2 BEITRÄGE ZUR QUALITÄTSENTWICKLUNG IM KINDERSCHUTZ - EXPERTISE

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BEITRÄGE ZUR
QUALITÄTSENTWICKLUNG
      IM KINDERSCHUTZ

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                          EXPERTISE
                   Kinder im Kinderschutz
            Zur Partizipation von Kindern und
              Jugendlichen im Hilfeprozess –
                        Eine explorative Studie
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     HEADLINE

xx   Kapitel Headline

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EXPERTISE

                         BEITRÄGE ZUR
               QUALITÄTSENTWICKLUNG
                     IM KINDERSCHUTZ
                                            Kinder im Kinderschutz
                                 Zur Partizipation von Kindern und
                                   Jugendlichen im Hilfeprozess –
                                             Eine explorative Studie

Reinhart Wolff, Uwe Flick, Timo Ackermann, Kay Biesel, Felix Brandhorst,
                     Stefan Heinitz, Mareike Patschke und Pierrine Robin
4   INHALT

     INHALT
     HEADLINE

     VORWORT                                                                     6
xx   Kapitel Headline

xx   Kapitel
     1       Headline
       AUSGANGSSITUATION UND ANSPRUCH                                            8

xx   Kapitel Headline
     2 DER KONZEPTUELLE RAHMEN                                                  11
xx   Kapitel Headline

xx   Kapitel
     3 EIN Headline
             BLICK AUF DIE FORSCHUNG:
       KINDER UND JUGENDLICHE IM KINDERSCHUTZ                                   20
xx   Kapitel Headline
       Die Sicht der Fachkräfte                                                 22
        Die Sicht der Kinder und Jugendlichen                                   24
xx   Kapitel Headline der Fachkräfte und der minderjährigen Akteure im Dialog
       Die Perspektiven                                                         28

xx   Kapitel Headline
     4 EMPIRISCHE BEFUNDE AUS DER AKTENANALYSE                                  30
xx   Kapitel Headline
       Forschungsmethodologische Überlegungen                                   31
        Datenmaterial, Fragestellung und Vorgehensweise                         32
xx   Kapitel Headline
       Einstieg in die Analyse: Die Akte als »dokumentarische
        Fallrealität« mit spezifischer Dynamik                                   33
xx   Kapitel Headline von Kinderschutzfällen: Zwischen
       Die Einschätzung
        Informationssammlung und Erzeugung »objektiver Anhaltspunkte«           34
        Kinder und Jugendliche in den Fallakten: Vom abwesenden
        Kind zum Idealtypus des Protagonisten                                   37
        Die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen im Kinderschutz:
        Die Stimme der Akteure                                                  50
        Rückblick auf die empirischen Befunde                                   55
5

5 ERSTE HINWEISE FÜR DIE PRAXIS
  ZUR BESSEREN EINBEZIEHUNG
  VON KINDERN UND JUGENDLICHEN
  IN DER KINDERSCHUTZARBEIT                                         58

6 ANREGUNGEN FÜR WEITERE FORSCHUNGEN                                63
  Konzeptuelle Schwerpunkte der Erforschung von
  Partizipationsmöglichkeiten misshandelter und vernachlässigter
  Kinder und Jugendlicher                                           64
  Eine zweistufige Forschungsstudie »Partizipation von Kindern und
  Jugendlichen im Kinderschutz – eine empirische Prozess- und
  Evaluationsuntersuchung« (Konzeptskizze)                          66

7 LITERATUR                                                         68
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    VORWORT
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Das vom Bundesministerium für Familie, Senioren,               des Hilfeprozesses Berücksichtigung finden und einflie-
Frauen und Jugend geförderte Nationale Zentrum Frühe           ßen. Es handelt sich dabei um eine explorative Studie,
Hilfen (NZFH) hat 2008 im Rahmen eines Beschlusses             auf Basis einer ausschnitthaften empirischen Analyse von
der Regierungschefs der Länder und der Bundeskanzlerin         zehn Kinderschutzakten aus fünf der sechs Kommunen
die Aufgabe erhalten, eine »Plattform für den regelhaften      mit Forschungsschwerpunkt. Die Autorinnen und Auto-
Erfahrungsaustausch zu problematisch verlaufenen Kin-          ren der Studie plädieren für eine stärkere Partizipation
derschutzfällen« einzurichten.                                 von Kindern und Jugendlichen im Kinderschutz.
     Diese Aufgabe entstand damals im Kontext öffentlich
gewordener, besonders gravierender Fälle von Kindstö-          Nationales Zentrum Frühe Hilfen
tungen durch Vernachlässigung und Misshandlung. Ke-
vin, Lea Sophie und Jessica sind die Namen der Kinder,
deren Tod zu einer intensiven Kinderschutzdebatte in
Deutschland geführt hat.
     Bei der Beschäftigung mit diesem Bereich wurde
deutlich, wie vielschichtig dieses Thema ist und dass es ei-
ner sehr sorgfältigen Analyse bedarf, um nicht vorschnell
zu Ergebnissen zu kommen, die dem Fallgeschehen und
den am Kinderschutz Beteiligten nicht gerecht werden. Es
wurde auch deutlich, dass die Analyse von problematisch
verlaufenen Kinderschutzfällen hilft, aus ihnen für die
Zukunft zu lernen, wenn die Ergebnisse für eine qualita-
tive Weiterentwicklung des Kinderschutzsystems genutzt
werden.
     Daher wurde ein Forschungsprojekt »Lernen aus
Fehlern« öffentlich ausgeschrieben und schließlich an
den Kronberger Kreis für Qualitätsentwicklung e.V. und
die Alice Salomon Hochschule Berlin vergeben. Deren
Konzept eines mehrseitig dialogisch geführten Prozesses
der Qualitätsentwicklung erfüllte den Anspruch, den un-
terschiedlichen Dimensionen bei der Analyse von schwie-
rigen Kinderschutzverläufen gerecht zu werden. Mehrsei-
tig und dialogisch meint hier, die Perspektiven aller an
dem Prozess beteiligten Akteure aufzunehmen und sie in
einen Dialog zu bringen. Dazu gehören die an den Fällen
beteiligten Fachkräfte und die Eltern, aber auch die Kin-
der selber. Mit 42 Kommunen wurden Qualitätsentwick-
lungswerkstätten durchgeführt und intensiv an ihren
Kinderschutzsystemen bzw. an konkreten Fällen gearbei-
tet. Auch die Eltern, die Adressatinnen und Adressaten
der Kinder- und Jugendhilfe, waren Teil dieser Werkstät-
ten und haben ihren Blickwinkel eingebracht. Zusätzlich
wurden sechs beteiligte Kommunen qualitativ beforscht.
     Die vorliegende Publikation ist ein Ergebnis dieses
Projektes, bei der die Perspektive der betroffenen Kinder
im Fokus steht. Es wurde der Frage nachgegangen, inwie-
weit ihre Bedürfnisse und Wünsche bei der Gestaltung
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      1
    AUSGANGSSITUATION UND ANSPRUCH
1        9

