Kinder und Arzneimittel - Verordnungsreport 2022

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Kinder und Arzneimittel - Verordnungsreport 2022
Kinder und
                      Arzneimittel
                      Verordnungsreport 2022

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Kinder und Arzneimittel - Verordnungsreport 2022
Vorwort

                                            Keine Überraschung ist, dass die Daten
                                            einen Corona-Effekt aufzeigen: Da Kinder
                                            und Jugendliche aufgrund der Hygiene-
                                            maßnahmen seltener krank oder aus Sorge
Fieber, Schmerzen, Erkältungen mit Atem- vor einer Infektion nicht so oft in Arztpra-
wegsproblemen, Erbrechen – das sind Er- xen waren, wurden ihnen weniger Arznei-
krankungen und Symptome, von denen mittel verschrieben. Dieser Effekt zeigt
Kinder häufig betroffen sind. Und die meis- sich besonders bei den am häufigsten
ten Eltern kennen das: Ist der eine Infekt verschrieben Wirkstoffen, den Schmerz-
gerade vorbei, ist der nächste schon auf und Erkältungsmitteln Ibuprofen, Xylome-
dem Weg.                                                     tazolin und Paracetamol.
                                      Auch bei               Diese Wirkstoffe werden
Mit diesem Report neh-                                       von den Krankenkassen
men wir unsere jüngs-          freiverkäuflichen             bis zum vollendeten
ten Versicherten genau-        Arzneimitteln ist             zwölften Lebensjahr er-
er in den Blick – genauer                                    stattet, können aber
gesagt: die Versorgung
                               Vorsicht    geboten           auch ohne Rezept in der
von Kindern und Ju-                                          Apotheke gekauft wer-
gendlichen mit Arzneimitteln und Impf- den. Frau Prof. Dr. Antje Neubert, Leiterin
stoffen. Welche Arzneimittel werden ihnen der Zentrale für klinische Studien in der
verschrieben? Wie hat sich die Versorgung Pädiatrie am Universitätsklinikum Erlangen
in den letzten Jahren entwickelt? Und ha- und Mitautorin dieses Reports, beschreibt,
ben Kleinkinder die von der Ständigen warum bei diesen freiverkäuflichen Arz-
Impfkommission empfohlenen Impfungen, neimitteln trotzdem Vorsicht geboten ist.
sodass sie vor Krankheiten wie Masern Aus der Literatur ist bekannt, dass Medi-
oder Mumps geschützt sind?                  kationsfehler bei Kindern und Jugendli-
                                            chen deutlich häufiger auftreten als bei
                                            Erwachsenen.
Kinder und Arzneimittel - Verordnungsreport 2022
Dr. Jens Baas

                                               Die Auswertungen im Report zeigen außer-
                                               dem eine Entwicklung, die uns alle auf-
                                               merksam machen sollte: Immer mehr
Die wichtige Botschaft von Frau Prof. Neu-     Schulkinder und Jugendliche bekommen
bert: Kinder sind keine kleinen Erwachsenen.   Psychopharmaka verordnet. Dieser Anstieg
Bei der Arzneimitteltherapie gilt es für       betrifft vor allem die Behandlung von
Eltern wie für Ärztinnen und Ärzte, viele      ADHS. Bei den Jugendlichen steigen ebenso
Faktoren zu beachten. Dabei ist es für         die Verordnungen von Antidepressiva. In
Ärztinnen und Ärzte nicht immer einfach,       Bezug auf den Impfschutz zeigen die
verlässliche Informationen zur Arzneimit-      Auswertungen, dass es einige Lücken gibt.
telversorgung von Kindern zu bekommen.         Gegen 13 Krankheiten sollten Kinder bis zu
Deshalb ist es umso wichtiger, dass mit        ihrem zweiten Geburtstag vollständig
dem kinderformularium.DE des Univer-           immunisiert sein. Das trifft aber nur auf
sitätsklinikums Erlangen nun auch in           etwa die Hälfte der Kinder zu. Hier gibt es
Deutschland eine unabhängige Datenbank         also Nachholbedarf.
für evidenzbasierte Informationen zur
Anwendung von Arzneimitteln bei Kindern
und Jugendlichen zur Verfügung steht.
Denn nur gut informierte Ärztinnen und
Ärzte können gute Entscheidungen treffen.
                                               Dr. Jens Baas
                                               Vorsitzender des Vorstandes
                                               der Techniker Krankenkasse
Kinder und Arzneimittel - Verordnungsreport 2022
Inhalt

     Vorwort

     1 Verordnungsanalyse                     2 Arzneimitteltherapiesicherheit
                                                bei Kindern
 6   Methodik
 7   TK-versicherte Kinder und Jugend-   45   Warum sind Kinder keine kleinen
     liche nach Altersgruppen                 Erwachsenen?
 9   Verordnungssituation bei Kindern    47   Studien ja oder nein?
     in den letzten Jahren               49   Auf die richtige Form kommt es an
14   Arzneimittel bei Schmerzen und           – Applikationsweg und Arzneiform
     Fieber                              54   Die ärztliche Verordnung
19   Arzneimittel bei Übelkeit           56   Wo finde ich Informationen?
21   Arzneimittel bei Erkältungen             kinderformularium.DE
28   Arzneimittel bei allergischen       58   Zusammenfassung
     Symptomen                           59   Referenzen
30   Arzneimittel bei psychischen
     Erkrankungen                             3 Selbstmedikation bei Kindern
38   PUMA – Fluch oder Segen?
                                         62   Schmerz- und Fiebermittel
                                         64   Erkältungsmittel
                                         67   Mittel gegen Übelkeit/Reisekrankheit
                                         68   Referenzen
4 ADHS bei Kindern

70   Definition und Diagnosestellung
71   Beschwerdebild der ADHS
71   Ursache der ADHS
72   Therapie
74   Häufigkeit von ADHS und
     ADHS-Verordnungen – Studienlage
75   Situation bei TK-Versicherten
78   Referenzen

     5 Impfen bei Kindern

86   Impfsituation bei TK-versicherten
     Kindern
94   Referenzen
6 Kinder und Arzneimittel – Verordnungsanalyse

1              Verordnungsanalyse

Methodik In die nachfolgenden Auswer-
tungen werden alle Personen, die in den
unten angegebenen jeweiligen Zwölf-Mo-         Arzneimittel, die im Rahmen der Selbstme-
nats-Zeiträumen bei der TK versichert wa-      dikation von den Eltern käuflich erworben
ren, einbezogen – auch wenn dieses nicht       wurden, finden nur in einer Darstellung
durchgehend der Fall war. Dabei werden         Berücksichtigung. Dafür wurden Daten
ausschließlich Kinder betrachtet, deren        über die Verordnungszahlen der gesetzlich
Wohnort einem Bundesland zuzuordnen            versicherten Kinder in Deutschland und
ist. Versicherte, die im Ausland leben, wer-   der Abverkäufe im Rahmen der Selbstmedi-
den nicht berücksichtigt. Als Datenquellen     kation in (Versand-)Apotheken für Schmerz-
dienen die sogenannten Routinedaten (un-       und Fiebermittel für Kinder von INSIGHT
ter anderem Abrechnungsdaten der Apo-          Health & DatamedIQ genutzt (Datenstand:
theken). Das bedeutet, dass in dem vorlie-     November 2021).
genden Report ausschließlich die
Medikamente berücksichtigt werden kön-         Nachfolgend werden insgesamt vier ver-
nen, die ärztlicherseits verordnet, über       schiedene Zeiträume betrachtet. Jeder ein-
Apotheken bezogen und zu Lasten der TK         zelne umfasst jeweils zwölf Monate, weicht
abgerechnet wurden. Für die Identifizie-       aber etwas von dem jeweils angegebenen
rung der Arzneimittel werden die ATC-          kalendarischen Jahr ab. Das dient der Aktu-
Codes      (Anatomisch-Therapeutisch-          alität und der sprachlichen Vereinfachung:
Chemischen Codes) verwendet, die von der       Somit werden unter der Jahresangabe 2017
Weltgesundheitsorganisation (WHO) fest-        die Monate März 2017 bis Februar 2018 be-
gelegt und vom Wissenschaftlichen Institut     rücksichtigt, bei 2018 werden die Monate
der Ortskrankenkassen (WIdO) bei Bedarf        März 2018 bis Februar 2019, bei 2019 die
an deutsche Gegebenheiten angepasst            Monate März 2019 bis Februar 2020 und
und vom Deutschen Institut für Medizini-       bei 2020 die Monate März 2020 bis Februar
sche Dokumentation und Information             2021 in den Fokus genommen. Die Betrach-
(DIMDI) veröffentlicht werden. Datenstand      tung der Jahre 2017, 2018 und 2019 bildet
ist der August 2021.                           die Zeitspanne vor Beginn der Corona-Pan-
                                               demie ab und das Jahr 2020 den Zeitraum
                                               nach Beginn der Pandemie.
7

