2 BEITRÄGE ZUR QUALITÄTSENTWICKLUNG IM KINDERSCHUTZ - EXPERTISE
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BEITRÄGE ZUR QUALITÄTSENTWICKLUNG IM KINDERSCHUTZ 2 EXPERTISE Kinder im Kinderschutz Zur Partizipation von Kindern und Jugendlichen im Hilfeprozess – Eine explorative Studie
2 XXXNNNNXXX 1 HEADLINE xx Kapitel Headline xx Kapitel Headline xx Kapitel Headline xx Kapitel Headline xx Kapitel Headline xx Kapitel Headline xx Kapitel Headline xx Kapitel Headline xx Kapitel Headline xx Kapitel Headline xx Kapitel Headline
EXPERTISE BEITRÄGE ZUR QUALITÄTSENTWICKLUNG IM KINDERSCHUTZ Kinder im Kinderschutz Zur Partizipation von Kindern und Jugendlichen im Hilfeprozess – Eine explorative Studie Reinhart Wolff, Uwe Flick, Timo Ackermann, Kay Biesel, Felix Brandhorst, Stefan Heinitz, Mareike Patschke und Pierrine Robin
4 INHALT INHALT HEADLINE VORWORT 6 xx Kapitel Headline xx Kapitel 1 Headline AUSGANGSSITUATION UND ANSPRUCH 8 xx Kapitel Headline 2 DER KONZEPTUELLE RAHMEN 11 xx Kapitel Headline xx Kapitel 3 EIN Headline BLICK AUF DIE FORSCHUNG: KINDER UND JUGENDLICHE IM KINDERSCHUTZ 20 xx Kapitel Headline Die Sicht der Fachkräfte 22 Die Sicht der Kinder und Jugendlichen 24 xx Kapitel Headline der Fachkräfte und der minderjährigen Akteure im Dialog Die Perspektiven 28 xx Kapitel Headline 4 EMPIRISCHE BEFUNDE AUS DER AKTENANALYSE 30 xx Kapitel Headline Forschungsmethodologische Überlegungen 31 Datenmaterial, Fragestellung und Vorgehensweise 32 xx Kapitel Headline Einstieg in die Analyse: Die Akte als »dokumentarische Fallrealität« mit spezifischer Dynamik 33 xx Kapitel Headline von Kinderschutzfällen: Zwischen Die Einschätzung Informationssammlung und Erzeugung »objektiver Anhaltspunkte« 34 Kinder und Jugendliche in den Fallakten: Vom abwesenden Kind zum Idealtypus des Protagonisten 37 Die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen im Kinderschutz: Die Stimme der Akteure 50 Rückblick auf die empirischen Befunde 55
5 5 ERSTE HINWEISE FÜR DIE PRAXIS ZUR BESSEREN EINBEZIEHUNG VON KINDERN UND JUGENDLICHEN IN DER KINDERSCHUTZARBEIT 58 6 ANREGUNGEN FÜR WEITERE FORSCHUNGEN 63 Konzeptuelle Schwerpunkte der Erforschung von Partizipationsmöglichkeiten misshandelter und vernachlässigter Kinder und Jugendlicher 64 Eine zweistufige Forschungsstudie »Partizipation von Kindern und Jugendlichen im Kinderschutz – eine empirische Prozess- und Evaluationsuntersuchung« (Konzeptskizze) 66 7 LITERATUR 68
6 XXXNNNNXXX VORWORT
7 Das vom Bundesministerium für Familie, Senioren, des Hilfeprozesses Berücksichtigung finden und einflie- Frauen und Jugend geförderte Nationale Zentrum Frühe ßen. Es handelt sich dabei um eine explorative Studie, Hilfen (NZFH) hat 2008 im Rahmen eines Beschlusses auf Basis einer ausschnitthaften empirischen Analyse von der Regierungschefs der Länder und der Bundeskanzlerin zehn Kinderschutzakten aus fünf der sechs Kommunen die Aufgabe erhalten, eine »Plattform für den regelhaften mit Forschungsschwerpunkt. Die Autorinnen und Auto- Erfahrungsaustausch zu problematisch verlaufenen Kin- ren der Studie plädieren für eine stärkere Partizipation derschutzfällen« einzurichten. von Kindern und Jugendlichen im Kinderschutz. Diese Aufgabe entstand damals im Kontext öffentlich gewordener, besonders gravierender Fälle von Kindstö- Nationales Zentrum Frühe Hilfen tungen durch Vernachlässigung und Misshandlung. Ke- vin, Lea Sophie und Jessica sind die Namen der Kinder, deren Tod zu einer intensiven Kinderschutzdebatte in Deutschland geführt hat. Bei der Beschäftigung mit diesem Bereich wurde deutlich, wie vielschichtig dieses Thema ist und dass es ei- ner sehr sorgfältigen Analyse bedarf, um nicht vorschnell zu Ergebnissen zu kommen, die dem Fallgeschehen und den am Kinderschutz Beteiligten nicht gerecht werden. Es wurde auch deutlich, dass die Analyse von problematisch verlaufenen Kinderschutzfällen hilft, aus ihnen für die Zukunft zu lernen, wenn die Ergebnisse für eine qualita- tive Weiterentwicklung des Kinderschutzsystems genutzt werden. Daher wurde ein Forschungsprojekt »Lernen aus Fehlern« öffentlich ausgeschrieben und schließlich an den Kronberger Kreis für Qualitätsentwicklung e.V. und die Alice Salomon Hochschule Berlin vergeben. Deren Konzept eines mehrseitig dialogisch geführten Prozesses der Qualitätsentwicklung erfüllte den Anspruch, den un- terschiedlichen Dimensionen bei der Analyse von schwie- rigen Kinderschutzverläufen gerecht zu werden. Mehrsei- tig und dialogisch meint hier, die Perspektiven aller an dem Prozess beteiligten Akteure aufzunehmen und sie in einen Dialog zu bringen. Dazu gehören die an den Fällen beteiligten Fachkräfte und die Eltern, aber auch die Kin- der selber. Mit 42 Kommunen wurden Qualitätsentwick- lungswerkstätten durchgeführt und intensiv an ihren Kinderschutzsystemen bzw. an konkreten Fällen gearbei- tet. Auch die Eltern, die Adressatinnen und Adressaten der Kinder- und Jugendhilfe, waren Teil dieser Werkstät- ten und haben ihren Blickwinkel eingebracht. Zusätzlich wurden sechs beteiligte Kommunen qualitativ beforscht. Die vorliegende Publikation ist ein Ergebnis dieses Projektes, bei der die Perspektive der betroffenen Kinder im Fokus steht. Es wurde der Frage nachgegangen, inwie- weit ihre Bedürfnisse und Wünsche bei der Gestaltung
8 XXXNNNNXXX 1 AUSGANGSSITUATION UND ANSPRUCH
