Giraffensprache Versus wolfssprache - Wamiki
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
wissen Giraffensprache versus Te x t : B a r b a r a L e i t n e r Fo t o : R o b i n S t u a r t / u n s p l a s h wolfssprache Gewaltfrei in der Kita kommunizieren Kinder kommen auf die Welt und warten auf die Bestä- dersetzungen zwischen Gruppen und Völkern. Es sensibi- tigung: „So, wie du bist, bist du richtig und bereicherst lisiert Menschen dafür, was Worte anrichten können. Sie mein Leben.“ Das wünschen sich Kinder auch dann, wenn können Mauern errichten, wehtun und trennen. Zugleich sie ein Verhalten zeigen, mit dem die Erwachsenen nicht können Worte auch Fenster sein, durch die sich Menschen einverstanden sind. Marshall Rosenberg, der Begründer füreinander öffnen und sich besser verstehen. der Gewaltfreien Kommunikation (GFK), war davon über- In seinen Seminaren setzte Marshall häufig zwei Hand- zeugt: (Kleine) Kinder sind auf natürliche Weise mit ihren puppen ein: die Giraffe und ihren Gegenspieler, den Wolf. Gefühlen und Bedürfnissen verbunden. Bereits wenige Letzterer gilt als Metapher für eine Kultur der Herrschaft Wochen nach der Geburt lächeln sie, wenn jemand ihre und der Dominanz, des Rechthabens und des Kleinma- Bedürfnisse beantwortet. Sie schreien, wenn sie hungrig chens. Giraffen, die Landtiere mit dem größten Herzen, sind, sie eine neue Windel brauchen oder wenn es ihnen stehen für ein freundliches, mitfühlendes, dennoch kraft- langweilig ist und sie sich Kontakt wünschen. volles und klares Verhalten, das eine Verbindung spüren Da gibt es nichts Verstelltes, Anklagendes. Eindeutig lässt. Mit einem einfachen Satz kann man einem anderen geben sie Auskunft über sich: „So geht es mir gerade. Bist Menschen die Hände reichen als eine Geste für: „ Ich du bereit, für mich da zu sein?“, und suchen die Verbin- verstehe dich. Ich sehe dich.“ Die Sprache hingegen, in dung. Für den amerikanischen Psychologen waren Kinder der sich der Wolf äußert, ist geprägt von Schuld bzw. „Natur-Giraffen“. Beschuldigung sowie von Beschämung. Die führt zu Tren- nung, Schmerz, Ärger und Angst. Liebevoll fügte Marshall Rosenberg hinzu, dass der Wolf eigentlich eine Giraffe Konflikte ohne Gewinner*innen mit Sprachfehler sei. Denn auch mit seinen wertenden, und Verlierer*innen lösen anklagenden Mitteilungen drückt der Wolf aus, was er dringend braucht. In Jahrzehnten eigenen Lernens entwickelte Marshall „Sei still!“ oder „Du störst!“ könnte beispielsweise Rosenberg, beginnend in den 1980er-Jahren, ein Kommu- heißen: „Ich brauche so dringend Ruhe. Bist du bereit, nikationsmodell, das er auch „empathische Kommunika- mich darin zu unterstützen?“ tion“ oder „Giraffensprache“ nannte. Dieses inzwischen Es gibt einige Zeilen, die diese fatale Metamorphose auf der ganzen Welt verbreitete Modell hilft, Konflikte zu sehr anschaulich beschreiben – eine Verwandlung, die lösen, ohne dass es Gewinner*innen und Verlierer*innen ich bei mir selbst häufig beobachten konnte und die ich gibt, egal ob es um Streit in der Familie, in der Schule, am auch bei anderen, selbst bei Kindern, hin und wieder Arbeitsplatz geht oder sogar um kriegerische Auseinan- wahrnehme: 40
