Zur debatte - Katholische Akademie ...

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B 215 75 F

       zur debatte
       Sonderheft zur Ausgabe 4/2020

Die Goten in der Geschichte Europas

                                       W
                                                  eit zurück in die Geschichte
                                                  gingen wir mit unseren His-
                                                  torischen Tagen 2020. „Die
                                       Goten in der Geschichte Europas“
                                       war vom 26. bis zum 28. Februar das
                                       Thema. Dabei stand die Rolle dieses
                                       ostgermanischen Volkes als Vermittler
                                       zwischen Antike und Mittelalter im
                                       Mittelpunkt. Aber auch die Spuren,
                                       die die Goten – noch heute sichtbar –
                                       in Archäologie, Literatur, Brauchtum
                                       und auch Religion hinterlassen haben,
                                       zeigten die Expertinnen und Experten
                                       auf.
                                          Lesen Sie im Nachgang alle zwölf
                                       Referate, die von den Autoren noch
                                       einmal überarbeitet worden sind. Zur
                                       Erläuterung der Inhalte und zum
                                       Schmuck der Seiten haben wir eine
                                       Reihe von Landkarten, historischen
                                       Dokumenten, Kunstwerken und ande-
                                       re Illustrationen ausgesucht und im
                                       Heft abgedruckt.

                                       Theoderich der Große, in der Sage als
                                       Dietrich von Bern verewigt, war eine
                                       der zentralen historischen Persönlich-
                                       keiten im Übergang von Antike zum
                                       Mittelalter. Siehe dazu das Referat von
                                       Hans-Ulrich Wiemer ab Seite 30. Die
                                       Abbildung entstammt einer Sammel-
                                       handschrift aus dem Kloster Fulda (vor
                                       1176), heute in Leiden, Universitäts-
                                       bibliothek, Cod. Vulc. 46, fol. 1 verso.
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Jordanes änderte aber nichts an Cas-        Der Text bezieht sich ausdrücklich
Die Anfänge der Goten und die Scythica                                                  siodors Entwurf, wonach die Goten un-       auf die mündliche Überlieferung der
                                                                                        ter König Berig die Insel Skandza, Skan-    Goten, die in ipsis fabulis die Amaler
Vindobonensia                                                                           dinavien, in drei Schiffen verlassen hat-   als A(n)sen, wie das viel später überlie-
                                                                                        ten und an der Gothiscandza, an der         ferte skandinavische Göttergeschlecht
Herwig Wolfram                                                                          heute pommerschen Küste, gelandet sei-      hieß, und Halbgötter, als beständige
                                                                                        en. Das sei genau im Jahre 1490 vor         Glücksbringer im Kampf und keines-
                                                                                        Christus geschehen. Das heißt noch vor      wegs als puri homines priesen. Trotz-
                                                                                        dem Trojanischen Krieg, von dem die         dem beginnt die origo Amalorum nicht
                                                                                        Römer ihrerseits ihre Herkunft herleite-    mit dem Heros eponymos, sondern weist
                                                                                        ten. Von der Gothiscandza seien die         Amal bloß den vierten Platz in einer
                                                                                        Goten nach etwa fünf Generationen in        Genealogie zu, die mit zwei oder drei
                   I.                                                                   den südosteuropäischen Raum gezogen,        skandinavischen Götternamen beginnt.
                                                                                        wo sie nacheinander drei Wohngebiete        An der Spitze steht Gaut, der Stammva-
   Die Anfänge eines Frühen Volkes                                                      besiedelten. Zuerst in Skythien am          ter vieler Völker auf dem Kontinent, in
handeln vor allem von dessen Herkunft                                                   Asowschen Meer, dann in den Römer-          Britannien und vor allem der skandina-
und Namen. Wer aber einen Historiker                                                    provinzen Moesien, Thrakien und Daci-       vischen Gauten. Einst bekennt Odin,
damit befasst, versetzt ihn in größte                                                   en, das heißt im Getenland, und schließ-    sein „früherer“ Name sei Gautr gewe-
Verlegenheit. Diesbezüglich befragt,                                                    lich wieder in Skythien.                    sen, und auch die gotische Überliefe-
würde er am liebsten wie weiland Ritter                                                    In der ersten Heimat, in Oium, In        rung kennt keinen Odin/Wodan.
Lohengrin den nächsten Schwan neh-                                                      den saftigen Wiesen, habe noch der             Also kamen die Goten doch aus
men und abreisen. Der Historiker kann                                                   Wanderkönig Filimer regiert, der die        Skandinavien, wie es die Getica ohne-
nämlich die Frage mit seinem methodi-                                                   schamanistischen haliurunnae, die Müt-      hin behaupten? Oder waren es nur die
schen Instrumentarium und aus Mangel                                                    ter der Hunnen, aus dem Volk verban-        Amaler, die von dort nach Süden auf-
zeitnaher schriftlicher Quellen nicht be-                                               nen musste. In die zweite Heimat ka-        brachen? Tatsächlich kannte Ptole-
antworten; denn Ursprünge und Anfän-                                                    men die Goten, um hier die Geten zu         maios um 150 nicht bloß Gutonen an
ge werden erst literarisch, wenn man sie                                                werden. Zurück in der dritten, wieder       der Weichsel, sondern auch skandinavi-
braucht und dann viele Generationen                                                     skythischen Heimat wurden sie klüger        sche Guten, und Prokopios wusste im
weit von ihnen entfernt ist. So muss der                                                und teilten sich in balthische Westgoten    6. Jahrhundert von Gauten auf Thule. Die
Historiker Anleihen bei Archäologie                                                     und amalische Ostgoten. Aber entschei-      beiden Griechen übertreffend, erwähnt
und Linguistik machen. Beide sind aber                                                  dend war zunächst ihre Gleichsetzung        Cassiodor skandinavische Ostrogothen,
keine Historien mit anderen Mitteln,                                                    mit den Geten. Die Geschichte des seit      Gautigothen und andere gotisch-gauti-
sondern haben ihre eigenen Fragestel-                                                   Herodot bekannten Balkanvolkes              sche Völker. Liest man aber die Getica-
lungen, auf die sie mit eigenen Metho-                                                  schloss die der dakischen und skythi-       Stellen genauer, könnte man sagen: Die
den ihre eigenen Antworten zu finden                                                    schen Nachbarn ein und machte die           Kunde von ihren skandinavischen Ver-
suchen. Die Zeugnisse der Archäologie                                                   Amazonen zu höchst erfolgreichen goti-      wandten und ihrer daraus abgeleiteten
und Linguistik sind daher nur mit gro-      Prof. Dr. Herwig Wolfram, Professor für     schen Kriegerinnen.                         Herkunft hatten die Goten nicht ein
ßer Sorgfalt einer historischen Darstel-    Mittelalterliche Geschichte und Histo-         Schon die jüdische Geschichtsschrei-     halbes Jahrtausend lang auf ihren Wan-
lung einzufügen, um nicht in die Falle      rische Hilfswissenschaften an der Uni-      bung hatte die Endzeitvölker Gog und        derungen mitgeschleppt, was schon des-
der „vermischten Argumentation“ zu          versität Wien                               Magog bei den Skythen gefunden, ein         wegen nicht denkbar ist, weil es die Go-
tappen, wovor Rolf Hachmann und                                                         Wissen, das nun ebenfalls auf die Goten     ten als unveränderliches Ethnos nie gab.
Volker Bierbrauer so eindringlich ge-                                                   übertragen wurde, wobei man die ur-         Vielmehr hatte ein Flüchtling diese
warnt haben.                                                                            sprünglich pejorative Bedeutung unter-      Nachricht erst vor kurzem nach Raven-
   Es ist zwar weitgehend anerkannt,        Edlen, die östlichen Goten als die Ost-     drückte. Bereits vor Cassiodor hatte ein    na gebracht. Um 500 verzichtete näm-
dass die Namen der gotisch/gautischen       rogothen, als die durch den Sonnenauf-      unbekannter Autor den Japhet-Enkel          lich ein skandinavisch-gautischer Rodu-
Völker diesseits wie jenseits der Ostsee    gang glänzenden Goten. Die Getica           Ashkenas trotz, oder gerade wegen sei-      ulf auf „sein eigenes Königtum, vertrau-
das Gleiche bedeuten und etwas mit          machten im 6. Jahrhundert aus diesem        ner biblischen Kinderlosigkeit zum          te sich dem Schutz des Gotenkönigs
„gießen“, got. giutan, zu tun haben.        Namenspaar die Vesigothen im Sinne          Stammvater der Ascanaci gentes Goti-        Theoderich an und fand das Gewünsch-
Fraglich ist jedoch, wer oder was der/      von Westgoten im Gegensatz zu den           cae erklärt und damit die Goten zu den      te (in Ravenna, wie bei einem Stammes-
die Gießenden waren, ob ethnozent-          Ostrogothen, den Ostgoten. Als Selbst-      ersten Ashkenasim der Geschichte ge-        verwandten, möchte man hinzufügen).”
