Black Cats Leslie Parrish - Im Netz des Todes
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Unverkäufliche Leseprobe Leslie Parrish Black Cats Im Netz des Todes 448 Seiten ISBN: 978-3-8025-8376-6 © 2011 LYX verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH.
Prolog Absender: Malik Waffi [mailto: mwaffi@hotmail.com] Empfänger: Todd, Jason Betreff: Brauche dringend Ihre Hilfe Hallo. Ich bin der ehemalige Finanzminister einer einst bedeu- tenden Nation. Ich schreibe Ihnen wegen eines Problems von größter Dringlichkeit. Jüngste Unruhen in meinem Land machen es mir unmöglich, Gelder wiederzuerlangen, die meine Regierung versteckt hat. Ich schreibe Ihnen, um Sie um Ihre Unterstützung anzuflehen. Ich brauche einen Partner, der mir hilft, an das Geld heran- zukommen. Ich kann das Kapital aufspüren, aber um meiner eigenen Sicherheit und der Sicherheit meiner Familie willen muss ich über einen Dritten agieren. Als Gegenleistung für Ihre Unterstützung erhalten Sie die Hälfte der Summe, die gerettet wird, oder zehn Millionen Dollar. Bitte antworten Sie mir, damit ich die Überweisung aus- stellen kann. Ihr Freund Dr. Malik Waffi »Ich kann immer noch nicht fassen, dass du auf diesen Schwach- sinn hereingefallen bist.« Ohne seinem Beifahrer zu antworten, umklammerte Jason Todd das Lenkrad des Buicks seines Vaters und bemühte sich, 7
den Wagen auf der dunklen, rutschigen Straße zu halten. Das Herz klopfte ihm wie wild, während er versuchte, durch die verschneite Windschutzscheibe etwas zu erkennen. Sein keu- chender Atem verriet, wie aufgeregt er war. »Wir hätten auf ’ne Party gehen können«, fuhr Ryan vom Beifahrersitz aus fort, wo er kauerte, seit sie vor einer Stunde aufgebrochen waren. »Stattdessen stecken wir in einem Schnee- sturm, nur um von irgend so ’nem Typen übers Ohr gehauen zu werden.« »Niemand hat dich gezwungen mitzukommen.« »Halt die Klappe, du Depp. Du weißt genau, dass ich dich niemals alleine hätte gehen lassen.« Nein, das hätte er niemals getan. Seit der ersten Klasse waren sie beste Freunde, und Jason wusste nicht, ob er den Mumm gehabt hätte, das hier durchzuziehen, wenn Ryan ihm nicht beigestanden hätte. »Dieser beschissene Schnee. Ich kann nicht das Geringste sehen.« Mit einer schmierigen Serviette aus einem Fast-Food- Restaurant versuchte Ryan, die beschlagene Windschutzscheibe freizuwischen. Der feine Schnee, der bei Sonnenuntergang eingesetzt hatte, fiel seit einer Stunde unbarmherzig auf sie herab. Die Reifen drohten ständig die Bodenhaftung zu verlieren. Die Strecke auf der Landstraße von Wilmington hatten sie mühelos hinter sich gebracht, doch diese Seitenstraßen waren völlig unbefahren. Der Winter hatte zwar erst spät begonnen – zu Weihnachten vor ein paar Wochen waren es noch knapp zehn Grad gewesen –, aber dafür kam er jetzt umso heftiger. »Wann hat dein Dad das letzte Mal die Scheibenwischblätter ausgetauscht?« »Woher soll ich das wissen? Fragen kann ich ihn schlecht, schließlich ist er gerade in Florida.« Wenn Jasons Eltern aus 8
dem Urlaub zurückkamen, wollte Jason schon längst in seinem eigenen Auto sitzen. In einem schönen Auto, nicht so einem fahrenden Schrotthaufen. »Dir ist schon klar, dass das ein Riesenschwindel ist, oder? Internetbetrug der simpelsten Sorte!« Mann, er ließ einfach nicht locker. »Du hast den Scheck doch selbst gesehen.« Ryan nickte. Er war genauso verdattert gewesen wie Jason, als ein Scheck über einen ganzen Tausender in Jasons Briefkasten gelandet war – ein Vorschuss, wie dieser Waffi es genannt hatte. »Ja, ja, das Geld«, räumte Ryan ein. »Aber ich bleibe dabei: Der Scheck kann immer noch platzen.« »Er ist gedeckt. Also kann er nicht platzen.« »Kann er doch, wenn er gefälscht ist«, brummte Ryan, der stärker an seinen Zweifeln festhielt als damals an seinem Glau- ben an den Weihnachtsmann. »Er ist nicht gefälscht. Komm schon, Alter, gib einfach zu, dass du unrecht hast. Niemand würde sich von einem Riesen trennen, um jemanden per E-Mail zu betrügen. Das würde sogar deine virtuelle Cyber-Schnecke einsehen.