Wenn die Städte ins Schwitzen geraten - Sprachkraft ...
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
6 Schwerpunkt Wenn die Städte ins Schwitzen geraten Der Klimawandel sorgt für zunehmende Hitzewellen. Das spüren vor allem die Städte, die im Sommer mehr Hitzetage und Tropennächte verzeichnen. Abkühlung bringen sollen mehr Vegetation, offene Wasserflächen und die Durchlüftung der Quartiere. THEODORA PETER ETH Zürich, welche die zu erwarten- Das Klima in Bern Nachts kühlt die Luft nur zögerlich ab, Das Wasserspiel auf dem Berner Bun- den Klimaveränderungen von welt- gleicht sich bis was für Tropennächte sorgt, in denen 2050 demjenigen desplatz erfreut an heissen Sommer- weit 520 Hauptstädten für die nächs- die Temperatur nicht unter 20 Grad von Mailand an. tagen Touristen und Einheimische ten 30 Jahre analysiert haben. Dem- Foto Keystone sinkt. gleichermassen. Vor den mächtigen nach dürfte das Klima in Bern im Jahre Sandsteinfassaden von Bundeshaus 2050 demjenigen von Mailand heute Bäume statt Klimaanlagen und Nationalbank spielen Kinder ver- gleichen. London verschiebt sich nach gnügt zwischen den 26 Fontänen, die Barcelona, Stockholm nach Budapest In der Schweiz ist die Walliser Kan- jede für einen Kanton der Eidgenos- und Madrid nach Marrakesch. tonshauptstadt Sitten besonders von senschaft stehen. Klitschnass legen In der Schweiz ist gemäss den der zunehmenden Hitze betroffen: In sich die Kleinen zum Trocknen bäuch- neusten Klimaszenarien mit einem keiner anderen Schweizer Stadt sind lings auf den aufgeheizten Steinboden. Anstieg der Sommertemperaturen um die Temperaturen in den letzten Auf Restaurantterrassen, am Aareufer 0,9 bis 2,5 Grad Celsius zu rechnen. In 20 Jahren stärker angestiegen. So klet- und an Glaceständen macht sich der Folge nimmt die Zahl der Hitze- terte die Zahl der Hitzetage seit 1984 mediterranes Lebensgefühl breit. Tat- tage (ab 30 Grad Celsius) weiter zu, von 45 auf 70 Tage. Vor sechs Jahren sächlich «wandern» die Städte der was vor allem die Städte spüren, die zu lancierte der Walliser Hauptort das nördlichen Hemisphäre klimatisch veritablen Hitzeinseln werden. Schat- von der Eidgenossenschaft geförderte kontinuierlich Richtung Süden. Dies tenlose Häuserschluchten und asphal- Pilotprojekt «AcclimataSion». Ziel ist zeigt eine Studie von Forschern der tierte Plätze heizen die Luft stark auf. es, Stadtplanung und Bauvorschriften Schweizer Revue / Juni 2020 / Nr. 3
7 besser auf den Klimawandel abzu- stimmen, erklärt Stadtplaner Lionel Tudisco. Dies unter dem Motto: «Mehr Grün und Blau – weniger Grau». Für den öffentlichen Raum gehört dazu eine vermehrte Bepflanzung. «Ein Baum liefert die gleiche Frische wie fünf Klimageräte», unterstreicht Tu- disco. Im Schatten von Bäumen ist es tagsüber um bis zu sieben Grad küh- ler als in der Umgebung. Mehr «Blau» in die Stadt bringen Wasserläufe, Brunnen, Seen oder Wassergräben: «Sie schaffen Mikroklimata und ver- mindern Temperaturschwankungen.» Diese Massnahmen sollen nicht nur die Hitze in der Stadt mindern, son- dern auch das Risiko von Über- schwemmungen verkleinern. Denn der Klimawandel bringt nicht nur hö- here Temperaturen, sondern auch häufigere Starkniederschläge. Die Sit- tener bekamen dies im August 2018 zu spüren, als ein heftiger Gewitterregen die tiefergelegenen Strassen innert kurzer Zeit unter Wasser setzte. Das Vorzeigeprojekt von «Acclima- taSion» ist die Neugestaltung des Cours Roger Bonvin, einer Spazierpro- menade über der überdachten Auto- bahn. Zuvor war der 500 Meter lange Platz ein wenig attraktiver öffentli- cher Raum, der mit seinen versiegel- ten Flächen schutzlos der Sonnenein- strahlung ausgeliefert war. Heute spenden 700 Bäume Schatten, Spazier- gänger flanieren zwischen Pflanzen- inseln. Ein Sandstrand und grosszü- Ein urbaner Sandstrand, gige Sitz- und Liegeplätze vermitteln offene Brunnen und Pflanzeninseln auf dem Feriengefühle, im flachen Brunnen Asphalt: Die Walliser plantschen Kinder. Hauptstadt Sitten nimmt mit ihrem Projekt «AcclimataSion» eine Klimakarten zeigen Brennpunkte Pionierrolle ein. Fotos Flurin Bertschinger Auch in den grossen Schweizer Städ- ten beschäftigt der Klimawandel die Behörden. Die Stadt Zürich rechnet mit einer Verdoppelung der Hitzetage von 20 auf 44 – und will handeln. «Wir Schweizer Revue / Juni 2020 / Nr. 3
