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für SCHULE und KINDERGARTEN Nr. 125/126, März 02 Diskussion eröffnet: Was ist linke Bildungspolitik heute? 2 5
inhalt jubiläum THEMA 50 «Sprachposter» «Sag, wie sagt man...?» 4 25 Jahre Magazin 26 Linke Bildungspolitik heute? 51 Zweitsprache für Berufslehren Vom Sektionsmitteilungsblatt zum mit Beiträgen von Chance für zweisprachigen Unterricht bildungspolitischen Magazin 27 Philipp Gonon 53 Pilotprojekt «bi.li» Porträts 28 Silvia Grossenbacher 54 Schulerfolg für alle Kinder 8 Jan Gunz 29 Josef Martin Niederberger Wirksamkeit familienergänzender 10 Peter Moor Regula Rytz Massnahmen 12 Hans Stutz 30 Elisabeth Joris 56 Zentrales Forschungs- und 14 Ruedi Christen 31 Peter Sigerist Handlungsfeld: 32 Ruth Gurny Interkulturalität, Identitäten und soziale 33 Christiane Perregaux Ungleichheit Hans-Ulrich Grunder international 60 Indien Reise für Geschichtsunterricht aktuell 63 Tansania Schulreform braucht Unterstützung 17 Sprachengesetz Vernehmlassung des vpod 18 Hochschulgesetz Reform im Zeichen der Liberalisierung 21 VSS, nationale Studierendenvertretung RUBRIKEN 22 Berner Volksschulgesetz Ausschluss-Artikel wird vor Bundesge- interkulturell lesen richt angefochten 36 Muslime in der Schweiz 24 Fonds gegen Rassismus 46 Projekt interkulturelle Bildung 40 «Wendepunkt» – ein neues Angebot Gelder für Schulprojekte vpod macht weiter 41 Denk-Landschaften 48 Portugiesische Kinder In der Schweizer Schule benachteiligt film 43 Fachstelle «Filme für eine Welt» 44 DVD «Kinderwelt – Weltkinder» was wo 65 Ohren auf! 68 «Neve Shalom – Wahat al Salam» IMPRESSUM gewerkschaft 70 MOVENDO – das neue Bildungsinstitut Erscheint 5 x jährlich Redaktionsschluss Nr. 127: 13. Mai 2002 der Gewerkschaften Koordinationsstelle: Lachen 769, 9428 Lachen AR 71 Grundsatzpapiere des vpod Tel 071 888 3 888; Fax 071 888 08 51; mail: vpod-magazin@bluewin.ch Herausgeberin: Verein VPOD-Magazin, Zürich Einzelabonnement: Fr. 35.– pro Jahr (5 Nummern) 58 Adressen der VPOD-Lehrberufsgruppen Einzelheft: Fr. 8.– 68 Bestelltalon Kollektivabonnement: Sektion ZH Lehrberufe; Lehrberufsgruppen AG, BL, BE (ohne Biel), LU, SG. Satz: erfasst auf Macintosh Gestaltung und Layout: Sarah Maria Lang, New York Druck: Ropress, Zürich Auflage Heft 125/126: 3’800 Exemplare WERBEBEILAGEN Zahlungen: PC 80 - 69140 - 0, VPOD-Magazin, Zürich Inserate: Gemäss Tarif 1998; die Redaktion kann die Aufnahme eines Inserates ablehnen. edition Heuwinkel / Anja Verlag Redaktion: Verantwortlich im Sinne des Presserechts: Ruedi Tobler JugendSolarProjekt (Greenpeace) Redaktionsgruppe: C. Bohnet, M. Briner, M. Holenstein, M. Keller, R. Lambert (Zeichnungen), Kinderwelt – Weltkinder (Filme für eine Welt) U. Loppacher, T. Ragni Beteiligt an Heft 125: C. Allemann-Ghionda, Y.H. Bajwa, R. Christen, J.R. Coelho, D. Coulin, Lehrmittelverlag des Kantons Zürich D. Gassmann, P. Gonon, S. Grossenbacher, H.-U. Grunder, J. Gunz, R. Gurny, R. Helbling, E. Joris, B. Wendepunkt Mazzocco-Bürgi, P. Moor, W. Nabholz, J.M. Niederberger, C. Perregaux, R. Rytz, D. Schüepp, M. Schwander, P. Sigerist, R. Spörri, H. Stutz, M. Tobler, S. Tobler, Y. Tremp, St. Tschöpe, E. Wigger 2 vpod magazin 125/02
editorial er zuhause im Zeitschriftenregal einen 26 Zen- or mir liegen Werbeblätter, welche dem «VPOD-Ma- W timeter hohen und 11,3 Kilogramm schweren Stapel des «vpod-Magazins für Schule und Kin- dergarten» aufgetürmt hat, ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit seit mindestens 25 Jahren darauf abonniert, und hat von der 1. bis zur 125. Ausgabe ei- V gazin für Schule und Kindergarten» eine breitere Le- serInnenschaft bescheren sollen. Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich zu meinem Abo gekom- men bin. An einem Frauenfest sind Magazinausgaben aufge- legen, welche das Thema Gleichstellung und Koedukation auf ne lückenlose Sammlung. (Verkauft mir jemand die Nummer der Titelseite angepriesen hatten. Bis zu diesem Zeitpunkt 2? Ablösesumme zum Sammlerpreis verhandelbar!) wusste ich nicht, dass es eine LehrerInnengewerkschaft gibt, Dass wir dem Magazin zum 25jährigen Bestehen gratulie- mit einer eigenen Zeitschrift, welche über den aktuellen ge- ren können, ist keine Selbstverständlichkeit. Das Magazin werkschaftlichen und bildungspolitischen Alltag schreibt. lebte und lebt dank seinem unnachahmlichen Koordinator, Über das Magazin habe ich den vpod kennen gelernt, und die Ruedi Tobler, einem kleinen, aber feinen Redaktionsteam und aufgezeigten Standpunkte und Aktivitäten haben mir gefal- über 300 Kolleginnen und Kollegen, welche in all den Jahren len. Das Magazin hat mich mit seinen Inhalten überzeugt und in der einen oder andern Form - mit Textbeiträgen, Zeichnun- ich bin immer wieder erstaunt über die vielseitigen Themen, gen, Fotografien etc. – zum Gelingen des Magazins beigetra- welche es aufgreift. Es gefällt mir, dass alle Bildungsstufen in gen haben. diesem Heft ihren Platz finden, und dass sich der vpod auf Ihnen allen gebührt Anerkennung: Für die geleistete Arbeit allen Ebenen einmischt. So war es eine Frage der Zeit, dieser und für das Aufgreifen von Themen, welche nicht entlang Gewerkschaft beizutreten. Bereits an meiner ersten GV wurde dem bildungspolitischen Mainstream verliefen. Dadurch hat ich als Delegierte in den Magazin-Trägerverein gewählt. sich das Magazin zur Vordenkerin entwickelt und ist für den Schnell habe ich gemerkt, dass es im vpod ist wie fast über- vpod unentbehrlich geworden. Weiter so! all. Viele gute Ideen, aber überall hat es zuwenig aktive Mit- glieder. So war meine erste Trägervereinversammlung ein grosses Doris Schüepp, Aha-Erlebnis. Noch heute staune ich, dass bei einer doch vpod-Generalsekretärin recht eigenwilligen Organisation rund um das Magazin immer wieder ein professionelles Heft entstanden ist. Dass heute die Nummer 125 des Magazins erscheint, ist einer kleinen, treu- en Gruppe zu verdanken, welche mit grossem Engagement diese Zeitschrift immer wieder produziert hat. Unser Redak- tor, Ruedi Tobler, hat in all den Jahren sein Interesse an den bildungspolitischen Themen nicht verloren, und das Magazin kann immer wieder von seinem grossen Wissen und seinen vielen Beziehungen profitieren. Im Namen des Trägerverein- vorstandes möchte ich allen, die in irgend einer Weise für un- sere Zeitschrift gearbeitet haben, herzlich danken. Wir wün- schen dem Magazin alles Gute für die nächsten 25 Ausgaben und wünschen unseren Leserinnen und Lesern viele interes- sante Lesestunden. Yvonne Tremp, Präsidentin des Magazin-Trägervereins vpod magazin 125/02 3
