Beitrag: Steigende Strompreise-Manuskript
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Manuskript Beitrag: Steigende Strompreise – Hartz IV-Regelsatz reicht oft nicht Sendung vom 14. April 2015 von Jörg Göbel und Julian Prahl Anmoderation: So langsam wird es Frühling. Wie schön! Es gibt aber Menschen, für die ist der Frühling nicht nur einfach schön, sondern lebenswichtig. Geringverdiener, die Bezieher kleiner Renten, Hartz IV-Empfänger - also Arme, die im Winter frieren mussten und im Dunkeln saßen, weil sie die hohen Energiepreise einfach nicht bezahlen können. Sie werden abgesperrt vom Strom und ausgesperrt vom Leben. Mitten in Deutschland können Alleinerziehende ihren Kindern kein warmes Essen kochen, können hilfsbedürftige Schwerkranke nicht telefonieren. Für die auf der Schattenseite unserer Wohlstandsgesellschaft bringt der Frühling zwar ein wenig Erleichterung, aber insgesamt bleibt es sozial kalt und finster, zeigen Jörg Göbel und Julian Prahl. Text: Monika Fischer beobachtet sehr genau, wie viel Strom sie täglich verbraucht. Sie bezieht Hartz IV, bekommt derzeit 399 Euro. Und davon muss sie auch den Strom bezahlen. Das hat sie nicht immer geschafft. Bis vor Kurzem wurde ihr der Strom gesperrt. Fast acht lange Monate hatte sie kein Licht, keinen Kühlschrank, keinen Fernseher. Und das trotz schwerer Krankheit. Monika Fischer hat Krebs, ist gezeichnet von der Chemotherapie. O-Ton Monika Fischer, Hartz IV-Bezieherin: Ohne Strom – das kann sich kein Mensch vorstellen. Das kann man auch nicht beschreiben. Es ist einfach nur ganz entsetzlich. In den Schuldenstrudel geriet sie mit der Jahresabrechnung 2013, muss deutlich nachzahlen. Ihr Stromversorger verlangte plötzlich 274 Euro mehr. Geld, das sie nicht aufbringen konnte. Der Schuldenbetrag wuchs inklusive Mahngebühren schnell auf etwa 500 Euro an. Monika Fischer wendet sich ans Jobcenter, bittet um Hilfe. Für
solche Notlagen kann die Behörde einen Kredit gewähren. O-Ton Monika Fischer, Hartz IV-Bezieherin: Ich hab‘ dann gesagt, ja, was soll ich denn machen? Und: Ja wir können Ihnen nicht helfen. Das war die Antwort. O-Ton Frontal 21: Kein Darlehen? O-Ton Monika Fischer, Hartz IV-Bezieherin: Nein. O-Ton Frontal 21: Haben Sie nach einem Darlehen gefragt? O-Ton Monika Fischer, Hartz IV-Bezieherin: Nein, nicht explizit. O-Ton Frontal 21: Hätte man Sie ja beraten können. O-Ton Monika Fischer, Hartz IV-Bezieherin: Hätte man, ja. Keine Beratung, keine Hilfe. Monika Fischer bekommt kein Darlehen. Der Strom wird gesperrt. Wir fragen nach beim Jobcenter. Dort sei kein schriftlicher Antrag von Monika Fischer eingegangen. Zitat: „Von dieser Stromsperre hat das Jobcenter (…) durch den Vermieter erfahren. Frau Fischer hat das Jobcenter nicht informiert.“ Ohne schriftlichen Antrag läuft nichts, obwohl das Darlehen meistens die letzte Chance ist, eine Stromsperre abzuwenden. Frank Jäger berät im Erwerbslosenverein Tacheles in Wuppertal seit vielen Jahren Hartz IV-Empfänger. Immer wieder erzählen ihm Betroffene, dass sie von den Behörden im Stich gelassen werden. O-Ton Frank Jäger, Erwerbslosenverein Tacheles, Wuppertal: Der Hauptpunkt ist eben, dass man nicht aufgeklärt wird. Man kriegt also quasi gewisse Informationen nicht. Dabei sind Sozialbehörden eigentlich gesetzlich verpflichtet, Aufklärung und Beratung zu leisten. Probleme bei den Strom-Darlehen? Davon will die Bundesagentur für Arbeit nichts wissen. Auf Anfrage heißt es: Der Bundesagentur