Wir wollen alle geliebt werden. Mit seinem Modell der GFK wollte Marshall Rosenberg Werden wir nicht geliebt, daran erinnern, dass wir Menschen seit unserer Kindheit wollen wir bewundert werden. und oft über Generationen hinweg eine tiefe Sehnsucht in Werden wir nicht bewundert, uns tragen: „… unser einfühlendes Wesen, das sich wieder wollen wir gefürchtet werden. entfaltet, wenn die Gewalt in unserem Herzen nachlässt“ Werden wir nicht gefürchtet, (Rosenberg 2004, S. 22). Der idealistische Friedenskämp- wollen wir gehasst und missachtet werden. fer war davon überzeugt: Vor Millionen von Jahren fingen Wir wollen ein Gefühl die Menschen an zu sprechen, um in Verbindung zu sein. in unseren Mitmenschen auslösen, Deshalb suchte Rosenberg nach einer Sprache, die diese ganz gleich, um welches es sich dabei Verbindung unterstützt und nährt. auch handeln mag. Die Verbundenheit zwischen den Menschen anzuer- Die Seele zittert vor Leere kennen und zu stärken und damit für den Frieden im und sucht Kontakt Kleinen wie im Großen zu wirken – dafür trat Marshall um jeden Preis. Rosenberg klar, charismatisch und auch humorvoll in seinen Workshops und Seminaren weltweit ein. Alle Men- Hjalmar Söderberg, 1869–1941 schen, so seine Botschaft, egal wo sie leben, ob jung oder 41
wissen alt, gleich welcher Herkunft, gleich welcher Religion die er mit viel Wärme beschrieb. Sie teilte das wenige, oder Kultur sie angehören, haben die gleichen mensch- das sie hatte, mit anderen Menschen. Deshalb bewegten lichen Bedürfnisse: Sie alle brauchen Luft zum Atmen, Marshall seit seiner Kindheit zwei Fragen: Warum sind Nahrung und ein Dach über dem Kopf. Alle Menschen manche Menschen fähig, sich in andere einzufühlen und brauchen andere Menschen, Gemeinschaft, Geborgen- auch unter schwierigen Bedingungen Verständnis und heit, Verständnis und Unterstützung. In ihre Gemein- Mitgefühl zu entwickeln? Und warum scheinen manche schaft wollen sie sich einbringen, wollen angenommen Menschen nicht dazu in der Lage zu sein und verletzen ihr und geschätzt werden, wollen Freude empfinden, sich aus- Gegenüber und empfinden nichts dabei? Um Antwort auf drücken und kreativ tätig werden, einzigartig sein sowie diese Fragen zu finden, studierte Rosenberg klinische Psy- gesehen werden, wie sie sind. Indem sie ihre Bedürfnisse chologie, promovierte und wurde Psychotherapeut. Einer leben, bereichern sie die Gesellschaft und tragen zu Ver- seiner Lehrer war Carl Rogers, der Begründer der klien- änderungen bei – jeder an seinem Platz. In diesem Sinne tenzentrierten Gesprächstherapie. Einige Zeit führte er kann die Gewaltfreie Kommunikation auch die Kinderta- eine erfolgreiche Privatpraxis. Allerdings bemerkte er, gesstätten bereichern, die erste Bildungsinstitution, mit dass er bei seinen – vorwiegend weiblichen – Klient*in- der Kinder hierzulande in Kontakt kommen. nen nur individuelle Symptome heilen konnte. Die gesell- Gehen wir mit der Haltung der GFK an Dinge heran, schaftlichen Strukturen und die Art, miteinander zu spre- befreit uns das von der Last der Anforderungen. Statt- chen und zu handeln, blieben davon unbeeinflusst und dessen haben wir die Freiheit der Wahl und die Chance, machten weiter krank. Das ließ ihm keine Ruhe. Er sah, Verantwortung für uns selbst und das eigene Umfeld zu wie riesig das Ausmaß des Leidens auf unserem Planeten übernehmen. In der Haltung der GFK fragen sich ein- ist. Deshalb suchte er nach Wegen, Menschen mit den zelne pädagogische Fachkräfte und Teams: grundlegenden Kenntnissen über ihr eigenes Wesen ver- traut zu machen und die