Im Kinderschutz geht es um Kinder, um ihren Schutz und       ment im Kinderschutz« standen Kinder und Jugendliche
um die Förderung ihrer Entwicklung. Diesem Satz werden       zunächst nicht im Mittelpunkt unseres Interesses. Aber
die meisten zustimmen. Umso merkwürdiger ist es, dass        im Laufe des ersten Jahres wurde uns, nicht zuletzt in der
wir in der inzwischen mehr als 150-jährigen Geschichte       Begegnung mit Fachkräften aus der kommunalen Kin-
des modernen Kinderschutzes kaum etwas darüber wis-          derschutzpraxis klar, wie wichtig das Thema »Partizipa-
sen, wie Kinder und Jugendliche die Bemühungen von           tion von Kindern und Jugendlichen im Kinderschutz« ist
Kinderschutzeinrichtungen und -fachkräften, wie sie Ein-     und wir waren froh, die Chance nutzen zu können, unter
griffe in ihre Lebenszusammenhänge und die Hilfe- und        Einbeziehung internationaler Erfahrungen vor allem aus
Unterstützungsprozesse erleben. So sehr es historisch im-    Frankreich und England, uns den Kindern und Jugendli-
mer wieder um »Kinderrettung« aus Gefahr und Gefähr-         chen im Kinderschutz in einer explorativen Studie zuzu-
dung, um »child saving and rescue« (Nelson 1984; Costin      wenden und die damit verbundenen Probleme vertiefend
u. a. 1996; Platt 1972; Parton 1985), um die Rettung des     zu bearbeiten. Dabei spielten die folgenden Überlegun-
Kindes als Opfer von Misshandlung und Vernachlässigung       gen eine Rolle:
ging, waren Kinder als Prozessbeteiligte, als Akteure im     • Mit der neuen Debatte um die Frühen Hilfen gibt es
Kinderschutz kaum präsent. Dies änderte sich auch nicht,         ein gesteigertes Interesse, Partizipation in dem Sinne
als mit der Neuentdeckung von Kindesmisshandlung und             zu stärken, dass auf den Aufbau von Zugängen gesetzt
-vernachlässigung in den 1970er Jahren international eine        wird, die auch von Kindern und Jugendlichen selbst
umfangreiche Kinderschutzforschung in Gang kam. Nur              gewählt und genutzt werden können.
vereinzelt wurde explizit nach dem misshandelten Kind,       • Partizipation gilt mit Recht in der Kinder- und Jugend-
seiner Entwicklung und Behandlung gefragt (vgl. insbe-           hilfe als Qualitäts- und Wirkfaktor und es besteht auch
sondere den Beitrag aus dem damals von Henry Kempe               im Kinderschutz die Hoffnung, dass durch partizipa-
geleiteten National Center for Prevention and Treatment          tive Ansätze eine bessere Zielwirksamkeit (ein besse-
of Child Abuse and Neglect in Denver, Colorado: Martin           rer Outcome) erreicht wird (ISA 2010; Holland 2006).
1976). Allerdings wurde bereits am Anfang der »neuen«        • Allerdings stellen die Fragen von Partizipation und
Kinderschutzbewegung in Deutschland beim Aufbau der              von Kinderrechten eine Herausforderung für den
Kinderschutz-Zentren darauf hingewiesen, dass überra-            Kinderschutz ebenso wie für die Soziale Arbeit über-
schenderweise viele Helfer mit Verleugnung und Abwehr            haupt dar (Krappmann 2006), entsteht doch insbe-
auf das misshandelte Kind reagieren würden, und man              sondere in Fällen von Kindeswohlgefährdung unaus-
stellte kritisch fest: »Obwohl es seit zwanzig Jahren eine       weichlich ein Spannungsfeld zwischen Gefährdung
explizite Mißhandlungsforschung gibt, ist die Frage nach         (Vulnerabilität) und Selbstbestimmungsrecht (Au-
dem mißhandelten Kind selbst weitgehend ausgeklam-               tonomie) des Kindes. Die Professionellen sind daher
mert worden. Auch die Arbeit spezieller Kinderschutzein-         immer wieder gefordert, zwischen der Minimierung
richtungen konzentriert sich oft auf die Arbeit mit Eltern       von Risiken durch stellvertretendes Handeln und der
und Familie. Die Kinder werden immer wieder vergessen            Hilfeprozessoptimierung durch die Ermöglichung
und übersehen« (Behme/Schmude 1983: 9).                          umfassender Partizipation zu balancieren (Healey/
     Im Feld der Kinder- und Jugendhilfe überhaupt und           Darlington 2009); und dabei zeigt sich: Auch das
insbesondere im Kinderschutz begann man allerdings in            Nicht-Einbeziehen von Fallbeteiligten selbst kann zu
den letzten Jahren, sich stärker für Kinder und Jugendli-        weiteren Risiken führen (Barreyre 2009).
che als Akteure im Kinderschutz, mit ihren besonderen        • Schließlich können Qualität und Fehler im Kinder-
Interessen und Erfahrungen zu interessieren, was aktuell         schutz nur mehrseitig und dialogisch bestimmt wer-
in England sogar zu einer Refokussierung des Interesses          den; die Perspektive der Adressatinnen/Adressaten,
auf »die Reise des Kindes« im Kinderschutzprozess – the          der Hilfeteilnehmerinnen und -teilnehmer – und
child’s journey from needing to receiving the right help«        insbesondere der Kinder und Jugendlichen – ist dazu
(vgl. Munro 2011) geführt hat.                                   unerlässlich (vgl. Wolff, R. 2006), dies auch gerade
     Auch in unserem Forschungs- und Qualitätsentwick-           angesichts der aktuellen Debatten um Qualitätsstan-
lungsprojekt »Aus Fehlern lernen – Qualitätsmanage-              dards im Kinderschutz.
10   AUSGANGSSITUATION UND ANSPRUCH

     Vor dem Hintergrund der damit angedeuteten Problema-
     tik ist der Anspruch der vorliegenden explorativen Stu-
     die, für eine neue Aufmerksamkeit gegenüber Kindern
     und Jugendlichen im Kinderschutz zu plädieren, einen
     theoretischen Rahmen für weitere Forschungen und
     Praxisinnovationen zu entwerfen, einen Blick auf den
     internationalen Forschungsstand zu werfen und anhand
     einer qualitativen Analyse eines Ausschnittes unseres For-
     schungsmaterials erste Antworten auf die Frage zu geben,
     welche Rolle Kinder aktuell im Kinderschutz spielen. Da-
     bei leitet uns das Interesse, die Auseinandersetzung um
     die Partizipation von Kindern und Jugendlichen im Kin-
     derschutz zu vertiefen: Zunächst umreißen wir also (im
     2. Kapitel) den konzeptuellen Rahmen von Partizipation.
     Im nächsten Schritt bilanzieren wir (im 3. Kapitel) neuere
     Forschungsergebnisse zur Partizipation von Minderjähri-
     gen im Kinderschutz und dies mit Blick auf französisch-,
     englisch- und deutschsprachige Debatten. Schließlich
     wollen wir (im 4. Kapitel) die Analyse des umfangreichen
     empirischen Materials des Forschungsprojekts »Aus Feh-
     lern lernen – Qualitätsmanagement im Kinderschutz«,
     insbesondere unter Nutzung ausgewählter Fallakten mit
     folgender Fragestellung vorantreiben: Wie werden Kin-
     der und Jugendliche thematisiert, gesehen und beteiligt?
     Insgesamt werden dazu zehn Fallakten analysiert. Die Ak-
     tenanalyse ist die Grundlage für unsere empirischen Be-
     funde. Die Literaturrecherche und die empirische Analyse
     bilden zwei Achsen auf deren Basis wir (im 5. Kapitel)
     Vorschläge für die Umsetzung der Partizipation von Kin-
     dern und Jugendlichen in der Praxis entwickeln, um dann
     am Schluss (im 6. Kapitel) den Bericht mit forschungsstra-
     tegischen Empfehlungen abzuschließen.
11

