GERECHTIGKEIT UND DAS GUTE LEBEN - Zwei unterschätzte Dimensionen der Biodiversitätskommunikation

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GERECHTIGKEIT UND DAS GUTE LEBEN - Zwei unterschätzte Dimensionen der Biodiversitätskommunikation
GERECHTIGKEIT UND DAS GUTE LEBEN
     Zwei unterschätzte Dimensionen der
       Biodiversitätskommunikation

                SGN-Vortragsreihe
    „Schutz und Nutzung – (k)ein Widerspruch?
              Frankfurt, 17. Juni 2015

                  Dr. Uta Eser
GERECHTIGKEIT UND DAS GUTE LEBEN - Zwei unterschätzte Dimensionen der Biodiversitätskommunikation
Übersicht

• Einleitung: Was ist ein Argument?

• Argumente für die biologische Vielfalt: Eine ethische Studie

• Klugheit: Wohlverstandene Eigeninteressen

• Gerechtigkeit: Rechte und Pflichten

• Glück: Ein menschenwürdiges Leben

• Fazit: Was leisten Argumente für die Biologische Vielfalt?

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GERECHTIGKEIT UND DAS GUTE LEBEN - Zwei unterschätzte Dimensionen der Biodiversitätskommunikation
EINLEITUNG
 Was ist ein Argument?
GERECHTIGKEIT UND DAS GUTE LEBEN - Zwei unterschätzte Dimensionen der Biodiversitätskommunikation
Fast weg!

            Quelle: http://www.nabu.de/aktionenundprojekte/fastweg/portraits/   4
GERECHTIGKEIT UND DAS GUTE LEBEN - Zwei unterschätzte Dimensionen der Biodiversitätskommunikation
Botschaft

• Bald gibt es keine Frösche mehr.

    Na und?

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GERECHTIGKEIT UND DAS GUTE LEBEN - Zwei unterschätzte Dimensionen der Biodiversitätskommunikation
Implizite Botschaften

• Bald gibt es keine Frösche mehr.

• Das ist schlecht.

• Tu was dagegen!

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GERECHTIGKEIT UND DAS GUTE LEBEN - Zwei unterschätzte Dimensionen der Biodiversitätskommunikation
Drei Ebenen

a)   „Bald gibt es keine Frösche mehr“: Tatsache
b)   „Das ist schlecht“: Bewertung
c)   „Tu was dagegen!“: Handlungsaufforderung

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GERECHTIGKEIT UND DAS GUTE LEBEN - Zwei unterschätzte Dimensionen der Biodiversitätskommunikation
Wer A sagt muss nicht B sagen

•       Bewertung und Handlungsappell verstehen sich nicht von selbst
•       Dissens erfordert Angabe von Gründen
    • Warum ist das Verschwinden einer Art schlecht?
    • Warum sollen wir zum Schutz von Arten handeln?

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GERECHTIGKEIT UND DAS GUTE LEBEN - Zwei unterschätzte Dimensionen der Biodiversitätskommunikation
„Aktuell erleben wir auf der ganzen Welt einen     Information
rasanten Verlust biologischer Vielfalt. Seit der
Mensch auf der Erde lebt und wirtschaftet, sind
noch nie so viele Arten in so kurzer Zeit
verschwunden wie heute. […]
Die Menschheit gefährdet sich dadurch selbst,      Begründung?
denn sie ist von funktionierenden
Umweltsystemen, ihren Organismen und
deren Leistungen abhängig.“

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GERECHTIGKEIT UND DAS GUTE LEBEN - Zwei unterschätzte Dimensionen der Biodiversitätskommunikation
Wer A sagt, muss auch B sagen?

•   A: Biologische Vielfalt ist eine existentielle Grundlage für
    menschliches Leben.

    Das menschliche Leben ist wertvoll.

    Das menschliche Leben muss erhalten werden!

•   B: Die biologische Vielfalt muss erhalten werden!
Stillschweigende Voraussetzungen ent-decken:
 Tatsachen, Werte und Normen unterscheiden

        Argumente verbinden Tatsachen mit Werten und Normen
                                                                   10
WELCHE ARGUMENTE
     GIBT ES?
   Eine Studie für das Bundesamt für Naturschutz

