Stuttgart 21: Frieden durch Schlichtung? - von Christoph Besemer

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Stuttgart 21: Frieden durch Schlichtung?
von Christoph Besemer

Erschienen in: perspektive mediation. Beiträge zur Konfliktkultur, 1/2012, S. 28-32

PROLOG

Ende September 2010 waren die Massen-Proteste gegen das Milliarden-Projekt „Stuttgart
21“ (Verlegung des bisherigen Bahnhofs und seines Gleisvorfelds unter die Erde) auf
dramatische Weise eskaliert. Während die GegnerInnen versuchten, die Baumfällarbeiten
für dieses Vorhaben zu behindern, reagierte die Polizei mit einem harten Einsatz, der
zahlreiche Menschen verletzte, darunter SchülerInnen und Rentner.
Der prominente CDU-Politiker und „Querdenker“ Heiner Geißler, ehemals Generalsekretär
seiner Partei und heute auch Mitglied von Attac, bot seine Hilfe zur Deeskalation und
Konfliktlösung an. Seine „Schlichtung Stuttgart 21“ ab November 2010 hat unabhängig von
seinem Ausgang Geschichte geschrieben. Sie war ein modellhafter Versuch,
Bevölkerungsproteste gegen ein Großprojekt ernst zu nehmen und in einen Dialog auf
Augenhöhe zu überführen. Seither kann als neuer politischer Konsens in Deutschland
gelten, dass solche Bauvorhaben nicht mehr ohne frühzeitige Einbeziehung der
betroffenen Bevölkerung durchgezogen werden können. Trotzdem hat sich gezeigt, dass
dieser Konflikt nicht wirklich „befriedet“ wurde.
Das lag mit an dem von Heiner Geißler praktizierten Modell der Schlichtung, wie die
folgende Betrachtung aus konflikttheoretischer und mediatorischer Sicht zeigen soll.

DIE ERSTE RUNDE: DIE SCHLICHTUNGSGESPRÄCHE IM NOVEMBER 2010

1. Keine Ergebnisoffenheit sowie Unklarheit über die Art des Verfahrens und den
Abschluss der Gespräche
Während Heiner Geißler durchweg von einer „Fach- und Sachschlichtung“ gesprochen
hat, wurde von den Medien, von KommentatorInnen und teilweise auch von den
TeilnehmerInnen immer wieder der Begriff „Mediation“ verwendet. Es war aber definitiv
keine Mediation. Eines der wichtigsten Kriterien für Mediation ist die Ergebnisoffenheit.
Diese war jedoch durch die Festlegung des - im April 2011 abgewählten -
Ministerpräsidenten Stefan Mappus nicht gegeben, der sagte, man könne über alles reden
außer über einen Verzicht auf das Projekt S 21. Heiner Geißler setzte dem nichts
entgegen und ließ sich letztlich auf diese Ausschließung ein.

Auch war von Anfang bis kurz vor Schluss der Schlichtung unklar, worauf die Gespräche
hinauslaufen sollen: Gibt es am Ende einen Schlichterspruch? Auf was könnte sich dieser
Spruch beziehen: auf das weitere Verfahren oder auf konkrete Inhalte? Werden die
Schlichtungs-TeilnehmerInnen an der Formulierung beteiligt? Welche Verpflichtung
übernehmen sie, wenn sie dem Schlichterspruch zustimmen?
Ein transparentes Verfahren hätte darüber schon in der Eingangsphase Klarheit und
Übereinstimmung herstellen müssen.

