Wohin mit dem Gedenkort für die polnischen Opfer des 2. Weltkrieges?
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Wohin mit dem Gedenkort für die polnischen Opfer des 2. Weltkrieges? Die Deutsch-Polnische Gesellschaft Berlin schlägt den „Geschichtspark Ehemaliges Zellengefängnis Moabit“ an der Lehrter Straße (gegenüber dem Berliner Hauptbahnhof) als Ort des Erinnerns für die polnischen Opfer des Zweiten Weltkriegs vor. Luftbild „Geschichtspark Altes Zellengefängnis Moabit“ (ggü. Berliner Hauptbahnhof) © euroluftbild.de/Robert Grahn Nach einer jahrelang kontrovers geführten Zweiten Weltkrieges und der nationalsozi- gesellschaftlichen Debatte hat der Deutsche alistischen Besatzung Polens gewidmet ist Bundestag am 30. Oktober 2020 einen Be- und ein Ort der Begegnung und Auseinan- schluss gefasst, einen Ort der Erinnerung dersetzung mit der Geschichte ist. Er soll und Begegnung zu schaffen, der dem Cha- Deutsche und Polen zusammenbringen und rakter der deutsch-polnischen Geschichte damit zur Vertiefung unserer Beziehungen, gerecht wird und zur Vertiefung der bila- zur Verständigung und Freundschaft sowie teralen Beziehungen beiträgt. Damit kam zum Abbau von Vorurteilen beitragen. …“ der Bundestag einer Anregung des dama- Mit diesem Beschluss geht der Bundestag ligen Staatsministers und Deutschland- über die ursprüngliche Forderung nach ei- Beauftragten der polnischen Regierung, nem Denkmal weit hinaus und fordert einen Władysław Bartoszewski, nach, der sich Ort, an dem auch Informationen vermittelt schon 2013 für einen Gedenkort für die pol- und Begegnungen ermöglicht werden und nischen Opfer ausgesprochen hatte. das mit dem Ziel, zur Verständigung bei- Der Bundestag forderte die Bundesre- zutragen. Ähnlich hatten es auch die im gierung nun auf, „… an prominenter Stelle Bundesverband zusammengeschlossenen in Berlin einen Ort zu schaffen, der im Kon- Deutsch-Polnischen Gesellschaften, die text des besonderen deutsch-polnischen rund 3.000 in deutsch-polnischen Dingen Verhältnisses den polnischen Opfern des aktive Menschen vertreten, im November
2019 bereits gefordert. Wer nun versucht, rats (was hier die Wiederherstellung Polens sich die Realisierung dieses Beschlusses in den Grenzen vor den Teilungen meinte) konkret vorzustellen, kommt schnell zu dem geführt wurde. Im März 1848 wurden die Eindruck, dass dieser Ort des Gedenkens ei- verurteilten Aufständischen auf Druck der nen richtigen Platz in der Stadt sucht. demonstrierenden Bevölkerung begnadigt Nun wäre es sicher recht aussagekräf- und freigelassen. tig, den Gedenkort als Kontrapunkt zum Gemeinsam mit begeisterten Berli- Vertreibungsprojekt am Askanischen Platz nern zogen die polnischen Aufständischen, zu setzen, doch auf der Mittelinsel ist ge- darunter Ludwik Mierosławski (ein Revo- rade mal Platz für einen Gedenkstein und lutionär, der 1849 die badische Revoluti- hinter der vis-à-vis gelegenen Fassade des onsarmee befehligte) und Karol Libelt (ein Anhalter Bahnhofes soll das Exilmuseum Wissenschaftler, der sich zeitlebens am entstehen. Hier, in räumlicher Dichte und polnischen Widerstand beteiligte), in einem thematischer Konkurrenz, scheint es also Triumphzug vor das Stadtschloss. nicht aussichtsreich, einen Gedenkort für Ludwik Mierosławski hielt dort eine die polnischen Opfer aufzubauen. Rede, die auch heute noch bemerkenswert ist, weil sie der Intention des Bundestags- Bei weiterer Umschau bietet sich der Ge- beschlusses entspricht. Mit den Worten schichtspark auf dem Gelände des ehe- „Eure Freiheit ist unsere Freiheit, und un- maligen Zellengefängnis in Berlin-Moabit sere Freiheit ist die Eure!” beendete der unmittelbar am Berliner