liegen, Zitat: „… keine Erkenntnisse vor, die einen Missstand aufweisen.“ Doch die Zahl der Stromsperrungen steigt von Jahr zu Jahr. Laut Bundesnetzagentur wurde allein 2013 fast sieben Millionen Mal eine Sperre angedroht und in knapp 350.000 Fällen wurde der Strom tatsächlich abgestellt, die Mehrheit davon Hartz IV- Empfänger. Wie die Jobcenter mit Hilfe suchenden Hartz IV-Empfängern umgehen, hat sie selbst erlebt. Inge Hannemann war dort jahrelang Sachbearbeiterin, bis sie es nicht mehr aushielt. Vor zwei Jahren schmiss sie hin. Seitdem prangert sie die Arbeitsweise in den Jobcentern an. Hat darüber Bücher geschrieben. O-Ton Inge Hannemann, ehemalige Jobcenter-Mitarbeiterin: Ich sag mal, wer gut informiert ist, wer mit ‘nem Beistand kommt, wer die Gesetze kennt, also schon halb selbst Jurist ist, der wird auch gut behandelt. Ja, weil der kann sich wehren. Der kennt dann den nächsten Weg, wenn er es abgelehnt bekommt, was er dann macht. Jemand der wirklich auf die tatsächliche Hilfe vertraut, auf das Recht im Jobcenter, der ist verloren. Hauptgrund für die finanziellen Nöte der Hartz IV-Empfänger: Die Erhöhung des Regelsatzes hat nicht Schritt gehalten mit den steigenden Strompreisen. So wurde Hartz IV in den vergangenen sieben Jahren um 10,3 Prozent erhöht. Die Strompreise für Endkunden stiegen hingegen durchschnittlich um 37,5 Prozent. Viele Geringverdiener und Hartz-IV-Empfänger wie Monika Fischer müssen zudem ausgerechnet den so genannten Grundversorger-Tarif zahlen. In diesen werden Kunden automatisch eingestuft, wenn sie nicht zu einem anderen Anbieter mit günstigeren Tarifen wechseln wollen oder können, wie Monika Fischer leidvoll erfahren musste. O-Ton Monika Fischer, Hartz IV-Bezieherin: Ich hätte circa 20 Euro gespart - plus minus ein, zwei Euro. Wollte dann auch wechseln, weil 20 Euro - davon kann ich fast ‘ne Woche leben. Und in meiner Situation ist das sehr viel Geld. Und, wie gesagt, ich wollte dann wechseln, bekam aber dann die Nachricht, es geht nicht, weil meine Schufa- Auskunft nicht gut war. Sprich: schlechte Bonität. Gerade für Hartz IV-Empfänger ist das gravierend: Denn die Preisunterschiede zwischen den teuren Grundversorger-Tarifen
und alternativen Angeboten sind deutlich, wie die Verbraucherzentrale in Nordrhein-Westfalen festgestellt hat. O-Ton Peter Blenkers, Energieexperte, Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen: In Nordrhein-Westfalen ist es so, dass durch einen Anbieterwechsel Verbraucher mit einem durchschnittlichen Verbrauch ungefähr 200, 230 Euro einsparen könnten, im Jahr. Wenn sie zu einem alternativen Anbieter gehen, ist es so, dass der schaut, ob dieser Kunde kreditwürdig ist. Und, wenn er nicht kreditwürdig ist, kriegt also gerade der Ärmste der Armen diesen günstigen Tarif nicht und bleibt in der Grundversorgung. Er will nicht nur helfen, sondern hat auch eine Marktlücke entdeckt: Heiko Christiansen - auf dem Weg zum nächsten Kunden. Er kümmert sich um die, die sonst kein Stromversorger haben will. Früher war er Caritas-Mitarbeiter, heute hat er ein eigenes Energieunternehmen. Wenn Heiko Christiansen bei einem seiner Kunden ankommt, ist er nicht nur Stromverkäufer, sondern auch Sozialarbeiter. Gemeinsam mit den Betroffenen schreibt er Anträge fürs Jobcenter. O-Ton Heiko Christiansen, Gallier-Energie: Die Jobcenter genehmigen zu wenige Leistungen. Das decken wir auf, bei den Kunden, und fordern dieses Geld ein. Und schließen dadurch die Lücke, die der Staat eigentlich schließen sollte - oder gar nicht erst entstehen sollte. Wir fragen bei der Bundesregierung nach, warum sie diese Lücke nicht schließt. Doch die sieht keinen Handlungsbedarf, Zitat: „Das Konzept der Grund- und Ersatzversorgung stellt sicher, dass im Grundsatz jeder Haushaltskunde mit Strom (…) beliefert wird.“ Die Ärmsten bleiben also weiter in der Strompreis-Falle stecken, kritisiert die Opposition im Bundestag: O-Ton Oliver Krischer, B‘90/Grüne, MdB, stellvertretender Fraktionsvorsitzender: Die Bundesregierung ignoriert dieses Thema. Sie sitzt das aus. 350.000 Stromsperren sind offensichtlich für Herrn Gabriel keinen Anlass, irgendetwas zu tun. Ich staune, dass ein sozialdemokratischer Wirtschaftsminister, der ja eigentlich ansonsten auch der Anwalt der kleinen Leute ist, hier überhaupt nicht handelt, sondern einfach das Problem aussitzt.
Nachdem das Jobcenter sie allein gelassen hatte, wandte sich Monika Fischer an einen Schuldnerberater. Jetzt stottert sie mühsam Monat für Monat ihre Schulden ab. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.
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