25 Jahre Magazin Vom Sektionsmitteilungsblatt zum bildungspolitischen Magazin Markus Holenstein, Michael Keller und Ruedi Berufsverbote als «Realitäts- Heftes war selbstredend die Repression Tobler schock» in verschiedenen Facetten. In der Einla- Dieser heterogenen Szene verpassten dung zur Generalversammlung war die ei der Gründung unseres Maga- die ersten Berufsverbote einen harten Schaffung eines Teilzeitsekretariates für B zins vor einem Vierteljahrhun- dert ist einer Pate gestanden, von dem man dies nicht erwartet hätte «Realitätsschock». Hatte bis anhin Re- volutionsrhetorik zumeist auch etwas Romantisch-Spielerisches an sich, so die Sektion traktandiert. Für diese Stelle wurde im Herbst des gleichen Jahres überraschend der heutige Koordinator und der diese Rolle ganz bestimmt nicht war nun das Risiko Realität geworden, des Magazins, Ruedi Tobler gewählt, ob- gesucht hatte: der damalige Zürcher Er- dass sie zum Nennwert bestraft wurde. wohl er weder eine pädagogische Aus- ziehungsdirektor Alfred Gilgen. Aber, In dieser für viele existenziellen Krise bildung noch schulpolitisches Engage- war er nicht ein «Linkenfresser», der mit zeigte der vpod Format und Stärke. Er ment vorzuweisen hatte. Als Militär- seiner Berufsverbotspolitik die Zürcher stand nicht nur öffentlich für die Opfer dienstverweigerer war er für die Mehr- Schule von linker Subversion säubern ein, sondern gewährte auch jenen heit Garant einer geradlinigen Anti-Re- wollte? Eben. Absicht und Wirkung ist Rechtsschutz, die nicht schon vpod-Mit- pressionspolitik. nun mal nicht das selbe – davon weiss ja glied gewesen waren. Solidarität war für wohl jede in der Erziehung tätige Person ihn also nicht nur eine schöne Parole auf Langwierige Namenssuche ein Lied zu singen. dem 1.-Mai-Transparent, sondern geleb- Wir wollen hier nicht Entwicklung und Der Aufbruch von 1968 strahlte auch te Realität. Die Wirkung blieb nicht aus. Geschichte des Magazins nachzeich- in die Schule hinein und die «Bildungs- In Scharen strömten der damaligen nen. Dazu hätten wir Autoren als direkt expansion» nach dem «Sputnikschock» «VPOD Sektion Lehrer» neue Mitglieder Beteiligte auch zu wenig Distanz. Wir be- schuf Raum, d.h. Arbeitsplätze für die zu. Das Wachstum blieb nicht im Quan- schränken uns deshalb auf einige Ent- aufmüpfige junge Generation – eine dop- titativen stecken. Wenn auch viele nicht wicklungsschritte. Im ersten editorial in pelt bedrohliche Entwicklung für das wagten, öffentlich zu ihrer vpod-Mit- Nummer 5 (März 1978) charakterisiert «Establishment». In seiner bekannt un- gliedschaft zu stehen – zu gross war ih- die Redaktion das Heft als «Mischung zimperlichen Art hat Regierungsrat Gil- re Angst, auch Opfer der Repression zu zwischen sektionsinternem Mitteilungs- gen sich diesen Gefahren entgegen ge- werden –, die Sektion trat umso ener- blatt und einem allgemeiner interessie- stellt. gischer an die Öffentlichkeit. renden Erziehungsmagazin»; zugleich Bis dahin hatte der vpod im Schulbe- kündet sie die Ausweitung der redaktio- reich eher ein Schattendasein gefristet – Hauptthema Repression nellen Zusammenarbeit auf die deutsch- jedenfalls in der Deutschschweiz. Und Da durfte eine eigene Zeitschrift nicht schweizerischen vpod-Lehrberufsgrup- die JunglehrerInnen hatten mit etablier- fehlen. Im März 1977 erschien die erste pen an. Die Notwendigkeit eines eindeu- ten Organisationen nicht viel am Hut, Nummer der «Lehrerzytig – Bulletin der tig linken Bildungsmagazins war für alle Selbstorganisation war Trumpf. Vom Lehrersektion VPOD». Gedruckt wurde unbestritten. Die Ausstrahlung der spontanen Selbsthilfegrüpplein bis zur sie in der Ropress. Trotz unserer chro- «LehrerZytig» machte auch dem straff organisierten clandestinen Partei- nischen Verspätung ist sie über die gan- «Schweizerischen Lehrerverein» (heute zelle mit von oben kontrollierter Linien- ze Zeit und alle technischen Neuerun- LCH) zu schaffen, auf seinen Druck hin – treue gab es so ziemlich alles. Ideologi- gen hinweg, unsere Druckerei geblieben wegen angeblicher Verwechslungsge- sche Grabenkämpfe waren an der Ta- – auch das ein erfreuliches Jubiläum! fahr mit dessen Zeitschrift, der «Schwei- gesordnung. Hauptthema des ersten zwölfseitigen zerischen Lehrerzeitung» – musste der 4 vpod magazin 125/02
Name geändert werden; ab Heft 14 (De- den letzten Jahren sind Gleichstel- notwendige Unterstützungsarbeit lei- zember 1979) erschien sie als «Lehrer- lungsthemen und Genderfragen zu kurz sten. Zur ersten Präsidentin des Träger- magazin». gekommen. vereins wurde im Dezember 1985 Silvia Zwei Nummern zuvor schon – im er- Gfeller-Münger von der Berner Gruppe sten interkulturellen Heft mit dem Sprungbrett in den Journalismus? gewählt. Sie war bereits einige Zeit in der Schwerpunkt «scuola mitenand» – wur- Und es waren auch nur Männer, für die Redaktionsgruppe aktiv gewesen und de dem Anspruch der Frauen, nicht nur das Magazin gewissermassen als konnte mit diesem Erfahrungshinter- mitgemeint zu sein, wenigstens im Un- Sprungbrett in den professionellen Jour- grund den Start des Magazins in die or- tertitel «Zeitung der VPOD-Lehrer/in- nalismus diente. Seine Funktion als in- ganisatorische Selbständigkeit sicher- nen» Rechnung getragen. Beinahe zehn formelle Bildungsinstitution hat uns für stellen. Sie wurde im April 1989 von An- Jahre später, ab Mai 1988, wurde in im- den Jubiläumsteil dieses Heftes inspi- nelies Moser Jöri von der Luzerner mer wieder neuen Varianten versucht, riert, wir porträtieren vier ehemalige Gruppe abgelöst, die dem Trägerverein, beide Geschlechter gleichwertig im Na- Mitglieder der Redaktion (Seite 8 – 15), der inzwischen etwas träge geworden men zum Zuge kommen zu lassen, bis die heute an verschiedenen Stellen im war, neuen Schwung verlieh. Ein Jahr- sich im Dezember 1990 der heute noch Medienbereich arbeiten. zehnt lang hat sie dem Magazin aus dem aktuelle geschlechtsneutrale Name Ein anderer Bereich des Magazins ist Hintergrund Konstanz verliehen. Sie «VPOD-Magazin für Schule und Kinder- jedoch reine Frauendomäne geblieben, suchte beispielsweise Mitglieder für die garten» etablierte. Allerdings hatten alle das Präsidium des Trägervereins. Of- Layoutgruppe, fand die Grafikerin, die Bemühungen um Namenskosmetik kei- fensichtlich ist auch in der Gewerk- heute noch das Magazin gestaltet, koch- nen Einfluss darauf, dass die Redakti- schaft der Alltag davon geprägt, dass te an Layoutweekends und erkundigte onsgruppe leider meistens stark män- Männer die publikumswirksam-sichtba- sich immer mal wieder beim Koordina- nerlastig war, was auch die Themenwahl ren und prestigeträchtigeren Positionen tor nach dessen Befinden. Lange hielt nicht unbeeinflusst liess. Besonders in besetzen und