Zur debatte - Katholische Akademie ...
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B 215 75 F zur debatte Sonderheft zur Ausgabe 4/2020 Die Goten in der Geschichte Europas W eit zurück in die Geschichte gingen wir mit unseren His- torischen Tagen 2020. „Die Goten in der Geschichte Europas“ war vom 26. bis zum 28. Februar das Thema. Dabei stand die Rolle dieses ostgermanischen Volkes als Vermittler zwischen Antike und Mittelalter im Mittelpunkt. Aber auch die Spuren, die die Goten – noch heute sichtbar – in Archäologie, Literatur, Brauchtum und auch Religion hinterlassen haben, zeigten die Expertinnen und Experten auf. Lesen Sie im Nachgang alle zwölf Referate, die von den Autoren noch einmal überarbeitet worden sind. Zur Erläuterung der Inhalte und zum Schmuck der Seiten haben wir eine Reihe von Landkarten, historischen Dokumenten, Kunstwerken und ande- re Illustrationen ausgesucht und im Heft abgedruckt. Theoderich der Große, in der Sage als Dietrich von Bern verewigt, war eine der zentralen historischen Persönlich- keiten im Übergang von Antike zum Mittelalter. Siehe dazu das Referat von Hans-Ulrich Wiemer ab Seite 30. Die Abbildung entstammt einer Sammel- handschrift aus dem Kloster Fulda (vor 1176), heute in Leiden, Universitäts- bibliothek, Cod. Vulc. 46, fol. 1 verso.
Jordanes änderte aber nichts an Cas- Der Text bezieht sich ausdrücklich Die Anfänge der Goten und die Scythica siodors Entwurf, wonach die Goten un- auf die mündliche Überlieferung der ter König Berig die Insel Skandza, Skan- Goten, die in ipsis fabulis die Amaler Vindobonensia dinavien, in drei Schiffen verlassen hat- als A(n)sen, wie das viel später überlie- ten und an der Gothiscandza, an der ferte skandinavische Göttergeschlecht Herwig Wolfram heute pommerschen Küste, gelandet sei- hieß, und Halbgötter, als beständige en. Das sei genau im Jahre 1490 vor Glücksbringer im Kampf und keines- Christus geschehen. Das heißt noch vor wegs als puri homines priesen. Trotz- dem Trojanischen Krieg, von dem die dem beginnt die origo Amalorum nicht Römer ihrerseits ihre Herkunft herleite- mit dem Heros eponymos, sondern weist ten. Von der Gothiscandza seien die Amal bloß den vierten Platz in einer Goten nach etwa fünf Generationen in Genealogie zu, die mit zwei oder drei I. den südosteuropäischen Raum gezogen, skandinavischen Götternamen beginnt. wo sie nacheinander drei Wohngebiete An der Spitze steht Gaut, der Stammva- Die Anfänge eines Frühen Volkes besiedelten. Zuerst in Skythien am ter vieler Völker auf dem Kontinent, in handeln vor allem von dessen Herkunft Asowschen Meer, dann in den Römer- Britannien und vor allem der skandina- und Namen. Wer aber einen Historiker provinzen Moesien, Thrakien und Daci- vischen Gauten. Einst bekennt Odin, damit befasst, versetzt ihn in größte en, das heißt im Getenland, und schließ- sein „früherer“ Name sei Gautr gewe- Verlegenheit. Diesbezüglich befragt, lich wieder in Skythien. sen, und auch die gotische Überliefe- würde er am liebsten wie weiland Ritter In der ersten Heimat, in Oium, In rung kennt keinen Odin/Wodan. Lohengrin den nächsten Schwan neh- den saftigen Wiesen, habe noch der Also kamen die Goten doch aus men und abreisen. Der Historiker kann Wanderkönig Filimer regiert, der die Skandinavien, wie es die Getica ohne- nämlich die Frage mit seinem methodi- schamanistischen haliurunnae, die Müt- hin behaupten? Oder waren es nur die schen Instrumentarium und aus Mangel ter der Hunnen, aus dem Volk verban- Amaler, die von dort nach Süden auf- zeitnaher schriftlicher Quellen nicht be- nen musste. In die zweite Heimat ka- brachen? Tatsächlich kannte Ptole- antworten; denn Ursprünge und Anfän- men die Goten, um hier die Geten zu maios um 150 nicht bloß Gutonen an ge werden erst literarisch, wenn man sie werden. Zurück in der dritten, wieder der Weichsel, sondern auch skandinavi- braucht und dann viele Generationen skythischen Heimat wurden sie klüger sche Guten, und Prokopios wusste im weit von ihnen entfernt ist. So muss der und teilten sich in balthische Westgoten 6. Jahrhundert von Gauten auf Thule. Die Historiker Anleihen bei Archäologie und amalische Ostgoten. Aber entschei- beiden Griechen übertreffend, erwähnt und Linguistik machen. Beide sind aber dend war zunächst ihre Gleichsetzung Cassiodor skandinavische Ostrogothen, keine Historien mit anderen Mitteln, mit den Geten. Die Geschichte des seit Gautigothen und andere gotisch-gauti- sondern haben ihre eigenen Fragestel- Herodot bekannten Balkanvolkes sche Völker. Liest man aber die Getica- lungen, auf die sie mit eigenen Metho- schloss die der dakischen und skythi- Stellen genauer, könnte man sagen: Die den ihre eigenen Antworten zu finden schen Nachbarn ein und machte die Kunde von ihren skandinavischen Ver- suchen. Die Zeugnisse der Archäologie Amazonen zu höchst erfolgreichen goti- wandten und ihrer daraus abgeleiteten und Linguistik sind daher nur mit gro- Prof. Dr. Herwig Wolfram, Professor für schen Kriegerinnen. Herkunft hatten die Goten nicht ein ßer Sorgfalt einer historischen Darstel- Mittelalterliche Geschichte und Histo- Schon die jüdische Geschichtsschrei- halbes Jahrtausend lang auf ihren Wan- lung einzufügen, um nicht in die Falle rische Hilfswissenschaften an der Uni- bung hatte die Endzeitvölker Gog und derungen mitgeschleppt, was schon des- der „vermischten Argumentation“ zu versität Wien Magog bei den Skythen gefunden, ein wegen nicht denkbar ist, weil es die Go- tappen, wovor Rolf Hachmann und Wissen, das nun ebenfalls auf die Goten ten als unveränderliches Ethnos nie gab. Volker Bierbrauer so eindringlich ge- übertragen wurde, wobei man die ur- Vielmehr hatte ein Flüchtling diese warnt haben. sprünglich pejorative Bedeutung unter- Nachricht erst vor kurzem nach Raven- Es ist zwar weitgehend anerkannt, Edlen, die östlichen Goten als die Ost- drückte. Bereits vor Cassiodor hatte ein na gebracht. Um 500 verzichtete näm- dass die Namen der gotisch/gautischen rogothen, als die durch den Sonnenauf- unbekannter Autor den Japhet-Enkel lich ein skandinavisch-gautischer Rodu- Völker diesseits wie jenseits der Ostsee gang glänzenden Goten. Die Getica Ashkenas trotz, oder gerade wegen sei- ulf auf „sein eigenes Königtum, vertrau- das Gleiche bedeuten und etwas mit machten im 6. Jahrhundert aus diesem ner biblischen Kinderlosigkeit zum te sich dem Schutz des Gotenkönigs „gießen“, got. giutan, zu tun haben. Namenspaar die Vesigothen im Sinne Stammvater der Ascanaci gentes Goti- Theoderich an und fand das Gewünsch- Fraglich ist jedoch, wer oder was der/ von Westgoten im Gegensatz zu den cae erklärt und damit die Goten zu den te (in Ravenna, wie bei einem Stammes- die Gießenden waren, ob ethnozent- Ostrogothen, den Ostgoten. Als Selbst- ersten Ashkenasim der Geschichte ge- verwandten, möchte man hinzufügen).” risch die gotischen Männer, die Samen- bezeichnung überwog jedoch zu dieser macht. Liutpold Wallach, der bereits Mit der Nennung Roduulfs schließt ausgießer, die sich bescheiden als die Zeit und für die Zukunft bei beiden Völ- 1939 und dann 1963 auf diese Stelle Cassiodor den Skandinavien-Block ab; Menschen verstanden, wie es viele der- kern stets der einfache Gotenname, wie aufmerksam gemacht hat, stellte die der Autor kennt dafür keine andere artige Völkernamen tun. Oder sie waren auch der Wechsel