarkt)#cite_ref- Abstimmung2603_49-2, Abruf am 25.07.2020. Wie den Grafiken zu entnehmen ist, stimmten rund 71 % der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP), 53 % der Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten (S&D) und 52 % der Fraktion der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa (ALDE) mehrheitlich für die Reform. Die Europäischen Konservativen und Reformer (EKR), die Grünen/Europäische Freie Allianz (EFA), die Konföderale Fraktion der Vereinten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke (Gue/NGL) und die Fraktion 41 Vgl Zeit Online, Abgeordnete ändern nachträglich Abstimmungsverhalten zum Urheberrecht, in: zeit.de, 27.03.2019, URL: https://www.zeit.de/digital/internet/2019-03/eu-parlament-abstimmung-urheberrechtsreform- korrigierung-abgeordnete, Abruf am 25.07.2020. 42 Vgl oV, Liste der Mitglieder des 8. Europäischen Parlamentes, in: de.wikipedia.org, 09.06.2020, URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Mitglieder_des_8._Europ%C3%A4ischen_Parlamentes, Abruf am 25.07.2020. 01. Oktober 2020 18/70
Europa der Freiheit und der direkten Demokratie (EFDD) stimmten überwiegend gegen die Urheberrechtsreform.43 Betrachtet man nun das Abstimmungsverhalten der österreichischen Parteien im EP, ist dem folgenden Diagramm zu entnehmen, dass die Österreichische Volkspartei (ÖVP) einheitlich für die Reform stimmte, die Grünen und die NEOS klar dagegen. Die EU- Abgeordneten der Sozialdemokratischen Partei Österreichs (SPÖ) zeigten ein der S&D widersprechendes Abstimmungsverhalten indem sie bis auf die Abwesenheit von einem Abgeordneten gegen den digitalen Urheberrechtsschutz stimmten. Die Vertreter der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) enthielten sich der Stimme oder waren abwesend.44 Abstimmungsergebnisse nach Zugehörigkeit zu österreichischen Parteien im Europaparlament am 26. März 2019. Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Richtlinie_(EU)_2019/790_(Urheberrecht_im_digitalen_Binnenmarkt)#cite_ref- Abstimmung2603_49-2, Abruf am 25.07.2020. Damit endete das Verfahren für das Europäische Parlament und es folgte die Zustimmung des Rates.45 b) Annahme der Richtlinie im Rat der Europäischen Union Am 15. April 2019 hat auch der Rat der Europäischen Union die Richtlinie gebilligt. 46 Damit ein Beschluss zustande kommt, ist gemäß Art 238 Abs 3 lit a AEUV eine qualifizierte Mehrheit von mindestens 55 % der Mitglieder des Rates erforderlich, die 43 Vgl oV, Protokoll: Ergebnis der namentlichen Abstimmungen - Anlage, in: europarl.europa.eu, 11.04.2019, URL: https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/PV-8-2019-03-26-RCV_DE.pdf?redirect, Abruf am 25.07.2020. 44 Vgl oV, EU-Parlament stimmt für Copyrightreform, in: orf.at, 26.03.2019, URL: https://orf.at/stories/3116511/, Abruf am 25.07.2020. 45 Vgl Institut für Urheber- und Medienrecht, Europäisches Parlament stimmt für Reform des Urheberrechts, in: urheberrecht.org, 26.03.2019, URL: http://www.urheberrecht.org/news/p/1/i/6193/, Abruf am 25.07.2020. 46 Vgl Rat der Europäischen Union, EU passt Urheberrecht an digitales Zeitalter an, in: consilium.europa.eu, 15.04.2019, URL: https://www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/2019/04/15/eu-adjusts-copyright-rules-to- the-digital-age/, Abruf am 26.07.2020. 01. Oktober 2020 19/70
