Bewegung, Spiel und Sport in offenen Ganztagsschulen
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Bewegung, Spiel und Sport in offenen Ganztagsschulen Roland Naul Seit Beginn der Diskussion über die Ganztagsschule gibt es Vorschläge und Konzepte, wie der Sport- unterricht die besonderen pädagogischen Ziele dieser Schulform aufnehmen und umsetzen kann. So ist z. B. das Thema des „sozialen Lernens im Sport" in den 70er Jahren zum Teil über die Diskussion der Ganztagsschule angestoßen und beeinflusst worden. Während der Sportunterricht in der Ganztags- schule aber eine Unterrichtsveranstaltung ist, die sowohl am Vormittag als auch am Nachmittag von Sportlehrern und Sportlehrerinnen erteilt wird, geht es beim Thema „Bewegung, Spiel und Sport in of- fenen Ganztagsschulen" allein um ein Angebot am Nachmittag. Ein solches außerunterrichtliches An- gebot wird von außerschulischen Trägern aus der Kinder- und Jugendhilfe (z. B. Sportvereinen) und ihrem Personal erbracht. 2007 insgesamt eine Fördersumme Verein/Verband/Sportinstitution" Merkmale einer neuen von vier Milliarden Euro vorsieht, oder „mit einer Einzelperson") für Schulform und ihr um in Deutschland weitere 10000 die lokale Schulleitung einer Ganz- politischer Hintergrund Ganztagsschulen einzurichten. Über tagsschule vorsieht, ist in der „Rah- fünf Haushaltsjahre verteilt erhalten menvereinbarung" zwischen den Die bekannte Ganztagsschule alter Länder wie z. B. Baden-Württem- zwei Ministerien in NRW (MSJK, Prägung wird heute als „gebunde- berg rund 528 Millionen Euro oder MSWKS) und dem LSB NRW festge- ne" Ganztagsschule bezeichnet, mit Nordrhein-Westfalen 913 Millionen legt worden (Juli 2003), dass allein obligatorischem Unterricht am Euro für die Finanzierung von Maß- die lokalen Stadtsportbünde oder Nachmittag für alle Schulkinder, nahmen im Rahmen ihrer länder- Kreissportbünde des LSB mit ihren während die „offene Ganztagsschu- spezifischen Ganztagsschulprojek- neu eingerichteten Ganztagsstellen le" keine Pflichtschule ist, sondern te, die verschiedene Angebotsfor- vor Ort die vertraglichen Partner nur Kinder und Jugendliche an den men umfassen können (vgl. Rother, für den Schulträger der Ganztags- außerunterrichtlichen Angeboten 2003). Das IZBB-Förderprogramm schulen in den Kommunen sein ihrer Schule nachmittags teilneh- stellt den Bundesländern seit dem werden. men, die für ein ganzes Schuljahr Jahr 2003 diese Mittel für den Seit dem Juni 2002 gibt es jedoch von ihren Eltern bzw. Erziehungs- Ausbau von Ganztagsschulen zur eine noch vielschichtigere Debatte berechtigten dafür angemeldet wor- Verfügung. Dementsprechend rea- (vgl. Appel et al., 2003) über „Pro den sind. gierten einige Bundesländer mit und Contra" der OGS, mittlerweile Bei den Angeboten in der Offenen entsprechenden Erlassen zur Ein- auch mit verschiedenen sportpä- Ganztagsschule (OGS) sollen „Ler- führung der OGS und mit Koopera- dagogischen Akzenten (vgl. Naul, nen, Erziehen und Betreuen" zu- tionsvereinbarungen mit den ver- 2003; Fessler, 2004; Naul & Völz, sammen für mehr Bildungsqualität schiedenen nicht-staatlichen Trä- 2005). Der Hintergrund für die sorgen und