Frauen im Hintergrund sie durch, auch als sie vom Vorstand zu- nehmend allein gelassen wurde. Es ist mehr als verständlich, dass sie Ende der 25 Jahre Bildungspolitik in Bildern 90er Jahre resignierte. Erst im letzten Mitglieder für eine Projektgruppe gesucht! Jahr, nach einer eigentlichen Neulancie- Im Laufe der letzten 25 Jahre haben eine ganze Reihe von Personen Illustrationen rung des Trägervereins, konnte mit für unser Magazin gemacht, die zusammen ein Abbild der Entwicklung des Bil- Yvonne Tremp aus Zürich eine neue Prä- dungswesens wie auch der gewerkschaftlichen Bewegung in diesem Bereich erge- sidentin gefunden werden, die sich mit ben. dem 25-Jahr-Jubiläum gleich zu Beginn Da unser Magazin in der Regel stark textlastig ist, möchten wir in einer speziellen vor eine grosse Herausforderung ge- Jubiläumspublikation für einmal die Bildelemente voll zur Geltung kommen lassen. stellt sieht. Allerdings sind weder der Vorstand noch die Redaktion in der Lage, eine solche Pub- likation neben ihrer normalen Tätigkeit zu bewältigen. Trägerschaft für Unabhängigkeit Deshalb suchen wir Interessierte, die bereit sind, in einer zeitlich beschränkten Pro- Aber wie ist es überhaupt zum Träger- jektgruppe für die Erarbeitung dieser Publikation mitzumachen. verein gekommen? 1985 war organisato- Melde Dich beim Koordinator des Magazins: Ruedi Tobler, Lachen 769, 9428 Lachen AR, risch das Jahr des grossen Wandels für Tel. 071 888 3 888, Fax 071 888 08 51, mail: vpod-magazin@bluewin.ch das Magazin. Die Sektion Zürich Lehr- vpod magazin 125/02 5
berufe sah sich nicht mehr in der Lage, beigetragen. Es sind dies vor allem burz versorgte, die von der Schule weg allein die Verantwortung für seine Her- Fortunat Klauser, Martin Mächler, Jan gegangen und in die Satzproduktion des ausgabe zu tragen. Offizielles Verbands- Gunz, Marianne Keller, Christa Heuber- «Freien Aargauers» eingestiegen war. organ des vpod konnte und wollte das ger und Ruedi Lambert. Ihre vielfältigen Dessen Ende zwang uns 1987 zum Magazin nicht werden. So wurde eine ei- Arbeiten stellen mehr dar als nur Aus- Überdenken unserer Produktionsme- gene Trägerschaft in Form eines Vereins schmückungen von Texten, sie doku- thoden, so dass ab 1988 die Satzpro- geschaffen, der bis heute für seine Her- mentieren auch ein Vierteljahrhundert duktion auf dem Computer erfolgte, al- ausgabe verantwortlich ist. schweizerischer Schul- und Gewerk- lerdings ohne dass wir von den gekleb- Mitglieder sind der vpod als Gesamt- schaftsgeschichte. ten Maquetten Abschied genommen verband und seine Sektionen (heute teil- Dieser reiche Fundus sollte nicht in hätten. Dies hätte den Abschied von der weise Regionen) mit Lehrberufsgrup- einigen Archiven vor sich hin schlum- Layoutgruppe mit ihren Arbeitsweek- pen in der Deutschschweiz. So wurde mern und vergessen gehen. Das Maga- ends bedeutet. Im gleichen Jahr erar- die Spitze des Verbandes und die Ver- zin möchte deshalb mit diesen Arbeiten beiteten uns zwei Grafiklehrklassen Vor- tretung der «Basis» in eine gemeinsame eine spezielle Jubiläumspublikation schläge für ein neues Erscheinungsbild. Verantwortung eingebunden – ein Mo- herausgeben. Nur, mit dieser Zusatzar- Ihre Arbeiten waren nicht nur sehr krea- dell, das dem Magazin redaktionelle Un- beit sind Vorstand und Redaktion über- tiv, sie offenbarten auch überraschende abhängigkeit garantiert, ohne dass es fordert. Gesucht sind also einige Leute, Bilder von Schule und Lehrkräften einer seine gewerkschaftliche Verankerung die bei diesem – zeitlich beschränkten – jungen Generation. Die Neugestaltung verleugnen müsste, und das sich auch in Projekt mitmachen (Ausschreibung auf wurde schliesslich im Herbst 1989 Rea- finanziell schwierigen Zeiten in der Pra- Seite 5). lität, gut ein Jahr bevor wir uns auf den xis bewährt hat, so dass sein Weiterbe- heutigen Namen einigen konnten. stehen nie ernstlich in Frage gestellt Technischer Wandel war. Während die Revolution auf dem politi- Professionalisierung des Layouts Eine Episode blieb leider die Zusam- schen Parkett trotz (oder vielleicht we- Eigentlich hätte das zweite Jubiläums- menarbeit mit dem «Sektor Erziehung», gen) dem «Marsch durch die Institutio- heft – die Nummer 100 – mit einem der Zeitschrift der «Gewerkschaft Erzie- nen» der 68er-Generation ausgeblieben grundlegend neuen Erscheinungsbild hung»: Sie erschöpfte sich mehr oder ist und auch in Pädagogik und Schule aufwarten sollen. Geld dafür hatte die weniger in einer gemeinsamen 1.-Mai- nicht wirklich stattgefunden hat, krem- Sektion Zürich Lehrberufe gestiftet. Nummer 1983. Die Gewerkschaften im pelte die technische Revolution den Aber es dauerte noch ein ganzes Jahr, Bildungsbereich leisten sich auch heute Druckbereich umso nachhaltiger um. bis dieses 1998 realisiert werden konn- noch den Luxus von zwei kleinen Zeit- Dem konnte sich auch das Magazin auf te. Das brachte den grössten Umbruch schriften. Ist «Gemeinsam sind wir die Dauer nicht entziehen. Noch bis im in der Geschichte des Magazins. Auf ei- stark!» auch im Bildungsbereich nur ge- Dezember 1997 machten wir das Layout nen Schlag gab es vier Neuerungen. Ins werkschaftliche Parole für den 1. Mai? in Handarbeit, klebten Textspalten auf Auge sprang vor allem die neue Gestal- Fotos: Michael Keller Maquetten, die mehr als ein Jahrzehnt tung, der zweifarbige Umschlag auf Reicher gestalterischer Fundus lang mit der Schreibmaschine getippt weissem Papier (anstelle des bisherigen Eine ganze Reihe von Leuten hat mit ge- wurden. Die neuen Technologien hielten grauen Recyclingpapiers) und auch der stalterischen Beiträgen zu einem leben- zuerst in den Titelschriften Einzug, mit Verzicht auf die gemässigte Kleinschrei- digen Erscheinungsbild des Magazins denen uns über längere Zeit Doris Ky- bung (die wir 1988 eingeführt hatten, 6 vpod magazin 125/02