                  2
DER KONZEPTUELLE RAHMEN
12   DER KONZEPTUELLE RAHMEN

     In der internationalen Fachdebatte, vor allem im englisch-   Anschluss an die Agency-Debatte mit dem Konzept des
     sprachigen, aber auch im französisch- und deutschspra-       Kindes als Agent beschäftigen.
     chigen Raum, ist die Partizipation von Kindern und Ju-           Insgesamt haben nicht zuletzt die Kinderrechtsbewe-
     gendlichen im Feld der Kinder- und Jugendhilfe zu einem      gung, aber auch die Ansätze der neueren Kindheits-, Nut-
     wichtigen Thema geworden. In der Kinderschutzarbeit          zerinnen- und Nutzer- bzw. Adressatinnen- und Adressa-
     ist die Partizipation von Kindern und Jugendlichen bis-      tenforschung, dazu beigetragen, dass die Beteiligung von
     lang jedoch nur in geringem Maße thematisiert worden,        Kindern und Jugendlichen in der Kinder- und Jugendhil-
     wenngleich in neueren Publikationen darauf Wert gelegt       fe in den letzten Jahren zu einem wichtigeren Thema der
     wird, die Stimme des Kindes, »the voice of the child«, zu    Fachdiskurse wurde und dass nun auch die Partizipation
     hören, was sogar als ein wichtiger Grundsatz effektiver      von Kindern und Jugendlichen im Kinderschutz zur Dis-
     Kinderschutzarbeit herausgestellt wird (Munro 2008,          kussion steht.
     2011). Gleichzeitig scheint es kaum »einen anderen in-
     haltlichen Ansatz moderner Hilfearbeit zu geben, der auf
     so viel Skepsis, Ignoranz oder sogar Abwehr trifft« (Krau-   THEORETISCHE ASPEKTE:
     se 2008: 201).                                               VON DEN ADRESSATINNEN
          Nichtsdestotrotz wird in der Fachliteratur empfoh-      UND ADRESSATEN ZU DEN
     len, Kinder und Jugendliche vermehrt in den Blick zu         AKTEURINNEN UND AKTEUREN
     nehmen und Strategien der Beteiligung zu entwickeln,
     um die Qualität in der Kinderschutzarbeit zu erhöhen.        In den Diskursen über die Qualität Sozialer Dienstleis-
     Programmatisch halten Bob Lonne, Nigel Parton, Jane          tungen ist in den vergangenen Jahrzehnten aus unter-
     Thomson und Maria Harries in ihrem Buch »Reforming           schiedlichen Perspektiven die Notwendigkeit betont
     Child Protection« (2009) fest: »When we write of service     worden, Sichtweisen von Adressatinnen und Adressaten
     users we must begin with children and young people in        bzw. von Kindern und Jugendlichen ernst zu nehmen
     the child protection system. In many other contexts of       (vgl. z. B. Oelerich/Schaarschuch 2005). Im Mittelpunkt
     their lives, the issues of parents and other family mem-     der Debatte steht die Orientierung an den konkreten Le-
     bers themselves are central. However, when we are con-       benssituationen der Adressatinnen und Adressaten. Im
     sidering child protection, the focus must be the children    Rahmen der Adressatinnen- und Adressatenforschung
     and young people for whom these services exist, and care     wurden Konzepte und Ansätze wie Lebensweltorientie-
     work is done« (ebd.: 78). Kinder und Jugendliche werden      rung, Lebensbewältigung, Subjektorientierung und nicht
     in dieser Perspektive als »Stakeholder« gesehen, die einen   zuletzt einer dienstleistungsorientierten Sozialen Arbeit
     wichtigen Beitrag zum Misslingen bzw. Gelingen der Hil-      weitergetragen und -entwickelt. Die Adressatinnen- und
     fe leisten. Im deutschsprachigen Bereich beschäftigte sich   Adressatenforschung bezieht sich dabei nicht zuletzt auf
     zuletzt Marius Metzger (2010) mit der Frage, wie Kinder      biografieorientierte Ansätze, die nach biografischen Er-
     in Kinderschutzmaßnahmen zu stärken wären, während           fahrungen von Adressatinnen und Adressaten fragen,
     Manfred Liebel (2009) sich grundsätzlicher in diesem         aber auch das Zusammenspiel mit den Angeboten Sozia-
     Zusammenhang für die Konzeption des Kindes als Pro-          ler Dienste erforschen (vgl. z. B. Rätz-Heinisch 2005).
     tagonist interessiert.                                           Eine Reihe weiterer Autorinnen und Autoren nutzten
          Das Kind als Agent wird mit Blick auf die internati-    in den letzten Jahren biografieanalytische Ansätze, um die
     onale Debatte und angesichts des Diskurses um Agency         Wirksamkeit erzieherischer Hilfen aus dem Blickwinkel
     sogar zu einem übergreifenden Thema (vgl. Prout 1997,        der Adressatinnen/Adressaten zu beforschen (vgl. etwa:
     1998), einem »running theme« z. B. in der Sozialpolitik      Gehres 1997; Lambers 1996; Normann 2003). In ihren
     (vgl. vor allem das UK Government Green Paper »Every         Studien rekonstruieren die Autorinnen und Autoren die
     Child Matters« 2003). Aber auch in der Forschung stößt       Erfahrungen der Adressatinnen und Adressaten sowie die
     das Thema zunehmend auf Interesse, fanden doch z. B.         Faktoren, die den Nutzen bzw. positive Effekte der Hilfen
     im September 2010 und im März 2011 in Amsterdam              verstärken (vgl. zur Übersicht Wolf, K. 2007). Nicht nur
     und Liège internationale Konferenzen statt, die sich im      vor diesem Hintergrund erwächst ein verstärktes Inter-
2      13

esse der sich herauskristallisierenden Wirkungsforschung        schungsperspektive [liegt aber] auf den tendenziell dazu
an der Perspektive der Eltern, Kinder und Jugendlichen          in Abhängigkeit stehenden Umgangs- und Erlebenswei-
und ihrer Partizipation im Hilfeprozess (vgl. z. B. ebd.).      sen der Adressaten« (Oelerich/Schaarschuch 2005: 16).
Tragendes Argument in der Debatte ist dabei die Qua-                Die neuere Dienstleistungstheorie hat den Versuch
litätssicherung sozialer Dienstleistungen, auch im Sinne        unternommen, passivierenden Konstruktionen von Ad-
von Effektivität und Effizienz. Die Forscherinnen und           ressatinnen und Adressaten, z. B. als »Betroffene«, den
Forscher z. B. des Instituts für soziale Arbeit e.V. (ISA)      Begriff der Nutzerinnen bzw. Nutzer gegenüberzustellen
identifizieren interessanterweise das Partizipationsemp-        (vgl. Oelerich/Schaarschuch 2005). Mit ihm wird davon
finden der Adressatinnen und Adressaten als zentralen           ausgegangen, dass Menschen, die Hilfeleistungen in An-
Wirkfaktor in der Kinder- und Jugendhilfe (vgl. ebd.            spruch nehmen bzw. zu Adressatinnen und Adressaten
2010: 155)1, was das Ansinnen, die Partizipationspraxis         Sozialer Dienstleistungsorganisationen werden, immer
im Kinderschutz zu untersuchen, nur stützt.                     Ko-Produzenten einer Hilfe sind. Die Fachkräfte bringen
     Die Adressatinnen- und Adressatenforschung fragt           demnach, im Rahmen organisationaler und gesellschaft-
ebenfalls nach Wirkfaktoren, versucht sie aber eher im          licher Kontexte, gemeinsam mit ihren »Klientinnen und
Verhältnis von Hilfeangeboten und Biografien bzw.               Klienten« immer wieder neue Praxissituationen hervor.
durch die Rekonstruktion der subjektiven Perspektiven           Mehr noch wird davon ausgegangen, dass die Nutzerin-
auf Soziale Dienste zu erforschen: »Das Ziel der Adressa-       nen und Nutzer individuelle Strategien zur Nutzung der
tenforschung besteht in der Rekonstruktion von Selbstbe-        Dienstleistungsangebote entwickeln. Letzteres beinhaltet
deutungen, subjektiven Erfahrungen und biographischen           programmatisch vorgesehene Nutzungsstrategien ebenso
Verläufen von Adressaten im Kontext institutioneller            wie solche, die von den Organisationen zunächst nicht
Settings« (Oelerich/Schaarschuch 2005: 16). Das Inter-          vorgesehen sind und die von den Fachkräften mitun-
esse richtet sich auf die empirische Verfasstheit der           ter als »Hintergehen« oder »Ausnutzen« professioneller
Lebenswelten und Lebenskontexte, auf die Selbstkon-             Strukturen (miss)verstanden werden. Die Konzeption
zepte, Deutungen, Wahrnehmungsmuster, die Problem-              der Nutzerinnen bzw. Nutzer grenzt sich insofern von
lagen und Ressourcen derjenigen, die zu Adressatinnen           der der Adressatinnen bzw. Adressaten ab, als hier Klien-
und Adressaten Sozialer Arbeit geworden sind. Ziel da-          tinnen und Klienten nicht nur als adressierte sondern als
bei ist es, die Qualität der Hilfe zu optimieren, auch im       produzierende, mitwirkende Personen verstanden wer-
programmatischen Interesse der hilfeleistenden Insti-           den. Inwieweit es Dienstleistungsorganisationen gelingt,
tutionen: »Das damit verbundene Erkenntnisinteresse             Nutzerinnen und Nutzer dabei Möglichkeiten zum Ge-
besteht in dem Verstehen adressatenseitiger Lebenssitu-         brauch von Dienstleistungsangeboten zu schaffen, wird
ationen zur Optimierung professionellen sozialpädagogi-         dabei zum Prüfstein der Legitimation professioneller So-
schen Handelns und sozialpädagogischer Arrangements«            zialer Arbeit (vgl. Oelerich/Schaarschuch 2005).
(Oelerich/Schaarschuch 2005: 16).                                   Mit dem Konzept des Akteurs werden in ähnlicher
     Übersehen wird in dieser Forschungsperspektive             Weise Kinder und Jugendliche nicht länger als Adressa-
mitunter, dass Kinder und Jugendliche nicht nur durch           tinnen und Adressaten von Hilfeleistung konzeptioniert,
Hilfeprozesse und -settings beeinflusst werden, sondern         sondern als aktive Subjekte ihres eigenen Lebens gesehen,
Minderjährige selbst auch diese Settings und Prozesse be-       die auch Hilfekontexte aktiv mitgestalten können. Dieser
einflussen und verändern können (vgl. kritisch Uprichard        Ansatz kann durchaus »als Reaktion auf die Verkürzun-
2010). Zwar werden die Adressatinnen und Adressaten             gen und Stigmatisierungen der Selbstdeutungen der Ad-
»als Subjekte verstanden […], die mit den Bedingungen           ressatinnen und Adressaten sowie auf die unzureichende
der Hilfen aktiv umgehen, […] der Akzent dieser For-            Berücksichtigung der sozialen und bürgerschaftlichen