helfenden, heilenden Werkzeuge Worum geht es mir / worum geht es uns? der Psychologie und Psychotherapie nicht länger nur den Was ist mir / uns wirklich wichtig? Therapeuten zu überlassen. Er wollte die mitfühlenden Wofür möchte ich meine / möchten wir Seiten in jedem Menschen wecken und alle befähigen, die unsere Kraft nutzen? Gesellschaft insgesamt zu verändern. Was brauche ich dafür? Vor allem in den letzten Jahren seines Lebens war ihm der Einsatz für den „sozialen Wandel“, wie er es nannte, Verbunden mit einer Vision öffnen sich durch diese sehr wichtig. Dabei inspirierte ihn u. a. der brasiliani- Haltung Wege zum kraftvollen, engagierten gemeinsa- sche Befreiungspädagoge Paulo Freire. Dieser alphabeti- men Handeln. Das wird nicht gelingen, ohne Verantwor- sierte in den 1950er- und 1960er- Jahren die Bauern seines tung für die eigenen Gefühle und Bedürfnisse, aber auch Landes, indem er sie unterstützte, Protestbriefe über für Gedanken zu übernehmen, und verlangt eine ständige ihre Lebensbedingungen an die Regierung zu schreiben. Auseinandersetzung mit sich selbst und anderen. Freire schlug so zwei Fliegen mit einer Klappe: Lernen und Empowerment. Auch Rosenberg wollte ein einfaches Modell entwickeln, um Menschen zu bestärken, sich für Vom R aufbold ihr eigenes Leben und die Welt verantwortlich zu fühlen zum Friedensstifter und entsprechend zu handeln. Er reflektierte seine eigene Arbeit und die seiner Kolleg*innen und entwickelte daraus Marshall Rosenberg bewies durch sein eigenes Leben, die GFK. – So einfach dieses Modell ist, so ist es auch dass jeder Mensch in der Lage ist, wirksam zu sein und komplex und herausfordernd. Impulse zu Veränderungen zu geben. 1934 geboren und 2015 gestorben, wuchs er in einer jüdischen Familie in der einstigen US-Auto-Metropole Detroit auf. Als Junge Kinder lernte er, nicht zu weinen. Dabei war er in der Schule als Lehrmeister häufig Anfeindungen wegen seiner Herkunft ausgesetzt. Als Neunjähriger erlebte er die Aufstände der Schwarzen Als Vater nutzte Marshall Rosenberg sein eigenes Modell gegen die Rassendiskriminierung mit und deren brutale zur Verständigung mit seinen drei Kindern. Sie halfen ihm Niederschlagung; eine Erfahrung, die ihn erschütterte. In zu erkennen, welche Sprache hilfreich ist, in Kontakt mit- seinen Jugendjahren galt er selbst als gefürchteter Rauf- einander zu kommen und Verbindung zu erleben, und er bold. Dabei hatte er auch liebenswürdige, großherzige erfuhr, welche Art der Haltung und der Sprache Wider- Seiten erfahren, vor allem von einer seiner Großmütter, stand und Trauer produziert. Zugleich nahm Rosenberg 42
” Ich begreife es einerseits als unsere Aufgabe, uns selbst und unser persönliches Umfeld von der Gewalt in unserer Sprache und in unserem Denken zu befreien. Und andererseits ist es unsere Aufgabe, die Machtstrukturen zu verändern, die uns überhaupt erst so konditioniert haben und die immerfort das Unglück produzieren, das wir bekämpfen. Marshall B. Rosenberg wahr, wie unterschiedlich die Macht zwischen Kindern bedeutsame Dinge. Und das konnte auch ein Streit darüber und Erwachsenen verteilt ist und wie viel Gewalt wir sein, wie drei Bonbons verteilt werden. Erwachsenen – in aller Regel unbewusst – gegenüber Gleichzeitig erlebte der Kommunikationstrainer, wie Kindern einbringen. Erwachsene haben die Position und anstrengend es ist, sich gewaltfrei zu äußern. Es