risch die gotischen Männer, die Samen-      bezeichnung überwog jedoch zu dieser        macht. Liutpold Wallach, der bereits           Mit der Nennung Roduulfs schließt
ausgießer, die sich bescheiden als die      Zeit und für die Zukunft bei beiden Völ-    1939 und dann 1963 auf diese Stelle         Cassiodor den Skandinavien-Block ab;
Menschen verstanden, wie es viele der-      kern stets der einfache Gotenname, wie      aufmerksam gemacht hat, stellte die         der Autor kennt dafür keine andere
artige Völkernamen tun. Oder sie waren      auch der Wechsel von einem Gotenvolk        Frage, ob nicht Ascanaci auch deswe-        Quelle, und zwar ganz im Unterschied
die Hengste nach einer eponymen Gott-       zum andern jederzeit leicht möglich war.    gen gewählt wurde, weil man den Na-         zur skythischen Vergangenheit der Go-
heit in Pferdegestalt, von der man aller-      Was die Herkunft der oder, besser,       men etymologisch mit der Insel Scan-        ten. Für deren Beglaubigung zitiert Cas-
dings nichts weiß, außer dass übelmei-      von Goten betrifft, ist nochmals festzu-    dza verband.                                siodor die mündlichen Tradition, die
nende Nachbarn sich die Geschichte er-      halten, dass auf beiden Seiten der Ost-        Mit der Verschriftlichung ihrer Her-     prisca carmina pene storico ritu, und
zählten, wonach das gesamte Goten-          see Völker mit demselben Namen leb-         kunft erhielten die Goten eine den anti-    die verissima historia des ominösen Ab-
volk nicht mehr wert sei als ein einziger   ten. Ob sie jemals ein Volk gewesen         ken Völkern, insbesondere den Römern        labius, des descriptor Gothorum gentis
Gaul. Oder die Goten/Gauten, aktuell        sind, muss keineswegs gesagt sein. In       vergleichbare Geschichte: „Originem         egregius,, der diese Überlieferung bestä-
Götar trugen ihren Namen nach einem         seiner Marius-Biographie berichtet          Gothicam historiam fecit Romanam“,          tigt. Aus der Erzählung Roduulfs könn-
Fluss, wofür in Südschweden der noch        Plutarch, die Schlacht von Aquae Sex-       (= „er machte die gotische Herkunftsge-     te Cassiodor die Herkunft der Goten
aktuell so benannte Göta Älv und auf        tiae 122 v. Chr. sei durch das Aufeinan-    schichte zur römischen Historie“), lässt    aus Skandinavien konstruiert und folg-
dem Kontinent der vom Älteren Plinius       dertreffen der mit dem Teutonen ver-        Cassiodor den König Athalarich über         lich mit einer mythischen Fahrt in drei
im 1. Jahrhundert erstmals erwähnte         bündeten, wohl germanischen Ambro-          seine Komposition in Kapitel 40 der         Schiffen über die Ostsee verbunden ha-
Guthalus = vielleicht Gotenfluss zur Ver-   nen mit den ligurischen Ambronen des        Getica von Jordanes sagen. Kein Wun-        ben. Die Dreiheit bedingte der Umstand,
fügung standen. Dazu gibt es neben den      Römerheeres eröffnet worden. Beide          der, dass die ältesten Goten keine Ah-      dass es für den Autor Ostgoten, Westgo-
beiden südschwedischen Götaländer           Ambronenvölker gebrauchten ihren Na-        nung von einer solchen Herkunft hatten      ten und die zur Einschiffung fast zu spät
auch die nach Goten/Götar benannte          men als Schlachtruf, doch wird ihnen        und sich wunderten, als sie Cassiodors      gekommenen Gepiden gab.
Insel Gotland. Anscheinend oder schein-     keine gemeinsame Abkunft zugespro-          römische Gotengeschichte hörend la-            Von der literarischen Konstruktion
bar eindeutige Sachverhalte. Doch blei-     chen. Dagegen behauptet die gotische        sen, als sie ihnen vorgetragen wurde,       abgesehen, ist aber sicher: Es gab Völ-
ben wir zunächst noch bei der Namens-       Origo eine solche Herkunft für Goten        wie der Autor selbst zugeben musste.        ker in Skandinavien wie auf dem gegen-
frage.                                      und Gauten. Das heißt, eine schriftliche                                                über liegenden Festland, die ein Gefühl
   Spätestens für die Zeit ab dem Ende      Quelle, die es trotz ihrer Problematik                         II.                      der Zusammengehörigkeit einte, woraus
des 3. Jahrhunderts spricht man im          zu bedenken gilt.                                                                       wie im Falle Roduulfs praktisches Han-
Deutschen von Westgoten und Ostgo-             Was ich dazu, meine Damen und               Wir Heutigen können die Verwunde-        deln wurde. Diese Völker führten den-
ten, meist ohne die damals gültigen Na-     Herren, zu sagen habe, ist kein Dogma,      rung der gotischen Alten verstehen,         selben Namen, was auch für je einen
men zu berücksichtigen. Tatsächlich         sondern offen für jeden Ein- und Wider-     können aber die getische Geschichte         Fluss nördlich wie südlich der Ostsee
wird bereits im Frühjahr 291 zum ers-       spruch und lautet ungefähr so: Auf          der Goten als unhistorisch bezeichnen,      zugetroffen haben dürfte. Obwohl Zu-
ten Mal von einer pars Gothorum be-         Wunsch Theoderichs des Großen ver-          weil wir wissen, dass sie der heute ver-    wanderungen nicht auszuschließen, ja
richtet, die Terwingen, Waldbewohner,       fasste Cassiodorus Senator eine gotische    lorenen Getika des Dion Chrysostomos        geschehen sind, denn Roduulf ist sicher
hieß und die westliche Abteilung im         Herkunftsgeschichte, vollendete sie aber    (gest. vor 120 n. Chr.) entnommen wur-      zunächst mit dem Schiff und keineswegs
heutigen Rumänien bildete. Das östli-       erst 533 nach des Königs Tod wohl in        de. Aber wir spitzen wie die gotischen      ohne Begleitung nach Ravenna gekom-
che ukrainische Gegenstück dazu wa-         Ravenna und überarbeitete sie um die        Greise die Ohren, wenn mitten im Ge-        men, ist jedenfalls die Annahme falsch,
ren die Greutungen, die Steinbewohner.      Jahrhundertmitte im byzantinischen          tenblock die 17-gliedrige, inhaltlich wie   die Goten seien als fertiges Volk von
Beide Ethnonyme waren landschaftsge-        Exil. In Konstantinopel redigierte der      sprachlich rein gotische Genealogie der     Skandinavien ausgezogen, wie schon
bundene Exonyme, Fremdbezeichnun-           anscheinend katholische Mösogote Jor-       Amaler auftaucht. Ein Sieg über die Rö-     Reinhard Wenskus betonte. Dass Kö-
gen, und verschwanden um 400 mit der        danes das Werk Cassiodors. Er brachte       mer zur Zeit Kaiser Domitians (81 – 96)     nigsgeschlechter, wie die Amaler, ihre
Aufgabe der gotischen Sitze nördlich        dessen origo actusque Getarum (kurz:        – selbstverständlich der getischen His-     Herkunft von Skandinavien herleiteten,
von Donau und Schwarzem Meer. Ihre          Getica) in eine Form, die erhalten blieb,   toria entnommen – motivierte die origo      ist an ihrer Namenstradition als münd-
Namen lebten aber in aufschlussreicher      weil sie die historische Entwicklung von    Amalorum, den Stammbaum der Ama-            liche, von wo immer auch bezogene
Weise im nordischen Heldenlied fort.        um 550 berücksichtigte, während die         ler, des höchstrangigen gotischen Kö-       Überlieferung festzumachen, als Narra-
Sich selbst bezeichneten die westlichen     umfangreichere Vorlage ihre Aktualität      nigsgeschlechts, dem auch der Auftrag-      tio aber das Werk der antiken und früh-
Goten auch als Vesier, als die Guten/       verloren hatte und daher verloren ging.     geber Theoderich der Große angehörte.       mittelalterlichen Ethnographie.

2   Sonderheft zur Ausgabe 4/2020
Zur debatte - Katholische Akademie ...
Geburt und der Mitte des 2. Jahrhun-
                                                                                                         derts erwähnen sie je zwei griechische       Themen „zur debatte“
                                                                                                         und lateinische Autoren und lokalisie-
                                                                                                         ren sie zunächst in Küstennähe zwi-          Die Anfänge der Goten und die
                                                                                                         schen Oder und Weichsel, also noch in,       Scythica Vindobonensia
                                                                                                         obgleich am Rande der Germania. Zu-          Herwig Wolfram                                     2
                                                                                                         gegeben, die Bezeichnung der Gutonen         Der Einfall der Hunnen nach
                                                                                                         als gotisches Volk ist keine rein histori-   Europa um 370 und seine Folgen.
                                                                                                         sche, sondern eine linguistisch-archäo-      Das Reich Attilas bis zum Zerfall
                                                                                                         logische Annahme. Es gibt nicht wenige       453/454
                                                                                                         Archäologen, die die pommersch-west-
                                                                                                                                                      Klaus Rosen                                        5
                                                                                                         preußische Wielbark/Willemberg-, die
                                                                                                         ukrainische Černjachov- und die sieben-      Die Schlacht von Adrianopel
                                                                                                         bürgische Sântana-de-Mureş-Kultur            (378) und der Gotenkrieg
                                                                                                         miteinander in Verbindung bringen, sie       376 – 382
                                                                                                         als gotisch verstehen und somit die Gu-      Dariusz Brodka                                     9
                                                                                                         tonen als Vorgänger der donauländi-
                                                                                                         schen und pontischen Goten anneh-            Alarich I. Karriere eines
                                                                                                         men. Linguistisch wird argumentiert,         Getriebenen
                                                                                                         dass der Name Gutones die volks-             Mischa Meier                                   12
                                                                                                         sprachliche Eigenbezeichnung Gut ent-
                                                                                                         hält, wie vielleicht in Gúthalus, vor al-    Goten in Gallien. Aufstieg und
                                                                                                         lem aber in Gútthiuda = Gotenvolk im         Untergang des Tolosanischen
                                                                                                         Sinne von Gotenland nachweisbar.             Reiches
                                                                                                            Die Gutonen waren ein zeitweise ab-       Christian Stadermann                           16
                                                                                                         hängiges und noch um 150 n. Chr. klei-       Was Europa dem Toledanischen
                                                                                                         nes Volk, das Tacitus zu den germani-        Reich der Westgoten verdankt.