8 Schwerpunkt = 21 makarte analysiert, wo sich Wärmein- seln, kühlende Grünräume und Luft- ströme befinden. Raumplaner und Architekten nutzten solche Erkennt- nisse etwa bei der Überbauung des Er- lenmatt-Quartiers im Dreiländereck. Dort wurden die Gebäude so ausge- richtet, dass die Zufuhr von frischer Luft aus dem Wiesental nicht gekappt wird. Auch prägen grosszügige Frei- flächen und begrünte Strassenräume Lufttemperatur in Zürich und = 32º das Bild des neuen Stadtquartiers, das Umgebung um 14 Uhr. nach nachhaltigen Prinzipien erbaut wurde. Klimaangepasste Stadtentwicklung Hitzetage und Tropennächte belasten die Ge- sundheit der Bevölkerung. Während Hitzewel- len steigt das Sterberisiko markant an. So starben in der Schweiz in den Sommern 2003 und 2015 mehrere Hundert Personen an den Folgen hoher Temperaturen – betroffen waren vor allem ältere Menschen in Städten. Mit dem Klimawandel werden die Hitzeperioden häufi- ger, länger und heisser. Für die Siedlungsent- wicklung heisst dies, Städte und Agglomerati- onen so zu gestalten, dass sie auch in einem Lufttemperatur in Zürich und = 21º wärmeren Klima Lebensqualität bieten. Umgebung um 4 Uhr früh. Mit dem Bericht «Hitze in Städten» hat das Bundesamt für Umwelt (BAFU) 2018 Grund- lagen für eine klimaangepasste Stadtentwick- Die beiden Grafiken wollen die Überwärmung im gesam- der Ausbau von Wegnetzen hin zu lung erarbeitet. zeigen Temperaturwerte, ten Stadtgebiet vermeiden», sagt Parks oder weniger belasteten Stadt- Der Bericht zeigt anhand von Beispielen wie sie in Zürich bei Christine Bächtiger, Fachbereichslei- quartieren. Im Vergleich mit anderen aus dem In- und Ausland, wie sich der soge- windschwachen, sommer- terin beim städtischen Umwelt- und Städten ist Zürich topografisch be- nannte Hitzeinseleffekt eindämmen lässt. Den lichen Hochdrucklagen inzwischen typisch sind. Gesundheitsschutz. Konkret sollen im günstigt: Drei Viertel des städtischen Anstieg der Sommertemperaturen können die Quelle: Kanton Zürich, Amt für Stadtgebiet möglichst wenige Flächen Siedlungsgebietes profitieren von Massnahmen aber nicht verhindern. Die Ursa- Abfall, Wasser, Energie und Luft, GIS-Browser maps.zh.ch geteert oder anderweitig versiegelt kühler Luft, die nachts von den bewal- chen des Klimawandels liegen im zu hohen werden. Denn versiegelte Flächen ab- deten Abhängen von Zürichberg, CO2-Ausstoss und lassen sich nur durch eine sorbieren die Sonnenstrahlung beson- Käferberg und Uetliberg in die Stadt massive Reduktion von Treibhausgasen be- ders stark und heizen die Umgebung einströmt. Um dieses natürliche «Kalt- kämpfen, wie sie das Pariser Klima-Überein- auf. Weiter möchte die Stadt gezielt luftsystem» zu erhalten, sollen bei kommen vorsieht. (TP) Quartiere entlasten, die dicht besie- Überbauungen Durchlüftungsachsen delt sind oder wo viele ältere Men- freigehalten werden oder die Gebäude Link zum BAFU-Bericht «Hitze in Städten» schen leben, die besonders hitzeemp- eine gewisse Höhe nicht überschrei- (in deutscher Sprache): ogy.de/stadthitze findlich sind. Denkbar ist dabei auch ten. Schweizer Revue / Juni 2020 / Nr. 3