Da bei dem vorliegenden Report das
Hauptaugenmerk auf Kindern liegt, werden
diese Versicherten anhand von wichtigen         tel nicht zu Lasten der gesetzlichen Kran-
Entwicklungsstufen in bestimmte Alters-         kenversicherung verordnet werden, bei
gruppen unterteilt. Als Säuglinge werden        Kindern sind sie allerdings erstattungsfä-
alle Versicherten bezeichnet, die in dem        hig, sofern sie ärztlicherseits verordnet
betrachteten Jahr jünger als 12 Monate          werden. Zur sprachlichen Vereinfachung
waren. Als Kleinkinder gelten Versicherte       werden OTC-Arzneimittel hier als freiver-
von einem bis einschließlich 2 Jahren, als      käufliche Arzneimittel bezeichnet, was
Vorschulkinder solche von 3 bis einschließ-     bedeuten soll, dass sie auch ohne ärztli-
lich 5 Jahren, als Schulkinder die Versicher-   ches Rezept in einer Apotheke erworben
ten von 6 bis einschließlich 11 Jahren und      werden können.
als Jugendliche alle Versicherten von 12 bis
einschließlich 17 Jahren. Versicherte ab 18     TK-versicherte Kinder und Jugendliche
Jahren gelten als Erwachsene. Auf sie wird      nach Altersgruppen Die TK ist mit fast
in diesem Report nicht näher eingegangen.       11 Millionen Versicherten Deutschlands
                                                größte gesetzliche Krankenversicherung.
Die Verordnungssituation lässt sich anhand      Knapp zwei von zehn TK-Versicherten sind
bestimmter Kriterien gut beschreiben.           unter 18 Jahren. Von diesen etwa 2,1 Milli-
Dazu zählen zum Beispiel die Anzahl der         onen TK-Versicherten handelte es sich
Versicherten, die bestimmte Arzneimittel        2020 bei 121.942 (5,8 Prozent) um Säug-
erhalten haben oder die Anzahl der Pa-          linge, bei 255.543 (12,2 Prozent) um Klein-
ckungen, die abgegeben wurden. Bei den          kinder, bei 402.392 (19,2 Prozent) um Vor-
nachfolgenden Auswertungen wird im Üb-          schulkinder, bei 704.085 (33,5 Prozent) um
rigen zur Zuordnung zu einer Altersgruppe       Schulkinder und bei 614.137 (29,2 Pro-
jeweils das Alter des betreffenden Kindes       zent) um Jugendliche.
zum Zeitpunkt der Arzneimittelverordnung
zugrunde gelegt.                                Die Anzahl der TK-Versicherten unter 18
                                                Jahren und deren Altersstruktur hat sich
In diesem Report wird auch auf sogenannte       in den Jahren 2017 bis 2020 nicht wesent-
OTC-Arzneimittel (OTC = over the counter,       lich geändert (Abbildung 1). Zudem gibt es
das heißt über den Ladentisch) eingegan-        kaum Unterschiede in Bezug auf die
gen. Diese sind nicht verschreibungs-,          Geschlechterverteilung.
aber in Deutschland apothekenpflichtig.
Bei Erwachsenen können diese Arzneimit-
8 Kinder und Arzneimittel – Verordnungsanalyse

Etwa die Hälfte aller Versicherten unter 18                                                  Für die folgenden Analysen werden haupt-
Jahren stammt aus den Regionen Bayern,                                                       sächlich versicherte Kinder von 0 bis
Baden-Württemberg, Nordrhein bezie-                                                          einschließlich 11 betrachtet. Es handelt
hungsweise Westfalen-Lippe.                                                                  sich dabei in jedem Betrachtungszeitraum
                                                                                             um etwa 1,5 Millionen Versicherte.

Anteil der Kinder und Jugendlichen bei der TK
                                                 706.224

                                                                                                                                                                                  704.085
800.000

                                                                                                                                    678.184
                                                                                         658.213
                                                                                         656.045
                                            634.101

                                                                                                                                 628.050

                                                                                                                                                                            614.137
600.000
                                                                                                                       401.404

                                                                                                                                                                  402.392
                                                                               388.984
                                  374.417

400.000
                           269.652

                                                                     268.577

                                                                                                             263.419

                                                                                                                                                        255.543
                 132.740

                                                           130.679

                                                                                                   124.864

                                                                                                                                              121.942

200.000

                               2017                                      2018                                    2019                                       2020

    Säuglinge                                   Vorschulkinder                                      Jugendliche
    Kleinkinder                                 Schulkinder

Abbildung 1: Anzahl TK-Versicherte unter 18 Jahren (2017 bis 2020)
9

                                               1,49 Millionen gestiegen. Vor der Corona-
                                               Pandemie, das heißt in den Jahren 2017 bis
Verordnungssituation bei Kindern in den        2019, ist die Verordnungsmenge von Arz-
letzten Jahren Die Kosten für Arzneimit-       neimitteln pro 100.000 TK-versicherten
tel, die an TK-Versicherte verordnet wurden,   Kindern deutlich höher als nach Beginn der
sind in den letzten Jahren stetig gestiegen    Pandemie im Jahr 2020 (Abbildung 2).
– sie lagen 2017 bei etwa 4,4 Milliarden       Sowohl bei den Arzneimittelpackungen
Euro und betrugen 2020 knapp 5,4 Milliar-      als auch bei den definierten Tagesdosen
den Euro. Der Anteil der Ausgaben für die      DDD (defined daily dose) ist im Jahr 2020
Arzneimittelversorgung von Kindern ist im      eine Abnahme der Verordnungen zu erken-
Vergleich zu den Ausgaben bei Erwachsenen      nen. Bei den definierten Tagesdosen DDD
klein und zudem in den letzten vier Jahren     (defined daily dose) handelt sich um eine
kontinuierlich gesunken – obwohl die Ge-       theoretische Berechnungsgröße zum Ver-
samtzahl der bei der TK versicherten Kinder    gleich von Verordnungsmengen. Sie ba-
bei absoluter Betrachtung der Jahre 2017       siert auf der Menge eines Arzneimittels, die
bis 2020 leicht angestiegen ist. Der Kos-      auf die Hauptindikation bei Erwachsenen
tenanteil für Kinder betrug 2020 etwa 2,9      im Durchschnitt pro Tag verordnet wird.
Prozent (156 Millionen Euro) der gesamten      Bei Arzneimitteln, die primär Kindern ver-
Arzneimittelkosten der TK und der für Ju-      ordnet werden, liegen durchschnittliche
gendliche 2,2 Prozent (121 Millionen Euro).    Kinderdosen zugrunde. Jedoch sind die
Im Jahr 2017 lag dieser Anteil an den ge-      definierten Tagesdosen DDD nicht im glei-
samten Arzneimittelkosten der TK für Kinder    chen Umfang eingebrochen wie die Pa-
bei 3,4 Prozent (149 Millionen Euro) und       ckungen. Das hat unterschiedliche Gründe.
für Jugendliche bei 2,6 Prozent (114 Milli-    So wurden bei Kindern mit Dauerverord-
onen Euro). Die Bruttoausgaben entspre-        nungen zu bestimmten Wirkstoffen im Jahr
chen den auf den Rezepten vermerkten           der Corona-Pandemie mehr definierte Ta-
Brutto-Apothekenabgabepreisen.                 gesdosen DDD durch größere Packungen
                                               verschrieben. Wahrscheinlich sollte der
Betrachtet man die Verordnungsvolumina         Gang in die Praxis auf ein Minimum redu-
bei Kindern bis einschließlich 11 Jahren, so   ziert und ein gewisser Vorrat angelegt
fallen deutliche Unterschiede zwischen den     werden. Auch gibt es bei Verordnungen
einzelnen Betrachtungszeiträumen auf. Im       bestimmter Wirkstoffe aufgrund derer An-
Laufe der Jahre werden pro 100.000 versi-      wendungsgebieten (zum Beispiel chroni-
cherten Kindern immer weniger Packungen        sche Erkrankungen) keinen Corona-Pande-
verordnet. Im gleichen Zeitraum ist die        mie-Effekt. Die definierten Tagesdosen
Anzahl der bei der TK versicherten Kinder
unter 12 Jahren von 1,41 Millionen auf
10 Kinder und Arzneimittel – Verordnungsanalyse

DDD und Packungen wurden weiterhin im                  bei Infekten eingesetzt werden, deutlich
gleichen Maße verordnet. Auf der anderen               zurückgegangen sind, da viele dieser In-
Seite ist klar erkennbar, dass die definier-           fekte durch die Lockdown-Maßnahmen
ten Tagesdosen DDD bei Wirkstoffen, die                ausgeblieben sind.