                                                                                                         schen Oststämmen zählte. Sie besaßen         Wege von der Antike ins Mittelalter
                                                                                                         nach ihm und dem Älteren Plinius Be-
                                                                                                                                                      Klaus Herbers                     20
                                                                                                         ziehungen zu zwei gentilen Verbänden,
                                                                                                         zur lugisch-vandalischen Völkergruppe        Ulfila – Bischof der Christen
                                                                                                         an und östlich der Oder und zu den           im gotischen Land. Seine Be-
                                                                                                         Markomannen im heutigen Böhmen               deutung für die Anfänge des
                                                                                                         und Mähren. Gemeinsam mit den Lugi-          gotischen Christentums
                                                                                                         ern gerieten die Gutonen am Beginn           Eike Faber                                     23
                                                                                                         des 1. Jahrhunderts unter markomanni-
                                                                                                         sche Oberherrschaft, blieben jedoch am       Ostgotische Gruppen als Beute-
                                                                                                         Rande des Einflussgebietes von König         genossen und Föderaten in
                                                                                                         Marbod, so dass sich bei ihnen eine Op-      Pannonien und auf dem Balkan
                                                                                                         position gegen dessen Großreich bilden       Verena Epp                                     27
                                                                                                         konnte.
                                                                                                            Vom gutonischen Stammesgebiet aus         Theoderich der Große, ein
                                                                                                         wurde der mächtige Markomannenfürst          gotischer König im spätrömischen
                                                                                                         mit römischer Hilfe im Jahre 18 oder         Italien
                                                                                                         kurz danach gestürzt. Aus der Marbod-        Hans-Ulrich Wiemer               30
                                                                                                         Zeit stammen zwei Gegenstände, die           Zwischen Ravenna und
                                                                                                         das Markomannenland mit dem gutoni-          Konstantinopel: Das Papsttum
                                                                                                         schen Siedlungsgebiet verbinden. Von         im ostgotischen Italien
                                                                                                         den zwei aus derselben römischen
                                                                                                                                                      Steffen Diefenbach                             33
                                                                                                         Werkstatt importierten, völlig gleichen
                                                                                                         Bronzekesseln, denen die Produzenten         Das Ende des Gotenreiches und
                                                                                                         je vier bärtige Germanenköpfe atta-          der Wandel der Mittelmeerwelt
                                                                                                         chiert hatten, wurde der eine im süd-        in der Spätantike
Foto: Codex hist. gr. 73, fol. 194v: Scythica Vindobonensia. Spectral imaging by the Early Manuscripts   mährischen Mušov/Muschau, der ande-          Hartmut Leppin                                 37
                     Electronic Library. Processed image by David Kelbe. © Project FWF P 24523-G19       re im ostpommerschen Czarnowko/
Nur wenige Fragmente des Werkes                      zung dieser wertvollen Quelle gelang                Scharnhorst bei Lębork/Lauenburg             Die Goten – Paten Europas?
Scythica des Griechen Publius Heren-                 einem Forscherteam der Österreichi-                 gefunden.                                    Archäologische, sprachliche
nius Dexippos aus dem 3. Jahrhundert                 schen Nationalbibliothek, die Textstel-                Die Gutonen hatten ein für Germa-         und kulturelle Spuren der Goten
sind überliefert. Eine wichtige Ergän-               len in einem Palimpsest fanden.                     nen sehr starkes Königtum. Dieses be-        Rossen Milev                    40
                                                                                                         saß die Fähigkeit, die Gutonen gefolg-
                                                                                                         schaftlich wie als polyethnisches Volk       Impressum                                          3
                                                                                                         zu organisieren. Nach der Mitte des
                                                                                                         2. Jahrhunderts wurden die Gutonen so
   Dafür gab es die gute Erklärung, die
auch die Getica übernahmen: Skandi-
navien sei die officina gentium aut certe
                                                     der großen keltischen Heiligen Brigit,
                                                     die freilich einst eine heidnische Göttin
                                                     war, aufsagen konnte, war damit vor
                                                                                                         mächtig, dass sie sich von Mittelpolen
                                                                                                         über die Weichsel nach Südosten zum
                                                                                                         Schwarzen Meer hin ausbreiteten. Die
                                                                                                                                                      zur debatte
                                                                                                                                                      Themen der Katholischen Akademie
velut vagina nationum und daher das                  den Nachstellungen des Teufels, aber                Wanderer lösten eine so große Unruhe         in Bayern
Auswanderungsland der antiken Ethno-                 auch vor irdischen Feinden für den Tag              aus, dass die Alte Welt von den Marko-       Jahrgang 50
graphie schlechthin gewesen. Das kalte               und die Nacht gefeit. Lange Stammbäu-               mannenstürmen heimgesucht wurde,
                                                                                                                                                      Herausgeber und Verleger:
Klima verlängerte die Fortpflanzungsfä-              me entsprechen dem Konservatismus                   und erlebten selbst eine gewaltige Ver-      Katholische Akademie in Bayern, München
higkeit von Mann und Frau. Die extrem                einer Inselkultur. Dagegen blieben sie              änderung. Sie vergesellschafteten sich       Akademiedirektor PD Dr. Achim Budde
langen und eisigen Winternächte för-                 auf dem Kontinent nur in geringer Zahl              mit finnischen, baltischen, iranisch-sar-    Redaktion: Dr. Robert Walser (verantwort.),
derten in den zugigen Hütten das Zu-                 und ohne skandinavischen Bezug zu-                  matisch und venetischen Völkern. Aus         Dominik Fröhlich
sammenrücken und begünstigten den                    meist nur in kurzer Form erhalten. Der              ihnen wurden „Skythen“, die die anti-        Fotos: Akademie
                                                                                                                                                      Anschrift von Verlag u. Redaktion:
phantastischen Fortpflanzungsdrang der               mächtige Frankenkönig Chlodwig nahm                 ken Autoren als Goten von den Germa-         Katholische Akademie in Bayern,
Einheimischen, so dass Skandinavien                  in seiner vorethnographischen Genealo-              nen unterschieden.                           Mandlstraße 23, 80802 München
stets unter Übervölkerung litt. Diese                gie bereits den vierten Platz ein. Schon               Nach einigen Jahrzehnten der Kon-         Postanschrift: Postfach 401008,
Vorstellung ist ein ethnographischer To-             sein Urgroßvater war ein halbgöttlicher             solidierung begann 238 an der unteren        80710 München,
pos und beruht weder auf historischen                Stier, erzählte man sich in Kreisen, die            Donau der große Gotenkrieg, der im           Telefon 0 89/38 10 20, Telefax 0 89/38 10 21 03,
Daten noch auf archäologischen Vorga-                den Merowingern eher unfreundlich ge-               wesentlichen bis 269/71 dauerte. Zu          E-Mail: info@kath-akademie-bayern.de
                                                                                                                                                      Druck: Kastner AG – Das Medienhaus,
ben, die übrigens keine oder bestenfalls             sinnt waren. Jedenfalls kann die Ant-               Lande und bald auch zur See greifen          Schloßhof 2 – 6, 85283 Wolnzach.
umstrittene Verbindungen zwischen                    wort auf die gotische Herkunftsfrage                die Goten mit ihren verbündeten Völ-         zur debatte erscheint zweimonatlich.
Skandinavien und dem Festland fest-                  nur lauten: skandinavischer Zuzug ist in            kern an. Sie plündern, verheeren und         Kostenbeitrag: jährlich E 35,– (freiwillig).
stellen (Rolf Hachmann).                             irgendeiner Form möglich, aber nur für              suchen dann beutebeladen das Weite.          Überweisungen auf das Konto der Katholischen
   Ein weiterer Grund für die Bevorzu-               Roduulf nachweisbar.                                Oft fangen die Römer die Angreifer ab        Akademie in Bayern, bei der LIGA Bank:
                                                                                                                                                      Kto.-Nr. 2 355 000, BLZ 750 903 00
gung Skandinaviens als Ursprungsland                                                                     und fügen ihnen schwere bis schwerste        IBAN: DE05 7509 0300 0002 3550 00
könnte die Ferne der „Insel Scandia“                                       III.                          Verluste zu; doch sobald die Einbußen        SWIFT (BIC): GENODEF1M05.
gewesen sein, vergleichbar mit Abra-                                                                     behoben waren, sind sie wieder da. Das       Nachdruck und Vervielfältigungen jeder Art sind
hams Ur in Chaldäa, das den Juden ei-                   Damit kann endlich die historische               Land ist zerstört; die Einheimischen,        nur mit Einwilligung des Herausgebers zulässig.
nen besonderen Stammbaum verschaff-                  Erzählung die Origo ablösen. Während                die der Feind nicht getötet oder fortge-
te. Vielgliedrige Genealogien schufen                die Überlieferung in- wie außerhalb der             trieben hat, fallen nun Hunger und Seu-
Altehrwürdigkeit und damit Vorrang                   Getica für Skandinavien nur Namen                   chen zum Opfer.
unter den Völkern und Königsge-                      kennt, werden als erstes mögliches goti-               Aber im römischen Heer, das Kaiser
schlechtern. Sie halfen aber auch im                 sches Volk die Gutonen als handelnde                Gordian III. im Jahre 242 gegen die
täglichen Leben. Wer die 24 Vorfahren                Subjekte beschrieben. Zwischen Christi              Perser führte, befanden sich germanische

                                                                                                                                                            Sonderheft zur Ausgabe 4/2020
                                                                                                                                                                                                         3
Zur debatte - Katholische Akademie ...
Als die Kollegen vor einiger Zeit den                      IV.