einen Beitrag zu einer gern aus der Kinder- und Jugendhil- kontroverse Diskussion ist heute familienfreundlichen Sozialpolitik fe. Als erstes Bundesland schloss weniger parteipolitisch als vielmehr leisten. Dabei soll die OGS insbe- das Land Rheinland-Pfalz, vertreten dadurch geprägt, inwieweit die bil- sondere für Frauen die Vereinbar- durch das „Ministerium für Bildung, dungspolitische oder die sozialpoli- keit von Familie und Beruf fördern. Frauen und Jugend", im April 2003 tische Funktion der offenen Ganz- Die Einführung der OGS steht im mit dem LSB Rheinland-Pfalz eine tagsschule den Tenor bestimmt. Bil- Zusammenhang mit dem im Juni sog. „Rahmenvereinbarung" über dungspolitisch sehen viele im IZBB- 2002 von der Bundesregierung „Sport in der neuen Ganztagsschu- Programm auch eine Antwort auf verabschiedeten „Investitionspro- le". Während diese Rahmenverein- den sog. PISA-Schock (vgl. SPU Heft gramm Zukunft Bildung und Be- barung „grundsätzlich drei Mög- 5/2003), der seit 2002 Deutschland treuung" (IZBB), das für alle 16 bewegt. Allerdings werden Zweifel lichkeiten" („Dienstleistungsvertrag", Bundesländer für die Jahre 2003 bis deutlich, ob die außerunterrichtli- „Kooperationsvertrag mit einem/r Sportunterricht, Schorndorf, 54 (2005), Heft 3
Bewegung, Spiel und Sport in offenen Ganztagsschulen chen Betreuungsformen der OGS gabenbetreuung, 3. kreative, musi- mit Kräften aus der Kinder- und sche, sportliche Aktivitäten und Außerunterrichtlicher Jugendhilfe die Lerndefizite des freizeitliche Angebote, die in der Schulsport Schulunterrichts ausgleichen kön- Regel bis 16 Uhr und an mindestens nen. Sozialpolitisch sehen wiede- 4 Tagen in der Woche stattfinden. Die neuen Angebote für die OGS rum andere keine Notwendigkeit, Bei den Förderangeboten nennt treffen überall auf „gewachsene" unter dem Dach der Schule eine der Erlass als Beispiele „Hausaufga- Strukturen des Schulsports, der neue Form der Kinder- und Jugend- benhilfen, Förderkurse, Sprachför- schrittweise seit Ende der 60er hilfe aufzubauen, sofern deren Fi- derung". Zu den weiteren Angebo- Jahre über die Einrichtung von nanzierung seitens der Kommune ten zählen Arbeitsgemeinschaften außerunterrichtlichen „Neigungs- nur durch den Abbau anderer, und Projekte: „Kunst, Musik, Wer- gruppen", „Arbeitsgemeinschaften" schon vorhandener kommunaler ken, Geschichtswerkstätten, natur- (AGs) bzw. „Freiwilligen Schul- Kinderförder- und Jugendhilfe-Pro- wissenschaftliche Experimente, sportgemeinschaften" ein eigenes gramme möglich wird. Sport". Ferner sind „Angebote zur außerunterrichtliches Profil entwi- Da seit Beginn des Schuljahres musisch-künstlerischen Bildung ckelt hat. Bei diesen Angebotsfor- 2003/04 die Entwicklung der OGS und Erziehung sowie Bewegung, men gab und gibt es neben dem besonders vom LSB NRW mit nach- Spiel und Sport einschließlich kom- außerunterrichtlichen Wettkampf- haltigen Impulsen versehen wurde pensatorischer Bewegungsförde- wesen (Landessportfest der Schu- (vgl. LSB NRW, 2003; 2004), soll im rung" vorgesehen. Die len, Jugend trainiert für Olympia) Folgenden am Beispiel des Bundes- Landesregierung nennt als Ziel- eine enge