Zur Zukunft des Rentensystems in Deutschland - Johannes Blum, Anna Dudel*, Manuela Krause und Niklas Potrafke - ifo Institut
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DATEN UND PROGNOSEN Johannes Blum, Anna Dudel*, Manuela Krause und Niklas Potrafke Zur Zukunft des Rentensystems in Deutschland In der Oktober-Umfrage des Ökonomenpanels wurden Professoren der Volkswirtschafts- lehre zur Zukunft des deutschen Rentensystems befragt. Anlass hierzu war die Forderung von Finanzminister Olaf Scholz, das aktuelle Rentenniveau auch über das Jahr 2025 hin- aus auf dem aktuellen Niveau zu stabilisieren. Der Großteil der befragten Ökonomen unter- stützt diese Forderung nicht und lehnt überdies Scholz‘ Konzept ab, die Stabilisierung des ak tuellen Rentenniveaus bis 2040 mit Hilfe von Steuergeldern zu finanzieren. Die Meinung der Volkswirte spiegelt sich auch darin wider, dass weniger als ein Drittel den aktuellen Trend zu geringerer Teilhabeäquivalenz im deutschen Rentensystem befürwortet. Vielmehr emp- fehlen die befragten Volkswirte ein späteres Renteneintrittsalter. Zur Altersarmut befragt, betrachten die Teilnehmer diese gegenwärtig nicht als ein größeres gesellschaftliches Problem, in Zukunft allerdings schon. Knapp die Hälfte der befragten Volkswirte spricht sich daher dafür aus, dass neben der Gesetzlichen Rentenversicherung eine zusätzliche private oder betriebliche Altersvorsorge für jeden zur Pflicht wird. In der Umfrage des Ökonomenpanels von ifo und Gegenwärtig hat die Große Koalition das Renten- FAZ im Oktober 2018 wurden Professoren für Volks- niveau, das das Verhältnis zwischen der Standard- wirtschaftslehre an deutschen Universitäten nach rente und dem durchschnittlichen Einkommen aller ihrer Meinung zur Rentenpolitik und dem Renten- Sozialversicherten beschreibt, lediglich bis 2025 auf system in Deutschland befragt. Insgesamt nahmen 48% fixiert. Im Jahr 2016 bezog ein deutscher Durch- 144 Professoren an der Umfrage teil, das entspricht schnittsrentner eine Rente in Höhe von 1 197,25 einer Quote von knapp 21%. Im Juni 2016 waren Euro im Monat – genau 48,1% des Durchschnittge- Altersvorsorge und die Reform der Gesetzlichen halts (vgl. Deutsche Rentenversicherung 2017). Für Rentenversicherung schon einmal das Thema des die Zeit nach 2025 soll eine eingesetzte Rentenkom- Ökonomenpanels. Damals gab eine Mehrheit der mission (genannt »Verlässlicher Generationenver- Teilnehmer an, dass sie das gegenwärtige Renten- trag«) bis März 2020 Vorschläge erarbeiten. Das Jahr system als nicht nachhaltig aufgestellt sehen. Zu- 2025 stellt eine durchaus schwierige Hürde dar: Die dem sprachen sie sich im Hinblick auf eine langfris- sogenannten Babyboomer werden dann offiziell tige Finanzierung der gesetzlichen Rente insbeson- beginnen, sich in die Rente zu verabschieden – die dere für ein höheres Renteneintrittsalter aus (vgl. Dorn Finanzierung von großen Rentenbeträgen steht der et al. 2016). Hat sich die Einschätzung der Lage mehr Bundesregierung ab diesem Zeitraum also unweiger- als zwei Jahre später bedeutend geändert? Vor weni- lich bevor (vgl. Funk 2018). Olaf Scholz fordert nun gen Wochen war wieder eine lebhafte Debatte über eine Stabilisierung des Rentenniveaus bis in das Jahr die Bedeutung und zukünftige Ausrichtung der Ren- 2040. Finanzieren möchte er die Stabilisierung auf tenpolitik in Deutschland im Gange. Vizekanzler und dem heutigen Niveau mit dem Aufbau einer »Demo- Finanzminister Olaf Scholz (SPD) äußerte sich in die- graphiereserve«, einem