braucht auch die Macht zu bestimmen, was richtig und was falsch Zeit, die Position der Kinder zu verstehen und die eigene ist. Entsprechend belohnen und bestrafen sie. Dadurch zu ergründen und gute Wege zu finden, beiden gerecht zu fallen Kinder aus ihrer natürlichen Verbindung mit werden. Wenn er sich gedrängt und unter Druck fühlte, den Bedürfnissen heraus. Wie fatal das für ein Kind ist, war durchaus auch Rosenberg geneigt, den schnellen, eher wurde Marshall Rosenberg (vgl. Rosenberg 2004a, S. 103) gewaltvollen Weg der Forderungen zu wählen. Entspre- bewusst, als er mit seinem damals dreijährigen Sohn Brad chend vermittelte er seinen Kindern: Entweder ihr gebt darüber sprach, warum er ihn wohl liebe. Der Junge mut- mir Zeit, mich mit beiden Seiten zu verbinden und beide maßte, weil er nicht mehr in die Windeln machte, nicht zu verstehen. Oder es bleibt nur, dass ich mich durchsetze. mehr das Essen vom Tisch warf und Ähnliches. Für diese Sich gegenseitig zu sehen und zu würdigen, das ist Verhaltensweisen hatte der Vater den Sohn wertgeschätzt es jedoch, was Kinder und Erwachsene zufrieden und und gelobt und dem Kind hatte sich das eingeprägt. Ver- auch widerstandsfähig sein lässt. Wir lernen: Gewaltfrei borgen hinter dem Lob blieb jedoch die Freude des Vaters handeln ist kaum möglich ohne Reflexion. Dafür braucht an der Individualität seines Sohnes. es zusätzliche Zeit, die auch in der Kindertagesstätte ein- Aus dieser Erfahrung schlussfolgerte Marshall Rosen- geplant werden sollte, damit Veränderungen eine Chance berg, dass es für Kinder besonders wichtig ist, „nicht mit haben. dem Bild aufzuwachsen, dass Erwachsene wissen, wann Marshall Rosenberg zeigt auch auf, wo der Einfluss sie etwas gut gemacht haben und wann nicht, und dass sie eines Erwachsenen seine Grenzen hat. In unserer Gesell- danach bewertet werden, in welchem Maß das, was sie tun, schaft schätzt man das gemeinhin wohl etwas anders ein, als gut, richtig oder toll beurteilt wird“ (2004a, S. 103). doch laut Rosenberg sind Eltern oder andere Erwachsene Vielmehr werden Kinder, wenn sie in ihren Bedürfnissen nicht für das Verhalten von Kindern verantwortlich. Sie genährt werden, die für sie richtigen Handlungsweisen können einen Rahmen stecken und die Kinder darin unter- finden. Rosenberg (2004a, S. 105) beschreibt, dass er mit stützen, ihn zu füllen. Darüber hinaus können sie das Ver- seinen drei Kindern Chef spielte: Er war der Ober-Chef, halten der Kinder vor allem durch ihr Vorbild beeinflus- der wichtige und für alle geltende Entscheidungen den sen. Deshalb schlägt Rosenberg (2004a, S. 100) vor, sich Kindern übergab. Heute würde man das wohl als Partizipa- selbst zu befragen: „ Lebe ich eigentlich die Werte, die tion bezeichnen. Beim Chefspiel erwarben die drei Rosen- ich meinem Kind mit auf den Weg geben möchte?“ Wenn berg-Kinder Fähigkeiten, die die Gesellschaft dringend ich also möchte, dass Kinder Konflikte friedvoll und im braucht: Über den eigenen Tellerrand hinauszublicken, Miteinander lösen, werde ich mit dem Anliegen wenig auch die Bedürfnisse der anderen in Betracht zu ziehen erfolgreich sein, wenn ich das Kind anschreie. Ehrlich- und dadurch Entscheidungen zu treffen, die allen guttun. keit werde ich nur ernten, wenn das Kind mich als ehrlich Dazu gehörte auch die Erfahrung, sich mit einem Vor- erlebt, selbst wenn es unangenehm ist, meine Wahrheit schlag durchzusetzen und den Ärger der Geschwister auf auszusprechen. Es gehört dazu, dass ich als Erwachsener sich zu ziehen. Aber genau das machte das Lernen nach- eingestehe, dass ich manchmal hilflos, schwach, ideenlos haltig und effektvoll. Es ging um echte, für die Kinder oder was auch immer bin. 43
