Wie das Wetter den Arbeitsmarkt beeinflusst

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Wie das Wetter den Arbeitsmarkt beeinflusst
IAB Kurzbericht
Aktuelle Analysen aus dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung
                                                                                                                       2/2015

  In aller Kürze                       Frost und Schnee
„„ Das Arbeitsmarktgeschehen un-
terliegt jahreszeitlichen Schwankun-
gen. In den Arbeitsmarktstatistiken
                                       Wie das Wetter den
werden diese mithilfe von Saisonbe-
reinigungsverfahren berücksichtigt.    Arbeitsmarkt beeinflusst
„„ Ist ein Winter aber besonders
mild oder besonders hart, sind Ef-     von Markus Hummel, Alexander Vosseler, Enzo Weber und Roland Weigand
fekte auf Beschäftigung und Ar-
beitslosigkeit jenseits der üblichen
Schwankungen zu erwarten.
                                       Der Arbeitsmarkt in Deutschland unter-          So lassen sich Konjunkturverläufe und
                                       liegt starken saisonalen Einflüssen. Zahl-      Trends in den Daten unabhängig von den
„„ Wir stellen fest, dass sich vor
                                       reiche Gründe spielen hier eine Rolle: Fe-      Saisoneffekten besser erkennen. Beispiels­
allem Temperatur und Schneehö-
he in den Wintermonaten auf den        rientermine, Ausbildungszyklen und vor          weise war die Arbeitslosigkeit im Dezember
Arbeitsmarkt auswirken, wobei sich     allem die Witterung. Außergewöhnliche           2014 wegen der guten Entwicklung auf
die Effekte zwischen den Monaten       Wetterlagen beeinflussen Beschäftigung          dem Arbeitsmarkt saisonbereinigt gefallen,
unterscheiden.                         und Arbeitslosigkeit auch über die nor-         in den nicht bereinigten Daten wurde dies
„„ Für den Zeitraum 2006 bis 2014      malen jahreszeitlichen Schwankungen             jedoch durch die Winterarbeitslosigkeit
zeigt unser Modell beispielsweise,     hinaus. Diese Effekte werden im vorlie-         überlagert.
dass die Arbeitslosenzahl im Ja-       genden Kurzbericht untersucht.                     Saisonbereinigungsverfahren korrigieren
nuar um rund 14.000 steigt, wenn
                                                                                       ihrem Wesen nach allerdings nur regel­
die Temperatur im Frostbereich um
                                       Die üblichen jahreszeitlichen Schwankun­        mäßige Saisonschwankungen und ggf. Ka­
1° C sinkt. Im Februar bringt jeder
zusätzliche Zentimeter Schnee ein      gen der Arbeitslosenzahlen liegen im Be­        lendereffekte in der Ursprungszeitreihe. So
Plus von 3.400 Arbeitslosen.           reich von mehreren Hunderttausend (vgl.         wird im Winter die Erhöhung der Arbeits­
„„ Die Witterungseffekte sind aller-
                                       Abbildung 1 auf Seite 2). Im Winter steigt      losigkeit berücksichtigt, welche in dieser
dings nicht dauerhaft. Sie werden      die Arbeitslosigkeit, weil die Wirtschaftstä­   Jahreszeit üblicherweise auftritt. Fällt ein
üblicherweise innerhalb der folgen-    tigkeit in Branchen wie dem Bau oder der        Winter besonders mild oder besonders hart
den vier Monate wieder abgebaut.       Gastronomie eingeschränkt ist. Im Früh­         aus, ist aber damit zu rechnen, dass auch
„„ Erwartungsgemäß wird die Be-        jahr sinken die Arbeitslosenzahlen dagegen      die Effekte auf den Arbeitsmarkt von den
schäftigung im Bereich „Land- und      wieder. Da es sich dabei um jährlich wie­       üblichen Größenordnungen abweichen.1 Es
Forstwirtschaft, Fischerei“ sowie      derkehrende Effekte handelt, können sie in      ist dann unsicher, inwieweit aktuelle Ent­
im „Baugewerbe“ am stärksten vom       Arbeitsmarktstatistiken wie der registrier­     wicklungen der (saisonbereinigten) Arbeits­
Wetter beeinflusst. Für die meisten
                                       ten Arbeitslosigkeit und der sozialversi­       marktzahlen auf volkswirtschaftliche Fak­-
Branchen hat das Wetter jedoch nur
                                       cherungspflichtigen Beschäftigung durch         to­ren zurückzuführen sind. Deshalb unter­-
geringe Bedeutung.
                                       Saisonbereinigungsverfahren berücksich­
                                       tigt werden (Gericke/Seidel 2014; vgl. Ab-      1
                                                                                         Gleiches gilt für Effekte auf das Bruttoinlandsprodukt,
                                       bildung 1, orange Linie).                       siehe Deutsche Bundesbank (2014) oder Döhrn (2014).
Wie das Wetter den Arbeitsmarkt beeinflusst
suchen wir den Zusammenhang von Witterungsver­
    Abbildung 1
                                                                                                                                                                                    hältnissen mit der saisonbereinigten Arbeitslosigkeit,
    Arbeitslosigkeit im Zeitverlauf 1991 bis 2014
                                                                                                                                                                                    in der die üblichen jahreszeitlichen Effekte also be­
    Ursprungswerte und saisonbereinigt, in Mio. Personen
                                                                                                                                                                                    reits ausgeblendet sind.
      6,0