mit Steuergeldern finanzier- sem Zusammenhang jüngst zur Zukunft der Gesetz- ten Fonds. Der Plan für eine »Demographiereserve lichen Rentenversicherung und spannte hierbei Rente« ist auch schon im Bundeshaushalt 2019 vor- gleichzeitig den Bogen zur Populismusdebatte. So gesehen. Um alle zukünftigen Rentenverpflichtungen fordert Scholz eine Stabilisierung des aktuellen erfüllen zu können, sollen ab 2021 erstmals 2 Mrd. Rentenniveaus über das Jahr 2025 hinaus, um »einen Euro eingezahlt werden, bis insgesamt 8 Mrd. Euro deutschen Trump« zu verhindern (vgl. Böcking 2018). erreicht sind (vgl. Gammelin 2018). Der Scholz’sche Vorstoß trifft durchaus auf Kri- * Anna Dudel ist von Oktober bis Dezember 2018 Praktikantin im tik: Nicht nur, dass er damit der Rentenkommission ifo Zentrum für öffentliche Finanzen und politische Ökonomie. vorauseilt, sondern auch, da der Fahrplan fehlt, wie ifo Schnelldienst 22 / 2018 71. Jahrgang 22. November 2018 47
DATEN UND PROGNOSEN Abb. 1 schlagenen Fixierungen beim Fixierung des Rentenniveaus nach 2025 Rentenniveau und -beitrag Würden Sie die Fixierung des Rentenniveaus auf mindestens 48% sowie des Rentenbeitrags auf »voll und ganz« bzw. »eher« maximal 20% auch für die Zeit nach 2025 befürworten? zustimmen, während 14% mit »teils-teils« antworteten. Weiß nicht 6 Im Zuge der Vorstellung der oben genannten Ideen Stimme überhaupt nicht zu 38 wurde Olaf Scholz mit den Worten »Wenn wir keine Trumps Stimme eher nicht zu 23 in Deutschland haben wollen, Teils-teils 14 dann müssen wir etwas dafür tun. Stabile Renten sind dafür Stimme eher zu 13 wahrscheinlich ein Beitrag.« zitiert (vgl. Böcking 2018). Stimme voll und ganz zu 6 Befragt dazu, ob sie dieser Aus- sage zustimmen, ergibt sich ein 0 10 20 30 40 % recht gemischtes Meinungs- Quelle: Ökonomenpanel Oktober 2018. © ifo Institut bild unter den teilnehmenden Ökonomen (vgl. Abb. 2). 41% er seine hohen Ziele in die Realität umsetzen will (vgl. der Teilnehmer stimmen dem Zitat »überhaupt nicht« Forudastan 2018). bzw. »eher nicht« zu, während 31% der Teilnehmer Auch Professor Martin Werding von der Ruhr-Uni durchaus ihre volle bzw. vornehmliche Zustimmung versität Bochum, Experte für Sozialpolitik und öffentli- dazu signalisieren. 23% antworteten mit »teils-teils«. che Finanzen, sieht den Vorschlag von Olaf Scholz kri- Zur Sicherstellung des aktuellen Rentenniveaus tisch: »Haltelinien beim Rentenniveau lassen sich – mit bis 2040 schlägt Olaf Scholz angesichts des demogra- oder ohne Fixierung des Beitragssatzes – nach 2030 phischen Wandels einen mit Steuergeldern finanzier- nicht lange durchhalten. Sie jetzt anzukündigen und ten Fonds (»Demographiereserve«) vor. Die Mehrheit dann wieder abzuschaffen, leistet dem Populismus der Teilnehmer des Ökonomenpanels (57%) bewer- weit mehr Vorschub als eine offene Diskussion über tet diesen Vorschlag allerdings als nicht sinnvoll (vgl. tragfähige Reformen.« Abb. 3). Lediglich 21% der Teilnehmer beurteilen die Immerhin ist es Scholz mit seinem Vorstoß Idee einer Demographiereserve als sinnvoll, während gelungen, die Rente wieder der öffentlichen Debatte 20% unentschieden sind. auszusetzen. Professor Karl-Heinz Paqué von der Universität Das 20. Ökonomenpanel von ifo und FAZ ging der Magdeburg, Vorsitzender der Friedrich-Naumann-Stif- Frage nach, wie Volkswirte diese neuesten Vorschläge tung, findet ebenfalls klare Worte gegen die erwei- zur zukünftigen Ausrichtung der Rentenpolitik bewer- terte Finanzierung der Rente mit Steuergeldern. In