1   Die Forscherinnen und Forscher stellen heraus, dass ein erhöhtes Partizipationsempfinden von Kindern nicht nur mit
    einer guten Arbeitsbeziehung, sondern auch mit einem gestärkten »Capabilities-Set« positiv korreliert (vgl. ISA 2010:
    148, 155). Zum Bedeutung des Begriff der Capabilities für die Erziehungswissenschaften: (vgl. Otto/Ziegler 2008a und
    2008b).
14   DER KONZEPTUELLE RAHMEN

     Rechte und Umweltbezüge in den sozialen Diensten ver-          Der Begriff der agency bzw. der childhood agency (Prout/
     standen werden« (Homfeld/Schroer/Schweppe 2008: 7 f.).         James 1990), der eng mit der soziologischen Kindheits-
     Mit dem Konzept der Agency fokussieren die Beiträge auf        forschung verbunden ist (s. einführend: Hurrelmann/
     Lebensweltbewältigung (vgl. Böhnisch 2008) und Hand-           Bründel 2003), stößt sich allerdings mit den Konzepti-
     lungsmächtigkeit der Akteurinnen und Akteure in ihrem          onalisierungen traditioneller Sozialpädagogik. Die neu-
     sozialen Umfeld. Agency lässt sich mit Dorothy Holland         ere Kindheitsforschung möchte nämlich einen Gegen-
     fassen als »realized capacity of people to act upon their      entwurf zu gängigen wissenschaftlichen Auffassungen
     world and not only to know about or give personal inter-       von Kindheit bieten, die Kindheit als Durchgangs- oder
     subjective significance to it. That capacity is the power of   Vorbereitungsstadium auf dem Weg ins Erwachsenalter
     people to act purposively and reflectively, in more or less    betrachten und in der Kinder als vulnerable Objekte der
     complex interrelationships with one another, to reiterate      Sorge von Erwachsenen aufgefasst werden. Kinder wer-
     and remake the world in which they live, circumstances         den hier und im Rahmen eines interaktionistisch ge-
     where they may consider different courses of action pos-       prägten Theorierahmens als soziale Akteure verstanden.
     sible and desirable« (Holland 1998: 42). Der Akteur ist in     Kinder sind demnach sowohl an der Herstellung ihrer je
     diesem Sinne das Individuum, das »mehr oder weniger            konkreten sozialen Umgebung als auch an »der Produkti-
     bewusst und reflexiv auf sich selbst und ihre (seine) Um-      on von ‚Kindheit‘ als sozialem Phänomen aktiv beteiligt«
     gebung Einfluss nehmen kann« (Raithelhuber 2008: 17).          (Prout/James 1990: 8).
         In diesem akteurstheoretischen Rahmen werden Par-              In seinem Beitrag »Agency und generationale Dif-
     tizipationsmöglichkeiten und Erbringungsleistungen im          ferenz. Einige Implikationen der Kindheitsforschung
     Zusammenhang mit Organisationen und Verfahren kri-             für die Sozialpädagogik« beschäftigt sich Florian Esser
     tisch betrachtet: »Dabei richtet sich die Analyse nicht nur    (2008) mit der Frage, wie es möglich sein könnte, »den
     auf die Bewältigung individueller Herausforderungen,           kritischen Impetus der neuen sozialwissenschaftlichen
     sondern auch auf die strukturelle, organisationale und         Kindheitsforschung aufzunehmen, ohne sich einer sozi-
     rechtliche Rahmung von Handlungsspielräumen und                alpädagogischen Perspektive zu entledigen« (ebd.: 133).
     -beschränkungen« (vgl. Homfeldt/Schröer/Schweppe               Das Bestreben, Kinder mit ihren Bedürfnissen stärker
     2006: 8). Im Fokus der Forschung steht darum die Frage         in den Blick zu rücken, ist zwar im wissenschaftlichen
     nach der »Stärkung der Handlungsmächtigkeit des Ak-            Diskurs nicht neu, es hat aber gleichwohl noch immer
     teurs, der in der Lage sein sollte, bis zu einem gewissen      erneuerndes Potential: »Eine sozialpädagogische Orien-
     Umfang Kontrolle über seine sozialen Beziehungen zu            tierung auch an den gegenwärtigen Lebensbedingungen
     gewinnen, was wiederum impliziert, seine Beziehung in          von Kindern um derer selbst Willen und die Etablierung
     gewissem Umfang zu transformieren« (Sewell 1992: 20).          einer Akteursperspektive führen hingegen zu einem al-
         Amartya Sen (2000) hat darauf aufmerksam gemacht,          ternativen Verständnis von Professionalität« (Esser 2008:
     dass die Akteure mit äußerst ungleichen Bedingungen            135-136).
     konfrontiert sind. Die zentrale Komponente zur Über-               Die theoretische Rückbindung solcher sozialpäda-
     windung des Mangels an Verwirklichungschancen ist              gogischer Erwägungen an die neue Kindheitsforschung
     mit Sen gesprochen (2000: 21) nicht nur die Freiheit zur       kann erstens dazu beitragen, eine interdisziplinäre Kind-
     Teilhabe am wirtschaftlichen Reichtum, sondern auch an         heitsforschung zu etablieren (Lange 2006: 92). Zweitens
     Bildung, Ausbildung, Gesundheit und Kultur. Dabei geht         bietet die soziologische Diskussion zu agency und struc-
     Sen von fünf Formen der Freiheit aus, die die Entfaltung       ture einen differenzierten wissenschaftstheoretischen
     von menschlichen Fähigkeiten und gesellschaftlichen            Hintergrund, vor dem die verschiedenen ’kindzentrierten
     Möglichkeiten (capabilities) fördern: politische Freiheit,     Ansätze‘ auf ihre häufig impliziten normativen Hinter-
     ökonomische Vorteile, soziale Chancen, Garantien für           grundannahmen hin überprüft werden können: »Denn
     Transparenz und soziale Sicherung. Insofern ist persönli-      so eindeutig die kritische Stoßrichtung des agency-Be-
     che Agency nur angesichts von »Machtdifferenz und kol-         griffs im hier verhandelten Kontext gegenüber eher teleo-
     lektiven Widerständen sowie Kämpfen zu fassen« (Hom-           logischen bzw. funktionalen Verständnissen von Kindern
     feld/Schroer/Schweppe 2008: 9).                                und Kindheit auch sein mag, so heterogen erweist sich
2        15