      5,0                                                                                                                                                                           „„ Die Witterung im Zeitverlauf
      4,5                                                                                                                                                                           Es bestehen verschiedene Möglichkeiten, die Wit­
                                                                                                                                                                                    terung in Form von Zeitreihen abzubilden. Für uns
      4,0
                                                                                                                                                                                    stehen Wetterphänomene im Vordergrund, die Aus­
      3,5
                                                                                                                                                                                    wirkungen auf das Arbeitsmarktgeschehen haben
                                                                                                                                                                                    könnten. In erster Linie kommen hierfür Temperatur
      3,0                                                                                                                                                                           und Schneehöhe in Frage. Wir ziehen die täglichen
                                                                                                                                                                                    Messungen von 310 deutschen Messstationen heran
      2,5
                                                                                                                                                                                    (Quelle: Deutscher Wetterdienst). Daraus bilden wir
                                                                                                                                                                                    Durchschnitte für die Bundesländer und gewichten
      2,0
                                                                                                                                                                                    diese gemäß der Zahl der sozialversicherungspflich­
            1991

                                                                                  2001

                                                                                                                                                        2011
                                                      1997

                                                                                                                            2007
                   1992

                                                                                         2002

                                                                                                                                                               2012
                          1993
                                 1994

                                                                                                2003
                                                                                                       2004

                                                                                                                                                                      2013
                                                                                                                                                                             2014
                                        1995

                                                                                                              2005
                                                                    1999
                                                                           2000

                                                                                                                                          2009
                                                                                                                                                 2010
                                               1996