ten sowie die Entwicklungen in diesem Bereich im All- einem Gastbeitrag im Handelsblatt schreibt er, dass gemeinen beurteilen. »[bereits] heute […] fast 100 Mrd. Euro an steuerfinan- zierten Zuschüssen in die Rentenkassen [fließen]. Das BEWERTUNG DER RENTEN- REFORMVORSCHLÄGE VON Abb. 2 OLAF SCHOLZ Relevanz stabiler Renten Der Spiegel zitiert Vizekanzler und Finanzminister Olaf Scholz mit den Worten „Wenn wir keine Trumps in Deutschland haben wollen, dann müssen wir etwas dafür tun. Stabile Renten sind dafür Zunächst wurden die Ökono- wahrscheinlich ein Beitrag." Inwieweit stimmen Sie dieser Aussage zu? men befragt, ob sie die von Olaf Scholz vorgeschlagene Fixierung des Ren tenniveaus Weiß nicht 5 auf mindestens 48% sowie Stimme überhaupt nicht zu 25 die Deckelung des Renten beitrages auf maximal 20% Stimme eher nicht zu 16 auch für die Zeit nach 2025 befürworten würden. Eine Teils-teils 23 deutliche Mehrheit von 61% würde einem entsprechenden Stimme eher zu 24 Vorschlag der doppelten Hal- telinie »überhaupt nicht« bzw. Stimme voll und ganz zu 7 »eher nicht« zustimmen (vgl. Abb. 1). Lediglich 19% der Teil- 0 10 20 30 % nehmer würden den vorge- Quelle: Ökonomenpanel Oktober 2018. © ifo Institut 48 ifo Schnelldienst 22 / 2018 71. Jahrgang 22. November 2018
DATEN UND PROGNOSEN Abb. 3 Nach jahrelangen politischen Einführung einer Demographiereserve Diskussionen und Gegenwind Halten Sie den Vorschlag zur Einführung einer Demographiereserve zur Finanzierung der Rente für sinnvoll? von den Gewerkschaften war die Erhöhung des Renten 2% eintrittsalters 2010 beschlos- Ja sen worden (vgl. Greive und 21% 20% Nein Hollstein 2013). Unentschieden Professor David Stadel- Weiß nicht mann von der Universität Bayreuth äußert sich zu der Idee eines späteren Renten eintritts wie folgt: »Altern heißt heute mehr gesunde Lebensjahre und ein höhe- res Produktionspotenzial. 57% Das bietet Chancen, die durch mehr Altersarbeit zu ergrei- Quelle: Ökonomenpanel Oktober 2018. © ifo Institut fen sind. Durch eine starke Senkung, z.B. Halbierung der sind – je nach Abgrenzung – gut 30% der gesamten Einkommensteuer sollten Ar beitsanreize für jene Einnahmen des Rentensystems. Damit ist also heute geschaffen werden, die freiwillig über das gesetzli- schon die Rente keineswegs mehr rein beitragsfi- che Rentenalter hinaus weiterarbeiten. Durch Steu- nanziert. Eine weitere drastische Er höhung dieses ersenkungen wird Altersarbeit attraktiver. Der Staat Anteils würde den endgültigen Abschied von der Idee hätte einen doppelten Gewinn, da weiterhin Steu- des Generationenvertrags bedeuten« (Paqué 2018). ern bezahlt würden und der Renteneintritt erst spä- Durch den Vorschlag von Scholz sieht Paqué die Ren- ter erfolgt. Ohne Zwang würde damit das Rentensys- tendiskussion nahe einer endgültigen Weggabelung tem stabiler.« angekommen, nämlich zwischen der liberalen Idee Mit 19% befindet sich die Empfehlung, die Finan- der Eigenverantwortung und der sozialistischen Vor- zierung über die Zuwanderung zu sichern, auf dem stellung von der staatlichen Finanzierung durch den zweiten Platz, gefolgt von der Idee eines geringe- Steuerzahler. ren Rentenniveaus (13%), höheren Steuerzuschüs- sen (13%) sowie höheren Rentenbeiträgen (11%). Die LANGFRISTIGE FINANZIERUNG DER Befragten hatten zusätzlich die Möglichkeit, eigene GESETZLICHEN RENTENVERSICHERUNG Vorschläge zu machen. Dabei wurde insbesondere eine Flexibilisierung des Renteneintrittsalters abhän- Auch unabhängig von den Vorschlägen von Olaf Scholz