Starke Abnahme der Verordnungen bei Kindern im Jahr 2020

500.000                464.415
                                            442.898               434.061

400.000

300.000                                                                                265.138

200.000

100.000

                         2017                 2018                  2019                 2020

Abbildung 2: verordnete Arzneimittelpackungen pro 100.000 versicherten Kindern unter 12 Jahren (2017 - 2020)

Betrachtet man die Anzahl der abgegebenen              telpackung (Abbildung 3). Die Pandemie
Arzneimittelpackungen pro jeweils 100.000              hat zu einer leichten Verschiebung geführt.
Kindern der entsprechenden Altersgruppe,               Zwar werden 2020 insgesamt weniger
ist der Pro-Kopf-Verbrauch bei Säuglingen              Packungen verordnet (Abbildung 3), aber
am höchsten; auf sie entfällt in den Jahren            prozentual werden von diesen etwas mehr
2017 bis 2019 etwa jede dritte Arzneimit-              an Säuglinge verordnet.
11

Säuglinge erhalten die meisten Arzneimittelpackungen

2017                           33,7 %                        30,5 %              20,7 %         15,0 %

2018                            34,8 %                        30,6 %             19,9 %         14,7 %

2019                             35,2 %                       30,6 %              19,8 %        14,4 %

2020                                    42,8 %                   26,0 %          16,1 %         15,2 %

    Säuglinge                Kleinkinder               Vorschulkinder                 Schulkinder

Abbildung 3: Verordnete Arzneimittelpackungen (%) pro 100.000 versicherten Kindern unter 12 Jahren nach
Altersgruppen (2017-2020)

An Kinder werden bestimmte Wirkstoff-                 Bronchen), Arzneimittel zur Einnahme gegen
gruppen beziehungsweise Wirkstoffe vor-               Allergien (Cetririzin) sowie die Antibiotika
rangig vor anderen verordnet. Betrachtet              Amoxicillin und Cefaclor zur systemischen
man die Jahre 2017 bis 2020, so handelt               Anwendung und Ofloxacin als Augentrop-
es sich dabei oftmals um die gleichen                 fen (Abbildung 4). Diese zwölf Wirkstoffe
Wirkstoffe. Dazu zählen Schmerzmittel                 verursachten knapp die Hälfte (49 Prozent
(Ibuprofen, Paracetamol), Mittel für den              im Jahr 2017 beziehungsweise 43 Prozent
Knochenaufbau (Colecalciferol inkl. Komb.             im Jahr 2020) der an Kinder verordneten
zur Kariesvorbeugung) beziehungsweise                 Packungen. In den Jahren vor der Corona-
als Monopräparat zur Kariesvorbeugung                 Pandemie erhielten im Schnitt knapp 60
(Olaflur), Arzneimittel, die bei Erkältungs-          Prozent der versicherten Kinder eins der
krankheiten eingesetzt werden (Xylome-                zwölf häufigsten verordneten Arzneimittel.
tazolin zur Anwendung in der Nase, Efeu-              Seit Pandemie-Beginn erhalten nur noch
blätter und Ambroxol zur Einnahme bei                 46 Prozent der versicherten Kinder eins
Husten), Asthmamittel (Salbutamol als                 dieser Arzneimittel.
Inhalationsspray zur Krampflösung der
12 Kinder und Arzneimittel – Verordnungsanalyse

Top 12 der meistverordneten Wirkstoffe bei Kindern

                                                                                                52.111
                                                                                              50.328
1. Ibuprofen
                                                                                             49.189
                                                         23.616

                                                                                              51.426
                                                                                           48.581
2. Xylometazolin
                                                                                         46.595
                                                   19.309

                                                             26.653
                                                             26.372
3. Paracetamol
                                                            25.582
                                                17.128

                                                       22.798
4. Colecalciferol                                     21.489
(inkl. Komb.)                                         21.382
                                                      21.540

                                           14.064
                                          12.996
5. Salbutamol
                                          12.771
                                6.078

                                          13.081
                                        11.763
6. Efeublätter
                                        11.304
                               5.036

                                10.000        20.000        30.000        40.000        50.000

    2017               2018                2019                2020

Abbildung 4: verordnete Arzneimittelpackungen pro 100.000 versicherten Kindern unter 12 Jahren (2017 - 2020)
10.872
                           10.571        Auch bei diesen häufig verordneten
7. Amoxicillin
                           10.458        Wirkstoffen kann man beobachten, dass
                  3.806                  Mittel gegen Schmerzen (Ibuprofen,
                                         Paracetamol), antibiotikahaltige Arzneimit-
                                         tel (Amoxicillin, Cefaclor, Ofloxacin), Asthma-
                         10.211          mittel (Salbutamol) und Mittel gegen
                       8.447             Erkältungskrankheiten (Xylometazolin,
8. Ambroxol                              Efeublätter, Ambroxol) nach Beginn der
                      7.522
                                         Pandemie deutlich weniger verordnet
                 2.889                   wurden als vorher. So wurde vor der
                                         Corona-Pandemie 34 Prozent der versicher-
                       7.591             ten Kinder Ibuprofen verordnet, jedoch seit
                                         Pandemie-Beginn nur noch 19 Prozent der
                     6.966
9. Ofloxacin                             versicherten Kinder. Bei anderen Arzneimit-
                     6.687               teln, die der Vorbeugung (Colecalciferol,
                 2.420                   Olaflur) oder der Behandlung von Allergien
                                         (Cetirizin) dienen, ist hingegen kein
                                         Verordnungsrückgang nach Beginn der
                       8.780             Pandemie zu beobachten.
                      7.500
10. Cefaclor
                     7.023               In den nachfolgenden Abschnitten werden
                                         bestimmte Arzneimittelgruppen näher
                 2.770
                                         betrachtet.

                    5.832
                    6.217
11. Cetirizin
                    5.858
                   5.204

                   4.544
                   4.583
12. Olaflur
                   4.835
                   4.583

                    10.000     20.000   30.000      40.000         50.000
14 Kinder und Arzneimittel – Verordnungsanalyse

Arzneimittel bei Schmerzen und Fieber                  fen und Paracetamol bevorzugt eingesetzt.
Zur Behandlung von Schmerzen und Fieber                Wirkstoffe wie Metamizol und Präparate
stehen diverse Wirkstoffe zur Verfügung.               mit homöopathischer beziehungsweise an-
Bei Kindern unter 12 Jahren werden Ibupro-             throposophischer Ausrichtung oder andere

Einbruch von Schmerz- und Fiebermitteln im Jahr 2020 durch
Lockdown-Maßnahmen

Ibuprofen

                                     31.213
                                      33.011
Säuglinge
                                     31.981
                                19.193

                                                                     79.151
                                                                     80.277
Kleinkinder
                                                                     79.875
                                             39.591

                                                         59.928
                                                       56.769
Vorschulkinder
                                                       55.943
                                   23.445

                                            40.371
                                           37.697
Schulkinder
                                           36.442
                                18.681

                          20.000       40.000      60.000      80.000 100.000 120.000

    2017                2018               2019                2020

Abbildung 5: verordnete Arzneimittelpackungen (Ibuprofen: M01AE01, Paracetamol: N02BE01) pro 100.000
versicherten Kindern der betreffenden Altersgruppe (2017 - 2020)
15

werden in sehr viel geringerem Umfang ver-
ordnet, weshalb in der Abbildung nicht näher
auf sie eingegangen wird (Abbildung 5).

Paracetamol

                                                                         116.098
                                                                            120.850
Säuglinge
                                                                             124.562
                                                                       109.673

                                               51.720
                                               52.359
Kleinkinder
                                               51.888
                                 32.007

                       13.191
                      12.942
Vorschulkinder
                      12.771
                   5.190

                   5.219
                   4.877
Schulkinder
                   4.722
                  2.523

                      20.000    40.000     60.000       80.000 100.000 120.000
16 Kinder und Arzneimittel – Verordnungsanalyse

Paracetamol erhalten vor allem Säuglinge               Verordnungsrückgang gegenüber den Vor-
und Kleinkinder. Ibuprofen wird bevorzugt              jahren zu verzeichnen. Schmerzmittel
an Klein-, Vorschul- und Schulkinder verord-           werden insbesondere bei Erkältungen und
net. Mit Pandemie-Beginn ist ein deutlicher            Fieber verordnet.

Fast jeder Säugling erhält Verordnung über Schmerz- und Fiebermittel

  %
             99,9
           96,7

          93,3
          92,8

100

 80
                              66,0
                              65,9
                             64,3

 60
                                                                                           46,9
                                                                                          46,0
                                        45,1

                                                                                          45,2
                                                 44,7
                                                43,2
                                                42,7

                                                                    31,3

 40
                                                                   29,4

                                                                                                     29,1
                                                                   28,6
                                                           21,5

                                                                              16,6

 20

            Säuglinge         Kleinkinder      Vorschulkinder Schulkinder                    Kinder
                                                                                             gesamt
    2017               2018                2019               2020

Abbildung 6: Prozentualer Anteil der mit verordneten Schmerz- und Fiebermitteln (M01A, N02A, N02B, N02C,
R05X) behandelten Kinder in Bezug auf alle TK-Versicherten der betreffenden Altersgruppe (2017-2020)
17