Zusammenarbeit zwi- landes NRW die weitere Entwick- vorgabe für das Jahr 2007: 25% aller schen Schule und Verein. Die wei- lung der außerunterrichtlichen Be- Grundschulkinder (ca. 200000 Kin- teren didaktisch-curricularen Ent- wegungs-, Spiel- und Sportangebo- der) an 75% aller Grundschulen (ca. wicklungen in den 70er Jahren te im offenen Ganztag dargestellt 2600) in NRW sollen bis 2007 an führten schließlich im Zuge der werden. den Angeboten der offenen Ganz- neuen „Richtlinien und Lehrpläne tagsschule teilnehmen. Für jedes für Sport an den Schulen in NRW" angemeldete Schulkind erhält der (1980/81) zur Einführung von zwei Eckdaten der Offenen Schulträger aus Mitteln der Lernbereichen, die bis heute ihre Landesregierung pro Schuljahr als Gültigkeit (trotz neuer pädagogi- Ganztagsgrundschule „Bemessungsgrundlage" 615 Euro. in NRW scher Rahmenvorgaben für den Zusätzlich wird pro 25 angemeldete Schulsport; vgl. MSWFF, 1999) be- Schülerinnen und Schüler 0,1 halten haben: „Sportunterricht" Mit Erlass vom 12. 2. 2003 (vgl. Lehrerstelle gewährt. Werden keine und „außerunterrichtlicher Schul- MSJK, 2003) wurde seitens des Mi- Lehrerstellen vom Schulträger in sport". Zu dieser Einrichtung eines nisteriums für Schule, Jugend und Anspruch genommen, können er- eigenen außerunterrichtlichen Lern- Kinder (MSJK) die „Offene Ganz- satzweise weitere 205 Euro pro bereichs haben zwei wichtige päda- tagsschule im Primarbereich" einge- Kind gewährt werden. Mit insge- gogische Impulse beigetragen, die führt. Im ersten Schuljahr (2003/04) samt 820 Euro trägt das Land 66% für die aktuelle Diskussion über beteiligten sich 234 Grundschulen. der Förderung. Die restlichen 33%, Bewegung, Spiel und Sport im offe- Laut LSB gab es an ca. 80% dieser also 410 Euro pro Kind und Schul- nen Ganztag nicht übersehen wer- Schulen auch Bewegungs- und jahr, soll die Kommune als Schulträ- den dürfen. Sportangebote (vgl. Kohl, 2004). Im ger zahlen, wobei hier zur Kosten- Auf dem Olympischen Wissen- zweiten Schuljahr 2004/05 wuchs deckung umgewidmete Mittel aus schaftskongress in München 1972 die Zahl der Ganztagsgrundschulen bisherigen kommunalen Ausgaben forderte der Pädagoge Hartmut von in NRW auf 703 Schulen. Aber auch für die Kinder- und Jugendhilfe ge- Hentig als Festredner seine „Ent- in anderen Bundesländern wie z. B. nommen werden sollen und zusätz- schulungsthese" für den gerade er- in Hessen oder Rheinland-Pfalz liche finanzielle Trägeranteile ein- starkten und allseits geförderten sind mittlerweile etwa 300 Schulen gestellt werden dürfen. Diese zu- dreistündigen Sportunterricht. Ne- im Ganztag, Tendenz bundesweit sätzlichen Mittel sollen auch über ben dem Unterrichtsfach sollten im steigend. Ab dem kommenden Elternbeiträge mit bis zu maximal allgemeinen Schulleben besondere Schuljahr 2005/06 sollen auch Se- 100 Euro pro Monat einbezogen „Lerngelegenheiten für den Sport" kundärschulen als offene Ganztags- werden. Für ein Gelingen dieser (vgl. v. Hentig, 1972) geschaffen schulen in NRW eingerichtet wer- Mischfinanzierung aus neuen Lan- werden. Auf dem Schulgelände vor den. des-, alten Kommunal- und privaten und nach dem Unterricht, in