zusammen nicht weniger als 65 % der Gesamtbevölkerung der Mitgliedstaaten ausmachen. Tabelle 2: Abstimmungsergebnisse des Rates der Europäischen Union vom 15. April 2019 Staat Anteil an EU- Abstimmung48 Bevölkerung47 Belgien 2,22 % Enthaltung Bulgarien 1,37 % Dafür Dänemark 1,13 % Dafür Deutschland 16,12 % Dafür Estland 0,26 % Enthaltung Finnland 1,07 % Dagegen Frankreich 13,10 % Dafür Griechenland 2,09 % Dafür Vereinigtes Königreich 12,90 % Dafür Irland 0,94 % Dafür Italien 11,92 % Dagegen Kroatien 0,80 % Dafür Lettland 0,38 % Dafür Litauen 0,55 % Dafür Luxemburg 0,12 % Dagegen Malta 0,09 % Dafür Niederlande 3,37 % Dagegen Österreich 1,71 % Dafür Polen 7,40 % Dagegen Portugal 2,00 % Dafür Rumänien 3,80 % Dafür Schweden 1,98 % Dagegen Slowakei 1,06 % Dafür Slowenien 0,40 % Enthaltung Spanien 9,09 % Dafür Tschechien 2,04 % Dafür Ungarn 1,91 % Dafür Zypern 0,17 % Dafür 47 Vgl Beschluss 2018/2076 des Rates vom 20. Dezember 2018 zur Änderung seiner Geschäftsordnung, ABl 2018 L 331, 218 ff. 48 Vgl Rat der Europäischen Union, Agriculture and Fisheries Council – Public session, in: video.consilium.europa.eu, 15.04.2019, URL: https://video.consilium.europa.eu/en/webcast/78d4c4bd-71eb-4825-9857-6fdbe5c64046, Abruf am 26.07.2020. 01. Oktober 2020 20/70
Laut Tabelle haben 19 Staaten bei der Sitzung des Rates für Landwirtschaft und Fischerei der Urheberrechtsreform zugestimmt, welche insgesamt einen EU- Bevölkerungsanteil von 67,85 % ausmachen und somit einen Beschluss fassen können. Sechs Länder (Finnland, Italien, Luxemburg, Niederlande, Polen, Schweden) stimmten gegen den Richtlinienentwurf des EP. Estland hatte zunächst darauf gedrängt, die Abstimmung zu verschieben, da es den Gesetzestext als nicht ausgewogen sah. Schließlich enthielten sie sich genauso wie Belgien und Slowenien.49 Dies reichte allerdings für eine Sperrminorität nicht aus, da die den Beschluss verhindernden Mitgliedstaaten nach Art 238 Abs 3 lit a AEUV mindestens 35 % der EU-Gesamtbevölkerung ausmachen müssen. In casu machte der EU- Bevölkerungsanteil der enthaltenden und ablehnenden Staaten insgesamt bloß 28,74 % aus. Somit wurde eine qualifizierte Mehrheit erreicht und der Gesetzgebungsakt angenommen.50 Die Richtlinie 2019/79051 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. April 2019 über das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte im digitalen Binnenmarkt und zur Änderung der Richtlinien 96/9/EG und 2001/29/EG wurde am 17. Mai 2019 im Amtsblatt der Europäischen Union kundgemacht und ist nach Art 31 leg cit seit 06. Juni 2019 in Kraft. Gemäß Art 29 leg cit ist sie bis 07. Juni 2021 in nationales Recht umzusetzen, was einer Frist von 24 Monaten entspricht.52 Die Richtlinie wird öfters – und auch in dieser Diplomarbeit – mit DSM-RL53 abgekürzt. C. Kritik an Art 17 DSM-RL Kaum war eine Bestimmung in der Geschichte des europäischen Gesetzgebungsverfahrens je so kontrovers wie Art 17 DSM-RL. Denn regelmäßig wird 49 Vgl Krempl, EU-Urheberrechtsreform endgültig beschlossen – EU-Rat lässt Upload-Filter passieren, in: heise.de, 15.04.2019, URL: https://www.heise.de/newsticker/meldung/EU-Urheberrechtsreform-Reform-endgueltig- beschlossen-4399418.html, Abruf am 26.07.2020. 