von einem Gotenvolk Frage, ob nicht Ascanaci auch deswe- Quelle, und zwar ganz im Unterschied die Hengste nach einer eponymen Gott- zum andern jederzeit leicht möglich war. gen gewählt wurde, weil man den Na- zur skythischen Vergangenheit der Go- heit in Pferdegestalt, von der man aller- Was die Herkunft der oder, besser, men etymologisch mit der Insel Scan- ten. Für deren Beglaubigung zitiert Cas- dings nichts weiß, außer dass übelmei- von Goten betrifft, ist nochmals festzu- dza verband. siodor die mündlichen Tradition, die nende Nachbarn sich die Geschichte er- halten, dass auf beiden Seiten der Ost- Mit der Verschriftlichung ihrer Her- prisca carmina pene storico ritu, und zählten, wonach das gesamte Goten- see Völker mit demselben Namen leb- kunft erhielten die Goten eine den anti- die verissima historia des ominösen Ab- volk nicht mehr wert sei als ein einziger ten. Ob sie jemals ein Volk gewesen ken Völkern, insbesondere den Römern labius, des descriptor Gothorum gentis Gaul. Oder die Goten/Gauten, aktuell sind, muss keineswegs gesagt sein. In vergleichbare Geschichte: „Originem egregius,, der diese Überlieferung bestä- Götar trugen ihren Namen nach einem seiner Marius-Biographie berichtet Gothicam historiam fecit Romanam“, tigt. Aus der Erzählung Roduulfs könn- Fluss, wofür in Südschweden der noch Plutarch, die Schlacht von Aquae Sex- (= „er machte die gotische Herkunftsge- te Cassiodor die Herkunft der Goten aktuell so benannte Göta Älv und auf tiae 122 v. Chr. sei durch das Aufeinan- schichte zur römischen Historie“), lässt aus Skandinavien konstruiert und folg- dem Kontinent der vom Älteren Plinius dertreffen der mit dem Teutonen ver- Cassiodor den König Athalarich über lich mit einer mythischen Fahrt in drei im 1. Jahrhundert erstmals erwähnte bündeten, wohl germanischen Ambro- seine Komposition in Kapitel 40 der Schiffen über die Ostsee verbunden ha- Guthalus = vielleicht Gotenfluss zur Ver- nen mit den ligurischen Ambronen des Getica von Jordanes sagen. Kein Wun- ben. Die Dreiheit bedingte der Umstand, fügung standen. Dazu gibt es neben den Römerheeres eröffnet worden. Beide der, dass die ältesten Goten keine Ah- dass es für den Autor Ostgoten, Westgo- beiden südschwedischen Götaländer Ambronenvölker gebrauchten ihren Na- nung von einer solchen Herkunft hatten ten und die zur Einschiffung fast zu spät auch die nach Goten/Götar benannte men als Schlachtruf, doch wird ihnen und sich wunderten, als sie Cassiodors gekommenen Gepiden gab. Insel Gotland. Anscheinend oder schein- keine gemeinsame Abkunft zugespro- römische Gotengeschichte hörend la- Von der literarischen Konstruktion bar eindeutige Sachverhalte. Doch blei- chen. Dagegen behauptet die gotische sen, als sie ihnen vorgetragen wurde, abgesehen, ist aber sicher: Es gab Völ- ben wir zunächst noch bei der Namens- Origo eine solche Herkunft für Goten wie der Autor selbst zugeben musste. ker in Skandinavien wie auf dem gegen- frage. und Gauten. Das heißt, eine schriftliche über liegenden Festland, die ein Gefühl Spätestens für die Zeit ab dem Ende Quelle, die es trotz ihrer Problematik II. der Zusammengehörigkeit einte, woraus des 3. Jahrhunderts spricht man im zu bedenken gilt. wie im Falle Roduulfs praktisches Han- Deutschen von Westgoten und Ostgo- Was ich dazu, meine Damen und Wir Heutigen können die Verwunde- deln wurde. Diese Völker führten den- ten, meist ohne die damals gültigen Na- Herren, zu sagen habe, ist kein Dogma, rung der gotischen Alten verstehen, selben Namen, was auch für je einen men zu berücksichtigen. Tatsächlich sondern offen für jeden Ein- und Wider- können aber die getische Geschichte Fluss nördlich wie südlich der Ostsee wird bereits im Frühjahr 291 zum ers- spruch und lautet ungefähr so: Auf der Goten als unhistorisch bezeichnen, zugetroffen haben dürfte. Obwohl Zu- ten Mal von einer pars Gothorum be- Wunsch Theoderichs des Großen ver- weil wir wissen, dass sie der heute ver- wanderungen nicht auszuschließen, ja richtet, die Terwingen, Waldbewohner, fasste Cassiodorus Senator eine gotische lorenen Getika des Dion Chrysostomos geschehen sind, denn Roduulf ist sicher hieß und die westliche Abteilung im Herkunftsgeschichte, vollendete sie aber (gest. vor 120 n. Chr.) entnommen wur- zunächst mit dem Schiff und keineswegs heutigen Rumänien bildete. Das östli- erst 533 nach des Königs Tod wohl in de. Aber wir spitzen wie die gotischen ohne Begleitung nach Ravenna gekom- che ukrainische Gegenstück dazu wa- Ravenna und überarbeitete sie um die Greise die Ohren, wenn mitten im Ge- men, ist jedenfalls die Annahme falsch, ren die Greutungen, die Steinbewohner. Jahrhundertmitte im byzantinischen tenblock die 17-gliedrige, inhaltlich wie die Goten seien als fertiges Volk von Beide Ethnonyme waren landschaftsge- Exil. In Konstantinopel redigierte der sprachlich rein gotische Genealogie der Skandinavien ausgezogen, wie schon bundene Exonyme, Fremdbezeichnun- anscheinend katholische Mösogote Jor- Amaler auftaucht. Ein Sieg über die Rö- Reinhard Wenskus betonte. Dass Kö- gen, und verschwanden um 400 mit der danes das Werk Cassiodors. Er brachte mer zur Zeit Kaiser Domitians (81 – 96) nigsgeschlechter, wie die Amaler, ihre Aufgabe der gotischen Sitze nördlich dessen origo actusque Getarum (kurz: – selbstverständlich der getischen His- Herkunft von Skandinavien herleiteten, von Donau und Schwarzem Meer. Ihre Getica) in eine Form, die erhalten blieb, toria entnommen – motivierte die origo ist an ihrer Namenstradition als münd- Namen lebten aber in aufschlussreicher weil sie die historische Entwicklung von Amalorum, den Stammbaum der Ama- liche, von wo immer auch bezogene Weise im nordischen Heldenlied fort. um 550 berücksichtigte, während die ler, des höchstrangigen gotischen Kö- Überlieferung festzumachen, als Narra- Sich selbst bezeichneten die westlichen umfangreichere Vorlage ihre Aktualität nigsgeschlechts, dem auch der Auftrag- tio aber das Werk der antiken und früh- Goten auch als Vesier, als die Guten/ verloren hatte und daher verloren ging. geber Theoderich der Große angehörte. mittelalterlichen Ethnographie. 2 Sonderheft zur Ausgabe 4/2020
Geburt und der Mitte des 2. Jahrhun- derts erwähnen sie je zwei griechische Themen „zur debatte“ und lateinische Autoren und lokalisie- ren sie zunächst in Küstennähe zwi- Die Anfänge der Goten und die schen Oder und Weichsel, also noch in, Scythica Vindobonensia obgleich am Rande der Germania. Zu- Herwig Wolfram 2 gegeben, die Bezeichnung der Gutonen Der Einfall der Hunnen nach als gotisches Volk ist keine rein histori- Europa um 370 und seine Folgen. sche, sondern eine linguistisch-archäo- Das Reich Attilas bis zum Zerfall logische Annahme. Es gibt nicht wenige 453/454 Archäologen, die die pommersch-west- Klaus Rosen 5 preußische Wielbark/Willemberg-, die ukrainische Černjachov- und die sieben- Die Schlacht von Adrianopel bürgische Sântana-de-Mureş-Kultur (378) und der Gotenkrieg miteinander in Verbindung bringen, sie 376 – 382 als gotisch verstehen und somit die Gu- Dariusz Brodka 9 tonen als Vorgänger der donauländi- schen und pontischen Goten anneh- Alarich I. Karriere eines men. Linguistisch wird argumentiert, Getriebenen dass der Name Gutones die volks- Mischa Meier 12 sprachliche Eigenbezeichnung Gut ent- hält, wie vielleicht in Gúthalus, vor al- Goten