                                            60 Prozent der Kleinkinder erhielten in den
                                            Jahren 2017 bis 2019 mindestens einmal
Darüber hinaus ist interessant, wie viele ein Schmerzmittel; dieser Wert sank nach
Kinder einer Altersgruppe in dem jeweiligen Beginn der Pandemie auf 45 Prozent.
Betrachtungszeitraum mindestens einmal Vorschulkinder und Schulkinder erhalten in
ein Schmerzmittel erhalten haben. Der deutlich geringerem Umfang als Kleinkin-
prozentuale Anteil dieser Kinder ist in den der Schmerzmittel (Vorschulkinder über
einzelnen Altersgruppen                                      42 Prozent; Schulkinder
sehr unterschiedlich und               Weniger               28 Prozent) – auch hier ist
sinkt mit Ausnahme der                                       jeweils eine deutliche Ab-
Säuglinge nach Beginn
                                 Verordnungen                nahme ab Beginn der Co-
der Pandemie (Abbildung           über Schmerz-              rona-Pandemie zu erken-
6). Bei den Säuglingen ist
                               und Fiebermittel              nen (Vorschulkinder 22
der prozentuale Anteil de-                                   Prozent; Schulkinder 17
rer, die mit Schmerzmit-        in der Pandemie              Prozent). Über alle be-
teln behandelt werden,                                       trachteten Altersgrup-
mit deutlichem Abstand am höchsten. Er lag pen hinweg werden vor der Pandemie über
2017 bei knapp 93 Prozent, stieg dann auf 45 Prozent der Kinder mit Schmerzmitteln
96,7 Prozent (2018) beziehungsweise 99,9 behandelt, nach Pandemie-Beginn sind es
Prozent (2019) an und sank nach Beginn etwa 29 Prozent. Möglicherweise sind El-
der Pandemie auf 93,3 Prozent (2020). tern mit ihren Kindern nicht mehr in die
Letztlich wurde aber fast jedem Säugling Praxis gegangen, um eine Corona-Anste-
mindestens einmal ein Schmerzmittel ver- ckung zu vermeiden und haben sich die
ordnet. Mögliche Gründe hierfür könnten Arzneimittel stattdessen selbst in der
sein, dass Praxisbesuche mit erkrankten Apotheke gekauft.
Säuglingen auch während der Lockdown-
Maßnahmen eher nicht ausgesetzt wurden.
Auch zur Behandlung möglicher Impfreakti-
onen könnten Schmerz- und Fiebermittel an
Säuglinge verordnet worden sein.
18 Kinder und Arzneimittel – Verordnungsanalyse

Selbstmedikation übersteigt erstmals Verordnungen von
Schmerz- und Fiebermitteln im Jahr 2020
                        9.626.794

                                                  9.354.999

12.000.000
                                                                          9.221.129

                                                                                      7.680.202

10.000.000
                                                              7.275.209
                                     7.188.145

                                                                                                              5.836.877
 8.000.000
                                                                                                  5.226.083

 6.000.000

 4.000.000

 2.000.000

                             2017                      2018                    2019                    2020

    mit Rezept                      ohne Rezept

Abbildung 7: Abgabe von Schmerz- und Fiebermitteln anhand von Arzneimittelpackungen für Kinder mit
GKV-Verordnung und ohne Rezept in Apotheken (inkl. Versandapotheken) (2017-2020) (Quelle: INSIGHT
Health & DatamedIQ)
19

                                                  OTC-Arzneimittel (Over-
                                                  the-Counter-Arzneimittel),
                                                  die umgangssprachlich als
                                                  „freiverkäuflich“ bezeichnet
                                                  werden, sind nach dem
                                                  deutschen Arzneimittelge-
                                                  setz (AMG) apotheken-
                                                  pflichtig. Das heißt, dass
Das zeigen auch aktuelle Daten von INSIGHT        sie nur in Apotheken
                                                  verkauft werden dürfen,
Health & DatamedIQ (Abbildung 7). Hierbei         für den Erwerb aber kein
wurden die ärztlichen Verordnungen von            Rezept notwendig ist.
Schmerz- und Fiebermittel für alle gesetz-
lich versicherten Kinder im Vergleich zur
Selbstmedikation beziehungsweise zum            auch die Käufe in den Apotheken zurückge-
Kauf der Mittel direkt in den (Versand-)        gangen. Zudem zeigt sich, dass es eine
Apotheken betrachtet. Die Verordnungen          gegensätzliche Entwicklung von Verord-
von Schmerz- und Fiebermitteln für alle         nungen zur Selbstmedikation gibt. Werden
gesetzlich versicherten Kinder nehmen im        weniger Rezepte zu Schmerz- und Fieber-
Jahr 2020 stark ab. Die gleiche Entwicklung     mitteln ausgestellt, nehmen die Käufe in
zeigen auch die TK-Daten (Abbildung 5).         den (Versand-)Apotheken ohne Rezept zu.
Auch die Abverkäufe in den (Versand-)           Im Corona-Pandemie-Jahr werden sogar
Apotheken von Schmerz- und Fiebermit-           mehr Schmerz- und Fiebermittel für Kinder
teln für Kinder sind zurückgegangen, je-        ohne Rezept in (Versand-)Apotheken ver-
doch nicht so stark wie die ärztlichen Ver-     kauft als Schmerz- und Fiebermittel für
ordnungen zu diesen Wirkstoffen                 Kinder verordnet werden.
(Abbildung 7). Es gibt 44 Prozent weniger
ärztliche Verordnungen, aber nur 24 Pro-        Arzneimittel bei Übelkeit Zur Vorbeu-
zent weniger Abverkäufe in den (Versand-)       gung und Behandlung von Übelkeit und
Apotheken nach Beginn der Corona-Pan-           Erbrechen stehen zwar verschiedene
demie im Jahr 2020 im Vergleich zu den          Wirkstoffe und Wirkstoffgruppen zur
Vorjahren 2017 bis 2019 zu beobachten.          Verfügung, hauptsächlich wird aber der
Auch hier zeigt sich, dass es durch die Lock-   Wirkstoff Dimenhydrinat ärztlich verord-
down-Maßnahmen (wie Kindergarten- und           net. Dieser zählt zur Wirkstoffgruppe der
Schulschließungen) und/oder durch die An-       Antihistaminika der ersten Generation.
wendung von Abstands- und Hygienere-            Diphenhydramin, ein anderes Antihista-
geln insgesamt zu weniger fieberhaften          minikum dieser Gruppe, spielt nur eine
Infekten bei Kindern kam. Somit sind nicht      verschwindend geringe Rolle im Verord-
nur die ärztlichen Verordnungen, sondern        nungsgeschehen (Abbildung 8). Beide
                                                Antihistaminika sind frei verkäuflich und
                                                nur verordnungsfähig für Kinder unter 12
20 Kinder und Arzneimittel – Verordnungsanalyse

Einbruch bei Verordnungen von Antihistaminika gegen Übelkeit und Erbrechen
im Jahr 2020

                                            2.567
                                              2.832
Säuglinge
                                         2.136
                        499

                                                                                           7.364
                                                                                              7.807
Kleinkinder
                                                                                  6.450
                                 1.395

                                                                                   6.626
                                                                                   6.597
Vorschulkinder
                                                                           5.753
                                1.329

                                                                 4.722
                                                                4.582
Schulkinder
                                                             4.190
                               1.251

                                 2.000               4.000              6.000              8.000

    2017               2018               2019               2020

Abbildung 8: verordnete Arzneimittelpackungen (Dimenhydrinat: A04AB02, Diphenhydramin: A04AB05) pro
100.000 versicherter Kinder der betreffenden Altersgruppe (2017 - 2020)
21

Jahren. Oftmals werden diese Arzneimittel     Arzneimittel bei Erkältungen Erkältun-
gegen Reiseübelkeit und Erbrechen einge-      gen kommen bei Kindern häufig vor. Verur-
setzt. Ihr Nachteil ist, dass sie auch eine   sacher sind größtenteils Viren, sodass An-
schlaffördernde Wirkung haben – nicht zu-     tibiotika hier in der Regel nicht helfen und
letzt werden Präparate mit den gleichen       daher nicht eingesetzt werden sollten. Zur
Wirkstoffen auch als Schlafmittel für Er-     Linderung der Symptome werden aber
wachsene angeboten. Diese Wirkstoffe          durchaus unterschiedliche Arzneimittel-
sollten nur kurzfristig angewendet werden,    gruppen verordnet (Abbildung 9). Sie sind
da es ansonsten zu einer Unterdrückung        in der Regel freiverkäuflich und nur für Kin-
wichtiger hirnorganischer Prozesse kom-       der unter 12 Jahren zu Lasten der gesetz-
men kann.                                     lichen Krankenkasse verordnungsfähig.
                                              Dazu zählen Nasentropfen beziehungsweise
Die meisten Arzneimittel gegen Übelkeit       -sprays, verschiedene Mittel zum Einneh-
und Erbrechen werden für Kleinkinder          men, zum Lutschen, zum Gurgeln, zum
und Vorschulkinder verordnet. In allen        Einreiben oder Inhalieren. Am häufigsten
Altersgruppen sind bereits im Jahr 2019       werden Nasentropfen beziehungsweise
die Verordnungszahlen im Vergleich zu         Nasensprays verordnet, gefolgt von Hus-
den Vorjahren rückläufig und sind nach        ten- und Erkältungsmitteln zum Einneh-
Beginn der Pandemie deutlich zurückge-        men. Andere Arzneimittelgruppen wie ab-
gangen. Das kann unter anderem auch           schwellende Nasenmittel zum Einnehmen,
auf die Lockdown-Maßnahmen und das            Hals- und Rachentherapeutika (zum Bei-
daraus resultierende geringere Risiko für     spiel zum Gurgeln und Lutschen) sowie
Magen-Darm-Infektionen sowie die Mobi-        Mittel zum Inhalieren (Brusteinreibungen
litätsbeschränkungen nach Pande-              und Inhalate) werden deutlich seltener ver-
mie-Beginn zurückzuführen sein. Di-           ordnet (Abbildung 9).
menhydrinat und Diphenhydramin sollen
bei Kindern unter drei Jahren nur nach
sorgfältiger Indikationsstellung und Be-
achtung der richtigen Dosierung zur An-
wendung kommen (siehe dazu Kapitel
„Selbstmedikation bei Kindern – Mittel ge-
gen Übelkeit/Reisekrankheit).
22 Kinder und Arzneimittel – Verordnungsanalyse