                                                             1998

                                                                                                                     2006

                                                                                                                                   2008

                                                                                                                                                                                    tig Beschäftigten. Sodann berechnen wir Monats­
                   Arbeitslosigkeit (Ursprungswerte)                                                           Arbeitslosigkeit (saisonbereinigt)                                   werte als Durchschnitte über die Werktage zwischen
                                                                                                                                                                                    jeweils zwei Zähltagen der Statistik der Bundes­
    Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit (eingesetztes
    Saisonbereinigungsverfahren: Census X-12 ARIMA).                                                                                                                   © IAB
                                                                                                                                                                                    agentur für Arbeit, die um die Monatsmitte liegen.
                                                                                                                                                                                       Abbildung 2 zeigt den Verlauf der so berechne­
                                                                                                                                                                                    ten Zeitreihen für Temperatur und Schneehöhe. Die
      i        Modellbeschreibung
                                                                                                                                                                                    jahreszeitlichen Muster sind deutlich erkennbar. In
                                                                                                                                                                                    der vorliegenden Studie kommt es aber nicht auf das
    Um die Effekte der Witterungsvariablen auf den Arbeitsmarkt zu messen, wer­                                                                                                     Muster selbst, sondern auf die Abweichungen von
    den zeitreihenanalytische Modelle für den Zeitraum Dezember 1991 bis Juli
                                                                                                                                                                                    diesem Muster an. So lässt sich ebenfalls feststel­
    2014 geschätzt. Die abhängige Variable ist die Monatsänderung der saisonbe­
                                                                                                                                                                                    len, dass die Spitzen im Saisonverlauf nicht immer
    reinigten Arbeitslosigkeit; analog wird bei der Ermittlung branchenspezifischer
    Wettereffekte auf die Arbeitnehmerzahl vorgegangen. Auf der rechten Glei­                                                                                                       gleich tief bzw. hoch sind. Es gibt also z. B. Winter
    chungsseite finden sich zunächst autoregressive Terme der Ordnungen 1 und 3                                                                                                     mit strengeren oder milderen Temperaturen als im
    (also um ein und drei Monate verzögert), um die Persistenz der Zeitreihe abzu­                                                                                                  Durchschnitt. Die Arbeitsmarktwirkung genau dieser
    bilden. Die Auswahl erfolgte nach statistischer Signifikanz. Weiterhin werden                                                                                                   Phänomene soll im Folgenden analysiert werden.
    als Wettervariablen die Temperatur sowie die Schneehöhe aufgenommen und
    mit Monatsdummies interagiert. So können unterschiedliche Wettereffekte in
    den verschiedenen Monaten geschätzt werden. Die Temperaturvariable wird                                                                                                         „„ Witterung und Arbeitslosigkeit
    zusätzlich mit einem Dummy für Frostmonate interagiert, sodass sich Tem­
    peraturen oberhalb und unterhalb einer bestimmten Schwelle unterschiedlich                                                                                                      Wir untersuchen den Effekt von Wetterphänomenen
    stark auswirken können. Als genauer Schwellenwert ergab sich durch statis­                                                                                                      auf die monatliche saisonbereinigte Arbeitslosen­
    tische Optimierung +0,8°C. Insignifikante Variablen werden nach und nach                                                                                                        zahl mithilfe eines dynamischen Regressionsmodells
    aus dem Modell ausgeschlossen. So kann auch festgestellt werden, welche                                                                                                         (vgl. Infokasten links). Der Einfluss der Wetterindi­
    Wettervariable die wesentliche Erklärungskraft besitzt.                                                                                                                         katoren wird getrennt nach Monaten überprüft. Es
    Schließlich werden die Witterungsvariablen eines Monats auch in den jewei­                                                                                                      kann vermutet werden, dass beispielsweise Tempe­
    ligen vier Folgemonaten aufgenommen. Zum einen können Wirkungen verzö­                                                                                                          raturschwankungen im Sommer keinen Effekt auf
    gert auftreten. Vor allem aber kann so ein Rückgang der Wettereffekte über                                                                                                      den Arbeitsmarkt haben, wohl aber im Winter an der
    die Zeit erfasst werden. Das bedeutet, dass rein witterungsbedingte Arbeits­
                                                                                                                                                                                    Frostgrenze. In der Tat finden wir nur für die Mo­
    losigkeit aus dem Winter im Frühjahr wieder zurückgeht. Ob dies vollständig
                                                                                                                                                                                    nate Dezember bis April signifikante Witterungsef­
    geschieht, wird mit einem statistischen Parametertest überprüft.
                                                                                                                                                                                    fekte. Auch zwischen diesen Monaten unterscheiden
    Um eine Veränderung der Wettereffekte über die Zeit flexibel abbilden zu kön­
                                                                                                                                                                                    sich die Einflüsse deutlich. Grundsätzlich stellt sich
    nen, verwenden wir ein sogenanntes Smooth-Transition-Regressionsmodell,
                                                                                                                                                                                    im ersten Teil des Winters (Dezember und Januar)
    das eine proportionale Änderung der sofort auftretenden Wettereffekte sowie
    veränderte Folgeeffekte erlaubt. So lässt sich ein abrupter Übergang der Para­                                                                                                  die Temperatur als die relevante Einflussgröße her­
    meter zum Zeitpunkt Mai 2006 feststellen.                                                                                                                                       aus, während im zweiten Abschnitt die Schneehöhe
                                                                                                                                                                                    wichtiger ist.