in Gallien. Aufstieg und lem aber in Gútthiuda = Gotenvolk im Untergang des Tolosanischen Sinne von Gotenland nachweisbar. Reiches Die Gutonen waren ein zeitweise ab- Christian Stadermann 16 hängiges und noch um 150 n. Chr. klei- Was Europa dem Toledanischen nes Volk, das Tacitus zu den germani- Reich der Westgoten verdankt. schen Oststämmen zählte. Sie besaßen Wege von der Antike ins Mittelalter nach ihm und dem Älteren Plinius Be- Klaus Herbers 20 ziehungen zu zwei gentilen Verbänden, zur lugisch-vandalischen Völkergruppe Ulfila – Bischof der Christen an und östlich der Oder und zu den im gotischen Land. Seine Be- Markomannen im heutigen Böhmen deutung für die Anfänge des und Mähren. Gemeinsam mit den Lugi- gotischen Christentums ern gerieten die Gutonen am Beginn Eike Faber 23 des 1. Jahrhunderts unter markomanni- sche Oberherrschaft, blieben jedoch am Ostgotische Gruppen als Beute- Rande des Einflussgebietes von König genossen und Föderaten in Marbod, so dass sich bei ihnen eine Op- Pannonien und auf dem Balkan position gegen dessen Großreich bilden Verena Epp 27 konnte. Vom gutonischen Stammesgebiet aus Theoderich der Große, ein wurde der mächtige Markomannenfürst gotischer König im spätrömischen mit römischer Hilfe im Jahre 18 oder Italien kurz danach gestürzt. Aus der Marbod- Hans-Ulrich Wiemer 30 Zeit stammen zwei Gegenstände, die Zwischen Ravenna und das Markomannenland mit dem gutoni- Konstantinopel: Das Papsttum schen Siedlungsgebiet verbinden. Von im ostgotischen Italien den zwei aus derselben römischen Steffen Diefenbach 33 Werkstatt importierten, völlig gleichen Bronzekesseln, denen die Produzenten Das Ende des Gotenreiches und je vier bärtige Germanenköpfe atta- der Wandel der Mittelmeerwelt chiert hatten, wurde der eine im süd- in der Spätantike Foto: Codex hist. gr. 73, fol. 194v: Scythica Vindobonensia. Spectral imaging by the Early Manuscripts mährischen Mušov/Muschau, der ande- Hartmut Leppin 37 Electronic Library. Processed image by David Kelbe. © Project FWF P 24523-G19 re im ostpommerschen Czarnowko/ Nur wenige Fragmente des Werkes zung dieser wertvollen Quelle gelang Scharnhorst bei Lębork/Lauenburg Die Goten – Paten Europas? Scythica des Griechen Publius Heren- einem Forscherteam der Österreichi- gefunden. Archäologische, sprachliche nius Dexippos aus dem 3. Jahrhundert schen Nationalbibliothek, die Textstel- Die Gutonen hatten ein für Germa- und kulturelle Spuren der Goten sind überliefert. Eine wichtige Ergän- len in einem Palimpsest fanden. nen sehr starkes Königtum. Dieses be- Rossen Milev 40 saß die Fähigkeit, die Gutonen gefolg- schaftlich wie als polyethnisches Volk Impressum 3 zu organisieren. Nach der Mitte des 2. Jahrhunderts wurden die Gutonen so Dafür gab es die gute Erklärung, die auch die Getica übernahmen: Skandi- navien sei die officina gentium aut certe der großen keltischen Heiligen Brigit, die freilich einst eine heidnische Göttin war, aufsagen konnte, war damit vor mächtig, dass sie sich von Mittelpolen über die Weichsel nach Südosten zum Schwarzen Meer hin ausbreiteten. Die zur debatte Themen der Katholischen Akademie velut vagina nationum und daher das den Nachstellungen des Teufels, aber Wanderer lösten eine so große Unruhe in Bayern Auswanderungsland der antiken Ethno- auch vor irdischen Feinden für den Tag aus, dass die Alte Welt von den Marko- Jahrgang 50 graphie schlechthin gewesen. Das kalte und die Nacht gefeit. Lange Stammbäu- mannenstürmen heimgesucht wurde, Herausgeber und Verleger: Klima verlängerte die Fortpflanzungsfä- me entsprechen dem Konservatismus und erlebten selbst eine gewaltige Ver- Katholische Akademie in Bayern, München higkeit von Mann und Frau. Die extrem einer Inselkultur. Dagegen blieben sie änderung. Sie vergesellschafteten sich Akademiedirektor PD Dr. Achim Budde langen und eisigen Winternächte för- auf dem Kontinent nur in geringer Zahl mit finnischen, baltischen, iranisch-sar- Redaktion: Dr. Robert Walser (verantwort.), derten in den zugigen Hütten das Zu- und ohne skandinavischen Bezug zu- matisch und venetischen Völkern. Aus Dominik Fröhlich sammenrücken und begünstigten den meist nur in kurzer Form erhalten. Der ihnen wurden „Skythen“, die die anti- Fotos: Akademie Anschrift von Verlag u. Redaktion: phantastischen Fortpflanzungsdrang der mächtige Frankenkönig Chlodwig nahm ken Autoren als Goten von den Germa- Katholische Akademie in Bayern, Einheimischen, so dass Skandinavien in seiner vorethnographischen Genealo- nen unterschieden. Mandlstraße 23, 80802 München stets unter Übervölkerung litt. Diese gie bereits den vierten Platz ein. Schon Nach einigen Jahrzehnten der Kon- Postanschrift: Postfach 401008, Vorstellung ist ein ethnographischer To- sein Urgroßvater war ein halbgöttlicher solidierung begann 238 an der unteren 80710 München, pos und beruht weder auf historischen Stier, erzählte man sich in Kreisen, die Donau der große Gotenkrieg, der im Telefon 0 89/38 10 20, Telefax 0 89/38 10 21 03, Daten noch auf archäologischen Vorga- den Merowingern eher unfreundlich ge- wesentlichen bis 269/71 dauerte. Zu E-Mail: info@kath-akademie-bayern.de Druck: Kastner AG – Das Medienhaus, ben, die übrigens keine oder bestenfalls sinnt waren. Jedenfalls kann die Ant- Lande und bald auch zur See greifen Schloßhof 2 – 6, 85283 Wolnzach. umstrittene Verbindungen zwischen wort auf die gotische Herkunftsfrage die Goten mit ihren verbündeten Völ- zur debatte erscheint zweimonatlich. Skandinavien und dem Festland fest- nur lauten: skandinavischer Zuzug ist in kern an. Sie plündern, verheeren und Kostenbeitrag: jährlich E 35,– (freiwillig). stellen (Rolf Hachmann). irgendeiner Form möglich, aber nur für suchen dann beutebeladen das Weite. Überweisungen auf das Konto der Katholischen Ein weiterer Grund für die Bevorzu- Roduulf nachweisbar. Oft fangen die Römer die Angreifer ab Akademie in Bayern, bei der LIGA Bank: Kto.-Nr. 2 355 000, BLZ 750 903 00 gung Skandinaviens als Ursprungsland und fügen ihnen schwere bis schwerste IBAN: DE05 7509 0300 0002 3550 00 könnte die Ferne der „Insel Scandia“ III. Verluste zu; doch sobald die Einbußen SWIFT (BIC): GENODEF1M05. gewesen sein, vergleichbar mit Abra- behoben waren, sind sie wieder da. Das Nachdruck und Vervielfältigungen jeder Art sind hams Ur in Chaldäa, das den Juden ei- Damit kann endlich die historische Land ist zerstört; die Einheimischen, nur mit Einwilligung des Herausgebers zulässig. nen besonderen Stammbaum verschaff- Erzählung die Origo ablösen. Während die der Feind nicht getötet oder fortge- te. Vielgliedrige Genealogien schufen die Überlieferung in- wie außerhalb der trieben hat, fallen nun Hunger und Seu- Altehrwürdigkeit und damit Vorrang Getica für Skandinavien nur Namen chen zum Opfer. unter den Völkern und Königsge- kennt, werden als erstes mögliches goti- Aber im römischen Heer, das Kaiser schlechtern. Sie halfen aber auch im sches Volk die Gutonen als handelnde Gordian III. im Jahre 242 gegen die täglichen Leben. Wer die 24 Vorfahren Subjekte beschrieben. Zwischen Christi Perser führte, befanden sich germanische Sonderheft zur Ausgabe 4/2020 3