dessen theoretische Konzeptuierung und Anwendung             en und Handlungen bezeichnet, durch die Bürgerinnen
in der Forschungspraxis« (Esser 2008:136). Die Gefahr        und Bürger Einfluss auf politische Entscheidungen und
dieser Ansätze besteht nämlich darin, Kindern eine quasi     Macht in der parlamentarischen Demokratie nehmen.
»urwüchsige Kraft« zuzuschreiben, agency und Selbst-         Unter Teilhabe wird in diesem Sinne »die Art und Weise
ständigkeit der Kinder zu ontologisieren und dabei die       verstanden, in der Menschen Zugang zu den Prozessen,
verschiedenen Lebenssituationen von Kindern und Ju-          Institutionen und Leistungen einer bestimmten Gesell-
gendlichen mit ihren Konfliktfeldern zu missachten. Mit      schaft haben. In diesem Sinne wird auch von einem Kon-
der Fokussierung auf die Handlungsfähigkeit der Kinder       tinuum oder Spannungsfeld zwischen sozialer Inklusion
läuft die Forschung Gefahr, im Zuge einer Romantisie-        und Exklusion gesprochen« (Liebel 2009: 480). Diese
rung der Kindheit, Kinder als handlungstätige, eigenwilli-   Denktradition sieht Partizipation weniger als Vorausset-
ge Noch-Nicht-Erwachsene zu naturalisieren (vgl. Baader      zung rationaler und legitimer Herrschaft sondern hebt
2004; Krappmann 2002).                                       Partizipation als Modus politischer und sozialer Inte-
    Ein alternativer Weg wird mit neueren sozialpsycho-      gration hervor (Schmidt 2000). Dieser engere Sinn von
logischen Forschungen beschritten, die soziale Hand-         Partizipation wird als »instrumentell« charakterisiert. Als
lungsfähigkeit in konkreten Situationen auch an interak-     »normativ« bezeichnete Ansätze dagegen verstehen Parti-
tiv und dynamisch hervorgebrachte Kompetenzen bindet         zipation nicht nur als Mittel, sondern als Wert an und für
(vgl. Grundmann 2006): »Auf diese Weise werden Kinder        sich. In dieser Perspektive wird Partizipation nicht nur als
als sich entwickelnde Individuen denkbar, ohne dabei         Handeln im formalen Sinn sondern als aktives Handeln
auf lediglich naturalistische Annahmen zurückgreifen zu      verstanden: »Partizipation, Teilnahme oder Beteiligung
müssen« (Esser 2008: 138). Mit diesem neuen Impetus          bezieht sich auf die Art und Weise, in der Individuen oder
müsste es letztendlich auch in der sozialpädagogischen       soziale Gruppen ihren freien Willen zum Ausdruck brin-
Forschung darum gehen, sich an den gegenwärtigen und         gen, Entscheidungen treffen oder Einfluss auf Entschei-
zukünftigen Handlungsmöglichkeiten von Kindern und           dungen nehmen können« (Liebel 2009: 480).
Jugendlichen zu orientieren und ihre Partizipationsmög-           Partizipation ist im Rahmen einer breiten gesell-
lichkeiten zu erforschen.                                    schaftlichen Modernisierung in den 1970er Jahren zum
                                                             Gestaltungsprinzip von Institutionen geworden und dies
                                                             auch im Kontext einer Expertokratie- und Institutionen-
KONZEPTUELLER RAHMEN:                                        kritik, der Evaluations- und Steuerungsdebatten, sowie
PARTIZIPATION ALS                                            der Diskussionen um eine Demokratisierung der Gesell-
VIELFÄLTIGES KONZEPT                                         schaft (vgl. Rosanvallon 2010). Partizipation gilt in dieser
                                                             Perspektive als Form der Sicherung von demokratischen
Partizipation ist zu einem der zentralen Paradigmen der      Prozessen und als Weg zu mehr Gleichheit in gegebenen
Kinder- und Jugendhilfe geworden. Dennoch lässt sich         Machtverhältnissen (Betz/Gaiser/Pluto 2010: 12). Dar-
dieses Konzept schwer begreifen und umsetzen. Mit Tan-       über hinaus liegt die Hoffnung darin, dass die Instituti-
ja Betz, Wolfgang Gaiser und Liane Pluto gesprochen,         onen ihre Adaptations- und Überlebensfähigkeit durch
liegt die Schwierigkeit »an den Unschärfen, die im Begriff   Partizipation der Bürgerinnen und Bürger sichern.
»Partizipation« selbst angelegt sind, an seinen Verände-          Wie Liane Pluto (2007) zeigen kann, liegt die Schwie-
rungen und Erweiterungen in den letzten 50 Jahren, und       rigkeit einer eindeutigen begrifflichen Bestimmung auch
an der normativen Aufladung des Begriffes Partizipation      darin, dass Partizipation in sehr unterschiedlichen Kon-
und der jeweils geführten Debatten« (Betz/Gaiser/Pluto       texten verwendet wird: Im Bereich der Politik gilt Partizi-
2010: 11).                                                   pation seit den 1960er-Jahren als ein Weg zur Sicherung
    Insofern ist eine semantische Vorüberlegung sinnvoll.    der Demokratie und als ein Kriterium der Transparenz
Der Begriff der Partizipation hat »seinen Ursprung im        und der Gerechtigkeit von Machtsystemen. Letzteres
Lateinischen ‚participare’ und meint im wörtlichen Sinne     auch angesichts der Gefahr, dass Politikerinnen und Po-
Teilnahme und Teilhabe« (Pluto 2007: 17). Ursprünglich       litiker, gebunden an die Logiken des politischen Systems,
sind mit Partizipation ausschließlich Verfahren, Strategi-   sich von den Bedürfnissen und Interessen der Bürgerin-
16   DER KONZEPTUELLE RAHMEN

     nen und Bürger entfernen. Erneut aufgegriffen wurde das      aber auch der Kinderpolitik- und Kinderrechtedebatte
     Partizipationskonzept aber auch in den Diskussionen um       zu sehen, die schließlich in der Kinderrechtskonvention
     Kommunitarismus, Bürgergesellschaft und Gouvernance/         ihren Ausdruck fand. Dennoch sind das Thema der Par-
     Gouvernementalität (Bröckling/ Krasmann u. Lemke             tizipation und die »Entdeckung« des Kindes nicht ganz
     2000). In den 1990er Jahren taucht der Begriff schließlich   neu. Reformpädagogische, psychoanalytische, lebens-
     in der Debatte um die Modernisierung der Verwaltung          weltliche und resilienztheoretische Ansätze, aber auch die
     auf; Bürgerinnen und Bürger hatten nämlich verstärkt den     Forschungen zu familialer und parentaler Gewalt haben
     Eindruck, dass Verwaltungen ihren Interessen nicht mehr      Kinder und Jugendliche mit ihren Bedürfnissen immer
     nachkommen oder diese sogar behindern. Auch innerhalb        wieder in das Zentrum sozialpädagogischer und sozialar-
     der Entwicklungshilfe hat die Partizipationsthematik ei-     beiterischer Aufmerksamkeit gerückt.
     nen hohen Stellenwert, hier insbesondere vor dem Hinter-          In der Auseinandersetzung um die Rolle von Kindern
     grund eines Wandels von paternalistischen Verständnissen     als Akteure in der Gesellschaft mit einklagbaren Rechten
     der Unterstützung hin zu partnerschaftlichen Konzeptua-      hat die Debatte freilich neuen Schwung bekommen. Was
     lisierungen. Dahinter steht auch hier die Erkenntnis, dass   als politische Bewegung begann, wird mehr und mehr zu
     Entwicklungshilfe keine Aussicht auf Erfolg hat, wenn sie    einer zentralen pädagogischen Herausforderung (Krapp-
     nicht gemeinsam mit den Beteiligten und ausgerichtet auf     mann 2006). Dies gilt in besonderem Maße in Kinder-
     die Bedingungen vor Ort entwickelt wird.                     schutzfällen, sehen sich doch gerade bei Kindeswohlge-
          Schließlich verbreitet sich auch in der Medizin und     fährdungen Fachkräfte in einem Spannungsfeld zwischen
     der psychosozialen Arbeit die Idee, dass Hilfen nur durch    dem stellvertretenden Schutz vor Misshandlungen und
     Partizipation der Klientinnen und Klienten und Patien-       Vernachlässigungen (Begrenzung der Vulnerabilität des
     tinnen und Patienten effektiv werden können. Ziel ist es     Kindes) und der Ermöglichung des Selbstbestimmungs-
     dabei, Klientinnen und Klienten bzw. Patientinnen und        rechts und der Autonomie des Kindes. Die Professionellen
     Patienten innerhalb eines Expertensystems zu stärken.        sind darum aufgefordert, zwischen der Minimierung von
     Partizipation soll dazu führen, Situationsbewertungen        Risiken und der Ermöglichung umfassender Partizipati-
     im Dialog vorzunehmen und Entscheidungen in Koope-           on zu balancieren (Healey/Darlington 2009), wobei auch
     ration zu treffen. Insofern zielt Partizipation auch auf     das Nicht-Einbeziehen von Fallbeteiligten, so möchten
     Demokratisierung und Empowerment für und mit den             wir betonen, neue Risiken produziert (Barreyre 2009).
     Betroffenen. Das Risiko besteht in einer Verlagerung von     Hier stellen sich die größten Herausforderungen für die
     Verantwortung auf die Patientin / den Patienten und ei-      Verwirklichung von Partizipation, die unter anderem in
     ner Entlastung der Expertinnen und Experten (vgl. Pluto      §5 »Wunsch und Wahlrecht« und §36 »Hilfeplanung«
     2007), was allerdings auch zu Deprofessionalisierungsef-     SGB VIII gesetzlich gefordert wird. Dass Eltern, Kinder
     fekten führen kann. Dennoch haben die vielfältigen Er-       und Jugendliche zu beteiligen sind, wird allerdings auch
     fahrungen im Bereich der psychosozialen Arbeit und der       für den Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung gemäß
     Medizin ergeben, dass Beteiligung selbst in Grenzsituati-    §8a SGB VIII explizit herausgestellt. Die Form der Betei-
     onen noch gestaltet und gesichert werden kann. Insofern      ligung wird laut §8, Absatz 1 SGB VIII an den Entwick-
     enthalten diese Konzepte und ihre Umsetzungen für die        lungsstand von Kindern und Jugendlichen gekoppelt.
     Auseinandersetzung in der Kinder- und Jugendhilfe ein        Letzteres ist nicht unproblematisch, enthält dies doch die
     hohes Anregungspotential (vgl. ebd.).                        Möglichkeit, einer Beteiligung auszuweichen, etwa mit
          In der Kinder- und Jugendhilfe ist Partizipation –      dem Verweis auf eine noch nicht genügende Entwicklung
     seitdem der achte Jugendbericht 1989 die Orientierung        des Kindes oder der Jugendlichen: »die Kopplung von Be-
     an Adressatinnen und Adressaten und ihren Lebenswel-         teiligung an den Entwicklungsstand von Kindern und Ju-
     ten in den Mittelpunkt rückte – zu einem zentralen Pa-       gendlichen enthält aber auch das Risiko, dass sie als eine
     radigma geworden. Die Fokussierung auf Partizipation         Möglichkeit der Einschränkung von Beteiligungsrechten
     ist, wie oben angedeutet, im Kontext einer Veränderung       verstanden wird« (Pluto 2007: 36).
     der Rolle von Kindern in der Gesellschaft, der Entwick-           Das Partizipationskonzept trifft im Kinderschutz also
     lung der sozialwissenschaftlichen Kindheitsforschung,        auf ein Handlungsfeld mit besonderen Voraussetzungen,
2       17