gig von der Lebenserwartung vorgeschlagen. Aber gibt es eine lebhafte Debatte über die zukünftige Aus- auch eine Änderung des Systems nach skandina richtung der Rentenpolitik in Deutschland. Ein wichti- vischem Vorbild (steuerfinanzierte Grundrente und ger Diskussionspunkt ist dabei häufig die langfristige verpflichtende private Altersvorsorge) gehörte zu Finanzierung der Gesetzlichen Renten versicherung. den genannten Empfehlungen. Zusätzlich spielt auch Befragt dazu, welche Maßnah- men sie der Politik empfehlen Abb. 4 würden, um eine langfristige Maßnahmen zur langfristigen Rentenfinanzierung I Finanzierung sicherzustellen, Welche Maßnahmen würden Sie der Politik empfehlen, um die Gesetzliche Rentenversicherung empfiehlt ein Großteil der Teil- langfristig zu finanzieren? (Mehrfachnennungen möglich) nehmer des Ökonomenpanels die Einführung eines späteren Andere 6 Renteneintrittsalters (die Teil- nehmer konnten dabei meh- Zuwanderung 19 rere Möglichkeiten empfehlen, vgl. Abb. 4) Dabei wird insbe- Geringeres Rentenniveau 13 sondere ein Eintrittsalter von Höhere Rentenbeiträge 11 68 bis 70 Jahren vorgeschla- gen. Seit 2012 und bis ein- Späteres Renteneintrittsalter 38 schließlich 2029, wird das Ren- teneintrittsalter in Deutsch- Höhere Steuerzuschüsse 13 land schrittweise von 65 auf 67 angehoben, Ausnah- 0 10 20 30 40 % meregelungen miteinbegriffen. Quelle: Ökonomenpanel Oktober 2018. © ifo Institut ifo Schnelldienst 22 / 2018 71. Jahrgang 22. November 2018 49
DATEN UND PROGNOSEN das Thema Umverteilung und Gleichheit in den Vor- Gesetzlichen Rentenversicherung. Die Maßnahmen, schlägen der Ökonomen eine Rolle. So werden unter die von den Ökonomen eigentlich empfohlen wer- anderem die Umverteilung unter Rentnern, als auch den – nämlich ein späteres Renteneintrittsalter sowie Steuerreformen im Hinblick auf einen gerechteren Ver eine verstärkte Zuwanderung – landen dagegen nur mögensaufbau genannt. auf den hinteren Plätzen. Die Einschätzung der Öko- Auch im Ökonomenpanel vom Juni 2016 empfahl nomen ist nicht überraschend, wenn den Stimmen schon eine deutliche Mehrheit der Teilnehmer ein spä- aus der Politik Beachtung geschenkt wird: Mit der teres Renteneintrittsalter (ebenfalls zwischen 68 und Idee der »Demographiereserve Rente« wird deutlich 70 oder gekoppelt and die Lebenserwartung). Ebenso auf zukünftig höhere Steuerzuschüsse gesetzt (ohne, empfohlen wurden damals ein geringeres Rentenni- dass dabei schon konkrete Finanzierungsquellen veau sowie höhere Rentenbeiträge und höhere Steu- gefunden sind oder zumindest diskutiert werden), erzuschüsse. Anstelle der Finanzierung über Zuwan- einen späteren Renteneintritt schließt Bundesfinanz- derung, die damals auch nicht zur Auswahl stand, minister Scholz selbst kategorisch aus, Beitragszah- sprachen sich auch einige Ökonomen für die Auf- lungen über den im Moment aktuellen ca. 19% des nahme von Selbständigen und Beamten in die Gesetz- Einkommens kommen für Union und SPD nicht in liche Rentenversicherung aus, um die Rente nachhal- Frage, und die Migrationsfrage bleibt nach wie vor tig finanzieren zu können (vgl. Dorn et al. 2016). umstritten (vgl. Funk 2018). Der in Deutschland umstrittene flexible Ren Professor Robert Fenge von der Universität teneintritt ist in Skandinavien schon lange Standard. Rostock, der sich insbes ondere mit dem demographi- In Schweden liegt er zum Beispiel zwischen 61 und schen Wandel beschäftigt, kritisiert die Rentenpoli- 67 Jahren, in Norwegen sogar in der Spanne zwi- tik der