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Nationale Strategie zur
Biologischen Vielfalt (2007)
              • „Im Jahre 2015 zählt für mindestens 75 % der
               Bevölkerung die Erhaltung der biologischen
               Vielfalt zu den prioritären gesellschaftlichen
               Aufgaben. Die Bedeutung der biologischen Vielfalt
               ist fest im gesellschaftlichen Bewusstsein
               verankert. Das Handeln der Menschen richtet sich
               zunehmend daran aus und führt zu einem
               deutlichen Rückgang der Belastung der
               biologischen Vielfalt.“
              • Kommunikationsstrategie:
               Mit welchen Argumenten kann dieses Ziel
               erreicht werden?
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Ethik-Gutachten

• Analyse der deutschen NBS und der
 begleitenden Kommunikation
• Verbesserung der
 Kommunikationsstrategie
• Drei Typen von Argumenten
 • Klugheit: „Weil es uns nützt“
 • Gerechtigkeit: „Weil wir dazu moralisch
   verpflichtet sind“
 • Glück: „Weil Natur Teil unseres Guten
   Lebens ist“

• Erweiterung: EU, A, CH, D

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Klugheit dominiert

„Aktuell erleben wir auf der ganzen Welt einen
rasanten Verlust biologischer Vielfalt. Seit der
Mensch auf der Erde lebt und wirtschaftet, sind
noch nie so viele Arten in so kurzer Zeit
verschwunden wie heute. […]
Die Menschheit gefährdet sich dadurch selbst,
denn sie ist von funktionierenden
Umweltsystemen, ihren Organismen und
deren Leistungen abhängig.“

       Spektrum der Argumente erweitern!
                                                   14
KLUGHEIT
Natur schützen, weil wir sie brauchen

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Prototyp

                                                   © KS, arboristik.de

     „Wir sägen an dem Ast, auf dem wir sitzen.“
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Variante 1: Ökologie

• Die „Rivet poppers“

• Arten eines Ökosystem = Nieten eines Flugzeug
    • Diversität  Stabilität
    • Thresholds / Tipping points
    • Prognostische Unsicherheit, Risiko

•   Denn sie wissen nicht was sie tun…
    •   „You must be out of your mind!“
    •   „Any sane person would go back“

 Gesunder Menschenverstand statt Moral
Aus: Extinction. The Causes and Consequences of the Disappearance of Species / Paul
und Anne Ehrlich, New York, 1981

                                                                                      17
Variante 2: Ökonomie

• Lebensversicherung

• Naturkapital

• Ökosystemdienstleistungen
 • Basis
 • Versorgung
 • Regulierung
 • Kulturelle

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Stärke

• Eigennutz statt Altruismus

• Verzicht „moralischer Zeigefinger“

• Weltanschauliche Neutralität

      „Ich bin doch
      nicht blöd…“

                                       Quelle: https://www.mepa.org.mt/outlook3-article9
                                                                                    19
Schwäche

• „We are all in this together“

• Kollektivrhetorik
 • „der Mensch“
 • „die Menschheit“

• „Wir alle“ profitieren vom Schutz der
 biologischen Vielfalt
  Alle sind (gleich) betroffen
• „Wir sitzen alle im selben Boot“
  Alle sind (gleich) verantwortlich

                                  Bildquelle: https://www.cbd.int/2010/country/?country=eur
                                                                                              20
Wir sitzen alle im selben Boot?

• Entscheidende Unterschiede zwischen verschiedenen Akteuren
 bleiben unsichtbar

 © „Stöwer Titanic“ von Willy Stöwer,. Lizenziert unter Gemeinfrei über Wikimedia Commons -
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Was heißt „Wir alle“?

• Unterschied zwischen Allek und Alled
 • k= kollektiv
 • d = distributiv

• „Auf der Verwechslung von Allek und     Alled
 beruht die vielleicht wirkungsmächtigste
 Ideologie der Gegenwart. Das kollektive
 Interesse aller ist nicht identisch mit dem
 distributiven Interesse aller“ (N.-R. 2011:74)
• „Das, was individuell gut für den Einzelnen
 ist, lässt sich nicht immer durch das Handeln
 des je individuellen Einzelnen realisieren“
 (z.B. Straßen, Schwimmbäder, Schulen).

                                                  22
Erste Grenze der
Klugheitsargumentation
„Die Menschheit gefährdet sich selbst“?
• Rückgang der Biodiversität gefährdet zwar uns alle (als Kollektiv),
 aber nicht jeden Einzelnen in der gleichen Weise
• „Eigennutz“ ist nur kollektiv verstanden ein gutes Argument

• Kurzfristige Partialinteressen müssen zugunsten langfristiger
 Gemeinwohlbelange zurückstehen
 Klugheit kommt nicht ohne Moral aus

      Von „wir“ zu „wer“  Gerechtigkeit
                                                                        23
GERECHTIGKEIT
 Natur schützen, weil sie Anderen nützt

                                          24
Vom „Wir“ zum „Wer“

 Wer sägt?                                         Wer fällt?

