WIE ALT WERDEN FOSSIL GEFEUERTE KRAFTWERKE? - JUSER
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
10. Internationale Energiewirtschaftstagung an der TU Wien IEWT 2017 Wie alt werden fossil gefeuerte Kraftwerke? Peter Markewitz, Martin Robinius, Detlef Stolten Forschungszentrum Jülich GmbH, Institut für elektrochemische Verfahrenstechnik (IEK-3), D-52425 Jülich, Tel. 02461-61-6119, p.markewitz@fz-juelich.de, www.fz-juelich.de Kurzfassung: Die Annahme von Lebensdauern fossil gefeuerter Kraftwerke spielt in Energie- und Strommarktprojektionen eine wichtige Rolle. So werden auf der Basis von Lebensdauerannahmen sowie der Inbetriebnahme einzelner Kraftwerksblöcke anlagenscharf Außerbetriebnahmejahre abgeleitet, die eine zukünftige Kapazitätsentwicklung eines Kraftwerksbestandes erlauben. Viele Studien berufen sich bei der Annahme von Lebensdauern auf Erfahrungswerte, ohne diese jedoch näher zu spezifizieren. Im Rahmen einer Ex Post Analyse wird am Beispiel der in Deutschland in den letzten 35 Jahren stillgelegten Kraftwerke wird gezeigt, dass sich die Lebensdauern fossil befeuerter Kraftwerke deutlich verlängert haben. Viele Strommarktmodelle nutzen für die Wirkungsgradangaben von Kraftwerksblöcken Regressionsgleichungen, die eine Korrelation von Wirkungsgrad und Kraftwerksalter beschreiben. Anhand von drei realen Kraftwerksblöcken wird gezeigt, dass die Anwendung von Regressionsgleichungen bei blockscharfen Strommarktanalysen mit erheblichen Unsicherheiten behaftet sein kann. Keywords: Technische Lebensdauer, Lebensdauerdefinition, Kraftwerke, Wirkungsgrad 1 Problem- und Aufgabenstellung Die Fortschreibung des Bestandes fossil gefeuerter Kraftwerke spielt in Energie- sowie Strommarktprojektionen eine wichtige Rolle. Hierfür werden in vielen Untersuchungen sogenannte technische Lebensdauern angenommen. Mit Hilfe solcher Annahmen sowie der Kenntnis der Inbetriebnahmejahre einzelner Kraftwerksblöcke werden anlagenscharf Außerbetriebnahmejahre abgeleitet. Für einen Kraftwerksbestand lässt sich somit die rückläufige Kapazitätsentwicklung über einen Zukunftszeitraum angeben. Solche Projektionen werden wiederum dazu benutzt, einen zukünftigen Kapazitätsneubaubedarf abzuschätzen. Die Angabe der technischen Lebensdauer ist somit eine wichtige Stellgröße. Viele Studien berufen sich bei der Annahme von Lebensdauern auf Erfahrungswerte, ohne diese jedoch näher zu spezifizieren. Im Rahmen einer Ex Post Analyse wird am Beispiel der in Deutschland in den letzten 35 Jahren stillgelegten fossil gefeuerten Kraftwerke gezeigt, wie sich die Lebensdauer von Kraftwerken bis heute verändert hat. Die Analysen tragen zur Fundierung und Einordnung von Lebensdauerannahmen bestehender und künftiger Energieprojektionen bei. Seite 1 von 37
10. Internationale Energiewirtschaftstagung an der TU Wien IEWT 2017 Viele Strommarktmodelle nutzen für die Wirkungsgradangaben von Kraftwerksblöcken Regressionsgleichungen, die eine Korrelation von Wirkungsgrad und Kraftwerksalter beschreiben. Da in aller Regel der Wirkungsgrad bei der Ermittlung die variablen Brennstoffkosten, die wiederum für die Herleitung der Merit Order genutzt werden, besitzt auch das Kraftwerksalter eine erhebliche Bedeutung. Die Analyse der am häufigsten verwendeten Regressionsgleichungen zeigt, dass insbesondere effizienzsteigernde Retrofittingmaßnahmen, die im Laufe einer Kraftwerkslebensdauer durchgeführt werden, nur schwer abbildbar sind. Am Beispiel von drei realen Kraftwerksblöcken, für die ausreichende Retrofittingbiographien vorliegen, wird gezeigt, dass die Anwendung von Regressionsgleichungen bei blockscharfen Strommarktanalysen mit erheblichen Unsicherheiten behaftet sein kann. In vielen Untersuchungen wird der Zeitraum von der Inbetriebnahme bis zur Außerbetriebnahme eines Kraftwerks als technische Lebensdauer bezeichnet. Allerdings ist die Begriffsverwendung wenig zutreffend, da fast alle Kraftwerke aus wirtschaftlichen Erwägungen unter Berücksichtigung des vorherrschenden Marktumfeldes und aus der Perspektive der Optimierung eines Unternehmensportfolios vorgenommen werden. Im Rahmen des Beitrages werden verschiedene häufig benutzte Lebensdauerbezeichnungen diskutiert. Darauf aufbauend wird eine Begriffsdefinition vorgeschlagen. 2 Annahme von Lebensdauern und deren Bedeutung im Rahmen energiewirtschaftlicher Analysen Die Annahme von Lebensdauern ist in vielen energiewirtschaftlichen Studien (siehe Tabelle 1) von entscheidender Bedeutung, da mit ihnen Kraftwerksbestände fortgeschrieben werden. Auf der Basis des Inbetriebnahmejahres und der Lebensdauer wird für einzelne Kraftwerksanlagen ein Außerbetriebnahmejahr berechnet, das die Stilllegung einer Anlage festlegt. Mit diesem einfachen Verfahren lassen sich unter der Voraussetzung der Datenverfügbarkeit sogenannte Bestandsabgangslinien berechnen, die oftmals auch als Sterbekurven bezeichnet werden. Die Höhe der ermittelten Restbestände hat wiederum einen großen Einfluss auf die Berechnung eines Zubaubedarfs. Beispielhaft seien an dieser Stelle die kontinuierlich zu erstellenden Netzentwicklungspläne (NEP) Strom genannt, die für einen Prognosezeitraum von 10 bis 20 Jahren erstellt werden. Die Fortschreibung des aktuellen Kraftwerksbestandes erfolgt ebenfalls mit Hilfe angenommener Lebensdauern. Mit dem Kraftwerksbestand und einem angenommenen Zubau an Erzeugungskapazität werden unter Vorgabe einer Stromnachfrage bzw. -last sogenannte Stromerzeugungs- bzw. Lastszenarien ermittelt. Diese Ergebnisse werden wiederum auf Stromnetzknoten verteilt und für Stromnetzanalysen und -planungen genutzt, was die strategische Bedeutung von Lebensdauerannahmen unterstreicht. Tabelle 1 enthält eine Auswahl von Szenarien und Prognosen, in denen eine Bestandsfortschreibung mit Hilfe von Lebensdauern erfolgt. Seite 2 von 37