2     IAB-Kurzbericht 2/2015
Wie das Wetter den Arbeitsmarkt beeinflusst
Die Witterungsabhängigkeit der Arbeitslosenzahl                                 für den Dezember nur wenige Beobachtungen vor­
hat im untersuchten Zeitraum (Dezember 1991 bis                                 liegen und geringere Durchschnittstemperaturen als
Juli 2014) merklich abgenommen. Mithilfe unse­                                  -1°C überhaupt nicht auftraten, ist jedoch die Höhe
res Modells finden wir einen Strukturbruch im Jahr                              des Effekts wie auch die des Schwellenwerts mit
2006. In der Folge schlagen Witterungseffekte nur                               großer Unsicherheit behaftet.
noch mit gut zwei Dritteln der vorherigen Wirkung
zu Buche. Die Änderung vollzog sich in zeitlicher                                 Tabelle 1
Nähe zur Einführung des Saison-Kurzarbeitergeldes
                                                                                  Wettereffekte auf die Arbeitslosigkeit nach Monaten
und dürfte wohl wesentlich darauf zurückzuführen                                  Durchschnittswerte für den Zeitraum 2006 bis 2014, in Personen
sein. Im Folgenden werden die Effekte beschrieben,
                                                                                                                                 Temperatur                                  Schneefall
die wir für den aktuellen Rand, also nach dieser Um­                                                                                                 Schneehöhe
                                                                                                       Basiseffekt*           (je °C unter der                               (je cm pro
                                                                                                                                                       (je cm)
stellung, ermitteln.                                                                                                           Frostschwelle)                              5-Tage-Woche)

  Im Dezember schlagen frostige Temperaturen                                        Dezember                             -34.000 [11.000]

deutlich zu Buche. Einen Unterschied für den Effekt                                 Januar         -4.000 [3.000]        -14.000       [4.000]
auf die Arbeitslosigkeit macht es hier, ob die Durch­                               Februar      -15.000 [5.000]                                     3.400 [1.000]
schnittstemperatur oberhalb oder unterhalb einer
                                                                                    März         -14.000 [5.000]                                     4.000 [1.000]
bestimmten Frostschwelle liegt (vgl. Infokasten auf
                                                                                    April        -12.000 [4.000]                                                           16.000 [5.000]
Seite 2). Wir ermitteln als Schwellenwert eine Tem­
                                                                                  * Als Basiseffekt wird der günstige Effekt auf die Arbeitslosigkeit bezeichnet, der bei Temperaturen
peratur von 0,8°C, unterhalb derer die Arbeitslosig­                              oberhalb der Frostgrenze ohne Schneedecke oder Schneefall eintreten würde.
keit mit jedem Grad weniger um ca. 34.000 Personen                                Anmerkung: Leere Felder bedeuten, dass es in diesen Monaten keine signifikanten Effekte gibt.
steigt (vgl. Tabelle 1). Effekte von Temperaturunter­                             Standardfehler der Schätzung stehen in eckigen Klammern.
                                                                                  Quelle: Eigene Berechnungen mit Daten der Statistik der Bundesagentur für Arbeit
schieden oberhalb des Frostbereiches können dage­                                 und des Deutschen Wetterdienstes.                                                                       © IAB
gen nicht nachgewiesen werden. Da im Frostbereich

   Abbildung 2
   Temperatur und Schneehöhe im Zeitverlauf 1991 bis Januar 2015

   25

   20

   15

   10

    5

    0

   -5
         1991

                                                                                  2001

                                                                                                                                                             2011
                                                    1997

                                                                                                                                2007
                 1992

                                                                                         2002

                                                                                                                                                                    2012
                        1993

                                                                                                2003

                                                                                                                                                                            2013
                                      1995

                                                                  1999

                                                                                                                2005

                                                                                                                                              2009

                                                                                                                                                                                           2015
                               1994

                                                           1998

                                                                                                        2004

                                                                                                                                       2008
                                                                         2000

                                                                                                                                                      2010
                                             1996

                                                                                                                       2006

                                                                                                                                                                                   2014

                                             Schneehöhe in cm                                                  durchschnittliche Temperatur in Grad Celsius