Bundesregierung deutlich: »Die gegenwärtige schen 62 und 75 Jahren. Befürchtungen, dass viele Rentenpolitik läuft grundsätzlich in die falsche Rich- den Berufsausstieg dadurch so früh wie möglich wäh- tung: Keine Partei bereitet die Leute auf ein höheres len, haben sich nicht bewahrheitet: Im Durchschnitt Renteneintrittsalter vor. Rentengeschenke werden arbeiten Schweden zwei Jahre länger als Deutsche. wahllos an die jetzigen Rentner verteilt, denen es Hohe Abschlagsraten in den ersten Jahren sorgen verhältnismäßig gut geht. Dafür werden die jüngeren dafür, dass sich die meisten dafür entscheiden, deut- Generationen immer stärker belastet, die aufgrund lich länger als bis 61 zu arbeiten (vgl. Schwenn und der demographischen Entwicklung Mühe genug Schäfers 2014). haben, ihr eigenes Renteneinkommen in angemesse- Einschätzen sollten die Ökonomen auch, welche ner Höhe aufrechtzuerhalten.« Maßnahmen die Politik ihrer Meinung nach tatsächlich Auch Professor Andreas Peichl vom ifo Institut wählen wird, um die Gesetzliche Rentenversicherung wünscht sich eine andere Rentenpolitik: »Die GroKo langfristig zu finanzieren. Auch hierbei waren wieder macht Politik für die Alten und vergisst die Jungen. Mehrfachnennungen möglich. Es zeigt sich ein deutlich Eine zukunftsorientierte Politik sähe anders aus und anderes Bild als bei der vorherigen normativen Frage würde sich am skandinavischen System orientieren (vgl. Abb. 5). Die Mehrheit der Teilnehmer geht da- mit steuerfinanzierter Grundrente und verpflichten- von aus, dass die Politik zukünftig auf höhere Steu- der privater Altersvorsorge (im ak tuellen System erzuschüsse setzen wird. Dazu kommen Maßnahmen sollte die Rentenhöhe für Kinderlose deutlich niedri- wie höhere Rentenbeiträge und ein geringeres Renten- ger sein, da die Anzahl der Kinder das entscheidende niveau als Mittel für eine langfristige Finanzierung der Kriterium für die Tragfähigkeit ist)«. Abb. 5 DAS SYSTEM DER Maßnahmen zur langfristigen Rentenfinanzierung II TEILHABEÄQUIVALENZ Welche Maßnahmen wird die Politik Ihrer Meinung nach in Zukunft wählen, um die Gesetzliche Rentenversicherung langfristig zu finanzieren? (Mehrfachnennungen möglich) Die Gesetzliche Rentenversi- cherung in Deutschland ba Andere 1 sierte ursprünglich auf der sogenannten Teilhabeäquiva- Zuwanderung 10 lenz: Diejenigen, die verhält- nismäßig viel Beiträge ein- Geringeres Rentenniveau 15 gezahlt haben, sollten auch verhältnismäßig viel Rente Höhere Rentenbeiträge 24 erhalten (sog. Bismarcksches Späteres Renteneintrittsalter 15 Rentenversicherungssystem). Zusätzlich spielte die Dauer Höhere Steuerzuschüsse 35 der versicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit eine wich- 0 10 20 30 40 % tige Rolle. Das Gegenteil dazu Quelle: Ökonomenpanel Oktober 2018. © ifo Institut wäre eine pauschale Grund- 50 ifo Schnelldienst 22 / 2018 71. Jahrgang 22. November 2018
DATEN UND PROGNOSEN Abb. 6 meiden. Zu dem sollte nach Teilhabeäquivalenz im deutschen Rentensystem Ansicht der Teilnehmer, die bei Befürworten Sie die gegenwärtige Entwicklung zu geringerer Teilhabeäquivalenz? dieser Frage mit »Ja« geant- wortet haben, ein Rentensys- 5% tem durchaus zu einer Verrin- Ja gerung der sozialen Ungleich- Nein heit beitragen und daher nicht 29% 21% Unentschieden nur auf der Teilhabeäquiva- lenz beruhen. 