den Mitteln ist der Schulträger (Schul- Bei der Offenen Ganztagsschule Pausen zwischen den Schulstunden verwaltungsamt der Kommune) geht es um drei außerunterricht- am Vormittag, und nicht nur auf verantwortlich, der auch Subven- liche Nachmittagsangebote: 1. ge- den Sportplätzen und in den Sport- tionsempfänger der Landesmittel meinsames Mittagessen, 2. beson- hallen der Schulen, sollte ein Auf- für die offene Ganztagsschule ist. dere Förderangebote und Hausauf- forderungscharakter für vielfältige Sportunterricht, Schorndorf, 54 (2005), Heft 3
Bewegung, Spiel und Sport in offenen Ganztagsschulen Bewegungsanlässe geschaffen wer- In der Zwischenzeit liegt ein eige- In dieser Strukturierung der BeSS- den. nes Konzept für das außerunter- Angebote werden vor allem die ver- Als eine nachhaltige Wirkung auf richtliche Angebot „Bewegung, schiedenen Bedeutungsformen der diesen Vorschlag folgte nur zwei Spiel und Sport" (BeSS) im Ganztag Bewegung durch subjektive Interes- Jahre später, 1974, von Ommo Gru- vor (vgl. LSB NRW, 2004), auf das sen der Kinder an diesen Bewe- pe und zwei seiner damaligen Mit- hier näher eingegangen werden gungsformen konkretisiert. Fast alle arbeiter im Auftrag des Deutschen soll. Auf der einen Seite werden vier aufgelisteten Interessen der Kinder Bildungsrates das Gutachten zum „Bedeutungsdimensionen der Be- am Sport lassen sich den vier Bewe- Sport und Sportunterricht in der Se- wegung" beschrieben. gungsdimensionen zuordnen bzw. kundarstufe II (vgl. Grupe, Bergner Diese „Dimensionen" umfassen: jede dieser Bewegungsdimension & Kurz, 1974). In'diesem Gutachten umfasst gleich mehrere Interessen 1. eine instrumenteile Bedeutung der Kinder am Sport. wird u. a. die Entschulungsthese der Bewegung, d. h. es soll mit von v. Hentig für den Sportunter- Beide Kriterien werden auf die tra- tels der Bewegung etwas moto richt aufgegriffen und das verstärkte ditionellen acht „Handlungsfelder" risch erreicht, ausgedrückt und Angebot von Lerngelegenheiten für für die Kinder- und Jugendhilfe in dargestellt werden; den Sport in der Schule gefordert. den Sportvereinen und Sportver- Ommo Grupe ging es dabei nicht 2. eine wahrnehmend-erfahrende Bedeutung der Bewegung, die bänden bezogen. Diese acht Hand- um die Einschränkung oder lungsfelder bilden inhaltlich das didaktische Veränderung eines soli- sowohl auf Reaktionen des eige nen Körpers als auch auf das Spektrum für die außerunterricht- den Sportunterrichts. Vielmehr wa- lichen Angebote in der OGS. Die ren aus seiner Sicht alle Versuche, in Kennenlernen der materialen Umwelt beim Bewegungshan acht Handlungsfelder lauten: Bewe- den deutschen Schulen nach dem gungsbildung, Gesundheitsbildung, Zweiten Weltkrieg eine tägliche, ak- deln gerichtet ist; 3. eine sozial-kommunikative Be Mitbestimmung - Mitwirkung, Kin- tive Turn- oder Sportstunde als Be- der stark machen, Interkulturelles wegungszeit für alle Kinder und Ju- deutung der Bewegung; d. h. über eigene Bewegungen und Lernen, Gleichberechtigte Teilhabe gendlichen in den Stundenplan ein- von Jungen und Mädchen, Sicher- zubringen, in den letzten 20 Jahren verschiedene Formen der Kör persprache mit anderen Men heitserziehung/Verkehrserziehung trotz zahlreicher Initiativen und und Umweltbildung (vgl. LSB NRW, Maßnahmen des DSB und anderer schen in Kontakt treten; 2004,49). Partner gescheitert (vgl. Wolf, 1974). 