Kinder erhalten bei Erkältungen vorrangig Nasentropfen/-sprays und Hustenmittel

                                                                                              59.924
Nasentropfen/                                                                              56.453
-sprays                                                                                  54.157
                                                      23.636

                                                                              48.456
Husten- und
                                                                         41.897
Erkältungsmittel
                                                                       38.956
(zum Einnehmen)
                                            15.167

                                 5.813
Abschwellende
                                 5.503
Nasenmittel (zum
                                 5.214
Einnehmen)
                              2.294

                              3.008
Hals- und Rachen-            2.724
therapeutika                 2.522
                            1.179

                            1.280
Brusteinreibungen          1.107
und Inhalate               1.017
                           498

                                10.000      20.000     30.000     40.000      50.000     60.000

    2017               2018               2019               2020

Abbildung 9: verordnete Arzneimittelpackungen gegen Erkältungen (R01, R02, R04, R05) pro 100.000
versicherten Kindern unter 12 Jahren (2017 - 2020)
23

Bei den Mitteln, die bei Erkältungen einge-
setzt werden, ist in Bezug auf alle Arznei-
mittelgruppen (trotz nahezu konstanter     eine Behandlungsdauer von sieben Tagen
Versichertenzahlen) ein deutlicher Verord- möglichst nicht überschritten werden, um
nungsrückgang nach Beginn der Corona-      eine Schädigung der Nasenschleimhaut zu
Pandemie im Jahr 2020 im Vergleich zu      vermeiden. Bei Daueranwendung führt die
den Vorjahren 2017 bis 2019 zu beobach-    gefäßverengende Wirkung zu einer Man-
ten. Das wird insbesondere dem Rückgang    geldurchblutung der Schleimhaut und damit
von Erkältungskrankheiten durch Lock-      zu einer Beeinträchtigung der Hauptfunk-
down, Hygienemaßnahmen, Maskenpflicht      tion der Nasenschleimhaut, der Schleimbil-
und Abstandhalten zugeschrieben.           dung. Die Folge davon ist eine verringerte
                                                            Schleimproduktion und
Zum Abschwellen der Na-           Nasentropfen              Austrocknung der Nase,
senschleimhaut bei Er-                                      was wiederum in einem
kältungsschnupfen (und         und -sprays nicht Gefühl der „verstopften
vermutlich in geringerem         länger als eine            Nase“ resultiert und einen
Umfang bei allergischen                                     Circulus vitiosus (Teufels-
Symptomen) werden ins-
                                 Woche nutzen               kreis) auslöst. Um einem
besondere Nasentropfen                                      Missbrauch vorzubeugen,
und Nasensprays mit gefäßverengender werden daher Wirkstoffe mit gefäßveren-
Wirkung verordnet. Sie sollen die Behinde- gender Wirkung (sog. Sympathomimetika)
rung der Nasenatmung beseitigen und den zur Anwendung in der Nase nur in kleinen
Belüftungsmechanismus zum Mittelohr Packungen von 10 Millilitern Inhalt angebo-
aufrechterhalten (daher der Einsatz bei ten und die Anwendungsdauer sollte sie-
Ohrenschmerzen). Diese Präparate sind ben Tage am Stück nicht überschreiten
direkt in der Nase anzuwenden. Das hat (siehe dazu Kapitel „Selbstmedikation bei
den Vorteil, dass bei regelgerechter An- Kindern“ – Abschwellende Nasentropfen).
wendung unerwünschte Arzneimittelwir-
kungen (Nebenwirkungen) auf den ganzen Mit Abstand am häufigsten werden xylome-
Körper weitgehend vermieden werden. tazolinhaltige Nasentropfen und Nasen-
Dennoch sollte auch bei Nasentropfen und sprays verordnet. Andere Wirkstoffe mit
Nasensprays mit gefäßverengender Wirkung gefäßverengender Wirkung wie Oxymeta-
                                           zolin werden deutlich seltener rezeptiert
                                           (Abbildung 10). Nasentropfen oder Nasen-
24 Kinder und Arzneimittel – Verordnungsanalyse

sprays mit anderen Wirkstoffen spielen                Beginn der Pandemie im Jahr 2020 im Ver-
keine Rolle im Verordnungsgeschehen bei               gleich zu den Vor-Corona-Jahren deutlich
Erkältungen. Bei Xylometazolin nimmt in               ab. Bei Oxymetazolin gilt das Gleiche bei
allen Altersgruppen die Verordnung nach               den Vorschul- und Schulkindern. Jedoch

Xylometazolin häufigster Wirkstoff bei Nasentropfen /-sprays

Xylometazolin (inklusive Komb.)

                                                                       72.521
                                                                       73.475
Säuglinge
                                                                     69.125
                                     23.852

                                                                                    89.476
                                                                                   87.427
Kleinkinder
                                                                                  86.104
                                            34.589

                                                                62.943
                                                             58.149
Vorschulkinder
                                                             56.774
                                    23.068

                                         30.437
                                        28.071
Schulkinder
                                       26.766
                             13.333

                            20.000        40.000         60.000        80.000        100.000

    2017               2018               2019               2020

Abbildung 10: Verordnete Arzneimittelpackungen (Xylometazolin (inkl. Komb.): R01AA07 und R01AB06,
Oxymetazolin: R01AA05) pro 100.000 versicherte Kinder der betreffenden Altersgruppe (2017 - 2020)
25

gibt es dort bei den Säuglingen und Klein-   Neben Nasentropfen beziehungsweise Na-
kindern keine starke Abnahme bei der Ver-    sensprays werden bei Erkältungskrankhei-
ordnung im Jahr 2020 im Vergleich zu den     ten auch oft Husten- und Erkältungsmittel
Vor-Corona-Jahren.                           zum Einnehmen verordnet. Hierzu zählen

Oxymetazolin

                       10.703
                       10.313
Säuglinge
                       10.326
                       9.751

                    6.172
                    5.757
Kleinkinder
                    5.887
                   4.402

                 1.908
                 1.821
Vorschulkinder
                 1.842
                 889

                 809
                 739
Schulkinder
                 755
                 400

                         20.000    40.000      60.000      80.000     100.000
26 Kinder und Arzneimittel – Verordnungsanalyse

Mittel, die den Schleim in den Bronchien                Am häufigsten werden Expektoranzien
durch Verflüssigen lösen (sogenannte Mu-                verordnet, um den Schleimauswurf zu för-
kolytika), die bei produktivem Husten den               dern. Dabei handelt es sich vorwiegend um
Auswurf des Schleimes fördern (sogenann-                Arzneimittel mit pflanzlichen Wirkstoffen
te Expektoranzien) und Mittel, die den Hus-             (zum Beispiel Efeu, Thymian, Pelargonium).
tenreiz stillen (sogenannte Antitussiva).               Zur Schleimverflüssigung werden im We-

Die häufigsten Arzneimittel bei Husten

Pflanzliche Mittel zur Schleimlösung

                                                  16.279
                                                  15.890
Säuglinge
                                                14.462
                              5.234

                                                                                    34.879
                                                                                 32.537
Kleinkinder
                                                                                31.481
                                              13.303

                                                                    26.180
                                                               22.745
Vorschulkinder
                                                              22.192
                                      9.203

                                              14.340
                                            12.451
Schulkinder
                                           11.854
                               5.637

                                 10.000             20.000             30.000             40.000

    2017                2018                2019                2020

Abbildung 11: Verordnete Arzneimittelpackungen (Acetylcystein: R05CB01, Ambroxol: R05CB06, Pflanzl. Mittel zur
Schleimlösung: R05CP) zum Einnehmen pro 100.000 versicherte Kindern der betreffenden Altersgruppe (2017 - 2020)
27

sentlichen die Mukolytika Ambroxol und       schen oder pflanzlichen Bereich), spielen
Acetylcystein verordnet (Abbildung 11).      im Verordnungsgeschehen nur eine unter-
Auch sie sind freiverkäuflich. Andere Hus-   geordnete Rolle und werden daher an die-
ten- und Erkältungsmittel zum Einnehmen,     ser Stelle nicht abgebildet.
wie zum Beispiel Medikamente, die den
Hustenreiz lindern (zum Beispiel Noscarpin   Genau wie bei den Mitteln gegen Schmer-
und Pentoxyverin oder Arzneimittel aus       zen und Fieber oder gegen Übelkeit sind
dem homöopathischen, anthroposophi-          die meisten der häufig verordneten Arz-

Ambroxol                                                   Acetylcystein

                                 9.924                        680
                               8.784                         609
Säuglinge
                             7.318                           461
                   2.372                                     178

                                         16.457                    4.626
                                      14.350                      4.033
Kleinkinder
                                    12.983                       3.415
                       4.803                                  1.138

                                   12.106                             6.225
                                9.731                              4.838
Vorschulkinder
                               8.892                               4.365
                     3.357                                     1.437

                          6.497                                   3.863
                        5.201                                    2.969
Schulkinder
                       4.629                                    2.601
                   2.016                                      1.033