2. Nicht berücksichtigte Gefühls- und Beziehungsebene
Ein Konflikt - zumal dieses Eskalationsgrades - besteht nicht nur aus einem
Informationsdefizit und aus sachlichen Kontroversen. Eine große Rolle spielen auch
elementare Gefühle wie Ohnmacht, Wut, Hass, Verzweiflung etc. Sie belasten den
Kontakt zur Gegenseite und fördern ein verzerrtes Bild voneinander.
Solche Emotionen treiben die Eskalation an und bleiben als Bitterkeit zurück. Nicht nur,
was nicht ausgesprochen ist, wird zu Gift, wie Heiner Geißler einmal Franz Josef Strauß
zitierte, sondern auch nicht verarbeitete schmerzliche Gefühle und unversöhnte
Feindschaft.
Eine nachhaltige Konfliktbearbeitung sollte deshalb neben den inhaltlich-sachlichen
Themen immer auch die emotionalen und beziehungsmäßigen Aspekte einer
Auseinandersetzung behandeln. Und das in der Regel auch in dieser Reihenfolge. Dies ist
in der S-21-Schlichtung nicht geschehen und war auch nicht vorgesehen. Vielleicht war es
in der gegebenen Zusammensetzung der Schlichtungsrunde auch nicht möglich. Die von
den Wasserwerfern weggespülten Jugendlichen, der Rentner, der sein Augenlicht verloren
hat, die Unzähligen durch Pfefferspray und Schlagstockeinsatz Verletzten – sie waren in
der Schlichtungsrunde nicht vertreten. Eine direkte Begegnung dieser und anderer Opfer
der Konflikteskalation mit den Verantwortlichen des Polizeieinsatzes am 30. September
hätte vielleicht zu einer von den Opfern akzeptierten Entschuldigung führen können.
Illusorisch? Die „Wahrheitskommissionen“ in Südafrika, der seit Jahren praktizierte „Täter-
Opfer-Ausgleich“ bei Straftaten und die Erfahrungen mit Mediation zeigen, dass dies
durchaus möglich ist.

3. Fehlende Einbeziehung relevanter Konfliktparteien
Eine grundlegende Voraussetzung für gelingende Konfliktbearbeitung ist es, dass alle
relevanten Konfliktbeteiligten an den Gesprächen beteiligt sind. Neben den oben
erwähnten Opfern war auch die wichtige Gruppe der „BaumschützerInnen“ nicht am
Verhandlungstisch vertreten. Es wäre wichtig gewesen, ihre Bedenken und Bedingungen
so ernst zu nehmen, dass ihnen der Weg zur Teilnahme an der Schlichtung geebnet
worden wäre.

4. Unzureichende Phase der Verhandlungen
Die Zeit der Schlichtungsgespräche wurde fast ausschließlich auf das Vortragen und
Diskutieren der Sachargumente pro und contra Tiefbahnhof (S 21) bzw. Kopfbahnhof (K
21) verwendet.
Für viele überraschend wurde kurz vor Ende des letzten Tages eine Verhandlungsrunde
hinter verschlossenen Türen durchgeführt. Sie sollte planmäßig nur eine Stunde dauern,
wurde dann aber wesentlich länger. Dies zeigt, dass dem Schritt der Aushandlung
möglicher gemeinsamer Ergebnisse viel zu wenig Stellenwert eingeräumt wurde. Dabei ist
genau das die Phase, wo die Konfliktparteien den Ausgang des Verfahrens selbst
beeinflussen können. Und je mehr die Beteiligten sich in den Ergebnissen wiederfinden,
desto eher sind sie auch bereit, sich an sie zu halten. Im Grunde genommen hätte nach
der Fachdiskussion eine gleichwertige Phase der Verhandlungen folgen müssen.
Durch die vorangegangene polarisierende Diskussion zweier Alternativen wurde die
Chance vergeben, auf der Grundlage von klar definierten Interessen und Zielen neuartige
Lösungswege zu erkunden, die für alle Seiten ein Gewinn sein könnten.