insbesondere dem gesetzlich verankerten (und traditio-       Gerade angesichts dieser Ausgangssituation ist es wich-
nell schon immer paternalistischen oder etatistischen)       tig, in Partizipationsprozessen Machtverhältnisse und
Schutzauftrag gegenüber Kindern und Jugendlichen.            asymmetrische Strukturen nicht nur bezogen auf das
Partizipation setzt andererseits selbstbestimmte Positio-    Verhältnis von Fachkräften und Nutzerinnen und Nutzer,
nen von Kindern und Jugendlichen bzw. das Einräumen          sondern auch bezogen auf das Verhältnis von Erwachse-
solcher Positionen voraus. Sie werden in der Sozialen        nen und Kindern (im Sinne einer Spannung oder sogar
Arbeit, im Kinderschutz zumal, aus mehreren Gründen          Diskriminierung in Generationsverhältnissen) zu er-
jedoch immer wieder eingeschränkt. Vor allem ist die         forschen (vgl. Mason 2005). Eine andere wichtige Frage
Voraussetzung der Freiwilligkeit in der Kinder- und Ju-      betrifft die Möglichkeiten einer gerechteren Verteilung
gendhilfe häufig nicht gegeben, werden doch viele Kinder     von Macht und Ressourcen. Hierbei liegt auf der Hand,
und Jugendliche ebenso wie ihre Eltern zu Nutzerinnen/       dass Fachkräfte und Erwachsene zunächst ihre Macht
Nutzern wider Willen. Gleichzeitig spielt bei der Vorstel-   nur ungerne teilen, weil sie den Verlust von generationa-
lung, eine Person zu beteiligen, zunächst auch immer die     len und professionellen Ressourcen befürchten (u. a. Mc
Idee eine Rolle, die betreffende Person befände sich frei-   Leod 2007, vgl. auch Gil 1998). Dabei wäre es durchaus
willig in dieser Situation und könne autonom handeln.        denkbar, dass eine umfassende Partizipation nicht not-
Ein Grundproblem dabei ist das doppelte Mandat bzw.          wendigerweise zu Macht- oder Privilegienverlusten einer
das Spannungsfeld zwischen Hilfe und Kontrolle bzw.          Partei führen müsste. Im Gegenteil könnten alle Partei-
Repression (Bönisch/Lösch 1973, Schone 2008). Ein wei-       en Handlungsspielräume und Gewinne für sich erzielen,
teres Spannungsfeld besteht darin, dass sich die Program-    wenn es zu einer gegenseitigen Ermächtigung kommen
me der Kinder- und Jugendhilfe nicht nur an Kinder und       würde: »A key question is whether children’s and young
Jugendliche, sondern auch an Eltern richten. Die Organi-     people’s participation means taking power from adult
sationen erzeugen mit ihren Programmen und in dieser         (zero sum) or whether both can be empowered (variable
doppelten Adressierung komplexe Strukturen, aus denen        sum)? What are the conditions that lead either to mutu-
heraus Akteurinnen und Akteure mit widersprüchlichen         al empowerment or to redistribution of power?« (Davis/
Positionen angesprochen werden. Die Akteurinnen und          Edwards 2004: 98).
Akteure – Kinder, Jugendliche, Eltern und Fachkräfte –           Wenn im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe
stehen besonders in Fällen von Kindeswohlgefährdung          von Partizipation gesprochen wird, bleibt eine Diskri-
oft für gegensätzliche Interessen, Rollenanforderungen       minierung von Kindern und Jugendlichen gegenüber
und Machtpositionen. Insofern ist Partizipation gerade       Erwachsenen zumeist implizit oder explizit enthalten.
im Kinderschutz in Machtverhältnissen und asymmet-           Denn es wird oftmals davon ausgegangen, dass »für diese
rischen Strukturen zu denken: »Die Fachkräfte müssen         Altersgruppe(n) spezifische Bedingungen gelten, die sich
sich in ihrem fachlichen Handeln auf diese asymmetri-        von denen Erwachsener unterscheiden, z. B. alters- oder
sche und Konflikte beinhaltende Mehr-Personen-Ebene          generationsspezifische Interessen, besondere Verletzlich-
einlassen. Gleichzeitig besteht der Auftrag, beide Grup-     keit, Schutzbedürftigkeit oder Entwicklungsbedürfnisse«
pen zu beteiligen, was zwangsläufig zu Interessenskon-       (Liebel 2009: 480). Diese Einschätzung basiert auf einer
flikten führen muss« (Pluto 2007: 50ff.). Da das Kind        konzeptuellen Trennung von Erwachsenen- und Kin-
sich in einer geschwächten Machtposition befindet, ist es    der- bzw. Jugendsphäre: »Kindheit und Jugend werden
Auftrag der Fachkräfte, das Kind im Beteiligungsprozess      nicht als integrale Teile des Gemeinwesens, sondern als
zu unterstützen (vgl. Münder 2000). Gleichzeitig müssen      Vorstadien und Entwicklungsetappen auf dem Weg zum
die Fachkräfte die Interessen der Eltern berücksichtigen,    (vermeintlich rational denkenden und handelnden) Er-
um auch zu ihnen einen Kontakt zu etablieren und ein         wachsenen verstanden« (Liebel 2009:481).
Arbeitsbündnis herstellen zu können. Dies stellt eine            Partizipation kann insofern das Gewähren eines
komplexe Aufgabe für die Fachkräfte dar, zumal sie selbst    Rechts durch einen Erwachsenen gegenüber einem Kind
gebunden an biografische, organisationale und systemi-       bedeuten, ohne dass damit eine Gleichberechtigung in
sche Logiken handeln: »Man ist selbst Teil des Ganzen,       der Auseinandersetzung der Akteure erreicht werden
hat aber die Aufgabe es zu steuern« (Pluto 2007: 52).        würde. Auch insofern wird der Partizipationsbegriff im
18   DER KONZEPTUELLE RAHMEN