4. eine personale Bedeutung der Bewegung, d. h. es geht um sub Damit liegen zwei Konzeptionen In der Akzentsetzung auf „Lerngele- jektives Erleben und Fühlen der für die außerunterrichtlichen Ange- genheiten" im Schulleben sahen körperlichen Fähigkeiten als bote in der offenen Ganztagsschule Grupe und seine Mitstreiter zum Können, Selbstvertrauen und vor: die außerunterrichtlichen An- damaligen Zeitpunkt die einzige emotionales Erlebnis. gebote des Schulsports im Rahmen Möglichkeit, den Schulalltag für der staatlichen Lehrplanvorgaben, Kinder und Jugendliche mit Bewe- Dieser objektiven Sichtweise auf und das außerunterrichtliche BeSS- gung-, Spiel- und Sportangeboten den Gegenstand „Bewegung" wird Angebot des LSB NRW im Rahmen weiter auszubauen und damit ihre eine zweite, subjektive Sichtweise der Handlungsfelder für eine Kin- körperliche und personale Entwick- aus der Perspektive der „Interessen der- und Jugendhilfe (vgl. Abb. 1). lung besser zu fördern. der Kinder am Sport" (LSB NRW, In der Praxis (vgl. Zimmer in die- 2004, 40 f.) gegenübergesetzt. Hier sem Heft) hat das zu einem sehr werden „Bewegungs- und Sport- breiten Sport- und Bewegungsange- Außerunterrichtliche interessen" in der Lebenswelt von bot an offenen Ganztagsgrund- Bewegungs-, Spiel- und Kindern ausdifferenziert. schulen geführt. Sportangebote in der Diese verschiedenen „Interessen der Kinder am Sport" lauten: Anlei- Offenen Ganztags- tung erfahren; zeigen, was ich kann; grundschule besser aussehen; einen fitten, ge- Gemeinsamkeiten und sunden Körper haben; ausruhen/ Unterschiede: Für das neue außerunterrichtliche entspannen; Fähigkeiten und Fer- „außerunterrichtlicher Angebot im Rahmen der OGS in tigkeiten verbessern; mit Freunden/ Schulsport" und „außer- NRW sind die besonderen Ziele des Gleichgesinnten zusammen sein; Anerkennung bei Gleichgesinnten unterrichtliche BeSS- Kinder- und Jugendhilfegesetzes (KJHG) maßgeblich, die in den zu- und Erwachsenen erwerben; Sport- Angebote" rückliegenden Jahren zu den spezi- geräte/Sportarten kennen lernen fischen Angebotsformen und Inhal- und ausprobieren; auspowern/aus- Eine Analyse beider Konzepte ten für die Kinder- und Jugendar- toben; Spaß haben; sich mit seinen kommt zu dem Ergebnis (vgl. Naul, beit in den Sportvereinen und sportlichen Vorbildern identifizie- 2005), dass die Gemeinsamkeiten Sportverbänden geführt haben. ren und Leistung bringen. zwischen diesen Konzeptionen Sportunterricht, Schorndorf, 54 (2005), Heft 3