                                                                                        Namen Knivas entdeckten, war zu er-
                                                                                        warten, dass dadurch die Geschichte           Die Scythica Vindobonensia zeich-
                                                                                        des bloß in den Getica einwandfrei ge-     nen dagegen ein ganz anderes Bild und
                                                                                        nannten Gotenkönigs erweitert und ge-      bringen Licht in das Chaos von Wider-
                                                                                        sichert würde. Als aber nicht lange da-    sprüchen und Anachronismen.
                                                                                        nach ein Zeitgenosse Knivas und goti-         Es gab tatsächlich einen Zeitgenos-
                                                                                        scher Heerführer namens Ostrogotha         sen Knivas, der Ostrogotha hieß, nur
                                                                                        auftauchte, hatte der ostrogothische       war er weder ein König noch der
                                                                                        Heros eponymos, ansische Amaler und        Stammvater der Ostrogothen noch ein
                                                                                        mythische Vorfahre Theoderichs des         Angehöriger der Ostrogothen, die es si-
                                                                                        Großen einen sehr realen historischen      cher noch nicht gab, noch der Sechste
                                                                                        Namensvetter erhalten, und zwar einen,     im heroisch-mythischen Stammbaum
                                                                                        auf den der Gotenkönig zu Ravenna          der Amaler, sondern ein Mann, der
                                                                                        wahrlich nicht stolz sein konnte, erin-    „Glanzgote“ oder „Sonnenaufgangsgo-
                                                                                        nerte er ihn doch an seinen glücklosen     te“ (vgl. Anatol) hieß und ein durchaus
                                                                                        jüngeren Bruder Thiudimund.                realer Archon von Skythen, das heißt,
                                                                                           Cassiodor kannte Dexippos, zitierte     ein nichtköniglicher Heerführer von
                                                                                        ihn jedoch aus guten Gründen nicht im      Goten war. Kaiser Decius erwartet sei-
                                                                                        Zusammenhang mit den römisch-goti-         nen Angriff; doch brechen hier die neu-
                                                                                        schen Kämpfen der Mitte des 3. Jahr-       en Fragmente derzeit noch ab. Knapp
                                                                                        hunderts. In der Schlacht von Abrittus     vorher hatten diese Fragmente mitge-
                                                                                        beim heutigen bulgarischen Hisarlak
                                                                                                                      Hisarla
                                                                                                                      Hisarlâ     teilt, dass Ostrogotha auf römischem
                                                                                        nahe Razgrad besiegte der Gotenkönig       Boden operierte, und zwar gleichzeitig,
                                                                                        Kniva die beiden Decier, wobei Vater       aber völlig unabhängig von Basileus
                                                                                        und Sohn den Tod fanden. In den Geti-      Kniva und ohne Erfolg.
                                                                                        ca nimmt ein König Ostrogotha an kei-         Dagegen priesen die Goten Knivas
                                                                                        ner der gotischen Großtaten südlich der    ihren König in Lobliedern wegen glück-
                                                                                        Donau teil, sondern Cassiodor macht        licher Siege und im besonderen wegen
                                                                                        ihn, den Amaler, zum Vorgänger des         der Einnahme von Philippopolis im
                                                                                        nichtamalischen Kniva und lässt ihn,       Sommer 250. Ein derartiger Lobpreis
                                                                                        wie zu errechnen, 251, im Jahr von Ab-     war eine hohe Auszeichnung, wie die
                                                                                        rittus, sterben. Der Getica-Ostrogotha     Getica an mehreren Stellen betonen.
                                                                                        hatte über eine gewaltige Streitmacht      Dagegen warfen die Goten der Scythica
                                                                                        aus germanisch-sarmatischen Völkern        Vindobonensia ihrem Anführer Ostro-
                                                                                        und römischen Überläufern verfügt, rich-   gotha Feigheit, µαλακία, und vor allem
                                                                                        tete jedoch nichts Großartiges aus, so     δυστυχία, Glücklosigkeit, vor. Kein
                                                                                        dass man diesen Ostrogotha schon als       schlimmerer Vorwurf als dieser war
                                                                                        Beinamen Knivas angesehen oder ihm         denkbar. Glück musste ein König ha-
                                                                                        überhaupt jegliche Historizität abge-      ben, und das Gleiche galt von den
                                                                                        sprochen hat.                              nichtköniglichen Anführern und ihren
                                                                                           Cassiodor fand jedenfalls in seiner     Sippen, die den „Königen an Würde
                                                                                        Vorlage Dexippos offenkundig nichts,       und Glück nicht nachstanden,“ wie aus-
                                                                                        was für seine Gotengeschichte verwend-     gerechnet Dexippos wusste. Die Ergeb-
                                                                                        bar gewesen wäre. Deshalb lässt er Ost-    nisse der beiden Palimpsest-Forscher
                                                                                        rogotha, der eigentlich schon tot ist,     können daher getrost als Sensation gel-
                                                                                        auch das Römerreich verlassen. Nach        ten, zumal sie Anstoß für eine Siche-
                                                                                        langer erfolgloser Belagerung von Mar-     rung der Autorenschaft der Getica ge-
                                                                                        cianopolis sei Ostrogotha mit seinen       ben dürften.
                                                                                        Goten, durch Empfang von Lösegeldern          Cassiodor zählte Ostrogotha zu den
                                                                                        „bereichert“, in die Heimat abgezogen,     amalischen Heroen, die die Goten als
                                                                                        heißt es in den Getica. Die Heimkehr       nicht gewöhnliche Menschen, sondern
                                                                                        war aber auch höchste Zeit, denn die       als a(n)sische Halbgötter verehrten, „mit
                                                                                        Gepiden hatten es auf das Lösegeld und     deren Art von Glück sie zu siegen pfleg-
                                                                     Foto: akg-images   die Wohnsitze der Goten abgesehen.         ten“. Der Heros eponymos Amal „er-
Cassiodor war nicht nur der wichtigste     den Quellen für die Analyse der Goten-       Ostrogotha besiegt die Gepiden unter       glänzte“ in einem sicher von Cassiodor
Berater des Ostgoten-Königs Theode-        zeit. Diese Zeichnung stammt aus einer       König Fastida und ist scheinbar vor der    entworfenen Amalaswintha-Stamm-
rich, sondern ist für uns auch als Ge-     Handschrift von Cassiodors Werk              Geschichte gerettet. Nur dumm, dass        baum durch sein Glück, felicitate. Ruhm-
schichtsschreiber eine der entscheiden-    Variae.                                      sich die gotisch-gepidische Auseinan-      reich setzte die Amalerin die Reihe ihrer
                                                                                        dersetzung 40 Jahre später um 290 er-      königlichen Vorfahren fort, da „unter
                                                                                        eignet hat, als der Getica-Ostrogotha
                                                                                        wahrlich längst schon tot war, und wahr-
                                                                                        scheinlich im heutigen Siebenbürgen
und gotische Völker. Man konnte sie of-    grunde, angeblich 5000 Mann. Aller-          stattfand, wo ein Ostrogotha als König
                                                                                                                                   Der dürre Bericht über das
fenkundig als Hilfsvölker unter Vertrag    dings eine problematische Zahl, weil es      von pontischen Ostrogothen nichts zu       3. Jahrhundert entspricht
nehmen. In den Jahren 250/51 erlitten      so vieler toter Feinde bedurfte, um in       suchen hatte.
die Römer eine gewaltige Goteninvasi-      Rom einen Triumph zu feiern, wie dies           Aber auch für diese Schwierigkeit
                                                                                                                                   der dürftigen Quellenlage,
on, die zur Katastrophe von Abrittus       Aurelian tat. Der Gotenkönig fällt, das      weiß Cassiodor Rat: für ihn ist Ostrogo-   die noch dazu auf späten,
führte. Die kappadokischen Vorfahren       im Westen dominierende Königtum er-          tha im Widerspruch zu anderen Stellen
Wulfilas werden 257 von                    lischt, die Goten spalten sich in westli-    der Getica und zur Logik einer ethni-
                                                                                                                                   nicht immer verlässlichen
Donaugoten nach Norddanubien ver-          che königlose Terwingen und östliche         schen Namensgebung hier noch der Kö-       Autoren beruht.
schleppt. Das katatrophale Ausmaß der      Greutungen, die das Königtum behalten        nig beider Gotenvölker. Dagegen be-
Zerstörungen dokumentiert der kanoni-      oder sehr bald mit den Amalern wieder        richtet eine gute zeitgenössische Quelle
sche Brief, worin Bischof Gregorios        errichten.                                   zum Frühjahr 291 von Kämpfen der           einer solchen Herrin … unser (der Go-
Thaumaturgos von Neokaisareia im              Der dürre Bericht über das 3. Jahr-       westlichen Goten, der Terwingen, und       ten) Heer die Fremden schreckt“. So-
Pontus Polemiakos die sozialen Verwer-     hundert entspricht der dürftigen Quel-       ihrer taifalischen Verbündeten, mit Ge-    weit der Lobpreis, den Cassiodor der re-
ferungen anprangert, die die staatlichen   lenlage, die noch dazu auf späten, nicht     piden und Vandalen. Es werden aber         gierenden Königin spendet. Nun aber
Christenverfolgungen und die gotischen     immer verlässlichen Autoren beruht.          weder die Namen der beteiligten Heer-      muss er bei Dexippos von Goten gele-
Überfälle der Jahre 256 und wohl auch      Der einzige und außerdem höchst kom-         führer noch die Orte der Auseinander-      sen haben, die demjenigen Ostrogotha,
257 verursachten.                          petente Zeitgenosse der Ereignisse wäre      setzungen genannt.                         den Cassiodor als amalischen Asen und
   Im Jahre 268 gelingt den gotischen      der Grieche Publius Herennius Dexip-            Anscheinend hatte Cassiodor davon       möglichen Heros eponymos der über
Flotten, denen sich Eruler angeschlos-     pos gewesen, der in der Mitte der 270er      auch andere Nachrichten. Er wusste         Italien herrschenden Ostrogothen stili-
sen hatten, der Durchbruch vom             Jahre eine Skythika, vorwiegend eine         nämlich, dass der Kampf beim Oppi-         sierte, Feigheit und Glücklosigkeit vor-
Schwarzen Meer in die Ägäis. Aber nur      Gotengeschichte, verfasste, wovon je-        dum Galtis stattfand, und zwar an ei-      warfen, wodurch jede Form von Herr-
wenige der Angreifer werden die Hei-       doch nur Fragmente erhalten blieben.         nem Fluss, der den germanischen Na-        schaft infrage gestellt wird.