wissen Was ist Gewalt? In seinen Workshops lud Marshall Rosenberg häufig zu einem Experiment ein: Wie reagiert jemand, wenn er Wenn ich gebeten werde, über meine Arbeit zu sprechen oder sie mit dem Verhalten eines Menschen nicht ein- und die GFK vorstelle, höre ich häufig: „Ach, das brauche verstanden ist? Und wie ist die Reaktion, wenn dieser ich nicht. Ich schlage nicht. Ich bin nicht gewaltvoll!“ – andere Mensch ein Kind ist? Mit Entsetzen beklagte er Ist das wirklich so? den Mangel an Respekt von Erwachsenen gegenüber An dieser Stelle möchte ich zu einer ersten Übung ein- Kindern: „… dass wir – ich schließe mich da nicht aus – laden1. Auf subtile Weise eröffnet sie den Zugang zur oft für unsere eigenen Kinder nicht annäherungsweise Gewalt im eigenen Denken und Handeln, auch wenn man so viel Verständnis haben wie für Menschen, die uns gar sich – wie ich – vom Wesen her als warmherzig und zart- nicht besonders nahe sind“ ( Rosenberg 2004a, S. 98). Um fühlend wahrnimmt. Die Übung zeigt, wie das Denken in nicht in diese Falle der gewaltvollen, kinderfeindlichen den Kategorien von Richtig und Falsch, Gut und Böse die Kultur zu geraten, schlägt Rosenberg vor, mit einem Kind, Sozialisation von Menschen, auch meine eigene, prägt. über das man sich ärgert, so umzugehen, wie man es mit einer besonders geschätzten Person tun würde. Erinnern Sie sich an einen Moment, in dem Sie den Impuls Ich nutze diese Übung von Marshall Rosenberg mitunter verspürten, Ihre physische Kraft zu gebrauchen und zu markieren: in meinen Workshops. Einmal beklagte sich Peggy, eine „Das stimmt nicht. Das geht so nicht. Das ist falsch.“ Erzieherin, vehement über das Verhalten eines Jungen in Das kann eine Situation sein, in der Sie mit der Faust auf den der Garderobe: Einem Kind nach dem anderen wende er Tisch schlugen, die Stimme erhoben, fest zupackten oder einen sich mit lustigen Sprüchen zu, springe mal hierhin, mal Gegenstand warfen – oder es nur im Sinn hatten. Kennen Sie dahin und vergesse dabei vollkommen, sich selbst anzu- solche Konstellationen? Wenn ja, gehen Sie, so genau es Ihnen ziehen. Peggy war und blieb davon überzeugt: Es gebe auch immer möglich ist, in die Situation zurück. Vielleicht gelingt keinen akzeptablen Grund, nicht das zu tun, was sie ihm sage. Aus ihrer Sicht war es auf jeden Fall falsch, sich auf es Ihnen, Ihren inneren Film in gewisser Weise rückwärts abzu- diese Weise zu verhalten. Entsprechend sollte das Kind spulen. ihre Strenge spüren. Was genau war zuvor passiert? Auch als andere Kolleg*innen sie umstimmen wollten, Und vor allem: Was war Ihr Gedanke in diesem Augenblick? hielt sie an ihrer Überzeugung fest. Dann fragte ich sie, Wie fühlte sich Ihr Körper in diesem Moment an? Was nehmen wie sie handeln würde, wenn nicht dieser Junge, sondern Sie jetzt in der Erinnerung wahr? ihr Idol sich so verhalten würde. Das war für Peggy damals Michael Jackson. Wie oft in meinem Leben, auch in der Beziehung zu meinen Kindern und Enkelkindern, war ich überzeugt: Sobald sie sein Bild vor Augen hatte, fing sie an zu lachen, „Das ist nicht richtig!