Als die Kollegen vor einiger Zeit den IV. Namen Knivas entdeckten, war zu er- warten, dass dadurch die Geschichte Die Scythica Vindobonensia zeich- des bloß in den Getica einwandfrei ge- nen dagegen ein ganz anderes Bild und nannten Gotenkönigs erweitert und ge- bringen Licht in das Chaos von Wider- sichert würde. Als aber nicht lange da- sprüchen und Anachronismen. nach ein Zeitgenosse Knivas und goti- Es gab tatsächlich einen Zeitgenos- scher Heerführer namens Ostrogotha sen Knivas, der Ostrogotha hieß, nur auftauchte, hatte der ostrogothische war er weder ein König noch der Heros eponymos, ansische Amaler und Stammvater der Ostrogothen noch ein mythische Vorfahre Theoderichs des Angehöriger der Ostrogothen, die es si- Großen einen sehr realen historischen cher noch nicht gab, noch der Sechste Namensvetter erhalten, und zwar einen, im heroisch-mythischen Stammbaum auf den der Gotenkönig zu Ravenna der Amaler, sondern ein Mann, der wahrlich nicht stolz sein konnte, erin- „Glanzgote“ oder „Sonnenaufgangsgo- nerte er ihn doch an seinen glücklosen te“ (vgl. Anatol) hieß und ein durchaus jüngeren Bruder Thiudimund. realer Archon von Skythen, das heißt, Cassiodor kannte Dexippos, zitierte ein nichtköniglicher Heerführer von ihn jedoch aus guten Gründen nicht im Goten war. Kaiser Decius erwartet sei- Zusammenhang mit den römisch-goti- nen Angriff; doch brechen hier die neu- schen Kämpfen der Mitte des 3. Jahr- en Fragmente derzeit noch ab. Knapp hunderts. In der Schlacht von Abrittus vorher hatten diese Fragmente mitge- beim heutigen bulgarischen Hisarlak Hisarla Hisarlâ teilt, dass Ostrogotha auf römischem nahe Razgrad besiegte der Gotenkönig Boden operierte, und zwar gleichzeitig, Kniva die beiden Decier, wobei Vater aber völlig unabhängig von Basileus und Sohn den Tod fanden. In den Geti- Kniva und ohne Erfolg. ca nimmt ein König Ostrogotha an kei- Dagegen priesen die Goten Knivas ner der gotischen Großtaten südlich der ihren König in Lobliedern wegen glück- Donau teil, sondern Cassiodor macht licher Siege und im besonderen wegen ihn, den Amaler, zum Vorgänger des der Einnahme von Philippopolis im nichtamalischen Kniva und lässt ihn, Sommer 250. Ein derartiger Lobpreis wie zu errechnen, 251, im Jahr von Ab- war eine hohe Auszeichnung, wie die rittus, sterben. Der Getica-Ostrogotha Getica an mehreren Stellen betonen. hatte über eine gewaltige Streitmacht Dagegen warfen die Goten der Scythica aus germanisch-sarmatischen Völkern Vindobonensia ihrem Anführer Ostro- und römischen Überläufern verfügt, rich- gotha Feigheit, µαλακία, und vor allem tete jedoch nichts Großartiges aus, so δυστυχία, Glücklosigkeit, vor. Kein dass man diesen Ostrogotha schon als schlimmerer Vorwurf als dieser war Beinamen Knivas angesehen oder ihm denkbar. Glück musste ein König ha- überhaupt jegliche Historizität abge- ben, und das Gleiche galt von den sprochen hat. nichtköniglichen Anführern und ihren Cassiodor fand jedenfalls in seiner Sippen, die den „Königen an Würde Vorlage Dexippos offenkundig nichts, und Glück nicht nachstanden,“ wie aus- was für seine Gotengeschichte verwend- gerechnet Dexippos wusste. Die Ergeb- bar gewesen wäre. Deshalb lässt er Ost- nisse der beiden Palimpsest-Forscher rogotha, der eigentlich schon tot ist, können daher getrost als Sensation gel- auch das Römerreich verlassen. Nach ten, zumal sie Anstoß für eine Siche- langer erfolgloser Belagerung von Mar- rung der Autorenschaft der Getica ge- cianopolis sei Ostrogotha mit seinen ben dürften. Goten, durch Empfang von Lösegeldern Cassiodor zählte Ostrogotha zu den „bereichert“, in die Heimat abgezogen, amalischen Heroen, die die Goten als heißt es in den Getica. Die Heimkehr nicht gewöhnliche Menschen, sondern war aber auch höchste Zeit, denn die als a(n)sische Halbgötter verehrten, „mit Gepiden hatten es auf das Lösegeld und deren Art von Glück sie zu siegen pfleg- Foto: akg-images die Wohnsitze der Goten abgesehen. ten“. Der Heros eponymos Amal „er- Cassiodor war nicht nur der wichtigste den Quellen für die Analyse der Goten- Ostrogotha besiegt die Gepiden unter glänzte“ in einem sicher von Cassiodor Berater des Ostgoten-Königs Theode- zeit. Diese Zeichnung stammt aus einer König Fastida und ist scheinbar vor der entworfenen Amalaswintha-Stamm- rich, sondern ist für uns auch als Ge- Handschrift von Cassiodors Werk Geschichte gerettet. Nur dumm, dass baum durch sein Glück, felicitate. Ruhm- schichtsschreiber eine der entscheiden- Variae. sich die gotisch-gepidische Auseinan- reich setzte die Amalerin die Reihe ihrer dersetzung 40 Jahre später um 290 er- königlichen Vorfahren fort, da „unter eignet hat, als der Getica-Ostrogotha wahrlich längst schon tot war, und wahr- scheinlich im heutigen Siebenbürgen und gotische Völker. Man konnte sie of- grunde, angeblich 5000 Mann. Aller- stattfand, wo ein Ostrogotha als König Der dürre Bericht über das fenkundig als Hilfsvölker unter Vertrag dings eine problematische Zahl, weil es von pontischen Ostrogothen nichts zu 3. Jahrhundert entspricht nehmen. In den Jahren 250/51 erlitten so vieler toter Feinde bedurfte, um in suchen hatte. die Römer eine gewaltige Goteninvasi- Rom einen Triumph zu feiern, wie dies Aber auch für diese Schwierigkeit der dürftigen Quellenlage, on, die zur Katastrophe von Abrittus Aurelian tat. Der Gotenkönig fällt, das weiß Cassiodor Rat: für ihn ist Ostrogo- die noch dazu auf späten, führte. Die kappadokischen Vorfahren im Westen dominierende Königtum er- tha im Widerspruch zu anderen Stellen Wulfilas werden 257 von lischt, die Goten spalten sich in westli- der Getica und zur Logik einer ethni- nicht immer verlässlichen Donaugoten nach Norddanubien ver- che königlose Terwingen und östliche schen Namensgebung hier noch der Kö- Autoren beruht. schleppt. Das katatrophale Ausmaß der Greutungen, die das Königtum behalten nig beider Gotenvölker. Dagegen be- Zerstörungen dokumentiert der kanoni- oder sehr bald mit den Amalern wieder richtet eine gute zeitgenössische Quelle sche Brief, worin Bischof Gregorios errichten. zum Frühjahr 291 von Kämpfen der einer solchen Herrin … unser (der Go- Thaumaturgos von Neokaisareia im Der dürre Bericht über das 3. Jahr- westlichen Goten, der Terwingen, und ten) Heer die Fremden schreckt“. So- Pontus Polemiakos die sozialen Verwer- hundert entspricht der dürftigen Quel- ihrer taifalischen Verbündeten, mit Ge- weit der Lobpreis, den Cassiodor der re- ferungen anprangert, die die staatlichen lenlage, die noch dazu auf späten, nicht piden und Vandalen. Es werden aber gierenden Königin spendet. Nun aber Christenverfolgungen und die gotischen immer verlässlichen Autoren beruht. weder die Namen der beteiligten Heer- muss er bei Dexippos von Goten gele- Überfälle der Jahre 256 und wohl auch Der einzige und außerdem höchst kom- führer noch die Orte der Auseinander- sen haben, die demjenigen Ostrogotha, 257 verursachten. petente Zeitgenosse der Ereignisse wäre setzungen genannt. den Cassiodor als amalischen Asen und Im Jahre 268 gelingt den gotischen der Grieche Publius Herennius Dexip- Anscheinend hatte Cassiodor davon möglichen Heros eponymos der über Flotten, denen sich Eruler angeschlos- pos gewesen, der in der Mitte der 270er auch andere Nachrichten. Er wusste Italien herrschenden Ostrogothen stili- sen hatten, der Durchbruch vom Jahre eine Skythika, vorwiegend eine nämlich, dass der Kampf beim Oppi- sierte, Feigheit und Glücklosigkeit vor- Schwarzen Meer in die Ägäis. Aber nur Gotengeschichte, verfasste, wovon je- dum Galtis stattfand, und zwar an