10. Internationale Energiewirtschaftstagung an der TU Wien IEWT 2017 Für die alle zwei Jahre zu erstellenden Stromnetzentwicklungspläne wird auf der Basis der Inbetriebnahmejahre sowie von Lebensdauern der existierende Kraftwerksbestand für das jeweilige Projektionsjahr fortgeschrieben. In den Netzentwicklungsplänen 2011 bis 2014 wird von einer gleichen Lebensdauer ausgegangen, wobei diese als „oberer Rand der Bandbreite der Lebensdauern“ bezeichnet wird, die in Studien angenommen werden. Unklar ist, auf welche Studien zurückgegriffen wird. Der Forderung von Konsultationsteilnehmern, die Lebensdauer nicht pauschal anzunehmen sondern zu variieren, wurde in den ersten Netzentwicklungsplänen nicht nachgekommen [Übertragungsnetzbetreiber, 2013] 1. Erst in den Netzentwicklungsplänen 2015 und im Szenariorahmen 2030 werden die Lebensdauern fossiler Kraftwerke szenarienabhängig unterschiedlich angenommen. Ausgehend von den Werten der vorhergehenden Netzentwicklungspläne werden diese in einer Bandbreite von 10 Jahren variiert. Eine Besonderheit im Szenariorahmen für den Netzentwicklungsplan 2015 stellen Braunkohlekraftwerke dar. In dem zur Konsultation veröffentlichten Szenariorahmen schlagen die Übertragungsnetzbetreiber für Braunkohlekraftwerke eine Bestandsfortschreibung vor, die sich an den Betriebsdauern der Tagebaugebiete orientiert. Eine genaue Erläuterung des Berechnungsverfahrens findet sich nicht. Die Bundesnetzagentur lehnte diesen Vorschlag der Übertragungsnetzbetreiber ab, da ihrer Ansicht nach nicht jeder Tagebau eine Betriebsgenehmigung für den gesamten Tagebau aufweise und Teilgenehmigungen durchaus üblich seien [BNetzA, 2014] 2. Darüber hinaus wird argumentiert, dass die Wirtschaftlichkeit und die möglichen Deckungsbeiträge von Braunkohlekraftwerken im gegenwärtigen Marktdesign zumindest hinterfragt werden sollten. Aufgrund der im Klimapaket festgelegten CO2-Minderungsziele geht die Bundesnetzagentur davon aus, dass die Braunkohlekraftwerke einen erheblichen Reduktionsbeitrag zu leisten haben. Vor diesen Hintergründen wurde entschieden, von den Lebensdauerannahmen der vorangegangenen Netzentwicklungspläne abzuweichen und diese zu variieren. Die Bundesnetzagentur geht davon aus, dass die Variation der Lebensdauern über einen Zeitraum von 10 Jahren alle möglichen Entwicklungen abdeckt. Die Gründe, warum ein Zeitraum von 10 Jahren gewählt wurde, sind nicht bekannt. Die Forderung nach blockscharfen Lebensdauern, die auf einer individuellen Wirtschaftlichkeitsbetrachtung basieren, erscheint der Bundesnetzagentur nicht sachgerecht, da ein zukünftiger Kraftwerksbetrieb von einer Vielzahl von Faktoren abhänge, wie z.B. strategischen Unternehmensentscheidungen. Nach Ansicht der Bundesnetzagentur lassen sich daher mit „abstrakten Strommarktsimulationen“ keine blockscharfen Stilllegungsentscheidungen ableiten. Vielmehr bestehe die Gefahr einer Scheingenauigkeit. [BNetzA, 2014] 3 Welche Lebensdauern für KWK Anlagen angenommen werden, wird nicht berichtet. 1 ebd. S.46 2 ebd. S.67 3 ebd. S.67 Seite 3 von 37
10. Internationale Energiewirtschaftstagung an der TU Wien IEWT 2017 Tabelle 1: Lebensdauerannahmen für fossil befeuerte Kraftwerke in verschiedenen Projektionen Studie Erschei- Steinkohle Braunkohle Erdgas Erdöl Quelle nungsjahr NEP Strom 2013 (Entwurf) 2012 50 50 45 50 [Übertragungsnetzbetreiber, 2012] NEP Strom 2014 2013 50 50 45 50 [Übertragungsnetzbetreiber, 2013] NEP Strom 2015 (Entwurf) 2014 [Übertragungsnetzbetreiber, 2014] Szenario A 50 Tagebau- 45 45 Szenario C 40 abhängig1) 45 45 NEP Strom 2015 und 2030 2014 [BNetzA, 2014] Szenario A 50 50 45 45 Szenario B 45 45 40 40 Szenario C 40 40 35 35 AGORA 2016 [agora energiewende, 2016] Kohleausstieg bis 2025 >40 2026 – 2030 35 -39 2031 – 2015 30 -34 2036 – 2040 27 – 29 > 2040 27 Referenz 50 40 IZES Studie 2015 Abhängig von spezifischen CO2- [Horst et al., 2015] Emissionen und Emissionsobergrenzen DIW Studie 2014 Abhängig von altersabhängiger Effizienz [Reitz et al., 2014a] Klimaschutzszenario 1. Runde (Öko- 2014 45 45 [Öko-Institut & FhG-ISI, 2014] Institut, ISI) Klimaschutzszenario 2. Runde 2015 55 55 30 [Öko-Institut & FhG-ISI, 2015] S. 63 Basisfall (maximal) (maximal) (maximal) Modellendogene Bestimmung Politikszenarien VI 2014 45 50 [Hansen et al., 2014] Forschungszentrum Jülich 2015 45 50 [Heinrichs & Markewitz, 2015] Referenzentwicklung Anmerkungen: 1) Stilllegungsjahr wurde auf Basis des Inbetriebnahmejahrs und der Tagebauzugehörigkeit und dessen Lebensdauer ermittelt Seite 4 von 37
10. Internationale Energiewirtschaftstagung an der TU Wien IEWT 2017 Studie Erschei- Steinkohle Braunkohle Erdgas Erdöl Quelle nungsjahr Greenpeace Studie 2015 391) [John & Energy brainpool, 2015] (Braunkohle Ausstieg) Greenpeace-ECOFYS 2012 [Klaus et al., 2012] Mit Erneuerung 391) 361) Ohne Erneuerung 491) 471) Forschungszentrum Jülich 2002 Lebensdauer über Betriebsstunden und Kraftwerksfahrweise ermittelt [Markewitz et al., 2002] Forschungszentrum Jülich 2003 Lebensdauer modellendogen ermittelt unter Berücksichtigung technisch bedingter [Nollen, 2002] Alterung Forschungszentrum Jülich 1998 354) 354) [Markewitz et al., 1998b] Prognos AG 1995 30 bis 35 Jahre [Prognos AG, 1995] BMWi Energieprognose EWI/Prognos AG 2005 Vorgabe einer maximalen technischen Lebensdauer2), Abschaltzeitpunkt [EWI-PROGNOS, 2005] modellendogen ermittelt (Modell CEEM) BMWi Energiereport IV EWI/GWS/Prognos AG 2010 Keine Angabe [EWI/gws/Prognos, 2010] Energieszenarien für ein Energiekonzept IER/rwi/ZEW 2008 Keine Angabe [IER/rwi/ZEW, 2008] BMWi Energieprognose EWI/GWS/Prognos AG 2014 Keine Angabe [EWI et al., 2014] BMWi Energieprognose Prognos AG/EWI 1999 Abschaltzeitpunkt modellendogen ermittelt (Modelle EUDIS-EIREM)3) [Prognos AG & EWI, 1999] BMWi Energierprognose Folke, Dissertation 2000 50 50 30 Gasturbine [Folke, 2000] 35 GuD Anlage Anmerkungen 1) Mittlere Lebensdauer (Anlagengewichtet), eigene Rechnung 2) Zur maximalen technischen Lebensdauer wird keine Angabe gemacht 3) Abschaltkriterium: Deckungsbeiträge reichen nicht aus, um die fixen und variablen Kosten zu erlösen. 4) Bei Nachrüstung mit Rauchgasentschwefelungs- oder DENOX-Anlagen wurde eine Lebensdauer von 50 Jahren (35 + 15 Jahre) angenommen. Seite 5 von 37
10. Internationale Energiewirtschaftstagung an der TU Wien IEWT 2017 In einer von der AGORA beauftragten Kohleausstiegsstudie [agora energiewende, 2016] werden für einzelne Zeiträume unterschiedliche Lebensdauern für Kohlekraftwerke angenommen. Ausgehend von der Annahme eines Kohleausstiegs bis zum Jahr 2040 werden im Zeitverlauf unterschiedliche Phasen (Einstieg, Konsolidierung, Ausstieg) definiert. Für die Phasen werden Lebensdauern angenommen, die im Zeitverlauf immer geringer werden, so dass ein Ausstieg bis zum Jahr 2040 erreicht wird (vgl. hierzu Kapitel 5). Hierbei werden auch Randbedingungen wie z.B. ausreichende Amortisation neuerer Anlagen berücksichtigt. Die Entscheidung in welcher Reihenfolge Einzelkraftwerke in den jeweiligen Phasen abgeschaltet werden, richtet sich nach dem Alter der Anlagen. Generell wird unterstellt, dass die Effizienz umso geringer ist, je älter ein Kraftwerksblock ist. Die Ausstiegsstudie beinhaltet auch eine Referenzentwicklung, die als Vergleichsmaßstab zum Kohleausstieg dient. Zusätzlich werden auch unterschiedliche Dynamiken des Ausstiegs (2045: langsamer Ausstieg, 2035: ambitionierter Ausstieg) untersucht. Im Referenzszenario wird für Steinkohle- und Braunkohlekraftwerke eine Lebensdauer von 40 bzw. 50 Jahren angenommen. Eine näher erläuterte Begründung für diese Annahmen findet sich nicht. Ebenso wird der Aspekt von KWK Anlagen nicht