1 9 Im Kinderschutz geht es um Kinder, um ihren Schutz und ment im Kinderschutz« standen Kinder und Jugendliche um die Förderung ihrer Entwicklung. Diesem Satz werden zunächst nicht im Mittelpunkt unseres Interesses. Aber die meisten zustimmen. Umso merkwürdiger ist es, dass im Laufe des ersten Jahres wurde uns, nicht zuletzt in der wir in der inzwischen mehr als 150-jährigen Geschichte Begegnung mit Fachkräften aus der kommunalen Kin- des modernen Kinderschutzes kaum etwas darüber wis- derschutzpraxis klar, wie wichtig das Thema »Partizipa- sen, wie Kinder und Jugendliche die Bemühungen von tion von Kindern und Jugendlichen im Kinderschutz« ist Kinderschutzeinrichtungen und -fachkräften, wie sie Ein- und wir waren froh, die Chance nutzen zu können, unter griffe in ihre Lebenszusammenhänge und die Hilfe- und Einbeziehung internationaler Erfahrungen vor allem aus Unterstützungsprozesse erleben. So sehr es historisch im- Frankreich und England, uns den Kindern und Jugendli- mer wieder um »Kinderrettung« aus Gefahr und Gefähr- chen im Kinderschutz in einer explorativen Studie zuzu- dung, um »child saving and rescue« (Nelson 1984; Costin wenden und die damit verbundenen Probleme vertiefend u. a. 1996; Platt 1972; Parton 1985), um die Rettung des zu bearbeiten. Dabei spielten die folgenden Überlegun- Kindes als Opfer von Misshandlung und Vernachlässigung gen eine Rolle: ging, waren Kinder als Prozessbeteiligte, als Akteure im • Mit der neuen Debatte um die Frühen Hilfen gibt es Kinderschutz kaum präsent. Dies änderte sich auch nicht, ein gesteigertes Interesse, Partizipation in dem Sinne als mit der Neuentdeckung von Kindesmisshandlung und zu stärken, dass auf den Aufbau von Zugängen gesetzt -vernachlässigung in den 1970er Jahren international eine wird, die auch von Kindern und Jugendlichen selbst umfangreiche Kinderschutzforschung in Gang kam. Nur gewählt und genutzt werden können. vereinzelt wurde explizit nach dem misshandelten Kind, • Partizipation gilt mit Recht in der Kinder- und Jugend- seiner Entwicklung und Behandlung gefragt (vgl. insbe- hilfe als Qualitäts- und Wirkfaktor und es besteht auch sondere den Beitrag aus dem damals von Henry Kempe im Kinderschutz die Hoffnung, dass durch partizipa- geleiteten National Center for Prevention and Treatment tive Ansätze eine bessere Zielwirksamkeit (ein besse- of Child Abuse and Neglect in Denver, Colorado: Martin rer Outcome) erreicht wird (ISA 2010; Holland 2006). 1976). Allerdings wurde bereits am Anfang der »neuen« • Allerdings stellen die Fragen von Partizipation und Kinderschutzbewegung in Deutschland beim Aufbau der von Kinderrechten eine Herausforderung für den Kinderschutz-Zentren darauf hingewiesen, dass überra- Kinderschutz ebenso wie für die Soziale Arbeit über- schenderweise viele Helfer mit Verleugnung und Abwehr haupt dar (Krappmann 2006), entsteht doch insbe- auf das misshandelte Kind reagieren würden, und man sondere in Fällen von Kindeswohlgefährdung unaus- stellte kritisch fest: »Obwohl es seit zwanzig Jahren eine weichlich ein Spannungsfeld zwischen Gefährdung explizite Mißhandlungsforschung gibt, ist die Frage nach (Vulnerabilität) und Selbstbestimmungsrecht (Au- dem mißhandelten Kind selbst weitgehend ausgeklam- tonomie) des Kindes. Die Professionellen sind daher mert worden. Auch die Arbeit spezieller Kinderschutzein- immer wieder gefordert, zwischen der Minimierung richtungen konzentriert sich oft auf die Arbeit mit Eltern von Risiken durch stellvertretendes Handeln und der und Familie. Die Kinder werden immer wieder vergessen Hilfeprozessoptimierung durch die Ermöglichung und übersehen« (Behme/Schmude 1983: 9). umfassender Partizipation zu balancieren (Healey/ Im Feld der Kinder- und Jugendhilfe überhaupt und Darlington 2009); und dabei zeigt sich: Auch das insbesondere im Kinderschutz begann man allerdings in Nicht-Einbeziehen von Fallbeteiligten selbst kann zu den letzten Jahren, sich stärker für Kinder und Jugendli- weiteren Risiken führen (Barreyre 2009). che als Akteure im Kinderschutz, mit ihren besonderen • Schließlich können Qualität und Fehler im Kinder- Interessen und Erfahrungen zu interessieren, was aktuell schutz nur mehrseitig und dialogisch bestimmt wer- in England sogar zu einer Refokussierung des Interesses den; die Perspektive der Adressatinnen/Adressaten, auf »die Reise des Kindes« im Kinderschutzprozess – the der Hilfeteilnehmerinnen und -teilnehmer – und child’s journey from needing to receiving the right help« insbesondere der Kinder und Jugendlichen – ist dazu (vgl. Munro 2011) geführt hat. unerlässlich (vgl. Wolff, R. 2006), dies auch gerade Auch in unserem Forschungs- und Qualitätsentwick- angesichts der aktuellen Debatten um Qualitätsstan- lungsprojekt »Aus Fehlern lernen – Qualitätsmanage- dards im Kinderschutz.
10 AUSGANGSSITUATION UND ANSPRUCH Vor dem Hintergrund der damit angedeuteten Problema- tik ist der Anspruch der vorliegenden explorativen Stu- die, für eine neue Aufmerksamkeit gegenüber Kindern und Jugendlichen im Kinderschutz zu plädieren, einen theoretischen Rahmen für weitere Forschungen und Praxisinnovationen zu entwerfen, einen Blick auf den internationalen Forschungsstand zu werfen und anhand einer qualitativen Analyse eines Ausschnittes unseres For- schungsmaterials erste Antworten auf die Frage zu geben, welche Rolle Kinder aktuell im Kinderschutz spielen. Da- bei leitet uns das Interesse, die Auseinandersetzung um die Partizipation von Kindern und Jugendlichen im Kin- derschutz zu vertiefen: Zunächst umreißen wir also (im 2. Kapitel) den konzeptuellen Rahmen von Partizipation. Im nächsten Schritt bilanzieren wir (im 3. Kapitel) neuere Forschungsergebnisse zur Partizipation von Minderjähri- gen im Kinderschutz und dies mit Blick auf französisch-, englisch- und deutschsprachige Debatten. Schließlich wollen wir (im 4. Kapitel) die Analyse des umfangreichen empirischen Materials des Forschungsprojekts »Aus Feh- lern lernen – Qualitätsmanagement im Kinderschutz«, insbesondere unter Nutzung ausgewählter Fallakten mit folgender Fragestellung vorantreiben: Wie werden Kin- der und Jugendliche thematisiert, gesehen und beteiligt? Insgesamt werden dazu zehn Fallakten analysiert. Die Ak- tenanalyse ist die Grundlage für unsere empirischen Be- funde. Die Literaturrecherche und die empirische Analyse bilden zwei Achsen auf deren Basis wir (im 5. Kapitel) Vorschläge für die Umsetzung der Partizipation von Kin- dern und Jugendlichen in der Praxis entwickeln, um dann am Schluss (im 6. Kapitel) den Bericht mit forschungsstra- tegischen Empfehlungen abzuschließen.