mat wiedersehen. Dazu erleidet ein go-     Ihre Zahl wurde erst jüngst und wird         men Auha/Ache trug. Diese ganze Ge-           So wusste Ammianus Marcellinus,
tisches Landheer 269 die schwere Nie-      weiterhin durch das Projekt Scythica         schichte stammt aus der Überlieferung      dass die Burgunder eine Mehrzahl von
derlage von Naissus, worauf der Sieger     Vindobonensia vermehrt. Damit ist die        der westlichen Goten, wofür auch die       Königen hatten, die den Namen hendi-
Kaiser Claudius II. den Triumphaltitel     Bearbeitung eines griechischen Palimp-       Mitwirkung der nördlich der unteren        nos (recte *kindinōs) trugen. Ein sol-
Gothicus annimmt und die Goten             sests der Wiener Handschriftensamm-          Donau lebenden Taifalen spricht. Weil      cher König war für die fortuna belli ver-
der römischen Welt offiziell bekannt       lung gemeint, die Jana Grusková und          aber der gotische Anführer anscheinend     antwortlich und wurde „entfernt“, wenn
macht. Zwei Jahre später 271 besiegt       Gunther Martin so erfolgreich durch-         ebenfalls Ostrogotha hieß, lässt Cassio-   das Kriegsglück ausblieb. Ammianus
Kaiser Aurelian die Goten auf ihrem        führen. Ihnen und ihren Mentoren Otto        dor seinen amalischen Ostrogotha auch      verwendete das Verbum removeri, was
eigenen Territorium nördlich der Do-       Kresten und Fritz Mitthof kann nicht         den Sieg über den Gepidenkönig Fasti-      alles von der Absetzung bis zur Tötung
nau. Ein ganzes Stammesheer geht zu-       genug gedankt werden.                        da feiern.                                 des glücklosen Königs bedeuten konnte.

4   Sonderheft zur Ausgabe 4/2020
Zur debatte - Katholische Akademie ...
Nachdem König Vitigis mit den in Ra-
venna eingeschlossenen Goten 540 vor         Der Einfall der Hunnen nach Europa um                                                    bestachen seine führenden Gefolgsleute,
                                                                                                                                      die ihn verließen. Er musste sich über
Belisar kapituliert hatte, gaben die tran-
spadanischen Goten nicht auf und tru-        370 und seine Folgen. Das Reich Attilas                                                  die Donau zurückziehen, wo sich seine
                                                                                                                                      Spur verliert, ein Zeichen, dass von dy-
gen dem Vitigis-Neffen Uraias das Kö-
nigtum an. Dieser konnte sich mehrerer       bis zum Zerfall 453/454                                                                  nastischer Anhänglichkeit noch nicht
                                                                                                                                      die Rede sein konnte.
Erfolge gegen die Kaiserlichen rühmen                                                                                                    Gegen die Westgoten, die unter Kö-
und war im Besitz der zweiten goti-          Klaus Rosen                                                                              nig Alarich seit 408 Italien auf der Su-
schen Königsstadt Pavia samt Teilen des                                                                                               che nach einer neuen Heimat beunru-
Königsschatzes.                                                                                                                       higten, wappnete sich Kaiser Honorius
   Uraias aber lehnte ab, weil, wie die                                                                                               mit 10.000 Hunnen. Darunter könnten
glücklose Kriegführung des Onkels be-                                                                                                 vor allem diejenigen gewesen sein, die
wies, seiner Familie das nötige Glück,                                                                                                Uldin davongelaufen waren. Als Athaulf
die τύχη, fehle. Den antiken Autoren                                                                                                  409 seinem Schwager Alarich zu Hilfe
waren Bedeutung und Wirksamkeit des                              I.                                                                   kam, bereiteten ihm 300 Hunnen von
Glücks jedoch nicht bloß aus der barba-                                                                                               Ravenna aus eine herbe Niederlage.
rischen, sondern auch aus der eigenen        „Einzigartiger der Hunnen, König Attila,                                                    Aus einem Fragment des griechischen
Geschichte vertraut. In Lukans Pharsa-       Spross seines Vaters Mundzuc,                                                            Historikers Olympiodor, der um 412
lia begrüßt Caesar sein Heer mit den         Herr der tapfersten Stämme,                                                              eine Gesandtschaftsreise zu den Hun-
Worten: O domitor mundi, rerum fortu-        Der mit nie zuvor gehörter Macht                                                         nen unternahm, begleitet von seinem
na mearum, / miles. „Oh Ihr Soldaten,        Alleinherrscher skythischer und                                                          vielbestaunten und sprachbegabten
Ihr Beherrscher der Welt und das Glück         germanischer Reiche war,                                                               Papagei, erfahren wir von Königen der
meiner Sache.“ Im 13. Jahrhundert            Der Roms beide Imperien durch die                                                        Hunnen, einem Oberkönig Charaton
machte der unbekannte isländische Ver-         Eroberung seiner Städte in Schrecken                                                   und von Streit unter ihnen wegen der
fasser der Rómverja saga, der Geschich-        versetzte                                                                              Ermordung eines Mannes mit dem la-
te von den Rommännern, aus diesem            Und der, statt alles Übrige als Beute zu                                                 teinischen Namen Donatus. Mit Ge-
Vokativ einen an die Getica erinnern-          unterwerfen,                                                                           schenken an Charaton habe der römi-
den Instrumentalis und übersetzte:           sich durch Bitten erweichen ließ,                                                        sche Kaiser den Streit beigelegt. So
„Höret nun ihr Ritter, die ihr über die      einen jährlichen Tribut in Empfang zu                                                    sorgte er für Ruhe auf beiden Seiten.
weite Erde mit meinem Glück, með               nehmen.                                                                                   Die Diözesen Thrakien und Mösien
minni hamingiu, gesiegt habt.“               Nachdem er das alles durch des                                                           blieben das bevorzugte Ziel hunnischer
                                               Glückes Lauf vollbracht hat,                                                           Einfälle. Zum Jahr 422 bietet eine latei-
                   V.                        Starb er nicht an einer Wunde von                                                        nische Chronik den dürren Satz: „Die
                                               Feindeshand,                                                                           Hunnen haben Thrakien verwüstet.“ In
   Verlauf und Ende des Kriegszugs von       Nicht durch die Hinterlist seiner Ange-                                                  dieser Zeit errang eine Sippe im hunni-
250/51 zeigen die Goten bereits auf ei-        hörigen,                                                                               schen Kerngebiet vielleicht deswegen
nem ersten Höhepunkt ihrer Macht und         Sondern ohne dass sein Volk Verluste                                                     einen Vorrang, weil sich in ihr vier Brü-
Ausstrahlungskraft. Kniva erweist sich         erlitt,                                                                                der ausgezeichnet hatten: Octar, Ruga,
als Feldherr, der über mehr als bloß pri-    Schmerzlos unter fröhlichen Umständen.       Prof. Dr. Dr. Klaus Rosen, Professor für    Mundzuc und Oëbarsius. Octar und
mitive Kenntnisse in Taktik und Strate-      Wer will das für das Ende halten,            Alte Geschichte an der Universität Bonn     Ruga erscheinen in unseren Quellen als
gie verfügt. Trotz seines starken König-     Für das er keine Rache zu üben ge-                                                       Könige. Während Octar nach Westen
tums und seiner spektakulären Erfolge          denkt?“                                                                                vorstieß und am Rhein gegen die Bur-
ist Kniva jedoch kein monarchischer                                                                                                   gunden kämpfte, aber bald darauf starb,
König aller Goten gewesen. Tatsächlich          Diesen Hymnus sangen hunnische            gente als Militärhilfe in innerrömischen    könnte Ruga den Einfall in Thrakien
gab es unter Einschluss Theoderichs des      Adlige 453 bei der nächtlichen Totenfei-     Auseinandersetzungen. So bot der west-      angeführt haben. Seinen Abzug erkaufte
Großen keinen einzigen König von Go-         er ihres überraschend verstorbenen Kö-       römische Heermeister Bauto 383 Hun-         Kaiser Theodosius II. mit einem jährli-
ten, der der König aller Goten gewesen       nigs Attila. Die lateinische Fassung         nen gegen den gallischen Usurpator          chen Tribut von 350 Pfund Gold, das
wäre. Dexippos zeigt sich bestens darin,     überliefert der gotische Historiker Jor-     Magnus Maximus auf. Mit ihnen trat          Pfund 72 Goldsolidi.