thematisiert. In einer Studie vom Institut für Zukunftsenergiesysteme (IZES) [Horst et al., 2015], die vom Ministerium für Wirtschaft, Klimaschutz, Energie und Landesplanung (MWKEL) der Landes Rheinland Pfalz in Auftrag gegeben wurde, werden verschiedene Kohleausstiegsszenarien analysiert. Verglichen wird mit einem Referenzszenario, dessen Kraftwerksbestandsentwicklung auf dem Netzentwicklungsplan Strom 2015 basiert. Der Bestandsabgang errechnet sich aus den spezifischen CO2-Emissionen eines jeden Kraftwerksblock, die auf Basis von Wirkungsgraden ermittelt werden, die wiederum altersabhängig sind. Generell wird angenommen, dass die ältesten Anlagen auch die schlechtesten Wirkungsgrade aufweisen. Für die ambitionierten Ausstiegsszenarien werden entsprechende Korrekturen (frühere Stilllegung von Kapazitäten) vorgenommen, um die gesetzten Ziele (z.B. CO2 Ziel bis 2020 oder vollständiger Ausstieg bis 2040) einzuhalten. Handelt es sich um eine KWK-Anlage, wird unterstellt, dass diese automatisch durch eine erdgasgefeuerte GuD Anlage ersetzt wird. In einer Analyse vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) [Reitz et al., 2014a, Reitz et al., 2014b] wird vor dem Hintergrund des Aktionsprogramms Klimaschutz ein partieller Kohlekraftwerksausstieg untersucht, um die CO2-Zielsetzung bis zum Jahr 2020 einzuhalten. Die Dynamik des zusätzlichen Kohlekapazitätsrückgangs wird über pauschal stillzulegende Kapazitäten (differenziert nach Braun- und Steinkohle) festgelegt. Aus welchen Einzelanlagen sich diese stillzulegenden Kapazitäten rekrutieren, wird anhand des Alters bestimmt. Wie schon bei den Analysen von [Horst et al., 2015] und [agora energiewende, 2016] wird angenommen, dass mit zunehmenden Alter eine schlechtere Effizienz korreliert. Der Aspekt einer gleichzeitigen Erzeugung von Strom und Wärme bei KWK Anlagen wird nicht thematisiert. Seite 6 von 37
10. Internationale Energiewirtschaftstagung an der TU Wien IEWT 2017 In einer Studie von ECOFYS [Klaus et al., 2012], die im Auftrag von Greenpeace Deutschland durchgeführt wurde, wird ein Ausstieg aus der Kohleverstromung (Steinkohle: 2040, Braunkohle: 2030) analysiert. In dieser Studie wird die Fortschreibung des kohlegefeuerten Anlagenbestands auf der Basis von Emissionszuteilungen sowie den spezifischen Emissionen eines jeden Kraftwerksblocks ermittelt. Ist die Emissionszuteilung aufgebraucht, wird demzufolge der Kraftwerksblock abgeschaltet. Besondere Rücksicht wird auf KWK-Anlagen genommen, deren Außerbetriebnahme erst nach Stilllegung aller Kraftwerke ohne Fernwärmeauskopplung erfolgt. Anhand der Untersuchungen des Forschungszentrum Jülich [Markewitz et al., 1998b] bzw. [Heinrichs & Markewitz, 2015], die in einem zeitlichen Abstand von fast 20 Jahren durchgeführt wurden, lässt sich erkennen, dass aktuell von deutlich höheren Lebensdauern ausgegangen wird als früher. Ausgangspunkt dieser Annahmen sind Analysen, die mit Hilfe einer Kraftwerksabgangsstatistik für die vergangenen 20-30 Jahre durchgeführt wurden. (vgl. hierzu Kpt. 5) In diesem Kontext wurde schon damalig untersucht, inwieweit eine angenommene Lebensdauer mit den Betriebsstunden, die bei der Auslegung zugrunde gelegt werden und der Fahrweise eines Kraftwerks (Warm- und Kaltstarts) in Einklang zu bringen ist [Markewitz et al., 2002]. Insbesondere die Zunahme volatiler Stromerzeugung erfordert zukünftig eine flexiblere Fahrweise konventioneller Kraftwerke. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass die Anzahl der Warm- und Kaltstarts zunehmen und Lasttransienten sich erhöhen werden (vgl. [VDE, 2012]). Dies wiederum kann als „Lebensdauerverbrauch“ interpretiert werden. In diesem Zusammenhang ist auf eine Studie von [Meinke, 2012] hinzuweisen, in der für ein existierendes Steinkohlekraftwerk solche Aspekte im Detail analysiert werden. Eine weitere Studie [Nollen, 2002] des Forschungszentrum Jülich beschäftigt sich mit der technischen Lebensdauer von Kraftwerken sowie mit dem Aufwand für Wartung und Instandhaltung von älteren Kraftwerken, und es wird zum einen mit Hilfe einer dynamischen Investitionsrechnung der Einfluss von zunehmenden Wartungs- und Instandhaltungskosten über die Zeit analysiert. Hierauf aufbauend wird eine sogenannte „ökonomische“ Lebensdauer für verschiedene Kraftwerkstypen abgeleitet, wobei verschiedene Parameter (z.B. Energieträgerpreise, Auslastung) variiert werden. Zum anderen wird der Einfluss der Alterung in Form von Wartungs- und Instandhaltungsstrategien im Kontext des gesamten Kraftwerksparks analysiert. Mit Hilfe eines Modells, das den deutschen Kraftwerkspark abbildet, werden Ausbaustrategien berechnet und somit Lebensdauern im Kontext des gesamten Stromerzeugungssystems abgeleitet. Die Energieprognosen, die in Zeitabständen vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie in Auftrag gegeben werden, spielen eine zentrale Rolle im Zuge energiepolitischer Diskussionen. Daher wurden die BMWi-Prognosen der letzten 20 Jahre im Hinblick auf die Annahme von Lebensdauern analysiert. So wurden in der Energieprognose von 1995 [Prognos AG, 1995] Lebensdauern von 30 bis 35 Jahren unterstellt, wobei keine kraftwerkstypische Unterscheidung genannt wird. Eine Begründung dieser Annahme findet Seite 7 von 37
10. Internationale Energiewirtschaftstagung an der TU Wien IEWT 2017 sich nicht. Erst in den Prognosen von 1999 [Prognos AG & EWI, 1999] und 2005 [EWI- PROGNOS, 2005] wird darauf hingewiesen, dass der Abschaltzeitpunkt eines Kraftwerks modellendogen ermittelt wird. In der Prognose von 2005 wird darauf hingewiesen, dass modelltechnisch zusätzlich eine maximale technische Lebensdauer vorgegeben wird, die nicht überschritten werden darf. Eine Konkretisierung erfolgt allerdings nicht. Als modellendogenes Abschaltkriterium gilt, wenn der Deckungsbeitrag nicht ausreicht, um die fixen Kosten zu erlösen. Gleiches gilt für die BMWi-Energieprognose aus dem Jahr 1999 [Prognos AG & EWI, 1999]. Gleichfalls ausgewertet wurde die Untersuchung „Energieszenarien für ein Energiekonzept“ [EWI et al., 2014], die vom Bundeswirtschaftsministerium beauftragt wurde und als Orientierungshilfe bei der Formulierung des Energiekonzepts der Bundesregierung diente. Auch in dieser Untersuchung findet sich kein Hinweis zur Annahme von Lebensdauern. Die obige Analyse zeigt, dass die Annahme von Lebensdauern zwar eine zentrale Stellgröße in energiewirtschaftlichen Szenarien darstellt, allerdings wurde sie im Rahmen systemanalytischer Studien nur selten thematisiert bzw. eingehend analysiert. Darüber hinaus wird das Alter des Kraftwerks dazu benutzt, um repräsentative Wirkungsgrade abzuleiten, sofern reale Daten nicht vorliegen. Desweitern ist festzustellen, dass sich auch keine