Sarah Lang Ruedi Lambert Michael Keller Ruedi Tobler sich aber nie ganz durchsetzte). Zwischen New York und Lachen auch diese Arbeit noch in Freiwilligen- Die tiefgreifendste Änderung war je- Die Beiträge werden immer noch von arbeit im «Lehrerlade», dem ersten Se- doch die Professionalisierung – und Di- Freiwilligen geschrieben. Danach wird kretariat der Sektion Lehrberufe ge- gitalisierung – des Layouts, welche die die Heftproduktion heute wesentlich macht worden. praktisch seit der Gründung im Zentrum durch drei Personen getragen. Die re- Ist mit der heutigen Produktionsform stehende Layoutgruppe mit ihren Ar- daktionelle Bearbeitung und Zusam- die Entwicklung von der Freiwilligenar- beitsweekends überflüssig machte. Al- menstellung erfolgt durch Ruedi Tobler beit zur Professionalisierung abge- lerdings war diese Gruppe in den letzten in Lachen AR, formell in einer 45-%-An- schlossen – oder wird sich dieser Trend Jahren ihres Bestehens stark zusammen stellung. Die unverwechselbaren Zeich- in den kommenden Jahren noch fortset- geschmolzen und beinahe zum Tobler- nungen zur Illustration von Artikeln und zen? Die Antwort findet sich vielleicht in Familienbetrieb mutiert, arbeiteten für das Titelblatt kreiert Ruedi Lambert der nächsten Jubiläumsnummer. doch am Schluss alle drei Kinder des Ko- in Zürich-Altstetten. Beide übermitteln ordinators mit. Unvergesslich bleiben ihre Produkte digitalisiert nach New die frugalen bis lukullischen Nachtessen York. Dort in Manhattan – nicht sehr (je nach Zustand der Layoutgruppe) im weit vom ehemaligen WTC entfernt – ge- geschichtsträchtigen Saal an der Gar- tenhofstrasse 7, wo von den Zwanziger- staltet unsere ausgewanderte Grafikerin Sarah Lang das ganze Heft, das zwi- Magazin bis Vierzigerjahren Leonhard Ragaz – schendurch noch in Lachen AR korri- Jubiläumsfest der von der bürgerlichen Universität ins giert wird (die Zeitverschiebung er- Arbeiterquartier Aussersihl umgezogen leichtert die Zusammenarbeit). Sarah Freitag, 12. April 2002, 19 Uhr, war – Arbeiterbildung betrieben hatte. Lang hat – seinerzeit noch in Luzern – im Trigon (vpod-Bildungszentrum), das neue Erscheinungsbild entwickelt Heuelstr. 9, 8032 Zürich Redaktionsmitglieder gesucht! und sorgt dafür, dass sich die Leselust Die Produktion des Magazins erfolgt nicht mehr in Bleiwüsten verliert, nöti- Wegen einer Panne, die ebenso uner- heute dezentral und internationalisiert. genfalls mit energischen Interventionen klärlich wie unentschuldbar ist, fehlte Einzig die Redaktionsgruppe trifft sich beim Redaktor. Ergänzt wird das «Pro- im letzten Magazin die Vorankündigung noch regelmässig – in der Regel einmal duktionsdreieck» durch Michael Keller, unseres Jubiläumsfestes. Deshalb muss pro Heft – zur Kritik der fertig gestellten wenn noch Fotografien zu machen sind, sie nun kurzfristig erfolgen. und Planung der kommenden Num- bei Interviews, Gesprächsrunden oder Alle, die sich dem Magazin verbun- mer(n). Eine Erweiterung dieser Gruppe Porträts. den fühlen, sind zur Feier – mit Speis und ist dringend erwünscht und zwar in drei- Schliesslich wird die fertige Vorlage Trank – am 12. April herzlich eingeladen. erlei Hinsicht: Erstens fehlen Frauen, elektronisch in die Druckerei – wie er- Offeriert wird dieses Fest vom vpod. zweitens mangelt es an Jüngeren und wähnt immer noch die Ropress in Aus organisatorischen Gründen sind wir auf eine drittens sind die meisten Regionen nicht Zürich-Altstetten – übertragen, wo di- Anmeldung angewiesen – auch kurzfristig – an: vertreten. Interessierte meldet Euch bei rekt ab den Daten die Druckplatten ge- vpod Zentralsekretariat, Brigitta Mazzocco, Post- Ruedi Tobler (Tel. 071 888 3 888, mail: fertigt werden. Die EDV-Abteilung des fach, 8030 Zürich, Tel. 01 266 52 52, Fax 01 266 vpod-magazin@bluewin.ch; Adresse der vpod liefert die Adressen aller Abonne- 52 53, mail: dienstleistungen@vpod-ssp.ch Koordinationsstelle im Impressum). ments an die Druckerei, die auch den Versand erledigt. In der Anfangszeit war vpod magazin 125/02 7
«Der präzise Steilpass» Als «Beihilfe zum Abschreiben» bezeichnet der Dokumen- talist und Übersetzer etwas böswillig seine Aufgabe beim Newsmagazin FACTS – Jan Gunz kann auch hier seine hu- moristische Neigung nicht verbergen. Mit eigenwilligen Beiträgen hat der ehemalige Primarlehrer das Magazin fast zehn Jahre lang bereichert. Wie der Meister der Re- cherche seine satirische Ader heute auslebt, hat er uns im Interview verraten. Michael Tobler « Ist der Regierungsrat nicht auch der Meinung, dass die Lehrerschaft des Kantons Zürich sich nicht so aktiv an der Befreiung der geknechteten Schüle- rinnen und Schüler (...) beteiligen sollte?» Der zweite Punkt ei- ner vierteiligen Anfrage, die im Juni 85 im Zürcher Kantonsrat gestellt wird, erweckt bis zum heutigen Tage fassungsloses Staunen. Wie konnte es soweit kommen? IAN – Institut für Angewandten Nonsens dungswesen eröffnet: «Zusatzaufgabe: Zeichne das Gespenst «Einmal – das muss jetzt bald zwanzig Jahre her sein – sass ich des Kommunismus in dein Zeichenheftlein!» Doch als er im im Sozialarchiv und ein junger Mann setzte sich an den Tisch Mai 85 den «Kampf um die Befreiung der geknechteten Schü- nebenan. In der Hand hielt er die neuste Ausgabe des Lehrer- lerinnen und Schüler» im Editorial des Magazin verkündet, magazins und noch während er sich setzte, drehte er die Zeit- schlagen die Bewahrer der nationalen Eigenart Alarm. schrift um und begann zu lachen.» Jan Gunz ist kein Mann der grossen Worte, aber jeder, der das Magazin über all die Jahre Eine Komödie in vier Fragen verfolgt hat, weiss wovon er redet: «IAN – das Institut für An- «Furchtlos und unermüdlich haben wir uns in allen Schalt- gewandten Nonsens» garantierte von 1983 bis 1987 für die weit stellen der Macht durchgekämpft» und «gegen die geschlos- herum bekannten originellen Rückseiten des Magazins. sene Front der gewerkschaftlich organisierten Lehrer können Vom «Kollegen Muggli» – der seine Viertklässler im Skilager die Behörden nichts durchsetzen», jubilierte Jan Gunz im Edi- zuoberst auf der Skisprungschanze zur Vorsicht anhält – oder torial der 1.Mai-Nummer 1985. Erhard Bernets «Anfrage be- «STOFFEL» – der praktischen Stoffwalze fürs Langschuljahr –, treffend fragwürdiger ausserschulischer Tätigkeiten eines dem lehrerleicht zu benützenden «Tintenkiller-Killer» und den Lehrers» scheint die logische Konsequenz. zehnjährigen Rädelsführerinnen – welche vom Umwelt- «Glaubt auch der Regierungsrat, dass sich die Lehrerschaft schutzfieber gepackt, die Autos der Lehrer in Kaffhausen auf- in allen Kantonen an die Schaltstellen der Macht durch- schichten – bis zu Pirmin Zurbriggen als neuem Aushänge- gekämpft hat?» heisst es unter Punkt 3 der vierteiligen Anfra- schild für den VPOD war auf den Rückseiten des Lehrerma- ge. Eine Fotokopie der schrecklichen Hetzschrift ist dem NA- Fotos: Michael Keller gazins vier Jahre lang alles Mögliche und Unmögliche anzu- Kantonsrat und Schulpfleger von Lehrern zugestellt worden – treffen. Verantwortlich dafür zeichnete das Ein-Mann-Institut wahrscheinlich hat sich Herr Bernet bis ans Ende seiner Tage IAN. gewünscht, dass er sie niemals in die Hände gekriegt hätte. Bereits mit seiner Reihe «didaktika alternativa» hat der Pri- «Funktionaler Analphabetismus» diagnostiziert der Pri- marlehrer neue Perspektiven für das schweizerische Bil- marlehrer zwei Ausgaben später, nachdem er sich beim NA- 8 vpod magazin 125/02