21% der Befrag- Weiß nicht ten waren bei dieser Frage unentschieden. ALTERSARMUT UND BETRIEBLICHE SOWIE PRIVATE ALTERSVORSORGE 45% Die Thematik der drohenden Quelle: Ökonomenpanel Oktober 2018. © ifo Institut Altersarmut wird gegenwär- tig häufig in den Medien dis- rente, bei der alle Versicherten Anrecht auf einen ein- kutiert. Eine deutliche Mehrheit von 78% der Teilneh- heitlichen Betrag haben, unabhängig von der jewei- mer des Ökonomenpanels glaubt allerdings nicht, ligen Einzahlungshöhe – dies gibt es in Deutschland dass Altersarmut in der Gegenwart ein gesellschaft- allerdings nicht. Jedoch ist gegenwärtig durch Inst- lich großes Problem ist, das auch weite Teile der älte- rumente wie die Grundsicherung oder die Einführung ren Bevölkerung betrifft. Lediglich 10% halten die- von Entgeltpunkten auch für viele Nicht-Erwerbs- ses Thema für relevant, während 12% unentschieden zeiten ein beträchtlicher Teil der heutigen Ausga- sind. Im Hinblick auf die Frage, wie dies zukünftig aus- ben nicht mehr teilhabeäquivalent, so dass sich eine sehen wird, verändert sich das Meinungsbild der Öko- Entwicklung zu einer geringeren Teilhabeäquivalenz nomen allerdings. Eine Mehrheit von 46% der Teilneh- beobachten lässt. Das Solidarprinzip rechtfertigt zwar mer schreibt der Thematik Altersarmut in der Zukunft grundsätzlich die Durchbrechung der Teilhabeäqui- durchaus einen hohen Stellenwert zu. 32% der Teil- valenz, in welchem Ausmaß jedoch bleibt eine Frage nehmer meinen aber weiterhin, dass die Altersar- der Interpretation (vgl. Bäcker und Kistler 2016). Eine mut auch zukünftig kein gesellschaftlich großes Prob- Mehrheit von 45% der Teilnehmer lehnt diese gegen- lem sein wird, während 20% unentschieden sind (vgl. wärtig zu beobachtende Tendenz weg von der Teil- Abb. 7). Das Thema Altersarmut ist durchaus mit Aus- habeäquivalenz ab (vgl. Abb. 6). Als Gründe werden legungsschwierigkeiten verbunden; das zeigt nicht dabei häufig die damit verbundene Anreizverzerrung nur das vermeintlich überraschende Ergebnis der Öko- bzw. die drohende Aushöhlung des bestehenden Sys- nomenbefragung, die nicht unbedingt das öffentlich tems genannt. Zudem dürfte, nach Ansicht der Befrag- wahrgenommene Stimmungsbild wiedergibt. Im Kon- ten, die Bevölkerung durch entsprechende Maßnah- trast dazu gaben demnach laut Armuts- und Reich- men den Rentenbeitrag immer mehr als eine Steuer tumsbericht der Bundesregierung zwei von drei Bür- wahrnehmen, wodurch die Akzeptanz für entsprechende Abb. 7 Beitragszahlen sinken dürfte. Altersarmut Einige der genannten Gründe Meinen Sie, dass Altersarmut gegenwärtig/in Zukunft ein gesellschaftlich großes Problem darstellt, lassen allerdings auch darauf das weite Teile der älteren Bevölkerung betrifft/betreffen wird? schließen, dass die Befragten Gegenwärtig Zukünftig durchaus Handlungsbedarf für mehr Absicherung im Renten- 10% 2% 12% alter sehen, jedoch sollte dies 20% zusätzlich zur Rente gesche- hen und nicht durch Verände- 46% rungen des Rentenmodells. 29% der Teilnehmer befür- worten dagegen die entspre- chende Entwicklung, da es 32% Ja ihrer Meinung nach dazu bei- 78% Nein trägt, eine drohende Alters Unentschieden armut durch Implementierung Weiß nicht einer Grundsicherung zu ver- Quelle: Ökonomenpanel Oktober 2018. © ifo Institut ifo Schnelldienst 22 / 2018 71. Jahrgang 22. November 2018 51