50 Vgl Rat der Europäischen Union, Video: Agriculture and Fisheries Council – Public session, in: video.consilium.europa.eu, 15.04.2019, URL: https://video.consilium.europa.eu/en/webcast/78d4c4bd-71eb-4825- 9857-6fdbe5c64046, Abruf am 26.07.2020. 51 Vgl Richtlinie 2019/790 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. April 2019 über das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte im digitalen Binnenmarkt und zur Änderung der Richtlinien 96/9/EG und 2001/29/EG, ABl 2019 L 130, 92 ff. 52 Vgl DSM-RL 2019/790, ABl 2019 L 130, 125. 53 DSM für ‚Digital Single Market‘ (dt Digitaler Binnenmarkt); ein digitaler Binnenmarkt stellt laut Mitteilung der Kommission vom 6. Mai 2015 einen geplanten Wirtschaftsraum innerhalb der EU für einen besseren Zugang zu digitalen Waren und Dienstleistungen dar. Siehe dazu: Europäische Kommission, Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen - Strategie für einen digitalen Binnenmarkt für Europa, in: eur-lex.europa.eu, 06.05.2015, URL: https://eur- lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52015DC0192&from=EN, Abruf am 26.07.2020. 01. Oktober 2020 21/70
mit der Umsetzung dieser Norm die Verpflichtung zur Verwendung von Upload-Filter und die Zensur des Internets verbunden. Kurz zusammengefasst, müssten Online- Plattformen mithilfe der Upload-Filter bereits während des Hochladens überprüfen, ob es sich um urheberrechtlich geschützte Inhalte handelt und infolgedessen diese blockieren oder Lizenzen erwerben. Aus diesem Grund handle es sich laut Kritikern um ein unverhältnismäßiges Kontrollinstitut, welches nicht zwischen legalen und illegalen Inhalten unterscheiden könne.54 Europaweit kam es schon seit dem Beginn des Gesetzgebungsverfahren zu Protesten gegen die EU-Urheberrechtsreform, darunter auch in Österreich und Deutschland. Unter dem Motto „Save the Internet“ gingen am 23. März 2019 – kurz vor der Abstimmung über die Reform im Europäischen Parlament – Dutzende Demonstranten auf die Straßen.55 Die mit Abstand größten Demonstrationen fanden in Deutschland statt. Hinter ihnen stand unter anderem der Chaos Computer Club, welche die größte europäische Hackervereinigung darstellt. Sie bezeichneten die Upload-Filter als fehleranfällig, da diese nicht zwischen erlaubter Satire oder Parodien und tatsächlichen Urheberrechtsverletzungen unterscheiden würden.56 Der Zweifel in Bezug auf die Unfehlbarkeit von Algorithmen seien bereits auf der Videoplattform YouTube ersichtlich. Denn das Content-ID-System (siehe dazu Kapitel IV.B.1.) würde unrechtmäßigerweise Inhalte von Nutzern sperren. Mit der Umsetzung des Art 17 DSM-RL würde diese Problematik verschärft werden.57 Stärkste Gegner des damaligen Art 13 (nun Art 17) DSM-RL sind diejenigen, deren Lebensgrundlage das Erstellen und Veröffentlichen von Videos auf YouTube sind, die sogenannten ‚YouTuber‘. Durch die Upload-Filter befürchteten sie die Zensur ihrer Inhalte. Folglich riefen sie in ihren Videos ihre (meist jungen) Zuschauer dazu auf, 54 Vgl Hochleitner/Wimmer, Sind die politischen Bedenken gegen Art 17 der neuen Urheberrechts-Richtlinie der EU begründet?, jusIT 2019, 135 ff (136). 