5. Der Rat des „Weisen“
Heiner Geißler hat von sich gewiesen, der „Heilige Geist“ zu sein, der das Unmögliche
möglich mache. Und doch hat er sich in eine Position gebracht, in der er am Schluss wie
ein „Weiser“ die Lösung verkündet hat: Aus „S 21“ solle „S 21 plus“ werden, ein
verbesserter Tiefbahnhof mit einigen zusätzlichen Auflagen. Und es sollte ein „Stresstest“
durchgeführt werden, ob der geplante Bahnhof tatsächlich das einlösen könne, was von
der Deutschen Bahn versprochen wurde.
Dieser Schlichterspruch hätte auch abgelehnt werden können, nur wäre man dann mit
relativ leeren Händen vom Verhandlungstisch gegangen.
Allerdings ist ein Schlichterspruch immer eine von außen aufgesetzte Lösung. Dies bringt
in der Regel Akzeptanzprobleme mit sich, außer ein solcher Spruch wird von den
Beteiligten explizit gewünscht. Dies war in Stuttgart jedoch nicht vereinbart worden. So
waren denn auch viele mit dem Ergebnis der Schlichtung nicht einverstanden.
Die Alternative zu einem vorgesetzten Ergebnis wäre eine selbst erarbeitete Übereinkunft
gewesen wie bei einer Mediation.

6. Fehlende Rückbindung an die Basis
In der kurzen Verhandlungspause vor der Verkündung des Schlichterspruchs gab es kaum
Zeit für die SprecherInnen der Protestbewegung, sich mit ihrer Basis rückzukoppeln. Sie
wurden faktisch genötigt, eigenmächtig zu entscheiden, wie sie mit dem Spruch umgehen
wollen. Ob sie dies anders gemacht hätten, wenn sie mehr Zeit gehabt hätten, sei
dahingestellt. Auf jeden Fall gab es schon kurz nach dem Ende der Schlichtung erste
Relativierungen und Distanzierungen vom Schlichterspruch seitens der
ProjektgegnerInnen.

7. Die Frage der Öffentlichkeit
Ein großes Anliegen von Heiner Geißler war die Transparenz und die Einbeziehung der
Öffentlichkeit. Dies ist durch Live-Übertragungen im Fernsehen und im Internet auch sehr
gut gelungen.
Bei einer herkömmlichen Mediation, die eine Alternative zur Schlichtung hätte sein
können, ist dagegen ein geschützter, vertraulicher Rahmen vorgesehen. Dadurch soll
ermöglicht werden, dass sich die KontrahentInnen öffnen, ihr eigenes Verhalten
reflektieren, Vertrauen zur anderen Seite fassen und von ihren Positionen zugunsten
gemeinsamer Lösungen abrücken. Diese „Geschütztheit“ ist vor allem für die Verarbeitung
schmerzlicher Gefühle und die Klärung von Beziehungsstörungen wichtig.
Bei der Klärung politischer Konflikte sollte die Nichtöffentlichkeit jedoch nicht als
unumstößliches Prinzip angesehen werden. Denn in der Phase der Information und
Sachdiskussion ist es tatsächlich wichtig, dass sich alle interessierten BürgerInnen eine
eigene Meinung bilden können. Das ist möglicherweise auch eine Lehre, welche
MediatorInnen aus diesem Schlichtungsverfahren mitnehmen können.

Dass dagegen die kurze Phase der Verhandlungen nicht-öffentlich war, zeigt, dass selbst
für Heiner Geißler bestimmte Prozesse einen vertraulichen Rahmen erfordern.
Hätte er die Suche nach neuen Lösungen auf die Tagesordnung gesetzt, wäre dies hierfür
auch hilfreich gewesen. Denn wer traut sich schon, vor den Augen und Ohren eines
Millionenpublikums ungehemmt Ideen zu phantasieren, die nicht hieb- und stichfest sind,
möglicherweise belächelt werden oder auf die man später dann „festgenagelt“ werden
könnte? Dieses unzensierte Phantasieren ist jedoch der Kern jedes Brainstormings, das
zu neuen, bislang nicht erwogenen Vorschlägen führen kann und letztendlich zu einer
Lösung ohne Gesichtsverlust für alle Beteiligten.