             Wir sägen an dem Ast, auf dem wir sitzen?
                                                                25
Wer sägt, wer fällt?

• Wer sägt?
 •   Wir hier und heute

• Wer fällt?
 • Andere Menschen anderswo
 • Andere Menschen in Zukunft
 • Nicht-menschliche Lebewesen

• Die Rechte Anderer verpflichten   Palmölplantage in Borneo
                                    Bild: http://photos.mongabay.com/12/0702sabah_0727.jpg
 uns jenseits von Klugheit
• Gerechtigkeit benennt
 • Verursacher / Geschädigte
 • Rechte / Pflichten

                                                                                    26
Wir heute …

… leben auf Kosten zukünftiger Generationen
• Earth Overshoot Day:
 Zeitpunkt im Jahr, an dem die heutige Generationen ihr jährliches
 Budget an natürlichen Ressourcen verbraucht hat
• Trend: Jedes Jahr etwas früher
 • 1993: 21. Oktober
 • 2003: 23. September
 • 2014: 19. August
  URL: http://www.footprintnetwork.org
 •   Zukunftsgerechtigkeit

                                                                     27
Wir hier …

…leben auf Kosten des Rests der Welt

Wenn jeder leben würde wie ein
Bürger dieses Landes, würden wir so
viele Erden brauchen:
•   USA               4.6
•   Großbritannien    2.6
•   Japan             2.4
•   Deutschland       2.0
•   Russland          1.8
•   Costa Rica        1.1
•   Indien            0.4
 Globale Gerechtigkeit
                                      Quelle: www.footprintnetwork.org
                                                                         28
„Wir“ und der Rest der Welt

• Mit Naturzerstörung verbundene Vor- und Nachteile sind global
 sehr ungleich verteilt
• 20% der Weltbevölkerung: über 50% der energiebedingten CO2-
 Emissionen.
 •   Ca. 2 Mrd. Menschen ohne Zugang zu elektrischer Energie
• 20 % der Weltbevölkerung: 60 % der Nahrungsmittel, 80 % aller
 Rohstoffe
 •   Täglich verhungern 24.000 Menschen
 Fair and equitable sharing of benefits?
 Globale Gerechtigkeit und Zukunftsgerechtigkeit verbinden:
Nachhaltige Entwicklung

                                                                  29
Nachhaltige Entwicklung

 „… eine Entwicklung, die den Bedürfnissen der heutigen
 Generation entspricht, ohne die Möglichkeit zukünftiger
 Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu
 befriedigen und ihren Lebensstil zu wählen.“
 (Brundtland-Kommission 1987)

Natur schützen, weil es Menschen nützt!

                                                        Nur
                                                      deshalb?

                       Grafik: www.fao.org
                                                                 30
„Wir“ und der Rest der Natur

• Verhältnis des Menschen zur Natur

• Oft als die eigentliche Frage der Umweltethik verstanden

• Moralischer Eigenwert der Natur

• Rechte der Natur

 Ökologische Gerechtigkeit

Problem:
Gleiche Rechte für alle Lebewesen?
 Moralische Dilemmata

                               Quelle Grafik: http://www.manifestoantispecista.org/web/tag/anti-
                               antropocentrismo/                                         31
Zweite Grenze der
Klugheitsargumentation
„Die Menschheit gefährdet sich selbst“?
• Schutz der biologischen Vielfalt ist nicht nur eine Frage des
 Überlebens
• In vielen Fällen trägt Natur zu unserem Guten Leben bei

• Nicht jede Naturbeziehung ist als „Nutzen“ anzusprechen

 Klugheit kommt nicht ohne subjektive Vorstellungen eines
gelingenden Lebens aus.

   Von ‚Nutzung‘ zu ‚Beziehung‘  Glück
                                                                  32
GLÜCK
Natur schützen, weil sie Wert für ein Gutes Leben hat

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Um was geht es?

• Club of Rome, 1973:

• „Schließlich steht der Mensch nicht vor der
 Frage, ob er als biologische Spezies
 überleben wird, sondern ob er wird
 überleben können, ohne den Rückfall in eine
 Existenzform, die nicht lebenswert
 erscheint“
                  In: Meadows et al. 1973: 176

                                                 34
Ein lebenswertes Leben
in und mit der Natur

        Der eudämonistische Wert der Natur

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Eudämonie (gr.)