55 Vgl APA, Europaweiter Protest gegen neues Urheberrecht und Artikel 13, in: diepresse.com, 23.03.2019, URL: https://www.diepresse.com/5600678/europaweiter-protest-gegen-neues-urheberrecht-und-artikel-13, Abruf am 12.08.2020. 56 Vgl Winde/Tobien, EU-Copyright-Reform – Der Kampf gegen Artikel 13, in: heise.de, 01.03.2019, URL: https://www.heise.de/newsticker/meldung/Urheberrechtsreform-Der-Kampf-gegen-Artikel-13-4323738.html, Abruf am 12.08.2020. 57 Vgl Djordjevic/Steinhau, Worum es beim Streit um Uploadfilter und Leistungsschutzrecht geht, in: irights.info, 27.02.2019, URL: https://irights.info/artikel/worum-geht-es-beim-streit-um-uploadfilter-und-leistungsschutzrecht/29413, Abruf am 12.08.2020. 01. Oktober 2020 22/70
gegen die EU-Urheberrechtsreform zu protestieren. So fanden sich neben Netzaktivisten auch viele Jugendliche bei den Demonstrationen ein.58 Auch Kleinparteien im Europäischen Parlament erkennen die Thematik als Problem. Die bekannteste Gegnerin der Reform war Julia Reda, die einzige Abgeordnete der Piraten im EP von 2014 bis 2019. Sie nahm persönlich an den Protesten in Berlin teil und warnte davor, dass die Richtlinie das Internet, wie man es kenne, grundlegend verändern würde.59 Ihr zustimmend haben sich auch andere deutsche Parteien wie Die Linke und Grünen kritisch zu den Plänen in der EU geäußert. Dennoch hat die deutsche Bundesregierung dem Entwurf im Rat der Europäischen Union zugestimmt. Das Ergebnis der Abstimmung im Europäischen Parlaments am 26. März 2019 wurde vor allem vom CDU-Politiker und Berichterstatter des EP Axel Voss begrüßt. Er bezeichnete es als ein „Sieg für die Demokratie“60, da mit der Richtlinie die Urheberrechte nun auch im Internet gelten würden. Zu den umstrittenen Upload-Filter kündigte der CDU- Generalsekretär an, die Urheberrechtsreform in Deutschland ohne diese umsetzen zu wollen.61 Scharf kritisiert wurde der Ausgang der Abstimmung selbstverständlich von Julia Reda. Sie bezeichnete es als einen „schwarze(n) Tag für die Netzfreiheit“62. In Österreich kam es in größeren Städten wie Wien und Salzburg zu Demonstrationen.63 Kritisiert wurden die Upload-Filter unter anderem von der damaligen NEOS- Spitzenkandidatin für die Europawahl, Claudia Gamon, welche verkündete, dass sie gegen die umstrittenen Upload-Filter vor den EuGH ziehen werde. Dabei verwies sie auf das Urteil C-360/10 (siehe Kapitel IV. B. zu SABAM/Netlog) und erwähnte, dass automatisierte Upload-Filter unverhältnismäßig in die Grundrechte der Europäer 58 Vgl oV, Angst ums Netz mobilisiert Jugendliche, in: orf.at, 07.03.2019, URL: https://orf.at/stories/3114108/, Abruf am 12.08.2020. 59 Vgl Clay, Einigung über endgültigen Text erzielt – Das droht mit Artikel 13 und der EU-Urheberrechtsreform, in: juliareda.eu, 14.02.2020, URL: https://juliareda.eu/2019/02/artikel-13-endgueltig/, Abruf am 12.08.2020. 60 oV, EU-Parlament stimmt für Copyrightreform, in: orf.at, 26.03.2019, URL: https://orf.at/stories/3116511/, Abruf am 12.08.2020. 61 Vgl Bundeszentrale für politische Bildung, EU-Urheberrechtsreform – Mehr Gerechtigkeit oder Zensur?, in: bpb.de, 26.03.2019, URL: https://www.