Mehr Öffentlichkeit wäre dagegen vor der Verkündung des Schlichterspruches erforderlich
gewesen: Da die Schlichtungs-TeilnehmerInnen ja nur als VertreterInnen größerer
Interessensgruppen am Tisch saßen, hätten zumindest diese Gruppierungen gefragt
werden müssen, was sie von dem Lösungsvorschlag halten und was verändert werden
muss.

Insgesamt könnte also ein Verfahren politischer Konfliktbearbeitung aus einer Mischung
von öffentlichen und nicht-öffentlichen Phasen bestehen.
8. Wann ist ein Volksentscheid sinnvoll?
Bei strittigen Fragen großer Reichweite sollten auch diejenigen BürgerInnen einbezogen
werden, die nicht Teil der politischen Organisationen oder Basisbewegungen sind, die am
Verhandlungstisch sitzen. Ein Volksentscheid, wie ihn die neue baden-württembergische
Landesregierung anpeilt (seit April 2011 bestehend aus GRÜNEN und SPD), wäre dafür
eine demokratische Lösung. Er ist sinnvoll, wenn keine Einigung am Verhandlungstisch
erzielt werden konnte und über die Alternativen entschieden werden muss.
Ein Mediationsverfahren schließt jedoch, wenn es erfolgreich war, mit einer
einvernehmlichen Übereinkunft ab, das - wenn es von der Basis der
VerhandlungsführerInnen mitgetragen wird - den Konflikt geklärt hat. Dieses Ergebnis
könnte nun zwar in einer Volksabstimmung bestätigt oder abgelehnt werden. Aber ob sich
der Aufwand in diesem Fall lohnt, ist fraglich, weil ja keine größere Konfliktpartei mehr
gegen diese Lösung ankämpfen würde.

9. Die Neutralität des Moderators
Heiner Geißler hat mehrfach seine persönlich Bewertung von Fakten und Meinungen in
das Verfahren eingebracht. Dies widerspricht dem Auftrag einer unparteilichen Vermittlung
und sollte nicht als Maßstab für ähnliche Verfahren in der Zukunft angesehen werden.

10. Vergleich mit Schlichtungen bei Arbeitskämpfen
Die Schlichtung Stuttgart 21 weist im Vergleich zu Schlichtungen bei Arbeitskämpfen
einige gravierende Unterschiede auf:
- Ein Schlichtung bei Konflikten zwischen Gewerkschaften und Unternehmen setzt erst
dann ein, wenn die Direktverhandlungen gescheitert sind. Im Falle „Stuttgart 21“ gab es
keine vorangegangenen Direktverhandlungen.
- Die Schlichtungsgespräche bestehen aus einer ausgedehnten Verhandlungsphase, in
der jede Seite in ständigem Kontakt zur eigenen Basis steht.
- Das Ergebnis der Schlichtung muss von der Basis genehmigt werden, bevor es Gültigkeit
hat. Auf Seiten der Gewerkschaften geschieht dies durch eine Urabstimmung.
Ein Schlichtungsergebnis in Arbeitskämpfen hat also eine nachprüfbare Akzeptanz und
eine vertragliche Gültigkeit. Dies war in Stuttgart nicht der Fall.

DIE ZWEITE RUNDE: DIE BEWERTUNG DES STRESSTESTS IM JULI 2011

Der Schlichterspruch von Heiner Geißler wurde von Seiten der Projekt-BefürworterInnen
akzeptiert, bei den GegnerInnen gab es unterschiedliche Meinungen darüber. Der
Widerstand flammte - wenn auch in geringerem Maße - wieder auf. Viele setzten dagegen
Hoffnung in den von Geißler „verordneten“ - und von den Beteiligten akzeptierten - Stress-
Test für das Bahnvorhaben.
Das Ergebnis dieses Tests sollte im Juli 2011 in der Schlichtungsrunde vorgestellt und
bewertet werden. Trotz verschiedener Turbulenzen im Vorfeld kam es letztlich zu dieser
abschließenden Veranstaltung, die allerdings von vornherein sehr konfliktbeladen ablief.