   Quelle: Eigene Berechnungen mit Daten des Deutschen Wetterdienstes und der Statistik der Bundesagentur für Arbeit.                                                                     © IAB

                                                                                                                                                             IAB-Kurzbericht 2/2015               3
Wie das Wetter den Arbeitsmarkt beeinflusst
Im Januar haben kalte Wetterverhältnisse ebenfalls              bruar bis April die Höhe der Schneedecke oder deren
                                      einen spürbaren Effekt auf die Arbeitslosigkeit: Jedes          Zunahme durch Schneefall.
                                      Absinken der Temperatur um 1°C hat ein Ansteigen                   In den zwei schneereichsten Monaten Februar
                                      um 14.000 Personen zur Folge. Auch dieser Effekt                und März finden wir einen signifikanten Effekt der
                                      stellt sich nur im Frostbereich (also unterhalb von             Schneehöhe. Im Durchschnitt über den gesamten
                                      0,8°C) ein. Liegt die Durchschnittstemperatur ober­             Zeitraum seit 1991 beträgt die Schneehöhe in die­
                                      halb des Schwellenwertes, führt dies zu einer um                sen Monaten gut 4 Zentimeter, unterliegt dabei aber
                                      4.000 Personen geringeren Arbeitslosigkeit (Basis­              starken Schwankungen im Bereich von unter 1 bis zu
                                      effekt, vgl. Tabelle 1). Das ist auch der Wettereffekt          mehr als 15 Zentimetern.
                                      im aktuellen Monat Januar 2015, da eine Durch­                    Je Zentimeter Schnee steigt im Februar die Arbeits­
                                      schnittstemperatur von 5,4°C zu verzeichnen war.                losigkeit um 3.400 Personen, während sie in einem
                                      Fallen die Temperaturen unter die Frostgrenze, wird             vollständig schneefreien Februar um 15.000 Perso­
                                      der Basiseffekt zunächst verringert oder ggf. über­             nen sinken würde. Wie oben beschrieben, wird auch
                                      kompensiert. Unterschiede in der Temperatur ober­               dieser Basiseffekt bei höheren Schneedecken zu­
                                      halb der Frostgrenze wirken sich jedoch nicht aus.              nächst verringert oder ggf. überkompensiert. Im März
                                        Für alle weiteren Monate finden wir gar keine                 geht mit jedem Zentimeter Schnee eine um 4.000
                                      oder nur geringe Auswirkungen der Temperatur auf                Personen höhere Arbeitslosigkeit einher, ohne Schnee
                                      die Arbeitslosigkeit. Einen größeren Einfluss auf die           ergibt sich ein Rückgang von 14.000 Personen.
                                      Beschäftigungssituation haben in den Monaten Fe­                   Im April stellt sich nicht die Schneehöhe selbst
                                                                                                      als relevante Größe heraus, sondern deren Anstieg,
                                                                                                      also der Schneefall2. Diese Variable erreicht über den
    Tabelle 2
                                                                                                      Betrachtungszeitraum im April bis zu knapp 1 Zen­
    Wettereffekte auf die Arbeitnehmerzahlen in verschiedenen                                         timeter pro Woche (fünf Tage), in der Spitze auch
    Wirtschaftszweigen
                                                                                                      zwei- bis dreimal so viel. Je Zentimeter steigt die
    Anteil der vom Modell erklärten Veränderungen (R2), in Prozent
                                                                                                      Arbeitslosigkeit um 16.000 Personen, der Rückgang
                                                Wetter-        R2 mit      R2 ohne                    ohne Schneefall liegt bei 12.000 Personen.
         Wirtschaftszweig                                                              Differenz
                                               variable1)    Wettereffekt Wettereffekt                   Üblicherweise wird davon ausgegangen, dass die
         Land- und Forstwirtschaft,                                                                   Wettereffekte auf die Produktion temporärer Natur