ei- warfen, wodurch jede Form von Herr- wenige der Angreifer werden die Hei- doch nur Fragmente erhalten blieben. nem Fluss, der den germanischen Na- schaft infrage gestellt wird. mat wiedersehen. Dazu erleidet ein go- Ihre Zahl wurde erst jüngst und wird men Auha/Ache trug. Diese ganze Ge- So wusste Ammianus Marcellinus, tisches Landheer 269 die schwere Nie- weiterhin durch das Projekt Scythica schichte stammt aus der Überlieferung dass die Burgunder eine Mehrzahl von derlage von Naissus, worauf der Sieger Vindobonensia vermehrt. Damit ist die der westlichen Goten, wofür auch die Königen hatten, die den Namen hendi- Kaiser Claudius II. den Triumphaltitel Bearbeitung eines griechischen Palimp- Mitwirkung der nördlich der unteren nos (recte *kindinōs) trugen. Ein sol- Gothicus annimmt und die Goten sests der Wiener Handschriftensamm- Donau lebenden Taifalen spricht. Weil cher König war für die fortuna belli ver- der römischen Welt offiziell bekannt lung gemeint, die Jana Grusková und aber der gotische Anführer anscheinend antwortlich und wurde „entfernt“, wenn macht. Zwei Jahre später 271 besiegt Gunther Martin so erfolgreich durch- ebenfalls Ostrogotha hieß, lässt Cassio- das Kriegsglück ausblieb. Ammianus Kaiser Aurelian die Goten auf ihrem führen. Ihnen und ihren Mentoren Otto dor seinen amalischen Ostrogotha auch verwendete das Verbum removeri, was eigenen Territorium nördlich der Do- Kresten und Fritz Mitthof kann nicht den Sieg über den Gepidenkönig Fasti- alles von der Absetzung bis zur Tötung nau. Ein ganzes Stammesheer geht zu- genug gedankt werden. da feiern. des glücklosen Königs bedeuten konnte. 4 Sonderheft zur Ausgabe 4/2020
Nachdem König Vitigis mit den in Ra- venna eingeschlossenen Goten 540 vor Der Einfall der Hunnen nach Europa um bestachen seine führenden Gefolgsleute, die ihn verließen. Er musste sich über Belisar kapituliert hatte, gaben die tran- spadanischen Goten nicht auf und tru- 370 und seine Folgen. Das Reich Attilas die Donau zurückziehen, wo sich seine Spur verliert, ein Zeichen, dass von dy- gen dem Vitigis-Neffen Uraias das Kö- nigtum an. Dieser konnte sich mehrerer bis zum Zerfall 453/454 nastischer Anhänglichkeit noch nicht die Rede sein konnte. Erfolge gegen die Kaiserlichen rühmen Gegen die Westgoten, die unter Kö- und war im Besitz der zweiten goti- Klaus Rosen nig Alarich seit 408 Italien auf der Su- schen Königsstadt Pavia samt Teilen des che nach einer neuen Heimat beunru- Königsschatzes. higten, wappnete sich Kaiser Honorius Uraias aber lehnte ab, weil, wie die mit 10.000 Hunnen. Darunter könnten glücklose Kriegführung des Onkels be- vor allem diejenigen gewesen sein, die wies, seiner Familie das nötige Glück, Uldin davongelaufen waren. Als Athaulf die τύχη, fehle. Den antiken Autoren 409 seinem Schwager Alarich zu Hilfe waren Bedeutung und Wirksamkeit des I. kam, bereiteten ihm 300 Hunnen von Glücks jedoch nicht bloß aus der barba- Ravenna aus eine herbe Niederlage. rischen, sondern auch aus der eigenen „Einzigartiger der Hunnen, König Attila, Aus einem Fragment des griechischen Geschichte vertraut. In Lukans Pharsa- Spross seines Vaters Mundzuc, Historikers Olympiodor, der um 412 lia begrüßt Caesar sein Heer mit den Herr der tapfersten Stämme, eine Gesandtschaftsreise zu den Hun- Worten: O domitor mundi, rerum fortu- Der mit nie zuvor gehörter Macht nen unternahm, begleitet von seinem na mearum, / miles. „Oh Ihr Soldaten, Alleinherrscher skythischer und vielbestaunten und sprachbegabten Ihr Beherrscher der Welt und das Glück germanischer Reiche war, Papagei, erfahren wir von Königen der meiner Sache.“ Im 13. Jahrhundert Der Roms beide Imperien durch die Hunnen, einem Oberkönig Charaton machte der unbekannte isländische Ver- Eroberung seiner Städte in Schrecken und von Streit unter ihnen wegen der fasser der Rómverja saga, der Geschich- versetzte Ermordung eines Mannes mit dem la- te von den Rommännern, aus diesem Und der, statt alles Übrige als Beute zu teinischen Namen Donatus. Mit Ge- Vokativ einen an die Getica erinnern- unterwerfen, schenken an Charaton habe der römi- den Instrumentalis und übersetzte: sich durch Bitten erweichen ließ, sche Kaiser den Streit beigelegt. So „Höret nun ihr Ritter, die ihr über die einen jährlichen Tribut in Empfang zu sorgte er für Ruhe auf beiden Seiten. weite Erde mit meinem Glück, með nehmen. Die Diözesen Thrakien und Mösien minni hamingiu, gesiegt habt.“ Nachdem er das alles durch des blieben das bevorzugte Ziel hunnischer Glückes Lauf vollbracht hat, Einfälle. Zum Jahr 422 bietet eine latei- V. Starb er nicht an einer Wunde von nische Chronik den dürren Satz: „Die Feindeshand, Hunnen haben Thrakien verwüstet.“ In Verlauf und Ende des Kriegszugs von Nicht durch die Hinterlist seiner Ange- dieser Zeit errang eine Sippe im hunni- 250/51 zeigen die Goten bereits auf ei- hörigen, schen Kerngebiet vielleicht deswegen nem ersten Höhepunkt ihrer Macht und Sondern ohne dass sein Volk Verluste einen Vorrang, weil sich in ihr vier Brü- Ausstrahlungskraft. Kniva erweist sich erlitt, der ausgezeichnet hatten: Octar, Ruga, als Feldherr, der über mehr als bloß pri- Schmerzlos unter fröhlichen Umständen. Prof. Dr. Dr. Klaus Rosen, Professor für Mundzuc und Oëbarsius. Octar und mitive Kenntnisse in Taktik und Strate- Wer will das für das Ende halten, Alte Geschichte an der Universität Bonn Ruga erscheinen in unseren Quellen als gie verfügt. Trotz seines starken König- Für das er keine Rache zu üben ge- Könige. Während Octar nach Westen tums und seiner spektakulären Erfolge denkt?“ vorstieß und am Rhein gegen die Bur- ist Kniva jedoch kein monarchischer gunden kämpfte, aber bald darauf starb, König aller Goten gewesen. Tatsächlich Diesen Hymnus sangen hunnische gente als Militärhilfe in innerrömischen könnte Ruga den Einfall in Thrakien gab es unter Einschluss Theoderichs des Adlige 453 bei der nächtlichen Totenfei- Auseinandersetzungen. So bot der west- angeführt haben. Seinen Abzug erkaufte Großen keinen einzigen König von Go- er ihres überraschend verstorbenen Kö- römische Heermeister Bauto 383 Hun- Kaiser Theodosius II. mit einem jährli- ten, der der König aller Goten gewesen nigs Attila. Die lateinische Fassung nen gegen den gallischen Usurpator chen Tribut von 350 Pfund Gold, das wäre. Dexippos zeigt sich bestens darin, überliefert der gotische Historiker Jor- Magnus Maximus auf. Mit ihnen trat Pfund 72 Goldsolidi. aber auch über die barbarischen Institu- danes, und man hat mit Recht vermutet, Kaiser Theodosius 388 ebenfalls Mag- 425 stellte Ruga dem späteren west- tionen insgesamt informiert. Er nennt dass sie letztlich auf ein hunnisches Ori- nus Maximus in Pannonien entgegen, römischen Heermeister Aëtius, der Ostrogotha einen Archon, einen nicht- ginal zurückgeht. und 394 besiegte er dank einer gotisch- mehrere Jahre als Geisel bei den Hun- königlichen Heerführer, und Kniva ei- Etwa 80 Jahre zuvor waren erstmals hunnischen Armee am Frigidus, der nen gelebt hatte, für eine hohe Bezah- nen Basileus, einen Großkönig. Latei- Gruppen von Reiternomaden aus der Wippach, den Usurpator Eugenius. lung ein großes Heer zur Verfügung, um nisch gesprochen, war Ostrogotha ein Steppe nördlich des Schwarzen Meeres Theodosius’ Heermeister Stilicho um- den weströmischen Usurpator Johannes dux, Kniva ein rex; auf gotisch könnten