einheitliche Definition des Begriffs Lebensdauer findet. Im Folgenden wird versucht, die bislang gewählten Verfahren in Kategorien einzuteilen und diese zu diskutieren: • Annahme von Lebensdauern auf der Basis von Erfahrungswerten In fast allen Studien ist die Annahme von Lebensdauern nicht ausreichend fundiert. Häufig beruft man sich auf Erfahrungswerte, ohne diese weiter zu konkretisieren. Darüber hinaus ist zu beobachten, dass die angenommen Lebensdauern auch über lange Szenarienzeiträume unverändert fortgeschrieben werden. Allgemein kann festgestellt werden, dass in den meisten Untersuchungen die Dynamik der Bestandsentwicklungen deutlich überschätzt wurde, da die zu beobachtenden Lebensdauern über die letzten Dekaden deutlich zugenommen haben (siehe Kapitel 5) und deutlich über den angenommenen Lebensdauern liegen. Auf der Basis des jeweiligen Bestands sowie der zu deckenden Last wird in vielen Untersuchungen der Zubau von neuer Kraftwerkskapazität abgeleitet, mit dem die stillgelegten Kapazitäten ersetzt werden. Es ist davon auszugehen, dass somit auch die Zubaukapazität in vielen systemanalytischen Prognosen und Szenarien vergangener Jahre überschätzt wurde. Die Stilllegung eines Kraftwerks hat in der Regel unterschiedlichste Gründe. Wie die Vergangenheit zeigt, ist sie in enger Korrelation energie- und umweltpolitischer Entscheidungen zu sehen, durch die Rahmenbedingungen gesetzt werden, die einen großen Einfluss auf den Kraftwerksbetrieb sowie Investitionsentscheidungen hatten. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob Erfahrungswerte (und damit auch die Motive der Stilllegung) der vergangenen Dekaden auf die Zukunft übertragen werden können. Dies gilt Seite 8 von 37
10. Internationale Energiewirtschaftstagung an der TU Wien IEWT 2017 umso mehr, wenn in Zukunftsprojektionen ein stark verändertes Umfeld bzw. energiepolitische Zielsetzungen (z.B. 80 – 90% CO2 Minderung bis 2050) unterstellt wird. • Modellendogene Bestimmung von Stilllegungszeitpunkten Vielfach handelt es sich bei den eingesetzten Modellen um sogenannte Strommarktmodelle, die entlang einer Merit Order den Einsatz von Kraftwerken blockscharf unter Berücksichtigung unterschiedlichster Randbedingungen (EU Strommarktumfeld etc.) berechnen. Dies geschieht jeweils für ein bestimmtes Prognosejahr, das wiederum zeitlich hoch aufgelöst analysiert wird. Ergebnisse sind z.B. Strompreise, Kraftwerkseinsatz und – auslastungen etc. Anhand der Ergebnisse lässt sich auch der Deckungsbeitrag für jeden einzelnen Kraftwerksblock angeben, der in einigen Untersuchungen als Stilllegungskriterium herangezogen wird. Eine Konkretisierung des Kriteriums findet sich allerdings nicht. Ausnahme ist die Studie von ([Öko-Institut & FhG-ISI, 2015] S.63), in der die möglichen Stilllegungskalküle erläutert werden. Es ist anzunehmen, dass nicht in jeder Stunde eines Jahres der Deckungsbeitrag unzureichend ist, um die fixen Kosten zu decken. Daher ist die Vorgabe einer weiteren Randbedingung notwendig, die eine Stilllegungsentscheidung definiert. Hierzu werden in den ausgewerteten Studien (vgl. Tabelle 1) keinerlei Angaben gemacht. Andere Untersuchungen wiederum, die auf einer Merit Order Philosophie basieren, leiten die Stilllegung von Kraftwerken auf der Basis der Effizienz oder der spezifischen CO2- Emissionen eines Kraftwerksblocks ab. Generell wird davon ausgegangen, dass die Effizienz eines Kraftwerksblocks mit dem Alter korreliert: Je älter das Kraftwerk, umso niedriger der Wirkungsgrad und umso höher die variablen Kosten, die für die Merit order Rangfolge das entscheidende Kriterium sind. Ein generelles Problem ist die Wirkungsgradangabe für ältere Kraftwerke, da diese oftmals als Realdaten nicht verfügbar sind. Hierzu werden Regressionsanalysen durchgeführt, die auf realen Angaben basieren. So werden in einigen Analysen [Horst et al., 2015, AGORA, 2016, Folke, 2000, Reitz et al., 2014c, Schröter, 2004] auf der Basis von historischen Wirkungsgraddaten mit Hilfe von Regressionsanalysen funktionale Abhängigkeiten zwischen Effizienz und Inbetriebnahmejahr abgeleitet. Basierend auf den Arbeiten von [Folke, 2000] wurden die dort veröffentlichten Regressionsanalysen von anderen Autoren sukzessive aktualisiert. Ein Kernproblem bei den Wirkungsgradabschätzungen ist das Retrofitting von Kraftwerken, das über die Nutzungsdauer sukzessive erfolgt. Sowohl der Zeitpunkt, als auch die ergriffenen Retrofitting-Maßnahmen (z.B. Austausch des Turbosatzes oder Pumpen etc.) sind für viele Kraftwerke in aller Regel öffentlich nicht zugänglich. Dies führt dazu, dass die Steigerung des Wirkungsgrades bzw. die Leistungssteigerung nicht bekannt sind. Die vorliegenden Regressionsanalysen umfassen lediglich Kraftwerke, die nur Strom produzieren. Allerdings Seite 9 von 37
10. Internationale Energiewirtschaftstagung an der TU Wien IEWT 2017 ist zu sehen, dass eine Vielzahl 4 der Kraftwerksanlagen KWK Anlagen sind und somit Strom und Fernwärme produzieren. D.h. für eine Vielzahl von Anlagen, sind die in den Studien verwendeten Regressionsgleichungen nicht anwendbar. 3 Korrelation von Effizienz und Inbetriebnahmejahr Wie oben beschrieben, wird die Effizienz von Kraftwerken in einigen Untersuchungen auch als Stilllegungskriterium herangezogen. Unabhängig davon, ist die Annahme von Wirkungsgraden 5 bei allen Merit Order Analysen ein zentraler Parameter, da er direkt in die Ermittlung der variablen Kosten eingeht. Daher wird im Rahmen eines Exkurses auf die derzeit benutzten Ansätze zur Ermittlung von Effizienzentwicklungen eingegangen. In einer Vielzahl von Analysen wird als Grundlage eine Arbeit von [Schröter, 2004] genannt. Diese wiederum basiert teilweise auf Analysen von [Folke, 2000], der im Rahmen einer Dissertation u.a. Regressionsgleichungen für die Wirkungsgradentwicklung von Steinkohle- und Braunkohlekraftwerken entwickelt hat. In der Arbeit von [Schröter, 2004] werden zusätzlich Regressionsgleichungen für Gasturbinen und GuD Kraftwerke aufgestellt und eine Modifizierung der von [Folke, 2000] entwickelten Regressionsgleichungen vorgeschlagen. Bereits [Folke, 2000] stellt fest, dass es zwischen den Wirkungsgraden heute betriebener Kraftwerke und den Wirkungsgraden der Kraftwerke zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme erhebliche Abweichungen gibt. So liegen die Wirkungsgrade heute betriebener Kraftwerke deutlich höher. Ursache hierfür ist das Retrofitting, das seit der Inbetriebnahme durchgeführt wurde und mit einer Wirkungsgradsteigerung korrelierte. Anhand von Praxisdaten stellt [Folke, 2000] fest, dass mit einer Wirkungsgradgraderhöhung durch Retrofitting nicht der Wirkungsgrad einer Neuanlage erreicht wird. Daher schlägt er vor, einen Mittelwert 6 zu nehmen, der zwischen dem Wirkungsgrad bei Inbetriebnahme sowie dem Wirkungsgrad nach einer Neuanlage liegt. Der Verlauf der modifizierten Wirkungsgradentwicklung gegenüber der Wirkungsgradentwicklung von Neuanlagen zum Zeitpunkt der 4 Etwa 65% aller heutigen Steinkohlekraftwerke bzw. 56% aller Braunkohlekraftwerke sind KWK Anlagen. 