1. Wieder Unklarheit über Ablauf und Ergebnis
Wie bei den Schlichtungsgesprächen im November 2010 war wieder unklar, wie Heiner
Geißler verfahren würde, wenn am Ende kein einhelliges oder zumindest tendenziell
akzeptables Ergebnis herauskommen würde. Die Konfliktparteien legten offenbar auch
keinen Wert darauf, dies im Vorhinein zu klären. Völlig überrascht waren sie demnach, als
Geißler am Schluss der Veranstaltung eine neue inhaltliche Empfehlung für das
Bahnprojekt aussprach.
2. Bindungswirkung des Schlichterspruchs strittig
In der Diskussion zeigte sich, dass sich die VertreterInnen der S-21-Oppositionsbewegung
nicht auf eine bindende Wirkung der Stress-Test-Ergebnisse festlegen ließen. Ihre
Argumentation lautete, dass sie diesen, vom Schlichter vorgeschlagenen Test zwar als
notwendig bezeichnet hätten, nicht aber als hinreichend, um ihren Widerstand gegen S 21
aufzugeben.
In dieser heftig geführten Debatte wurde die grundsätzliche Annahme bestätigt, dass eine
von einer Drittpartei (dem Moderator) vorgesetzte Lösung viel weniger Bindungswirkung
hat als ein selbst erarbeitetes Ergebnis.

3. Bröckelnde Akzeptanz des Verfahrens und des Schlichters
Das Beharren von Heiner Geißler auf die von ihm als richtig erachteten Interpretationen,
Bewertungen und Vorgehensweisen führte zu einer Polarisierung zwischen ihm und den
ProjektgegnerInnen, so dass diese im Verlauf der Sitzung im Begriff waren, den Saal zu
verlassen, und dies am Schluss dann auch tatsächlich taten.
Auch die Gegenseite widersprach nach Ende der Veranstaltung heftig den von Geißler
vorgetragenen Empfehlungen und seinen Vorschlägen für das weitere Vorgehen.

4. Verspäteter Kompromissvorschlag mit wenig Wirkung
Als sich abzeichnete, dass die Abschlussveranstaltung die Gräben eher vertieft, als zum
Frieden in der Stadt und im Land beigetragen hatte, zog Heiner Geißler die „Reißleine“. Er
zog einen - vorher vorbereiteten - Kompromissvorschlag aus der Tasche, der die
wichtigsten Anliegen der KontrahentInnen integrieren sollte: Der Erhalt des Kopfbahnhofs
für den Nahverkehr (um einige Gleise zurückgebaut) in Kombination mit einem auf die
Hälfte reduzierten Tiefbahnhof für den Fernschnellverkehr.
Damit wurde erstmals der Raum für neue Lösungsmodelle geöffnet, nachdem es bisher
immer hieß, es gäbe keine Kompromiss-Möglichkeit zwischen einem überirdischen und
einem unterirdischen Bahnhof. Dieser Vorschlag bzw. die Suche nach neuen, dritten
Lösungen kam allerdings zu spät. Dies hätte schon im eigentlichen Schlichtungsverfahren
nach dem „Faktencheck“ auf der Tagesordnung stehen sollen. Und die Beteiligten selbst
hätten solche win-win-Lösungen erarbeiten müssen.
Allerdings wäre dieser Weg wohl nur geglückt, wenn eine innere Bereitschaft vorhanden
gewesen wäre, sich auf den Pfad einer gemeinsamen Lösungssuche zu begeben. So
schließt sich hier wiederum der Kreis der Argumente, die bereits im ersten Teil als
Kritikpunkte benannt wurden.