aber auch über die barbarischen Institu-     danes, und man hat mit Recht vermutet,       Kaiser Theodosius 388 ebenfalls Mag-           425 stellte Ruga dem späteren west-
tionen insgesamt informiert. Er nennt        dass sie letztlich auf ein hunnisches Ori-   nus Maximus in Pannonien entgegen,          römischen Heermeister Aëtius, der
Ostrogotha einen Archon, einen nicht-        ginal zurückgeht.                            und 394 besiegte er dank einer gotisch-     mehrere Jahre als Geisel bei den Hun-
königlichen Heerführer, und Kniva ei-           Etwa 80 Jahre zuvor waren erstmals        hunnischen Armee am Frigidus, der           nen gelebt hatte, für eine hohe Bezah-
nen Basileus, einen Großkönig. Latei-        Gruppen von Reiternomaden aus der            Wippach, den Usurpator Eugenius.            lung ein großes Heer zur Verfügung, um
nisch gesprochen, war Ostrogotha ein         Steppe nördlich des Schwarzen Meeres         Theodosius’ Heermeister Stilicho um-        den weströmischen Usurpator Johannes
dux, Kniva ein rex; auf gotisch könnten      über den Don, die Grenze zwischen Eu-        gab sich mit einer hunnischen Leibwa-       in Ravenna gegen eine oströmische Ar-
Ostrogotha ein *draúhtins, Kniva noch        ropa und Asien, nach Westen vorgesto-        che. Auch in der Residenz Ravenna lag       mee zu verteidigen. Die Hunnen kamen
ein thiudans, wenn nicht schon ein           ßen und hatten in mehreren Kämpfen           eine hunnische Garnison. Stilicho konn-     aber erst drei Tage nach Johannes’ Sturz
reiks gewesen sein.                          um 375 das Großreich des ostgotisch-         te 408 erst gestürzt werden, nachdem        an. Die anschließende Schlacht mit den
   Das Wiener Palimpsest bestätigt ei-       greutungischen Königs Ermanarich zer-        seine Hunnen niedergemetzelt worden         Oströmern ging unentschieden aus.
nen historischen Ostrogotha für die Mit-     schlagen. Hunnen war der gemeinsame          waren.                                      Ruga wollte nun seine Herrschaft über
te des 3. nachchristlichen Jahrhunderts.     Name, den ihnen unsere griechischen             Inzwischen waren hunnische Verbän-       sämtliche Stämme nördlich der Donau
Es ist nicht unmöglich, dass um 290 ein      und lateinischen Quellen gaben, ohne         de in die ungarische Tiefebene vorge-       ausdehnen und verlangte 433 von
zweiter historischer Ostrogotha terwin-      dass wir daraus auf eine einheitliche        drungen, wo sie sich die Goten und Ge-      Theodosius, alle Bündnisse mit ihnen
gische Krieger gegen Gepiden und Van-        Völkerschaft schließen dürfen. Dank ih-      piden unterwarfen und Uldin eine Füh-       aufzugeben und diejenigen auszuliefern,
dalen führte. Wahrscheinlich um seines/      rer Kampfkraft, der Schnelligkeit ihrer      rerstellung errang. Seine Herrschaft ver-   die sich „als römische Alternative“
ihres Namens willen hat Cassiodor den        Pferde und der Reichweit und Durch-          teidigte er 401 gegen den gotischen         (Wolfram) unter seinen Schutz begaben.
oder die nichtamalischen Ostrogothae         schlagskraft ihrer Reflexbogen waren sie     Heermeister Gainas, der sich nach einer     Doch bevor er seine Kriegsdrohung
der westlichen Tradition entnommen           dem Gegner überlegen. Ihr Erfolg gegen       gescheiterten Empörung in Konstanti-        wahrmachen konnte, starb er um 434,
und daraus einen mythische Amaler,           Ermanarich verdankte sich zudem einer        nopel mit Stammesgenossen über die          angeblich durch einen Blitzschlag, was
Vorfahren der Könige von Ravenna und         größeren Kriegerkoalition, zu der Ala-       Donau zurückzog, aber von Uldin ge-         in Ostrom als Gottesurteil angesehen
Vater der in Italien herrschenden Ostro-     nen nördlich des Kaukasus gestoßen           schlagen wurde. Der sandte seinen Kopf      wurde.
gothen gemacht.                              waren. Wie locker die Koalition war,         nach Konstantinopel zu Kaiser Arcadi-
   Das Ethnonym schloss aber keines-         zeigte sich, als Nachfolger Ermanarichs      us und wurde dafür mit Gold und ei-                            II.
wegs die Vergabe des Namens als Per-         mit hunnischen Verbündeten gegen die         nem Vertrag belohnt, dem zufolge der
sonenname aus. Die Schwester eines           Alanen vorgingen.                            Hunnen-Anführer wohl Truppen zu                Seine Neffen Bleda und Attila über-
unglücklichen gepidischen Kronpräten-           Hunnische und alanische Gruppen           stellen hatte.                              nahmen als Könige sofort die Nachfol-
denten des 6. Jahrhunderts hieß Ostro-       waren auch unter den gotischen Scha-            Das tat er 406, als der Gote Radagai-    ge. Mit Ostrom schlossen sie bei Margus
gotho, in langobardisch-lateinischer         ren, die vor dem Druck der Hunnen            sus mit einem riesigen Völkerschwarm        an der Donau einen Vertrag, der neben
Lautung Austrigusa. Der Name wurde           über die Donau ins Römische Reich            in Italien einfiel, aber bei Fiesole von    Handelsbeziehungen die Auslieferung
demnach unabhängig von einer ostro-          auswichen und 378 bei Adrianopel das         Stilicho mit hunnischer Hilfe besiegt       sämtlicher Hunnen vorsah, die sich auf
gothischen Volkszugehörigkeit an Go-         Heer des oströmischen Kaisers Valens         wurde. Die Beute und der Sold, den          die römische Seite begeben hatten. Hin-
ten vergeben, und die Gepiden gehörten       vernichteten. Traditionell gelten diese      Uldins Hunnen aus Italien mitbrachten,      ter der später stets wiederholten Forde-
dazu, wie die Tatsache beweist, dass         Jahre als der Beginn der Völkerwande-        waren ein Mittel, um seine Stellung zu      rung stand der absolute Herrschaftsan-
Austrigusas Bruder der Westgote hieß         rung. Bei den zeitgenössischen römi-         stärken. Vielleicht waren es hunnische      spruch über alle hunnischen Stämme,
(Wolfgang Haubrichs).                        schen Historikern Eunapius und Ammi-         Gruppen weiter östlich, die davon nicht     zugleich aber auch wie schon bei Uldin
   Dank der Scythica Vindobonensia           anus Marcellinus und bei den Kirchen-        profitiert hatten und deswegen Uldin        und Ruga die Auffassung, dass die Rö-
sind viele beschriebene Seiten, davon        vätern Ambrosius und Hieronymus              bestimmten, ungeachtet seiner bisheri-      mer nördlich der Donau nichts mehr zu
auch manche eigenen Makulatur gewor-         spiegelt sich das Entsetzen, das seit 378    gen Beziehungen zu West- und Ostrom         suchen hatten. Zwei junge Angehörige
den. Handschriften-Archäologie lohnt         die verheerenden Überfälle und Plünde-       408 zusammen mit abhängigen germa-          der Königssippe, die beim Herrscher-
sich eben, ihren erfolgreichen Adepten       rungen einzelner Hunnengruppen süd-          nischen Skiren einen weiträumigen Ein-      wechsel sofort geflohen waren, wurden
gebührt unsere respektvolle Anerken-         lich der Donau auslösten. 395 und 398        fall in Thrakien zu unternehmen. Kaiser     gefangen genommen und noch auf rö-
nung. Vivant sequaces!                      folgten weiträumige Einfälle in Meso-        Arcadius war gerade gestorben. Nach         mischem Boden gekreuzigt. Später
                                             potamien, Syrien und Kleinasien.             einer römischen Niederlage verweigerte      wehrten sich hunnische Überläufer hef-
                                                Doch Ostrom und Westrom bedien-           er Friedensverhandlungen, worauf die        tig gegen eine Auslieferung und begin-
                                             ten sich nun auch hunnischer Kontin-         Römer zu einem alten Mittel griffen: Sie    gen lieber Selbstmord. Sie wussten, was

                                                                                                                                          Sonderheft zur Ausgabe 4/2020
                                                                                                                                                                            5
Zur debatte - Katholische Akademie ...
kreisenden Kölschdosen, lauter Tech-                                                                                                weitere Ausdehnung seiner Macht nicht
nomusik und der entsprechenden Stim-                                                                                                   vernachlässigen durfte. Auf dem derzei-
mung wurde mir allerdings rasch klar:                                                                                                  tigen Stand zu bleiben, hätte leicht zu
Karneval und Wissenschaft passen nun                                                                                                   einem Rückschlag führen und seine
einmal nicht zusammen. Mit dieser Ein-                                                                                                 Herrschaft gefährden können. Daher
sicht trollte ich mich, und mit ihr schlie-                                                                                            richtete er seinen Blick auf den Westen
ße ich auch am heutigen Aschermitt-                                                                                                    des Römischen Reiches, nachdem die
woch meinen Vortrag.                                                                                                                  Donauprovinzen im Osten ausgeblutet
                                                                                                                                       waren. Willkommene Begleiterschei-
                                                                                                                                       nung war die Verbindung, die Kaiser
                                                                                                                                       Valentinians Schwester Honoria mit
                                                                                                                                       ihm aufgenommen hatte. Attila inter-
                                                                                                                                       pretierte sie als Heiratsantrag und ver-
                                                                                                                                       langte von Kaiser Valentinian die Hälfte
                                                                                                                                       seines Reiches als Mitgift. Dessen Wei-
                                                                                                                                       gerung war mit eine der Rechtfertigun-
                                                                                                                                       gen, zum Einfall in Gallien zu rüsten.
                                                                                                                                          Ein riesiges Aufgebot von Hunnen
                                                                                                                                       und Verbündeten überschritt im Früh-
                                                                                                                                       jahr 451 den Mittelrhein, zerstörte von
                                                                                                                                       Trier bis Zentralgallien alle Städte, kam
                                                                                                                                       aber vor Orléans zum Stehen. Attila zog
                                                                                                                                       sich bis zu den Katalaunischen Feldern
                                                                                                                                       bei Troyes zurück, wo ihn Aëtius mit ei-
                                                                                                                                       ner großen Koalition, darunter vor al-
                                                                                                                                       lem den Westgoten, entgegentrat. In der
                                                                                                                                       blutigen Schlacht blieb Aëtius Sieger
                                                                                                                                       und zwang Attila zum Rückzug.