5 Oftmals wird nicht deutlich, welche Wirkungsgraddefinition in den Analysen zugrunde gelegt wird. Vielfach wird für die Berechnungen der Wirkungsgrad im Nennbetriebspunkt herangezogen. Hierbei handelt es sich um den Auslegungswirkungsgrad, der vom Anlagenhersteller garantiert wird. Der Wirkungsgrad eines fossil betriebenen nur Elektrizität erzeugenden Kraftwerks ist der Quotient aus der Erzeugung in einer Zeitspanne und dem Brennstoffwärmeverbrauch in derselben Zeitspanne [VDEW, 1990]. Je nach Dauer dieser Zeitspanne werden unterschiedliche Betriebsfahrweisen (z.B. Teillast) erfasst. D.h. die Angabe eines Wirkungsgrades setzt sich somit aus unterschiedlichen Teillastwirkungsgraden zusammen und ist als mittlere Effizienz über eine definierte Zeitdauer zu verstehen. Da die Teillastwirkungsgrade (vgl.[Markewitz et al., 2015]) unter dem Nennwirkungsgrad liegen, ist der Wirkungsgrad, gemittelt über mehrere Betriebsfahrweisen, ebenfalls kleiner. Modellrechnungen, in denen Teillastwirkungsgrade nicht explizit abgebildet sind, sollten dieser Tatsache Rechnung tragen. 6 Die Mittelwertbildung wird in der Arbeit nicht näher erläutert. Seite 10 von 37
10. Internationale Energiewirtschaftstagung an der TU Wien IEWT 2017 Inbetriebnahme aus der Perspektive des Jahres 2000 ist in Abbildung 1 am Beispiel von Steinkohlekraftwerken dargestellt. Es ist zu erkennen, dass mit zunehmendem Zeitverlauf der Abstand beider Verläufe geringer wird. Die Differenz ist bei älteren Anlagen am größten, da indirekt unterstellt wird, dass aufgrund der längeren Betriebsdauer eine größere Anzahl wirkungssteigernder Retrofittingmaßnahmen durchgeführt wurde. Bei Anlagen, die zeitnah zum Jahr 2000 gebaut wurden, ist der Wirkungsgradabstand entsprechend geringer. [Schröter, 2004] entwickelt auf der Basis einer anderen Datenbasis eine Regressionsgleichung (Abbildung 1) und stellt fest, dass der ermittelte Verlauf über der von [Folke, 2000] vorgeschlagenen Wirkungsgradentwicklung liegt 7. Als Folge bildet er aus beiden Werten einen Mittelwert (Verlauf ist nicht der Abbildung dargestellt), wobei Gründe für die Mittelwertbildung nicht genannt werden. Im Rahmen aktuellerer Arbeiten [Horst et al., 2015] wurde die Regressionsgleichung auf der Basis neuerer Daten weiterentwickelt, um aktuellere Wirkungsgradentwicklungen sowie Retrofit-Effekte bis heute zu beschreiben. Abbildung 1 enthält daher auch einen Wirkungsgradverlauf (ohne Turbinenretrofitting), der aus der Perspektive des Jahres 2015 von [Horst et al., 2015] auf der Basis aktuellerer Daten [Egerer et al., 2014] 8 berechnet wurde. Für ein Turbinenretrofitting wird ein Wirkungsgradaufschlag 9 vorgeschlagen, der zu den dargestellten Werten zu addieren ist. Allerdings wird nicht erläutert, zu welchem Zeitpunkt ein Turbinenretrofitting erfolgt. Vergleicht man den Wirkungsgradverlauf mit den vorher genannten Untersuchungen, liegt dieser etwas über den anderen Verläufen. Addiert man die Wirkungsgraderhöhung des Turbinenretrofitting hinzu, dürfte der Verlauf deutlich höher liegen. 7 Wie Retrofittingeffekte berücksichtigt wurden, ist nicht bekannt. 8 Die Autoren geben Wirkungsgradentwicklungen für Neuanlagen an. So wird für Steinkohlekraftwerke pauschal pro Dekade eine Wirkungsgradverbesserung von 2,5 Prozentpunkten angegeben. 9 Der Effekt eines Turbinenretrofittings ergibt sich aus 30% der Differenz zwischen Wirkungsgrad im Retrofit- und Wirkungsgrad im Inbetriebnahmejahr. (siehe ebd. S. 83). Die Wirkungsgradeffekte werden in einer Bandbreite von 0,5 bis 2,5% geschätzt. Seite 11 von 37
10. Internationale Energiewirtschaftstagung an der TU Wien IEWT 2017 Abbildung 1: Korrelation zwischen Inbetriebnahmejahr und Wirkungsgrad von Steinkohlekraftwerken Ein funktionaler Zusammenhang für die Fortschreibung von Wirkungsgraden neuer Kraftwerke für Zukunftsjahre wird nur von [Folke, 2000] vorgeschlagen. Ausgehend von historischen Daten erfolgt eine angepasste Extrapolation. Die Anpassung besteht darin, dass die Wirkungsrade sich auch zukünftig dem Carnot Wirkungsgrad asymptotisch nähern und eine Überschreitung aus thermodynamischen Gründen nicht möglich ist. Auf der Grundlage diesen Annahmen sowie auf einer Auswertung von Wirkungsgradprojektionen (Stand 2000) verschiedenster Autoren wurde ein funktionaler Zusammenhang (Abbildung 2) entwickelt, mit dem eine Wirkungsgradfortschreibung bis zum Jahr 2050 möglich ist. Einschränkend ist hervorzuheben, dass die Fortschreibung der Wirkungsgrade die Perspektive des Jahres 2000 widerspiegelt. Vergleicht man die Zukunftsprojektion mit den Wirkungsgraden heutigerneuer Steinkohlekraftwerke (ca. 46% Kraftwerk Moorburg, Datteln, Mannheim), ist eine relative gute Übereinstimmung festzustellen. Seite 12 von 37
10. Internationale Energiewirtschaftstagung an der TU Wien IEWT 2017 Abbildung 2: Wirkungsgradprojektionen für neue steinkohlegefeuerte Dampfkraftwerke nach [Folke, 2000] Eine Vielzahl der heute existierenden konventionellen Kraftwerke (Kohle, Gas) sind als KWK Anlagen konzipiert, die Strom und (Fern)Wärme erzeugen. Die zusätzliche Versorgungsaufgabe (Wärme) beeinflusst wiederum die Bewertung einer Anlage vor dem Hintergrund eines Merit Order Rankings. Insbesondere bei zeitlich hochaufgelösten Analysen ist auf jahreszeitliche Effekte hinzuweisen. In einigen Studien orientiert sich die Stellung innerhalb der Merit Order an den spezifischen CO2-Emissionen. Bei einer Koppelproduktion ist demzufolge eine Aufteilung des eingesetzten Brennstoffs bzw. der CO2 Emissionen auf die einzelnen Produkte notwendig. Hierzu bedient man sich verschiedener Allokationsmethoden [Mauch et al., 2010]. Da aus technischer bzw. naturwissenschaftlicher Sicht keine angemessene Aufteilung möglich ist, sind nach [Mauch et al., 2010] alle Allokationsmethoden als „Vereinbarungen“ zu sehen. [Mauch et al., 2010] weisen darauf hin, dass die Benutzung einer Allokationsmethode vor dem Hintergrund der „jeweils zu betrachtenden Falls und den daraus resultierenden Aussagen besser oder schlechter geeignet ist“. Dies gilt umso mehr, wenn auf der Basis von Wirkungsraden bzw. spezifischer Emissionen die Stilllegung von Kraftwerken angenommen wird, wie dies in einigen Studien [Horst et al., 2015, Klaus et al., 2012] geschieht. In diesen beiden Studien wurde als Allokationsmethode die sogenannte „finnische Methode“ gewählt, bei der die Bewertung auf der Basis einer Primärenergieeinsparung vorgenommen wird. Vergleichsmaßstab ist ein Seite 13 von 37