über den Don, die Grenze zwischen Eu- gab sich mit einer hunnischen Leibwa- in Ravenna gegen eine oströmische Ar- Ostrogotha ein *draúhtins, Kniva noch ropa und Asien, nach Westen vorgesto- che. Auch in der Residenz Ravenna lag mee zu verteidigen. Die Hunnen kamen ein thiudans, wenn nicht schon ein ßen und hatten in mehreren Kämpfen eine hunnische Garnison. Stilicho konn- aber erst drei Tage nach Johannes’ Sturz reiks gewesen sein. um 375 das Großreich des ostgotisch- te 408 erst gestürzt werden, nachdem an. Die anschließende Schlacht mit den Das Wiener Palimpsest bestätigt ei- greutungischen Königs Ermanarich zer- seine Hunnen niedergemetzelt worden Oströmern ging unentschieden aus. nen historischen Ostrogotha für die Mit- schlagen. Hunnen war der gemeinsame waren. Ruga wollte nun seine Herrschaft über te des 3. nachchristlichen Jahrhunderts. Name, den ihnen unsere griechischen Inzwischen waren hunnische Verbän- sämtliche Stämme nördlich der Donau Es ist nicht unmöglich, dass um 290 ein und lateinischen Quellen gaben, ohne de in die ungarische Tiefebene vorge- ausdehnen und verlangte 433 von zweiter historischer Ostrogotha terwin- dass wir daraus auf eine einheitliche drungen, wo sie sich die Goten und Ge- Theodosius, alle Bündnisse mit ihnen gische Krieger gegen Gepiden und Van- Völkerschaft schließen dürfen. Dank ih- piden unterwarfen und Uldin eine Füh- aufzugeben und diejenigen auszuliefern, dalen führte. Wahrscheinlich um seines/ rer Kampfkraft, der Schnelligkeit ihrer rerstellung errang. Seine Herrschaft ver- die sich „als römische Alternative“ ihres Namens willen hat Cassiodor den Pferde und der Reichweit und Durch- teidigte er 401 gegen den gotischen (Wolfram) unter seinen Schutz begaben. oder die nichtamalischen Ostrogothae schlagskraft ihrer Reflexbogen waren sie Heermeister Gainas, der sich nach einer Doch bevor er seine Kriegsdrohung der westlichen Tradition entnommen dem Gegner überlegen. Ihr Erfolg gegen gescheiterten Empörung in Konstanti- wahrmachen konnte, starb er um 434, und daraus einen mythische Amaler, Ermanarich verdankte sich zudem einer nopel mit Stammesgenossen über die angeblich durch einen Blitzschlag, was Vorfahren der Könige von Ravenna und größeren Kriegerkoalition, zu der Ala- Donau zurückzog, aber von Uldin ge- in Ostrom als Gottesurteil angesehen Vater der in Italien herrschenden Ostro- nen nördlich des Kaukasus gestoßen schlagen wurde. Der sandte seinen Kopf wurde. gothen gemacht. waren. Wie locker die Koalition war, nach Konstantinopel zu Kaiser Arcadi- Das Ethnonym schloss aber keines- zeigte sich, als Nachfolger Ermanarichs us und wurde dafür mit Gold und ei- II. wegs die Vergabe des Namens als Per- mit hunnischen Verbündeten gegen die nem Vertrag belohnt, dem zufolge der sonenname aus. Die Schwester eines Alanen vorgingen. Hunnen-Anführer wohl Truppen zu Seine Neffen Bleda und Attila über- unglücklichen gepidischen Kronpräten- Hunnische und alanische Gruppen stellen hatte. nahmen als Könige sofort die Nachfol- denten des 6. Jahrhunderts hieß Ostro- waren auch unter den gotischen Scha- Das tat er 406, als der Gote Radagai- ge. Mit Ostrom schlossen sie bei Margus gotho, in langobardisch-lateinischer ren, die vor dem Druck der Hunnen sus mit einem riesigen Völkerschwarm an der Donau einen Vertrag, der neben Lautung Austrigusa. Der Name wurde über die Donau ins Römische Reich in Italien einfiel, aber bei Fiesole von Handelsbeziehungen die Auslieferung demnach unabhängig von einer ostro- auswichen und 378 bei Adrianopel das Stilicho mit hunnischer Hilfe besiegt sämtlicher Hunnen vorsah, die sich auf gothischen Volkszugehörigkeit an Go- Heer des oströmischen Kaisers Valens wurde. Die Beute und der Sold, den die römische Seite begeben hatten. Hin- ten vergeben, und die Gepiden gehörten vernichteten. Traditionell gelten diese Uldins Hunnen aus Italien mitbrachten, ter der später stets wiederholten Forde- dazu, wie die Tatsache beweist, dass Jahre als der Beginn der Völkerwande- waren ein Mittel, um seine Stellung zu rung stand der absolute Herrschaftsan- Austrigusas Bruder der Westgote hieß rung. Bei den zeitgenössischen römi- stärken. Vielleicht waren es hunnische spruch über alle hunnischen Stämme, (Wolfgang Haubrichs). schen Historikern Eunapius und Ammi- Gruppen weiter östlich, die davon nicht zugleich aber auch wie schon bei Uldin Dank der Scythica Vindobonensia anus Marcellinus und bei den Kirchen- profitiert hatten und deswegen Uldin und Ruga die Auffassung, dass die Rö- sind viele beschriebene Seiten, davon vätern Ambrosius und Hieronymus bestimmten, ungeachtet seiner bisheri- mer nördlich der Donau nichts mehr zu auch manche eigenen Makulatur gewor- spiegelt sich das Entsetzen, das seit 378 gen Beziehungen zu West- und Ostrom suchen hatten. Zwei junge Angehörige den. Handschriften-Archäologie lohnt die verheerenden Überfälle und Plünde- 408 zusammen mit abhängigen germa- der Königssippe, die beim Herrscher- sich eben, ihren erfolgreichen Adepten rungen einzelner Hunnengruppen süd- nischen Skiren einen weiträumigen Ein- wechsel sofort geflohen waren, wurden gebührt unsere respektvolle Anerken- lich der Donau auslösten. 395 und 398 fall in Thrakien zu unternehmen. Kaiser gefangen genommen und noch auf rö- nung. Vivant sequaces! folgten weiträumige Einfälle in Meso- Arcadius war gerade gestorben. Nach mischem Boden gekreuzigt. Später potamien, Syrien und Kleinasien. einer römischen Niederlage verweigerte wehrten sich hunnische Überläufer hef- Doch Ostrom und Westrom bedien- er Friedensverhandlungen, worauf die tig gegen eine Auslieferung und begin- ten sich nun auch hunnischer Kontin- Römer zu einem alten Mittel griffen: Sie gen lieber Selbstmord. Sie wussten, was Sonderheft zur Ausgabe 4/2020 5
kreisenden Kölschdosen, lauter Tech- weitere Ausdehnung seiner Macht nicht nomusik und der entsprechenden Stim- vernachlässigen durfte. Auf dem derzei- mung wurde mir allerdings rasch klar: tigen Stand zu bleiben, hätte leicht zu Karneval und Wissenschaft passen nun einem Rückschlag führen und seine einmal nicht zusammen. Mit dieser Ein- Herrschaft gefährden können. Daher sicht trollte ich mich, und mit ihr schlie- richtete er seinen Blick auf den Westen ße ich auch am heutigen Aschermitt- des Römischen Reiches, nachdem die woch meinen Vortrag. Donauprovinzen im Osten ausgeblutet waren. Willkommene Begleiterschei- nung war die Verbindung, die Kaiser Valentinians Schwester Honoria mit ihm aufgenommen hatte. Attila inter- pretierte sie als Heiratsantrag und ver- langte von Kaiser Valentinian die Hälfte seines Reiches als Mitgift. Dessen Wei- gerung war mit eine der Rechtfertigun- gen, zum Einfall in Gallien zu rüsten. Ein riesiges Aufgebot von Hunnen und Verbündeten überschritt im Früh- jahr 451 den Mittelrhein, zerstörte von Trier bis Zentralgallien alle Städte, kam aber vor Orléans zum Stehen. Attila zog sich bis zu den Katalaunischen Feldern bei Troyes zurück, wo ihn Aëtius mit ei- ner großen Koalition, darunter vor al- lem den Westgoten, entgegentrat. In der blutigen Schlacht blieb Aëtius Sieger und zwang Attila zum Rückzug. Dessen Einfall in Italien im folgen- den Jahr sollte den Schaden an seinem Nimbus wiedergutmachen. Aquileia fiel nach dreimonatiger Belagerung, die Städte Oberitaliens bis Mailand folgten. Aëtius’ Vorrücken mit oströmischen