                                                                                                                                          Dessen Einfall in Italien im folgen-
                                                                                                                                       den Jahr sollte den Schaden an seinem
                                                                                                                                       Nimbus wiedergutmachen. Aquileia fiel
                                                                                                                                       nach dreimonatiger Belagerung, die
                                                                                                                                       Städte Oberitaliens bis Mailand folgten.
                                                                                                                                       Aëtius’ Vorrücken mit oströmischen
                                                                                                                                       Truppen und die riesige Beute, die die
                                                                                                                    Foto: akg-images   Hunnen gemacht hatten, sprachen für
In der Sächsischen Weltchronik aus            Fassung seines Namens Etzel). Die                                                        den Rückzug, den eine Gesandtschaft
dem 13. Jahrhundert findet sich eine          gezeigte Stelle berichtet von der                                                        unter Papst Leo begrüßte. Raffael hat in
Abbildung des Hunnenkönigs Attila             Belagerung Aquileias durch die                                                           der Stanza di Eliodoro im Vatikanpalast
(der Text nennt in der germanischen           hunnischen Truppen 452.                                                                  die Begegnung zwischen Papst und
                                                                                                                                       Hunnenkönig gemalt. Seuchen in der
                                                                                                                                       Sommerhitze, die auch spätere Invasi-
                                                                                                                                       onsarmeen dezimierten, mögen hinzu-
                                                                                                                                       gekommen sein.
ihnen von ihren Königen blühte. In            und auf irgendeine Weise alles durch        es wagten, ihn als Menschen dem ver-            Im Osten hatte Kaiser Marcian, der
Margus wurde Rugas Jahrestribut ver-          den grausigen Ruf, der von ihm ausging,     göttlichten Kaiser Theodosius nachzu-        Nachfolger des 450 verstorbenen Theo-
längert, bei zwei Königen von 350 auf         in Schrecken versetzte. Denn stolz war      stellen, riskierten sie eine Schlägerei.     dosius, in der Zwischenzeit eine hunni-
700 Pfund Gold.                               sein Gang, hierhin und dorthin wandte       Das berichtete Priscus, der 449 eine Ge-     sche Schar über die Donau zurückge-
   Die Hoffnung, mit diesen Tributen,         er seine Augen, so dass seine Herr-         sandtschaft zu Attila begleitete. In ei-     trieben und sich schon vorher gewei-
die billiger als Kriege waren, die Herr-      schaftsgewalt schon durch seine Kör-        nem der spannendsten Reiseberichte           gert, die Tribute seines Vorgängers wei-
schaft der Könige zu stabilisieren und        perhaltung deutlich wurde. Er liebte        der antiken Literatur lieferte er authen-    ter zu zahlen. Attila beschloss, ihn im
damit die Lage jenseits der Donau zu          Kriege, hielt sich aber persönlich zu-      tische Bilder von den Verhältnissen in       nächsten Jahr seine Hand spüren zu las-
beruhigen, erfüllte sich nicht. Erfolgrei-    rück; in seinem Planen war er äußerst       Attilas engerem Herrschaftsgebiet in der     sen. Zuvor wollte er noch die Zahl sei-
che Beutezüge waren lukrativer und da-        entschlossen; von Bittstellern ließ er      ungarischen Tiefebene und von seiner         ner Ehefrauen vergrößern. In der Hoch-
her das wirksamste Mittel, das Prestige       sich erweichen und war loyal zu denen,      Hofhaltung in seiner wohlgebauten Re-        zeitsnacht mit der Germanin Idilko
des Anführers zu erhöhen, die eigene          die er einmal ausgewählt hatte. Er war      sidenz. Die Römer durften an einem           starb er jedoch an einem Blutsturz. Dem
Kriegskoalition zusammenzuhalten und          von kleiner Gestalt, breiter Brust, ziem-   großen von Heldenliedern begleiteten         naheliegenden Gerücht, er sei von ihr
neue Verbündete zu gewinnen. Offen-           lich großem Kopf, engen Augen, spärli-      Gastmahl Attilas mit seinen hunnischen       ermordet worden, widersprach das ein-
sichtlich hatten die Könige nichts dage-      chem Bartwuchs, graumeliertem Haar,         Kriegern teilnehmen.                         gangs zitierte Totengedächtnis.
gen, dass der Heermeister Aëtius in den       platter Nase und hässlicher Hautfarbe,         Erstaunt erfuhren sie, dass seine
30er Jahren des 5. Jahrhunderts hunni-        womit er die Merkmale seiner Herkunft       Kanzlei genau über hunnische Flücht-                            III.
sche Söldner anwarb. Mit ihnen im Rü-         bewahrte.“                                  linge Buch führte, die namentlich zu-
cken förderte er erst seine Karriere und         Kein Hunne sollte Bleda vermissen.       rückgefordert wurden. Es gab einen rö-          Attilas Macht und Größe belegten
band dann große Teile des erschütterten       Daher fiel Attila 447 noch weiträumiger     mischen und einen griechischen Sekre-        e negativo seine Söhne, die sich nach
Gallien wieder an das weströmische            als 441 und 442 in den Balkan ein, drang    tär für die Korrespondenz mit West-          seinem Tod sofort um die Herrschaft
Reich.                                        nach einer siegreichen Schlacht bis zu      und Ostrom. Zu Attilas engeren Kreis         stritten und es daher nicht fertigbrach-
   436 oder 437 besiegten Hunnen die          den Thermopylen in Mittelgriechenland       von Beratern und Helfern, den logades,       ten, sein Reich zusammenzuhalten. Den
Burgunden am Rhein, der historische           ein und wandte sich dann gegen Kon-         gehörten Hunnen und Nichthunnen,             entscheidenden Stoß erhielt es bereits
Kern der Nibelungensage. 441 und 442          stantinopel, das im Januar des Jahres       und eine Freundschaft verband Attila         im folgenden Jahr in einer Schlacht am
machten Bleda und Attila mit ihren            von einem schweren Erdbeben erschüt-        mit dem Gepidenkönig Ardarich und            Nedao in Pannonien, in der ehemalige
Verbündeten einen großen Einfall in           tert worden war. Die eingestürzten          dem Ostgotenkönig Valamir, deren             Verbündete Attilas, die sich nach sei-
Thrakien und im Illyricum. Mittlerweile       Stadtmauern waren in einer gemeinsa-        Stämme unter seiner Oberhoheit nörd-         nem Tod losgesagt hatten, gegen einige
hatten die Hunnen auch gelernt, größe-        men Anstrengung sofort wieder hochge-       lich und südlich der Donau siedelten.        seiner Söhne und treu gebliebene Stäm-
re Städte zu erobern. Viminacium (Kos-        zogen worden, was die Stadt rettete.           Vigilas, der Dolmetscher der Reise-       me wie die Ostgoten siegten.
tolac), Singidunum (Belgrad), Sirmium         Nach einer weiteren Niederlage musste       gruppe, verfolgte den stümperhaften             Für Attilas historische Größe spricht
(Sremska Mitrovica) und Naissus (Niš)         Theodosius erneut um Frieden bitten.        Plan, Attila mit Hilfe seines bestoche-      aber auch sein Nachleben. Sein Name
fielen ihnen zum Opfer. Theodosius               Attilas Diktat war hart: Nachdem die     nen Leibwächters Edekom zu ermor-            blieb im kollektiven Gedächtnis Euro-
schickte eine hochrangige Gesandtschaft,      Tribute zuletzt gestockt hatten, waren      den. Der Plan, den der mächtige Hof-         pas fester verankert, als das je bei einem
die Frieden schloss und ihn reichlich         6000 Pfund Gold sofort zu bezahlen          beamte Chrysaphius, ein Eunuch, mit          anderen nichtchristlichen Großen der
vergoldete.                                   und der künftige Jahrestribut wurde auf     Theodosius ausgeheckt hatte, flog auf,       antiken Geschichte der Fall war. Dabei
   Wenn in den nächsten Jahren an der         2100 Pfund Gold erhöht. Auch der            weil Edekon ihn verriet. Attilas in die-     gilt für ihn mehr als für Schillers Wal-
Donaufront Ruhe herrschte, so war ein         Preis für den Loskauf jedes Kriegsgefan-    sem Fall gewiss nicht fingierter Zornes-     lenstein:
Grund, dass Attila beschloss, sich der        genen wurde auf 12 statt 8 Solidi er-       ausbruch hätte Vigilas und seinen Sohn       „Von der Parteien Gunst und Hass ver-
Alleinherrschaft zu bemächtigen. 444          höht. Alle Überläufer waren ebenfalls       beinahe das Leben gekostet, hätte er           wirrt
oder 445 ermordete er seinen Bruder           auszuliefern. Kurz darauf verlängerte       sich nicht mit 50 Pfund Gold losgekauft.     Schwankt sein Charakterbild in der
Bleda, und es gelang ihm, sich auch bei       Attila eine Sicherheitszone von fünf Ta-    Der göttliche Theodosius musste sich in        Geschichte.“
dessen empörten Stammesteilen durch-          gesreisen südlich der Donau, die kein       einem bitterbösen Brief von Attila be-          Das soll der zweite Teil meines Vor-
zusetzen.                                     Römer betreten durfte. Da das den           schimpfen lassen, dass er ihn degradiert     trags zeigen. Attilas Bild reicht vom
   Jordanes schrieb ihm sogar zu, er          Handel erschwerte, gab er diese Forde-      habe. Er sei vom Schicksal zum Besse-        blutrünstigen Tyrannen bis zum verehr-
wolle Römer und Westgoten unterwer-           rung aber bald auf.                         ren erhoben worden, und Theodosius           ten Helden und idealen Herrscher. Spät-
fen, und lieferte an dieser Stelle ein Por-      Attila stand auf dem Höhepunkt sei-      sei sein Sklave. Solche Töne hatte sich      antike und mittelalterliche Chroniken
trät von ihm, das auf den Augenzeugen         ner Macht. Kuridachos, Oberkönig der        noch kein Barbarenkönig gegenüber            sprachen vom Zeitalter Attilas, und Eu-
Priscus zurückging: „Ein Mann, dazu           unterworfenen hunnischen Akatiren,          einem römischen Kaiser erlaubt.              gipp bestimmte im Eingangssatz seiner
geboren, die Völker der Welt zu erschüt-      schmeichelte ihm als dem „größten der          Aber Attila war sich bewusst, dass er     Severins-Vita die Ankunft des Heiligen
tern, der allen Ländern Furcht einflößte      Götter“. Und wenn Römer vor Hunnen          jenseits solcher Schockdiplomatie die        in Noricum durch das Jahr, in dem der

6   Sonderheft zur Ausgabe 4/2020
Zur debatte - Katholische Akademie ...