DATEN UND PROGNOSEN Abb. 8 und kostengünstigen Stan- Maßnahmen zur privaten oder betrieblichen Altersvorsorge dardprodukt eine attraktivere Meinen Sie, dass eine zusätzliche private oder betriebliche Altersvorsorge für jeden zur Pflicht werden sollte? Vorsorgemöglichkeit ange- boten wird. Außerdem wäre 8% es sinnvoll, alle sozialversi- Ja cherungspflichtig Beschäf- Nein tigten automatisch auch in Unentschieden die zusätzliche, kapitalge- Weiß nicht deckte Altersvorsorge ein- zubeziehen, ihnen aber auf 49% Wunsch die Möglichkeit des 43% Austritts zu geben (Opt-Out). Mit dem Modell der Deutsch- landrente liegt ein solcher Reformvorschlag vor.« Ebenso positiv hatte sich auch schon der Präsident des Quelle: Ökonomenpanel Oktober 2018. © ifo Institut ifo Instituts, Clemens Fuest, 2016 für eine obligatorische gern an, dass sie befürchten, im Ruhestand vor Alters- zusätzliche Einführung von privater oder betrieblicher armut nicht sicher zu sein. Ende 2016 bekamen zum Altersvorsorge für jeden Bürger ausgesprochen (vgl. Beispiel 8,6 Mio. Rentner in Deutschland (entspricht Dorn et al. 2016; Fuest 2016). 48% aller Rentner) weniger als 800 Euro monatlich Auch wenn in dem 20. Ökonomenpanel keine gesetzliche Rente (vgl. Richter 2018). Obwohl dies gezielte Frage zur Nachhaltigkeit des deutschen Ren- unter der Grundsicherungsschwelle von 814 Euro tensystems gestellt wurde (im Juli 2016 antwortete liegt, bleibt es dennoch schwierig zu ermessen, inwie- nur 1% der Teilnehmer auf die Aussage »Das gegen- fern noch weiteres Einkommen zur Verfügung steht, wärtige Gesetzliche Rentensystem ist nachhaltig etwa durch weitere Haushaltsmitglieder, private aufgestellt, um auch langfristig eine zum Leben an- Altersvorsorge oder auch Einnahmen durch Immo- gemessene Rente zu garantieren« mit »stimme bilien und andere Vermögenswerte. Auch wird der voll und ganz zu«; 10% antworteten mit »stimme Durchschnitt stark durch Kleinstrenten verzerrt. Ins- eher zu«, 22% mit »teils-teils«, 39% mit »stimme besondere spätere Beamte und Selbständige, aber eher nicht zu« und 28% mit »stimme überhaupt nicht auch viele Mütter und Hausfrauen haben nur kurz in zu«), so hat sich das Stimmungsbild scheinbar kaum die gesetzlichen Rentenkassen eingezahlt, sind aber geändert. Weiterhin besteht eine große Diskrepanz durchaus im Alter abgesichert. Das durchschnittliche zwischen dem, was die Politik im Hinblick auf die Nettogesamteinkommen von Ehepaaren aus Alters- Alterssicherung umsetzt und für die Zukunft plant, sicherungsleistungen und zusätzlichen Einkommen und dem, was die Teilnehmer am Ökonomenpanel lag somit im Jahr 2016 bei 2 543 Euro monatlich (vgl. empfehlen. Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2016). In diesem Zusammenhang wurden die Ökonomen LITERATUR auch dazu befragt, ob aus ihrer Sicht eine zusätzliche private oder betriebliche Altersvorsorge für jeder- Bäcker, G. und E. Kistler (2016), »Teilhabeäquivalenz«, Bundeszentrale für politische Bildung, verfügbar unter: http://www.bpb.de/politik/innenpo- mann zur Pflicht werden sollte. Auch hierbei ergibt litik/rentenpolitik/223007/teilhabeaequivalenz, aufgerufen am 6. Novem- sich ein verhältnismäßig gemischtes Meinungsbild ber 2018. (vgl. Abb. 8). Während 49% der Teilnehmer eine sol- Böcking, D. (2018), »Was hilft gegen Trump? Olaf Scholz hat eine Idee«, Spiegel Online, 6. Juli, verfügbar unter: http://www.spiegel.de/wirt- che Pflicht befürworten würden, lehnen 43% der Teil- schaft/soziales/olaf-scholz-empfiehlt-stabile-renten-gegen-trump-poli- nehmer diese ab. 8% sind unentschieden. Im Ökono- tik-a-1217096.html, aufgerufen am 6. November 2018. menpanel vom Juni 2016 standen sich die Befürwor- Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2016), »Rentenversicherungs- und Alterssicherungsbericht 2016«, Pressemitteilung, 30. November, ver- ter und Ablehner noch mit jeweils 42% gegenüber, fügbar unter: https://www.bmas.