11 2 DER KONZEPTUELLE RAHMEN
12 DER KONZEPTUELLE RAHMEN In der internationalen Fachdebatte, vor allem im englisch- Anschluss an die Agency-Debatte mit dem Konzept des sprachigen, aber auch im französisch- und deutschspra- Kindes als Agent beschäftigen. chigen Raum, ist die Partizipation von Kindern und Ju- Insgesamt haben nicht zuletzt die Kinderrechtsbewe- gendlichen im Feld der Kinder- und Jugendhilfe zu einem gung, aber auch die Ansätze der neueren Kindheits-, Nut- wichtigen Thema geworden. In der Kinderschutzarbeit zerinnen- und Nutzer- bzw. Adressatinnen- und Adressa- ist die Partizipation von Kindern und Jugendlichen bis- tenforschung, dazu beigetragen, dass die Beteiligung von lang jedoch nur in geringem Maße thematisiert worden, Kindern und Jugendlichen in der Kinder- und Jugendhil- wenngleich in neueren Publikationen darauf Wert gelegt fe in den letzten Jahren zu einem wichtigeren Thema der wird, die Stimme des Kindes, »the voice of the child«, zu Fachdiskurse wurde und dass nun auch die Partizipation hören, was sogar als ein wichtiger Grundsatz effektiver von Kindern und Jugendlichen im Kinderschutz zur Dis- Kinderschutzarbeit herausgestellt wird (Munro 2008, kussion steht. 2011). Gleichzeitig scheint es kaum »einen anderen in- haltlichen Ansatz moderner Hilfearbeit zu geben, der auf so viel Skepsis, Ignoranz oder sogar Abwehr trifft« (Krau- THEORETISCHE ASPEKTE: se 2008: 201). VON DEN ADRESSATINNEN Nichtsdestotrotz wird in der Fachliteratur empfoh- UND ADRESSATEN ZU DEN len, Kinder und Jugendliche vermehrt in den Blick zu AKTEURINNEN UND AKTEUREN nehmen und Strategien der Beteiligung zu entwickeln, um die Qualität in der Kinderschutzarbeit zu erhöhen. In den Diskursen über die Qualität Sozialer Dienstleis- Programmatisch halten Bob Lonne, Nigel Parton, Jane tungen ist in den vergangenen Jahrzehnten aus unter- Thomson und Maria Harries in ihrem Buch »Reforming schiedlichen Perspektiven die Notwendigkeit betont Child Protection« (2009) fest: »When we write of service worden, Sichtweisen von Adressatinnen und Adressaten users we must begin with children and young people in bzw. von Kindern und Jugendlichen ernst zu nehmen the child protection system. In many other contexts of (vgl. z. B. Oelerich/Schaarschuch 2005). Im Mittelpunkt their lives, the issues of parents and other family mem- der Debatte steht die Orientierung an den konkreten Le- bers themselves are central. However, when we are con- benssituationen der Adressatinnen und Adressaten. Im sidering child protection, the focus must be the children Rahmen der Adressatinnen- und Adressatenforschung and young people for whom these services exist, and care wurden Konzepte und Ansätze wie Lebensweltorientie- work is done« (ebd.: 78). Kinder und Jugendliche werden rung, Lebensbewältigung, Subjektorientierung und nicht in dieser Perspektive als »Stakeholder« gesehen, die einen zuletzt einer dienstleistungsorientierten Sozialen Arbeit wichtigen Beitrag zum Misslingen bzw. Gelingen der Hil- weitergetragen und -entwickelt. Die Adressatinnen- und fe leisten. Im deutschsprachigen Bereich beschäftigte sich Adressatenforschung bezieht sich dabei nicht zuletzt auf zuletzt Marius Metzger (2010) mit der Frage, wie Kinder biografieorientierte Ansätze, die nach biografischen Er- in Kinderschutzmaßnahmen zu stärken wären, während fahrungen von Adressatinnen und Adressaten fragen, Manfred Liebel (2009) sich grundsätzlicher in diesem aber auch das Zusammenspiel mit den Angeboten Sozia- Zusammenhang für die Konzeption des Kindes als Pro- ler Dienste erforschen (vgl. z. B. Rätz-Heinisch 2005). tagonist interessiert. Eine Reihe weiterer Autorinnen und Autoren nutzten Das Kind als Agent wird mit Blick auf die internati- in den letzten Jahren biografieanalytische Ansätze, um die onale Debatte und angesichts des Diskurses um Agency Wirksamkeit erzieherischer Hilfen aus dem Blickwinkel sogar zu einem übergreifenden Thema (vgl. Prout 1997, der Adressatinnen/Adressaten zu beforschen (vgl. etwa: 1998), einem »running theme« z. B. in der Sozialpolitik Gehres 1997; Lambers 1996; Normann 2003). In ihren (vgl. vor allem das UK Government Green Paper »Every Studien rekonstruieren die Autorinnen und Autoren die Child Matters« 2003). Aber auch in der Forschung stößt Erfahrungen der Adressatinnen und Adressaten sowie die das Thema zunehmend auf Interesse, fanden doch z. B. Faktoren, die den Nutzen bzw. positive Effekte der Hilfen im September 2010 und im März 2011 in Amsterdam verstärken (vgl. zur Übersicht Wolf, K. 2007). Nicht nur und Liège internationale Konferenzen statt, die sich im vor diesem Hintergrund erwächst ein verstärktes Inter-
2 13 esse der sich herauskristallisierenden Wirkungsforschung schungsperspektive [liegt aber] auf den tendenziell dazu an der Perspektive der Eltern, Kinder und Jugendlichen in Abhängigkeit stehenden Umgangs- und Erlebenswei- und ihrer Partizipation im Hilfeprozess (vgl. z. B. ebd.). sen der Adressaten« (Oelerich/Schaarschuch 2005: 16). Tragendes Argument in der Debatte ist dabei die Qua- Die neuere Dienstleistungstheorie hat den Versuch litätssicherung sozialer Dienstleistungen, auch im Sinne unternommen, passivierenden Konstruktionen von Ad- von Effektivität und Effizienz. Die Forscherinnen und ressatinnen und Adressaten, z. B. als »Betroffene«, den Forscher z. B. des Instituts für soziale Arbeit e.V. (ISA) Begriff der Nutzerinnen bzw. Nutzer gegenüberzustellen identifizieren interessanterweise das Partizipationsemp- (vgl. Oelerich/Schaarschuch 2005). Mit ihm wird davon finden der Adressatinnen und Adressaten als zentralen ausgegangen, dass Menschen, die Hilfeleistungen in An- Wirkfaktor in der Kinder- und Jugendhilfe (vgl. ebd. spruch nehmen bzw. zu Adressatinnen und Adressaten 2010: 155)1, was das Ansinnen, die Partizipationspraxis Sozialer Dienstleistungsorganisationen werden, immer im Kinderschutz zu untersuchen, nur stützt. Ko-Produzenten einer Hilfe sind. Die Fachkräfte bringen Die Adressatinnen- und Adressatenforschung fragt demnach, im Rahmen organisationaler und gesellschaft- ebenfalls nach Wirkfaktoren, versucht sie aber eher im licher Kontexte, gemeinsam mit ihren »Klientinnen und Verhältnis von Hilfeangeboten und Biografien bzw. Klienten« immer wieder neue Praxissituationen hervor. durch die Rekonstruktion der subjektiven Perspektiven Mehr noch wird davon ausgegangen, dass die Nutzerin- auf Soziale Dienste zu erforschen: »Das Ziel der Adressa- nen und Nutzer individuelle Strategien zur Nutzung der tenforschung besteht in der Rekonstruktion von Selbstbe- Dienstleistungsangebote entwickeln. Letzteres beinhaltet deutungen, subjektiven Erfahrungen und biographischen programmatisch vorgesehene Nutzungsstrategien ebenso Verläufen von Adressaten im Kontext institutioneller wie solche, die von den Organisationen zunächst nicht Settings« (Oelerich/Schaarschuch 2005: 16). Das Inter- vorgesehen sind und die von den Fachkräften mitun- esse richtet sich auf die empirische Verfasstheit der ter als »Hintergehen« oder »Ausnutzen« professioneller Lebenswelten und Lebenskontexte, auf die Selbstkon- Strukturen (miss)verstanden werden. Die Konzeption zepte, Deutungen, Wahrnehmungsmuster, die Problem- der Nutzerinnen bzw. Nutzer grenzt sich insofern von lagen und Ressourcen derjenigen, die zu Adressatinnen der der Adressatinnen bzw. Adressaten ab, als hier Klien- und Adressaten Sozialer Arbeit geworden sind. Ziel da- tinnen und Klienten nicht nur als adressierte sondern als bei ist es, die Qualität der Hilfe zu optimieren, auch im produzierende, mitwirkende Personen verstanden wer- programmatischen Interesse der hilfeleistenden Insti- den. Inwieweit es Dienstleistungsorganisationen gelingt, tutionen: »Das damit verbundene Erkenntnisinteresse Nutzerinnen und Nutzer dabei Möglichkeiten zum Ge- besteht in dem Verstehen adressatenseitiger Lebenssitu- brauch von Dienstleistungsangeboten zu schaffen, wird ationen zur Optimierung professionellen sozialpädagogi- dabei zum Prüfstein der Legitimation professioneller So- schen Handelns und sozialpädagogischer Arrangements« zialer Arbeit (vgl. Oelerich/Schaarschuch 2005). (Oelerich/Schaarschuch 2005: 16). Mit dem Konzept des Akteurs werden in ähnlicher Übersehen wird in dieser Forschungsperspektive Weise Kinder und Jugendliche nicht länger als Adressa- mitunter, dass Kinder und Jugendliche nicht nur durch tinnen und Adressaten von Hilfeleistung konzeptioniert, Hilfeprozesse und -settings beeinflusst werden, sondern sondern als aktive Subjekte ihres eigenen Lebens gesehen, Minderjährige selbst auch diese Settings und Prozesse be- die auch Hilfekontexte aktiv mitgestalten können. Dieser einflussen und verändern können (vgl. kritisch Uprichard Ansatz kann durchaus »als Reaktion auf die Verkürzun- 2010). Zwar werden die Adressatinnen und Adressaten gen und Stigmatisierungen der Selbstdeutungen der Ad- »als Subjekte verstanden […], die mit den Bedingungen ressatinnen und Adressaten sowie auf die unzureichende der Hilfen aktiv umgehen, […] der Akzent dieser For- Berücksichtigung der sozialen und bürgerschaftlichen 1 Die Forscherinnen und Forscher stellen heraus, dass ein erhöhtes Partizipationsempfinden von Kindern nicht nur mit einer guten Arbeitsbeziehung, sondern auch mit einem gestärkten »Capabilities-Set« positiv korreliert (vgl. ISA 2010: 148, 155). Zum Bedeutung des Begriff der Capabilities für die Erziehungswissenschaften: (vgl. Otto/Ziegler 2008a und 2008b).