“, „Das darf nicht sein!“, „Das geht entspannte sich und war voller Freude. Nun erst war sie gar nicht!“, „Das ist falsch!“, „So, wie ich es will, ist es bereit, den Menschen in dem Jungen zu sehen und nicht richtig!“. Und genau solche Absolutheitsansprüche sind länger in ihren Gedanken gefangen zu bleiben. Gewalt! Sie erkennen nicht die Realität in dem konkre- Und genau darum geht es in der Gewaltfreiheit. Es geht ten Moment an. Für den anderen Menschen ist etwas darum, anzuerkennen: „Mir fällt gerade etwas schwer. Ich anderes Fakt. Das sollte ich ebenso berücksichtigen wie habe eine Blockade, brauche etwas Anderes / etwas muss meine eigene Sicht. anders sein.“ Bezogen auf die Situation in der Garde- Als Erwachsene nehmen wir uns aufgrund unserer robe: „Ich brauche die Kooperation und Unterstützung der körperlichen Größe, unserer größeren Lebenserfahrung, Kinder.“ Es ist dann gewaltfrei, die „Last“ des Moments unserer Position und Verantwortung und auch, weil auf sich zu nehmen und sie nicht dem Gegenüber aufzu- Kinder von uns abhängig sind und uns aus Liebe gern bürden. So definierte Mahatma Gandhi den Zustand, den folgen, oft das Recht heraus, unsere Meinung durchzuset- er „Ahimsa“ oder „Gewaltlosigkeit“ nannte: „Ich mute mir zen – häufig mithilfe von Lob und Strafe. Dadurch verlie- etwas zu. Ich bin in Kraft und Verantwortung, bin stark ren Kinder den Kontakt zu ihrer eigenen, ihrer intrinsi- und kreativ, stelle mich dem Gegenüber und ringe um schen Motivation. Das sind ihre eigenen Bedürfnisse, der eine gute Beziehung.“ Das verlangt den Handelnden viel Grund ihres Handelns. ab. Deshalb setzte Gandhi auch hinzu: Gewaltfreiheit ist nichts für Feiglinge. Gewaltfreiheit setzt darauf, in jedem Menschen in jeder Situation den Menschen zu sehen. 1 Dazu inspirierten mich meine amerikanischen Kolleginnen Jane M. Connor Gerade für Pädagog*innen wünsche ich mir deshalb und Dian Killian. Vgl.: Killian, D. & Connor, J.M. (2014): Verbindung ein Nachdenken über die Wahrheit, die in dem Satz von herstellen – Trennendes überbrücken. ÜBUNG: Gewalt im Alltag 44
Marshall Rosenberg steckt: „… dass wir in unserer Kultur Auslöser und Reaktion und auch zwischen verschiedenen eine Person schnell entmenschlichen, wenn wir sie in Akteuren. Dadurch ermöglicht sie es, einen freundlichen, eine Schublade ‚Kind ‘ stecken“ (Rosenberg 2004a, S. 99). gewaltfreien Rahmen für die Beziehungen zu schaffen Natürlich hoffe ich vor allem in einem Punkt auf ein und diesen weiter auszudehnen. Umdenken und ein verändertes Handeln: Den Kindern Marshall Rosenberg ging es insbesondere darum, der ihre Rechte als Menschen zu geben. Dabei unterstützt Verbundenheit zwischen den Menschen zu dienen und auch die GFK. lebensbereichernde Organisationen zu schaffen. Lebens- bereichernd heißt vor allem: Die Bedürfnisse aller werden gesehen, alle Menschen, mit allem, was sie einbringen. Mehr als die vier Schritte – Für die Kindertagesstätte heißt das: Die Kinder werden Institutionen schaffen, die das Leben als selbstbestimmte Wesen, die pädagogischen Fachkräfte bereichern und die Eltern der Kinder werden als wichtige Akteure anerkannt. Es gilt, den Beziehungsrahmen zwischen Mehr als 30 Jahre ist es her, dass die GFK nach Deutsch- diesen Polen freundlich und friedlich zu gestalten. land und in den deutschsprachigen Raum kam und sich In Marshall Rosenberg Büchern findet