Hauptbahnhof an. polnische Revolutionär seine Ansprache vor Vom Königreich Preußen von 1842 bis 1849 dem Schloss. Dieser Satz sollte Ende des 20. als eines der modernsten Gefängnisse er- Jahrhunderts wieder große Bedeutung in baut (statt Gemeinschaftszellen gab es 540 beiden Ländern gewinnen. Einzelzellen nach dem Konzept „Läuterung Der preußische König Friedrich Wilhelm durch Isolation“), war dessen Kirche im Jahr IV. bestätigte notgedrungen die Freilassung 1847 infolge des Aufstandes in der Provinz und verbeugte sich vor dem Demonstrati- Posen Schauplatz des „Polenprozesses“, der onszug aus Berliner Bürgern und den be- öffentlich gegen 254 Polen wegen Hochver- freiten Polen. Empfang der befreiten Polen durch die Berliner Bevölkerung vor dem Zellengefängnis in Moabit am 20. März 1848 (Holzstich aus der „Illustrierten Chronik 1848“) – Copyright: akg-images
Bettina von Arnim, eine Freundin vieler deutschen Antifaschisten“ im Bezirk Fried- Polen, die 1849 eine Polenbroschüre unter richshain, der Britische Soldatenfriedhof an Pseudonym veröffentlichte, sprach damals der Heerstraße, auf dem auch polnische Pi- aus, was auch heute noch aktuell scheint: loten begraben sind, und die Gedenkstätte „Werden wir‘s erleben, daß Brüdernationen Plötzensee. Sowie auch die Gedenkstätte die Sünden einander vergeben, die ihnen Sachsenhausen und die Mahn- und Ge- eingeimpft waren? – werden sie Festigkeit denkstätte Ravensbrück in der Nähe der gewinnen und Vertrauen zu einander, das Hauptstadt. nicht wie leichte Spreu im Winde verfliegt?“ Die Frage des Gedenkens und Erinnerns Das Zellengefängnis hatte bis 1945 eine ist in den deutsch-polnischen Beziehungen Geschichte bis hin zur Inhaftierung von von besonderer Bedeutung, stellte der Bun- Beteiligten und Verdächtigten nach dem destag fest. Im Geschichtspark wären die Attentat vom 20. Juli 1944. Nach 1945 nutz- Bedingungen gegeben, einen sichtbaren ten die Alliierten die Haftanstalt. Ende der und zugänglichen Ort zu schaffen, der auch 1950er Jahre abgerissen, blieben lediglich Platz der Begegnung von Deutschen und Teile der Gefängnismauer und drei Beam- Polen sein sollte, der zur Vertiefung unserer tenwohnhäuser erhalten. Nach einer Aus- Beziehungen und Freundschaft beiträgt,“ schreibung wurde das Terrain in den „Ge- wie es der Bundestag forderte. Zudem schichtspark Ehemaliges Zellengefängnis wäre es möglich, auch ein Gedenkzeichen Moabit“ umgewandelt. Heute ist die Grün- für Personen, die in der Nachbarschaftsge- anlage umgeben von Neubau-Siedlungen, schichte von Bedeutung waren, wie z. B. Handel und Gewerbe und wird durch den Ludwik Mierosławski, Bettina von Arnim, im Ausbau befindlichen Europaplatz zu ei- Anna Morawska, Willy Brandt, Bolesław nem zentralen Stadtviertel entwickelt. Kardinal Kominek und Władysław Barto- Der Geschichtspark wäre, an promi- szewski dort aufzustellen. Das spannt den nenter Stelle in Berlin gelegen, ideal für geschichtlichen Bogen auf und hilft, die Zeit den geplanten Gedenkort und Ort der Be- von Krieg und Besatzung in die Nachbar- gegnung und Auseinandersetzung mit der schaftsgeschichte einzuordnen. Geschichte der Nachbarn Deutschland und Wir wollen der Opfer gedenken, keine Polen, wie es der Beschluss des Bundesta- Frage. Doch wir wollen auch die Geschich- ges fordert. Das Gelände in öffentlichem te einer Nachbarschaft in Erinnerung rufen, Besitz – gut erreichbar für Besucher aus vor der die Sätze von Władysław Bartoszew- Berlin, Deutschland und Polen – ist frei von ski im Jahre 2013 erst verständlich werden: jeglicher Bebauung und würde genug Platz „Ich glaube, die polnisch-deutschen Bezie- für den Erinnerungs- und Begegnungsort hungen gehören zur