                           10.000        20.000                       10.000
28 Kinder und Arzneimittel – Verordnungsanalyse

neimittel gegen Erkältungen nicht ver-        Gefäßverengende Mittel führen zur Ab-
schreibungspflichtig, sondern in Apothe-      schwellung der Nasenschleimhaut. Sie
ken freiverkäuflich (OTC-Arzneimittel).       werden in Form von Nasentropfen oder
Obwohl diese Mittel nicht verschreibungs-     Nasensprays nicht nur bei allergisch be-
pflichtig sind, ist auch bei der Gabe von     dingtem Schnupfen, sondern vor allem
Schmerzmitteln, Nasensprays und Mitteln       auch bei Erkältungskrankheiten eingesetzt
gegen Übelkeit Vorsicht geboten. Die          und daher ausschließlich dort näher
falsche Anwendung oder eine zu hohe Do-       beleuchtet (siehe Abschnitt: Arzneimittel
sis kann zu unerwünschten Arzneimittel-       bei Erkältungen). Wenn man die auch bei
wirkungen (zum Beispiel Nebenwirkungen)       Erkältungen verordneten Nasentropfen
führen. Im Kapitel „Selbstmedikation bei      und Nasensprays außer Acht lässt, werden
Kindern“ wird auf diese Thematik spezifisch   zur Behandlung allergischer Beschwerden
eingegangen.                                  insbesondere Präparate zum Einnehmen
                                              verordnet. Spitzenreiter sind sogenannte
Arzneimittel bei allergischen Symptomen       Antihistaminika zur Einnahme (Abbildung
In diesem Abschnitt werden Präparate be-      12). Antihistaminika verhindern die Frei-
leuchtet, mit denen allergische Symptome      setzung des körpereigenen Gewebehor-
gelindert werden können. Sie sind über-       mons Histamin, welches eine wichtige Rolle
wiegend freiverkäuflich zu erwerben und       im Entzündungsgeschehen spielt. Im Ge-
nur bei Kindern unter 12 Jahren zu Lasten     gensatz zu den älteren Vertretern dieser
der Krankenkassen verordnungs- und er-        Wirkstoffgruppe haben die neueren Anti-
stattungsfähig. Diese Arzneimittel können     histaminika wie zum Beispiel Cetirizin, die
über den Mund eingenommen (sogenannte         bei Allergien eingesetzt werden, deutlich
orale Einnahme mit systemischer Wir-          weniger unerwünschte Nebenwirkungen
kung) oder direkt am Wirkort angewendet       (schläfrig machende beziehungsweise
werden (lokale Anwendung an Nase und          gegen den körpereigenen Botenstoff Ace-
Auge oder Haut; Abbildung 12). An Kinder      tylcholin gerichtete Wirkung). Sie sind aller-
unter 12 Jahren werden bevorzugt Anti-        dings auch nur begrenzt wirksam bei
histaminika und Degranulationshemmer          schweren allergischen Reaktionen. Im Jahr
verordnet. Auch Mittel mit gefäßverengen-     2017 wurden pro 100.000 Kindern unter
der Wirkung (Sympathomimetika) werden         12 Jahren 9.571 Packungen an Antihista-
hierfür eingesetzt.                           minika zur Einnahme verordnet. Nach
                                              einem Anstieg im Jahr 2018 (9.935 Pa-
                                              ckungen) und einer leichten Abnahme im
                                              Jahr 2019 (9.238 Packungen) kam es nach
29

Beginn der Corona-Pandemie zu einem                   oder am Auge angewendet und vorbeu-
Abfall (7.801 Packungen), der im Vergleich            gend eingesetzt, um das Auftreten aller-
zu anderen Arzneistoffgruppen allerdings              gischer Symptome zu verhindern. Im Ge-
weniger stark ausgeprägt ist.                         gensatz zu manchen Antiallergika, die
                                                      eingenommen werden (Antihistaminika,
Auch Degranulationshemmer wie zum Bei-                bei sogenannter systemischer Anwen-
spiel Cromoglicinsäure und Levocabastin               dung), ist für diese lokal applizierten Subs-
sollen die Entzündungsreaktion bei aller-             tanzen nicht mit Nebenwirkungen wie
giebedingten Beschwerden an Augenbin-                 Schläfrigkeit zu rechnen. Der Verordnungs-
dehaut oder Nasenschleimhaut verhindern.              umfang von Degranulationshemmern zur
Sie werden insbesondere lokal an der Nase             Anwendung am Auge beziehungsweise der

Arzneimittel bei allergischen Symptomen

                                                                                           9.571
Antihistaminika zum                                                                          9.935
Einnehmen                                                                                9.238
                                                                               7.801

Degranulations-                            2.298
hemmer zur                                    2.819
Anwendung an                               2.372
Auge/Nase                                    2.639

                               883
Antihistaminika zur
                               881
Anwendung auf der
                               797
Haut
                              561

                                   2.000         4.000        6.000        8.000        10.000

    2017               2018               2019              2020

Abbildung 12: Verordnete Arzneimittelpackungen (Antihistaminika zum Einnehmen: R06AA, R06AB, R06AE,
R06AX; Degranulationshemmer zur Anwendung an Auge/ Nase: S01GX und R01AC; Antihistaminika zur Anwendung
auf der Haut: D04AA) pro 100.000 versicherten Kindern unter 12 Jahren nach Anwendungsart (2017 - 2020)
30 Kinder und Arzneimittel – Verordnungsanalyse

Nase ist im Vergleich zu den Antihistamini-    ADHS-Mittel sollen bei Kindern mit auffäl-
ka eher gering (Abbildung 12). Pro 100.000     ligem Verhalten, das heißt mit Sympto-
versicherten Kindern unter 12 Jahren wer-      men wie zum Beispiel chronisch kurzer
den zur Anwendung an Auge und Nase             Aufmerksamkeitsspanne, leichter Ablenk-
2.298 (2017), 2.819 (2018), 2.372 (2019)       barkeit, emotionaler Labilität, Impulsivität
beziehungsweise 2.639 (2020) Packungen         und Hyperaktivität, zur Stabilisierung bei-
verordnet.                                     tragen. Angstlösende Mittel (Anxiolytika)
                                               dienen zur Verminderung übermäßiger
Am Beispiel der Antihistaminika, die bei       oder krankhafter Ängste. Hypnotika wer-
allergischen Symptomen eingenommen             den zeitlich begrenzt gegen Einschlaf-
werden, zeigt sich, dass die meisten Mittel    und Durchschlafstörungen verordnet und
an Kinder ab Kleinkindalter verordnet wer-     Sedativa bei Angstzuständen, Panikatta-
den. Bei Säuglingen sind es deutlich weni-     cken und zur Muskelentspannung ver-
ger Packungen, die pro 100.000 Kindern         schrieben. Bei Kindern werden diese Mittel
der betreffenden Altersklasse verordnet        allerdings in der Regel nur bei bestimmten
werden. Zwar werden 2020 insgesamt             Grunderkrankungen eingesetzt, was am
weniger Packungen verordnet, aber die          Beispiel des Wirkstoffs Melatonin später
prozentuale Verteilung bleibt gleich.          ausführlicher erläutert wird. Mittel gegen
                                               Depressionen können bei psychischen
Arzneimittel bei psychischen Erkran-           Störungen angezeigt sein, deren typische
kungen Medikamente zur Behandlung              Symptome eine gedrückte Stimmung,
psychischer Erkrankungen werden als            häufiges Grübeln, Gefühle von Hoffnungs-
Psychopharmaka bezeichnet. Es handelt          losigkeit und verminderter Antrieb sind.
sich um psychoaktive Substanzen, die die       Häufig gehen bei Depressionen Freude
neuronalen Abläufe im Gehirn beeinflus-        und Lustempfinden, Selbstwertgefühl,
sen. Bei den Psychopharmaka unterschei-        Leistungsfähigkeit, Einfühlungsvermögen
det man im Wesentlichen fünf verschiede-       und das Interesse an Dingen des täglichen
ne Anwendungsbereiche: Mittel zur              Lebens verloren. Bei Psychosen leiden die
Behandlung von Aufmerksamkeitsdefizit-         Betroffenen phasenweise unter massiven
Hyperaktivitäts-Störungen (ADHS), angstlö-     Veränderungen ihrer Gedanken, Gefühle
sende Mittel, Hypnotika und Sedativa, Mittel   und Wahrnehmungen. Auch kann sich ihr
gegen Depressionen sowie Mittel gegen Psy-     Verhalten dramatisch ändern und wirkt
chosen (zum Beispiel Schizophrenie).           auf Außenstehende oft beängstigend.
31

In Bezug auf Säuglinge, Kleinkinder und              psychisch aktiven Substanz behandelt
Vorschulkinder werden pro 100.000 Ver-               werden, nicht nur wesentlich höher, sondern
sicherte der betreffenden Altersgruppe               steigt auch von Jahr zu Jahr an (Abbildung
etwa 500 bis 650 Kinder mit mindestens               13). Bei Jugendlichen liegt die Anzahl der
einer der oben genannten psychisch akti-             Behandelten pro 100.000 Versicherte der
ven Substanzen behandelt. Bei Schulkin-              Altersgruppe zwischen 3.536 (2017) bezie-
dern und insbesondere bei Jugendlichen               hungsweise 4.255 (2020) und bei Schulkin-
ist die Zahl derer, die mit mindestens einer         dern zwischen 2.338 (2017) und 2.578
                                                     (2020).