Bewegung, Spiel und Sport in offenen Ganztagsschulen Spiel und Sport im Ganztag durch- aus realistisch zu sein, wie es in ei- nem gemeinsamen Positionspapier zwischen dem MSWKS und dem LSB NRW aktuell empfohlen wird (vgl. MSWKS & LSB NRW, 2004). Tägliche Bewegungszeit im Ganztag durch ein „Netzwerk" zwischen Schule und Sportverein Gemeinsame Leitlinien und Rah- menkonzepte für Bewegungs- und Sportangebote im offenen Ganztag machen aus mehreren Gründen Sinn. Allerdings muss auf zentraler Ebene von Anfang an berücksich- tigt werden, dass hier nur ein mög- lichst weit gesteckter Rahmen für vielfältige dezentrale Entwicklun- gen der außerunterrichtlichen An- gebote in Betracht kommen kann. Zielsetzung muss es sein, aus der traditionellen „Zwei-Säulen- landschaft" des Sports (Schulsport und Vereinssport) ein kommunales Netzwerk unter Einbeziehung neu- er Partner in diesem Handlungsfeld zu etablieren und zu fördern. Ein Abb. 1: Bewegungsfreudige Schule NRW 2004 kommunales Netzwerk muss sowohl die verschiedenen „inter- nen" Schulangebote berücksichti- überwiegen. In dem BeSS-Konzept Kindern vorgegeben, während im gen (Bewegungs- und Sportkon- ist formal (Bedeutungsdimensi- BeSS-Konzept erweiterte „Interes- zept), die in das umfassendere onen der Bewegung) und inhaltlich senperspektiven" der Kinder am Be- schulische „Ganztagskonzept" als (Handlungsfelder) eine gewisse wegungshandeln artikuliert wer- Teil des „Schulprogramms" einge- Kompatibilität zu den Rahmenvor- den. Das ist nicht dasselbe. Hier stellt sind, als auch die verschiede- gaben und dem außerunterricht- greift die aktuelle lebensweltliche nen „externen" Entwicklungsberei- lichen Schulsport als Handlungs- Perspektive der Interessen der Kin- che, die als Einflussgrößen für die feld zu erkennen. Zwischen einigen der am Sport im BeSS-Konzept einzelne Schule „Knotenpunkte" in „Sinnperspektiven" auf den Sport in deutlich weiter als die unterstellten einem lokalen Netzwerk bilden. der Schule und einigen „Bedeu- Motive für ihr Sporttreiben in den Das ist einmal die kommunale Kin- tungsdimensionen" der Bewegung pädagogischen Perspektiven auf der- und Jugendhilfe, zum anderen gibt es starke Überschneidungen den Sport in der Schule. Mit den die komplette Sportentwicklung in wie auch die Summe der Hand- Interessen der Kinder am Bewe- einer Kommune. lungsfelder fast wörtlich den in den gungshandeln wird das für die Kin- In einem solchen Netzwerk-Modell Richtlinien und Lehrplänen ge- der- und Jugendhilfe im Ganztag sind die „zwei Säulen" des Kinder- nannten ,,Beiträg[en] des Schul- wichtige Handlungsfeld „Mitbestim- und Jugendsports, Schule und Ver- sports zu überfachlichen Aufgaben mung - Mitwirkung" akzentuiert ein, miteinander verbunden. Sie der Schule" (vgl. MSWFF, 1999, und kommt gegenüber den vorge- bieten im Sinne der offenen Ganz- XXXIII) entspricht. Aber es gibt gebenen Handlungsregulativen für tagsschule Platz für eine „neue auch deutliche Unterschiede den Schulsport deutlich zum Tra- Lernkultur zur besseren Förderung zwischen beiden Konzeptionen. So gen. Dennoch: bei soviel Gemein- der Schüler und Schülerinnen" (Er- werden bei den pädagogischen samkeiten scheint ein integriertes lass MSJK). Damit würden erstmals „Sinnperspektiven" Ziele für das Konzept für die außerunterrichtli- in Deutschland organisatorisch- Bewegungshandeln von chen Angebote mit Bewegung, strukturelle Voraussetzungen ge- sportunterricht, Schorndorf, 54 (2005), Heft 3