man keine kon- hier so weit verbreitete wie in keiner anderen Region der kreten Ansätze für die Arbeit in der Kindertagesstätte. Er Welt. Auch viele pädagogische Fachkräfte in Kindertages- schrieb mehrere Texte darüber, wie Kinder einfühlsam stätten und Teams lernten unterdessen die GFK kennen. begleitet werden können und wie die Schule für Kinder Vor allem beschäftigten sie sich mit den vier Komponen- und Erwachsene in eine Institution des gemeinsamen ten bzw. Schritten der GFK, auf die es lohnt, die Aufmerk- Lernens verwandelt werden kann. In seinen Workshops samkeit auszurichten: und Texten zeigte er, wie Pädagog*innen in den Institu- tionen den Lernwillen der Kinder unterstützen können. Die vier Komponenten der GFK Er beschrieb, wie dafür die Beziehungen der Lehrenden zu sich selbst, zueinander und zu den Kindern gestaltet B eobachtung: Was genau ist passiert? Was sind die werden können. Diese Impulse nutze ich in meinem neuen Fakten? Wer hat was in dieser Situation getan? Was kann Buch auch für die Kindertagesstätte. ich sehen und hören? Kann ich alle Bewertungen, (Vor-) Urteile und Erwartungen loslassen? Gefühle sind an Körperempfindungen gebundene sub- jektive Reaktionen auf die Situation. Was fühle ich? Wo und wie fühle ich das? Wie mag es den anderen beteilig- ten Menschen gehen? B edürfnisse: Was brauche ich jetzt? Was ist mir wichtig? Um welche Bedürfnisse geht es? Spätestens hier Wir danken dem öffnet sich die Dimension in den Raum: Wie lebt die Junfermann Verlag für die Energie des Bedürfnisses in und zwischen uns? freundliche Genehmigung Bitte: Erst aus der Wahrnehmung der Lebensenergie für den Abdruck aus: heraus lohnt es sich, zum vierten Schritt, zu der Bitte zu kommen: Wie wollen wir jetzt weiter vorgehen? Geht es zunächst um Verständigung, Verstehen, um die Klärung wamiki-Tipp zum Nach- und Weiterlesen: Barbara Leitner, der Beziehung? Oder gibt es konkrete, positive, mach- Gewaltfreie Kommunikation in der Kita; Wertschätzende Beziehungen gestalten – zu Eltern, Kindern, im Team und zu bare Vorschläge für das Handeln im Moment? Was kann sich selbst. konkret getan werden, damit es allen bessergeht? Emanzipatorisch und gesellschaftskritisch zugleich! Die Qualität der Beziehungen und die Art und Weise der Interaktionen bestimmen sehr wesentlich die Qualität der Mit diesen vier Komponenten können pädagogische Fach- Arbeit in einer Kindertagesstätte. Es ist deshalb wichtig, eine kräfte sich selbst, ihre Kolleg*innen, die Kinder und deren positive Haltung zu sich selbst und anderen Menschen zu Eltern besser verstehen und freundlichere Beziehungen finden und eine Sprache, die dieser Qualität dient. Dafür bietet sich die Gewaltfreie Kommunikation (GFK) nach Marshall gestalten. Sie helfen allen, weniger belastet und ange- Rosenberg an. Das Buch beleuchtet die unterschiedlichen strengt und stattdessen zufriedener und glücklicher zu Arten von Beziehungen im KiTa-Alltag: innerhalb des Teams, zu sein. Die GFK unterstützt nicht nur bei der Selbstklä- den Kindern, zu den Eltern und zu sich selbst. Zahlreiche Übungen und Geschichten aus der Praxis helfen, GFK-Wissen rung und der Verständigung im Konflikt. Die GFK sorgt umzusetzen und praktisch zu leben. vor allem für Zwischenräume: beispielsweise zwischen 200 Seiten, kartoniert, Junfermann Verlag, Paderborn 2020, ISBN 978-3-7495-0155-7, 22,– Euro 45
Sie können auch lesen