                                             Eistage***           87             65           22
         Fischerei
                                                                                                      sind, diese also in den Folgemonaten durch Nachhol­
         Produzierendes Gewerbe
                                             Schneehöhe***        84             78             6     effekte wieder ausgeglichen werden. Ist etwa in ei­
         ohne Baugewerbe
         davon: Verarbeitendes Gewerbe       Schneehöhe***        84             79             5     nem schneereichen März die Bautätigkeit behindert,
         Baugewerbe                          Eistage***           84             65           19      werden zurückgestellte Bauvorhaben in den darauf­
                                                                                                      folgenden Monaten verstärkt wieder aufgenommen.
         Handel, Verkehr, Gastgewerbe        Schneetage*          60             45           15
                                                                                                      Ein negativer Wettereffekt in einem bestimmten
         Information und Kommunikation       Schneehöhe***        79             70             9
                                                                                                      Monat wäre dann also mit positiven Folgeeffekten
         Erbringung von Finanz- und                                                                   verbunden. Wir untersuchen, ob solche Nachholef­
                                             Schneehöhe**         74             67             7
         Versicherungsleistungen
                                                                                                      fekte auch im Zeitverlauf der Arbeitslosigkeit fest­
         Grundstücks- und
                                             Temperatur           57             50             7     zustellen sind. In unserem empirischen Ansatz wird
         Wohnungswesen
         Unternehmensdienstleister           Temperatur           56             46           10      ein möglicher Rückgang des Wettereffekts in den
         Öffentliche Dienstleister,
                                                                                                      vier folgenden Monaten explizit berücksichtigt und
                                             Schneefall**         47             32           15
         Erziehung, Gesundheit                                                                        quantitativ erfasst.
         Sonstige Dienstleister              Schneehöhe           39             31             8        Unser Modell zeigt, dass sich im ersten Monat
         Gesamt                              Schneehöhe***        72             54           18      noch ungünstige Folgeeffekte einer schlechten Wit­
                                                                                                      terung im Vormonat zeigen. Der Ursprungseffekt
    1)
         Für jede Branche wird die Wettervariable mit dem höchsten Erklärungsgehalt ausgewiesen.
                                                                                                      auf die Arbeitslosigkeit ist aber nach zwei Monaten
    Signifikanzniveau ***: 1 %, **: 5 %, *: 10 %. Das R² wird nur anhand von Beobachtungen des
    ersten Quartals berechnet. Die Variable „Eistage“ misst im Durchschnitt über alle Messstationen
    den Anteil der Tage, deren Höchsttemperatur 0°C nicht überschreitet, während analog dazu
    „Schneetage“ den Anteil der Tage mit einer positiven Schneehöhe bezeichnet.                       2
                                                                                                        Wir definieren die Variable „Schneefall“ als den Mittelwert
    Lesebeispiel: Im Baugewerbe lässt sich die Veränderung der Arbeitnehmerzahl im 1. Quartal         über die Änderungen der bei den einzelnen Wetterstationen ge­
    eines Jahres zu 19 Prozent durch überschnittlich viele Eistage erklären.                          messenen Schneehöhen, wobei Null eingesetzt wird, wenn die
    Quelle: Eigene Berechnungen mit Daten der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen                  Schneehöhe nicht steigt. Wir verwenden den eingängigen Na­
    des Statistischen Bundesamtes und des Deutschen Wetterdienstes.                           © IAB   men „Schneefall“, obwohl diese Variable auch vom Abschmelzen
                                                                                                      einer Schneedecke beeinflusst ist.