14 DER KONZEPTUELLE RAHMEN Rechte und Umweltbezüge in den sozialen Diensten ver- Der Begriff der agency bzw. der childhood agency (Prout/ standen werden« (Homfeld/Schroer/Schweppe 2008: 7 f.). James 1990), der eng mit der soziologischen Kindheits- Mit dem Konzept der Agency fokussieren die Beiträge auf forschung verbunden ist (s. einführend: Hurrelmann/ Lebensweltbewältigung (vgl. Böhnisch 2008) und Hand- Bründel 2003), stößt sich allerdings mit den Konzepti- lungsmächtigkeit der Akteurinnen und Akteure in ihrem onalisierungen traditioneller Sozialpädagogik. Die neu- sozialen Umfeld. Agency lässt sich mit Dorothy Holland ere Kindheitsforschung möchte nämlich einen Gegen- fassen als »realized capacity of people to act upon their entwurf zu gängigen wissenschaftlichen Auffassungen world and not only to know about or give personal inter- von Kindheit bieten, die Kindheit als Durchgangs- oder subjective significance to it. That capacity is the power of Vorbereitungsstadium auf dem Weg ins Erwachsenalter people to act purposively and reflectively, in more or less betrachten und in der Kinder als vulnerable Objekte der complex interrelationships with one another, to reiterate Sorge von Erwachsenen aufgefasst werden. Kinder wer- and remake the world in which they live, circumstances den hier und im Rahmen eines interaktionistisch ge- where they may consider different courses of action pos- prägten Theorierahmens als soziale Akteure verstanden. sible and desirable« (Holland 1998: 42). Der Akteur ist in Kinder sind demnach sowohl an der Herstellung ihrer je diesem Sinne das Individuum, das »mehr oder weniger konkreten sozialen Umgebung als auch an »der Produkti- bewusst und reflexiv auf sich selbst und ihre (seine) Um- on von ‚Kindheit‘ als sozialem Phänomen aktiv beteiligt« gebung Einfluss nehmen kann« (Raithelhuber 2008: 17). (Prout/James 1990: 8). In diesem akteurstheoretischen Rahmen werden Par- In seinem Beitrag »Agency und generationale Dif- tizipationsmöglichkeiten und Erbringungsleistungen im ferenz. Einige Implikationen der Kindheitsforschung Zusammenhang mit Organisationen und Verfahren kri- für die Sozialpädagogik« beschäftigt sich Florian Esser tisch betrachtet: »Dabei richtet sich die Analyse nicht nur (2008) mit der Frage, wie es möglich sein könnte, »den auf die Bewältigung individueller Herausforderungen, kritischen Impetus der neuen sozialwissenschaftlichen sondern auch auf die strukturelle, organisationale und Kindheitsforschung aufzunehmen, ohne sich einer sozi- rechtliche Rahmung von Handlungsspielräumen und alpädagogischen Perspektive zu entledigen« (ebd.: 133). -beschränkungen« (vgl. Homfeldt/Schröer/Schweppe Das Bestreben, Kinder mit ihren Bedürfnissen stärker 2006: 8). Im Fokus der Forschung steht darum die Frage in den Blick zu rücken, ist zwar im wissenschaftlichen nach der »Stärkung der Handlungsmächtigkeit des Ak- Diskurs nicht neu, es hat aber gleichwohl noch immer teurs, der in der Lage sein sollte, bis zu einem gewissen erneuerndes Potential: »Eine sozialpädagogische Orien- Umfang Kontrolle über seine sozialen Beziehungen zu tierung auch an den gegenwärtigen Lebensbedingungen gewinnen, was wiederum impliziert, seine Beziehung in von Kindern um derer selbst Willen und die Etablierung gewissem Umfang zu transformieren« (Sewell 1992: 20). einer Akteursperspektive führen hingegen zu einem al- Amartya Sen (2000) hat darauf aufmerksam gemacht, ternativen Verständnis von Professionalität« (Esser 2008: dass die Akteure mit äußerst ungleichen Bedingungen 135-136). konfrontiert sind. Die zentrale Komponente zur Über- Die theoretische Rückbindung solcher sozialpäda- windung des Mangels an Verwirklichungschancen ist gogischer Erwägungen an die neue Kindheitsforschung mit Sen gesprochen (2000: 21) nicht nur die Freiheit zur kann erstens dazu beitragen, eine interdisziplinäre Kind- Teilhabe am wirtschaftlichen Reichtum, sondern auch an heitsforschung zu etablieren (Lange 2006: 92). Zweitens Bildung, Ausbildung, Gesundheit und Kultur. Dabei geht bietet die soziologische Diskussion zu agency und struc- Sen von fünf Formen der Freiheit aus, die die Entfaltung ture einen differenzierten wissenschaftstheoretischen von menschlichen Fähigkeiten und gesellschaftlichen Hintergrund, vor dem die verschiedenen ’kindzentrierten Möglichkeiten (capabilities) fördern: politische Freiheit, Ansätze‘ auf ihre häufig impliziten normativen Hinter- ökonomische Vorteile, soziale Chancen, Garantien für grundannahmen hin überprüft werden können: »Denn Transparenz und soziale Sicherung. Insofern ist persönli- so eindeutig die kritische Stoßrichtung des agency-Be- che Agency nur angesichts von »Machtdifferenz und kol- griffs im hier verhandelten Kontext gegenüber eher teleo- lektiven Widerständen sowie Kämpfen zu fassen« (Hom- logischen bzw. funktionalen Verständnissen von Kindern feld/Schroer/Schweppe 2008: 9). und Kindheit auch sein mag, so heterogen erweist sich
2 15 dessen theoretische Konzeptuierung und Anwendung en und Handlungen bezeichnet, durch die Bürgerinnen in der Forschungspraxis« (Esser 2008:136). Die Gefahr und Bürger Einfluss auf politische Entscheidungen und dieser Ansätze besteht nämlich darin, Kindern eine quasi Macht in der parlamentarischen Demokratie nehmen. »urwüchsige Kraft« zuzuschreiben, agency und Selbst- Unter Teilhabe wird in diesem Sinne »die Art und Weise ständigkeit der Kinder zu ontologisieren und dabei die verstanden, in der Menschen Zugang zu den Prozessen, verschiedenen Lebenssituationen von Kindern und Ju- Institutionen und Leistungen einer bestimmten Gesell- gendlichen mit ihren Konfliktfeldern zu missachten. Mit schaft haben. In diesem Sinne wird auch von einem Kon- der Fokussierung auf die Handlungsfähigkeit der Kinder tinuum oder Spannungsfeld zwischen sozialer Inklusion läuft die Forschung Gefahr, im Zuge einer Romantisie- und Exklusion gesprochen« (Liebel 2009: 480). Diese rung der Kindheit, Kinder als handlungstätige, eigenwilli- Denktradition sieht Partizipation weniger als Vorausset- ge Noch-Nicht-Erwachsene zu naturalisieren (vgl. Baader zung rationaler und legitimer Herrschaft sondern hebt 2004; Krappmann 2002). Partizipation als Modus politischer und sozialer Inte- Ein alternativer Weg wird mit neueren sozialpsycho- gration hervor (Schmidt 2000). Dieser engere Sinn von logischen Forschungen beschritten, die soziale Hand- Partizipation wird als »instrumentell« charakterisiert. Als lungsfähigkeit in konkreten Situationen auch an interak- »normativ« bezeichnete Ansätze dagegen verstehen Parti- tiv und dynamisch hervorgebrachte Kompetenzen bindet zipation nicht nur als Mittel, sondern als Wert an und für (vgl. Grundmann 2006): »Auf diese Weise werden Kinder sich. In dieser Perspektive wird Partizipation nicht nur als als sich entwickelnde Individuen denkbar, ohne dabei Handeln im formalen Sinn sondern als aktives Handeln auf lediglich naturalistische Annahmen zurückgreifen zu verstanden: »Partizipation, Teilnahme