     Kinderschutz und in der Kinder- und Jugendhilfe be-           »Nicht-Beteiligung« (Manipulation, Fremdbestimmung,
     nutzt, um sehr verschiedene Situationen zu beschreiben,       Alibi-Beteiligung), am oberen Ende stehen Partnerschaft,
     die sich nach ihrem Fokus, ihrer Natur, ihren Stufen und      Selbstbestimmung und Selbstverwaltung (vgl. Hart 1997;
     ihren Teilnehmerstrukturen unterscheiden lassen (Sinc-        Shier 2001; Arnstein in Abeling u.a. 2003; Gernert 1993).
     lair 2004).                                                   Letztendlich kreisen diese Typologien, die die Partizipa-
          Partizipationsprozesse können sich insbesondere (a)      tion von Kindern nach Graden unterscheiden, um das
     auf private oder öffentliche oder (b) auf individuelle oder   Machtverhältnis zwischen Kindern und Erwachsenen; sie
     kollektive bzw. fallbezogene und fallübergreifende Ent-       werden in der Diskussion allerdings zumeist kritisch be-
     scheidungen beziehen. Die dabei verfolgten Ziele können       wertet: »Ihr Wert liegt in der Einfachheit, und sie wurden
     sehr unterschiedlich sein, sei es, dass es um die gemein-     vielfach von Organisationen, die mit Kindern arbeiten,
     same Bewertung einer Kindeswohlgefährdung (§8a SGB            aufgegriffen, um das erreichte Ausmaß an Partizipation
     VIII) geht, um die dialogische Planung einer Hilfe (§36       zu messen. Ihr Nachteil ist, dass sie statisch sind und we-
     SGB VIII) oder um die Entwicklung einer passenden             der erlauben, das Nebeneinander verschiedener Formen
     Hilfeleistung. Wenn Partizipation kollektive Entschei-        von Partizipation in derselben Initiative noch Übergänge
     dungen betrifft, könnte sie z. B. auch die Form eines po-     von einer Form zur anderen zu erfassen. Die Typologien
     litischen Plädoyers über Kindesmisshandlung annehmen          basieren auf vereinfachenden Dichotomien und werden
     oder durch die umfassende Beteiligung von gefährdeten         der dynamischen Natur und Widersprüchlichkeit von
     Kindern und Jugendlichen an einem Forschungsprojekt           Machtbeziehungen nicht gerecht« (Liebel 2009: 482).
     verwirklicht werden. Partizipation kann also (a) einzel-          In anderen Modellen (vgl. z. B. Treseder 1997) werden
     ne Gesprächstermine, z. B. einer Hilfekonferenz meinen,       verschiedene Elemente des Beteiligungsprozesses – mit-
     aber auch (b) in Form einer Kinderversammlung z. B. in        denken, mitreden, mitplanen, mitentscheiden, mitgestal-
     einem Heim stattfinden (wie sie per Gesetz vom 2. Janu-       ten, mitverantworten – dargestellt. Diese folgen jedoch
     ar 2002 z. B. in Frankreich durchgeführt werden müssen,       keiner Reihenfolge, sondern bezeichnen die wesentlichen
     vgl. Verdier 2006). Sie lässt sich aber auch vorstellen als   Elemente von Partizipationsprozessen: Kommunikation,
     langfristige oder einmalige Befragung in öffentlichen         Planung, Entscheidung, Gestaltung und Übernahme von
     Räumen (c), wie z. B. im Rahmen der Irish National            Verantwortung. Dennoch erfassen auch diese Modelle
     Children’s Strategy – Our Children Their Lives (2000), in     nicht die Komplexität von Machtverhältnissen und die
     der Kinder im Feld des Kinderschutzes gefragt wurden,         verschiedenen situativen und soziokulturellen Kontexte,
     wie sie ihr Leben im Heim erlebten (vgl. dazu: Pinker-        in denen die Partizipation der Kinder verortet ist.
     ton 2004). Partizipation kann aber auch die Form einer            Um verschiedene Intensitäten und Arten von Partizi-
     Versammlung z. B. im Sinne eines Kinder- und Jugend-          pation darzustellen, wird in der Fachliteratur auch zwi-
     Forums annehmen, wie etwa das Jugend-Forum des                schen direkter und indirekter Partizipation unterschieden.
     SOS Kinderdorfs International im Rahmen des Projekts          Von Erwachsenen eingerichtete Partizipationsprozesse
     »Übergänge im Jugendalter unterscheiden/gestalten«.           lassen sich unterscheiden von solchen, die von den Kin-
     Dennoch geht es im Kinderschutz zumeist eher um faIl-         dern selbst hervorgebracht wurden. Hierfür werden auch
     bezogene Partizipation als um fallübergreifende bzw.          die Begriffe »top down«- und »bottom up«-Partizipation
     politische Partizipation (vgl. Brown 2005); letztere wird     gebraucht. Die Frage dabei ist, ob Partizipation genutzt
     meistens, wenn überhaupt, eher mit Jugendlichen und           wird, um Identifikation zu erzeugen und Widerstände
     weniger mit jüngeren Kindern gestaltet. Besonders Kin-        abzubauen bzw. ob mit ihr Veränderungen im Sinne der
     der in schwierigen Lebenssituationen, mit Behinderun-         Kinder und Jugendlichen zugelassen werden. Partizipa-
     gen oder Migrationshintergrund, sind oft eher von einer       tion kann »in einem emanzipatorischen Sinn nur zum
     Mitsprache ausgeschlossen, als dass man sie beteiligte        Zuge kommen, wenn Kinder und Jugendliche die Mög-
     (vgl. Sinclair 2004, Borland and others 2001).                lichkeit haben, sie selbst in ihrem Interesse und in Ihrem
          Um Formen der Partizipation zu beschreiben, wer-         Sinn zu handhaben […] Partizipation macht für sie nur
     den häufig Stufenmodelle genutzt. Auf den unteren             dann Sinn, wenn sie nicht nur dazu dient, in das beste-
     Stufen befinden sich in diesen Modellen Formen der            hende Sozialsystem integriert zu werden, sondern wenn
2   19

sich über ihre Partizipation auch dieses System mit verän-
dert« (Liebel 2009: 487). John Davis und Rosie Edwards
stimmen zu: »Participation needs to be transformative. In
other words, it needs to challenge the dominant discourse
that represents children and young people as lacking the
knowledge or competence to be participants in the policy
debate« (Edwards/Davis 2004: 104).
    Im Gegensatz zu einer solchen Zuschreibung hat
etwa schon der achte Jugendbericht ein Bild der Jugend
entworfen, in dem Jugendliche ein innovatives und kri-
tisches Potenzial für die Gesellschaft darstellen. Partizi-
pation steht insofern, auch im Kinderschutz, in einem
Spannungsfeld zwischen einer Gefahr der Abrichtung der
Subjekte einerseits und dem Potential der sozialen Erneu-
erung durch eine kritische Distanz zur Macht anderer-
seits (vgl. Keupp 2008).
20   XXXNNNNXXX

       3
     EIN BLICK AUF DIE FORSCHUNG:
     KINDER UND JUGENDLICHE
     IM KINDERSCHUTZ
3      21

Wenn man einen Blick auf die deutsch-, englisch- und            In der Kinderschutzarbeit und -forschung muss Partizi-
französischsprachige Forschungsliteratur wirft, wird            pation von Betroffenen, d. h. von Eltern und vor allem
deutlich, dass das Thema der Partizipation von Kindern          von Kindern und Jugendlichen, freilich überhaupt erst
und Jugendlichen in Hilfeprozessen nun auch in wach-            einmal (wieder-) entdeckt werden. Zwar werden Kin-
sendem Maße in empirischen Studien von Forscherinnen            der und (mit geringerer Aufmerksamkeit) Jugendliche
und Forschern aufgegriffen wird. Nigel Parton (2004)            als Opfer von Misshandlungen und Vernachlässigungen
spricht sogar von »einer Explosion« der Forschung im            thematisiert, gibt es eine umfangreiche Literaturauswahl
Bereich Kinder- und Jugendpartizipation. Bei der Sich-          über Formen und Folgen von »maltreatment« und über
tung dieser Forschungen wird schnell klar, dass die vor-        die unterschiedlichsten Methoden der Gefährdungs- und
liegenden Untersuchungen unterschiedliche Interessen            Risikoeinschätzung. Unterthematisiert und weitgehend
verfolgen. Sie befassen sich z. B. mit der Beteiligung im       unerforscht – national wie international – ist jedoch, wie
Bereich der Hilfen zur Erziehung (Pluto 2007), im Hil-          Kinder und Jugendliche konzeptuell gesehen werden, d.
feprozess in der Verfahrenspflegschaft (Stötzel 2005), in       h. auch welche Kind- und Kindheitskonzepte in der Kin-
der Heimerziehung (Kriener 2007, Stork 2009), im Hil-           derschutzarbeit eine Rolle spielen. Werden Kinder und
fesystem (Parton 2006) oder auch mit der Beteiligung in         Jugendliche überhaupt mit ihren Stärken und Schwächen
der Forschung (Irwin et al. 2006). Gemeinsam ist ihnen          wahrgenommen und einbezogen und wenn ja, mit wel-
das Interesse an der Frage, wie beteiligungsfördernde           chen Methoden? Wie erleben sie ihre familiale Situation
Strukturen, Bedingungen und Situationen gestaltet wer-          und ihre Beteiligung in der Risikoeinschätzung und im
den können. Die Studien widmen sich unterschiedlichen           Hilfeprozess überhaupt? Wie könnte ihre Partizipation
Forschungsfeldern, kommen aber trotzdem, auch länder-           gestärkt werden? In der deutsch- und französischsprachi-
übergreifend, zu dem übereinstimmenden Ergebnis, dass           gen, aber vor allem in der englischsprachigen Literatur
eine Diskrepanz zwischen den entwickelten Vorstellun-           lassen sich einige Ansätze zeigen, die in Bezug auf diese
gen in der Theorie und der Umsetzung in der Praxis vor-         Fragen von Forscherinnen und Forschern entwickelt
liegt (u. a. Cashmore 2002). D. h. der Fachdiskurs scheint      wurden.
sich gewandelt zu haben, ohne aber bisher die alltägliche            Einige der hier aufgeworfenen Fragen wurden be-
Praxis tatsächlich zu erreichen (u. a. Margolin 1997). Par-     reits aus unterschiedlichen theoretischen und epistemo-
tizipation schwankt »zwischen Bedenken und positiver            logischen Ansätzen heraus verfolgt. Aus ontologischer
Utopie«, wie auch Liane Pluto zusammenfassend formu-            Perspektive haben sich einige Studien mit der Frage be-
liert: »Viele empirische Studien zeigen, dass der fachlich      schäftigt, inwiefern Kinder und Jugendliche überhaupt in
und gesetzlich verankerte Partizipationsanspruch noch           der Lage sind, sich zu beteiligen (Youf 2004). Dominique
nicht realisiert ist« (Pluto 2008: 196).2                       Youf (2004), der sich für die Entwicklung der Konzeption
     Trotz der erhöhten Forschungsaktivitäten besteht vor       von Kindern in der Philosophie interessiert, macht darauf
allem Klärungsbedarf bezogen auf Herausforderungen              aufmerksam, dass es von besonderer Bedeutung im Be-
und Möglichkeiten in der Umsetzung von Partizipation,           teiligungsprozess im Kinderschutz ist, auf die Gleichheit,
auch in Fällen von Kindeswohlgefährdung. Das Thema              aber auch auf die Verschiedenheit der Kinder zu achten.
ist generell von Belang, zumal im Rahmen des Projektes          Aus ethischer Perspektive wurde gefragt, ob Kinder und
»Aus Fehlern lernen – Qualitätsmanagement im Kinder-            Jugendliche nicht nur im Hilfeprozess sondern auch in
schutz« von Bedeutung, geht es doch nicht zuletzt auch          der Forschung beteiligt werden sollten. Emma William-
darum, Beteiligung als Grundprinzip guter Kinderschutz-         son, Trudy Goodenough, Julie Kent und Richard Ashcroft
praxis zu erforschen und zu stärken.                            (2005) haben sich z. B. für die Grenzen von Vertraulich-