4         IAB-Kurzbericht 2/2015
knapp zur Hälfte und nach vier Monaten vollstän­                   Spalte). Es verbleibt jeweils höchstens ein Indikator
dig ausgeglichen. Statistische Tests zeigen, dass die              im Modell, während die anderen keinen zusätzlichen
Daten nicht gegen diese langfristige Neutralität der               Erklärungsgehalt aufweisen. Die statistische Sig­
Wettereffekte sprechen – allerdings lassen sie sich                nifikanz dieser Wettervariablen wird in der Tabelle
im Umkehrschluss aber auch nicht als Nachweis in­                  ausgewiesen.
terpretieren.                                                         Dann stellen wir den Erklärungsgehalt der Mo­
   Insgesamt ist ein Hinweis auf die Schätzunsicher­               delle mit und ohne Wettereffekte gegenüber. Dazu
heit der Ergebnisse angebracht. Für manche Ereig­                  wird der Anteil der vom Modell erklärten Verände­
nisse stehen in bestimmten Monaten nur wenige Be­                  rungen der Arbeitnehmerzahlen (das R² der Modelle)
obachtungen in den Zeitreihendaten zur Verfügung.                  berechnet. Große Differenzen im Erklärungsgehalt
So gab es seit der Wiedervereinigung nur drei Jahre,               signalisieren einen starken Einfluss des Wetters in
in denen die Durchschnittstemperatur im Dezember                   diesem Wirtschaftsabschnitt.
unter null Grad lag. Entsprechend schwierig ist es in                 Branchen mit Tätigkeiten, die überwiegend im
solchen Fällen, Arbeitsmarkteffekte präzise zu iden­               Freien ausgeführt werden, sollten naturgemäß stär­
tifizieren.                                                        ker vom Einfluss des Wetters betroffen sein. Unsere
                                                                   Ergebnisse bestätigen dies. Demnach wirkt sich das
                                                                   Wetter vor allem auf die Beschäftigungsentwicklung
„„ Witterungseffekte nach Branchen
                                                                   in der Land- und Forstwirtschaft und Fischerei so­
Einzelne Branchen sind der Witterung in sehr unter­                wie im Baugewerbe aus. Dies trifft insbesondere auf
schiedlichem Ausmaß ausgesetzt. Im Folgenden un­                   Jahre mit einer erhöhten Zahl an Eistagen im ers­
tersuchen wir, in welchen Bereichen sich die größten               ten Quartal zu, also mit vielen Tagen, an denen die
Arbeitsmarktwirkungen ergeben. Deshalb betrachten                  Temperatur durchgängig unter 0°C verharrt. Liegt an
wir nun die Reaktion der saisonbereinigten Arbeit­                 mehr Tagen als im Durchschnitt Schnee, hat dies ne­
nehmerzahlen nach Wirtschaftszweigen (Quelle:                      gative Auswirkungen auf Handel, Verkehr und Gast­
Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen des Statisti­                gewerbe, während die Beschäftigung im Bereich
schen Bundesamtes). Da die Daten nur vierteljährlich               Öffentliche Dienstleister, Erziehung, Gesundheit mit
vorliegen, können die Wettereffekte nicht differen­                dem Schneefall variiert. In den meisten Wirtschafts­
ziert nach Monaten dargestellt werden, sondern nur                 zweigen sind die Effekte aber nicht allzu ausgeprägt.
nach Quartalen. Signifikante Wettereffekte finden                  Unternehmensdienstleister beispielsweise sind über­
wir ausschließlich für das erste Quartal. Wir berück­              haupt nicht von Wettereffekten betroffen.
sichtigen auch in der Branchenanalyse unterschied­
liche Wettereffekte für die Jahre vor und nach 2006.
                                                                   „„ Fazit
   Um die Effekte in den verschiedenen Branchen zu
vergleichen, suchen wir zunächst diejenigen Wetter­                Arbeitslosen- und Beschäftigtenzahlen unterliegen
indikatoren, die sich im jeweiligen Wirtschaftszweig               beträchtlichen saisonalen Schwankungen. Während
als aussagekräftig erweisen (vgl. Tabelle 2, zweite                solche Bewegungen im üblichen Ausmaß jedes Jahr