oder Beteiligung müssen« (Esser 2008: 138). Mit diesem neuen Impetus bezieht sich auf die Art und Weise, in der Individuen oder müsste es letztendlich auch in der sozialpädagogischen soziale Gruppen ihren freien Willen zum Ausdruck brin- Forschung darum gehen, sich an den gegenwärtigen und gen, Entscheidungen treffen oder Einfluss auf Entschei- zukünftigen Handlungsmöglichkeiten von Kindern und dungen nehmen können« (Liebel 2009: 480). Jugendlichen zu orientieren und ihre Partizipationsmög- Partizipation ist im Rahmen einer breiten gesell- lichkeiten zu erforschen. schaftlichen Modernisierung in den 1970er Jahren zum Gestaltungsprinzip von Institutionen geworden und dies auch im Kontext einer Expertokratie- und Institutionen- KONZEPTUELLER RAHMEN: kritik, der Evaluations- und Steuerungsdebatten, sowie PARTIZIPATION ALS der Diskussionen um eine Demokratisierung der Gesell- VIELFÄLTIGES KONZEPT schaft (vgl. Rosanvallon 2010). Partizipation gilt in dieser Perspektive als Form der Sicherung von demokratischen Partizipation ist zu einem der zentralen Paradigmen der Prozessen und als Weg zu mehr Gleichheit in gegebenen Kinder- und Jugendhilfe geworden. Dennoch lässt sich Machtverhältnissen (Betz/Gaiser/Pluto 2010: 12). Dar- dieses Konzept schwer begreifen und umsetzen. Mit Tan- über hinaus liegt die Hoffnung darin, dass die Instituti- ja Betz, Wolfgang Gaiser und Liane Pluto gesprochen, onen ihre Adaptations- und Überlebensfähigkeit durch liegt die Schwierigkeit »an den Unschärfen, die im Begriff Partizipation der Bürgerinnen und Bürger sichern. »Partizipation« selbst angelegt sind, an seinen Verände- Wie Liane Pluto (2007) zeigen kann, liegt die Schwie- rungen und Erweiterungen in den letzten 50 Jahren, und rigkeit einer eindeutigen begrifflichen Bestimmung auch an der normativen Aufladung des Begriffes Partizipation darin, dass Partizipation in sehr unterschiedlichen Kon- und der jeweils geführten Debatten« (Betz/Gaiser/Pluto texten verwendet wird: Im Bereich der Politik gilt Partizi- 2010: 11). pation seit den 1960er-Jahren als ein Weg zur Sicherung Insofern ist eine semantische Vorüberlegung sinnvoll. der Demokratie und als ein Kriterium der Transparenz Der Begriff der Partizipation hat »seinen Ursprung im und der Gerechtigkeit von Machtsystemen. Letzteres Lateinischen ‚participare’ und meint im wörtlichen Sinne auch angesichts der Gefahr, dass Politikerinnen und Po- Teilnahme und Teilhabe« (Pluto 2007: 17). Ursprünglich litiker, gebunden an die Logiken des politischen Systems, sind mit Partizipation ausschließlich Verfahren, Strategi- sich von den Bedürfnissen und Interessen der Bürgerin-
16 DER KONZEPTUELLE RAHMEN nen und Bürger entfernen. Erneut aufgegriffen wurde das aber auch der Kinderpolitik- und Kinderrechtedebatte Partizipationskonzept aber auch in den Diskussionen um zu sehen, die schließlich in der Kinderrechtskonvention Kommunitarismus, Bürgergesellschaft und Gouvernance/ ihren Ausdruck fand. Dennoch sind das Thema der Par- Gouvernementalität (Bröckling/ Krasmann u. Lemke tizipation und die »Entdeckung« des Kindes nicht ganz 2000). In den 1990er Jahren taucht der Begriff schließlich neu. Reformpädagogische, psychoanalytische, lebens- in der Debatte um die Modernisierung der Verwaltung weltliche und resilienztheoretische Ansätze, aber auch die auf; Bürgerinnen und Bürger hatten nämlich verstärkt den Forschungen zu familialer und parentaler Gewalt haben Eindruck, dass Verwaltungen ihren Interessen nicht mehr Kinder und Jugendliche mit ihren Bedürfnissen immer nachkommen oder diese sogar behindern. Auch innerhalb wieder in das Zentrum sozialpädagogischer und sozialar- der Entwicklungshilfe hat die Partizipationsthematik ei- beiterischer Aufmerksamkeit gerückt. nen hohen Stellenwert, hier insbesondere vor dem Hinter- In der Auseinandersetzung um die Rolle von Kindern grund eines Wandels von paternalistischen Verständnissen als Akteure in der Gesellschaft mit einklagbaren Rechten der Unterstützung hin zu partnerschaftlichen Konzeptua- hat die Debatte freilich neuen Schwung bekommen. Was lisierungen. Dahinter steht auch hier die Erkenntnis, dass als politische Bewegung begann, wird mehr und mehr zu Entwicklungshilfe keine Aussicht auf Erfolg hat, wenn sie einer zentralen pädagogischen Herausforderung (Krapp- nicht gemeinsam mit den Beteiligten und ausgerichtet auf mann 2006). Dies gilt in besonderem Maße in Kinder- die Bedingungen vor Ort entwickelt wird. schutzfällen, sehen sich doch gerade bei Kindeswohlge- Schließlich verbreitet sich auch in der Medizin und fährdungen Fachkräfte in einem Spannungsfeld zwischen der psychosozialen Arbeit die Idee, dass Hilfen nur durch dem stellvertretenden Schutz vor Misshandlungen und Partizipation der Klientinnen und Klienten und Patien- Vernachlässigungen (Begrenzung der Vulnerabilität des tinnen und Patienten effektiv werden können. Ziel ist es Kindes) und der Ermöglichung des Selbstbestimmungs- dabei, Klientinnen und Klienten bzw. Patientinnen und rechts und der Autonomie des Kindes. Die Professionellen Patienten innerhalb eines Expertensystems zu stärken. sind darum aufgefordert, zwischen der Minimierung von Partizipation soll dazu führen, Situationsbewertungen Risiken und der Ermöglichung umfassender Partizipati- im Dialog vorzunehmen und Entscheidungen in Koope- on zu balancieren (Healey/Darlington 2009), wobei auch ration zu treffen. Insofern zielt Partizipation auch auf das Nicht-Einbeziehen von Fallbeteiligten, so möchten Demokratisierung und Empowerment für und mit den wir betonen, neue Risiken produziert (Barreyre 2009). Betroffenen. Das Risiko besteht in einer Verlagerung von Hier stellen sich die größten Herausforderungen für die Verantwortung auf die Patientin / den Patienten und ei- Verwirklichung von Partizipation, die unter anderem in ner Entlastung der Expertinnen und Experten (vgl. Pluto §5 »Wunsch und Wahlrecht« und §36 »Hilfeplanung« 2007), was allerdings auch zu Deprofessionalisierungsef- SGB VIII gesetzlich gefordert wird. Dass Eltern, Kinder fekten führen kann. Dennoch haben die vielfältigen Er- und Jugendliche zu beteiligen sind, wird allerdings auch fahrungen im Bereich der psychosozialen Arbeit und der für den Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung gemäß Medizin ergeben, dass Beteiligung selbst in Grenzsituati- §8a SGB VIII explizit herausgestellt. Die Form der Betei- onen noch gestaltet und gesichert werden kann. Insofern ligung wird laut §8, Absatz 1 SGB VIII an den Entwick- enthalten diese Konzepte und ihre Umsetzungen für die lungsstand von Kindern und Jugendlichen gekoppelt. Auseinandersetzung in der Kinder- und Jugendhilfe ein Letzteres ist nicht unproblematisch, enthält dies doch die hohes Anregungspotential (vgl. ebd.). Möglichkeit, einer Beteiligung auszuweichen, etwa mit In der Kinder- und Jugendhilfe ist Partizipation – dem Verweis auf eine noch nicht genügende Entwicklung seitdem der achte Jugendbericht 1989 die Orientierung des Kindes oder der Jugendlichen: »die Kopplung von Be- an Adressatinnen und Adressaten und ihren Lebenswel- teiligung an den Entwicklungsstand von Kindern und Ju- ten in den Mittelpunkt rückte – zu einem zentralen Pa- gendlichen enthält aber auch das Risiko, dass sie als eine radigma geworden. Die Fokussierung auf Partizipation Möglichkeit der Einschränkung von Beteiligungsrechten ist, wie oben angedeutet, im Kontext einer Veränderung verstanden wird« (Pluto 2007: 36). der Rolle von Kindern in der Gesellschaft, der Entwick- Das Partizipationskonzept trifft im Kinderschutz also lung der sozialwissenschaftlichen Kindheitsforschung, auf ein Handlungsfeld mit besonderen Voraussetzungen,