Jan Gunz, Dokumentalist bei FACTS, gelernter Primarlehrer und Übersetzer, hat ein Jahrzehnt lang dem Magazin sa- tirisch-humoristische Würze verliehen. Kantonsrat persönlich nach den Gründen für dessen Anfrage Nur wenige Redaktionsmitglieder hätten freie Hand in der erkundigt hat. Denn für die Menschen, denen der Sinn für Iro- Wahl ihrer Themen, die andern «kommen am Montag morgen nie abgeht, hat der Autor im letzten Abschnitt des klas- auf die Redaktion und kriegen beispielsweise den Auftrag, ei- senkämpferischen Editorials auf eine «weniger pathetische, ne Beitrag über Asbest zu verfassen». Bis am Abend oder näch- dafür umso realistischere Darstellung» im Innern des Heftes sten Morgen muss die Geschichte stehen – nein, unter solchen hingewiesen. Selbst der damalige Erziehungsdirektor des Kan- Bedingungen will der Dokumentalist nicht schreiben. Da nutzt tons Zürich, Alfred Gilgen, hat das verstanden. er seine kreativen Energien lieber anderweitig. Ein treffendes Sprachbild Kurznachrichten für «Kaktus» Eigentlich wundert es ihn, dass er nicht mehr aus den Erfah- In einer in verschiedenen Publikationen – von der NZZ bis zum rungen beim Magazin gemacht hat, sagt Jan Gunz heute. Als Amnesty-Magazin – veröffentlichten Besprechung des Buches «Beihilfe zum Abschreiben» veranschaulicht der diplomierte «L’abolition» von Robert Badinter machte der diplomierte Übersetzer seine Aufgabe beim Nachrichtenmagazin FACTS. Übersetzer auf den langen Weg zur Abschaffung der Todes- Ein Dokumentalist – wie die Berufsbezeichnung offiziell heisst strafe in Frankreich aufmerksam. Es liegt bislang erst in einer – ist ein Meister der Recherche: Wenn ein Journalist bei der französischen Ausgabe (im Pariser Verlag Fayard) vor und Suche nach Quellen zu einem Thema nicht fündig wird oder deshalb hoffte er, dass sein Artikel die Anfrage eines Verlages überfordert ist, wendet er sich an den Dokumentalisten. Mit zur Übersetzung ins Deutsche nach sich ziehen würde. Bislang ausgefeilten Suchstrategien durchforscht der letztgenannte ist diese jedoch ausgeblieben. verschiedene Datenbanken nach relevanten Informationen Sein humoristisches Talent nutzt Jan Gunz dieser Tage für und liefert dem Journalisten eine Zusammenstellung der be- das Radio. Beim Satiremagazin Kaktus von DRS1 finden seine sten Suchresultate. ironischen Eingebungen unter der Rubrik Kurznachrichten ihr Die vom Dokumentalisten gefunden Informationen bilden Publikum. «Geld lässt sich damit allerdings nicht verdienen», oft schon einen wichtigen Teil der journalistischen Recherche. bedauert der Vater einer siebenjährigen Tochter. Obwohl bei Fast immer bedeuten sie einen enormen Zeit- oder Prestige- seinen Beiträgen die Würze eindeutig in der Kürze liegt, be- gewinn. Wer im Gespräch mit Experten und Politikern zeigen zahlt die SRG pro Sendezeit, also für Quantität statt Qualität. kann, dass er gut informiert ist, verschafft sich einen enormen «Als sich noch zwei – ja oft gar drei – Bananen in eine ein- Vorteil. Ob angesichts der fehlenden sichtbaren Resultate sei- zige Schale zwängen mussten (ältere Lehrermagazin-Leser er- ne Aufgabe nicht zuweilen frustrierend sei, will ich wissen. innern sich), gab es noch keine Drogenopfer zu beklagen» – Wieder findet Jan ein treffendes Sprachbild: «Es ist schon so. ein schlagendes Argument gegen kleinere Schulklassen. Frei Ich spiele die Pässe, die andern schiessen die Tore.» ins Haus geliefert von IAN. «Wieder so schöne Rückseiten» Aber doch beneidet er die Journalisten nicht um ihren Job – wünscht das ehemalige Redaktionsmitglied dem Magazin zum Jan Gunz ist seit mehr als 15 Jahren im Bereich Mediendoku- Geburtstag und diesem Wunsch können sich die langjährigen mentation tätig. Nach einem dreijährigen Abstecher zum LeserInnen zweifelsohne anschliessen. Also Jan, wir warten! «Nouveau Quotidien» in Lausanne ist er seit der Gründung vor sieben Jahren bei FACTS dabei und weiss wovon er redet. vpod magazin 125/02 9
«Aus familiären Gründen» Dass Peter Moor «aus freien Stücken zu einem Blatt wechselt, welches seinem politischen Kredo besser ent- spricht» hielt Samuel Siegrist – damals Chefredaktor beim rechtsfreisinnigen Aargauer Tagblatt – im Arbeits- zeugnis für den ausgebildeten Primarlehrer fest. Nach 15jähriger Tätigkeit für das Schweizer Radio DRS kehrt der Familienvater nun zu seinen Wurzeln im Printjourna- lismus und in die Bildungspolitik zurück. Michael Tobler « Ich habe immer zeigen müssen, dass ich meine po- litischen Ansichten nicht über meine Arbeit trans- portiere», fasst der kürzlich zum Schulpräsidenten von Olten gewählte neue Produzent der SBB-Zeitung seine Er- fahrungen bei der Stellensuche zusammen. Er sei «nicht we- «Jeder Satz den man sagt, muss beim Hörer ankommen» und um dies zu erreichen, wird das Wesentliche aus einer Infor- mation extrahiert. «Nimm diesen Abschnitt. Wie lange brauchst du, um ihn vorzulesen? Zwanzig, vielleicht dreissig Sekunden? Und jetzt überlege, wie wenig in ein zweiminütiges gen, sondern trotz» seiner Meinung eingestellt worden und ob- Nachrichtenbulletin passt!» wohl er zu Beginn seiner journalistischen Laufbahn beim Aar- gauer Tagblatt einen «Kompatiblitätstest» absolvieren muss- Raum für Spekulationen te, ist Peter Moor seinem gewerkschaftlichen Engagement bis Die zwölfstündigen Wahlsendungen, bei denen ohne Manus- heute treu geblieben. kript gearbeitet wird, nennt der Mann mit der vertrauten Stim- me als Höhepunkt seiner Aufgaben beim Regionaljournal. Die eine Chance Dreizehn Jahre hat er in dieser Redaktion gewirkt, ab 1996 als Die Arbeit für das Magazin sei – abgesehen von einigen Foto- Leiter des Studios Aargau/Solothurn. Am 13. Januar 2000 mel- grafien für Handballreportagen – tatsächlich seine erste jour- det die SDA: «Der Leiter des Regionaljournals Aargau/Solo- nalistische Erfahrung gewesen. Bereits im Dezember 1978 er- thurn von Schweizer Radio DRS, Peter Moor, wechselt vor- scheint Peter Moor als Kontaktperson für die Solothurner Leh- aussichtlich im April zur DRS-Sportredaktion in Zürich. Der in rergruppe im Impressum. Als er zwei Jahre später das Maga- Olten wohnhafte Radiojournalist macht für seinen Wechsel fa- zin verlässt, steht sein Entschluss, vom Lehrerberuf in den miliäre Gründe verantwortlich.» Journalismus zu wechseln, längst fest. Und diesen hat er seit- Er habe diese Formulierung mit dem SDA-Mitarbeiter ab- her nie bereut. gesprochen, schmunzelt der Vater zweier Kinder – «persönli- Nachdem er sich beim Aargauer Tagblatt, der Solothurner che Gründe» schien ihm zu viel Raum für Spekulationen offen AZ und der COOP-Zeitung das handwerkliche Rüstzeug des zu lassen. Offenbar werden «familiäre Gründe» einhellig inter- Journalisten erarbeitet hat, findet Peter Moor 1987 beim Re- pretiert: jemand verlässt seine Familie. Die Flut von Nachfra- gionaljournal Aargau/Solothurn eine neue Herausforderung: gen, welche Peter Moor nach Veröffentlichung der Agentur- das Radio. Ein unverständlicher Satz in einer Zeitung kann meldung über sich ergehen lassen musste, legt dies jedenfalls Fotos: Michael Keller zweimal gelesen werden, bei einem misslungenen Kommentar nahe. Eigentlich sollte die Wendung ausdrücken, «dass ich mir am Fernsehen bleibt dem Zuschauer immer noch das Bild. mehr Zeit für meine Familie nehmen wollte» und er deshalb «Am Radio hast du nur eine Chance, an den Hörer oder die Hö- seine Führungsposition an den Nagel hängte – aber hierzu- rerin zu gelangen» – und genau diese Unmittelbarkeit des Me- lande scheint dieses Bedürfnis weitgehend unbekannt. Zu- diums Radio bildet für Moor auch dessen grösste Faszination. mindest wird es nicht als «familiärer Grund» anerkannt. 10 vpod magazin 125/02