Bewegung, Spiel und Sport in offenen Ganztagsschulen schaffen, die es unseren Kindern hen. Bewegung, Spiel und Sport Grupe, O., Bergner, K. & Kurz, D. (1974). und Jugendlichen ermöglichen, mit können bei entsprechenden Ange- Sport und Sportunterricht in der Sekun- darstufe II. In Deutscher Bildungsrat einer täglichen Bewegungszeit ih- boten nachweislich Träger solcher (Hrsg.), Gutachten und Studien der Bil- ren aktiven Lebensstil zu fördern. allgemeinen Entwicklungs- und dungskommission Bd. 4 (S. 109-140). Die Entwicklung eines aktiven Le- Lernprozesse sein. Die verschiede- Stuttgart: Klett. nen unterrichtlichen und außer- Hentig, H. v. (1972). Lerngelegenheiten für bensstils für Kinder und Jugendli- den Sport. Sportwissenschaft, 2, 239- che mit den entsprechenden Essge- unterrichtlichen Bewegungs- und 257. wohnheiten, motorischen Verhal- Sportangebote einer Schule sollten KM NRW (1980). Richtlinien und Lehrplä- tensweisen und einem bewegungs- im Verbund mit außerschulischen ne für den Sport in den Schulen im Lan- de Nordrhein-Westfalen. Bd. I. Frechen: intensiven Freizeitprofil ist eine der Trägern so gestaltet und konzepti- Ritterbach. dringendsten Forderungen in unse- onell gebündelt werden, dass sie Kohl, M. (2004). Sport im Ganztag - ein rer Zeit. Allgemeine Aufgaben der gemeinsam in den Rhythmus des neuer Baustein der Kooperation Schule wöchentlichen Stundenplans einge- - Sportverein. Betrifft: Sport, 26 (H. 3), Kinder- und Jugendhilfe im Sport 14-19. müssen sich daran in gleicher passt werden, und jedes Schulkind LSB NRW (2003 )• Sport in der Ganztags- Weise messen wie die Aufgaben an einer täglichen Bewegungszeit betreuung - Sachstand und Handlungs- und Ziele des Sportunterrichts und teilnehmen kann. schritte. Duisburg: LSB. LSB NRW (2004). Bewegung, Spiel und des außerunterrichtlichen Schul- Damit würde nicht nur ein aktiver Sport im Ganztag - aber sicher! Duis- sports. Denn „Übergewicht" bei Lebensstil bei Kindern und Jugend- burg: LSB. gleichzeitig fortschreitender „Bewe- lichen gefördert. Vielmehr würde in MSKJ (2003). Runderlass „Offene Ganz- gungsarmut" stellen heute die bei- der Zukunft auch das als „Bildung" tagsschule im Primarbereich". Amtsblatt NRW, 45. den zentralen Herausforderungen und als eine „neue Lernkultur" ver- MSKJ, MSWKS & LSB NRW (2003). Rah- dar, die eine gesunde Entwicklung wirklicht, was in der Bildungsre- menvereinbarung zwischen dem Lan- von Kindern und Jugendlichen in formphase der 70er Jahre Sportpä- desSportBund, dem Ministerium für den letzten Jahren immer mehr ge- dagogen bewogen hat, neben dem Schule, fugend und Kinder und dem Mi- nisterium für Städtebau und Wohnen, fährden. Aktuelle Forschungsergeb- Sportunterricht „außerunterrichtli- Kultur und Sport. Düsseldorf: MSJK. nisse in der EU und Deutschland che Lerngelegenheiten" im Sport MSWKS (2004). Positionspapier „Schul- zeigen, dass im Durchschnitt jedes und in der Schule zu etablieren. Die sport beim Ausbau und bei der Quali- 6. Schulkind bei uns übergewichtig tätsentwicklung von Bewegungs-, Spiel- sozialen Aufgaben der Kinderhilfe und Sportangeboten in der offenen ist, Tendenz rasch steigend, und in und die pädagogischen Ziele einer Ganztagsschule in NRW". Düsseldorf: einigen Regionen Europas ist es be- motorisch akzentuierten Lernkultur MSWKS. reits