   Markus Hummel                           Alexander Vosseler                       Prof. Dr. Enzo Weber                  Roland Weigand
   ist Mitarbeiter im Forschungs­bereich   war Mitarbeiter im Forschungsbereich     ist Leiter des Forschungsbereichs     ist Mitarbeiter im Forschungs­bereich
   „Prognosen und Strukturanalysen“        „Prognosen und Strukturanalysen“         „Prognosen und Strukturanalysen“      „Prognosen und Strukturanalysen“
   im IAB.                                 im IAB und arbeitet aktuell als          sowie kommissarischer Leiter des      im IAB.
   markus.hummel@iab.de                    „Quantitative Analyst“ bei der Siemens   Forschungsbereichs „Arbeitsmarkt­     roland.weigand@iab.de
                                           Bank GmbH.                               prozesse und Institutionen“ im IAB.
                                                                                    enzo.weber@iab.de

                                                                                                                                IAB-Kurzbericht 2/2015            5
erwartet werden können, untersuchen wir, welche
                                 Wirkung eine besonders strenge oder milde Wit­
                                 terung auf den Arbeitsmarkt hat. Insbesondere be­
                                 trachten wir Temperatur und Schnee.
                                    Bei den Arbeitslosenzahlen finden wir spürbare
                                 Wettereffekte im Winterhalbjahr, die sich deutlich
                                 nach Monaten unterscheiden. Die Effekte können
                                 durchaus in die Zehntausende gehen. Beispielswei­
                                 se erhöht ein Grad Frost im Januar die Arbeitslo­
                                 senzahl um rund 14.000. In den Folgemonaten wird
                                 diese Wirkung dann wieder wettgemacht. Entwick­
                                 lungen des Arbeitsmarkts am aktuellen Rand und
                                 deren Ursachen lassen sich also deutlich besser
                                 einordnen, wenn man diese Abweichungen explizit
                                 berücksichtigt. Die aktuellen Wettereffekte werden
                                 monatlich neu berechnet und sind ebenso wie die
                                 Zeitreihen der Wetterdaten unter http://www.iab.de/
                                 wettereffekte abrufbar.
                                    Vor allem das Baugewerbe und der Bereich Land-
                                 und Forstwirtschaft, Fischerei sind in ihrer Beschäf­
                                 tigungsentwicklung vom Wettergeschehen im ersten
                                 Quartal eines Jahres betroffen. Harte Winter führen
                                 hier zu vorübergehenden Beschäftigungsrückgän­
                                 gen. Ohne den Einsatz des Saison-Kurzarbeitergel­
                                 des dürften die Wettereffekte gerade im Baugewer­
                                 be noch stärker ausfallen (Kümmerling/Worthmann
                                 2011). Für die meisten Branchen hat das Wetter al­
                                 lerdings nur geringe Bedeutung.

                                 Literatur
                                 Deutsche Bundesbank (2014): Wettereffekte auf das Brut­
                                   toinlandsprodukt im Winterhalbjahr 2013/2014. In: Mo­
                                   natsbericht Mai, S. 58/59.
                                 Döhrn, Roland (2014): Weshalb Konjunkturprognostiker
                                   regelmäßig den Wetterbericht studieren sollten. Wirt­
                                   schaftsdienst.
                                 Gericke, Pierre-André; Seidel, Gerald (2014): Saisonberei­
                                   nigung. Methodenbericht der Statistik der BA, Bundes­
                                   agentur für Arbeit, Nürnberg.
                                 Kümmerling, Angelika; Worthmann, Georg (2011): Fort­
                                   führung und Vertiefung der Evaluation des Saison-
                                   Kurzarbeitergeldes. Bundesministerium für Arbeit und
                                   Soziales, Schlussbericht.

    Impressum  IAB-Kurzbericht Nr. 2, Februar 2015  Herausgeber: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit, 90327 Nürn­berg
     Redaktion: Elfriede Sonntag, Martina Dorsch  Graphik & Gestaltung: Monika Pickel  Fotos: Jutta Palm-Nowak  Druck: Vormals Manzsche Buch­druckerei und
    Verlag, Regensburg  Rechte: Nach­druck – auch auszugsweise – nur mit Genehmigung des IAB  Bezug: IAB-Bestellservice, c/o W. Bertelsmann Verlag GmbH & Co. KG,
    Auf dem Esch 4, 33619 Biele­feld; Tel. 0911-179-9229 (es gelten die regulären Festnetzpreise, Mobilfunkpreise können abweichen); Fax: 0911-179-9227; E-Mail:
    iab-bestellservice@wbv.de  IAB im Internet: www.iab.de. Dort finden Sie u. a. diesen Kurzbericht zum kostenlosen Download  Anfragen: iab.anfragen@iab.de oder
    Tel. 0911-179-5942  ISSN 0942-167X

6     IAB-Kurzbericht 2/2015
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