Immer mehr Schulkinder und Jugendliche mit Psychopharmaka-Verordnung

                   577
2017                                           2.338
                                                                  3.536

                    649
2018                                             2.434
                                                                       3.812

                    642
2019                                               2.574
                                                                            4.130

                  511
2020                                               2.578
                                                                               4.255

                    1.000           2.000           3.000           4.000            5.000

    Säuglinge, Kleinkinder, Vorschulkinder                    Schulkinder                Jugendliche

Abbildung 13: Anzahl der Behandelten pro 100.000 Versicherte der betreffenden Altersgruppe die mit
mindestens einem Psychopharmakon (N05A, N05B, N05C, N06A, N06B oder N06D) behandelt werden (2017 - 2020)
32 Kinder und Arzneimittel – Verordnungsanalyse

Psychopharmaka bei Kindern vor allem bei ADHS

Mädchen

                    57
Mittel gegen        69
Depressionen        70
                    62

                     186
Mittel gegen         228
Psychosen            242
                     259

                     337
Hypnotika            380
und Sedativa          534
                       669

                      478
Angstlösende          496
Mittel                485
                      394

                                    2.504
                                     2.682
ADHS-Mittel
                                      2.963
                                       3.042

                           2.000        4.000         6.000        8.000       10.000       12.000

    2017               2018               2019                2020

Abbildung 14: Verordnete Arzneimittelpackungen (Mittel gegen Psychosen: NOSA, angstlösende Mittel:
N05B; Hypnotika und Sedativa: N05C, Mittel gegen Depressionen: N06A, ADHS-Mittel: N06B) pro 100.000
versicherten Mädchen oder Jungen unter 12 Jahren
Bei Psychopharmaka
                                                        werden Kindern unter 12
                                                        Jahren am häufigsten
                                                        Mittel zur Behandlung von
                                                        ADHS verordnet
Jungen                                                  (Abbildung 16). Ihr
                                                        Verordnungsumfang steigt
                                                        von Jahr zu Jahr.
                                                        Insgesamt werden diese
               78                                       Psychopharmaka deutlich
Mittel gegen   97                                       häufiger an Jungen als an
Depressionen   117                                      Mädchen verordnet. Nach
                                                        ADHS-Mitteln zeigt auch
               109                                      die Verordnung von
                                                        Hypnotika und Sedativa
                 726                                    einen Anstieg von 2017 zu
                                                        2020. Auch hier werden
Mittel gegen     762
                                                        deutlich mehr Packungen
Psychosen        814                                    an Jungen als an Mädchen
                 828                                    verordnet (Abbildung 14).

                525
Hypnotika       543
und Sedativa      981
                   1.204

                550
Angstlösende     620
Mittel          587
                469

                                                               9.732
                                                                  10.375
ADHS-Mittel
                                                                      11.279
                                                                        11.625

                     2.000   4.000   6.000      8.000      10.000       12.000

   2017         2018          2019           2020
34 Kinder und Arzneimittel – Verordnungsanalyse

In der Gruppe der Hypnotika und Sedativa
dominiert bei Kindern die Verordnung des      Gemäß Leitlinie werden Depressionen bei
Wirkstoffs Melatonin. Seit 2018 gibt es ein   Kindern nicht vorrangig mit Psychophar-
Melatonin-Präparat (SLENYTO ®), das spe-      maka behandelt. Daher bedeutet die feh-
ziell zur Verwendung bei Kindern zugelassen   lende Zunahme bei den Verordnungszahlen
ist – ein sogenanntes PUMA-Arzneimittel       bei Antidepressiva (Mittel gegen Depressi-
(Paediatric Use Marketing Authorisation).     onen) nicht, dass Depressionen bei Kindern
Dieses ist für Kinder und Jugendliche im      keine gesellschaftliche Rolle spielen. Kin-
Alter von 2 bis 18 Jahren mit Schlafstö-      der können durchaus – auch aufgrund der
rungen bei Autismus-Spektrum-Störung          Corona-Pandemie – eine Depression entwi-
und/oder Smith-Magenis-Syndrom zuge-          ckeln. Für eine Behandlung stehen jedoch
lassen, wenn Schlafhygienemaßnahmen           verhaltenstherapeutische Maßnahmen im
unzureichend waren. Im Rahmen der Nut-        Vordergrund.
zenbewertung, die sich allerdings aus-
schließlich auf die zugelassene Anwendung     Ein anderes Bild zeigt sich, wenn nur die
(also die Behandlung von Schlafstörungen      Jugendlichen betrachtet werden (Abbil-
bei Autismus-Spektrum-Störung und/oder        dung 15). Jugendliche werden in den letz-
Smith-Magenis-Syndrom) bezieht, wurde         ten Jahren vermehrt mit Antidepressiva
vom Gemeinsamen Bundesausschuss ein           behandelt. Im Jahr 2017 haben pro 100.000
Anhaltspunkt für einen geringen Zusatz-       versicherten Jugendlichen 811 Jugendliche
nutzen bei SLENYTO® gesehen. Hinsicht-        mindestens ein Antidepressivum ver-
lich der Melatonin-Verordnungen ist in den    schrieben bekommen. Im Jahr 2020 haben
letzten Jahren, insbesondere seit 2018,       pro 100.000 versicherten Jugendlichen
gerade bei Kindern unter 12 Jahren ein        bereits 1.070 Jugendliche mindestens eine
deutlicher Anstieg zu beobachten. Wurden      Verordnung über ein Antidepressivum er-
2017 pro 100.000 Kindern unter 12 Jahren      halten. Die Steigerung der behandelten
noch 313 Packungen abgegeben, waren es        Jugendlichen mit Antidepressiva beträgt
2020 bereits 837 Melatonin-Packungen.         von 2017 auf 2020 30 Prozent. Die Anzahl
35

an Jugendlichen, die im jeweiligen betrach-             Der prozentuale Anteil der Jugendlichen
teten Jahr eine Erstverordnung für ein An-              mit Erstverordnung zu allen behandelten
tidepressivum erhalten haben, nimmt im                  Jugendlichen mit Antidepressiva-Therapie
kompletten Beobachtungszeitraum zu                      ist dagegen minimal rückläufig. Eine mögli-
(Abbildung 15). Bei Jugendlichen liegt die              che Erklärung könnte sein, dass die Antide-
Anzahl derer mit einer Erstverordnung für               pressiva-Therapie bei den behandelten
ein Antidepressivum pro 100.000 Versi-                  Jugendlichen von 2017 zu 2020 durch-
cherte der Altersgruppe zwischen 477                    schnittlich länger andauerte.
(2017) beziehungsweise 588 (2020) – das
ist eine Steigerung von rund 23 Prozent.

Immer mehr Jugendliche mit Antidepressiva-Therapie

2017                        477 (59%)                                 811

2018                           526 (58%)                                    910

2019                           527 (55%)                                        966

2020                                588 (55%)                                           1.070

                    200            400           600            800          1.000          1.200

    Jugendliche mit                                 davon Antidepressiva-
    Antidepressiva-Verordnung                       Erstverordnung

Abbildung 15: Anzahl der Jugenlichen mit Antidepressiva-Verordnung und Jugendlichen mit Antidepressiva-
Erstverordnung pro 100.000 Jugendlichen, die mit mindestens einem Antidepressivum (N06A) behandelt
werden (2017 - 2020)
36 Kinder und Arzneimittel – Verordnungsanalyse

Geschlechterunterschiede bei Jugendlichen vor allem bei Mitteln gegen
Depressionen und ADHS erkennbar

Mädchen

                               3.583
Mittel gegen                    4.150
Depressionen                     4.530
                                   5.377

                        1.424
Mittel gegen            1.574
Psychosen                1.730
                          2.017

                     507
Hypnotika            558
und Sedativa          840
                      1.066

                     379
angstlösende         409
Mittel               440
                     460

                                      6.183
                                       6.753
ADHS-Mittel
                                         7.299
                                         7.583

                             5.000        10.000         15.000        20.000        25.000        30.000

    2017                2018               2019                2020

Abbildung 16: Verordnete Arzneimittelpackungen (Mittel gegen Psychosen: N05A, angstlösende Mittel: N05B;
Hypnotika und Sedativa: N05C, Mittel gegen Depressionen: N06A, ADHS-Mittel: N06B) pro 100.000 versicherten
Mädchen oder Jungen zwischen 12 und 17 Jahren
Auch bei Jugendlichen werden bei den
                                        Psychopharmaka am häufigsten Mittel zur
                                        Behandlung von ADHS verordnet (Abbildung
                                        16). Ihr Verordnungsumfang steigt von Jahr
Jungen                                  zu Jahr; wobei bei den Jungen im Jahr 2020
                                        ein leichter Rückgang bei den Verordnungen
                                        zu erkennen ist. Nach ADHS-Mitteln zeigt
                                        auch die Verordnung von Mitteln gegen
                 1.603                  Depressionen einen Anstieg von 2017 zu
Mittel gegen     1.788                  2020. Hier werden deutlich mehr Packungen
Depressionen      1.934                 an Mädchen als an Jungen verordnet. Bei den
                                        Mitteln gegen Psychosen werden mehr
                  2.019
                                        Packungen an Jungen als an Mädchen verord-
                                        net und bei Hypnotika und Sedativa sowie
                     2.408              angstlösenden Mitteln gibt es kaum
                                        geschlechterspezifisch Unterschiede bei den
Mittel gegen         2.582
                                        Verordnungen.
Psychosen            2.653
                      2.809             Welchen Langzeiteinfluss die Coronapande-
                                        mie auf die Verordnung von Psychopharmaka
                                        insgesamt hat, ist derzeit noch unklar und
               519
                                        wäre künftig näher zu untersuchen.
Hypnotika      640
und Sedativa    998
                1.215