2 17 insbesondere dem gesetzlich verankerten (und traditio- Gerade angesichts dieser Ausgangssituation ist es wich- nell schon immer paternalistischen oder etatistischen) tig, in Partizipationsprozessen Machtverhältnisse und Schutzauftrag gegenüber Kindern und Jugendlichen. asymmetrische Strukturen nicht nur bezogen auf das Partizipation setzt andererseits selbstbestimmte Positio- Verhältnis von Fachkräften und Nutzerinnen und Nutzer, nen von Kindern und Jugendlichen bzw. das Einräumen sondern auch bezogen auf das Verhältnis von Erwachse- solcher Positionen voraus. Sie werden in der Sozialen nen und Kindern (im Sinne einer Spannung oder sogar Arbeit, im Kinderschutz zumal, aus mehreren Gründen Diskriminierung in Generationsverhältnissen) zu er- jedoch immer wieder eingeschränkt. Vor allem ist die forschen (vgl. Mason 2005). Eine andere wichtige Frage Voraussetzung der Freiwilligkeit in der Kinder- und Ju- betrifft die Möglichkeiten einer gerechteren Verteilung gendhilfe häufig nicht gegeben, werden doch viele Kinder von Macht und Ressourcen. Hierbei liegt auf der Hand, und Jugendliche ebenso wie ihre Eltern zu Nutzerinnen/ dass Fachkräfte und Erwachsene zunächst ihre Macht Nutzern wider Willen. Gleichzeitig spielt bei der Vorstel- nur ungerne teilen, weil sie den Verlust von generationa- lung, eine Person zu beteiligen, zunächst auch immer die len und professionellen Ressourcen befürchten (u. a. Mc Idee eine Rolle, die betreffende Person befände sich frei- Leod 2007, vgl. auch Gil 1998). Dabei wäre es durchaus willig in dieser Situation und könne autonom handeln. denkbar, dass eine umfassende Partizipation nicht not- Ein Grundproblem dabei ist das doppelte Mandat bzw. wendigerweise zu Macht- oder Privilegienverlusten einer das Spannungsfeld zwischen Hilfe und Kontrolle bzw. Partei führen müsste. Im Gegenteil könnten alle Partei- Repression (Bönisch/Lösch 1973, Schone 2008). Ein wei- en Handlungsspielräume und Gewinne für sich erzielen, teres Spannungsfeld besteht darin, dass sich die Program- wenn es zu einer gegenseitigen Ermächtigung kommen me der Kinder- und Jugendhilfe nicht nur an Kinder und würde: »A key question is whether children’s and young Jugendliche, sondern auch an Eltern richten. Die Organi- people’s participation means taking power from adult sationen erzeugen mit ihren Programmen und in dieser (zero sum) or whether both can be empowered (variable doppelten Adressierung komplexe Strukturen, aus denen sum)? What are the conditions that lead either to mutu- heraus Akteurinnen und Akteure mit widersprüchlichen al empowerment or to redistribution of power?« (Davis/ Positionen angesprochen werden. Die Akteurinnen und Edwards 2004: 98). Akteure – Kinder, Jugendliche, Eltern und Fachkräfte – Wenn im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe stehen besonders in Fällen von Kindeswohlgefährdung von Partizipation gesprochen wird, bleibt eine Diskri- oft für gegensätzliche Interessen, Rollenanforderungen minierung von Kindern und Jugendlichen gegenüber und Machtpositionen. Insofern ist Partizipation gerade Erwachsenen zumeist implizit oder explizit enthalten. im Kinderschutz in Machtverhältnissen und asymmet- Denn es wird oftmals davon ausgegangen, dass »für diese rischen Strukturen zu denken: »Die Fachkräfte müssen Altersgruppe(n) spezifische Bedingungen gelten, die sich sich in ihrem fachlichen Handeln auf diese asymmetri- von denen Erwachsener unterscheiden, z. B. alters- oder sche und Konflikte beinhaltende Mehr-Personen-Ebene generationsspezifische Interessen, besondere Verletzlich- einlassen. Gleichzeitig besteht der Auftrag, beide Grup- keit, Schutzbedürftigkeit oder Entwicklungsbedürfnisse« pen zu beteiligen, was zwangsläufig zu Interessenskon- (Liebel 2009: 480). Diese Einschätzung basiert auf einer flikten führen muss« (Pluto 2007: 50ff.). Da das Kind konzeptuellen Trennung von Erwachsenen- und Kin- sich in einer geschwächten Machtposition befindet, ist es der- bzw. Jugendsphäre: »Kindheit und Jugend werden Auftrag der Fachkräfte, das Kind im Beteiligungsprozess nicht als integrale Teile des Gemeinwesens, sondern als zu unterstützen (vgl. Münder 2000). Gleichzeitig müssen Vorstadien und Entwicklungsetappen auf dem Weg zum die Fachkräfte die Interessen der Eltern berücksichtigen, (vermeintlich rational denkenden und handelnden) Er- um auch zu ihnen einen Kontakt zu etablieren und ein wachsenen verstanden« (Liebel 2009:481). Arbeitsbündnis herstellen zu können. Dies stellt eine Partizipation kann insofern das Gewähren eines komplexe Aufgabe für die Fachkräfte dar, zumal sie selbst Rechts durch einen Erwachsenen gegenüber einem Kind gebunden an biografische, organisationale und systemi- bedeuten, ohne dass damit eine Gleichberechtigung in sche Logiken handeln: »Man ist selbst Teil des Ganzen, der Auseinandersetzung der Akteure erreicht werden hat aber die Aufgabe es zu steuern« (Pluto 2007: 52). würde. Auch insofern wird der Partizipationsbegriff im
18 DER KONZEPTUELLE RAHMEN Kinderschutz und in der Kinder- und Jugendhilfe be- »Nicht-Beteiligung« (Manipulation, Fremdbestimmung, nutzt, um sehr verschiedene Situationen zu beschreiben, Alibi-Beteiligung), am oberen Ende stehen Partnerschaft, die sich nach ihrem Fokus, ihrer Natur, ihren Stufen und Selbstbestimmung und Selbstverwaltung (vgl. Hart 1997; ihren Teilnehmerstrukturen unterscheiden lassen (Sinc- Shier 2001; Arnstein in Abeling u.a. 2003; Gernert 1993). lair 2004). Letztendlich kreisen diese Typologien, die die Partizipa- Partizipationsprozesse können sich insbesondere (a) tion von Kindern nach Graden unterscheiden, um das auf private oder öffentliche oder (b) auf individuelle oder Machtverhältnis zwischen Kindern und Erwachsenen; sie kollektive bzw. fallbezogene und fallübergreifende Ent- werden in der Diskussion allerdings zumeist kritisch be- scheidungen beziehen. Die dabei verfolgten Ziele können wertet: »Ihr Wert liegt in der Einfachheit, und sie wurden sehr unterschiedlich sein, sei es, dass es um die gemein- vielfach von Organisationen, die mit Kindern arbeiten, same Bewertung einer Kindeswohlgefährdung (§8a SGB aufgegriffen, um das erreichte Ausmaß an Partizipation VIII) geht, um die dialogische Planung einer Hilfe (§36 zu messen. Ihr Nachteil ist, dass sie statisch sind und we- SGB VIII) oder