« Ryans schiefes Grinsen ließ ihn noch jünger aussehen, als er mit seinen sechzehn Jahren war. »Du kannst mich mal. Du weißt genau, dass sie eine tolle Frau ist. Du bist nur neidisch, weil sie dir noch nie eine persönliche Nachricht geschrieben hat.« Jason war überglücklich, dass ihn jemand per E-Mail kon- taktiert hatte, der einen Millionär aus ihm machen wollte. Aber er musste zugeben, dass Sam the Spaminator – nach dem Bild auf ihrer Website zu urteilen – verdammt gut aussah. »Wir hätten ihre Antwort abwarten sollen«, fuhr Ryan fort. »Sie würde garantiert sagen, dass das alles nur ein fauler Trick ist. Über genau diese Masche hat sie schon ganze Artikel ge- schrieben.« 9
»Die Koh-le«, gab Jason in singendem Tonfall zurück. Der Scheck in seiner Jackentasche reichte Jason völlig, um all seine Bedenken zu zerstreuen. Waffi hatte ihm das Dokument geschickt, ohne irgendwelche Bedingungen daran zu knüpfen. Er wollte ihm beweisen, dass er es ehrlich meinte. Jason hätte den Scheck einlösen und sich nie wieder bei ihm melden können. Allein das zeigte schon, dass Dr. Waffi ihn nicht hereinlegen woll- te. Aber wenn er den Scheck heute Abend zu dem persönlichen Treffen mit dem Doktor mitbrachte, würde er ihn gegen einen anderen Scheck eintauschen können, der sehr viel mehr Nullen aufwies. Schon morgen würde er so reich sein, dass er alles machen konnte, was er wollte. Während er diesem Gedanken noch nachhing, wäre er fast an der Schotterstraße vorbeigefahren, von der Dr. Waffi ihm er- zählt hatte. Wirres Gestrüpp überwucherte die Abzweigung, und selbst bei gutem Wetter wäre sie schwer zu entdecken gewesen. Als Jason abbog, schlingerte das Auto ein wenig, aber er behielt es unter Kontrolle. Er war keine hundertfünfzig Meter gefahren, da schrie Ryan: »Pass auf!« Plötzlich sah auch Jason den riesigen Lkw, der quer auf der Fahrbahn stand, und riss das Steuer herum. Sie gerieten ins Schleudern, der Wagen drehte sich mehrfach um sich selbst und schlitterte auf die Bäume zu. Schotter und Schnee flogen durch die Luft, spitze Äste schlugen aufs Dach wie Messer, die auf Knochen einhackten. Ryan wurde aus dem Sitz geworfen und stieß unsanft mit Jason zusammen, der so heftig gegen das Seitenfenster knallte, dass er seinen Wangenknochen splittern hörte. Schließlich kam der Buick einige Meter vor einer Böschung, die zu einem zugefrorenen Weiher abfiel, zum Stehen. Jason spürte, wie ihm etwas Feuchtes, Klebriges von der Stirn tropfte. 10
Sein Gesicht glühte; seine Lippen waren mit einer salzigen Flüs- sigkeit überzogen. Die Lider wurden ihm schwer; alles wirkte verschwommen. Aber kurz bevor er in Ohnmacht fiel, sah er einen Schatten auf das Auto zukommen. Dort war jemand. »Halb so wild, Kumpel«, murmelte er. »Rettung naht.« Das waren die letzten Worte, die er über die Lippen brachte, bevor er in Dunkelheit versank. Und es waren die ersten, die ihm durch den Kopf gingen, als er wieder zu sich kam. Rettung naht. Er war einige Minuten lang ohnmächtig gewesen. Oder einige Stunden. Genau konnte er das nicht sagen, während er langsam das Vergessen hinter sich ließ und sein Bewusstsein wieder- erlangte. Er wusste nur eins: Er fror. Von der Wärme, die die Standheizung des Autos verbreitet hatte, war nichts mehr zu spüren. Die kalte Luft stach ihm wie Nadeln ins Gesicht und den Körper. Er versuchte die trüben Wolken aus seinem Hirn zu ver- treiben und bemühte sich angestrengt, sich daran zu erinnern, was passiert war und wo er sich befand. Das dauerte nicht lange. Sie hatten einen Unfall gehabt. Einen schlimmen Unfall. Aber Rettung naht. Oder? »Halt still, Jason!« Die Stimme klang kräftig und bestimmt, aber nicht gerade beruhigend. Eine eiserne Entschlossenheit schwang darin mit, die keinen Ungehorsam duldete. Doch diese Worte waren nicht das Einzige, was ihm ans Ohr drang. Ganz in der Nähe hörte er ein lautes Knacken, als würde jemand einen riesigen Schaukelstuhl anstoßen. »Wer …?« »Ruhe!« Er fragte sich, ob er vielleicht im Krankenhaus lag und ein übermäßig strenger Arzt sich um ihn kümmerte. Vielleicht waren seine Eltern dann auch hier. Sie würden sauer auf ihn sein, weil 11