10. Internationale Energiewirtschaftstagung an der TU Wien IEWT 2017 Referenzsystem, in dem Strom und Wärme ungekoppelt erzeugt werden. Die Berechnung der Brennstoffzuordnung bzw. der spezifischen CO2 Emissionen hängt somit entscheidend davon ab, welches Referenzsystem unterstellt wird. Insbesondere bei Zukunftsprojektionen, die größere Zeiträume abdecken, ist zu beachten, dass auch das Referenzsystem Veränderungen unterliegt, so dass ebenfalls eine sukzessive Anpassung erfolgen müsste. 3.1 Retrofitting von Bestandskraftwerken Es stellt sich die Frage, inwieweit die funktionalen Zusammenhänge zwischen 10 Inbetriebnahmejahr, Retrofittingmaßnahmen sowie Effizienz, wie sie in einigen Studien zu finden sind, auch die Realität widerspiegeln. Dies gilt umso mehr, wenn Strommarktmodelle eingesetzt werden, mit denen blockscharfe Kalkulationen durchgeführt werden. Zur Beantwortung dieser Frage, ist die Kenntnis von Ertüchtigungs- und Retrofittingmaßnahmen (Zeitpunkt des Retrofittings sowie Art der Maßnahmen) notwendig, die über die gesamte bisherige Lebensdauer eines einzelnen Kraftwerks durchgeführt wurden. In diesem Zusammenhang ist auf die Arbeit von [Henderson, 2013] hinzuweisen, die das Spektrum der Retrofitmaßnahmen beschreibt und auch auf Praxisbeispiele eingeht. Inwieweit Wirkungsgrade, die auf der Basis von Regressionsgleichungen angegeben werden, mit realen Werten übereinstimmen, wird im Nachfolgenden am Beispiel der Biografie einiger ausgewählter Kraftwerke (Steinkohlekraftwerk Farge, Steinkohlekraftwerk Ibbenbüren, Braunkohlekraftwerk Niederaußem Block H) vorgenommen, da für diese Anlagen viele detaillierte Informationen (Retrofitting, Ertüchtigung, lebensdauerverlängernde Maßnahmen und sonstige Maßnahmen) vorliegen. • Kraftwerk Farge Der Standort des Kraftwerks Farge existiert seit 1924. In den 50er Jahren war das Kraftwerk mit einer Leistung von 150 MW eines der größten Steinkohlekraftwerke in Deutschland 11. Im Jahr 1967 wurde mit dem Bau eines neuen Steinkohleblocks begonnen. Der kommerzielle Betrieb (Netzsynchronisation) des Kraftwerks wurde im Jahr 1969 aufgenommen. Der neue Kraftwerksblock wies im Jahr 1969 einen rechnerischen Wirkungsgrad von 36,5% auf und besaß eine Netto-Leistung von 300 MW. Im Jahr 1988 erfolgte der Bau einer Rauchgasentschwefelungsanlage, und 1992 wurde die Anlage mit einer Entstickungsanlage nachgerüstet. Neben einer HD Turbinenrevision erfolgte 1989 eine Anhebung der Frischdampfmenge, die aufgrund der großzügigen Basisauslegung von Komponenten 10 In diesem Zusammenhang ist auf die Arbeit von [Henderson, 2013] hinzuweisen, die das Spektrum der Retrofitmaßnahmen beschreibt und auch auf Praxisbeispiele eingeht. 11 Nach Angaben der GDF Suez AG erfolgte der Rückbau zwischen 1985 und 1990 Seite 14 von 37
10. Internationale Energiewirtschaftstagung an der TU Wien IEWT 2017 möglich war. Dies führte zu einer Leistungssteigerung von 20 MW. Eine weitere wichtige Zäsur war das Retrofitpaket im Jahr 2004, das eine Vielzahl von Maßnahmen beinhaltete und zu einer weiteren Leistungssteigerung und einer signifikanten Wirkungsgraderhöhung führte. So wurde z.B. die Beschaufelung der MD- und Niederdruckturbinen nach einer Betriebsstundenzahl von 200.000 h und 4.400 Starts ausgetauscht. Darüber hinaus wurden aber auch eine Vielzahl von weiteren effizienzsteigernden Maßnahmen ergriffen. In 2007 wurde aufgrund einer außerplanmäßigen Revision die HD Turbine ausgetauscht, was wiederum zu einer Wirkungsgraderhöhung und einer Leistungssteigerung führte. Im Jahr 2014 erfolgte die letzte grundlegende Revision, die sich im Wesentlichen auf lebensdauerverlängernde Maßnahmen (z.B. Komponentenaustausch) fokussierte. Betreiberangaben über eine Effizienzsteigerung dieser Maßnahmen liegen leider nicht vor. Allerdings ist davon auszugehen, dass auch hierdurch Effizienzsteigerungen erzielt werden konnten. Dies führte zu einer Leistungssteigerung von 20 MW. Nach Angaben des Betreibers geht man von einer Lebensdauerverlängerung aus, die mehr als 10 Jahre beträgt. Dies würde bedeuten, dass das Kraftwerk Farge bei Stilllegung (im Jahr 2024) eine Lebensdauer von 55 Jahren aufweist. Anhand der Biografie (Tabelle 2) des Kraftwerks lässt sich ablesen, dass neben Maßnahmen zur Effizienzsteigerung und Leistungserhöhung eine Vielzahl anderer Maßnahmen durchgeführt wurde, die zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit ergriffen wurden. Hinzuweisen ist auch auf den Verkauf des Kraftwerks im Jahr 2009 an das Unternehmen GDF Suez (heute: Engie). Die Effizienzsteigerung um 6 Prozentpunkte gegenüber dem Auslegungswirkungsgrad ist beachtlich. Dies gilt umso mehr, wenn man bedenkt, dass die Nachrüstung mit Rauchgasentschwefelungs- und -entstickungsanlagen in der Regel auch mit Wirkungsgradeinbußen einhergeht. Seite 15 von 37
10. Internationale Energiewirtschaftstagung an der TU Wien IEWT 2017 Tabelle 2: Biografie des Kraftwerks Farge [Henderson, 2013, Willrodt et al., 2006, GDF Suez, 2010, Wikipedia, 2016c, GDF Suez, 2016] Zeitachse Maßnahmen Leistung/Zuwachs Netto-Wirkungsgrad 1969 Inbetriebnahme, Einspeisung in das 300 MW 36,5% 220 kV Netz 1988 REA Nachrüstung 1989 Modernisierung der HD Turbine, 320 MW/20 MW 39% Anhebung der Frischdampfmenge von 920 t/h auf 1000 t/h 1992 DENOX Nachrüstung 1999 HD Retrofit, Bau eines 39,4% Flugaschesilos 2000 Umstellung auf Importkohle, Instandhaltungsmaßnahmen1) 2001 Inbetriebnahme der Klärschlamm- mitverbrennung 2004 Retrofit von MD- und ND Turbine 347 MW/27 MW2) 42,3% (nach 200.000 Betriebsstunden und 4400 Starts) sowie teilweise HD Turbine Retrofit, Austausch Kondensator, Optimierung REA und Überhitzer, Rußbläseroptimierung Lebensdauerverlängerung: 15 Jahre 2007 Außerplanmäßiges Retrofit führt zum 350 MW/4 MW 42,5%3) Ersatz der HD Turbine, zusätzlicher Effekt: Leistungssteigerung (Geplante Effizienzsteigerung: 0,5% Punkte), Kosten: 15 Mio. €, Erweiterung des Kohlelagerplatzes auf eine Kapazität von 80.000 t. 2008 Erneuerung des Aschesilos mit Schiffsverladeanlage 2009 Verkauf des Kraftwerks an die GDF Suez 2011 Große Revision mit vielen Maßnahmen zur Lebensdauer- verlägerung, Kosten: 38 Mio. € 2013 Umstellung der Kohlelogistik 2014 Revision: Erneuerung der Leittechnik, > 42,5%4) Teile des Kessels, Teile der REA, Generatorrevision (Juni 2014), Transformatoraustausch und Einspeisung auf die 380 kV Ebene, Kosten 20 Mio. € Lebensdauerverlängerung mindestens 10 Jahre 1) Keine nähere Erläuterung 2) Leistungserhöhung alleine durch Turbinenretrofit: 21 MW 3) Dampfparameter: 545°C/245 bar 4) Keine nähere Angabe, eigene Schätzung Seite 16 von 37