Peter Moor, Redaktor der SBB-Zei- tung und Schulpräsident von Olten, war jahrelang Journalist bei Radio DRS und kam seinerzeit als Präsi- dent der Solothurner vpod-Lehrbe- rufsgruppe zum Magazin. Ein olympischer Traum diese Erfahrung kommt ihm in seinem neuen Amt mit Sicher- «Einen Bubentraum» nennt Peter Moor seine Arbeit für die heit zu Gute. Sportredaktion von Radio DRS. Seit er sich diesen erfüllt hat, trimmt sich der Leichtathletik- und Eishockey-Liebhaber auch Identifikation mit dem Unternehmen selber wieder: Joggen und Radfahren sind seine Disziplinen. Die Benutzeroberfläche der letzten Version von QuarkXPress Das Spannendste, dass er jemals am Radio gemacht habe, sei flimmert auf dem Monitor des neuen Produzenten der SBB- das «Züri-Meeting». Die Weltklasse der Leichtathletik in einem Zeitung. Noch stellen ihm viele der farbigen Symbole Rätsel, Stadion versammelt, der Versuch, die unvergleichliche At- denn als Peter Moor 1987 den Print-Journalismus in Richtung mosphäre in einer dreistündigen Live-Übertragung einzufan- Radio verlässt, werden Zeitungen noch wie eh und je von Hand gen – so was reisst auch einen routinierten Radioreporter aus gesetzt. Doch der Generalist, der «schnell das Gefühl kriegt, es dem Sessel. gesehen zu haben», lässt sich von Neuerungen nicht aus der Bei einer Nomination fürs Team von Salt Lake City «wäre ich Bahn werfen. Im Gegenteil. wahrscheinlich noch etwas länger beim Radio geblieben», gibt «Ein klar definiertes, vielschichtiges Zielpublikum» stelle Peter Moor offen zu. Er habe sich nicht aus der Sportredakti- den grössten Reiz bei der Produktion einer Personalzeitung on verabschiedet, weil er nicht dabei gewesen ist, vielmehr dar. Vom Netzdesigner, Bauingenieur oder Betriebswirtschaf- wäre die Teilnahme ein Grund zum Bleiben gewesen. «Da gibt ter über Kondukteure und Betriebsdisponenten bis zum Elek- einem das Unternehmen so viel, dass man auch etwas davon tromonteur oder Gleisbauer sind bei der SBB die verschie- zurückgeben will.» densten Menschen unter einem Dach versammelt. «Ihnen al- len ein zu Hause zu geben», sei das Ziel der SBB-Zeitung, und Zurück in die Zukunft auf ihre Funktion als PR-Instrument des Managements ange- Zu einem «guten Zeitpunkt für einen grossen Wechsel» sei die sprochen, versichert Moor: «Man muss sich mit der Idee eines Anfrage der Bundesbahnen – ob er jemanden kenne, der für Unternehmens identifizieren können. Bei einer Bahn nach eng- den Posten als Produzent der Mitarbeiterzeitung in Frage kä- lischem Vorbild, hätte ich diesen Job bestimmt nicht ange- me – gestellt worden. Da Peter Moor allmählich «genug vom nommen.» Schichtbetrieb am Radio» hatte, beschloss der Familienvater Den verschiedensten Herausforderungen hat Peter Moor – der bereits 1993/94 in einem Teilzeitpensum für die SBB tätig sich im Verlaufe seiner Karriere gestellt, andere hat er aus «fa- war – kurzerhand, sich selber vorzuschlagen. Durch seinen miliären Gründen» zurückgesetzt. Seinem politischen Engage- Stellenwechsel entledigte er sich auch des «durch den Be- ment in der Verkehrs- und Bildungspolitik ist der Journalist in kanntheitsvorsprung gerechtfertigten» Verbotes, als SRG Mit- der ganzen, wechselvollen Zeit treu geblieben. Wir warten ge- arbeiter ein politisches Amt anzunehmen. spannt, was da noch kommt, wenn seine Kinder – Lukas ist Damit war der Weg zurück zu seinen Wurzeln in der Bil- sechzehn, Sabina dreizehn Jahre alt – einmal ausgezogen sind. dungspolitik frei; das Mitglied der SP ist vor kurzem zum Schul- präsidenten von Olten gewählt worden. Er kenne das Bil- dungswesen mittlerweile aus allen Perspektiven: als Schüler, Lehrer, Vater und nun auch aus der Sicht der Schulbehörde – vpod magazin 125/02 11
«Sieben Tage die Woche» 1984 gewann der inzwischen national bekannte Fach- mann für Rechtsextremismus und Rassismus ein Werk- jahr für Literatur – dieses bedeutete den Ausstieg aus dem Lehrerberuf und den Anfang seiner Karriere als Autor und freier Journalist. Heute ist Hans Stutz Chefredaktor des traditionsreichsten Schweizer Medienmagazins KLAR- TEXT; seine Nomination zum Präsidenten der Bürger- rechtskommission sorgt aktuell im Grossen Stadtrat von Luzern für Aufruhr. Michael Tobler ie Arbeit für das Magazin sei nicht seine erste journa- D listische Tätigkeit gewesen, erinnert sich der ehema- lige Sekundarlehrer, seine Beiträge betrachtet er viel- mehr als Teil seines damaligen gewerkschaftlichen Engage- ments im Rahmen der VPOD-Lehrergruppe. «Schreiben im weitesten Sinn» ist seine Absicht und so nimmt er 1984 – durch das gewonnene Werkjahr finanziell gesichert – das «etwas grössenwahnsinnige» Romanprojekt «Dorf und Kleinstadt» in Angriff. «Ich bin mit meinem Montageroman hochkant ge- ser Leidenschaft resultiert die längste Verpflichtung seiner 15- scheitert», gesteht der 50jährige mit einem Lächeln, dafür hat jährigen Tätigkeit als freier Journalist: «Der wahre Krimi». Über er in dieser Zeit eine bleibende Leidenschaft entdeckt: die drei Jahre lang bereichert Hans Stutz das Magazin des Tages- Archiv-Recherche. Anzeiger mit Geschichten aus der europäischen Kriminalge- schichte; scharfzüngig und stilsicher wie immer. Eine Nazi- oder Fröntler-Vergangenheit nachweisen Anfang der 80er Jahre ist Rechtsextremismus kein Thema in Volksschulen können die Gesellschaft nicht der Schweiz. Als der debütierende Journalist verschiedene Ar- bewahren chive nach Zeugnissen von nationalsozialistischen und fron- Kurz bevor Marcel Strebel zur «Schweizer Nummer» avanciert, tistischen Umtrieben in Luzern zu durchkämmen beginnt, ge- konzentriert sich Hans Stutz erstmals auf die neue rechtsex- schieht dies aus historischem Interesse. «Einem Politiker