er einen Unfall gebaut hatte. Aber vor lauter Erleichterung darüber, dass er unversehrt geblieben war, würden sie es ihm verzeihen. Und Jason würde ihnen sagen, dass es ihm leidtat. Sehr leid. Obwohl das eine tröstliche Vorstellung war, öffnete er die Augen nicht. Zum einen hatte er starke Schmerzen. Und zum anderen ahnte er bereits, dass seine Eltern nicht da waren. Das war nur ein Kindertraum. Der fast erwachsene Jason wusste, dass er nicht im Krankenhaus lag. Schließlich war es dunkel, und es schneite immer noch. Die winzigen Flocken, die auf seiner Haut landeten und sofort zu Eis gefroren, verrieten das. Außerdem hatte er Blut auf den Lippen. Und jeder einzelne Zentimeter seines Körpers schmerzte. »Jason, du solltest doch allein herkommen.« »Wer ist da?«, flüsterte er. Plötzlich flammte ein helles Licht auf und erleuchtete die pechschwarze Nacht. Wie tausend Nadeln stach es ihm durch die dünne Haut der Augenlider in die Pupillen. Jason wandte sich ab und versuchte instinktiv, dem Licht zu entkommen. Der Kopf war jedoch das einzige Körperteil, das er bewegen konnte. Er zwang sich zur Selbstbeherrschung und senkte den Blick, bevor er langsam die Lider hob und seine Augen nach und nach dem Licht aussetzte. Er befand sich eindeutig draußen. Sein Oberkörper war nackt. Die Teile seiner Haut, die er unter dem vereisten Schnee sehen konnte, waren grau vor Kälte, vielleicht sogar erfroren. Auch seine Beine schimmerten grau in dem schneeglitzernden Mondlicht. Und seltsamerweise saß er aufrecht auf einem Stuhl. »Jason?« Jetzt klang die Stimme noch strenger. Er schaute nicht auf, um noch ein wenig Zeit zu gewinnen, während er versuchte, sein Gehirn in Gang zu bringen. Ge- frorener Schnee, rosa gefärbt von Blut, lag auf seinen nackten 12
Oberschenkeln. Er bemerkte einen kompakten Silberstreifen, der quer über seine Beine verlief, und einen weiteren an seiner Hüfte und begriff, warum er sich nicht bewegen konnte. Klebe- band. Verdammte Scheiße, was geht hier vor? »Was ist los? Wo ist Ryan?« »Direkt hinter dir.« Er riss den Kopf herum. Dumpf knallte er gegen einen Wider- stand und erntete ein Ächzen. Ryan lebte, zumindest vorerst. Rücken an Rücken waren sie irgendwie aneinandergefesselt. Jasons Blick irrte fieberhaft umher. Blinzelnd schaute er in das grelle Licht. Scheinwerfer. »Was soll das?« Wieder knackte es ganz in der Nähe. Panik stieg in ihm auf. Irgendwie kannte er dieses Geräusch und wusste, woher es kam. »Du hättest allein herkommen sollen.« Der Tonfall war immer noch unnachgiebig, aber trotzdem geduldig, als sei Jason ein kleines Kind, das eine Lektion wiederholen musste. Plötzlich hatte er einen Verdacht. »Dr. Waffi?« »Aaah, wir machen Fortschritte. Also, was habe ich dir gesagt?« »Dass ich allein herkommen soll«, gab er zu. »Du warst ungehorsam. Man könnte Eigensinn dahinter ver- muten. Aber ich weiß genug über dich, um davon ausgehen zu können, dass es einfach nur pure Dummheit war.« Tränen rannen Jason aus den Augen. Sie liefen ihm einige Zentimeter über die Wangen, dann froren sie fest. »Bitte lassen Sie mich gehen!« »Wohin soll ich dich gehen lassen? Was willst du denn ma- chen?« »Ich will nach Hause zu meinen Eltern!« Oh, wie er sich wünschte, sie wären niemals weggefahren und er hätte nicht auf diese E-Mail geantwortet! »Deine Eltern hätten dich nie in die Welt setzen sollen.« Jason fing an zu weinen wie ein Baby. Wie konnte das nur 13