2   Wolff, S. (1983) hat allerdings zu Recht darauf hingewiesen, dass andererseits Forscherinnen und Forscher nie erwar-
    ten können, theoretisch entwickelte Konzeptionen in der Praxis bloß »umgesetzt« vorzufinden. Eher müsse es mit S.
    Wolff darum gehen, zu erforschen, wie Praktikerinnen und Praktiker ihre Praxis immer wieder neu hervorbringen, wie
    sie z. B. »Fürsorglichkeit« produzieren (vgl. ebd.). Analog könnte nach (Ko-)Produktionen von Partizipation im Kinder-
    schutz gefragt werden.
22   EIN BLICK AUF DIE FORSCHUNG: KINDER UND JUGENDLICHE IM KINDERSCHUTZ

     keit beim Forschen mit Kindern in Gefährdungssituati-        •   Informationen über sich selbst zu geben und Vereinba-
     onen interessiert. Alderson (1995) hat in der Auseinan-          rungen zu treffen, die die Wahrung bzw. Einschränkung
     dersetzung zum Thema eine Liste von Fragen entwickelt,           der Vertraulichkeit berühren,
     die beim Forschen mit Kindern beachtet werden sollten:       •   eine Methode der Kommunikation zu nutzen, die dem
     »What is the purpose of the research? What are the costs         Kind bekannt ist und auf nonverbale Kommunikation
     and benefits for children? What are the privacy and confi-       des Kindes zu achten,
     dentiality issues? What are the involvements of the child-   •   genau zu fragen und dem Kind direkte Fragen zu stel-
     ren in planning the research? Did the children consent to        len,
     being involved in the research? What was the impact of       •   die erweiterte Familie, Freunde und das soziale Um-
     the research upon the children?«                                 feld in die Verantwortung zu nehmen und das Kind zu
          In methodischer Hinsicht wurde gefragt, wie, unter          fragen, wer ihm in der Familie am wichtigsten ist bzw.
     welchen Bedingungen und in welchem Rahmen, mit wel-              wem es sich am nächsten fühlt,
     chen kreativen Methoden und mit welcher Haltung Par-         •   sich in der Rolle eher weg von einem überprüfenden hin
     tizipation im Hilfesystem sowie in der Forschung ermög-          zu einem mehr therapeutischen Verständnis zu bewegen
     licht werden kann. Für Hilfe- wie Forschungsprozesse             und eröffnete Themen sorgfältig vor Beendigung der
     wird demnach von den Forscherinnen und Forschern                 Sitzung wieder zu schließen.
     empfohlen, Kindern und Jugendlichen mit kommuni-
     kativer Transparenz, mit Sensibilität, Empathie, Respekt,    Partizipation von Kindern und Jugendlichen wurde mit
     und Ehrlichkeit zu begegnen (u. a. Thomas 2005).             den Ansätzen quantitativer (u. a. Stötzel/Fegert 2005) und
          Für den Prozess der Bewertung einer Kindeswohl-         qualitativer (u. a. Abels-Eber 2010) Forschung bearbeitet.
     gefährdung wird empfohlen, Kinder und Jugendliche in         Die Fragerichtungen unterscheiden sich dabei ebenso wie
     adäquater Weise über den Prozess zu informieren, ihre        die Forschungsfelder: Einige Studien befassen sich damit,
     Fragen zu beantworten, auch auf nonverbale Kommu-            wie Fachkräfte die Partizipation von Kindern betrachten
     nikation zu achten, kreative Methoden zu nutzen (wie z.      (u. a. Healy/Darlington 2009). Andere untersuchen die
     B. Spielen und Malen, Raum und Zeit zu schaffen, damit       Perspektive der Kinder und Jugendlichen (u. a. Lesson
     das Kind sich seine eigene Meinung bilden kann) sowie        2007). Interessant sind auch die Studien, die versuchen,
     auch Möglichkeiten zuzulassen, dass das Kind auf »un-        beide Perspektiven in den Dialog zu bringen (u. a. Potin
     orthodoxe Weise« seine Meinung äußert, z. B. nicht allein    2010). Gruppiert unter den drei genannten Fragerichtun-
     im Büro, sondern auf einem Spaziergang. Dabei soll man       gen wollen wir im Folgenden einige Studien diskutieren.
     flexibel mit dem Kind umgehen und im Prozess der Be-
     teiligung an alltägliche Aktivitäten des Kindes anknüpfen
     (vgl. Archard/Skiveness 2009). Die partizipierenden Kin-     DIE SICHT DER FACHKRÄFTE
     der müssen verfolgen können, wie Entscheidungen ge-
     troffen wurden, und welche Rolle ihre eigene Meinung im      Die Sicht der Fachkraft auf das Thema der Partizipation
     Prozess der Entscheidungsfindung spielt (u. a. Archard/      kann durch verschiedene Methoden erforscht werden.
     Skiveness 2009). Ähnlich empfiehlt Anne Bannister            Üblich ist die Verwendung von Fragebögen, qualitati-
     (2001: 131) in »Entering the child’s world: communicating    ven Interviews oder auch von Aktenanalysen. Studien,
     with children to assess their needs« für vertrauliche Ge-    in denen Akten aus Kinderschutzprozessen als zentrales
     spräche mit Kindern:                                         Material von den Forscherinnen und Forschern genutzt
                                                                  wurden, zeigen, dass Kinder oft eher als Opfer von Miss-
     •   Einen Rahmen zu bilden, in dem das Kind Vertrauen        handlungen (»the child at risk«) oder als Objekte mit
         gewinnt, sich verstanden und akzeptiert fühlt,           Bedürfnissen (»the child in needs«) konzipiert (vgl. etwa
     •   einen sicheren Raum zu schaffen, in dem das Kind sich    Kemshall 2002; Winter 2006; Alderson 2004) und weni-
         ausdrücken kann,                                         ger als Akteurinnen und Akteure in den Hilfen gesehen
     •   deutlich zu machen, dass die Stimme des Kindes gehört    werden. Jan Mason und Annette Michaux (2005: 5) stel-
         und seine Sicht berücksichtigt wird,                     len in ihrer Aktenanalyse fest, dass Kinder von Fachkräf-
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