               307
angstlösende   360
Mittel         400
               372

                                                              22.057
                                                                   24.432
ADHS-Mittel
                                                                        27.053
                                                                       26.625

                      5.000   10.000   15.000      20.000        25.000       30.000

   2017         2018          2019         2020
38 Kinder und Arzneimittel – Verordnungsanalyse

PUMA – Fluch oder Segen? In Zusam-             speziell bei Kindern angewendet werden.
menhang mit Arzneimitteln versteht man         Bei der PUMA handelt es sich um eine neue
unter dem Begriff PUMA keine südamerika-       Form der Arzneimittelzulassung. Diese
nischen Wildkatze. Vielmehr handelt es         kann vom Hersteller prinzipiell für jedes
sich um Arzneimittel, für die eine geson-      Arzneimittel beantragt werden, welches
derte Zulassung zur Verwendung bei Kin-        bereits für Erwachsene zugelassen ist. Mit
dern vorliegt. Das Kürzel PUMA steht für       der PUMA hat der Hersteller die Möglich-
den englischen Begriff „Paediatric Use         keit, bereits für Erwachsene zugelassene
Marketing Authorisation“. Üblicherweise        Wirkstoffe ohne Patentschutz oder ergän-
werden neue Arzneimittel vor der Zulas-        zendes Schutzzertifikat in einer kindge-
sung in klinischen Studien an Erwachsenen      rechten Darreichungsform speziell für die
getestet und sind dann auch ausschließlich     Verwendung bei Kindern zu vermarkten.
für Erwachsene zugelassen. Wenn auf-           Dem pharmazeutischen Unternehmer wer-
grund fehlender Studienergebnisse kein         den dabei ähnliche Zeiträume für den Un-
geeignetes Arzneimittel für Kinder zuge-       terlagenschutz und die Marktexklusivität
lassen ist, greifen Behandelnde daher in       gewährt wie für Arzneimittel-Erstzulas-
der Regel auf Erwachsenenpräparate zu-         sungen.
rück. Das ist nicht nur rechtlich problema-
tisch, sondern kann auch Risiken bergen,       Das scheint auf den ersten Blick eine
da Kinder in Bezug auf Darreichungsform,       Win-Win-Situation zu sein: Alle Beteiligten
Dosierung, Verträglichkeit und Wirksam-        ziehen einen Nutzen aus der PUMA – die
keit des Arzneimittels eben keine kleinen      Hersteller, die Behandelnden und die zu be-
Erwachsenen sind.                              handelnden Kinder. Daher erstaunt es,
                                               dass in Deutschland bisher erst so wenig
Um die Verfügbarkeit und Sicherheit von        PUMA-Arzneimittel zugelassen sind, obwohl
Arzneimitteln für Kinder zu erhöhen, trat      die Neuregelungen für Kinderarzneimittel
2007 die Kinderarzneimittelverordnung          bereits im Januar 2007 vollumfänglich in
der Europäischen Union in Kraft. Diese soll-   Kraft getreten sind. Dafür gibt es verschie-
te den rechtlichen Rahmen für eine Verbes-     dene Gründe. Auch für die PUMA-Zulas-
serung der Therapie (zum Beispiel kindge-      sung müssen die Ergebnisse klinischer
rechte Darreichungsform, kindgerechte          Studien vorgelegt werden. Aber für die
Dosierung) und für eine Verbesserung der       Durchführung klinischer Studien an Kin-
Informationen zu Arzneimitteln bilden, die     dern gibt es aus ethischen und rechtlichen
39

Gründen sehr hohe Hürden für den Her- schen Markt nur sechs PUMAs zugelassen.
steller, sodass der Aufwand noch größer ist Die zugelassenen Präparate dienen zur Be-
als ohnehin schon bei Arzneimitteln für handlung von Krampfanfällen (BUCCU-
Erwachsene üblich. Zusätzlich kommt er- LAM®, KIGABEQ®), von chronisch krankhaft
schwerend hinzu, dass sich zur Kostenre- gesteigertem Speichelfluss infolge neuro-
gulierung neu zugelassene Arzneimittel, logischer Erkrankungen (SIALANAR®), von
die zu Lasten der gesetzlichen Krankenver- gutartigen Gefäßtumoren im Kindesalter
sicherung verordnet werden, seit 2011 in (HEMAN-GIOL®), von Schlafstörungen, zum
Deutschland einer sogenannte frühen Beispiel bei Autismus (SLENYTO®), bezie-
Nutzenbewertung (§ 35a Sozialgesetz- hungsweise als Ersatztherapie bei unzurei-
buch V, Zusatznutzenbewertung) beim chender Funktion der Nebenniere (ALKIN-
dafür zuständigen Gemeinsamen Bundes- DI®). Von diesen Erkrankungen sind in der
ausschuss unterziehen                                         Regel wenige Kinder be-
müssen. Das gilt auch für                                     troffen – was wirtschaft-
PUMA-Arzneimittel, ist             Bisher sind in             lich betrachtet für den
aber durchaus nicht un-        Deutschland sechs Hersteller nicht sehr at-
problematisch, weil es oft                                    traktiv ist.
nur eingeschränkt zweck-
                               PUMAs zugelassen
mäßige Vergleichsthera-                                       BUCCOLAM® ist bereits
pien gibt, an denen sich der Zusatznutzen seit 2011 auf dem Markt und brauchte da-
bemessen lässt. Somit ist es zwar einer- her kein Nutzenbewertungsverfahren
seits ein Segen, dass es die Bestrebung durchlaufen. Die übrigen PUMAs wurden
und den rechtlichen Rahmen für PUMA- später zugelassen und mussten beim dafür
Arzneimittel gibt – andererseits sind die zuständigen Gemeinsamen Bundesaus-
hohen Hürden zum Schutz der zu schuss ein Verfahren zur Nutzenbewer-
Behandelnden (Minimierung des Behand- tung absolvieren. Für KIGABEQ® und
lungsrisikos) und der Versicherten (Kosten- ALKINDI® gilt der Zusatznutzen im Verhält-
regulierung) aber durchaus auch als Fluch nis zur zweckmäßigen Vergleichstherapie
anzusehen.                                  als nicht belegt. Für andere bewertete
                                            PUMAs stellt der Gemeinsame Bundesaus-
Aus den oben beschriebenen Gründen gibt schuss nur einen Anhaltspunkt für einen
es deshalb bisher nur sehr wenige PUMA-
Arzneimittel. Derzeit sind auf dem deut-
40 Kinder und Arzneimittel – Verordnungsanalyse

nicht quantifizierbaren Zusatznutzen (SI-
ALANAR®) beziehungsweise einen An-
haltspunkt für einen geringen Zusatznut-
zen (SLENYTO®) fest. Bei HEMANGIOL® ist      Arzneimittel eingesetzt werden, ist eher
die Bewertung abhängig von der Indikati-     unabhängig von der Corona-Pandemie.
on. Bei Patientinnen oder Patienten mit      BUCCOLAM®, ein Präparat das 2011 zuge-
Lebens- oder funktionsbedrohendem Hä-        lassen wurde, war in allen vier Betrach-
mangiom und Patientinnen oder Patienten      tungszeiträumen (2017 bis 2020) auf dem
mit ulzeriertem Hämangiom, das Schmer-       Markt. So wurden 2017 pro 100.000
zen verursacht und/oder nicht auf einfache   Kindern unter 12 Jahren 275 Packungen
Wundpflegemaßnahmen anspricht, ergab         abgegeben und 2020 344 Packungen
sich für HEMANGIOL® nur ein Anhaltspunkt     (Abbildung 17). Beim PUMA-Arzneimittel
für einen nicht quantifizierbaren Zusatz-    SLENYTO®, das erst seit 2018 auf dem
nutzen. Für Kinder mit Hämangiom, bei        Markt ist, haben die Verordnungszahlen
dem die Gefahr von bleibenden Narben         stetig zugenommen. So wurden im Jahr
oder Entstellung besteht, gibt es hingegen   2018 pro 100.000 Kinder 12 Packungen
einen Hinweis für einen erheblichen Zu-      und im Jahr 2020 bereits 576 Packungen
satznutzen.                                  verordnet. Beim PUMA-Arzneimittel KIGA-
                                             BEQ®, das auch seit 2018 auf dem Markt
Anhand der TK-Versichertendaten wurde        ist, kann dagegen kein großer Zuwachs bei
für den vorliegenden Report ausgewertet,     den Verordnungen beobachtet werden. Es
in welchem Umfang PUMA-Arzneimittel an       wurden im Jahr 2019 pro 100.000 Kindern
Kinder unter 12 Jahren verordnet werden.     eine Packung und im Jahr 2020 12 Packun-
Dies erfolgte ohne Berücksichtigung von      gen verordnet. Die Verordnungssituation
Diagnosen. Das Ausmaß, in dem PUMA-          hängt scheinbar vom Anwendungsbereich
                                             des Wirkstoffs ab. Aber auch der Zeitpunkt
                                             der Markteinführung des Arzneimittels
                                             sowie die Verfügbarkeit alternativer Präpa-
                                             rate spielen wahrscheinlich eine Rolle.
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