geschehen? Er war erst siebzehn. Er stand gerade am Anfang seines Lebens. Er hatte noch nicht einmal mit einem Mädchen geschlafen, auch wenn er vor den Jungs in der Umkleidekabine immer etwas anderes behauptete. »Wer ist der andere? Ist er genauso dumm wie du?« »Ryan Smith.« Jason hörte ein Stöhnen und bereute all die dummen Geschichten, in die er seinen besten Freund mit hi- neingezogen hatte. »Er hat gewusst, dass alles nur ein Schwindel ist.« »So, so, dann ist er also zumindest kein Dummkopf. Aber für Freunde hat er kein gutes Händchen.« Die grausamen Worte des Mannes wurden von einem weiteren unerträglichen Knacken untermalt. Diesmal war es lauter. Und lang gezogener. »Jetzt wird er dafür bezahlen.« »Sind Sie verrückt?«, schrie Jason. »Lassen Sie uns gehen!« Wieder ein Knacken. Nun konnte Jason spüren, wie etwas unter seinen eisigen Füßen knirschte. Der Boden fühlte sich uneben an, steinhart und dennoch instabil. So verdammt kalt. Von Entsetzen gepackt, erkannte Jason plötzlich, woher die Geräusche kamen. Und was gleich geschehen würde. Er zuckte zusammen, kämpfte mit dem Klebeband, obwohl er wusste, dass er lieber stillhalten sollte. »Nein, tun Sie uns das nicht an!« Schließlich starrte er direkt ins Licht – es war das Fernlicht vom verbeulten Buick seines Vaters. Der Wagen stand in ei- nigen Metern Entfernung oben auf einer kleinen Böschung, die Motorhaube zeigte zu ihm. Während er hinübersah, erklomm eine dunkle, schemenhafte Gestalt, nur schwer erkennbar in der verschneiten Nacht, die Steigung und näherte sich dem Auto. Einen kurzen Moment lang befand sie sich genau vor den Scheinwerfern. Ihr Schatten schien mehrere Kilometer lang zu sein und hüllte Jason in Schwärze. Dann ging die Gestalt weiter zur offenen Fahrertür. 14
Jason begriff, was der Mann vorhatte, noch bevor er sich ins Auto beugte und die Schweinwerfer ausschaltete. Die jähe Dun- kelheit blendete ihn fast ebenso sehr wie das Licht, doch sie löste unendlich mehr Panik in ihm aus. Denn Jason brauchte nicht zu sehen, wie der Mann in den Leerlauf schaltete; er brauchte auch nicht zu hören, wie er die Handbremse löste – er wusste genau, was geschah. »Oh Gott, bitte nicht!« Langsam rollte der Wagen die Böschung hinunter, kam dem vereisten Weiher, auf dem Jason und Ryan gefangen waren, immer näher. »Warum tun Sie das?«, rief Jason und zerrte am Klebeband, während die Vorderreifen auf dem zugefrorenen Ufer aufsetzten. Hinter sich spürte er eine Bewegung. Ryan kam langsam wieder zu sich. »Leb wohl, Jason«, rief die Stimme. »Ohne dich ist die Welt besser dran. Schade um deinen Freund. Du hättest wirklich allein kommen sollen.« Die schemenhafte Gestalt setzte sich in Bewegung und ver- schwand im Schneegestöber. Im nächsten Moment heulte ein Motor auf. Dann entfernte sich das Geräusch. Jason hörte es kaum, während das Auto immer näher kam und über das schnee- glatte Eis schlitterte. Ein riesiger Haufen Metall … mit mehre- ren Tonnen Gewicht. Knack. Wie tief ist das Wasser? Wie dick wird das Eis wohl sein? Werden wir erfrieren oder ertrinken? »Jase?« »Ryan, es tut mir leid, dass ich dich in diese Sache mit reinge- zogen habe«, schluchzte er. Ryan bewegte den Kopf, sein gefrorenes Haar kratzte über Ja- sons Rücken. »Schon okay. Der treue Freund steht dem Helden immer zur Seite.« 15
»Es tut mir so leid!«, heulte Jason. Er versuchte, ruhig zu sitzen, obwohl er sich am liebsten losgerissen hätte. Aber bevor er irgendetwas unternehmen konnte, bevor er sich auch nur von seinem besten Freund verabschieden konnte, knackte es noch einmal, und die Eisdecke brach unter ihnen ein. Eiskaltes Wasser spülte ihm über Füße und Knöchel, erweckte sie wieder zum Leben, nur damit sie diesen Schmerz spürten. Jason und Ryan stürzten abwärts, bis Schwärze ihre Köpfe be- deckte und ihnen das Eis die Lungen verbrannte. Und während das Wasser die Welt über ihm in ein frostiges Grab verwandelte, konnte Jason nur noch an seine Eltern denken. Gott, wie sehr wünschte er sich, er wäre mit ihnen nach Florida gefahren. 16
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