um die Entwicklung einer passenden der erlauben, das Nebeneinander verschiedener Formen Hilfeleistung. Wenn Partizipation kollektive Entschei- von Partizipation in derselben Initiative noch Übergänge dungen betrifft, könnte sie z. B. auch die Form eines po- von einer Form zur anderen zu erfassen. Die Typologien litischen Plädoyers über Kindesmisshandlung annehmen basieren auf vereinfachenden Dichotomien und werden oder durch die umfassende Beteiligung von gefährdeten der dynamischen Natur und Widersprüchlichkeit von Kindern und Jugendlichen an einem Forschungsprojekt Machtbeziehungen nicht gerecht« (Liebel 2009: 482). verwirklicht werden. Partizipation kann also (a) einzel- In anderen Modellen (vgl. z. B. Treseder 1997) werden ne Gesprächstermine, z. B. einer Hilfekonferenz meinen, verschiedene Elemente des Beteiligungsprozesses – mit- aber auch (b) in Form einer Kinderversammlung z. B. in denken, mitreden, mitplanen, mitentscheiden, mitgestal- einem Heim stattfinden (wie sie per Gesetz vom 2. Janu- ten, mitverantworten – dargestellt. Diese folgen jedoch ar 2002 z. B. in Frankreich durchgeführt werden müssen, keiner Reihenfolge, sondern bezeichnen die wesentlichen vgl. Verdier 2006). Sie lässt sich aber auch vorstellen als Elemente von Partizipationsprozessen: Kommunikation, langfristige oder einmalige Befragung in öffentlichen Planung, Entscheidung, Gestaltung und Übernahme von Räumen (c), wie z. B. im Rahmen der Irish National Verantwortung. Dennoch erfassen auch diese Modelle Children’s Strategy – Our Children Their Lives (2000), in nicht die Komplexität von Machtverhältnissen und die der Kinder im Feld des Kinderschutzes gefragt wurden, verschiedenen situativen und soziokulturellen Kontexte, wie sie ihr Leben im Heim erlebten (vgl. dazu: Pinker- in denen die Partizipation der Kinder verortet ist. ton 2004). Partizipation kann aber auch die Form einer Um verschiedene Intensitäten und Arten von Partizi- Versammlung z. B. im Sinne eines Kinder- und Jugend- pation darzustellen, wird in der Fachliteratur auch zwi- Forums annehmen, wie etwa das Jugend-Forum des schen direkter und indirekter Partizipation unterschieden. SOS Kinderdorfs International im Rahmen des Projekts Von Erwachsenen eingerichtete Partizipationsprozesse »Übergänge im Jugendalter unterscheiden/gestalten«. lassen sich unterscheiden von solchen, die von den Kin- Dennoch geht es im Kinderschutz zumeist eher um faIl- dern selbst hervorgebracht wurden. Hierfür werden auch bezogene Partizipation als um fallübergreifende bzw. die Begriffe »top down«- und »bottom up«-Partizipation politische Partizipation (vgl. Brown 2005); letztere wird gebraucht. Die Frage dabei ist, ob Partizipation genutzt meistens, wenn überhaupt, eher mit Jugendlichen und wird, um Identifikation zu erzeugen und Widerstände weniger mit jüngeren Kindern gestaltet. Besonders Kin- abzubauen bzw. ob mit ihr Veränderungen im Sinne der der in schwierigen Lebenssituationen, mit Behinderun- Kinder und Jugendlichen zugelassen werden. Partizipa- gen oder Migrationshintergrund, sind oft eher von einer tion kann »in einem emanzipatorischen Sinn nur zum Mitsprache ausgeschlossen, als dass man sie beteiligte Zuge kommen, wenn Kinder und Jugendliche die Mög- (vgl. Sinclair 2004, Borland and others 2001). lichkeit haben, sie selbst in ihrem Interesse und in Ihrem Um Formen der Partizipation zu beschreiben, wer- Sinn zu handhaben […] Partizipation macht für sie nur den häufig Stufenmodelle genutzt. Auf den unteren dann Sinn, wenn sie nicht nur dazu dient, in das beste- Stufen befinden sich in diesen Modellen Formen der hende Sozialsystem integriert zu werden, sondern wenn
2 19 sich über ihre Partizipation auch dieses System mit verän- dert« (Liebel 2009: 487). John Davis und Rosie Edwards stimmen zu: »Participation needs to be transformative. In other words, it needs to challenge the dominant discourse that represents children and young people as lacking the knowledge or competence to be participants in the policy debate« (Edwards/Davis 2004: 104). Im Gegensatz zu einer solchen Zuschreibung hat etwa schon der achte Jugendbericht ein Bild der Jugend entworfen, in dem Jugendliche ein innovatives und kri- tisches Potenzial für die Gesellschaft darstellen. Partizi- pation steht insofern, auch im Kinderschutz, in einem Spannungsfeld zwischen einer Gefahr der Abrichtung der Subjekte einerseits und dem Potential der sozialen Erneu- erung durch eine kritische Distanz zur Macht anderer- seits (vgl. Keupp 2008).
20 XXXNNNNXXX 3 EIN BLICK AUF DIE FORSCHUNG: KINDER UND JUGENDLICHE IM KINDERSCHUTZ
3 21 Wenn man einen Blick auf die deutsch-, englisch- und In der Kinderschutzarbeit und -forschung muss Partizi- französischsprachige Forschungsliteratur wirft, wird pation von Betroffenen, d. h. von Eltern und vor allem deutlich, dass das Thema der Partizipation von Kindern von Kindern und Jugendlichen, freilich überhaupt erst und Jugendlichen in Hilfeprozessen nun auch in wach- einmal (wieder-) entdeckt werden. Zwar werden Kin- sendem Maße in empirischen Studien von Forscherinnen der und (mit geringerer Aufmerksamkeit) Jugendliche und Forschern aufgegriffen wird. Nigel Parton (2004) als Opfer von Misshandlungen und Vernachlässigungen spricht sogar von »einer Explosion« der Forschung im thematisiert, gibt es eine umfangreiche Literaturauswahl Bereich Kinder- und Jugendpartizipation. Bei der Sich- über Formen und Folgen von »maltreatment« und über tung dieser Forschungen wird schnell klar, dass die vor- die unterschiedlichsten Methoden der Gefährdungs- und liegenden Untersuchungen unterschiedliche Interessen Risikoeinschätzung. Unterthematisiert und weitgehend verfolgen. Sie befassen sich z. B. mit der Beteiligung im unerforscht – national wie international – ist jedoch, wie Bereich der Hilfen zur Erziehung (Pluto 2007), im Hil- Kinder und Jugendliche konzeptuell gesehen werden, d. feprozess in der Verfahrenspflegschaft (Stötzel 2005), in h. auch welche Kind- und Kindheitskonzepte in der Kin- der Heimerziehung (Kriener 2007, Stork 2009), im Hil- derschutzarbeit eine Rolle spielen. Werden Kinder und fesystem (Parton 2006) oder auch mit der Beteiligung in Jugendliche überhaupt mit ihren Stärken und Schwächen der Forschung (Irwin et al. 2006). Gemeinsam ist ihnen wahrgenommen und einbezogen und wenn ja, mit wel- das Interesse an der Frage, wie beteiligungsfördernde chen Methoden? Wie erleben sie ihre familiale Situation Strukturen, Bedingungen und Situationen gestaltet wer- und ihre Beteiligung in der Risikoeinschätzung und im den können. Die Studien widmen sich unterschiedlichen Hilfeprozess überhaupt? Wie könnte ihre Partizipation Forschungsfeldern, kommen aber trotzdem, auch länder- gestärkt werden? In der deutsch- und französischsprachi- übergreifend, zu dem übereinstimmenden Ergebnis, dass gen, aber vor allem in der englischsprachigen Literatur eine Diskrepanz zwischen den entwickelten Vorstellun- lassen sich einige Ansätze zeigen, die in Bezug