Truppen und die riesige Beute, die die Foto: akg-images Hunnen gemacht hatten, sprachen für In der Sächsischen Weltchronik aus Fassung seines Namens Etzel). Die den Rückzug, den eine Gesandtschaft dem 13. Jahrhundert findet sich eine gezeigte Stelle berichtet von der unter Papst Leo begrüßte. Raffael hat in Abbildung des Hunnenkönigs Attila Belagerung Aquileias durch die der Stanza di Eliodoro im Vatikanpalast (der Text nennt in der germanischen hunnischen Truppen 452. die Begegnung zwischen Papst und Hunnenkönig gemalt. Seuchen in der Sommerhitze, die auch spätere Invasi- onsarmeen dezimierten, mögen hinzu- gekommen sein. ihnen von ihren Königen blühte. In und auf irgendeine Weise alles durch es wagten, ihn als Menschen dem ver- Im Osten hatte Kaiser Marcian, der Margus wurde Rugas Jahrestribut ver- den grausigen Ruf, der von ihm ausging, göttlichten Kaiser Theodosius nachzu- Nachfolger des 450 verstorbenen Theo- längert, bei zwei Königen von 350 auf in Schrecken versetzte. Denn stolz war stellen, riskierten sie eine Schlägerei. dosius, in der Zwischenzeit eine hunni- 700 Pfund Gold. sein Gang, hierhin und dorthin wandte Das berichtete Priscus, der 449 eine Ge- sche Schar über die Donau zurückge- Die Hoffnung, mit diesen Tributen, er seine Augen, so dass seine Herr- sandtschaft zu Attila begleitete. In ei- trieben und sich schon vorher gewei- die billiger als Kriege waren, die Herr- schaftsgewalt schon durch seine Kör- nem der spannendsten Reiseberichte gert, die Tribute seines Vorgängers wei- schaft der Könige zu stabilisieren und perhaltung deutlich wurde. Er liebte der antiken Literatur lieferte er authen- ter zu zahlen. Attila beschloss, ihn im damit die Lage jenseits der Donau zu Kriege, hielt sich aber persönlich zu- tische Bilder von den Verhältnissen in nächsten Jahr seine Hand spüren zu las- beruhigen, erfüllte sich nicht. Erfolgrei- rück; in seinem Planen war er äußerst Attilas engerem Herrschaftsgebiet in der sen. Zuvor wollte er noch die Zahl sei- che Beutezüge waren lukrativer und da- entschlossen; von Bittstellern ließ er ungarischen Tiefebene und von seiner ner Ehefrauen vergrößern. In der Hoch- her das wirksamste Mittel, das Prestige sich erweichen und war loyal zu denen, Hofhaltung in seiner wohlgebauten Re- zeitsnacht mit der Germanin Idilko des Anführers zu erhöhen, die eigene die er einmal ausgewählt hatte. Er war sidenz. Die Römer durften an einem starb er jedoch an einem Blutsturz. Dem Kriegskoalition zusammenzuhalten und von kleiner Gestalt, breiter Brust, ziem- großen von Heldenliedern begleiteten naheliegenden Gerücht, er sei von ihr neue Verbündete zu gewinnen. Offen- lich großem Kopf, engen Augen, spärli- Gastmahl Attilas mit seinen hunnischen ermordet worden, widersprach das ein- sichtlich hatten die Könige nichts dage- chem Bartwuchs, graumeliertem Haar, Kriegern teilnehmen. gangs zitierte Totengedächtnis. gen, dass der Heermeister Aëtius in den platter Nase und hässlicher Hautfarbe, Erstaunt erfuhren sie, dass seine 30er Jahren des 5. Jahrhunderts hunni- womit er die Merkmale seiner Herkunft Kanzlei genau über hunnische Flücht- III. sche Söldner anwarb. Mit ihnen im Rü- bewahrte.“ linge Buch führte, die namentlich zu- cken förderte er erst seine Karriere und Kein Hunne sollte Bleda vermissen. rückgefordert wurden. Es gab einen rö- Attilas Macht und Größe belegten band dann große Teile des erschütterten Daher fiel Attila 447 noch weiträumiger mischen und einen griechischen Sekre- e negativo seine Söhne, die sich nach Gallien wieder an das weströmische als 441 und 442 in den Balkan ein, drang tär für die Korrespondenz mit West- seinem Tod sofort um die Herrschaft Reich. nach einer siegreichen Schlacht bis zu und Ostrom. Zu Attilas engeren Kreis stritten und es daher nicht fertigbrach- 436 oder 437 besiegten Hunnen die den Thermopylen in Mittelgriechenland von Beratern und Helfern, den logades, ten, sein Reich zusammenzuhalten. Den Burgunden am Rhein, der historische ein und wandte sich dann gegen Kon- gehörten Hunnen und Nichthunnen, entscheidenden Stoß erhielt es bereits Kern der Nibelungensage. 441 und 442 stantinopel, das im Januar des Jahres und eine Freundschaft verband Attila im folgenden Jahr in einer Schlacht am machten Bleda und Attila mit ihren von einem schweren Erdbeben erschüt- mit dem Gepidenkönig Ardarich und Nedao in Pannonien, in der ehemalige Verbündeten einen großen Einfall in tert worden war. Die eingestürzten dem Ostgotenkönig Valamir, deren Verbündete Attilas, die sich nach sei- Thrakien und im Illyricum. Mittlerweile Stadtmauern waren in einer gemeinsa- Stämme unter seiner Oberhoheit nörd- nem Tod losgesagt hatten, gegen einige hatten die Hunnen auch gelernt, größe- men Anstrengung sofort wieder hochge- lich und südlich der Donau siedelten. seiner Söhne und treu gebliebene Stäm- re Städte zu erobern. Viminacium (Kos- zogen worden, was die Stadt rettete. Vigilas, der Dolmetscher der Reise- me wie die Ostgoten siegten. tolac), Singidunum (Belgrad), Sirmium Nach einer weiteren Niederlage musste gruppe, verfolgte den stümperhaften Für Attilas historische Größe spricht (Sremska Mitrovica) und Naissus (Niš) Theodosius erneut um Frieden bitten. Plan, Attila mit Hilfe seines bestoche- aber auch sein Nachleben. Sein Name fielen ihnen zum Opfer. Theodosius Attilas Diktat war hart: Nachdem die nen Leibwächters Edekom zu ermor- blieb im kollektiven Gedächtnis Euro- schickte eine hochrangige Gesandtschaft, Tribute zuletzt gestockt hatten, waren den. Der Plan, den der mächtige Hof- pas fester verankert, als das je bei einem die Frieden schloss und ihn reichlich 6000 Pfund Gold sofort zu bezahlen beamte Chrysaphius, ein Eunuch, mit anderen nichtchristlichen Großen der vergoldete. und der künftige Jahrestribut wurde auf Theodosius ausgeheckt hatte, flog auf, antiken Geschichte der Fall war. Dabei Wenn in den nächsten Jahren an der 2100 Pfund Gold erhöht. Auch der weil Edekon ihn verriet. Attilas in die- gilt für ihn mehr als für Schillers Wal- Donaufront Ruhe herrschte, so war ein Preis für den Loskauf jedes Kriegsgefan- sem Fall gewiss nicht fingierter Zornes- lenstein: Grund, dass Attila beschloss, sich der genen wurde auf 12 statt 8 Solidi er- ausbruch hätte Vigilas und seinen Sohn „Von der Parteien Gunst und Hass ver- Alleinherrschaft zu bemächtigen. 444 höht. Alle Überläufer waren ebenfalls beinahe das Leben gekostet, hätte er wirrt oder 445 ermordete er seinen Bruder auszuliefern. Kurz darauf verlängerte sich nicht mit 50 Pfund Gold losgekauft. Schwankt sein Charakterbild in der Bleda, und es gelang ihm, sich auch bei Attila eine Sicherheitszone von fünf Ta- Der göttliche Theodosius musste sich in Geschichte.“ dessen empörten Stammesteilen durch- gesreisen südlich der Donau, die kein einem bitterbösen Brief von Attila be- Das soll der zweite Teil meines Vor- zusetzen. Römer betreten durfte. Da das den schimpfen lassen, dass er ihn degradiert trags zeigen. Attilas Bild reicht vom Jordanes schrieb ihm sogar zu, er Handel erschwerte, gab er diese Forde- habe. Er sei vom Schicksal zum Besse- blutrünstigen Tyrannen bis zum verehr- wolle Römer und Westgoten unterwer- rung aber bald auf. ren erhoben worden, und Theodosius ten Helden und idealen Herrscher. Spät- fen, und lieferte an dieser Stelle ein Por- Attila stand auf dem Höhepunkt sei- sei sein Sklave. Solche Töne hatte sich antike und mittelalterliche Chroniken trät von ihm, das auf den Augenzeugen ner Macht. Kuridachos, Oberkönig der noch kein Barbarenkönig gegenüber sprachen vom Zeitalter Attilas, und Eu- Priscus zurückging: „Ein Mann, dazu unterworfenen hunnischen Akatiren, einem römischen Kaiser erlaubt. gipp bestimmte im Eingangssatz seiner geboren, die Völker der Welt zu erschüt- schmeichelte ihm als dem „größten der Aber Attila war sich bewusst, dass er Severins-Vita die Ankunft des Heiligen tern, der allen Ländern Furcht einflößte Götter“. Und wenn Römer vor Hunnen jenseits solcher Schockdiplomatie die in Noricum durch das Jahr, in dem der 6 Sonderheft zur Ausgabe 4/2020
