Zum Staatsfeind gemacht - Jesuiten weltweit
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Zum Staatsfeind gemacht Der Fall des inhaftierten Jesuiten und Menschenrechtlers Stan Swamy (83) macht deutlich: Der Einsatz für soziale Gerechtigkeit und Minderheiten in Indien ist gefährlich geworden. D iskriminierung von Minderhei Augen einer untätigen Polizei. Sie sind ten, Gewalt, Einschüchterung, es aber. Stichwort-Suchen im Internet Entrechtung sind die Folgen dokumentieren fast täglich schockierende der „Hindutva“, des religiös verbrämten Übergiffe auf Dalits, Muslime, Christen Rechtsnationalismus und neuen Leitmotivs und Menschenrechtsaktivisten. 2018 zeig indischer Innenpolitik. ten sich die Vereinten Nationen „erstmals ernsthaft besorgt“ über die Entwicklung. Klima der Angst und Gewalt Der lange Arm des Hindu-Nationalismus Über den schleichenden Werteverfall in reicht gar bis nach Europa: Im vergange der „größten Demokratie der Welt“ zu nen Jahr sah sich Saju George SJ, der „tan berichten, ist für eine europäische Hilfsor zende Jesuit“, nach einer Kampagne dazu ganisation mit Partnern und Projekten auf gezwungen, Auftritte in Deutschland und dem gesamten indischen Subkontinent ein Österreich abzusagen: Seine interreligiöse heikles Unterfangen. Ein Projektpartner Interpretation des klassischen indischen hat abgewunken, es sei zu gefährlich zu Tanzes sei eine Beleidigung für rechtgläubi schreiben. Einige Dinge, die Angehörige ge Hindus, war in sozialen Medien zu lesen. von „niedrigen“ Dalit-Kasten – „Unbe rührbare“ – bei Projektbesuchen erzählen, Menschenrechtler hinter Gittern klingen zunächst zu krass, zu anekdotisch, Ein Fall, der zum Politikum geworden ist, um exemplarisch für ganz Indien zu sein: macht jetzt der Weltöffentlichkeit deut Vertreibung, Gewalt, Brandschatzung lich, wie sehr Pluralismus, Meinungsfrei und andere schlimme Verbrechen vor den heit und die säkulare Verfassung Indiens in 30 jesuitenweltweit
Indien Gefahr sind: Der 83-jährige Jesuitenpater Identität jenseits der Kastengesellschaft Stan Swamy, seit Jahrzehnten leidenschaft Ein Dilemma für Dalits und die Adivasi, licher Anwalt für die Rechte der Dalits, Angehörige indigener Stämme in vielen ist seit Oktober 2020 unter konstruierten Landesteilen Indiens: Sie rangieren auf der „Terrorismus“-Vorwürfen inhaftiert. untersten Stufe der strengen traditionellen Kastengesellschaft. Schon mit der Geburt Mit ihm sitzen im Hochsicherheitsgefängnis werden ihnen niedrige Arbeiten und mise von Mumbai 15 weitere Menschenrechts rable Lebensbedingungen zugeteilt. Auch aktivisten, Männer, Frauen, Intellektuel Landrechte von Adivasi werden zunehmend le, Künstler, Juristen, viele davon Hindus: ignoriert. Die gnadenlose Ausbeutung ihrer Nicht nur Minderheiten mit eigenen, von Heimatregionen – ob für den Abbau von der Mehrheitsgesellschaft abweichenden Sand in Maharashtra oder von Mineralien Identitäten, sind im Visier der Regierungs in Jharkhand – bringt die Zerstörung der partei BJP, die seit 2014 mit Narendra Modi Umwelt und die Vertreibung der Menschen den Ministerpräsident stellt und landesweit mit sich. Schlüsselpositionen besetzt, sondern auch jene, die für die Ausgegrenzten sprechen und ihre Rechte verteidigen. Die Ideologie vom „wahren Inder“ „In der ,Hindutva‘-Weltanschauung wer den Muslime, Christen, Marxisten und diejenigen, die sich nicht dieser Ideologie anschließen, als Bürger zweiter Klasse be handelt, ohne Rechte und Privilegien, im Gegensatz zu jenen, die mit Hindutva kon form gehen und sich so Machtpositionen und Einfluss sichern“, sagt der Jesuit Den zil Fernandes, Direktor des Indian Social Institute (ISI) in Neu Delhi. „Bürger, die diese Entwicklung öffentlich kritisieren, Im Visier der Extremisten: Saju George SJ. Landesweit solida- laufen Gefahr, als Staatsfeinde und Terro risieren sich Menschen mit Stan Swamy SJ (S. 30). risten gebrandmarkt und vielleicht für den Rest ihres Lebens ins Gefängnis gesteckt zu Kein Wunder also, dass viele Dalits und werden.“ Dieses Muster verbreite sich lan Adivasi, die schon seit Generationen margi desweit immer mehr, besonders in Regio nalisiert werden, das Hindutva-Primat der nen, in denen „Hindutva“-Ideologen an der herrschenden Klasse ablehnen. Macht sind. Gefährlicher Einsatz Hindutva ist ein Kampfbegriff, der natio Immer mehr von ihnen suchen eine Identi nale Identität untrennbar mit Hindu-Re tät als indische Bürger jenseits der Kasten ligion und -Kultur verknüpft. Ein „wahrer gesellschaft, fordern Gerechtigkeit im Sinne Inder“ könne demnach nur jemand sein, der Gründerinnen und Gründer der indi der das Konzept der Hindutva teilt. schen Demokratie. jesuitenweltweit 31