auf diese gen in der Theorie und der Umsetzung in der Praxis vor- Fragen von Forscherinnen und Forschern entwickelt liegt (u. a. Cashmore 2002). D. h. der Fachdiskurs scheint wurden. sich gewandelt zu haben, ohne aber bisher die alltägliche Einige der hier aufgeworfenen Fragen wurden be- Praxis tatsächlich zu erreichen (u. a. Margolin 1997). Par- reits aus unterschiedlichen theoretischen und epistemo- tizipation schwankt »zwischen Bedenken und positiver logischen Ansätzen heraus verfolgt. Aus ontologischer Utopie«, wie auch Liane Pluto zusammenfassend formu- Perspektive haben sich einige Studien mit der Frage be- liert: »Viele empirische Studien zeigen, dass der fachlich schäftigt, inwiefern Kinder und Jugendliche überhaupt in und gesetzlich verankerte Partizipationsanspruch noch der Lage sind, sich zu beteiligen (Youf 2004). Dominique nicht realisiert ist« (Pluto 2008: 196).2 Youf (2004), der sich für die Entwicklung der Konzeption Trotz der erhöhten Forschungsaktivitäten besteht vor von Kindern in der Philosophie interessiert, macht darauf allem Klärungsbedarf bezogen auf Herausforderungen aufmerksam, dass es von besonderer Bedeutung im Be- und Möglichkeiten in der Umsetzung von Partizipation, teiligungsprozess im Kinderschutz ist, auf die Gleichheit, auch in Fällen von Kindeswohlgefährdung. Das Thema aber auch auf die Verschiedenheit der Kinder zu achten. ist generell von Belang, zumal im Rahmen des Projektes Aus ethischer Perspektive wurde gefragt, ob Kinder und »Aus Fehlern lernen – Qualitätsmanagement im Kinder- Jugendliche nicht nur im Hilfeprozess sondern auch in schutz« von Bedeutung, geht es doch nicht zuletzt auch der Forschung beteiligt werden sollten. Emma William- darum, Beteiligung als Grundprinzip guter Kinderschutz- son, Trudy Goodenough, Julie Kent und Richard Ashcroft praxis zu erforschen und zu stärken. (2005) haben sich z. B. für die Grenzen von Vertraulich- 2 Wolff, S. (1983) hat allerdings zu Recht darauf hingewiesen, dass andererseits Forscherinnen und Forscher nie erwar- ten können, theoretisch entwickelte Konzeptionen in der Praxis bloß »umgesetzt« vorzufinden. Eher müsse es mit S. Wolff darum gehen, zu erforschen, wie Praktikerinnen und Praktiker ihre Praxis immer wieder neu hervorbringen, wie sie z. B. »Fürsorglichkeit« produzieren (vgl. ebd.). Analog könnte nach (Ko-)Produktionen von Partizipation im Kinder- schutz gefragt werden.
22 EIN BLICK AUF DIE FORSCHUNG: KINDER UND JUGENDLICHE IM KINDERSCHUTZ keit beim Forschen mit Kindern in Gefährdungssituati- • Informationen über sich selbst zu geben und Vereinba- onen interessiert. Alderson (1995) hat in der Auseinan- rungen zu treffen, die die Wahrung bzw. Einschränkung dersetzung zum Thema eine Liste von Fragen entwickelt, der Vertraulichkeit berühren, die beim Forschen mit Kindern beachtet werden sollten: • eine Methode der Kommunikation zu nutzen, die dem »What is the purpose of the research? What are the costs Kind bekannt ist und auf nonverbale Kommunikation and benefits for children? What are the privacy and confi- des Kindes zu achten, dentiality issues? What are the involvements of the child- • genau zu fragen und dem Kind direkte Fragen zu stel- ren in planning the research? Did the children consent to len, being involved in the research? What was the impact of • die erweiterte Familie, Freunde und das soziale Um- the research upon the children?« feld in die Verantwortung zu nehmen und das Kind zu In methodischer Hinsicht wurde gefragt, wie, unter fragen, wer ihm in der Familie am wichtigsten ist bzw. welchen Bedingungen und in welchem Rahmen, mit wel- wem es sich am nächsten fühlt, chen kreativen Methoden und mit welcher Haltung Par- • sich in der Rolle eher weg von einem überprüfenden hin tizipation im Hilfesystem sowie in der Forschung ermög- zu einem mehr therapeutischen Verständnis zu bewegen licht werden kann. Für Hilfe- wie Forschungsprozesse und eröffnete Themen sorgfältig vor Beendigung der wird demnach von den Forscherinnen und Forschern Sitzung wieder zu schließen. empfohlen, Kindern und Jugendlichen mit kommuni- kativer Transparenz, mit Sensibilität, Empathie, Respekt, Partizipation von Kindern und Jugendlichen wurde mit und Ehrlichkeit zu begegnen (u. a. Thomas 2005). den Ansätzen quantitativer (u. a. Stötzel/Fegert 2005) und Für den Prozess der Bewertung einer Kindeswohl- qualitativer (u. a. Abels-Eber 2010) Forschung bearbeitet. gefährdung wird empfohlen, Kinder und Jugendliche in Die Fragerichtungen unterscheiden sich dabei ebenso wie adäquater Weise über den Prozess zu informieren, ihre die Forschungsfelder: Einige Studien befassen sich damit, Fragen zu beantworten, auch auf nonverbale Kommu- wie Fachkräfte die Partizipation von Kindern betrachten nikation zu achten, kreative Methoden zu nutzen (wie z. (u. a. Healy/Darlington 2009). Andere untersuchen die B. Spielen und Malen, Raum und Zeit zu schaffen, damit Perspektive der Kinder und Jugendlichen (u. a. Lesson das Kind sich seine eigene Meinung bilden kann) sowie 2007). Interessant sind auch die Studien, die versuchen, auch Möglichkeiten zuzulassen, dass das Kind auf »un- beide Perspektiven in den Dialog zu bringen (u. a. Potin orthodoxe Weise« seine Meinung äußert, z. B. nicht allein 2010). Gruppiert unter den drei genannten Fragerichtun- im Büro, sondern auf einem Spaziergang. Dabei soll man gen wollen wir im Folgenden einige Studien diskutieren. flexibel mit dem Kind umgehen und im Prozess der Be- teiligung an alltägliche Aktivitäten des Kindes anknüpfen (vgl. Archard/Skiveness 2009). Die partizipierenden Kin- DIE SICHT DER FACHKRÄFTE der müssen verfolgen können, wie Entscheidungen ge- troffen wurden, und welche Rolle ihre eigene Meinung im Die Sicht der Fachkraft auf das Thema der Partizipation Prozess der Entscheidungsfindung spielt (u. a. Archard/ kann durch verschiedene Methoden erforscht werden. Skiveness 2009). Ähnlich empfiehlt Anne Bannister Üblich ist die Verwendung von Fragebögen, qualitati- (2001: 131) in »Entering the child’s world: communicating ven Interviews oder auch von Aktenanalysen. Studien, with children to assess their needs« für vertrauliche Ge- in denen Akten aus Kinderschutzprozessen als zentrales spräche mit Kindern: Material von den Forscherinnen und Forschern genutzt wurden, zeigen, dass Kinder oft eher als Opfer von Miss- • Einen Rahmen zu bilden, in dem das Kind Vertrauen handlungen (»the child at risk«) oder als Objekte mit gewinnt, sich verstanden und akzeptiert fühlt, Bedürfnissen (»the child in needs«) konzipiert (vgl. etwa • einen sicheren Raum zu schaffen, in dem das Kind sich Kemshall 2002; Winter 2006; Alderson 2004) und weni- ausdrücken kann, ger als Akteurinnen und Akteure in den Hilfen gesehen • deutlich zu machen, dass die Stimme des Kindes gehört werden. Jan Mason und Annette Michaux (2005: 5) stel- und seine Sicht berücksichtigt wird, len in ihrer Aktenanalyse fest, dass Kinder von Fachkräf-
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