10. Internationale Energiewirtschaftstagung an der TU Wien IEWT 2017 Tabelle 3: Tatsächliche und berechnete Wirkungsgrade am Beispiel des Steinkohlekraftwerks Farge 1969 1999 2000 2004 2007 2015 Inbetriebnahme Betreiberangabe 36,5% 39,4% 42,3% 42,5% [Folke, 2000] 32,1% Neuanlage [Folke, 2000] 34,5% Mit Retrofit [Schröter, 2004] 35,6% Mit Retrofit [Horst et al., 2015] 35% Ohne Retrofit [Horst et al., 2015] 39% Mit Retrofit Inwieweit die von den Autoren [Schröter, 2004, Folke, 2000, Horst et al., 2015] vorgeschlagenen Regressionsgleichungen für das Steinkohlekraftwerk Farge zutreffen, wird im Nachfolgenden gezeigt. Tabelle 3 beinhaltet zum einen die Wirkungsgradentwicklung, wie sie vom Betreiber angegeben wird. So lag der rechnerische Wirkungsgrad (Auslegung) im Jahr 1969 bei 36,5%. Im Vergleich liegen die mit den Regressionsgleichungen berechneten Wirkungsgrade von [Folke, 2000] und [Horst et al., 2015] deutlich niedriger. [Schröter, 2004, Folke, 2000, Horst et al., 2015] geben an, auch die Wirkungsgraderhöhungen durch Retrofit- Maßnahmen zu berücksichtigen. Aus der Perspektive des Jahres 2000 errechnet sich nach [Folke, 2000] ein Wirkungsgrad von 34,5%, der um fast 5 Prozentpunkte unter der Betreiberangabe von 1999 liegt. Auch [Schröter, 2004] liegt mit der Angabe von 35,6% deutlich unter der Betreiberangabe. Gleiches gilt für den Wert von [Schröter, 2004], der mit 39% um 3,5 Prozentpunkte unter der Betreiberangabe liegt. Als Fazit lässt sich feststellen, dass bereits der berechnete Wirkungsgrad im Inbetriebnahmejahr deutlich zu niedrig ist. Des Weiteren ist festzuhalten, dass alle Autoren den Effekt eines Retrofit deutlich unterschätzen. • Kraftwerk Ibbenbüren Bereits im Jahr 1954 wurde in Ibbenbüren ein Steinkohlekraftwerk errichtet. Dieses wurde 1985 mit der Inbetriebnahme des Blocks B (Baubeginn: 1981) ersetzt. Das Kraftwerk wies bei der Inbetriebnahme eine Leistung von etwa 750 MW el auf und fährt in der Grund- und Mittellast. Zudem wird Wärme ausgekoppelt (20 MWth). Eine Besonderheit des Kraftwerks ist der flüssige Ascheabzug (Schmelzfeuerung). In den 80er Jahren wurde die Anlage mit Seite 17 von 37
10. Internationale Energiewirtschaftstagung an der TU Wien IEWT 2017 Rauchgasreinigungsmaßnahmen (REA, DENOX) nachgerüstet (Tabelle 4). Turnusmäßig wurden alle 4 Jahre Revisionen durchgeführt, in denen Teile ausgetauscht bzw. der jeweilige Zustand der Anlage analysiert wurde. Von besonderer Bedeutung ist die Revision im Jahr 2009, da hier der Turbosatz und der Kondensator modernisiert wurden. Dies führte zu einem Leistungszuwachs um 42 MW und einer Erhöhung des Wirkungsgrades auf 40,3%. Wirkungsgradsteigerungen hat es bis 2009 kaum gegeben, wobei zu sehen ist, dass die mit der Nachrüstung von Rauchgasreinigungsanlagen korrelierenden Wirkungsgradverluste kompensiert wurden. Die Lebensdauerverlängerung dieser und auch anderer Maßnahmen wird mit 150.000 Betriebsstunden angegeben. Eine weitere große Revision wurde im Jahr 2013 durchgeführt, indem z.B. Brennkammerauskleidungen erneuert und zwei Niederdruckvorwärmer ausgetauscht wurden. Es ist davon auszugehen, dass diese Maßnahmen auch effizienzsteigernde Auswirkungen haben, die allerdings sehr viel geringer sein dürften, als bei der Durchführung von Maßnahmen im Jahr 2009. Auch ist der Lebensdauer verlängernde Effekt zu sehen. Tabelle 4: Biografie des Kraftwerks Ibbenbüren [Walsh & Sommer, 2012, Wikipedia, 2016a, RWE, 2016a, Henderson, 2013] Zeitachse Maßnahmen Leistung/Zuwachs Netto-Wirkungsgrad 1985 Inbetriebnahme, Einspeisung in das 752 MWnetto 37,7% 220 kV Netz 1986/87 REA Nachrüstung 1988 DENOX Nachrüstung 2009 Modernisierung der Beschaufelung 794 MW1)2)/42 MW 40,3% von HD, MD und ND Turbinen, Modernisierung des Kondensators (Optimierung „kaltes Ende“), neue Kühlwasserfiltersysteme, Kühlturmsanierung etc., Leittechnik- ausstausch bis zum Retrofit: 142.800 Betriebsstunden, 83 TWhnet, 696 Anfahrvorgänge, Lebens- dauerverlängerung um 150.000 Betriebsstunden 2010 Einführung des Prozessgüteoptimierungssystems (POG) zur Optimierung des Wasser- /Dampfkreislaufs 2013 Neuer Trafo, 2 neue >40,3% Niederdruckvorwärmer (nach 175000 Betriebsstunden), neue Brennkammerauskleidungen. Lebensdauerverlängerung 1) Maximale Nettoleistung, Wärmeauskopplung von 20 MWth 2) Maximale Bruttoleistung: 838 MW 3) Keine Angabe, Schätzung Seite 18 von 37
10. Internationale Energiewirtschaftstagung an der TU Wien IEWT 2017 Der Vergleich mit den Betreiberangaben (Tabelle 5) zeigt, dass für das Inbetriebnahmejahr die berechneten Wirkungsgrade um 0,8 bis 1,5 Prozentpunkte höher liegen. Mit der von [Schröter, 2004] angegebenen Gleichung errechnet sich aus der Perspektive des Jahres 2004 ein Wirkungsgrad inklusive Retrofit Maßnahmen in Höhe von 40,7%. Dieser Wert wurde erst 5 Jahre später annähernd erreicht. Das von [Horst et al., 2015] vorgeschlagene Verfahren 12 ergibt für ein steinkohlengefeuertes Kraftwerk, das 1985 in Betrieb genommen wurde, einen Wirkungsgrad von 42,4%. D.h. mit Retrofit Maßnahmen hätte ein Wirkungsgradgewinn von 3 Prozentpunkten bewirkt werden müssen, was in der Realität nicht geschah. Der zu hohe Wirkungsgrad für das Jahr 2015 lässt dadurch erklären, dass der retrofitbedingte Effizienzgewinn aus der Differenz von 2 Wirkungsgraden bei Inbetriebnahme (1985, 2015) gebildet wird. Da für das Jahr 2015 für Neuanlagen ein Wirkungsgrad von über 48% angenommen wird, wird der Retrofiteffekt deutlich überschätzt. Heutige Neuanlagen haben jedoch Wirkungsgrade von 46 bis 46,5%. Rechnet man mit einem Wert von 46% resultiert ein Wirkungsgrad (mit Retrofitting) von 41,5%, der aber auch noch deutlich über der Betreiberangabe liegt. Tabelle 5: Tatsächliche und berechnete Wirkungsgrade am Beispiel des Steinkohlekraftwerks Ibbenbüren 1985 2000 2004 2009 2015 Inbetriebnahme Betreiberangabe 37,7% 40,3% [Folke, 2000] 38,5% Neuanlage [Folke, 2000] 39,3% Mit Retrofit [Schröter, 2004] 40,7% Mit Retrofit [Horst et al., 2015] 39,2% Ohne Retrofit [Horst et al., 2015] 42,2% Mit Retrofit • Kraftwerk Niederaußem Block H Der braunkohlegefeuerte Kraftwerksblock Niederaußem Block H wurde im Jahr 1974 in Betrieb genommen (Tabelle 6). Die elektrische Nennleistung betrug seinerzeit 600 MW 13netto bei einem Nennwirkungsgrad von 35,5%. Der Block wurde 1986 mit einer 12 Siehe Exkurs „Korrelation von Effizienz und Inbetriebnahmejahr“ (siehe Kpt. 3) 13 Bruttoleistung: 636 MW Seite 19 von 37