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2016/ 16% äußerten sich damals nicht eindeutig (vgl. Dorn rentenversicherungsbericht-2016.html, aufgerufen am 13. November 2018. et al. 2016). Professor Andreas Knabe von der Univer- Deutsche Rentenversicherung (2017), »Wie hat sich das Rentenniveau seit sität Magdeburg befürwortet die betriebliche und pri- 2000 entwickelt?«, verfügbar unter: https://www.deutsche-rentenversi- vate Altersvorsorge: »Wichtiger als das Leistungsni- cherung.de/Allgemein/de/Inhalt/Allgemeines/FAQ/Rente/_%20rentenni- veau/rentenniveau.html, aufgerufen am 6. November 2018. veau der Gesetzlichen Rentenversicherung allein ist Dorn, F., B. Kauf, M. Krause und N. Potrafke (2016), »Altersvorsorge und das Gesamtversorgungsniveau, das auch die betrieb- Gesetzliche Rentenversicherung – nachhaltig aufgestellt?«, ifo Schnell- liche und private Altersvorsorge einschließt. Es sollte dienst 69(17), 44-48. noch mehr getan werden, um die private Vorsorge Forudastan, F. (2018), »Ein Bärendienst für die SPD«, Süddeutsche Zeitung, 21. August, verfügbar unter: https://www.sueddeutsche.de/politik/renten- zu stärken. Hierzu muss die Riester-Rente reformiert plaene-von-olaf-scholz-ein-baerendienst-fuer-die-spd-1.4097666, aufge- werden, indem mit einem einfachen, transparenten rufen am 6. November 2018. 52 ifo Schnelldienst 22 / 2018 71. Jahrgang 22. November 2018
DATEN UND PROGNOSEN Fuest, C. (2016), »Wir brauchen eine Pflicht zur Altersvorsorge«, Interview Paqué, K-H. (2018), »Olaf Scholz revolutioniert die Rente – aber nicht zum von B. Marschall, Rheinische Post Online, 14. Mai, verfügbar unter: Besseren«, Handelsblatt, 24. August, verfügbar unter: https://rp-online.de/wirtschaft/ifo-chef-clemens-fuest-wir-brauchen-ei- https://www.handelsblatt.com/meinung/gastbeitraege/gastbei- ne-pflicht-zur-altersvorsorge_aid-19694537, aufgerufen am 6. November trag-olaf-scholz-revolutioniert-die-rente-aber-nicht-zum-besse- 2018. ren/22949354.html?ticket=ST-3661783-7SjmYph6EuEfLcqYkwka-ap2, auf- gerufen am 6. November 2018. Funk, A. (2018), »Wie Olaf Scholz seine Rentengarantie finanzieren will«, Der Tagesspiegel, 27. August, verfügbar unter: https://www.tagesspiegel. Richter, S. (2018), »Fast jede zweite Altersrente liegt unter 800 Euro«, Zeit de/politik/spd-plaene-zur-rente-wie-olaf-scholz-seine-rentengarantie-fi- Online, 12.Juli, verfügbar unter: https://www.zeit.de/wirtschaft/2018-07/ nanzieren-will/22955300.html, aufgerufen am 6. November 2018. altersarmut-deutschland-rente-die-linke, aufgerufen am 13. November 2018. Gammelin, C. (2018), »Schatzmeisters Schachzug«, Süddeutsche Zeitung, 13. Juli, verfügbar unter: https://www.sueddeutsche.de/politik/renten- Schwenn, K. und M. Schäfers (2014), „Die Rente mit 60 – oder auch erst niveau-schatzmeisters-schachzug-1.4053450, aufgerufen am 6. Novem- mit 70«, Frankfurter Allgemeine, 12. Mai, verfügbar unter: ber 2018. http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/vorbild-skandi- navien-die-rente-mit-60-oder-auch-erst-mit-70-12934052.html, aufgeru- Greive, M und M. Hollstein (2013), »In Rente gehen mit 65 – das ist jetzt fen am 6. November 2018. vorbei«, Die Welt, 6. August, verfügbar unter: https://www.welt.de/politik/ deutschland/article118748672/In-Rente-gehen-mit-65-das-ist-jetzt-vor- bei.html, aufgerufen am 6. November 2018. ifo Schnelldienst 22 / 2018 71. Jahrgang 22. November 2018 53
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