Welt der Wunder, po- bieten. Dieser sollte künftig auch ein Netz- sitive Wunder der Europäisierung der Men- werk von weiteren Orten sichtbar werden schen nach 1990. Die deutsch-polnischen lassen, die mit der deutsch-polnischen Beziehungen haben so große Fortschritte Nachbarschaftsgeschichte verbunden sind. gemacht wie keine anderen in Europa. Wir Dazu zählen das Denkmal für die ermorde- kennen keine zwei Länder, die so weit aus ten Juden Europas und das Denkmal für die der weiten Entfernung bei Überwindung im Nationalsozialismus ermordeten Sinti der Kluft, der bestehenden psychologischen und Roma, das interpretationsbedürftige Kluft … so weit aufeinander zugegangen „Denkmal des polnischen Soldaten und des sind.“ Christian Schröter Deutsch-Polnische Gesellschaft Berlin e. V. Vorsitzender Schillerstr. 59 ∙ 10627 Berlin Dr. Wolfram Meyer zu Uptrup E-Mail: info@dpgberlin.de ∙ dpgberlin.de Stellv. Vorsitzender Telefon: + 49 (30) 432 91 92
Geschichtspark Ehemaliges Geschichtspark Zellengefängnis Ehemaliges Moabit Zellengefängnis Moabit Deutscher Landschaftsar 1 Eingang Inva gegenüber d 2 Eingang Leh 3 Eingang von 4 Ehemaliger durch Blutbu 4a Rekonstrukt begehbare S Christiane Ke 5-7 Ehemalige durch abge Rasenflächen 8 Baumpflanzu chen, deutet an. 9 Panoptikum angedeutet skulptur 10 Hier befand 1944 von de 11 Nachbildung Betonkreise Säulenförmi „Hofgänger“ 12 Kreisförmige gesamte Grö 13 Darstellung für den Hofg größe). 14 Auf dem G (Schieferblo dem Zoolog Sandsteines Natursteinpfl 15 Ehemaliges W 16 Sternenlabyr kamp und Se borden und 17 Kletterwand Schlüssel ge nern, Bildhau 18 Ehemalige B 19 Fragment d Albrecht Hau nen Gefängn 20 Reste des eh 21 Weiße Maul ehemaligen Alle Rechte bei glaßer und dagenbach © 2007 glasser und dagenbach garten- und landschaftsarchitekten, glada-berlin.de glaßer und dagenbach, garten- und landschaftsarchitekten, berlin w 1 Eingang Invalidenstraße, ge- 10 Hier befand sich die „Irren- 15 Ehemaliges Waagehäuschen genüber dem Hauptbahnhof abteilung“, die ab 1944 von 16 Sternenlabyrinth der Bild- 2 Eingang Lehrter Straße der Gestapo genutzt wurde. hauer Gabriele Roßkamp 3 Eingang von der B96 11 Nachbildung einer Spazierho- und Serge Petit, aus vorhan- 4 Ehemaliger Gebäudeflügel A. fanlage. Betonkreise deuten denen Granitborden und Die Zellen sind durch Blutbu- die Einzelhöfe an. Säulenför- Steinresten des Lagerplatzes chen-Hecken dargestellt. mige Wacholder symbolisie- 17 Kletterwand und Sitzmau- 4a Rekonstruktion einer Zelle in ren die „Hofgänger“. er zum Thema Schlüssel Originalgröße als begehbare12 Kreisförmige Vertiefung im gestaltet mit Kindern und Skulptur mit Klanginstallati- Rasen, die die gesamte Größe Anwohnern, Bildhauerin on von Christiane Keppler einer Spazierhofanlage zeigt. Bärbel Rothhaar 5-7 Ehemalige Gebäudeflügel 13 Darstellung eines ehema- 18 Ehemalige Beamtenwohn- B-D, dargestellt durch ligen Spazierhofes für den häuser abgesenkte bzw. leicht Hofgang eines Gefangenen 19 Fragment des Gedichtes ansteigende Rasenflächen (Originalgröße). „In Fesseln“ von Albrecht 8 Baumpflanzung mit 14 Auf dem Gelände gefun- Haushofer an der erhalten geschnittenen Blutbuchen, dene Materialien (Schiefer gebliebenen Gefängnismauer deutet das frühere Verwal- blockreste der Brunnenan- 20 Reste des ehemaligen tungsgebäude an. lage vor dem Zoologischen Waschhauses von 1910 9 Panoptikum, zentraler Garten, Reste des roten 21 Weiße Maulbeerbäume in Überwachungsraum, ange- Sandsteines der Moltkebrü- Erinnerung an die ehema- deutet durch eine würfelför- cke, Reste von Naturstein- ligen Moabiter Maulbeer- mige Betonskulptur pflaster u.a.) plantagen
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