10. Internationale Energiewirtschaftstagung an der TU Wien IEWT 2017 Rauchgasentschwefelungsanlage sowie mit feuerungstechnischen Maßnahmen zur NOX- Minderung nachgerüstet. Anfang der 90er Jahre erfolgte eine große Revision, bei der Optimierungsmaßnahmen an der Turbine vorgenommen wurden. Im Jahr 2008/2009 erfolgte ein weiteres Retrofit. Es wurde eine weitere Modifizierung der Turbinen und ein Retrofit der Kondensatoren sowie der Kühlturmeinbauten vorgenommen. Darüber hinaus wurde u.a. die Elektro- und Leittechnik erneuert. Der Effizienzgewinn wird mit 2 Prozentpunkten und der Wirkungsgrad mit 37% (im Bestpunkt) angegeben. Weiterhin wurden lebensverlängernde Maßnahmen ergriffen. Die Kosten der im Rahmen dieses zweiten großen Retrofits durchgeführten Maßnahmen beliefen sich in Summe auf ca. 43 Mio. €. Die mit den Retrofit- Maßnahmen verbundene Leistungssteigerung beträgt 32 MW. Die aktuelle Netto-Leistung des Kraftwerkblocks beträgt nach Angaben des Betreibers 632 14 MW. Tabelle 6: Biografie des Kraftwerks Niederaußem Block H [Eichholz, 2010, Frohne, 2012, Wikipedia, 2016b, RWE, 2016b, Sommer et al., 2012] Zeitachse Maßnahmen Leistung/Zuwachs Netto-Wirkungsgrad Juni 1974 Inbetriebnahme1), Einspeisung in das 600 MWnetto 35,5% 3800 kV Netz 1986 REA Nachrüstung Primärmaßnahmen zur Stickoxidreduzierung 1994 Turbinenoptimierung >35,5%2) 2008-2009 Modernisierung der Beschaufelung 632MW netto/32 MW 37% von HD, MD und ND Turbinen, Modernisierung des Kondensators (Optimierung „kaltes Ende“) und von Kühlturmeinbauten, Erneuerung der Elektro- und Leittechnik, Ertüchtigung der Hochdruck- und Mitteldruck- Dampfleitungen Gesamtinvestitionen: 43 Mio. € (Programm MOD600) Weitere Maßnahmen zur Lebensdauerverlängerung 2012 Feuerungstechnische Optimierung des Dampferzeugers hinsichtlich NOx-Emissionen 1) Insgesamt wurden zwei Blöcke (G,H) in Betrieb genommen 2) Betreiberangabe nicht vorhanden, eigene Einschätzung 14 In der Anlagendatei der Bundesnetzagentur wird eine Netto-Leistung von 648 MW genannt. Seite 20 von 37
10. Internationale Energiewirtschaftstagung an der TU Wien IEWT 2017 Die von [Folke, 2000] vorgeschlagenen Gleichungen gelten lediglich für Steinkohlekraftwerke. Allerdings wird in dieser Studie davon ausgegangen, dass die bei Steinkohlekraftwerke zu beobachtenden Effizienzsteigerungen auch auf andere fossil befeuerten Dampfkraftwerke übertragen werden können. Da allerdings keine Betreiberangaben für das Jahr 2000 verfügbar sind und der Geltungsbereich der von [Folke, 2000] hergeleiteten Gleichungen nur bis zum Jahr 2000 reicht, ist eine Berechnung des Wirkungsgrades nicht möglich. Die Wirkungsgradberechnungen nach [Horst et al., 2015] zeigen, dass für das Inbetriebnahmejahr eine relativ gute Übereinstimmung festzustellen ist (Tabelle 7). Tabelle 7: Tatsächliche und berechnete Wirkungsgrade des Kraftwerks Niederaußem Bl. H 1985 2000 2004 2009 2015 Inbetriebnahme Betreiberangabe 35,5% 37% [Folke, 2000] k.A. Neuanlage [Folke, 2000] k.A. Mit Retrofit [Schröter, 2004] 36,2% Mit Retrofit [Horst et al., 2015] 35% Ohne Retrofit [Horst et al., 2015] 38,3% Mit Retrofit Dies gilt auch für den Wert von [Schröter, 2004] für das Jahr 2004. Zwar liegt für das Jahr 2004 keine Betreiberangabe vor, jedoch ist davon auszugehen, dass die im Rahmen des ersten Retrofits (1994) durchgeführten Turbinenoptimierung auch effizienzsteigernd wirkten. Der nach der Gleichung von [Horst et al., 2015] für das Jahr 2015 ermittelte Wert liegt mit 38,3% deutlich über dem Betreiberwert von 2009, der auch für 2015 gültig ist, da nach 2009 keine besonderen effizienzsteigernden Maßnahmen mehr ergriffen wurden. Wie bereits im vorherigen Beispiel liegt die Ursache der Abweichung darin, dass der für das Inbetriebnahmejahr 2015 berechnete Wert (46%) deutlich zu hoch liegt. Rechnet man man Wirkungsgraden, wie sie in den neuesten Anlagen realisert wurden (z.B Kraftwerk Neurath Block mit 43,2%), errechnet sich für das Jahr 2015 ein Wirkungsgrad für das Kraftwerk Niederaußem Block H von 37,4%. Seite 21 von 37
10. Internationale Energiewirtschaftstagung an der TU Wien IEWT 2017 Zwischenfazit Zusammenfassend ist anzumerken, dass es sich es sich bei den obigen drei Beispielen um Einzelanlagen handelt, die mitunter nicht repräsentativ sind. Allerdings wird deutlich, dass insbesondere bei blockscharfen Analysen die auf der Basis von Regressionsgleichungen berechneten Wirkungsgrade für die Ermittlung einer blockscharfen Merit Order bzw. zur Verwendung als Stilllegungskriterium verwenden, zu ungenau sind. So ist anzunehmen, dass eine Differenz zwischen realem und berechnetem Wirkungsgrad von mehreren Prozentpunkten (siehe Beispiel Kraftwerk Farge) einen erheblichen Einfluss auf Merit Order Analysen haben dürften. Ebenfalls wird deutlich, dass effizienzsteigernde Retrofit- Anstrengungen eine Vielzahl von Maßnahmen beinhalten. D.h. die Wirkungsgraderhöhung lediglich auf Turbinen-Retrofit zurückzuführen (vgl. [Horst et al., 2015]), reicht nicht aus. Am Beispiel des Kraftwerks Farge wird ebenfalls deutlich, welchen Einfluss Retrofit-Maßnahmen auf die Lebensdauer eines Kraftwerks besitzen. Da jedoch in den seltensten Fällen die Retrofit-Biografie eines Kraftwerks bekannt ist, ist anzunehmen, dass die Ungenauigkeit bei einer pauschalen Annahme einer Lebensdauer bei blockscharfer Betrachtung erheblich sein dürfte. Die Ermittlung der Revisions- und Retrofitbiografie von Kraftwerken erfordert einen erheblichen Aufwand. Anhand der drei Beispiele lässt sich ablesen, dass jeder Kraftwerksblock eine eigene individuelle Biografie besitzt, die kaum zu verallgemeinern ist. Dies gilt sowohl für die Art der technischen Maßnahme als auch für den Zeitpunkt eines Retrofittings. Welche effizienzsteigernden und insbesondere leistungssteigernden Maßnahmen ergriffen werden können, hängt maßgeblich von dem ursprünglichen technischen Auslegungskonzept eines Kraftwerks ab, das bei der Inbetriebnahme zugrunde lag. Dieses wirkt sich erheblich auf die möglichen Potenziale einer Wirkungsgradsteigerung und vor allem einer Leistungssteigerung aus. Wie aus den drei Beispielen ersichtlich ist, soll mit dem Austausch von Komponenten auch eine gezielte Lebensdauerverlängerung bewirkt werden. Im Hinblick auf die Annahme von Effizienzen und Lebensdauern in energiewirtschaftlichen Studien ergibt sich aus den obigen Überlegungen folgende Konsequenz: Sollen blockscharfe Aussagen getroffen werden, reicht die Anwendung von Regressionsgleichungen nicht aus. In diesen Fällen ist die Kenntnis der Retrofit-Biografie für jeden einzelnen Kraftwerksblock notwendig. Dies ist zwar mit einem erheblichen Rechercheaufwand verbunden, der allerdings die Belastbarkeit der Aussagen deutlich erhöht dürfte. In Untersuchungen, in denen keine blockscharfen Analysen erfolgen, indem z.B. ein Anlagenbestand über Typisierungen aggregjert abgebildet wird, ist die Durchführung von Sensitivitätsanalysen eine unbedingte Notwendigkeit. In diesen Fällen ist das Variieren von Wirkungsgraden und Lebensdauern erforderlich, um den Einfluss auf die Ergebnisse zu verdeutlichen. Seite 22 von 37
Sie können auch lesen