Indien starb, unzählige Dalits wurden verletzt. Ob wohl alle Beweise darauf hindeuten, dass Hindu-Nationlisten für den Gewaltaus bruch verantwortlich sind, wurden in den folgenden Monaten insgesamt 16 Personen verhaftet, darunter die Menschenrechtsan wälte Arun Ferreira und Sudha Bharadwaj, die Schriftsteller Vernon Gonsalvez und Varavara Rao – und Pater Swamy. Allen wird vorgeworfen, in Zusammenarbeit mit linksextremen Kräften für den „Aufstand“ der Dalits verantwortlich zu sein. Kritisches Denken in Gefahr: ISI-Direktor Denzil Fernandes SJ. Wie tief die Risse in der Fassade der indi schen Demokratie sind, bekommt in seiner Einer von ihnen war Bhimrao Ramji Am täglichen Arbeit auch Owen Chourappa SJ bedkar (1891-1956), Rechtsanwalt, Politi zu spüren: „Ich stehe ganz persönlich im Vi ker, Sozialreformer – und als Angehöriger sier der Behörden.“ Mit seiner Menschen der Mahar ein geborener Dalit. Nach ihm rechtsorganisation Legal Cell for Human ist die „Dr. Ambedkar Cultural Academy“ Rights (LCHR) in Assam im äußersten (DACA) in Südindien benannt: eine jesuiti Nordosten Indiens kämpft er für die Rechte sche Einrichtung, die zahlreiche Lernzentren indischer Bürger, die durch eine neue Ge und Abendschulen in einer Reihe von Dis setzgebung ihre Staatsbürgerschaft verlieren trikten betreibt, wo insbesondere Mädchen könnten, meist aufgrund ihres muslimi der Zugang zu Schulbildung verwehrt bleibt. schen Glaubens. Seit 2015 haben Juristen der LCHR knapp 700 Personen vor Gericht Viele unserer Partner auf dem Subkonti vertreten und organisieren Info-Kampag nent arbeiten in ihren Projekten für und mit nen für Betroffene. „Bei Veranstaltungen Dalits, im Bildungsbereich, aber auch im ist es schwierig, Unterkünfte für unsere Einsatz für ihre politischen und gesellschaft Mitarbeiter zu organisieren“, berichtet er – lichen Rechte als Bürger Indiens., wie Stan aus Angst vor Repressalien seien nicht viele Swamy, der am 8. Oktober wegen angebli Menschen bereit, sie aufzunehmen. cher „staatsfeindlicher Aktivitäten“ verhaftet wurde und seitdem auf seinen Prozess wartet. NGOs werden handlungsunfähig Der zynische Umgang mit dem 83-jährigen, Nicht nur auf dem Land, sondern auch in der an Parkinson erkrankten Jesuitenpater zeigt, Hauptstadt sind Kritiker der Regierungslinie wie gefährlich es in Indien sein kann, sich für im Fadenkreuz: „Ich bin schon oft mit Dis Minderheiten stark zu machen. kriminierung konfrontiert worden“ berichtet Denzil Fernandes SJ: „Nicht weil ich Christ Jesuiten im Visier der Behörden bin, sondern weil ich soziale Aktivisten und Die Vorgeschichte des Falls Swamy geht zu Organisationen unterstütze, die sich für rück auf den 1. Januar 2018, als es im ge Randgruppen einsetzen.“ Neben persönlicher samten Bundesstaat Maharashtra zu Gewalt Alltagsschikane durch die Behörden stehen gegen Dalits kam. Ein Dalit-Jugendlicher NGOs und unabhängige Think Tanks auch 32 jesuitenweltweit
Indien Im Einsatz für die Werte der Verfassung: Owen Chourappa SJ (4.v.re.) mit seinem Juristen-Team. auf institutioneller Ebene unter Beschuss. Bewegungen nach oben dringen“, ist er Im September 2020 hat die indische Re überzeugt, „indem die Zivilgesellschaft den gierung die Bankkonten der Menschen Armen „eine ideologische und intellektu rechtsorganisation Amnesty International elle Basis gibt“, um Wandel herbeizufüh eingefroren und sie damit handlungsun ren. „Wir brauchen ein breites Bündnis aus fähig gemacht. „Das ISI wurde früher als Adivasi, Dalits, Angehörigen benachteiligter sozialwissenschaftliches Forschungsinstitut Klassen, Minderheiten, Bauern, Gewerk mit öffentlichen Geldern unterstützt“, be schaftern und anderen Gruppen“, ergänzt richtet Pater Fernandes, „doch 2017 wur Denzil Fernandes, „eines, das frei von par den auf einmal die Regeln geändert und teipolitischen Interessen ist, damit es keine wir bekommen nichts mehr.“ ideologischen Barrieren gibt.“ Es geht um den Schutz der Grundpfeiler der indischen Zeichen der Hoffnung Demokratie, darum, „mittels Vernunft für Kann in diesem Klima der Angst und Spal die in der Verfassung verankerten Rechte tung die Zivilgesellschaft das Ruder herum unserer säkularen Republik zu streiten“, sagt reißen und die Werte der Verfassung – Inklu Pater Chourappa: „Freiheit, Gleichheit und sion, Vielfalt, Pluralismus – retten? Gerechtigkeit.“ Steffen Windschall „Es gibt Zeichen der Hoffnung“, sagt Owen Chourappa SJ: etwa dass im Bundesstaat Telangana eine parlamentarische Resolution Mehr zum Thema: verabschiedet wurde, um den traditionellen jesuitenmission.de • jesuitenmission.at „Sarna“-Glauben von Adivasi-Stämmen als /standwithstan offizielle Religionsgemeinschaft anzuerken /lhcr nen. Die Rückkehr zur Demokratie starte /daca von unten: „Wir müssen mit Graswurzel- jesuitenweltweit 33
Sie können auch lesen