• Glückseligkeit (ARISTOTELES):
 Das Leben aus einem guten Geist
• Verwirklichung der Fähigkeiten, die den
 Menschen zum Menschen machen
• Das Gelingen eines ganzen Lebens
  nicht das flüchtige Glück des Augenblicks
• Mensch als „zoon politicon“
  keine individualistische Konzeption
• Teleologisches Weltbild
  Vorstellung eines „objektiv“ Guten          Aristoteles 384-822 v. Chr.

                                                                    36
Naturverbundenheit

• Naturverbundenheit ist eine Option eines
 Guten Lebens
• Die „Fähigkeit in Verbundenheit mit Tieren,
 Pflanzen und der ganzen Natur zu leben und
 pfleglich mit ihnen umzugehen“ ist eine
 Grundfähigkeit des Menschen.
 (Nussbaum 1999:58)
• Man kann diese Option wählen, muss es aber
 nicht.

                                                37
Leben im Einklang mit der Natur
                                                           • Aichi-Ziele 2010
                                                           • “The vision of this Strategic
                                                             Plan is a world of ‘Living in
                                                             harmony with nature’…”

https://www.cbd.int/doc/strategic-plan/2011-2020/Aichi-Targets-EN.pdf

                                                                                             38
Leben im Einklang mit der Natur
                         • “We are
                          connected to the bee is
                          connected to the flower is
                          connected to the ant is
                          connected to the tree is
                          connected to the beetle is
                          connected to the sparrow
                          is connected to you.”
                             (EU biodiversity campaign)
                         • “Today it is the sparrow,
                          tomorrow it could be
                          you…”

    Glück nicht auf Überleben reduzieren!
                                                          39
Leben im Einklang mit der Natur

Rio-Deklaration, 1992, Grundsatz 1
• „Die Menschen stehen im Mittelpunkt der Bemühungen um eine
 nachhaltige Entwicklung.
• Sie haben das Recht auf ein gesundes und produktives Leben im
 Einklang mit der Natur.“

                                               Konfliktpotential:
                                               Gesundes Leben
                                              Produktives Leben
                                            Einklang mit der Natur

                                                                     40
Glück und Gerechtigkeit

• Gerechtigkeit: Was man tun und lassen soll
 (Rechte / Pflichten)
• Glück: Wonach man streben soll (Haltungen,
 Tugend)
• Verbindung?
 • Es gibt keine Pflicht zum Glück
 • Es gibt kein Recht auf Glück
 • Es gibt ein Recht auf die Möglichkeit von Glück.
 • Staat hat die Pflicht, die Bedingungen der
   Möglichkeit von Glück (durch Regeln) zu sichern.

                                                      41
Anmeldefrist 15. Juli

    WORKSHOP IM AUFTRAG DES BFN
          Jenseits von Belehrung und Bekehrung:
Wie kann Kommunikation über Ethik im Naturschutz gelingen?
                   8./9. Oktober 2015
          Tagungszentrum Hohenheim, Stuttgart

                                                             42
FAZIT
Was leisten Argumente für die Biologische Vielfalt

                                                     43
Fazit

• Klugheit
 • Betont die existentielle Bedeutung der BD
 • Setzt eine überindividuelle Perspektive voraus, d.h., kommt nicht ohne
   Moral aus
• Gerechtigkeit
 • Unterscheidet Täter und Opfer
 • Betrachtet Verteilung von Umweltnutzen und Umweltschäden

• Glück
 • Betont subjektive Bedeutung von Naturbeziehungen
 • Ist nicht verpflichtend

• Im politischen Raum entscheiden nicht (nur) Argumente, sondern
 (auch) Macht.

                                                                            44
Vielen Dank!

Literatur                                         Kontakt

Eser, Neureuther, Müller (2011):                  Büro für Umweltethik
Klugheit, Glück, Gerechtigkeit. Ethische          Dr. Uta Eser
Argumentationslinien in der nationalen            Aixer Str. 74
Strategie zur biologischen Vielfalt. NaBiV 107.   72072 Tübingen
Bonn-Bad Godesberg.
Eser, Neureuther, Seyfang & Müller (2014):        Tel.: 07071 / 97 96 930
Prudence, Justice, and the Good Life. A           E-Mail: info@umweltethikbuero.de
typology of ethical reasoning in selected
                                                  Damit das Mögliche entsteht,
European biodiversity strategies.
                                                  muss immer wieder das Unmögliche
Download auf der Website der IUCN:                versucht werden. (H.Hesse)
https://portals.iucn.org/library/node/44639

                                                                              45
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