Hunnenkönig starb. Wichtige Vermittler
waren die Viten gallischer und italischer
Bischöfe, die die Feldzüge von 451 und
452 erlebt hatten. An ihrem Jahresge-
dächtnis wurde im Gottesdienst aus ih-
ren Viten vorgelesen und über ihren Wi-
derstand gegen Attila gepredigt. Schön
früh wurden die Viten mit allerlei Wun-
dererzählungen ausgeschmückt bis hin
zu der erbaulichen Feststellung, Attila
habe sich zum Christentum bekehrt.
Ihm begegnet zu sein wurde geradezu
zum Ehrentitel mancher Bischöfe und
zum Ausweis ihrer Heiligkeit. Die theo-
logische Deutung: Gott habe Attila ge-
schickt, um die Menschen für ihre Sün-
den büßen zu lassen, führte zu seinem
Beinamen „Geißel Gottes“.
   Die Awarenkriege Karls des Großen
781 und 803 waren in den jüngeren
Reichsannalen und bei seinem Biogra-
phen Einhard Feldzüge gegen die Hun-
nen, die für das bestraft wurden, was sie
dem Frankenreich angetan hatten. Im
10. Jahrhundert lieferten die Einfälle der
Ungarn, der nach Mitteleuropa und Ita-
lien zurückgekehrten Hunnen, neuen
Stoff für Attilalegenden. Obwohl die
Hunnen nie nach Paris kamen, rettete
die spätere Patronin Genovefa die Stadt
vor ihnen. Auch Köln sah keine Hun-
nen trotz der heiligen Ursula und der
11.000 Jungfrauen, die von ihnen nie-
dergemetzelt wurden. Aquileia hatte At-
tila wirklich zerstört. Bei dem Dichter
Paulinus von Aquileia schmorte er da-
für in der Hölle. In Oberitalien besiegte
der sagenhafte König Dardanus Attila,
verfolgte ihn bis Rimini und erschlug
ihn mit einem Schachbrett.
   Gegenüber den Großen der germani-
schen Heldenepik, Männern wie Frau-
en, war Attila immer der Schwächere.
Im Walthari-Lied musste er in ohn-
mächtigem Zorn seine Geiseln Walther
und Hildegund ziehen lassen. Im älte-
ren Atli-Lied der Edda tötete er die Bur-
gunderkönige und wird dafür von ihrer
Schwester Gudrun ermordet. Im jünge-
ren Atli-Lied staucht Gudrun ihren fei-
gen Gemahl so heftig zusammen, dass
er sie am Ende nur noch um ein ehren-
volles Begräbnis bitten kann. Der Atti-
lastoff war im Mittelalter selbst unter
Klerikern beliebt. Bischof Gunther von
Bamberg (1057 – 1065) beschäftigte sich
lieber mit Attila und den Amalern als
mit Augustinus und Papst Gregor, wie
der Leiter seiner Domschule Meinhard
in einem Brief klagte. Von Gunther lässt                                                                          Foto: Paris, Bibliothèque nationale de France, Ms. Nouv. acq. lat. 2334
sich vielleicht eine Brücke zu dem ano-                                                                                                Herausragende Kunst der Gotenzeit:
nymen Verfasser des Nibelungenlieds                                                                                                    Dieser von den Forschern Ashburnham-
schlagen, der wohl ebenfalls Kleriker                                                                                                  Pentateuch genannte Codex – hier
war und dem Passauer Bischof Wolfger                                                                                                   sehen Sie fol. 9r – entstammt dem
von Erla (1191 – 1204) nahegestanden                                                                                                   7. Jahrhundert und entstand wohl in
haben könnte. König Etzel – die mittel-                                                                                                Spanien.
alterliche Form für Attila – steht der Ra-
che seiner Gemahlin Kriemhild an Ha-
gen und ihren Brüdern hilflos gegen-
über. Als zum Schluss die Köpfe Hagens
und Kriemhilds rollen, bricht er zusam-      seiner berühmten „History of the Decli-    führung, ein „romantisches Erlösungs-          Ministerpräsident an seine Frau im Au-
men mit Dietrich von Bern in Tränen          ne and Fall of the Roman Empire“ von       stück und Gnadendrama“: Bevor Attila           gust 1870: „Die alten Weiber, wenn sie
aus.                                         1783 in Attila den „wilden Zerstörer“      von seiner Verlobten Hildegund er-             meinen Namen hören, fallen auf die
   Ungarische Historiker des 11. und         und „schrecklichen Barbaren“, dem          schlagen wird, hat ihm der Papst seine         Knie und bitten mich um ihr Leben.
12. Jahrhunderts stellten Stammbäume         man das Diktum zuschrieb, wo sein          Sünden vergeben.                               Attila war ein Lamm gegen mich. Nicht
Attilas auf, an deren Beginn Japhet, der     Pferd hintrete, wachse kein Gras mehr.        Goethe verkniff sich eine harsche Re-       nur für die Franzosen war der nächste
Sohn Noas, oder der große Jäger Nim-         Gibbon war der Meinung, hätte der ver-     zension, während die Napoleon-Gegne-           Attila Wilhelm II. Anlass war seine be-
rod aus der Genesis standen. Später galt     weichlichte Kaiser Theodosius seine        rin Madame des Staël begeistert war.           rüchtigte Hunnenrede vom 27. Juli
der ungarische König Matthias Corvi-         Truppen energisch aufgerüstet, so hät-     Der Korse galt nach seinem Einfall in          1900, mit er in Bremerhaven die Trup-
nus (1458 – 1490) als der neue Attila.       ten die Barbaren „auf der Majestät des     Italien 1796 so manchem Zeitgenossen,          pen für den Boxeraustand in China ver-
   Mit der modernen Geschichtsschrei-        Reiches nicht länger herumgetrampelt“.     Papst Pius VI. darunter, als der moder-        abschiedete: „Führt eure Waffen so,
bung setzte auch die Analyse der Quel-       Ludwig Theobul Kosegarten, Propst auf      ne Attila, und er selbst zeigte sich noch      dass auf tausend Jahre hinaus kein
len zu Attila und den Hunnen ein.            Rügen und später Geschichtsprofessor       in der Verbannung auf St. Helena von           Chinese mehr wagt, einen Deutschen
Montesquieu billigte im 19. Kapitel sei-     in Greifswald, sah 1801 in Aëtius den      dem Vergleich angetan. Werners Drama           scheel anzusehen.“
ner „Betrachtungen über die Gründe           Helden, der auf den Katalaunischen         inspirierte das Libretto zu Verdis Oper           Für viele Deutsche war der Attila –
der Größe der Römer und ihrem Nie-           Feldern das christliche Europa gegen       Attila von 1846. Auch hier bildete der         Name für Wilhelm – eine Majestätsbe-
dergang“ von 1734 Attila schon in der        die Tartaren gerettet habe.                tödliche Racheakt Odabellas, der Toch-         leidigung, wie das „Manifest der 93“ be-
Überschrift Größe zu. Seine Politik             Auch die Dichtung bemächtigte sich      ter des Herzogs von Aquileia, das dra-         legte, mit dem sich die bekanntesten
habe insofern zum Niedergang Roms            des Hunnenkönigs. Pierre Corneille         matische Finale, in dem der Risorgi-           deutschen Wissenschaftler, Künstler
beigetragen, als die römischen Kaiser        brachte 1667 in Paris einen Attila auf     mento spürbar wird.                            und Schriftsteller kurz nach Ausbruch
nicht mehr in der Lage waren, die Bar-       die Bühne und erklärte im Vorwort, er         Im Deutsch-Französischen Krieg              des Ersten Weltkriegs „An die Kultur-
barenvölker wie früher üblich gegenein-      sei mehr ein Mann des Kopfes als der       1870/71 sahen die Franzosen in den             welt“ wandten. Am 2. September 1914
ander auszuspielen.                          Hand gewesen. 1809 erlebte die Tragö-      Preußen die Hunnen, die unter Bis-             veröffentlichte die Londoner Times ein
   Schärfer als Montesquieu sah sein         die Attila des Konvertiten und Priesters   marck nach 451 ein weiteres Mal über           Gedicht von Rudyard Kipling: „The Hun
Nachfolger Edward Gibbon im 2. Band          Zacharias Werner in Wien ihre Urauf-       Gallien herfielen. Spottend schrieb der        is at the Gate“. Nach dem deutschen

                                                                                                                                             Sonderheft zur Ausgabe 4/2020
                                                                                                                                                                                      7
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