9 Mediterranisierung im Stresstest «Nieder mit den Alpen, freie Sicht aufs Mittel- meer!» So lautete in den 1980er-Jahren ein Slogan der Jugendbewegung, mit dem sich die Unzufriedenen gegen die «Bünzli»-Kultur in der Schweiz auflehnten. Die geforderte Horizonter- weiterung ohne Berge vor dem Kopf hat seit- her durchaus stattge- funden. Nun rückt auch Schattenlose Häuserschluchten und versiegelte Flächen heizen die Städte besonders auf: das Mittelmeer näher – im Bild die Europaallee in Zürich. Foto Keystone zumindest auf der Kli- makarte. Hitzetage ge- hen übergangslos in tropisch warme Nächte Die Stadt Genf setzt ihrerseits auf werden, sondern an Ort und Stelle zu- über und vermitteln südländisches Ambiente eine vermehrte Begrünung. Die Be- rückbleiben, um durch Verdunstung und mediterrane Lebensgefühle. So fand das hörden haben dafür im letzten Som- zur Abkühlung beizutragen oder für Leben in den letzten Sommern auch nördlich der mer einen Strategieplan verabschie- die Bewässerung der Vegetation zu Alpen vermehrt im Freien statt. Die Städte trugen det, der Begrünung als Teil des sorgen. «Jeder nicht versiegelte Qua- mit der «Möblierung» von Plätzen mit Stühlen kommunalen Masterplans verankert. dratmeter ist ein gewonnener Quad- und Bühnen dazu bei, dass das Leben im öffent- Bereits im Rahmen des Programms ratmeter.» In Bern tragen auch die lichen Raum pulsierte. Ganze Gassen wurden zu «Urbanature» hatten die Stadtgärtner zahlreichen Brunnen und Fliessge- Freiluftbars, Parks zu Open-Air-Kinos, Fluss- rund 1200 Bäume und 1,7 Millionen wässer zur Abkühlung bei, wie etwa und Seeufer zu Grillzonen und Ausgehmeilen. Pflanzen in den öffentlichen Raum der offengelegte Stadtbach in der Alt- Tausende genossen die Leichtigkeit des Sommers, gepflanzt. Daneben braucht es aus stadt. andere fühlten sich durch Lärm und Gestank Sicht der Stadtregierung auch einen gestört. Paradigmawechsel bei der Mobilität – Neue Baumsorten gefragt weg vom motorisierten Individual- Dieses Jahr ist vieles anders. Die Corona-Virus- verkehr. Dadurch könnten Innenhöfe, Bei der Bepflanzung setzt die Stadt Epidemie hat die Menschen in den letzten Mo- die heute als Autoabstellplatz dienen, Bern zunehmend auf «exotische» naten zum radikalen Rückzug in die eigenen begrünt werden. Bäume bringen Baumsorten, die dem Klimawandel vier Wände gezwungen. Statt südländischer nicht nur mehr Frische in die Stadt, angepasst sind. Etliche heimische Offenheit war Abkapselung und «Social Distan- sie binden auch Feinstaubpartikel aus Bäume wie die Sommerlinde oder der cing» angesagt. Wie wird die einschneidende der Luft. Bergahorn ertragen Hitze und Tro- Erfahrung des verordneten Abstandhaltens das Auf verschiedenen Ebenen anset- ckenheit schlecht. Deshalb kommt in Alltagsleben in den Städten verändern? Dies zen will auch die Stadt Bern. So sollen Bern etwa die Zerreiche zum Zug. Der werden Soziologinnen und Kulturwissenschaft- Beläge nur dann versiegelt werden, Laubbaum hat seinen Ursprung in ler gewiss eines Tages erforschen. Im besten Falle wenn dies für den Verkehr oder be- Südosteuropa und erträgt nebst Hitze ist die Corona-Krise bald vorbei und der Gemein- hindertengerechte Zugänge nötig ist. auch kalte Winter oder den in den sinn bleibt. Dann werden die Städte nicht nur Während ein Asphaltbelag sofort letzten Jahren häufig vorkommenden mediterraner, sondern grundsätzlich menschen- trocknet, versickert Niederschlag auf Spätfrost im Frühling. Von einer «Me- freundlicher. Nicht vorbei sind hingegen die einer Kiesfläche und kann später ver- diterranisierung» würde der Stadt- Klimakrise und die Herausforderungen, welche dunsten. «Wir müssen den ganzen grün-Verantwortliche deshalb nicht die Städte angesichts urbaner Hitzewellen zu Wasserfluss neu denken», sagt Chris- sprechen – zumindest nicht, was die meistern haben. toph Schärer, Leiter Stadtgrün Bern. Bäume betrifft. THEODORA PETER, REDAKTORIN «SCHWEIZER REVUE» Wasser soll nicht mehr möglichst schnell in die Kanalisation abgeführt Schweizer Revue / Juni 2020 / Nr. 3
Sie können auch lesen