Hunnenkönig starb. Wichtige Vermittler waren die Viten gallischer und italischer Bischöfe, die die Feldzüge von 451 und 452 erlebt hatten. An ihrem Jahresge- dächtnis wurde im Gottesdienst aus ih- ren Viten vorgelesen und über ihren Wi- derstand gegen Attila gepredigt. Schön früh wurden die Viten mit allerlei Wun- dererzählungen ausgeschmückt bis hin zu der erbaulichen Feststellung, Attila habe sich zum Christentum bekehrt. Ihm begegnet zu sein wurde geradezu zum Ehrentitel mancher Bischöfe und zum Ausweis ihrer Heiligkeit. Die theo- logische Deutung: Gott habe Attila ge- schickt, um die Menschen für ihre Sün- den büßen zu lassen, führte zu seinem Beinamen „Geißel Gottes“. Die Awarenkriege Karls des Großen 781 und 803 waren in den jüngeren Reichsannalen und bei seinem Biogra- phen Einhard Feldzüge gegen die Hun- nen, die für das bestraft wurden, was sie dem Frankenreich angetan hatten. Im 10. Jahrhundert lieferten die Einfälle der Ungarn, der nach Mitteleuropa und Ita- lien zurückgekehrten Hunnen, neuen Stoff für Attilalegenden. Obwohl die Hunnen nie nach Paris kamen, rettete die spätere Patronin Genovefa die Stadt vor ihnen. Auch Köln sah keine Hun- nen trotz der heiligen Ursula und der 11.000 Jungfrauen, die von ihnen nie- dergemetzelt wurden. Aquileia hatte At- tila wirklich zerstört. Bei dem Dichter Paulinus von Aquileia schmorte er da- für in der Hölle. In Oberitalien besiegte der sagenhafte König Dardanus Attila, verfolgte ihn bis Rimini und erschlug ihn mit einem Schachbrett. Gegenüber den Großen der germani- schen Heldenepik, Männern wie Frau- en, war Attila immer der Schwächere. Im Walthari-Lied musste er in ohn- mächtigem Zorn seine Geiseln Walther und Hildegund ziehen lassen. Im älte- ren Atli-Lied der Edda tötete er die Bur- gunderkönige und wird dafür von ihrer Schwester Gudrun ermordet. Im jünge- ren Atli-Lied staucht Gudrun ihren fei- gen Gemahl so heftig zusammen, dass er sie am Ende nur noch um ein ehren- volles Begräbnis bitten kann. Der Atti- lastoff war im Mittelalter selbst unter Klerikern beliebt. Bischof Gunther von Bamberg (1057 – 1065) beschäftigte sich lieber mit Attila und den Amalern als mit Augustinus und Papst Gregor, wie der Leiter seiner Domschule Meinhard in einem Brief klagte. Von Gunther lässt Foto: Paris, Bibliothèque nationale de France, Ms. Nouv. acq. lat. 2334 sich vielleicht eine Brücke zu dem ano- Herausragende Kunst der Gotenzeit: nymen Verfasser des Nibelungenlieds Dieser von den Forschern Ashburnham- schlagen, der wohl ebenfalls Kleriker Pentateuch genannte Codex – hier war und dem Passauer Bischof Wolfger sehen Sie fol. 9r – entstammt dem von Erla (1191 – 1204) nahegestanden 7. Jahrhundert und entstand wohl in haben könnte. König Etzel – die mittel- Spanien. alterliche Form für Attila – steht der Ra- che seiner Gemahlin Kriemhild an Ha- gen und ihren Brüdern hilflos gegen- über. Als zum Schluss die Köpfe Hagens und Kriemhilds rollen, bricht er zusam- seiner berühmten „History of the Decli- führung, ein „romantisches Erlösungs- Ministerpräsident an seine Frau im Au- men mit Dietrich von Bern in Tränen ne and Fall of the Roman Empire“ von stück und Gnadendrama“: Bevor Attila gust 1870: „Die alten Weiber, wenn sie aus. 1783 in Attila den „wilden Zerstörer“ von seiner Verlobten Hildegund er- meinen Namen hören, fallen auf die Ungarische Historiker des 11. und und „schrecklichen Barbaren“, dem schlagen wird, hat ihm der Papst seine Knie und bitten mich um ihr Leben. 12. Jahrhunderts stellten Stammbäume man das Diktum zuschrieb, wo sein Sünden vergeben. Attila war ein Lamm gegen mich. Nicht Attilas auf, an deren Beginn Japhet, der Pferd hintrete, wachse kein Gras mehr. Goethe verkniff sich eine harsche Re- nur für die Franzosen war der nächste Sohn Noas, oder der große Jäger Nim- Gibbon war der Meinung, hätte der ver- zension, während die Napoleon-Gegne- Attila Wilhelm II. Anlass war seine be- rod aus der Genesis standen. Später galt weichlichte Kaiser Theodosius seine rin Madame des Staël begeistert war. rüchtigte Hunnenrede vom 27. Juli der ungarische König Matthias Corvi- Truppen energisch aufgerüstet, so hät- Der Korse galt nach seinem Einfall in 1900, mit er in Bremerhaven die Trup- nus (1458 – 1490) als der neue Attila. ten die Barbaren „auf der Majestät des Italien 1796 so manchem Zeitgenossen, pen für den Boxeraustand in China ver- Mit der modernen Geschichtsschrei- Reiches nicht länger herumgetrampelt“. Papst Pius VI. darunter, als der moder- abschiedete: „Führt eure Waffen so, bung setzte auch die Analyse der Quel- Ludwig Theobul Kosegarten, Propst auf ne Attila, und er selbst zeigte sich noch dass auf tausend Jahre hinaus kein len zu Attila und den Hunnen ein. Rügen und später Geschichtsprofessor in der Verbannung auf St. Helena von Chinese mehr wagt, einen Deutschen Montesquieu billigte im 19. Kapitel sei- in Greifswald, sah 1801 in Aëtius den dem Vergleich angetan. Werners Drama scheel anzusehen.“ ner „Betrachtungen über die Gründe Helden, der auf den Katalaunischen inspirierte das Libretto zu Verdis Oper Für viele Deutsche war der Attila – der Größe der Römer und ihrem Nie- Feldern das christliche Europa gegen Attila von 1846. Auch hier bildete der Name für Wilhelm – eine Majestätsbe- dergang“ von 1734 Attila schon in der die Tartaren gerettet habe. tödliche Racheakt Odabellas, der Toch- leidigung, wie das „Manifest der 93“ be- Überschrift Größe zu. Seine Politik Auch die Dichtung bemächtigte sich ter des Herzogs von Aquileia, das dra- legte, mit dem sich die bekanntesten habe insofern zum Niedergang Roms des Hunnenkönigs. Pierre Corneille matische Finale, in dem der Risorgi- deutschen Wissenschaftler, Künstler beigetragen, als die römischen Kaiser brachte 1667 in Paris einen Attila auf mento spürbar wird. und Schriftsteller kurz nach Ausbruch nicht mehr in der Lage waren, die Bar- die Bühne und erklärte im Vorwort, er Im Deutsch-Französischen Krieg des Ersten Weltkriegs „An die Kultur- barenvölker wie früher üblich gegenein- sei mehr ein Mann des Kopfes als der 1870/71 sahen die Franzosen in den welt“ wandten. Am 2. September 1914 ander auszuspielen. Hand gewesen. 1809 erlebte die Tragö- Preußen die Hunnen, die unter Bis- veröffentlichte die Londoner Times ein Schärfer als Montesquieu sah sein die Attila des Konvertiten und Priesters marck nach 451 ein weiteres Mal über Gedicht von Rudyard Kipling: „The Hun Nachfolger Edward Gibbon im 2. Band Zacharias Werner in Wien ihre Urauf- Gallien herfielen. Spottend schrieb der is at the Gate“. Nach dem deutschen Sonderheft zur Ausgabe 4/2020 7
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