eine treme Szene; ursprünglich mit der Absicht, diesen Themen- Nazi- oder Fröntler-Vergangenheit nachzuweisen» ist seine ins- bereich für die Innerschweiz abzudecken. Wer die Chronolo- geheime Absicht, doch diese wird enttäuscht. Hingegen erhält gie «Rassistische Vorfälle in der Schweiz» zur Hand nimmt, er- seine Arbeit unverhofft einen aktuellen Bezug: 1985/86 tau- kennt, dass sich seine Passion längst zum Dauerengagement chen die ersten Skinheads in Luzern auf. Tätliche Angriffe auf gewandelt hat. Der engagierte Journalist sammelt systema- Asylbewerber und deren Unterkünfte stehen plötzlich im tisch alle Informationen zu rassistischen Vorfällen in der Brennpunkt des öffentlichen Interesses. Schweiz – insbesondere zu Einbürgerungsverweigerungen, Die Gründung der «Patriotischen Front» 1989 bildet für welche nicht ad personam geführt werden können – und pub- Fotos: Michael Tobler Hans Stutz den Anstoss zur Spezialisierung auf Fragen des liziert diese unter der Adresse «www.gra.ch» auf dem Internet. Rechtsextremismus – bis dahin hat sich der freie Journalist Herausgegeben von der «Stiftung gegen Rassismus und Anti- unter anderem mit Gerichtsreportagen einen soliden Ruf in semitismus» erscheint seine Zusammenstellung alljährlich der Schweizer Presselandschaft erschrieben. «Vor allem die auch in Buchform. queren und lustigen Geschichten» faszinieren ihn, und aus die- Bereits im Herbst 1990 legt Hans Stutz die erste Fassung sei- 12 vpod magazin 125/02
Hans Stutz, Chefredaktor des Medienmaga- zins KLARTEXT und renommierter Rechts- extremismus-Experte, hat vor seinem Um- stieg vom Sekundarlehrer in den freien Jour- nalismus als Gewerkschaftsaktivist mehr als drei Jahre beim Magazin mitgearbeitet. ner Archivstudie zu Nazis und Fröntlern in Luzern vor, doch zer Medienmagazins KLARTEXT – seit 20 Jahren eine unab- die Passagen über die ideologische Nähe der Luzerner Ka- hängige Institution in der Schweizer Medienlandschaft. tholisch-Konservativen zu den Frontisten bewegen seine Auf- Praktisch ohne redaktionelle Erfahrung verabschiedet sich traggeberin – die Stadt Luzern – dazu, das Projekt zwei Jahre Hans Stutz von seinem Status als freischaffender Journalist auf Eis zu legen. Als er 1994 eine neue Fassung unterbreitet, und stellt sich am 1. März 2000 der neuen Herausforderung als wird diese wegen der Nennung «politisch sensibler Namen» Chefredaktor. «Ein grosses Risiko» sei dies gewesen – nach wiederum blockiert. «Ich bin eine hartnäckige Person», bald zwei Jahren seiner Tätigkeit steht jedoch fest: seine Ar- schätzt der Autor sich selber ein, und so münden seine bereits beit ist ein ebenso grosser Erfolg. Stutz gibt das Lob weiter: während des Werkjahres begonnen Recherchen 1997 in der «Die Redaktion besteht aus Mitarbeitern, die teilweise seit Jah- Publikation «Frontisten und Nationalsozialisten in Luzern ren für den KLARTEXT schreiben und das Magazin massgeb- 1933 – 1945». Allerdings erst nachdem ein externer Jurist be- lich prägen.» scheinigt, dass Stutz alles mit unanfechtbarem Quellennach- weis untermauert hatte. Bürgerliche akzeptieren Stutz nicht «Volksschulen können die Gesellschaft weder vor Rechts- Zwei Buchprojekte schlummern in der Schublade des Schwer- extremismus noch vor Rassismus bewahren, da die Wertebil- arbeiters. Doch die Erfahrung mit seiner im Herbst 2000 im dung vorwiegend durch andere Sozialisationsinstanzen gelei- Rotpunkverlag erschienenen dokumentarischen Erzählung stet wird», schreibt der ehemalige Sekundarlehrer im Vorwort «Der Judenmord von Payerne» hat ihn gelehrt, dass «effizien- des Lehrmittels «Achtung Verachtung». «Dies bedeutet aber tes Arbeiten nur mit einer vernünftigen finanziellen Basis mög- nicht, dass Volksschulen nicht reagieren müssen. Im Gegen- lich ist». Wie schwierig eine solche zu erreichen ist, zeigt sich teil. Nicht nur weil es zum gesetzlichen Auftrag gehört, son- daran, dass momentan kaum ein Schweizer Schriftsteller von dern auch weil die Schulen ihren Schülern – unabhängig von den Einnahmen seiner Buchverkäufe leben kann. Hans Stutz nationaler Herkunft, Hautfarbe oder Religion – ein Umfeld bie- ist nicht ein Mensch, der deswegen in Lethargie verfällt. ten müssen, in dem sie sich geschützt bewegen können. Und «Bürgerliche akzeptieren Stutz nicht», titeln die «Luzerner vor allem: auch die Ermutiger – seien dies Kinder oder Er- Neusten Nachrichten» am 20. Februar dieses Jahres, als der wachsene – brauchen Ermutigung und Argumentationshil- Parteilose vom Grünen Bündnis im Grossen Stadtrat von Lu- fen.» Solche liefert der Fachmann auch mit dem in der Reihe zern zum Präsidenten der Bürgerrechtskommission vorge- «aktuell» im St. Galler Lehrmittelverlag erschienen Heft schlagen wird. Als «Provokation» bezeichnet der Fraktions- «Rechtsextremismus in der Schweiz», welches anders als chef der SVP die Nomination des – für seine liberale Haltung «Achtung Verachtung» einen rein informativen Ansatz ver- in Sachen Einbürgerung bekannten – national anerkannten Ex- folgt. perten für Rechtsextremismus. Trotz seines zusätzlichen politischen Engagements be- Themen haben Konjunktur hauptet der allein lebende Journalist: «Ich versuche mir in «Themen haben Konjunktur.» Auch für einen landesweit be- nächster Zeit mehr Musse zu gönnen...», doch ein Blick auf die kannten Fachmann, sind die Publikationsmöglichkeiten ge- Liste seiner Tätigkeiten und Publikationen lässt keinen Zwei- ring, falls kein medial ausschlachtbarer aktueller Bezug her- fel: «...aber im Prinzip habe ich die letzten Jahre sieben Tage gestellt werden kann. Auch aus ökonomischen Überlegungen die Woche gearbeitet.» bewirbt sich Hans Stutz deshalb als Chefredaktor des Schwei- vpod magazin 125/02 13