jedes 3. Schulkind (vgl. Brett- finden in einem integrierten Bewe- MSWWF (1999). Richtlinien und Lehrplä- ne Sport. Grundschule. Frechen: Ritter- schneider & Naul, 2005). gungs- und Sportkonzept ihre ge- bach. Bewegungsmangel und Überge- meinsame Synthese. Diese Synthe- Naul, R. (2003). Offene Ganztagsschule: wicht sind heute ein „epochetypi- se umfasst gleichermaßen Lernen Chancen und Risiken für den Sport. In sches Schlüsselproblem" (Klafki) in und Üben, Erfahren und Erleben LSB NRW, WFLV & WGI (Hrsg.), Bewe- gung, Spiel, Sport und Ganztagsbetreu- unserer Gesellschaft, dem wir uns und Mitwirken und Handeln aus ung in Schulen (S. 9-25). Duisburg: im Interesse der heranwachsenden Sicht der Kinder. Zusammen defi- WFLV. Generation in der Schule nachhaltig nieren sie damit eine neue Ganz- Naul, R. (2005): Sport und Bewegung im stellen müssen. Dabei geht es hier heitlichkeit in der Bildung, für die Ganztag. Vortrag auf dem 5. Workshop des MSKJ zur Offenen Ganztagsschule nicht allein um die Förderung von Betreuung und Hilfe erforderlich in Bielefeld 2005 „Bewegung, Spiel und Sport", son- sind, um Erziehung im Medium Naul, R. & Völz, C. (2005). Bewegung, dern auch um Konzentrationsfähig- vielfältiger motorischer Lerngele- Spiel und Sport im Ganztag: pädagogi- keit und Aufmerksamkeit für das all- genheiten zu sichern. sche Ansprüche zwischen Schulsport und der Kinder- und Jugendhilfe. In A. gemeine Lernen. Es geht um die Gogoll & A. Menze-Sonneck (Hrsg.), Entwicklung von Anstrengungsbe- Literatur Qualität im Schulsport. Hamburg: Czwa- reitschaft und die Bewältigung von Appelt, H., Ludwig, H., Rother, U. & Rutz, lina (im Druck). Lern- und Lebensanforderungen, G. (Hrsg.). (2003). Jahrbuch Ganztags- Rother, U. (2003). Ist Deutschland auf dem schule 2004. Neue Chancen für die Weg zur Ganztagsschule? Entwicklungs- sowie um körperliche und geistige Bildung. Schwalbach/Ts.: Wochenschau stand und Entwicklungstendenzen in Frische. Es geht um Werteempfin- Verlag. den Bundesländern. In St. Appelt et al. den und entsprechendes Verhalten Brettschneider, W.-D. & Naul, R. (2005). (Hrsg.), Jahrbuch Ganztagsschule 2004 Study on young people's lifestyles and (S. 61-70). Schwalbach/Ts: Wochen- in sozialer Verständigung der Kin- sedentariness and the wie of Sport in the schau Verlag. der untereinander. Weder durch context ofeducation and as a means of Wolf, N. (Red.).(1974). Dokumente zum „Toben" noch durch einen aktiven restoring the balance. Final Report. Schulsport. Schorndorf: Hofmann. Lebensstil wird man automatisch www.europa.eu.int/comm/sport/docu ments/lotpaderborn.pdf „schlau". Aber um „schlau" zu Fessler, N. (2004). Sport in der Ganztags- werden, müssen solche schule - Schulprogramm oder Gestal- Anschrift des Verfassers: Eigenschaften und Verhaltenswei- tung unterrichtsfreier Zeiten? In E. Roland Naul sen entwickelt werden, die mit ei- Christmann, E. Emrich & J. Flatau Willibald Gebhardt Institut (Hrsg.), Schule und Sport (S. 203-225). Ellernstr. 31, 45326 Essen nem aktiven Lebensstil einherge- Schorndorf: Hofmann. Sportunterricht, Schorndorf, 54 (2005), Heft 3
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