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/287108/eu-urheberrechtsreform, Abruf am 12.08.2020. 62 Vgl Reda, in: twitter.com, 26.03.2019, URL: https://twitter.com/Senficon/status/1110509831989936128?ref_src=twsrc%5Etfw%7Ctwcamp%5Etweetembed%7Ctw term%5E1110514261112045568%7Ctwgr%5E&ref_url=https%3A%2F%2Fwww.derstandard.at%2Fstory%2F200010 0235742%2Feu-parlament-stimmt-fuer-urheberrecht-mit-uploadfilter-und-leistungsschutzrecht, Abruf am 12.08.2020. 63 Vgl APA, Zehntausende demonstrieren gegen geplante EU-Urheberrechtsreform, in: diepresse.com, 23.03.2019, URL: https://www.diepresse.com/5600887/zehntausende-demonstrieren-gegen-geplante-eu-urheberrechtsreform, Abruf am 12.08.2020. 01. Oktober 2020 23/70
eingreifen würden, da sie nicht zwischen zulässigen und unzulässigen Inhalten differenzieren würden.64 Ein Befürworter der Urheberrechtsreform war der damalige Kanzleramtsminister Gernot Blümel. Er sah den Schutz des geistigen Eigentums als eine Frage der Gerechtigkeit für Marktteilnehmer und erachtete deshalb die Reform mit Upload-Filter als eine Notwendigkeit.65 Inhaltlich zu Art 17 DSM-RL sieht der Wiener Rechtsanwalt Dr. Felix Daum bei der Einhaltung der Absicherungen der Bestimmung keinen Grund zur Kritik an Upload-Filter. Er erkenne in der Rechtsgrundlage keine allgemeine Überwachungspflicht, da die hochgeladenen Inhalte gezielt mit jenen Informationen, die der Rechteinhaber dem Diensteanbieter zur Verfügung stellt, auf entsprechende Schutzgegenstände überprüft werden würden. Diesen Vorgang der spezifischen Kontrollpflichten erachtet er als von der Rechtsprechung angemessen und daher zulässig, erst recht, wenn es bereits einmal zu einem Verstoß gekommen ist.66 IV. Systematik des Art 17 DSM-RL Der IV. Titel der DSM-RL regelt die Maßnahmen zur Schaffung eines funktionsfähigen Marktes für den Urheberrechtsschutz, welcher den umstrittenen Art 17 DSM-RL beinhaltet. Im Rahmen dieses Kapitels soll auf den Inhalt dieser Bestimmung und die in diesem Zusammenhang in den Medien diskutierten Upload-Filter eingegangen werden. A. Inhaltliche Analyse 1. Der Begriff des Diensteanbieters nach der DSM-RL (Art 2 Z 6 DSM-RL) Art 17 DSM-RL beschäftigt sich laut Überschrift mit der „Nutzung geschützter Inhalte durch Diensteanbieter für das Teilen von Online-Inhalten“. Hier stellt sich zunächst die Frage, wie der Begriff des Diensteanbieters auszulegen ist. Nach der Legaldefinition des Art 2 Z 6 DSM-RL sind unter dieser Bezeichnung Anbieter von Informationsgesellschaftsdiensten zu verstehen, die die von ihren Nutzern 64 Vgl APA-OTS, NEOS zu Upload-Filtern – ÖVP und FPÖ stellen sich endgültig gegen das freie Internet, in: ots.at, 15.04.2019, URL: https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20190415_OTS0080/neos-zu-upload-filtern-oevp-und- fpoe-stellen-sich-endgueltig-gegen-das-freie-internet, Abruf am 10.08.2020. 65 Vgl APA, Europaweiter Protest gegen neues Urheberrecht und Artikel 13, in: diepresse.com, 23.03.2019, URL: https://www.diepresse.com/5600678/europaweiter-protest-gegen-neues-urheberrecht-und-artikel-13, Abruf am 12.08.2020. 66 Vgl Daum, Verantwortlichkeit von Online-Portalen nach Art 17 DSM-RL – Teil II, MR 2019, 283 ff (285). 01. Oktober 2020 24/70