EPILOG

Während die S-21-GegnerInnen und der „grüne Teil“ der Landesregierung (GRÜNE) den
Kombi-Vorschlag ernsthaft prüfen wollten, lehnten die Stadt Stuttgart, das
Bundesverkehrsministerium und die Deutsche Bahn dies strikt ab. Die SPD,
Koalitionspartnerin in der Landesregierung und pro S-21, verwarf den Plan ebenfalls und
bestand darauf, den von der neuen grün-roten Regierung beschlossenen Volksentscheid
wie geplant durchzuführen - mit der Erwartung, dass das Neubauprojekt damit eine (neue)
demokratische Legitimation erhält.

Diese Volksabstimmung fand schließlich am 26.11.2011 statt und brachte eine Mehrheit
von 58,8 Prozent für die S-21-BefürworterInnen. Nur 41,2 Prozent sprachen sich dafür
aus, dass die Landesregierung aus den Finanzierungsverträgen für das Projekt aussteigt.
Das befürchtete Kopf-an-Kopf-Rennen war nicht eingetreten, sodass die unterlegenen
Parteien und Verbände das Ergebnis - wenn auch zähneknirschend - akzeptierten.
Ist der Konflikt damit nun endlich „befriedet“?
Auf der parteipolitische Ebene vorläufig ja, auf der Seite der Protestbewegung nur
eingeschränkt. So hat sich ein Ratschlag von über 700 Stuttgart-21-GegnerInnen eine
Woche nach der Volksabstimmung für eine Weiterführung der Proteste entschieden. Sie
wollen weiterhin auf die Straße gehen, aber den Verkehr weniger beeinträchtigen.
Die nächste größere Eskalation ist allerdings schon vorprogrammiert: Während die Bahn
AG vor dem Volksentscheid versichert hatte, dass der Kostenrahmen eingehalten werde,
hat Bahnchef Grube kurz nach der gewonnenen Abstimmung betont, dass man nicht mit
Sicherheit sagen könne, was das Projekt in zehn Jahren kosten werde. Mögliche
Mehrkosten müssten von allen Projektpartnern, also auch von der Landesregierung,
mitgetragen werden. Die Landesregierung hat dies jedoch definitiv ausgeschlossen. Es
steht also zu erwarten, dass an diesem Punkt der Streit wieder voll entflammt und der
Widerstand der Protestbewegung neu erstarkt.

FAZIT: MEDIATION STATT SCHLICHTUNG

Das mit viel Hoffnung aufgenommene Unternehmen „Schlichtung Stuttgart 21“ hat es trotz
aller positiven Ansätze nicht vermocht, den tiefen Graben zwischen BefürworterInnen und
GegnerInnen des Bauprojekts zu überbrücken. Wäre eine ergebnisoffene
Bürgermitwirkung bereits in der Planungsphase betrieben worden, hätten viele
Sachzwänge, vollendete Tatsachen und Verhärtungen vermieden werden können und die
Emotionen wären nicht so hochgekocht. Die Erfolgsaussichten für eine einvernehmliche
Lösung wären ungleich höher gewesen.
In eskalierten Konflikten wie bei „Stuttgart 21“ ist es jedoch zu spät für einen reinen
„Faktencheck“, wie ihn Geißlers öffentliche „Sach- und Fachschlichtung“ vorsah. Die
Dynamiken der Konflikteskalation und der Anspruch auf Selbstbestimmung und
basisdemokratische Rückkopplung wären in einem teils öffentlichen - teils vertraulichen,
ergebnisoffenen Mediationsverfahren besser aufgehoben gewesen als bei einer
„Schlichtung“. Denn „Frieden“ lässt sich nicht verordnen, sondern ist das Ergebnis eines
umfassenden emotionalen und sachlichen Klärungsprozesses auf der Basis eines
herrschaftsfreien Dialogs.
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