«Die rechte Hand» Als der Bundesrat den gestandenen Fernsehmann 1998 zum Informationschef des Departements für Auswärtige Angelegenheiten ernennt, hat das Gründungsmitglied der Lehrer-Zytig – wie das Magazin damals hiess – bereits über 20 Jahre journalistische Erfahrung gesammelt. «Die Chance, so eng mit einem Bundesrat zusammenzuarbei- ten, kriegt man genau einmal im Leben.» Ruedi Christen hat sie gepackt. Michael Tobler « Ihr müsst euch noch etwas gedulden», entschuldigt sich der 50-jährige Medienprofi, als er uns auf der Treppe des Bundeshaus’ West entgegenschreitet. Ein Reporterteam der CNN verlangt zwei Tage vor der weg- weisenden UNO-Abstimmung eine letzte offizielle Einschät- zung des Departements für Auswärtige Angelegenheiten. «Das internationale Interesse ist gross», stellt Christen fest, auf sei- nem Pult stapeln sich Rückrufzettel der europäischen Fern- sehanstalten. Mit der Ruhe eines Mannes, der das Mögliche getan hat und weiss, dass die Entscheidung nun in der Hand Jahren Erfahrung im Journalismus. So bezeichnet Christen die der Stimmbürger liegt, nimmt er sich Zeit, sich an die Tage sei- Arbeit für das Magazin heute als «ideales Lernfeld» und «gute nes gewerkschaftlichen Engagements zu erinnern. Schule». Und auch wenn seinem gewerkschaftlichen Engage- ment ein anderer politischer Approach zu Grunde lag als sei- Fähigkeiten wichtiger als Ideologien nen späteren journalistischen Tätigkeiten für Tageszeitungen «Ein ideales Tandem» seien zwei der Mitbegründer des VPOD oder das Fernsehen, seien «schlussendlich die erworbenen Magazins gewesen: «Mathias Jäger [der spätere Sektionsprä- Fähigkeiten wichtiger als die vertretene Ideologie». sident, Red.] hat gebremst und ich gezogen», und aus dieser kreativen Zusammenarbeit «ist dann etwas Realistisches ent- Eine Minute zum Nachdenken standen». Er habe sich niemals die Frage gestellt, wie lange Angesprochen auf seine augenfällige Ruhe in einem pausen- ihre Publikation bestehen würde, denn man müsse «nicht losen Geschäft entgegnet Christen: «Wer hektisch wird, macht Sachen für die Ewigkeit planen, sondern das Richtige für den etwas falsch», und «wer unbedacht handelt produziert Feh- Moment in Angriff nehmen». So scheint es dem damals 25jähri- ler». Dies hat er bereits als Korrespondent für das Schweizer gen, gewerkschaftlich organisierten Studenten und Mittelstu- Fernsehen nachhaltig gelernt. Bei Wahlen in Frankreich wer- fenlehrer 1977 notwendig, «der Bewegung eine Stimme zu ge- den Hochrechnungen zuweilen um eine Minute vor Acht pu- ben». Als Ruedi Christen im April 1980 letztmals im Impressum blik, um Acht wird der Reporter aufgeschaltet: «Dann hast du erscheint, ist die 12-seitige «Lehrer-Zytig» bereits zum 28-sei- genau eine Minute zum Nachdenken.» tigen «Lehrermagazin» herangereift. In der sekundengetakteten Medienwelt ist eine seriöse Vor- Seine gewerkschaftliche Vergangenheit habe nie ein Hin- bereitung unabdingbar. Auch hier findet Christen eine Paral- Fotos: Michael Keller dernis dargestellt: «Ich wurde nicht nach meiner politischen lele zu seinem früheren Leben: «Nimm einen Lehrer der be- Meinung beurteilt», und kein einziges Mal im Verlaufe seiner schliesst, seine Lektionen ohne Vorbereitung abzuhalten, Karriere hätte er sich bei einem Anstellungsgespräch einer Ge- dafür umso mehr auf seine Schüler einzugehen. Dies mag zwar wissensprüfung unterziehen müssen. Im Gegenteil: «Alles was ein theoretisch interessanter Ansatz sein, endet in der Praxis man gemacht hat nützt», schliesst der Parteilose aus zwanzig jedoch zweifellos im Chaos.» Die solide Planung ist eine Vor- 14 vpod magazin 125/02
Ruedi Christen, Informationschef des EDA, war jahrelang Redaktor beim Schweizer Fernsehen DRS; vor seinem Wechsel in den Journalismus war er als Primarlehrer Mitbegründer unseres Ma- gazins. aussetzung, genauso wichtig sei es jedoch, «seine Grenzen zu – besser beraten als der langjährige TV-Korrespondent. Seine sehen». «Man kann nicht für alles verantwortlich sein.» Dass Fernseherfahrung und die guten Beziehungen zu den Medien die Krawatte richtig sitzt, die Beleuchtung stimmt, das Bild hätten 1998 wohl auch den Ausschlag für seine Wahl zum Kom- scharf ist und die Leitung steht, dafür sorgen Kameramänner, munikationschef gegeben. Licht-, Ton- und andere Techniker. «Und jeder muss seinen «Ich mache eigentlich immer alles hundertprozentig», ent- Part richtig ausführen – ich mache meinen auch.» gegnet Christen auf die Frage, ob neben seinem Amt über- haupt noch Zeit für ein Privatleben bleibt. «Dies ist kein Job Euro bedeutender als Terroranschlag den man ‚nine to six’ machen kann. Ich habe mein Natel im- Die Arbeit des Kommunikationschefs beinhaltet zwei Schwer- mer dabei, bei Notfällen bin ich permanent ansprechbar.» Zwi- punkte: Zum einen steht da die Öffentlichkeitsarbeit. «Ich schen 40 und 50 Tage im Jahr begleitet er den Aussenminister muss überzeugen, dass Aussenpolitik Sinn macht und eine auf seinen Auslandvisiten und dies sei auch für ihn privat ein Notwendigkeit darstellt», denn diese sei in der Schweiz nach grossartiges Erlebnis. «So mischen sich Beruf und Privat- wie vor erklärungsbedürftig. Auch der 11. September und die leben», aber sein Freundes- und Bekanntenkreis ausserhalb daraus entstandene «Medienhektik» hätten daran grundsätz- der Bundespolitik hilft ihm den nötigen Abstand zu wahren. lich nichts geändert. Mittelfristig sieht der 50jährige die Ein- führung des Euro als bedeutenderes Ereignis für die Schwei- Flugsand der Alltagssorgen zer Aussenpolitik als den medial ausgeschlachteten Terror- Auch sein Wohnsitz in Zürich garantiert dafür, dass er den «All- anschlag. tagskleinkram» nach getaner Arbeit hinter sich lassen kann. «Ich brauche da nichts schönreden», antwortet Christen auf Wenn er sich Abends auf den Heimweg zu seiner Frau – wel- die Frage, ob er zuweilen nicht lieber seine persönliche Mei- che in Zürich eine Galerie leitet – begibt, verschwindet ab Lan- nung kund tun möchte als die offizielle Version des Bundes- genthal der ganze «Ballast und Flugsand der Alltagssorgen und rates zu vertreten. «Würde ich die grundsätzlichen Ziele der bleibt verstreut auf der Strecke liegen». «Nur das Wichtige» Schweizer Aussenpolitik – UNO-Beitritt, mittelfristiger Beitritt nehme er mit nach Hause und dadurch findet er «umso mehr in die EU - nicht teilen, könnte ich meinen Job nicht machen.» Zeit, den andern zuzuhören». Nein, nochmals als Lehrer zu arbeiten, das ist für den Kom- Wunschdepartement EDA munikationschef «zu weit weg». Aber er diskutiert gerne mit Neben seinen Aufgaben im Rampenlicht leistet Ruedi Christen Leuten jeglichen Alters. So besuchte er im Vorfeld der UNO- viel Arbeit im Hintergrund. Als Joseph Deiss im Vorfeld der Abstimmung die Kantonsschule Solothurn, die Schule für Tou- UNO-Abstimmung durch die Schweiz tourt, fungiert der ehe- ristik in Zürich und Fachhochschule in Winterthur, um Aus- malige Journalist als sein ständiger Begleiter. «Der Aussenmi- kunft über die Schweizer Aussenpolitik zu geben. «So sieht das nister muss sich auf mich abstützen können.» Interviews wer- jetzt aus?» Erstaunt blättert das Gründungsmitglied der «Leh- den gemeinsam präpariert, öffentliche Auftritte auf ihre Wirk- rer-Zytig» in der neusten Ausgabe des «Magazins für Schule samkeit geprüft, Argumentationen im Dialog ausgefeilt. Und und Kindergarten»: «Schön gemacht, muss ich sagen.» Vielen wer könnte den Fribourger Bundesrat in seiner Funktion – in Dank, Ruedi Christen. welcher die mediale Präsenz einen zentralen Faktor darstellt vpod magazin 125/02 15
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