hochgeladenen und urheberrechtlich geschützten großen Mengen an Inhalte speichern und veröffentlichen. Ferner organisieren diese Anbieter die Inhalte und bewerben sie mit dem Zweck der Gewinnerzielung. Was mit der ‚Organisation‘ oder der ‚großen Menge‘ der Inhalte gemeint ist, wird in der Richtlinie nicht näher präzisiert. Wie bereits im Zusammenhang mit der noch laufenden Rechtssache C-682/18 (Kapitel II. B.) erwähnt, ist YouTube ein klassisches Beispiel für einen derartigen Diensteanbieter, da die Nutzer Videos hochladen und veröffentlichen können, wodurch die Plattform mittels Werbeeinnahmen Gewinne erzielt. Dies stellt zweifelsfrei den Hauptzweck des Videoportals dar, sodass es Diensteanbieter iSd Art 2 Z 6 DSM-RL ist. Auch andere Plattformen wie Facebook, Twitter und Instagram fallen unter dieser Legaldefinition, da sie denselben Zweck erfüllen. Eine negative Abgrenzung findet sich im ErwGr 62 der DSM-RL, in der erläutert wird, dass keine Dienste betroffen sein sollen, “deren wichtigster Zweck ein anderer ist als der, Nutzern das Hochladen und Weiterleiten einer großen Menge von urheberrechtlich geschützten Inhalten zu ermöglichen, um aus dieser Tätigkeit Gewinne zu ziehen” 67. Demnach sollen alle nicht auf Gewinn gerichteten Plattformen vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgenommen werden, beispielsweise non-profit Online-Enzyklopädien wie Wikipedia, aber auch wissenschaftliche Repositorien. Ebenso sollen Plattformen für Open Source Softwares68 (zB Firefox, VLC Media Player) ausgenommen werden, selbst kommerzielle Plattformen wie Online-Marktplätze. Bekannte Beispiele für die letztgenannte Ausnahme sind eBay, Willhaben oder Amazon.69 Hinsichtlich derartiger Onlinehändler ist entscheidend, dass andere Inhalte als nutzergenerierte Inhalte – also solche, die nicht vom Anbieter selbst, sondern von dessen Nutzern erstellt werden – entgeltlich vertrieben werden.70 Auch Cloud-Dienste, die den Nutzern das Hochladen von Inhalten für den Eigengebrauch anbieten, sind laut ErwGr 62 nicht unter dem Begriff des Diensteanbieters iSd DSM-RL zu subsumieren. Zu beachten ist allerdings, dass viele 67 DSM-RL 2019/790, ABl 2019 L 130, 106. 68 Open Source Softwares sind Programme, die Dritten offen und frei zugänglich sind. So können sie von diesen meist kostenlos bearbeitet und genutzt werden. Siehe dazu: Schulz, Open Source: Was ist das genau?, in: praxistipps.chip.de, 15.02.2018, URL: https://praxistipps.chip.de/open-source-was-ist-das-genau_12877, Abruf am 30.07.2020. 69 Vgl Grote, Die besten Open-Source-Programme, in: heise.de, 08.03.2017, URL: https://www.heise.de/download/specials/Die-besten-Open-Source-Programme-3646964, Abruf am: 30.07.2020. 70 Vgl Spindler, Gutachten zur Urheberrechtsrichtlinie (DSM-RL) – Europarechtliche Vereinbarkeit (Artikel 17), Vorschläge zur nationalen Umsetzung und zur Stärkung der Urheberinnen und Urheber, in: gruene-bundestag.de, 14.12.2019, URL: https://www.gruene- bundestag.de/fileadmin/media/gruenebundestag_de/themen_az/netzpolitik/pdf/Gutachten_Urheberrechtsrichtlinie_01. pdf, Abruf am 30.07.2020. 01. Oktober 2020 25/70
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